De:Bug 172
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und vor allem auch die Fehler, die sie produzieren.<br />
Falsche Spannung am CV/Gate, Schmutz in der MIDI-<br />
Leitung, ein Kratzen des Filters. Diese Dinge sind meine<br />
Hauptinspiration. Gute Momente entstehen immer, wenn<br />
etwas schief geht."<br />
Diese Haltung dokumentiert Whittaker auch auf seinem<br />
Album. "Faint Hearted" klingt wie ein Geschichtsbuch<br />
aus der Zukunft, mit klaren Referenzen und doch komplett<br />
ohne Haltegriffe. Ein tiefgründig rumpelnder Karton,<br />
ausgeschlagen mit inside-out geklebter Raufaser-<br />
Tapete, randvoll mit kleinen Schlaglöchern, in denen<br />
man sich wundervoll verheddern kann. Harsch klingende<br />
Transportkapseln für Sounds und Pattern, die in nicht einmal<br />
einer Stunde die Erde erst in Schutt und Asche legen<br />
und die neue Saat gleich mitliefern. Ungeschliffen, nicht<br />
poliert, eher noch bewusst porös geschmirgelt. Man hört<br />
den Lötkolben, mit dem Whittaker den Schaltkreisen gerne<br />
zu Leibe rückt.<br />
Endlich wieder Trouble auf dem Dancefloor<br />
Noch vor ein paar Jahren hätte ein Album wie "Faint<br />
Hearted" kaum mehr als ein respektvolles Schulterzucken<br />
verursacht, heute jedoch fällt es in eine stetig größer werdende<br />
Nische für Menschen, die abgeschlossen haben mit<br />
den immer gleichen Konventionen des Dancefloors. Alles<br />
geht. Es wird tiefer gegraben, weiter in der Geschichte<br />
zurückgeforscht. "Es klingt vielleicht nach einer sehr vorhersehbaren<br />
Antwort, aber für mich sind das die ganz<br />
plastischen Folgen des Internets. Die Kids müssen nicht<br />
mehr das konsumieren, was ihnen ihr Plattenladen vorlegt.<br />
Sie haben wirklich die Möglichkeit, sich musikalisch<br />
selbst zu finden. Das ist der Grund, warum Noise-Musiker<br />
plötzlich Bassdrums unter ihre Tracks legen oder Doom-<br />
Metal-Fans die Platte von Andy Stott feiern. Es gibt ein<br />
neues Verständnis von Musik, ein neues Interesse für<br />
Vergangenes und Abseitiges. Dass das aktuell oftmals wie<br />
New Wave oder No Wave aus den frühen 8ern klingt, ist<br />
nur eine Phase. Die finde ich nicht sonderlich toll, aber<br />
das geht vorbei. Es ist doch auch völlig klar, warum das<br />
so passiert. Klassische Clubmusik ist nicht mehr edgy.<br />
Selbst meinem Vater macht eine gerade Bassdrum nichts<br />
mehr aus. Vor 2 Jahren ist er ausgerastet, wenn ich zu<br />
Hause Techno-Platten gemixt habe. Musik wird anders<br />
konsumiert, anders produziert, anders distribuiert. Damit<br />
verändert sich auch der Sound. Wird doch auch Zeit! Und<br />
natürlich ist diese Szene weder experimentell, noch revolutionär.<br />
Ich darf das sagen, ich bin 39 Jahre alt. Aber für<br />
die neue Generation von Produzenten ist es genau das. Ein<br />
Schritt auf dem Weg zum eigenen Sound. Ich hätte ohne<br />
HipHop auch nie Jazz entdeckt. Das gehört dazu, solche<br />
Releases sind wichtig. Wenn das einem nicht gefällt, muss<br />
man ja nicht zuhören."<br />
Das Weghören hat Whittaker von der Pike auf gelernt.<br />
Jahrelang arbeitete er in der Musikindustrie und verkaufte<br />
12"s an Plattenläden. Irgendwann, sagt er, konnte er<br />
nicht mehr. Presswerke 1, Miles . Selbst zu Hause mochte<br />
er keine Musik mehr hören, geschweige denn produzieren.<br />
Alles klang gleich, alles überflüssig. Also kündigte<br />
er den Job als Vertriebler und erkämpfte sich Stück für<br />
Stück seine Liebe zur Musik zurück; ein langer, schwieriger,<br />
aber auch reinigender Prozess. 15. Platten habe er<br />
besessen, das sei einfach nur dämlich. Jetzt seien 5.<br />
<strong>172</strong><br />
Tonträger das absolutes Limit, sagt er, mehr als 4. sind<br />
es aktuell nicht. Und: "Immer wenn ich eine kaufe, muss<br />
