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Einzigartige Unternehmen Was die Einzigartigkeit eines ...

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<strong>Einzigartige</strong> <strong>Unternehmen</strong><br />

<strong>Was</strong> <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>s bedeutet;<br />

wie sie entsteht,<br />

sich entwickelt<br />

aber auch verloren gehen kann.<br />

1<br />

Autor:<br />

Volker Volkholz<br />

Dortmund, im Dezember 2003


Namentlich gekennzeichnete Kapitel sind von den jeweils angegebenen Autoren<br />

geschrieben; alle übrigen Kapitel sind vom Verfasser.<br />

Gedankt sei den KollegInnen, <strong>die</strong> mit ihren Beiträgen bereit waren, zur Durchdringung<br />

<strong>die</strong>ses Themas beizutragen.<br />

Dieses Buch hat eine etwa 8-jährige Geschichte. Entstanden ist <strong>die</strong> Idee "einzigartige<br />

<strong>Unternehmen</strong>" in Auseinandersetzung mit den Überlebenschancen von<br />

<strong>Unternehmen</strong> in den nBL. Gedankt sei insbesondere dem ehemaligen Arbeitsdirekter<br />

der EKO Stahl GmbH, der dem Verfasser eine mehrjährige Mitarbeit als<br />

beratender Wissenschaftler ermöglicht hat.<br />

Hinweise zur Entwicklung von der Idee zum Konstrukt "einzigartige <strong>Unternehmen</strong>"<br />

finden sich in Kapitel 1.3<br />

Das Forschungs- und Entwicklungsprojekt "Dauerhafte Wandlungsfähigkeit -<br />

Methoden und Instrumente zur Gestaltung, Stabilisierung und Bewertung dauerhafter<br />

Wandlungsfähigkeit; Schwerpunkt: Erhöhung der Veränderungskompetenz<br />

von Mitarbeitern und Beherrschung von Zeitrhythmen" (FKZT: 02PP2206) wurde<br />

mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb<br />

des Rahmenkonzeptes "Forschung für <strong>die</strong> Produktion von morgen" gefördert und<br />

vom Projektträger des BMBF für Produktion und Fertigungstechnologien (PFT),<br />

Forschungszentrum Karlsruhe betreut.<br />

Die Verantwortung für den Inhalt <strong>die</strong>ser Veröffentlichung liegt bei den Autoren.<br />

2


Inhaltsverzeichnis<br />

Teil A: Konzeption<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1. Lust auf Zukunft ..............................................................................................11<br />

1.1 Im Mittelpunkt: das individuelle <strong>Unternehmen</strong> .................................................................. 11<br />

1.2 Zielgruppe ......................................................................................................................... 10<br />

Pionierlerner; Buchaufbau<br />

1.3 Zur Entstehungsgeschichte ............................................................................................. 15<br />

2. <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ... ..............................................................................16<br />

2.1 ... <strong>die</strong> beständige Herausforderung .................................................................................. 16<br />

Verbleibende Vorteile in Hochlohnländern<br />

drs-Qualitäten<br />

Herausforderungen im 21. Jahrhundert<br />

2.2 ... im vom <strong>Unternehmen</strong> akzeptierten Urteil der Kunden ................................................ 21<br />

Kundenbilanz<br />

2.3 ... anders als jeder Wettbewerber - und ... ..................................................................... 22<br />

Die Schwierigkeit, "Andersartigkeit" zu artikulieren<br />

Exemplarische Hilfestellung<br />

2.4 ... ähnlich den besten <strong>Unternehmen</strong> zu sein, also ... ...................................................... 25<br />

Reflexives Benchmarking<br />

Gründe, zu scheitern<br />

2.5 ... <strong>die</strong> Kombination Effizienz und Effektivität zu beherrschen .......................................... 27<br />

Portfolio<br />

Oszillation um den Harmoniepfad<br />

Zu beantwortende Fragen<br />

Teil B: Begründungen<br />

3. Wissenserzeugung und -nutzung ..................................................................32<br />

3.1 <strong>Unternehmen</strong>sspezifische Wissensdynamik .................................................................... 32<br />

