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De:Bug 172

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<strong>172</strong> — MUSIK<br />

M<br />

Miles Whittaker, die eine Hälfte des bereits jetzt legendären<br />

Duos <strong>De</strong>mdike Stare, ist ein praktizierender<br />

Philosoph elektronischer Musik und der beste<br />

DJ der Welt. Nun hat er sein erstes Solo-Album gemacht.<br />

Ein Hausbesuch.<br />

"Da vorne kommt mein Studio rein", sagt Miles Whittaker<br />

und deutet in Richtung Osten. Auf welches Gebäude er<br />

zeigt, soll ich lieber nicht schreiben, bittet er, das sei alles<br />

noch nicht in trockenen Tüchern, der Hausherr wisse noch<br />

nichts von seinem Glück. Ein eigener Raum werde jedoch<br />

immer dringlicher: "Hier kann ich auf Dauer nicht wirklich<br />

produzieren." Er zeigt auf die millimetergenau in das<br />

Plattenregal eingelassenen Gerätschaften. "Ein Großteil<br />

meines Equipments ist noch in England, auch mein geliebtes<br />

Mischpult." Wir genießen die Aussicht. Hoch oben<br />

im 15. Stock, in einem vergessenen Teil Westberlins, es<br />

ist noch hell, der Fernsehturm wirkt ganz nah dran. <strong>De</strong>r<br />

Fahrstuhl brauchte lange hinauf, die Flure sind verwaist<br />

und vertragen einen Schwung frischer Farbe; unten checken<br />

die Kids vor dem Supermarkt, was heute Abend noch<br />

so gehen könnte.<br />

Vor knapp anderthalb Jahren packte Whittaker seine<br />

Koffer in Nordengland ein und in Berlin wieder aus.<br />

Jedenfalls zum Teil, zu Hause ist er selten. Auch heute<br />

Abend säße er eigentlich schon wieder im Flugzeug,<br />

auf dem Weg nach Australien, wenn ihm die Gesundheit<br />

nicht einen Streich gespielt hätte. "<strong>De</strong>r Arzt war sehr diplomatisch.<br />

Er sagte, er würde die Reise nicht empfehlen.<br />

Zum ersten Mal habe ich mich an seinen Rat gehalten<br />

und die Gigs abgesagt." Gebucht war Whittaker als<br />

<strong>De</strong>mdike Stare, dem Projekt, das er seit 29 zusammen<br />

mit Sean Canty vorantreibt - und das für all diejenigen, die<br />

die mehr als übersichtliche Szene Manchesters rund um<br />

das Label Modern Love verfolgen, eine der größten und irritierendsten<br />

Sensationen seit der Schließung der Haçienda<br />

war. Ein radikaler Bruch mit geübten Sound-Ritualen, die<br />

Whittaker erst als Pendle Coven, dann als MLZ und Miles<br />

gemeinsam mit Andy Stott und Claro Intelecto als nordenglisches<br />

Dreigestirn des Dub Modern Love aufgeprägt<br />

hatte. Überfällig war diese Neuausrichtung schon<br />

lange. Und kreisten Whittakers Dancefloor-Tracks und die<br />

<strong>De</strong>mdike-Stare-Produktionen bislang in völlig unterschiedlichen<br />

