06.06.2016 Aufrufe

De:Bug 172

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>172</strong> — SPECIAL — INTERFACES<br />

Uhr wird ersetzt durch einen Blick der Uhr auf uns.<br />

Die Armbanduhr ist ein Beispiel für unsichtbare Technik,<br />

deren strukturierende Kraft in Alltäglichkeit aufgegangen<br />

ist. Uhren synchronisieren Menschen und ihr Leben, heute<br />

würde man sagen: sie vernetzen sie. Dass Apple, Samsung<br />

und Co nun die Armbanduhr als Vorbild nehmen, ist also<br />

weder Zufall noch Zwangsläufigkeit. Sie versuchen an die<br />

stille Macht des Zeitgebers anzuschließen, zumindest<br />

symbolisch. Rechenkraft soll so alltäglich werden, wie die<br />

Uhrzeit. <strong>De</strong>r Kontakt zur Cloud so nebensächlich, wie der<br />

Zeitabgleich einer Funkuhr.<br />

Kern des neuen Interface-Paradigmas ist nicht nur<br />

das Verschwinden der Computer, sondern deren gleichzeitige<br />

Allgegenwärtigkeit. Sie sollen unser Leben regeln<br />

- und müssen es dazu überwachen. Das Mensch-<br />

Maschine-Interface verschwindet, die Oberfläche des<br />

Menschen selbst wird die Schnittstelle, auf die Maschinen<br />

zugreifen. Sensoren überwachen unsere Bewegungen,<br />

unsere Körperfunktionen, unser Sozial-, Konsum- und<br />

Spaßverhalten und greifen in unsere Umwelt ein. "Smart<br />

Homes" passen sich den Gewohnheiten ihrer Bewohner an,<br />

"smarte" Autos beobachten den Verkehr, Suchmaschinen<br />

analysieren unsere Web-Wege, soziale Netzwerke unser<br />

Sozialverhalten (dank Smartphones und Ortsdaten nicht nur<br />

im Netz), Warenlager und Fertigungshallen tracken Waren,<br />

Maschinen und Menschen, um alle Bewegungen miteinander<br />

zu koordinieren und schon experimentiert das MIT mit<br />

einem Geldbeutel, der sich nur öffnen lässt, wenn auch der<br />

Kontostand stimmt.<br />

Nach Touch kommt Stimme<br />

Dass Gestensteuerung, Sprach- und Gesichtserkennung<br />

fast zeitgleich in der Unterhaltungselektronik angekommen<br />

sind, ist ein Zeichen für diesen Paradigmenwechsel. <strong>De</strong>r<br />

Mensch muss sich nicht mehr umständlich dem Computer<br />

verständlich machen, sondern wird von ihm interpretiert.<br />

Solche Konzepte, das zeigen zum Beispiel Weisers Texte<br />

zu Ubiquituos und Pervasive Computing, sind Jahrzehnte<br />

alt. Neu ist, dass sie jetzt umsetzbar sind - und auch umgesetzt<br />

werden müssen. <strong>De</strong>nn in dem Maße, in dem unsere<br />

technische Umwelt und unser Leben komplexer werden,<br />

müssen Bedienkonzepte her, die genau so vielfältig und flexibel<br />

sind, wie die Dinge, die sie steuern sollen - nur nicht<br />

so kompliziert. Erst die jüngsten Fortschritte im Interface-<br />

<strong>De</strong>sign, der Informatik, der KI-Forschung und natürlich der<br />