Wissensdynamik<br />

Wissensumwandlung<br />

Orte der Wissenserzeugung<br />

3.2 Profitrate und Wettbewerb ............................................................................................... 37<br />

Die Profitrate als Gewinn-Wissen Beziehung:<br />

Herleitung; Berechenbarkeit37<br />

Die DuPont-Profitrate - nur 3 ökonomische Basisstrategien:<br />

Vorstellung der DuPont-Profitrate; Basis-Optionen der Ökonomie<br />

Der Wettbewerb als lernendes System:<br />

Vom Markt verschluckte Leistungen; Der Zwang zu neuem Wissen<br />

3.3 Wissenszu- und -abgänge:<br />

Das PIMS-Schema als Wissensinstrument ...................................................................... 49<br />

Bekannte, verwandte, neue Märkte und Produkte:<br />

Vorstellung des PIMS-Schemas; Dynamisierung der PIMS-Analyse; Zeitsouveränität; Export-<br />

Innovationstypologie der deutschen Investitionsgüter-Industrie<br />

3.4 Finanz- und Prozesskompetenz:<br />

Aktualisierung der Erfahrungskurve ................................................................................. 57<br />

Cash Flow als Funktion des unternehmensspezifischen Wissens:<br />

Die Erfahrungskurve der Boston Consulting Group (BCG);<br />

Aktualisierung der Erfahrungskurve<br />

4. Wissensverankerung ..................................................................................... 64<br />

4.1 Embedded Knowing ......................................................................................................... 64<br />

4.2 Das HP-Konstrukt: Prozessmodell wiederholter<br />

Erfahrungsabgleiche zwischen Individuum und Organisation .......................................... 66<br />

Das Modell<br />

Die Fallstu<strong>die</strong><br />

Konvergenz von Personal- und Innovationsforschung<br />

Die Tätigkeitsdauer als Konsens-Dissens-Kennziffer<br />

3


Inhaltsverzeichnis<br />

4.3 Die Anforderungstypologie zur Wissensveränderung: - ein auch<br />

empirischer Ansatz zur Wissensverankerung ................................................................. 73<br />

Konstruktion der Typologie<br />

Entwicklung in den letzten 15 Jahren<br />

4.4 Wissenslandkarte Deutschland ....................................................................................... 76<br />

Häufigkeit von Wissensgebieten<br />

Wissenskombination<br />

Hierarchische Wissenskoordination<br />

4.5 Die Arbeitskräfte-Einsatz-Bilanz (AKE-Bilanz) ................................................................ 80<br />

Konstruktion der AKE-Bilanz<br />

Beanspruchungstypologie<br />

Veränderung der Anforderungen und Beanspruchungen<br />

Veränderungskompetenz<br />

4.6 Betriebliche Innovativität und Beschäftigungsenwicklung:<br />

Der Einfluss gesamtbetrieblicher Konstellationen auf <strong>die</strong> Wissensverankerung ............ 86<br />

Innovation und Beschäftigung<br />

Kreativität und Routinearbeit<br />

Unter- und Überforderung<br />

Zwei regulierende Muster der Wissensverankerung<br />

4.7 Die Scott-Morgan Orgin-Hypothese ................................................................................. 91<br />

Innovation und Organisation wählen einander<br />

Erweiterungsbedarfe: Individueller Eigensinn und KMU-Tüftler<br />

4.8 Ein fiktiver Synergie-Workshop: Konvergenzen zwischen<br />

sehr verschiedenen Forschungsrichtungen ..................................................................... 97<br />

5. (Selbst-)Befähigung zu befähigen ................................................................. 99<br />

5.1 Code der <strong>Einzigartigkeit</strong> ................................................................................................... 99<br />

Veränderung der Zukunftserwartungen<br />

Potenzialorientierung<br />

Baukasten der (Selbst-)Befähigung zu befähigen<br />

Glossar<br />

5.2 Die pdca-Handlungslogik .............................................................................................. 107<br />

