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WIRTSCHAFT+MARKT 6/2016

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THÜRINGEN | 25<br />

Südtirol Werbung mit diesen Firmen für<br />

den Standort Thüringen machen und ich<br />

möchte dort auch die Gastronomie einladen,<br />

uns im Tourismus zu helfen.<br />

W+M: Als wir uns vor Jahresfrist zu unserem<br />

letzten Interview trafen, sagten Sie,<br />

die mittelständischen Betriebe seien die<br />

Thüringer Konzernzentralen der Zukunft.<br />

Gibt es aus Ihrer Sicht Unternehmen, die<br />

tatsächlich das Zeug dazu haben, in die<br />

Konzern-Liga aufzusteigen?<br />

Foto: W+M<br />

Bodo Ramelow: Wir haben 60 Weltmarktführer.<br />

Das deutet die Richtung an,<br />

in die die Entwicklung geht. Ich beobachte<br />

sehr aufmerksam, was im Bereich Elektromobilität<br />

vor sich geht. Auf meinem<br />

Schreibtisch liegt eine Lithium-Batterie<br />

– hergestellt in Nordhausen. Mit diesem<br />

Teil werden russische Proton-Raketen in<br />

den Orbit geschickt. Es gibt das Solarschiff<br />

„Race to Water“, das die Welt umrundet<br />

hat – auch dank der Lithium-Batterien<br />

aus Nordhausen. Wenn dieser Teil<br />

der Technologie industriereif ist, wird sich<br />

der Bereich der Automobilzulieferer dramatisch<br />

verändern, insbesondere was die<br />

Motoren und Antriebe betrifft. Wir stehen<br />

vor riesigen technologischen Veränderungen.<br />

Und die Herausforderung besteht<br />

darin, Thüringen für diese Zukunft<br />

fit zu machen. Wir sind in einem kontinuierlichen<br />

Austausch mit Forschungsinstituten<br />

und Universitäten und schauen, ob<br />

und wie wir Veränderungsketten für unsere<br />

kleinen und mittelständischen Unternehmen<br />

hinbekommen.<br />

Lassen Sie mich hier noch eine Geschichte<br />

erzählen, die schier unglaublich ist: In<br />

New York sitzt ein junger Mann und grübelt,<br />

wie man mit Internethandel einen<br />

neuen Markt aufrollen kann. Er glaubt,<br />

dass Nassrasierer eine gute Option sind.<br />

Aber er stellt fest, dass er keine Rasierklingen<br />

auf dem Markt bekommt, der –<br />

fest in der Hand von Gillette und Wilkinson<br />

– ein Oligopol ist. Aber er gibt nicht<br />

auf und wird bei seiner Suche tatsächlich<br />

fündig. Und wo? In Eisfeld, in Thüringen.<br />

Ein ehemaliger DDR-Betrieb, der überlebt<br />

hat. Dort fragt er an, ob er für seine<br />

Firma Henrys Rasierklingen bekommen<br />

kann. Er bekommt sie. Über Crowdfunding<br />

sammelt er 150 Millionen Euro ein,<br />

Ministerpräsident Bodo Ramelow empfing W+M-Herausgeber Frank Nehring (l.) und<br />

Chefredakteur Karsten Hintzmann (r.) in der Erfurter Staatskanzlei zum Interview.<br />

kauft das Thüringer Unternehmen und<br />

greift jetzt die Weltmarktführer an. Alle<br />

Einwegrasierer, die es bei Lidl und dm<br />

gibt, kommen aus Eisfeld.<br />

All diese Geschichten zeigen die großen<br />

Potenziale, die in unserem Land stecken.<br />

Hier geht wirklich die Post ab.<br />

W+M: Der demografische Wandel stellt<br />

auch Ihr Bundesland vor große Herausforderungen.<br />

In den nächsten zehn Jahren<br />

fehlen in Thüringen rund 280.000 Facharbeiter.<br />

Welche Maßnahmen treffen Sie,<br />

um den drohenden Fachkräftemangel abzuwenden?<br />

Bodo Ramelow: Wir müssen auf der<br />

politischen Ebene die Zuwanderungsdebatte<br />

gestalten und sollten sie ohne rassistische<br />

Untertöne führen. Deutschland<br />

braucht Zuwanderung. Dieses Land ist<br />

seit jeher durch Zuwanderung stark geworden.<br />

Nehmen wir nur Thüringen: In<br />

den vergangenen 25 Jahren haben wir<br />

hier netto 450.000 Menschen verloren.<br />

In derselben Zeit ist Bayern um 1,5 Millionen<br />

Menschen größer und stärker geworden.<br />

Ich will da gegensteuern und plädiere<br />

für eine soziale Zuwanderungsgesellschaft.<br />

Das schließt selbstverständlich<br />

ein, dass wir unsere Langzeitarbeitslosen<br />

nicht vergessen, sondern sie in den Arbeitsmarkt<br />

zurückholen und integrieren.<br />

Wir werben heute schon an. Kurz vor unserem<br />

Gespräch hier habe ich mit dem<br />

griechischen Botschafter telefoniert. Wir<br />

können hier jungen Leuten aus Griechenland<br />

eine vernünftige Ausbildung bieten.<br />

Wir haben etwa das Erfurter Berufsbildungszentrum,<br />

eine exzellente Einrichtung.<br />

Gute Ausbildungsstätten helfen<br />

bei der Ansiedlung. Als Rolls-Royce entschieden<br />

hat, sein Flugzeugmotorenwerk<br />

in Ostdeutschland anzusiedeln,<br />

hatte Brandenburg eigentlich die besseren<br />

Chancen, denn dort saß Rolls-Royce<br />

schon. Aber Erfurt hat die Ansiedlung<br />

bekommen. Entscheidend dafür war:<br />

Wir konnten über das Erfurter Berufsbildungszentrum<br />

die komplette Ausbildung<br />

des erforderlichen Fachpersonals sicherstellen,<br />

obwohl es bei uns gar keine Flugzeugbautradition<br />

gab.<br />

Der Faktor Bildung ist unglaublich wichtig,<br />

besonders die duale Bildung. Und die<br />

wird bereichert und komplettiert durch<br />

die duale Hochschule – etwa in Eisenach<br />

und Gera. Alle dualen Studiengänge werden<br />

gemeinsam mit der Wirtschaft konzipiert.<br />

www.WundM.info <strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 6/<strong>2016</strong>

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