Flip_Feb2016
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18 oberlinden KUlTUr JoKer<br />
Freiburgs älteste Nachbarschaftsvereinigung<br />
Die „Oberlinden-Gesellschaft von 1595/ Zierkommission Oberlinden seit 1829<br />
Zum 185. Mal traf sich diesem<br />
Januar die Oberlinden-Gesellschaft<br />
von 1595/ Zierkommission<br />
Oberlinden seit 1829<br />
zu ihrer traditionellen Jahresversammlung<br />
bei Schäufele<br />
und Kartoffelsalat im Roten<br />
Bären am Oberlindenplatz.<br />
Die Wurzeln der Vereinigung,<br />
die gemeinhin als Vorläuferin<br />
der Freiburger Bürgervereine<br />
gilt, reichen zurück bis in die<br />
frühe Neuzeit. Oberlinden war<br />
mit dem Schwabentor an dem<br />
vielbefahrenen Handelsweg<br />
ein bedeutsamer Eingang in<br />
die Stadt, vor allem Waren aus<br />
dem Hochschwarzwald und<br />
Schwaben erreichten Freiburg<br />
auf diesem Wege. Die Waren<br />
mussten nach ihrer Einfuhr im<br />
naheliegenden Kaufhaus am<br />
Münsterplatz versteuert und<br />
verzollt werden. Die Kontrolle<br />
dieses Vorgehens übertrug die<br />
Obrigkeit den Anwohnern und<br />
Gewerbetreibenden in Oberlinden.<br />
„Die Oberlinden-Gesellschaft<br />
entstand sowohl durch<br />
äußeren Druck als auch aus<br />
der guten Gemeinschaft, die<br />
in Oberlinden damals schon<br />
gepflegt wurde“, so Christian<br />
Himmelsbach, langjähriges<br />
Mitglied im Vorstand der Gesellschaft.<br />
Abgesehen von den Aufgaben,<br />
die die Obrigkeit auf die<br />
Bewohner von Oberlinden<br />
übertrug, bildeten diese durch<br />
die Oberlinden-Gesellschaft<br />
auch eine wirtschaftliche und<br />
soziale Einheit. Alljährlich<br />
mussten sie an dem Sonntag,<br />
der der Petri-Kettenfeier am<br />
1. August am nächsten lag, im<br />
Kaufhaus den sogenannten<br />
Oberlinden-Eid ablegen. Dieser<br />
verpflichtete Handwerker<br />
und Wirte, sich nicht gegenseitig<br />
die Kunden wegzunehmen,<br />
auf die Einhaltung der Sonnund<br />
Festtagsruhe zu achten,<br />
Schuldner eines Kollegen nicht<br />
zu bedienen und keine unverzollten<br />
Waren von reisenden<br />
Händlern anzunehmen oder<br />
zu verkaufen. Verstöße gegen<br />
Der zu Fronleichnam festlich geschmückte Oberlindenplatz im frühen 20. Jahrhundert<br />
den Eid wurden in der Regel<br />
mit Bußgeldern geahndet, die<br />
bis zur Hälfte wieder an die<br />
Oberlinden-Gesellschaft zurückflossen.<br />
Mit der langen Zeit der Belagerungen<br />
und Besatzungen<br />
durch die Franzosen, Schweden<br />
und Österreicher seit dem<br />
ausgehenden 17. Jahrhundert,<br />
schlief die Vereinigung ein.<br />
In einer belagerten Stadt gab<br />
es schließlich wenig zu verzollen<br />
und die wechselnden<br />
Das Foto wurde freundlicherweise von Christian Himmelsbach zur Verfügung gestellt<br />
Stadtherren kontrollierten die<br />
ordnungsgemäße Besteuerung<br />
vermutlich lieber selbst.<br />
Die Gesellschaft fand jedoch<br />
exakt 100 Jahre nach der Pflanzung<br />
der jetzigen Linde auf<br />
dem Oberlindenplatz wieder<br />
zusammen. Seither führt sie<br />
den Zusatz „Zierkommission<br />
seit 1829“. Zuständig war die<br />
Vereinigung fortan für das Herrichten<br />
des Quartiers zu Feiertagen<br />
oder Adelsbesuchen. An<br />
Fronleichnam, dem einst höchsten<br />
Feiertag im katholischen<br />
Freiburg, schmückten sie den<br />
Oberlindenplatz mit Pflanzen,<br />
Spruchbändern, festlichen<br />
Altären und lebensgroßen Figuren,<br />
die Szenen des letzten<br />
Mahles vor Jesus’ Kreuzigung<br />
nachstellten. Diese Funktion<br />
verlor die Oberlinden-Gesellschaft/<br />
Zierkommission<br />
schließlich Mitte der 1960er<br />
Jahre, nachdem es mit dem 2.<br />
Vatikanischen Konzil zu einer<br />
Abkehr von der Fronleichnamsprozession<br />
und damit einhergehend<br />
auch von dem Brauch<br />
der Festaltäre kam.<br />
Heute würde man die Oberlinden-Gesellschaft/<br />
Zierkommission<br />
als ein offenes Netzwerk<br />
bezeichnen, als Verein<br />
ist sie nicht eingetragen. Per<br />
Handzettel werden Anwohner,<br />
Geschäftsleute sowie Freunde<br />
und Förderer der Oberen Altstadt<br />
zu den Jahresversammlungen<br />
eingeladen. Geschmückt<br />
wird Oberlinden durch die<br />
Zierkommission beispielsweise<br />
noch zur Weihnachtszeit. Auch<br />
der jährliche Oberlindenhock<br />
im Sommer, der erstmals 1970<br />
anlässlich der 850 Jahrfeier<br />
Freiburgs stattfand, wurde aus<br />
den Reihen der Oberlinden-<br />
Gesellschaft initiiert.<br />
Die namensgebende Linde<br />
steht derzeit wieder im Fokus<br />
der Zierkommission: Das<br />
Freiburger Garten- und Tiefbauamt<br />
hat die Linde im vergangenen<br />
Januar für todkrank erklärt<br />
und beraumt ihre Fällung<br />
innerhalb der nächsten zwei<br />
Jahre an – etwas vorschnell<br />
für einen stadthistorisch derart<br />
wichtigen, knapp 290 Jahre<br />
alten Baum, finden Christian<br />
Himmelsbach und Bärenwirtin<br />
Monika Hansen.<br />
Doch wie konnte eine<br />
Nachbarschaftsvereinigung<br />
von der Neuzeit bis heute überdauern?<br />
Möglich macht dies hauptsächlich<br />
die nach wie vor eher<br />
kleinteilige Struktur des Oberlindenquartiers.<br />
Während im<br />
Bereich der Kaiser-Joseph-<br />
Straße Filialen das Straßenbild<br />
dominieren, findet man um das<br />
Schwabentor noch zahlreiche<br />
inhabergeführte Geschäfte in<br />
historischen Gebäuden, deren<br />
Geschichte vielen Anwohnern<br />
bekannt ist. Die Identifikation<br />
mit dem Stadtteil dürfte daher<br />
ungleich stärker ausfallen.<br />
Valentin Heneka<br />
Freiburg i.Br • Tel. +49(0)761.325 57<br />
www.goldschmiede-im-schwabentor.de<br />
GOLDSCHMIEDE<br />
IM SCHWABENTOR