Umsetzung von Potenzialen in Handlungen<br />

Beispielhafte Fehler:<br />

Abgebrochene, unvollständige Zyklen; Autarke, verselbständigte Zyklen;<br />

Unterlegene Zyklen; Nicht-Beachtung unerwünschter Folgen<br />

5.3 Der Übergang zur pdca-Spirale .................................................................................... 111<br />

5.4 Exkurs: Beispiele unerwünschter Folgen ...................................................................... 113<br />

Beispiel 1: Welche Folgen Regeln haben<br />

Beispiel 2: Kennziffern fördern auch Selbsttäuschung und -Betrug<br />

Teil C: Bewährungen<br />

6. Optionen der Globalisierung .........................................................................121<br />

6.1 Intensivierung des Wettbewerbs: Annäherung an den vollkommenen Wettbewerb ...... 121<br />

Ubiquitäre Produktionsfaktoren<br />

Wettbewerb und Konzentration<br />

Internationaler Wettbewerb<br />

Exportanteile nach Betriebsgröße<br />

6.2 Alternativen der Gestaltung ........................................................................................... 128<br />

Zerstörerischer versus zivilisierter Wettbewerb<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> als KMU-Chance<br />

6.3 Gesellschaftlich unterstützte Produktivität ..................................................................... 133<br />

Vitois KMU-Paradoxon<br />

Fordernde und fördernde Produktivitätsunterstützung:<br />

Auflistung und Zuordnung<br />

KMU-Schäden durch das Bildungssystem<br />

<strong>Unternehmen</strong>s-Solidarität als Ausweg<br />

7. Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben .................................................138<br />

7.1 Die biologisch-evolutionäre Vorstellung .........................................................................138<br />

Das Lebenszyklus-Konzept<br />

4


Inhaltsverzeichnis<br />

Erweiterung: Innovativität und Lebenszyklus<br />

Vertiefung: <strong>die</strong> shake-out-Phase<br />

7.2 Repräsentative Firma versus einzigartige <strong>Unternehmen</strong> ............................................... 143<br />

Die repräsentative Firma<br />

Vielfalt der <strong>Unternehmen</strong><br />

7.3 Das Alter der <strong>Unternehmen</strong> ........................................................................................... 146<br />

Lebensbaum der <strong>Unternehmen</strong><br />

Alter und <strong>Unternehmen</strong>sgröße<br />

Alter und Umsatzproduktivität<br />

7.4 Die Kombination der beiden Ansätze "Erneuerung" und<br />

"Wandel zum Tod" als Forschungsperspektive ............................................................. 151<br />

Variationen der Optionen<br />

Längsschnitt-Untersuchungen von <strong>Unternehmen</strong> sind machbar<br />

Teil D: Erprobungen und Vertiefungen<br />

Volker Volkholz, Ulrike Weber:<br />

8. Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong>: Krisenfrüherkennung als<br />

unternehmerischer Erfolgsfaktor (Vortrag auf DtA-Workshop) .....................157<br />

8.1 Einleitung: Früherkennung ist nicht Insolvenzabwehr:<br />

Insolvenzabwehr ist (Zu)Späterkennung ....................................................................... 157<br />

8.2 Konzeption zur Früherkennung ..................................................................................... 158<br />

Anmerkung zum internationalen Stand der <strong>Unternehmen</strong>sforschung<br />

Ausgewählte Quintessenzen zur Krisenfrüherkennung:<br />

Notwendige, aber nicht hinreichende Erfolgsbedingungen<br />

Reflexive Erfolgsmuster statt isolierter Erfolgsfaktoren<br />

Orientierung: <strong>Einzigartige</strong> <strong>Unternehmen</strong><br />

Verankerung: Ensemblekompetenz<br />

8.3 Praktische Beispiele gescheiterter und erfolgreicher Früherkennung ........................... 165<br />

Stahlbaubetrieb, 50 Beschäftigte<br />

Gitterrost-Hersteller, 90 Beschäftigte<br />

8.4 Über prosperierende und sterbende <strong>Unternehmen</strong> -<br />

Eine empirische Typologie der KMU im verarbeitendenGewerbe mit Zwischentönen . 171<br />

