WIRTSCHAFT+MARKT 6/2016
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TLÄNDERSCHWERPUNK<br />
20 | W+M SCHWERPUNKT<br />
THÜRINGEN<br />
„Der Aufbau Ost<br />
ist gelungen“<br />
Optik-Fertigung bei ZEISS in Jena.<br />
In den zurückliegenden zwei Jahren hat sich Thüringens Wirtschaft<br />
solide und leicht wachsend entwickelt. Vor allem die Industrie<br />
konnte ihre Umsätze weiter ausbauen. Der kontinuierliche<br />
Aufschwung sorgte für einen Anstieg der Zahl der Erwerbstätigen<br />
um zwei Prozent auf aktuell 786.000 sozialversicherungspflichtig<br />
Beschäftigte. Von Karsten Hintzmann<br />
Einer der großen Leuchttürme der<br />
Thüringer Wirtschaft ist zweifellos<br />
die optische Industrie rund um<br />
Jena. Doch längst haben sich weitere<br />
Wirtschaftszentren im gesamten Freistaat<br />
etabliert. Folgt man einer Studie der in Erfurt<br />
ansässigen Landesentwicklungsgesellschaft,<br />
gelten heute 94 Thüringer Unternehmen<br />
als Markt- und Technologieführer,<br />
darunter 32 Weltmarktführer und 62<br />
Marktführer in Europa.<br />
Aufgrund dieser nachweislich positiven<br />
Entwicklung wünscht sich Thüringens<br />
Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee<br />
(SPD) endlich eine differenziertere und faire<br />
Debatte über den seit 26 Jahren andauernden<br />
Aufholprozess seines Landes: „Ich<br />
nehme immer wieder Studien von Wirtschaftsforschungsinstituten<br />
zur Kenntnis,<br />
die sich mit dem Aufhol- und Angleichungsprozess<br />
der ostdeutschen Wirtschaft befassen.<br />
Man zieht dort nahezu ausschließlich<br />
das Bruttoinlandsprodukt heran, vergleicht<br />
Ostdeutschland mit Westdeutschland<br />
und kommt zum Schluss, dass es nach<br />
wie vor eine große Differenz gibt und der<br />
Angleichungsprozess stagniert, die Lücke<br />
zwischen Ost und West schließt sich<br />
nicht.“ Daraus werde dann mitunter geschlussfolgert,<br />
so Tiefensee kopfschüttelnd,<br />
dass es wenig Sinn mache, weiteres<br />
Geld für den Aufbau Ost auszugeben,<br />
da sich ja nichts bewege. Wolfgang<br />
Tiefensee: „Bei diesen Einschätzungen<br />
wird außer Acht gelassen, dass wir ein<br />
bewegliches Ziel erreichen wollen. Westdeutschland<br />
bleibt nicht im Marathonlauf<br />
an der Ecke stehen und wartet auf uns.<br />
Nein, Westdeutschland bewegt sich und<br />
hat hohe Wirtschaftssteigerungsraten –<br />
ähnlich wie der Osten. Daher ist es schon<br />
ein gutes Zeichen, wenn der Abstand zwischen<br />
Ost und West nicht größer wird.“<br />
Der Wirtschaftsminister hält daher<br />
den allgemein üblichen<br />
Ost-West-Vergleich für<br />
untauglich. Tiefensee:<br />
„Wir sollten stattdessen<br />
feststellen, wo<br />
Thüringen im Ranking<br />
aller Bundesländer<br />
steht. Was den<br />
Industriearbeitsplatzbesatz<br />
betrifft, ist Thüringen<br />
das stärkste ostdeutsche<br />
Bundesland und<br />
hat mittlerweile selbst Nordrhein-Westfalen,<br />
Niedersachsen und Hessen überholt.<br />
Hinsichtlich der Arbeitslosenquote stehen<br />
wir auf Platz sechs der Bundesländer, weit<br />
vor den anderen ostdeutschen Bundesländern.<br />
Bei den Lohnsteigerungen kommen<br />
wir auf knapp neun Prozent. Das ist die<br />
höchste Rate in Deutschland, auch wenn<br />
Thüringen zugegebenermaßen ein geringeres<br />
Lohnniveau als andere Länder hat. Oder<br />
kommen wir zu den Patentanmeldungen.<br />
Hier setze ich den Fokus noch enger – auf<br />
Jena. Wenn in Deutschland im Jahr 2014<br />
durchschnittlich 59 Patente auf 100.000<br />
Einwohner kommen, dann sind es in Jena<br />
195 Patente. Ein Spitzenwert!“ Wenn man<br />
auf all diese Kriterien schaue, so Tiefensee,<br />
müsse man konstatieren, dass der Aufbau<br />
Ost gelungen sei. „Wir können mit Fug und<br />
Recht sagen: Die Anstrengungen haben<br />
sich gelohnt und das eingesetzte Geld ist<br />
überwiegend gut angelegt worden und hat<br />
seine angestrebte Wirkung entfaltet. Und<br />
dennoch stehen wir auch weiter vor enormen<br />
Herausforderungen, um den Wachstumsprozess<br />
fortzusetzen. Daher<br />
ist eine zielgenaue und kraftvolle<br />
Unterstützung der<br />
strukturschwachen Gebiete,<br />
übrigens in Ost<br />
und West, dringend<br />
geboten.“ W+M<br />
Thüringens<br />
Wirtschaftsminister<br />
Wolfgang Tiefensee.<br />
Fotos: Carl Zeiss AG (oben), W+M (unten)<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 6/<strong>2016</strong>