Barock Renaissance - Germanisches Nationalmuseum
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Abb. 92a Ansichtskarte zur Reichsautobahn:<br />
»1933 Erster Spatenstich«, 1936<br />
Abb. 92b Ansichtskarte »Im Reich<br />
der Hochöfen«, 1942<br />
auf den Bau der Kongresshalle des Reichsparteitagsgeländes<br />
bezieht, liest er sich<br />
beinah wie eine Beschreibung des Märzfeld-Gemäldes,<br />
das umgekehrt durchaus<br />
als Illustration zu dem Artikel geeignet<br />
wäre. Die Botschaft lautete in beiden Fällen<br />
gleich, nämlich dass die Besichtigung<br />
des Bauplatzes ein großartiges Erlebnis<br />
sei. »Hohe Kräne heben mit spielender<br />
Leichtigkeit die schweren Steinblöcke an<br />
die bestimmten Stellen. Das eindrucksvolle<br />
Bild wird belebt durch das Zischen und<br />
Rattern der Züge und Lastwagen, durch<br />
die weitgreifenden Bewegungen der Kräne<br />
und den Lärm der Baumaschinen. Die<br />
vielen hundert Arbeiter verschwinden fast<br />
vor der Größe des Werks. Überwältigender<br />
Schaffenswille und gewaltige Kraft<br />
lassen dieses Denkmal der nationalsozialistischen<br />
Bewegung in unerhörtem Tempo<br />
emporwachsen.«<br />
Ein anderer Wortbeitrag hob bei der<br />
Kongresshalle die solide handwerkliche<br />
Verarbeitung hochwertiger Materialien<br />
hervor. Er schilderte »die edlen, ausgesuchten,<br />
wunderschönen deutschen Werk-<br />
steine, die aus allen Gauen des Vaterlandes<br />
herbeigebracht werden« und rühmte<br />
die »mächtige Vormauerung«, gefügt aus<br />
»Jahrtausende überdauerndem Granit«.<br />
Auch Merckers »Märzfeld«, das 1941<br />
für die Sammlung »Haus der Deutschen<br />
Kunst« erworben wurde, feiert »deutsches<br />
Gestein«. Das ganze Baugelände ist damit<br />
übersät. Große Aufmerksamkeit widmet<br />
der Maler dem Steinquadergefüge<br />
der Türme. Im Vordergrund lässt er einen<br />
wuchtigen, behauenen Granitblock den<br />
Auftakt zu der nationalistisch erhebenden<br />
Steinschau geben, die in München durch<br />
seine Ansicht der »Granitbrüche, Flossenbürg«<br />
ergänzt wurde.<br />
Zum Material Granit –das Johann<br />
Wolfgang von Goethe (1749–1832) in<br />
seinen universellen naturwissenschaftlichen<br />
Reflektionen einst als »unerschütterlichsten<br />
Sohn der Natur« interpretiert hatte<br />
–konstatierte Thomas Ruff 1995, es<br />
habe seit der Gründung des deutschen<br />
Kaiserreichs 1871 zunehmend »deutschnationale<br />
Weihen« erhalten. Ruff verwies<br />
in dem Zusammenhang auf Julius Langbehns<br />
(1851–1907) einflussreiches Traktakt<br />
»Rembrandt als Erzieher«, in dessen<br />
Ausgabe von 1889 es hieß, dass die<br />
Griechen eine Kultur von Marmor und<br />
dass die Deutschen eine von Granit haben.<br />
Granit geriet bei Langbehn zur martialisch-sozialen<br />
Metapher. So vergleicht<br />
er die ungezählten Massen der deutschen<br />
Heersoldaten mit dem granitnen<br />
Pflaster der deutschen Großstädte, jeder<br />
sei fest zum anderen gefügt und alle<br />
insgesamt undurchdringlich. Ruff stellte<br />
dar, wie diese nationalistische Gesteins-<br />
Semantik weiter wirkte.<br />
Das Baumaterial für das Reichsparteitagsgelände<br />
lieferte ab April 1938 das<br />