8.5 Schlussfolgerungen - insbesondere hinsichtlich der Mittelstandsbank ......................... 175<br />

9. <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt ........................................................................... 177<br />

(Vortrag beim UNIKAT-Abschluss-Workshop)<br />

9.1 <strong>Was</strong> bedeutet <strong>Einzigartigkeit</strong>? ....................................................................................... 177<br />

9.2. Der Harmoniepfad als Entwicklungsgeschichte <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s .......................... 178<br />

9.3. Die DuPont-Profitrate .................................................................................................... 180<br />

9.4. Der Return on Human Resources .................................................................................. 181<br />

9.5. Empirischer Nachweis der Vielfalt von <strong>Unternehmen</strong> .................................................... 182<br />

9.6. Polarisierung zwischen <strong>Unternehmen</strong> ........................................................................... 183<br />

9.7. Hinweise zum praktischen Nutzen ................................................................................ 184<br />

Jürgen Dahmer:<br />

10. Erfahrungen mit der Strategiearbeit in kleinen<br />

und mittleren <strong>Unternehmen</strong> ......................................................................... 187<br />

10.1 Einführung ..................................................................................................................... 187<br />

10.2 Die Herausforderung ..................................................................................................... 188<br />

Ein neues strategisches Denken und Handeln ist gefordert<br />

KMU haben eine eigene Handlungslogik<br />

KMU sind anders<br />

KMU sind eigen<br />

10.3 <strong>Unternehmen</strong>sindividuelle Strategiearbeit initiieren und verankern ............................... 191<br />

Der Potenzial-Check: Ein Weg zur systematischen Strategiearbeit in KMU<br />

Das Werkzeug<br />

Die Vorgehensweise: Strategien entwickeln, umsetzen und verankern<br />

Workshop I und II: "Bestandsaufnahme und Positionierung"<br />

Der Workshop III: "Beteiligung"<br />

5


Inhaltsverzeichnis<br />

Der Potenzial-Check im Firmenbeispiel<br />

Das <strong>Unternehmen</strong>sbeispiel "AKRA"<br />

Die Ergebnisse des Beteiligungsworkshops<br />

Die nächsten Schritte - Planung, Umsetzung und Revision<br />

Formen der Strategiearbeit<br />

Konzeptgeleitete Strategiearbeit: das Beispiel "STABA"<br />

Von der konzeptgeleiteten zur eingebetteten Strategiearbeit: das Beispiel "KREM"<br />

Ein Zwischenfazit<br />

10.4 Kompetenzmuster von KMU ......................................................................................... 214<br />

Eine Bewertung im Überblick<br />

Eine differenzierte Betrachtung<br />

Die Konzepte mit dem höheren Reifegrad<br />

Die Konzepte mit dem niedrigeren Reifegrad<br />

10.5 Schlussfolgerungen ........................................................................................................ 220<br />

Die Kompetenzen<br />

Das Werkzeug<br />

Die Leitfadengestaltung; Die Veranschaulichung von Strategie und Verbesserungsbereichen<br />

Die orientierenden Vorlagen für <strong>die</strong> Diskussion mit den Mitarbeitern;<br />

Der gemeinsame Lernprozess; Der Lernprozess des Beraters<br />

Die Verankerung der Strategiearbeit im <strong>Unternehmen</strong><br />

Variante 1: Konzeptgeleitete Strategiearbeit<br />

Variante 2: Eingebettete Strategiearbeit<br />

Variante 3: Konzeptgeleitete Revision<br />

Annegret Köchling:<br />

11. Im Schatten des demografischen Wandels: Neuorientierung,<br />

Neustrukturierung und Neukoordinierung der Personalarbeit ............................... 224<br />

11.1 Kann ein <strong>Unternehmen</strong> über seine Personalarbeit einzigartig sein? ............................. 224<br />

11.2 Zum Forschungsvorhaben ............................................................................................. 227<br />

