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WIRTSCHAFT+MARKT 6/2016

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OSTDEUTSCHLAND | 17<br />

Fotos: advita (oben), Rölleke (unten)<br />

chische Belastung, denen ältere Pflegekräfte<br />

irgendwann nicht mehr gewachsen<br />

sind. Dass der Beruf bei den – immer weniger<br />

werdenden – Schulabgängern keineswegs<br />

erste oder zweite Wahl ist, verwundert<br />

da nicht.<br />

Problem demografischer Wandel<br />

Zugleich verläuft der demografische Wandel<br />

in den neuen Ländern deutlich schneller<br />

als westlich von Werra und Elbe. Man<br />

muss gar nicht bis ins Jahr 2030 vorausschauen,<br />

in dem zum Beispiel im Land<br />

Brandenburg 845.000 Menschen älter als<br />

65 Jahre sein werden. Das sind 40 Prozent<br />

der derzeitigen Bevölkerung. Schon<br />

jetzt sind in Brandenburg 103.000 Menschen<br />

pflegebedürftig, das bedeutet einen<br />

Anteil von 4,2 Prozent an der Bevölkerung<br />

– der Bundesdurchschnitt liegt bei<br />

3,3 Prozent. Zudem gehen in den kommenden<br />

Jahren die geburtenstarken Jahrgänge<br />

in den Ruhestand, was die Pflegebranche<br />

direkt und indirekt betrifft. Deutlich<br />

mehr Pflegekräfte werden somit nicht<br />

erst in ferner Zukunft benötigt. Sehr viel<br />

mehr Pflegebedürftige bei sehr viel weniger<br />

Berufstätigen – diese Kombination<br />

birgt arbeitsmarktpolitischen Zündstoff.<br />

Laut einer Fachstudie aus dem<br />

Jahr 2014 steigt ab dem 75.<br />

Lebensjahr der Pflegebedarf<br />

stark an, bei den 85-<br />

bis 90-Jährigen haben<br />

53 Prozent eine Pflegestufe.<br />

Das brandenburgische<br />

Sozialministerium<br />

versucht, dem<br />

mit einer „Pflegeoffensive<br />

für eine verantwortungsvolle<br />

pflegerische<br />

Versorgung<br />

im Land Brandenburg<br />

auch in Zukunft“ gegenzusteuern.<br />

Die Volkssolidarität gehört zu den großen Akteuren in der Pflege.<br />

Überstunden an der Tagesordnung<br />

In allen Ost-Ländern schlagen inzwischen<br />

sowohl die Verbände der Pflegeanbieter<br />

als auch Interessenvertreter<br />

der Pflegebedürftigen Alarm. Dr. Matthias<br />

Faensen, Landesvorsitzender für<br />

Sachsen im Bundesverband<br />

privater Anbieter sozialer<br />

Dienste (bpa), sieht<br />

einen Pflegenotstand heraufziehen:<br />

„Nur durch<br />

hohe Arbeitsintensität<br />

und Überstunden halten<br />

die vorhandenen Pflegekräfte<br />

die Versorgung aufrecht“,<br />

sagte er der Leipziger<br />

Volkszeitung. Als<br />

Geschäftsführer der advita<br />

Pflegedienst GmbH,<br />

eines seit 1994 überregional<br />

tätigen Pflegedienstes<br />

mit 24 Niederlassungen<br />

in Berlin, Sachsen,<br />

Sachsen-Anhalt und Thüringen<br />

und rund 1.600<br />

Mitarbeitern, dürfte er<br />

wissen, wovon er spricht.<br />

Auch die Gewerkschaft<br />

Verdi beklagt die exorbitant<br />

hohen Überstunden<br />

bei Beschäftigten<br />

in Krankenhäusern und<br />

Pflegeheimen in Sachsen,<br />

Sachsen-Anhalt und<br />

Thüringen.<br />

Dr. Matthias Faensen, Landesvorsitzender<br />

für Sachsen im Bundesverband privater<br />

Anbieter sozialer Dienste (bpa).<br />

Die Unternehmen jedenfalls rühren weiter<br />

unablässig die Werbetrommel für den<br />

Pflegeberuf, dabei auch unterstützt<br />

durch die Politik. Nach Spanien<br />

und Griechenland haben<br />

Personalverantwortliche<br />

asiatische<br />

Länder wie Vietnam<br />

oder die Philippinen<br />

im Visier.<br />

Wohl wissend,<br />

dass Gastarbeiter<br />

zunächst einmal<br />

die Sprache lernen<br />

müssen und in der<br />

Regel bei den medizinischen<br />

Kenntnissen<br />

erheblichen<br />

Qualifizierungsbedarf<br />

haben. Naheliegender<br />

erscheint es, unter Flüchtlingen<br />

vor Ort nach interessierten und geeigneten<br />

Bewerbern für Medizin- und Pflegeberufe<br />

zu suchen und diesen eine Integrationsperspektive<br />

zu bieten. Wie das gelingen<br />

kann, diskutierten unlängst Mitglieder<br />

der Initiative Gesundheitswirtschaft<br />

Brandenburg. Kai-Uwe Michels, Chef der<br />

Brandenburg-Klinik in Bernau, hat sich bei<br />

Asylbewerbern in Wandlitz vorgestellt und<br />

mit Interessierten Praktika vereinbart. Von<br />

acht Bewerbern blieb letztlich einer übrig.<br />

Im Klinikum Niederlausitz mit Standorten<br />

in Senftenberg und Lauchhammer läuft<br />

ein Projekt, um geeignete Personen für<br />

Gesundheitsberufe zu identifizieren und<br />

ihnen Qualifizierung für diese Jobs anzubieten.<br />

Die Arbeitsagentur unterstützt,<br />

das Beratungsunternehmen ADLER Management<br />

ist Partner. Können große Pflegeeinrichtungen<br />

von solchen Erfahrungen<br />

profitieren? Der Aufwand ist hoch, Integration<br />

erweist sich in der Praxis als eine<br />

komplizierte und langwierige Angelegenheit.<br />

Doch schnelle und einfache Lösungen<br />

sind eben nicht in Sicht. Andreas<br />

Kaczynski, Vorstandsvorsitzender des<br />

Landespflegeverbandes Brandenburg,<br />

bringt es auf den Punkt: „Die langfristige<br />

Sicherung einer menschenwürdigen Pflege<br />

ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe<br />

– und sie ist nicht zum Nulltarif zu<br />

haben.“ An einem höheren gesellschaftlichen<br />

Stellenwert mit leistungsgerechter<br />

Bezahlung führe kein Weg vorbei. W+M<br />

www.WundM.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 6/<strong>2016</strong>

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