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De:Bug 172

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<strong>172</strong> — SPECIAL — INTERFACES<br />

Sieht gar nicht aus wie ein Schreckgespenst, Googles<br />

Brillen-Experiment "Glass". Hauptfeature: Hands-off-<br />

Approach. Diese Brille soll irgendwann von Algorithmen<br />

gesteuert werden - konkret natürlich von: Google Now!<br />

wenn wir sonst nicht mal Do-Not-Track oder eine<br />

hochgezüchtete Firewall installiert haben? Die grundlegende<br />

Veränderung, die uns droht, oder sich uns endlich<br />

als Möglichkeit eröffnet, ist nicht, einer digital durchzogenen<br />

Welt endlich mit den Tools begegnen zu können, die uns irgendwie<br />

halbwegs kompatibel machen. Nicht mal die, dass<br />

wir uns alle in wenigen Jahren so anfühlen könnten, wie wir<br />

uns früher mal Roboter vorgestellt haben; mit ständigem<br />

Zugriff auf alle Datenbanken dieser Welt.<br />

Was uns Sorge machen dürfte: Wir haben nie gelernt,<br />

dass wir uns in einer Umgebung befinden, in der nicht wir<br />

- wie schlecht auch immer - entscheiden können und nach<br />

unserem Willen handeln, also autonom sind, sondern immer<br />

mehr klar wird, dass der nächste Schritt, der nächste<br />

Gedanke, der nächste Einfall schon vorformuliert sein könnte.<br />

Dass wir in jeder Handlung umgeben sind von einem<br />

»Wenn uns klar wird, dass<br />

unsere Gedanken nicht unbedingt<br />

unsere Gedanken<br />

sein müssen, sondern eine<br />

Stimme von vielen, werden<br />

wir sämtliche Vorstellungen<br />

von Identität auf den<br />

Prüfstand stellen müssen.«<br />

durch algorithmische Präferenzen bestimmten Raum<br />

möglicher Handlungen, möglicher Antworten, vorformuliert/vorgedachter<br />

Wege, die uns längst genügen könnten.<br />

Generation Déjà-vu. Die Sorge, die uns jetzt umtreibt und<br />

beschäftigen wird, bis wir vielleicht verstehen damit umzugehen,<br />

ist, dass wir ein Leben unendlicher Möglichkeiten<br />

leben, diese Möglichkeiten aber längst und immer genauer<br />

vorgezeichnet und vorgelebt werden, wir uns also in diesem<br />

Raum eine Identität einrichten müssen, deren Basis eine<br />

neue Unheimlichkeit ist.<br />

Alles, was wir mit Identität verbinden - unsere<br />

Eigenschaften, unsere eigene Geschichte, Status, Wissen,<br />

Gedanken und Erinnerungen, die in unserem Lebenslauf<br />

und unserem sozialem Verhalten so etwas wie Stabilität vermitteln<br />

und von der ausgehend wir uns nicht selten verhalten<br />

oder zumindest unser Verhalten in einer Welt der Stile,<br />

Beherrschbarkeit, Vorstellungen und Einstellungen verorten<br />

- steht in diesem Raum der Unheimlichkeit auf ein Mal<br />

auf dem Spiel. Unser Einsatz dieser Identität ist genau dann<br />

nicht mehr unser Eigenstes, wenn wir nicht nur verstehen,<br />

sondern ständig vermittelt bekommen, ständig vor Augen<br />

haben, dass unser nächster Zug einer sein könnte, der uns<br />

vorgerechnet wurde und alles in einer Flut der Medien und<br />

deren Bedingungen aufgegangen ist. Wenn der Gang durch<br />

eine beliebige Straße nicht nur von digitalen Erinnerungen<br />

durchzogen ist ("Letztes mal, als du hier warst, sind wir in die<br />

Bar da drüben gegangen", sagt Google Glass) sondern auch<br />

von Analysen einerseits noch nicht gesehener Korrelationen<br />

mit Dingen und Orten ("da vorne um die Ecke gibt's die<br />

besten Erdbeeren, die stehen doch auf deiner Diätliste für<br />

heute") von kommenden Begegnungen ("Lust, Edward zu<br />

treffen? <strong>De</strong>r sitzt da drüben im Café.") bis hin zu einfachen<br />

Zeitplänen ("jetzt aber ab in die U-Bahn nach Hause, sonst<br />

packst du es heute nicht mehr").<br />

Wir sehen eine rapide Entwicklung der Verwebung<br />

des Netzes mit uns, von “immer online“, über "Instant"<br />

und "Prädiktion" hin zu Präkognition. Pre-Crime ist im<br />

Testversuch beim LAPD, Subvokalisierung - diese innere<br />

Stimme, kurz bevor sie den Mund als hörbar verlässt<br />

- schon ein erprobtes Kommunikationsmedium auf dem<br />

Test-Schlachtfeld, Bone-Induction (Hören über Knochen) in<br />

Glass implementiert, und die pure Hirnkontrolle von "klassischen"<br />

Interfaces ein medizinisches Forschungsfeld mit<br />

ständig neuen Erfolgen. Neulich erst schickten Ratten<br />

sich gegenseitig Erfolgserlebnisse durch das Internet, und<br />

Menschenhirne lassen die ersten Rattenschwänze in den<br />

Labors wackeln.<br />

Genau dann, wenn uns klar wird, dass unsere<br />

Gedanken erstens nicht unbedingt unsere Gedanken sein<br />

müssen, sondern eine Stimme von vielen, die direkt ihren<br />

Wert in das Feld algorithmischer Überprüfbarkeit entlassen<br />

hat (wir stellen uns eine App vor, die mit Casino-Bing<br />

jede unserer Aussagen auf Wahrheitsgehalt überprüft und<br />

den Stand unserer Lügen im Highscore mit Freunden zu<br />

einem Wettbewerb macht) wird uns auch klar, dass wir<br />

sämtliche Vorstellungen von Identität auf den Prüfstand<br />

stellen müssen - und das Netz endgültig in uns aufgegangen<br />

ist. Eine Welt in der Unheimlichkeit, Vorahnung,<br />

Déjà-vu, Vielstimmigkeit, subjektive Kakophonie und<br />

vieles mehr eine Rolle spielen wird, die uns aus der<br />

Vorstellung der Rollenspieler in ein ganzes Ensemble aus<br />

Subjektivitäten entlässt.<br />

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