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De:Bug 172

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<strong>172</strong><br />

TEXT SEBASTIAN WEISS<br />

Unter Brooklyns einziger Trauerweide schworen<br />

sich Thomas Mullarney und Jacon Gossett ewige<br />

musikalische Treue. Romantische Beziehungen sind<br />

doch nur die Blutegel der Kreativität. Das <strong>De</strong>bütalbum<br />

des neuen Acts auf Ghostly sucht den popmusiaklischen<br />

Umgang mit dieser Einbahnstraße der<br />

Emotionen. Doch keine Sorge, die Verwirrung wird<br />

schnell verfliegen.<br />

Möge es für alle Menschen in glücklichen Beziehungen<br />

auch noch so schwer sein, geben wir uns trotzdem für einen<br />

Moment diesem Gedanken hin: Die Liebe stirbt aus. In<br />

der Romantik – wo auch sonst – wurde sie als Gefühlszustand<br />

zum Ideal erklärt, in den Sechzigerjahren erreichte<br />

sie ihren historischen Zenit und anno 213 leben wir im totalitären<br />

Raum unbegrenzter Möglichkeiten. Oversexed but<br />

underfucked. Die beiden Herren von Beacon am anderen<br />

Ende der Leitung müssen laut auflachen. Das scheint kulturunabhängig<br />

Relevanz zu haben, meinen Thomas Mullarney<br />

und Jacob Gossett, und verweisen auf die Währung<br />

Sex, die in ihrer Heimat Amerika wichtiger sei als Talent. Die<br />

Leidenschaft sei einfach flöten gegangen. Sicherlich ist das<br />

kein Totschlagargument, aber die Wachstumslüge der Gesellschaft<br />

wurde (mit Teilerfolg) sukzessive in die Köpfe aller<br />

verwirrten Unentschlossenen eingepflanzt: Es geht noch<br />

mehr, es geht noch besser, ich will mich nicht entscheiden.<br />

Die Folge: Sehnsuchtswahn. Sicherlich muss man Single<br />

sein, um diesem Gedanken etwas abzugewinnen. Streiten<br />

könnte man darüber, aber warum: Verbaut man sich durch<br />

die radikale, aber zur eigenen Freiheit stehenden Einstellung<br />

vielleicht doch noch die Möglichkeit, an die man ohnehin<br />

nicht mehr glaubt.<br />

Das winzige Ich, das übergroße Wir<br />

Die ZEIT schob das Problem im vergangenen Jahr auf<br />

die Herren und fand auch ein schräges Buzzword für das<br />

Pseudo-Dilemma: Schmerzensmänner. Thomas und Jacob<br />

tun nicht gerade viel dafür, um nicht in diese Schublade<br />

gesteckt zu werden. Die beiden Wahl-New-Yorker sind<br />

beileibe nicht die ersten, die das Tal der Trennungstränen<br />

musikalisch verarbeiten. Die Vehemenz - und vor allen<br />

Dingen Ausdauer - ihres Duos Beacon ist allerdings beachtlich:<br />

"Songwriting ohne die Verarbeitung persönlicher<br />

Erlebnisse ist kaum möglich. Aber über eine Trennung zu<br />

sprechen, ist fast natürliche Fügung. So sind wir Menschen<br />

eben. Es würde mich nicht zufrieden stimmen, Texte über<br />

etwas zu schreiben, das mich glücklich macht“, entgegnet<br />

der 24-jährige Mullarney, der Knabe fürs Narrativ, und wirkt<br />

beinahe wie ein Medienprofi bei seiner stoischen Antwort.<br />

Zwei EPs und ihre kommende <strong>De</strong>büt-LP "The Ways We<br />

Seperate" auf Ghostly International machen zusammen<br />

neunzehn Songs über das Beziehungsende und die Zeit<br />

danach – eingehüllt in einer Kombination aus minimalen<br />

Pop-Melodien und R’n’B-Vocals. Das ewig gleiche Bejammern<br />

der eigenen Trauer ist den ehemaligen Kunststudenten<br />

aber zu bieder. So kommt es, dass gleich zwei Arten<br />

von separations verhandelt werden: diejenige, bei denen<br />

sich zwei Individuen voneinander wegbewegen, und letztlich<br />

die Trennung vom eigenen Ich durch das übergroße<br />

Wir. "Trennt man sich von seinem Partner, so trennt man<br />

sich auch von sich selbst. Das passiert in einer Beziehung<br />

ganz natürlich. Durch die gemeinsame Suche nach Glück<br />

verliert man die eigenen Ideale, Ziele und Wünsche aus<br />

den Augen. Man nimmt Abstand von sich selbst, was in<br />

einer Beziehung merkwürdig sein kann, gerade weil man es<br />

vielleicht gar nicht bemerkt. Schließlich glauben wir daran,<br />

dass eine Trennung eine nicht zu unterschätzende Quelle<br />

für das eigene Persönlichkeitswachstum ist. Um wachsen<br />

zu können, muss man leiden. So einfach ist das“, sagt der<br />

fünf Jahre ältere Gossett mit auffallend wackliger Stimme.<br />

Trennungsexperten<br />

Es ist nicht nur das Gespräch mit den beiden Amerikanern,<br />

das einem das Gefühl vermittelt, hier sind zwei Melancholiker<br />

am Werk, die sich vielleicht eine Gehirnwindung<br />

zu viel über die Tücken des Single-Daseins Gedanken<br />

gemacht haben. Bei der Frage nach dem eigenen Wohlbefinden<br />

weichen sie aus; die Namen und Storys ihrer<br />

