Flip_Feb2016
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6 theater KULtUr JOKer<br />
Das DDR-Sandmännchen zeigt den Stinkefinger<br />
Wolfgang Rihms Musiktheater „Die Hamletmaschine“ (1987) in einer Schweizer Erstaufführung am Opernhaus Zürich<br />
Glatte Haare, hohe Stirn,<br />
strenge Hornbrille. Eine Zigarre<br />
in der Hand. Das ist Heiner<br />
Müller. Auf der Bühne des<br />
Opernhauses Zürich sind bei<br />
Wolfgang Rihms Musiktheater<br />
„Die Hamletmaschine“ (1987)<br />
gleich drei Heiner Müllers zu<br />
sehen. Die Schauspieler Matthias<br />
Reichwald und Anne Ratte-<br />
Polle sowie der Bariton Scott<br />
Hendricks, der die anspruchsvolle<br />
Gesangspartie dieser<br />
Schweizer Erstaufführung mit<br />
Bravour meistert. Eigentlich<br />
stehen drei Hamlets in Wolfgang<br />
Rihms Partitur, die Heiner<br />
Müllers Text aus dem Jahr 1977<br />
vertont. So möchte der Komponist<br />
die Zerrissenheit des Dänenprinzen<br />
zeigen.<br />
Müllers sperriger, rätselhafter,<br />
verschachtelter Text enthält<br />
viele autobiographische Bezüge.<br />
Nicht nur im Staate Dänemark<br />
war etwas faul. Auch<br />
der Schriftsteller litt unter den<br />
herrschenden Verhältnissen<br />
in der DDR. Ganz konkrete<br />
Ereignisse wie der niedergeschlagene<br />
Ungarnaufstand von<br />
1956 oder der Selbstmord seiner<br />
Frau („Die Frau mit dem<br />
Kopf im Gasherd“) finden sich<br />
in seiner „Hamletmaschine“<br />
wieder. Deshalb ist die Grundidee<br />
des Regisseurs Sebastian<br />
Baumgarten, statt der Hamletfiguren<br />
Heiner Müller selbst auf<br />
die Bühne zu bringen, durchaus<br />
stimmig.<br />
Seit der Hamburger Produktion<br />
von 1990 wurde das Grenzen<br />
auflösende Musiktheater Rihms<br />
Ein hochspannender Musiktheaterabend<br />
nicht mehr gespielt. Nach der<br />
Uraufführung in Mannheim<br />
1987 kam es nur noch wenige<br />
Wochen später am Freiburger<br />
Theater auf die Bühne. Gabriel<br />
Feltz lässt am Pult der Philharmonia<br />
Zürich die Spannungen<br />
explodieren, gewährt aber auch<br />
die darauf folgenden Atempausen<br />
und Schrecksekunden. Rihms<br />
Musik changiert zwischen<br />
spannungsvollen Liegeklängen<br />
im Chor und Orchester und<br />
plötzlichen Schlagzeugattacken,<br />
zwischen Beruhigung und Panik.<br />
Das Lyrische wird immer<br />
wieder zerschlagen, zerknallt,<br />
zerfetzt. Dafür stehen den sechs<br />
Schlagzeugern unter anderem<br />
Metallplatten, Vorschlaghämmer,<br />
sechs Tam-Tams und zwei<br />
Schreckschuss-Pistolen zur<br />
Verfügung. Die Musiker sind<br />
auf der Bühne, den beiden Proszeniums-Logen<br />
und dem zweiten<br />
Rang postiert, was einen<br />
echten Surround-Klang ergibt<br />
und die Theatralik von Rihms<br />
Musik eindrucksvoll verstärkt.<br />
Nicola Beller Carbone entfaltet<br />
als vielschichtige Ophelia mit<br />
ihrem tragfähigen dramatischen<br />
Sopran die Dominanz, die Rihm<br />
von ihr im letzten Bild fordert.<br />
Foto: Tanja Dorendorf<br />
Sie kann Opfer und Rächerin.<br />
Scott Hendricks (Hamlet III) ist<br />
ähnlich ausdrucksstark. Nur in<br />
der Tiefe verliert der amerikanische<br />
Bariton an Gestaltungsmöglichkeiten.<br />
Zu Beginn des Abends zeigt<br />
eine Videoprojektion eine italienische<br />
Fähre, auf der Flüchtlinge<br />
und Helfer in Schutzanzügen<br />
zu sehen sind. Der stählerne<br />
Bühnenraum von Barbara Ehnes<br />
erinnert an einen Schiffsrumpf<br />
(Video-Design: Chris Kondek).<br />
Baumgarten wählt konkrete Bilder,<br />
um die fragmentarischen,<br />
grotesken Szenen historisch zu<br />
verorten. Im zweiten Teil macht<br />
der Regisseur aus Ophelia Ulrike<br />
Meinhoff und ruft das<br />
RAF-Gefängnis in Stuttgart-<br />
Stammheim in Erinnerung. Im<br />
dritten findet sich Heiner Müller<br />
in Andy Warhols New Yorker<br />
Factory wieder, wo er auf<br />
die westliche Partygesellschaft<br />
trifft und vom Kapitalismus<br />
verstört zurückgelassen wird.<br />
Das DDR-Sandmännchen zeigt<br />
im Video zum großen Schlagzeugcrescendo<br />
des Orchesters<br />
den Stinkefinger, bevor der Züricher<br />
Chor im vierten Teil mit<br />
Pegida-Kreuz und Baseballschlägern<br />
für Aufruhr sorgt. So<br />
gut manche Bilder im einzelnen<br />