eine andere raus. Seit drei Jahren mache ich das jetzt so.<br />
Aber: Jede hier im Regal ist ein Killer. Und das bleibt auch<br />
so. Ich habe die besten Acid-Platten, ich habe die besten<br />
<strong>De</strong>troit-Techno-Platten. Finde ich. Das heißt nicht, dass ich<br />
mir keine neuen Tracks mehr anhöre oder die Nase rümpfe,<br />
wenn ein junger Producer in diese Richtung arbeitet.<br />
Im Gegenteil. Die sind enthusiastisch, wollen etwas erreichen.<br />
Das ist super. Nur kaufen werde ich ihre Platten mit<br />
großer Sicherheit nicht. Ich habe 2 Jahre Vorsprung."<br />
Verzerrte Erinnerungen<br />
Vor dem Interview, erzählt Miles, hätte er endlich einen<br />
lange geplanten Mix fertiggestellt, "mit Tracks, deren<br />
Verfallsdatum schon sehr lange überschritten ist; produziert<br />
in der ersten Hälfte der 9er-Jahre. Olle Kamellen,<br />
aber wenn man sie so aneinandergereiht hört, merkt man,<br />
wie herzzerreißend das ist. Utopische Musik, idealistisch,<br />
unschuldig, naiv. Ja, man hört genau, dass die Tracks aus<br />
den Neunzigern sind, aber sie beschreiben für mich die<br />
wundervollsten Momente aus dieser Zeit. Momente, die<br />
es wert sind, in die Jetztzeit gerettet zu werden."<br />
Um diesen Ansatz kreist auch das Album. Kleine<br />
Versatzstücke aus der reichen Geschichte der elektronischen<br />
Musik. Die sind nicht einfach nur neu zusammengebaut,<br />
sondern fungieren als Ausgangspunkt oder Referenz,<br />
um Whittakers Ideen ein wenig plastischer zu machen.<br />
Dabei muss es sich nicht immer um Sounds handeln,<br />
das Konzept betrifft zum Beispiel auch die Wortwahl der<br />
Titel. "Loran Dreams" ist so ein Fall, das episch-flirrende<br />
Outro der Platte, randvoll mit 7er-Weltraum-Futurismus<br />
und plinkernden Arpeggios. Eine Liebeserklärung an einen<br />
Synthesizer aus <strong>De</strong>utschland, den niemand auf dem<br />
Zettel hat. "Rüdiger Lorenz baute dieses Gerät und ich<br />
bin in der glücklichen Situation, dass ich seinen Sohn gut<br />
kenne. <strong>De</strong>n Synth hatte ich dennoch noch nicht in den<br />
Fingern."<br />
Wie sich das Album verkaufen und von den Fans aufgenommen<br />
werden wird, ist Whittaker - ganz der Künstler<br />
- zwar nicht egal, große Gedanken macht er sich aber nicht<br />
darüber. Ja, das habe sich alles sehr verändert, nein, Alben<br />
seien bestimmt nicht mehr so wichtig, aber, und er steht<br />
auf und stellt sich vor sein Plattenregal: "Das sind ungefähr<br />
4. Tonträger. Mindestens 98 Prozent davon habe<br />
ich nur wegen eines Stücks gekauft. Wie viele wirklich<br />
gute Alben gibt es denn in der elektronischen Musik?<br />
Zehn? 15? Vielleicht 2. Mehr würden mir wirklich nicht<br />
einfallen. Ich erwarte gar nicht, dass man mein Album als<br />
geschlossenes Werk wahrnimmt. Mir macht das nichts<br />
aus, ich kaufe seit jeher genauso Platten. Ich suche nach<br />
guten Tracks." ... und legt eine alte Reload-Platte auf und<br />
fragt, ob mir jemals aufgefallen sei, dass das ein Breakbeat<br />
im 3/4-Takt ist. "Das macht doch heute niemand mehr.<br />
Warum eigentlich nicht? Und warum machen selbst Indie-<br />
Bands immer öfter 4/4? Das ist der Grund, warum immer<br />
mehr elektronische Musik wieder merkwürdig und unerwartet<br />
klingt. Im Moment ist das noch ein sehr unübersichtliches<br />
Kuddelmuddel, aber in ein paar Jahren wird<br />
sich das geregelt haben. Mit mehr extremen Tracks, mehr<br />
extremen Sounds. Das ist gut." Mit "Fainted Heart" ist die<br />
erste Platte für die Zukunft gesetzt.<br />
ElEctronic BEats<br />
FEstival<br />
Köln E-WErk<br />
16.05. 2013<br />
JamEs<br />
BlaKE<br />
Dan DEacon<br />
trust<br />
rEptilE Youth<br />
PoPnonamE<br />
11<br />
www.ElEctronicBEats.nEt