De:Bug 172
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<strong>172</strong> — MUSIK HÖREN MIT:<br />
sie total straight oder weit und jetzt trägt man die nur<br />
noch Slim-Fit; alles andere geht nicht mehr. Und im Rap,<br />
wo ich ja tief drin war, hatte damals jeder diese unfassbar<br />
riesigen Trainingsanzüge, sogar ich hatte einen. Kann ich<br />
mir heute nicht mehr vorstellen - und mit diesen Drums und<br />
dem Hall ist es dasselbe. Klingt auch sehr wie The Smiths,<br />
fällt mir gerade auf.<br />
BUSTED - THUNDERBIRDS ARE GO<br />
(UNIVERSAL, 24)<br />
Mike: Ist das Carter?! Klingt wie Carter The Unstoppable<br />
Sex Machine. Und wieder diese Drums...<br />
Das ist von der Boyband Busted. The Streets waren mit<br />
"Dry Your Eyes" ein Mal ganz oben in den UK-Charts,<br />
und das war der Song, der dich vom Thron gestürzt hat.<br />
Mike: (lacht) Lustig. Das war 23 oder 24. Ich war gerade<br />
in Frankreich auf Tour, irgendwo auf dem Land in einem<br />
fantastischen Hotel, und wir hatten uns einen Tag<br />
freigenommen. Wir wollten etwas Schönes essen, ein ordentliches<br />
Fünf-Gänge-Menü oder so, das können die in<br />
Frankreich ja. Aber wenn nicht gerade Dinner-Time ist, dann<br />
kriegst du gar nichts! Ein paar der Jungs sind dann los, um<br />
Eis zu holen. Nach einer Weile haben sie einen Automaten<br />
gefunden - aber niemand war da. Also haben sie es einfach<br />
mitgenommen. Als sie zurückkamen, erzählte mir einer<br />
ganz beiläufig, dass wir Nummer Eins sind.<br />
Rob: Und dann habt ihr es richtig krachen lassen mit dem<br />
Eis!<br />
Gibt es eine Erwartungshaltung, wenn man Songs<br />
schreibt, die man besonders gut gelungen findet?<br />
Mike: Nein, auf keinen Fall. Ich habe schon so viele Songs<br />
geschrieben, und die meisten von ihnen sind nicht besonders<br />
gut, oder gut genug. Als wir unser neues Album<br />
"Diary" geschrieben haben, hatten wir irgendwann den<br />
Song "Blood, Sweat and Tears". Das war wahrscheinlich<br />
der einzige Moment in meiner Karriere, wo ich dachte: Das<br />
ist ein großer Song! Er ist noch nicht draußen, und wird<br />
vielleicht gar nicht das große Ding. Aber jeder stimmt zu,<br />
dass es der beste auf dem Album ist. Das wird also auf jeden<br />
Fall die nächste Single; wir haben schon ein Video gemacht<br />
und so. Aber das war wirklich das einzige Mal, dass<br />
ich so gespannt auf das Ergebnis war. Das hatte ich bei<br />
"Dry Your Eyes" oder "Fit But You Know It" nicht. Aber große<br />
Erwartungen habe ich trotzdem keine.<br />
Rob: Am wichtigsten ist, den Track, den du im Kopf hast, genau<br />
so herauszubringen, wie du ihn dir vorstellst. Bei diesem<br />
Mike: »Sei ehrlich:<br />
Ihr in <strong>De</strong>utschland<br />
wollt doch immer auf<br />
alles einen Technobeat<br />
draufknallen.«<br />
Song war es so für mich. Ich hatte lange eine Idee und am<br />
Ende dachte ich: Verdammt, genau so soll das sein, so soll<br />
sich der Song anfühlen. Und das ist emotional sehr befriedigend.<br />
Was jemand anderes darüber denkt, hat damit, ganz<br />
ehrlich, nichts zu tun. Das ist purer Egoismus (lacht).<br />
RUFF SQWAD - FUNCTIONS ON THE LOW<br />
(212, NO HATS NO HOODS RECORD)<br />
Mike: Klingt wie in einer japanischen Flughafen-Lounge.<br />
Rob: "Willkommen in Narita!" (lacht). Ist das neu?<br />
Quasi. Auf Vocals braucht ihr übrigens nicht zu<br />
warten, das ist eine Wiederveröffentlichung von<br />
Grime-Instrumentals.<br />
Rob: Prinzipiell ein Garage-Tune.<br />
Mike: Ja, aber da fehlt der Skip. Keine skippy HiHats. Keine<br />
Ahnung, was das ist.<br />
Ruff Sqwad, kennt ihr doch. Das ist auf jeden Fall der<br />
smootheste Track auf der Platte.<br />
Mike: Ok, wow! Dann hat das wahrscheinlich Dirty Danger<br />
produziert. Aber das Großartige an den frühen Grime-<br />
Sachen war, dass sie total verrückt klangen. Mittlerweile<br />
gibt es so einen gewissen Sound, die harten Sirenen, die<br />
Half-Time - das ist eigentlich zu einem Element von Dubstep<br />
geworden. Das Problem von Grime ist, dass all die Typen<br />
einfach nur Geld machen wollen. Abgesehen von Skepta!<br />
<strong>De</strong>r hat gerade ein wirklich gutes Album gemacht. Man will<br />
ja, dass die Jungs einfach die Musik machen, die sie wirklich<br />
lieben. Aber viele enden schnell bei Pop und beim Geld.<br />