funktionieren – sie hinterlassen<br />
kaum Spuren im weiteren Verlauf<br />
das Abends.<br />
Die zu Beginn prominent<br />
gestellte Flüchtlingsfrage wird<br />
außer einer Europa-Tischdecke<br />
und den Pegidas nicht mehr<br />
aufgegriffen. Auch fehlt es an<br />
Zuspitzung, um zu verstören<br />
und an Prägnanz, um zu verfangen.<br />
Ein richtig großer Wurf<br />
ist der Abend nicht. Dennoch<br />
gelingt dem Opernhaus Zürich<br />
mit Rihms „Hamletmaschine“<br />
ein szenisch respektabler, musikalisch<br />
hochspannender Musiktheaterabend,<br />
der zwar nicht<br />
lange, aber heftig bejubelt wird.<br />
Und den sichtlich zufriedenen<br />
Wolfgang Rihm Kusshändchen<br />
lässt.<br />
Weitere Vorstellungen: 2./7./<br />
11./14. Februar, Opernhaus<br />
Zürich.<br />
Georg Rudiger<br />
Kreative Köpfe<br />
Ausgefüllt von Veronika Sautter-Bendiks<br />
Steckbrief:<br />
Geboren 1983 in Tübingen,<br />
dort aufgewachsen, zur Schule<br />
gegangen, Abi gemacht und<br />
viel Theater gespielt. Nach<br />
einem Afrika- und einem Südamerikaaufenthalt<br />
und sieben<br />
Praktika nach Freiburg gezogen<br />
und hier angefangen Musik,<br />
Kunst und Deutsch an der<br />
PH zu studieren. Während des<br />
Studiums die Ausbildung zur<br />
Theaterpädagogin begonnen<br />
und nach der Zwischenprüfung<br />
die PH erfolgreich und<br />
erleichtert abgebrochen, um an<br />
die Schauspielschule zu gehen.<br />
Es folgte die Ausbildung an der<br />
Freiburger-Schauspielschule<br />
im E-Werk. Seit 2012 als<br />
freiberufliche Schauspielerin,<br />
Sprecherin und Theaterpädagogin<br />
tätig. Zu sehen in verschiedenen<br />
Produktionen u.a. am<br />
Wallgraben Theater Freiburg<br />
(Am Ziel), im E-Werk Freiburg<br />
(Theater RadiX: „Eins auf die<br />
Fresse“, „Der Unsichtbare“,<br />
„Schwestern“) und bei den<br />
Immoralisten, Freiburg („Kasimir<br />
und Karoline“, „Waisen“).<br />
Gründerin des „KinderTheaterRadieschen“<br />
mit „Lenchens<br />
Geheimnis“ von Michael Ende<br />
an verschiedenen Bühnen u.a.<br />
Vorderhaus Freiburg, Die<br />
Gems in Singen und an verschiedenen<br />
Grundschulen zu<br />
sehen (www.KinderTheater-<br />
Radieschen.de).<br />
Seit 2008 festes Ensemble-Mitglied<br />
bei Theater RadIX, nicht<br />
nur als Schauspielern sondern<br />
auch als Theaterpädagogin dort<br />
aktiv; Leitung des theaterpädagogischen<br />
Projekts von Theater<br />
RadiX „Vom Drehbuch bis<br />
zum Schnitt“. In Kooperation<br />
mit Blackwood-Films und der<br />
Max-Weber-Schule Freiburg<br />
(Kulturschule 2020) und der<br />
Staudinger Gesamtschule produzieren<br />
hier SchülerInnen<br />
Kurzfilme zu Themen der aktuellen<br />
Theater RadiX Produktionen<br />
mit unserer Hilfe.<br />
Seit 2015 stolze Mama eines<br />
wunderbaren Jungen.<br />
Ich bin... perfektionistisch &<br />
ungeduldig (leider), umgänglich,<br />
zuverlässig<br />
Mich inspiriert... Theaterbesuche,<br />
Gespräche mit Kollegen,<br />
lange Spaziergänge, viel<br />
Kaffee, mein Mann<br />
Meine Themen-Schwerpunkte...<br />
Jugend-und Kindertheater<br />
Meine aktuelle Produktion/<br />
Projekte... Aktuell beschäftigt<br />
mit den Proben im Vorderhaus<br />
Freiburg für das Stück „Besetzt!“<br />
von Anja Schöne für<br />
Kinder ab 5 Jahren über das<br />
Verbrauchen und Nichtverbrauchen<br />
von Strom und Energie:<br />
Der singende Eisbär Elvis<br />
und die Siebenschläferdame<br />
Selma besetzen ein Kraftwerk<br />
und kappen den Strom. Fortan<br />
machen sich das Mädchen Lina<br />
und ihr Vater Florian auf eine<br />
spannende Suche nach alternativen<br />
Möglichkeiten Strom herzustellen.<br />
(Premiere am 27.02.<br />
um 17 Uhr)<br />
Nach wie vor spiele ich „Lenchens<br />
Geheimnis“ von Michael<br />
Ende in Schulen und auf Theaterbühnen,<br />
in Freiburg mehrfach<br />
im Vorderhaus.<br />
Das Theaterpädagogische Projekt<br />
„Vom Drehbuch bis zum<br />
Schnitt“ von Thetaer RadiX<br />
geht in die zweite Runde und<br />
im September werden wir zusammen<br />
mit Blackwood-Films<br />
und der Max-Weber-Schule<br />
Freiburg (Kulturschule 2020)<br />
neue Filme drehen.<br />
Für meine Arbeit brauche<br />
ich... oft einen Babysitter<br />
Visionen/Zukunftsprojekt<br />
Spielen, spielen, spielen<br />
www.veronika-sautter-bendiks.<br />
de