damals von der SS gegründete Unternehmen<br />
»Deutsche Erd- und Steinwerke<br />
GmbH«. Es bediente Regierungsprojekte<br />
und ließ das Material von KZ-Häftlingen<br />
herstellen. Die Firma pachtete Steinbrüche,<br />
errichtete Granit-, Ziegel-, Kiesund<br />
Baustoffwerke, in deren unmittelbarer<br />
Nähe Konzentrationslager entstanden,<br />
so etwa die Lager Mauthausen, Gusen,<br />
Groß-Rosen, Natzweiler oder Flossenbürg.<br />
Diese befanden sich neben Steinbrüchen<br />
mit hochwertigem Granit, den<br />
Albert Speer (1905–1981) sehr schätzte.<br />
Aus all den genannten Lagern wurden<br />
276<br />
Steine nach Nürnberg geliefert, auch<br />
noch, nachdem die Bauarbeiten auf dem<br />
Reichsparteitagsgelände kriegsbedingt<br />
weitestgehend eingestellt waren. Eugen<br />
Kogon (1903–1987) hielt 1946 fest:<br />
«Die Steinbrüche waren in allen Lagern<br />
die wahren Himmelfahrtkommandos.«<br />
Die Arbeitsbedingungen folgten dem<br />
Konzept »Vernichtung durch Arbeit«, das<br />
Persönlichkeitsbrechung beinhaltete,<br />
Abertausende, teils sehr gezielt, umbrachte<br />
und Unzählige in den Selbstmord trieb.<br />
Mercker setzte nach dem Krieg seine<br />
Karriere als Industriemaler fort und begleitete<br />
mit seinen Bildern die Zeit des<br />
»Wirtschaftswunders« in der jungen<br />
Bundesrepublik.<br />
Lit.: Große Deutsche Kunstausstellung 1941.<br />
Ausst.Kat. Haus der Deutschen Kunst. München<br />
1941, S. 56, Kat.Nr. 718. –Zum Künstler vgl.<br />
Kunst im 3. Reich. Dokumente der Unterwerfung.<br />
Bearb. von Georg Bussmann, Ausst.Kat. Frankfurter<br />
Kunstverein. Frankfurt a.M. 1974, S. 167.<br />
–Volkmar von Pechstaedt: Erich Mercker. Göttingen<br />
2003. –Hitler und die Deutschen. Volksgemeinschaft<br />
und Verbrechen. Hrsg. von Hans-<br />
Ulrich Thamer/Simone Erpel. Ausst.Kat.<br />
Deutsches Historisches Museum, Berlin. Dresden<br />
2010, S. 256, Abb. S. 257. –Weiterführend<br />
vgl. Thomas Ruff: Materialikonologie –Materialideologie:<br />
Granit. In: Anzeiger des Germanischen<br />
<strong>Nationalmuseum</strong>s, 1995. S.160–168. –<br />
Eugen Kogon: Der SS-Staat. Das System der<br />
deutschen Konzentrationslager. (München<br />
1946) München 1997. –Norbert Frei: Vergangenheitspolitik.<br />
Die Anfänge der Bundesrepublik<br />
und die NS-Vergangenheit. München 1999,<br />
S. 8–17 (Hermann Lübbes These des »Beschweigens«).<br />
–Erhard Schütz/Eckhard Gruber:<br />
Mythos Reichsautobahn. Bau und Inszenierung<br />
der »Straßen des Führers« 1933–1941. Berlin<br />
2000, S. 115. –Die zweite Schöpfung. Bilder<br />
der industriellen Welt vom Ende des 18. Jahrhunderts<br />
bis in die Gegenwart. Hrsg. von Sabine<br />
Beneke/Hans Ottomeyer. Ausst.Kat. Martin-<br />
Gropius-Bau, Berlin. Berlin 2002. –Yasmin<br />
Doosry: »Wohlauf, lasst uns eine Stadt und einen<br />
Turm bauen...«. Studien zum Reichsparteitagsgelände<br />
in Nürnberg. Diss. Hamburg 1991.<br />
Tübingen/Berlin 2002, S. 387. –Dirk Rupnow:<br />
Vernichten und Erinnern. Spuren nationalsozialistischer<br />
Gedächtnispolitik. Göttingen 2005,<br />
S. 326–327.<br />
Leihgabe des Deutschen Historischen Museums,<br />
Berlin (Gemälde)<br />
Erworben aus dem Antiquariat (Postkarten)<br />
Ursula Peters