"Blacklisted" von Skepta ist ein wirklich modernes Grime-<br />
Album. Die Vorgeschichte ist, dass er allerlei Popkram gemacht<br />
und versucht hat, damit irgendwo zu landen, bis ihm<br />
ein guter Bekannter gesagt hat: Das ist doch Müll!, mach<br />
einfach, worauf du Bock hast. Und dann hat er "Blacklisted"<br />
gemacht. Und da sind eben keine Wannabe-Radiohits drauf,<br />
keine Features mit amerikanischen Sängerinnen, keine<br />
schlechte House Music. Sondern einfach: really mad.<br />
Rob, das ist nicht ganz deine Ecke, oder?<br />
Rob: Ich höre insgesamt sehr wenig Musik. Ein bisschen<br />
enttäuschend, ich weiß.<br />
Um 22 herum hast du jedenfalls deine ersten Platten<br />
mit The Music veröffentlicht.<br />
Rob: Ja, genau. Und wir wollten einfach Anti-Alles sein<br />
(lacht) und so viel Krach machen wie möglich. Wir hatten<br />
so eine Punk-Attitüde: den Leuten auf den Zeiger gehen,<br />
unverständlihen Blödsinn schreien, die Eltern verärgern - darum<br />
sollte es doch immer gehen. Wir waren laut und wütend.<br />
Das ist doch nahe dran an Grime. Mike, du hast sogar<br />
mit MCs wie Kano zusammengearbeitet.<br />
Mike: Als ich mein erstes Album gemacht habe, habe ich<br />
viele Garage-MCs gehört. Und viele Kids, die ich kannte,<br />
wurden zu MCs. Aber wir standen alle eigentlich viel mehr<br />
auf HipHop. Ich habe also versucht, Garage mit der Sorte<br />
HipHop zu verbinden, die wir alle mochten. Und ich bin grandios<br />
daran gescheitert (schmunzelt). <strong>De</strong>nn dann kamen die<br />
Hipster und sagten: "Das ist ja wirklich interessant." Aber<br />
ganz ernsthaft: Ich habe nicht erreicht, was ich wollte; das<br />
sollte man sich merken. Es hätte ein Rap-Album werden<br />
sollen, aber die Zielgruppe hat es überhaupt nicht gefeiert.<br />
Das Scheitern macht dich zu dem, was du bist.<br />
Rob: Ist doch spannend: Du suchst nach einem Mittel gegen<br />
Krebs, und stattdessen...<br />
Mike: …erfindest du etwas gegen Radioaktivität. So könnte<br />
man The Streets im Rückblick erklären.<br />
Glückliche Unfälle. Ich kenne aber niemanden, der sich<br />
zu der Zeit für HipHop interessiert hat und The Streets<br />
nicht mochte.<br />
Mike: Ja, aber sei ehrlich: Ihr in <strong>De</strong>utschland wollt doch immer<br />
auf alles einen Technobeat draufknallen. Im UK ist Rap<br />
mittlerweile sehr sophisticated. Wir haben es bisher nicht<br />
geschafft, einen großen Rapper hervorzubringen, aber das<br />
könnte noch passieren. Dizzee Rascal war vielleicht der einzige.<br />
Aber der macht jetzt Popmusik. Es ist echt an der Zeit,<br />
dass jemand aus Großbritannien groß rauskommt. Als ich<br />
klein war, schauten die Leute nur nach Amerika - wieder die<br />
riesigen Trainingsanzüge! - und versuchten verzweifelt, bei<br />
<strong>De</strong>f Jux oder Loud gesignet zu werden, oder rappten nur<br />
über DJ-Premier-Beats. Aber jetzt gibt es eben wirklich britische<br />
Produktionselemente, Rap-Stile wie Grime und unsere<br />
Version von Trap, die so schön brutal ist. K. Koke hat<br />
Potenzial, er ist einer der Jungs aus der miesen Gegend. Aus<br />
Giggs könnte auch etwas werden, wenn er besser organisiert<br />
wäre. Aber es wird jemand kommen, der umwerfend<br />
und durch und durch britisch ist. Das war nicht möglich,<br />
als ich angefangen habe, weil alle so verzweifelt amerikanisch<br />
sein wollten. Für eine Band wie die Arctic Monkeys<br />
war es einfach die natürlichste Sache der Welt, eine tolle<br />
britische Rockband zu sein. In der Ecke ist ja das ganze<br />
Erbe und ein massives Selbstvertrauen vorhanden. Sie<br />
mussten nur loslegen und über ihr Leben in Sheffield reden.<br />
Selbstvertrauen! Und das könnte jemand mit Rapmusik<br />
heute locker auch so hinbekommen.<br />
BEASTIE BOYS - PAUL REVERE<br />
(DEF JAM RECORDINGS, 1986)<br />
Mike: Ist das "Paul Revere"? Nein. Doch, "Paul Revere"<br />
oder? Es gibt wirklich nur wenige Alben, die ich so oft angehört<br />
habe wie dieses hier.<br />
Das war seiner Zeit weit voraus, damals in den<br />
Mittachtzigern. Rob: du und Rap?<br />
Rob: Das erinnert mich ein bisschen an Snoop Doggy Dogg.<br />
"Doggystyle" habe ich mir immerhin mal einen ganzen Tag<br />
lang reingezogen (lacht).<br />
80<br />
The D.O.T., Diary,<br />
ist auf Cooking Vinyl erschienen.