Verflossenen müssen ja auch nicht in jedem Interview abgedruckt<br />

werden. Klarer Fall von: Unsere Songs sprechen<br />

für sich. Fair enough. Trotzdem verwunderlich, dass die<br />

beiden so wortkarg agieren, wenn es um die Liebe geht.<br />

Austausch mühselig und mit kindlichem Kichern begleitet.<br />

Also Schluss damit, die beiden halten sich schließlich<br />

für Trennungsexperten. Kennengelernt haben sie sich auf<br />

dem Pratt Institute, einer privaten Kunsthochschule mitten<br />

in Brooklyn. Ihre ersten Bühnenerfahrungen haben sie mit<br />

Performance-Kunst gesammelt. Während sich Thomas<br />

zunächst nicht sicher war, wo sein Weg hinführen könnte,<br />

war Jacob früh an Visual Art interessiert: "Beacon hat sich<br />

aus einem Konglomerat von unterschiedlichen Darstellungskonzepten<br />

entwickelt. Full-Video-Projektionen waren<br />

mein großes Faible, ich habe viele Animations-Projekte<br />

umgesetzt, die wir jetzt auch in unser Live-Set einbauen<br />

werden. Uns ist wichtig, alles unter Kontrolle zu haben: die<br />

Musik, die Visuals und selbst die Beleuchtung in der Location.<br />

Unser Set-up sieht einen abgedunkelten Raum vor,<br />

der lediglich durch unsere eigenen Videocollagen beleuchtet<br />

wird“, führt Jacob fort. Eine Inspirationsquelle war dabei<br />

das gemeinsame Touren mit Tom Krell aka How To Dress<br />

Well. Seine Live-Shows sind ähnlich aufgebaut.<br />

Coldplay in Downtempo<br />

Das Pratt Institute war gemeinsamer Kreativhort und<br />

Garagenersatz zugleich. Thomas entdeckte im Laufe des<br />

Studiums seine Passion für Skulpturen und blieb letztlich<br />

beim Handwerklichen. Selbst wenn er früher mit dem ein<br />

oder anderen Seminar haderte, heute schätzt er den freien<br />

Experimentiergeist der Universität: "<strong>De</strong>r Background einer<br />

Kunsthochschule, wo das Performen immer hinterfragt<br />

»Um wachsen zu können,<br />

muss man leiden. So<br />

einfach ist das.«<br />

und gespiegelt wurde, hat mich sehr gut vorbereitet und<br />

sicherer gemacht, auf eine Bühne zu treten. Am Anfang<br />

war ich noch unsicher und bin immer wieder hart mit mir<br />

ins Gericht gegangen. Als aber der schulische Zwang wegfiel,<br />

konnte ich mich mehr auf die Sachen konzentrieren, die<br />

mich wirklich interessierten.“ Ob denn ein Zusammenhang<br />

zwischen dem Entwurf einer Skulptur und seinem Songwriting<br />

bestehe, könne er nicht sagen. Beide Formen arbeiteten<br />

mit Ideen – hier wird etwas mit begrenzten Mitteln<br />

umgesetzt, dort entsteht etwas aus dem Spiel mit Gedanken<br />

und Gefühlen. Er wolle noch mal drüber nachdenken.<br />

Im Spätherbst 212 veröffentlichte das Duo mit "No Body"<br />

ihre erste EP. Liebe, Lust, Schmerz, Teenager-Material<br />

– die ersten Reaktionen waren positiv, aber spätestens mit<br />

dem folgenden Mini-Album "For Now" greifen die Hype-<br />

Mechanismen New Yorks. Dabei haben die beiden in ihrer<br />

Heimat bereits mehr als drei Jahre Live-Erfahrung auf dem<br />

Buckel. Trotzdem können sich zwei reflektierte Jungspunde<br />

mit Leidenschaft für wehleidige Falsett-Mucke nicht vor<br />

solch stumpfen Vergleichen retten wie “sounds like Coldplay<br />

making a downtempo record”.<br />

Don’t call it R’n’B<br />

Dieser Vergleich sei ebenso schwachsinnig wie der Versuch,<br />

Beacon in die Alternative-R’n’B-Richtung zu drängen,<br />

sagen sie mit Nachdruck. Auch wenn ihre Texturen<br />

nur wenig mit denen von Frank Ocean oder The Weeknd<br />

gemein haben, die Nähe zu den Briten Underworld ist nicht<br />

von der Hand zu weisen. "Sicherlich sind sie ein Einfluss,<br />

aber während der Produktion haben wir viel vom Berliner<br />

Bodycode [aka Portable, Anm. d. Red.] gehört. Das ist ein<br />

toller Produzent. Seine letzte LP hat uns stark beeinflusst,<br />

gerade die Texturen sind so reich an Ideen, dass man in<br />

sie eintauchen will“, schwärmt Thomas. Ein Bild, das auch<br />

auf "The Ways We Seperate" zutrifft. <strong>De</strong>rart filigran und mit<br />

dem melancholischen Gespür für Nuancen bringen sie ihre<br />

Verve für hauchzarte Strukturen mit Downtempo-Elektronika<br />

in Einklang. Die beste Musik ist eben immer noch diejenige,<br />

die einen nicht nur zum Nachdenken anregt, sondern<br />

auch Gefühle auslöst. Liebeslieder, die die Kraft der<br />

menschlichen Sexualität in all ihren Facetten beleuchten<br />

– die aufopferungsvolle Leidenschaft ebenso wie den hadernden<br />

Willen zur Selbstaufgabe. Wirklich keine positive<br />

Botschaft zum Schluss, Jungs? "Na gut, natürlich wird die<br />

Liebe überdauern und überleben." Geht doch.

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