Umlaufbahnen um den Planeten Techno, zieht "Faint<br />

Hearted", die erste Solo-LP von Miles, jetzt wie ein riesiger<br />

Magnet sämtliche Sound-Partikel aus allen Richtungen<br />

an. Ein Urknall. Mit Betonung auf Knall, denn es geht um<br />

Sound, worum auch sonst.<br />

"Ich bin jetzt soweit"<br />

Über die Vergangenheit spricht Whittaker nicht gerne.<br />

Eigentlich auch nicht über die Gegenwart. Als <strong>De</strong>mdike<br />

Stare will er 213 kein einziges Interview geben. Und das,<br />

obwohl gerade eine zehnteilige 12"-Serie gestartet ist:<br />

"Testpressing". Nach dem aufwendigen Album-Projekt<br />

"Elemental" mit kompliziertem Klapp-Cover, buntem Vinyl<br />

und Endlosrillen kommt nun das genaue Gegenteil. White<br />

Labels, quick and dirty, auch musikalisch. "Das wird vielen<br />

Fans überhaupt nicht gefallen. Tatsächlich klingen die<br />

Stücke klingen mehr nach Dancefloor", sagt Whittaker und<br />

schaut kurz auf sein Telefon. Auf dem Bett atmet der Laptop<br />

weißes Licht.<br />

23 erschien seine erste EP, zu diesem Zeitpunkt produzierte<br />

er bereits seit 15 Jahren. "Ich kann mir diese Tracks<br />

heute nicht mehr anhören", gibt er zu. "Ich war einfach noch<br />

nicht soweit. Natürlich ahmt man zu Beginn immer andere<br />

Künstler nach, wenn man sich selber an die Maschinen<br />

wagt, und das ist auch genau der richtige Ansatz. Du musst<br />

aber, davon bin ich fest überzeugt, versuchen, wie du selbst<br />

zu klingen, und eben nicht wie <strong>De</strong>rrick May. Ich habe Jahre<br />

im Studio verbracht und versucht, Tracks nachzubauen,<br />

alle Tricks und Sounds zu analysieren und sie dann selbst<br />

umzusetzen. Die Platten hier im Regal, das sind die, bei denen<br />

mir das nicht geglückt ist. Das sind die, die auch heute<br />

noch ihre Magie voll entfalten. Platten, die ihrer Zeit voraus<br />

waren und immer noch sind. Heute fühle ich mich langsam<br />

in der Lage, diese Inspiration für meine eigene Musik umzusetzen.<br />

Es gab immer wieder Künstler, denen so ein Sound<br />

gelang, aber man muss nach ihnen suchen, akribisch und<br />

mit Nachdruck. Ich meine das in keiner Weise hochnäsig<br />

oder böse, aber auf dem Dancefloor hat sich seit zwanzig<br />

Jahren nichts getan. Wir haben immer noch 1991."<br />

Das sagt der beste DJ der Welt. Miles Whittaker<br />

braucht fünf Minuten, um jede noch so an die Wand gefahrene<br />

Party am Schlafittchen zu packen und neu aufzustellen,<br />

masht Autechre mit Rhythm & Sound, Acid Tracks und<br />

Strings Of Life, erklärt der Welt HipHop im Breakdown und<br />

winkt mit Aphex Twin. Alles gleichzeitig. Liebe zur Musik<br />

buchstabiert man W-H-I-T-T-A-K-E-R. Das passt vielleicht<br />

nicht ins Bild, das man von <strong>De</strong>mdike Stare hat, blitzt aber<br />

selbst auf den Produktionen des Duos immer wieder durch.<br />

Und auf seinem Solo-Album erst recht.<br />

Work In Progress<br />

Würde sich Miles ein großes Banner ins Studio-Zimmer<br />

hängen, dann wäre das der Slogan. Es gibt keinen Status<br />

Quo in der elektronischen Musik und wenn doch, dann<br />

interessiert er ihn nicht. Whittaker ist ein Archivarius.<br />

Zuerst wird der Aufnahmeknopf gedrückt, dann fängt er<br />

an, Sounds zu entwickeln. "Und meistens produziert das<br />

Ausschalten dann die besten Momente. Wenn alle Geräte<br />

mehrere Stunden gearbeitet haben, drücke ich Stop und<br />

genau dieser kurze Moment, wenn das ganze Studio kollektiv<br />

ausatmet, zufrieden, erschöpft, erzeugt genau den<br />

Klang, den ich stundenlang gesucht habe. <strong>De</strong>n, den man<br />

nicht planen, nicht programmieren kann. Und ist dieser<br />

Sound aufgenommen, verkaufe ich ein Gerät meist wieder<br />

und lege mir etwas Neues zu. Ich bin kein Sammler.<br />

Maschinen, die ich verstanden habe, interessieren mich<br />

einfach nicht mehr. Sie können mich nicht mehr überraschen.<br />

Ich kenne ihre Stärken und Schwächen<br />

TEXT THADDEUS HERRMANN<br />

FOTOS HUMPTYSCHMIDT<br />

»Wie viele wirklich gute Alben<br />

gibt es denn in der elektronischen<br />

Musik? Zehn?<br />

15? Vielleicht 20.«<br />

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