Miniaturisierung von Sensoren- und Rechen-Hardware werden<br />

diesem neuen Paradigma zum Durchbruch verhelfen.<br />

Wenn Touch die letzte Regung des alten Paradigmas<br />

ist, dann ist Sprachsteuerung die Brücke in diese neue<br />

Computerwelt. Sprachsteuerung nach altem Vorbild ist<br />

nichts anderes als eine Kommandozeile, bei der man festgelegte<br />

Befehle nach einer speziellen Grammatik aneinanderreiht.<br />

Neue Sprachsteuerungen greifen nicht mehr auf ein<br />

Wörterbuch mit Befehls-Synonymen zurück, sondern versuchen<br />

den Menschen zu verstehen und zu interpretieren - also<br />

auch dessen Fehler auszubügeln. Dahinter steht ein gewaltiger<br />

technologischer Aufwand: Spracherkennung, die ohne<br />

Anlernen und im Geräuschchaos funktioniert, Datenhalden,<br />

die Kontextwissen repräsentieren, Programme, die (ganz<br />

neu) so angelegt sind, dass sie flexible Lösungswege, widersprüchliche<br />

Eingaben und nicht-kontrollierbare - also<br />

zwangsläufig: vertrauenswürdige - Outputs hinbekommen.<br />

Obwohl eine ausreichend intelligente Sprachsteuerung<br />

sehr komplex ist, scheint sie doch vor allem die noch am<br />

leichtesten zu verstehende und deswegen immerzu von<br />

<strong>De</strong>signern und <strong>De</strong>signerinnen vorgebrachte Idee zu sein,<br />

wie wir in Zukunft mit Computern umgehen werden.<br />

Wahrlich unsichtbare Technik aber wird unsere Sprache<br />

nur als einen von unzählig vielen Eingabe-Modi benutzen.<br />

Neue Konzepte werden Sprache eher als Korrektur- oder<br />

Verfeinerungsmöglichkeit nutzen. <strong>De</strong>nn die Maschinen werden<br />

mit uns Bedeutungen und Handlungsoptionen ausdiskutieren:<br />

Negotiated Understanding statt Befehl und<br />

Kommando.<br />

Google Now und der Hund<br />

Wem das alles bekannt vorkommt: Google Now ist einer der<br />

ersten Versuche, so ein neuartiges Interface in der Masse<br />

umzusetzen - und erst Masse, also Vergleichbarkeit, macht<br />

das ja interessant. Now zerlegt das Leben in Kategorien, für<br />

die Google etwas anzubieten hat, zum Beispiel Navigation,<br />

To-Dos, Kontakte. Dafür muss Now aber erst lernen, wie<br />

wir ticken, oder besser: was unsere Ticks sind. Now ist eine<br />

Mustererkennung, die körperliche und soziale Bewegungen<br />

auf Regelmäßigkeiten hin abklopft und in abstrakte Modi<br />

überführt: "Organisation", "Urlaub", "Freizeit". Now warnt<br />

vor nahenden Terminen (und rechnet Anfahrtsweg und<br />

-dauer aus), weist auf Geburtstage, Spielstände und beliebte<br />

Fotomotive aus der Umgebung hin. Die Idee ist: Die App<br />

erledigt nebenher Routineaufgaben und stellt die Nutzer vor<br />

die Wahl - ganz wie ein Navigationsgerät, das flexibel auf<br />

Umwege oder Falschfahrten reagieren kann: "Ach, dann halt<br />

»Kern des neuen Interface-<br />

Paradigmas ist nicht nur<br />

das Verschwinden der<br />

Computer, sondern deren<br />

gleichzeitige Allgegenwärtigkeit.«<br />

nicht." Weil Now aber nicht nur von einer Person benutzt<br />

wird, können weitere interpersonelle Regeln zu komplexen<br />

Verhaltensmustern abstrahiert, also vereinfacht werden:<br />

"Personen mit Ortskenntnis nehmen diesen Umweg." Als<br />

zentrale Sammelstelle kann Google zudem Nutzerdaten aggregieren<br />

und mit wachsender Wahrscheinlichkeit richtige<br />

Angebote unterbreiten. Die Kehrseite: Das System belohnt<br />

vorhersehbares Verhalten.<br />

Die technischen Hintergründe dieser Analysen sind<br />

gutes altes Big-Data-Business, maschinelles Lernen und<br />

Künstliche Intelligenz. Interessant ist vor allem, was so ein<br />

System für den Umgang mit Technik bedeutet: das ist eine<br />

klare Machtverschiebung. Nicht wir legen fest, was das<br />

Ziel ist und wie man es erreicht, sondern eine Maschine.<br />

Natürlich ist das keine neue Qualität von Technik, dass in<br />

ihr Ziel und Zielerreichung eingeschrieben sind. Eine Tür hat<br />

14

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!