11.3 Vorgehensweise mit der Altersstrukturanalyse aZG© ................................................... 229<br />

Zehn-Phasen-Schema<br />

Global- und Detailanalysen<br />

(Vereinfachte) alternative Zukunftsszenarien<br />

Kein Schematismus<br />

Ausweitung von Lösungsräumen<br />

11.4 Neuorientierung über Leitbilder ...................................................................................... 238<br />

Altersausgewogene Personalpolitik<br />

Wertschätzungs-Kultur<br />

11.5 Neustrukturierung und Neukoordinierung von Personalmaßnahmen............................. 242<br />

Neustrukturierung<br />

Neukoordinierung in längeren Zeithorizonten<br />

11.6 Ausblick ......................................................................................................................... 244<br />

Teil E: Schluss<br />

12. Das Ende ist der Anfang .............................................................................................. 247<br />

Baustelle ........................................................................................................................................247<br />

Die äquivalent-funktionale Methode ...............................................................................................247<br />

... und ihre praktische Bedeutung ................................................................................................. 249<br />

Schwarze Engel .............................................................................................................................250<br />

Projekt "Lust auf Zukunft" ..............................................................................................................251<br />

Anhang: Gedankenexperimente zur Potenzialerkennung ................................................. 252<br />

A-Experiment: Instrument "Kundenbilanz" ...................................................................................253<br />

B-Experiment: Konstruktion "Humanressourcen-Navigator" ..........................................................263<br />

C-Experiment: Indikator(en) zur Zukunftsfähigkeit der BRD .............................................280<br />

6


Abbildungsverzeichnis<br />

Bild 1: Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s - Worum geht es? ...................................................................................... 12<br />

Bild 2: Denk- und Diskussionsmodell <strong>eines</strong> Paradigmenwechsels zur Arbeitserzeugung .................................................... 17<br />

Bild 3: Zeithorizonte <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s im 21. Jahrhundert............................................................................................. 19<br />

Bild 4: Der Übergang von der C- zur H-Energie................................................................................................................... 20<br />

Bild 5: Typologie der Kunden-Beziehungen......................................................................................................................... 22<br />

Bild 6: Baum der Kernkompetenzen und Produkte .............................................................................................................. 24<br />

Bild 7: Kurz-Test - Haben Sie eine Vergleichsstrategie? ..................................................................................................... 26<br />

Bild 8: Portfolio für Effektivität und Effizienz ........................................................................................................................ 27<br />

Bild 9: Der Harmoniepfad (©GfAH) ..................................................................................................................................... 28<br />

Bild 10: Worum es in den nächsten Kapiteln geht. .............................................................................................................. 30<br />

Bild 11: Die Audretsch-Thurik Quintessenzen zur <strong>Unternehmen</strong>sdiskussion ....................................................................... 32<br />

Bild 12: Wissensdynamik im <strong>Unternehmen</strong> - © GfAH.......................................................................................................... 34<br />

Bild 13: Umwandlungsprozesse von neuem und veraltertem Wissen im <strong>Unternehmen</strong> (© GfAH) ....................................... 35<br />

Bild 14: DuPont-Profitrate als Basis-Steuerungsinstrument <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s................................................................ 40<br />

Bild 15: Verbreitung neuer Controlling-Instrumente, nach Kinkel, S.; Kostenkontrolle oder Controlling, ISI-Mitteilungen<br />

aus der Produktionsinnovationserhebung Nr. 15, ISI Karlsruhe, 1999, S.4 ....................................................... 41<br />

Bild 16: Ungleiche Zuwächse von Leistungen, Produktivität und Gewinne .......................................................................... 43<br />

Bild 17: Leistungsverbesserungen (in %) in 108 europäischen <strong>Unternehmen</strong> ..................................................................... 44<br />

Bild 18: Einfluss von Maßnahmen auf <strong>die</strong> Umsatzrendite - © GfAH .................................................................................... 46<br />

Bild 19: Das PIMS-Schema zum Zeitpunkt t0....................................................................................................................... 50<br />

Bild 20: Dynamisierung der PIMS-Analyse.......................................................................................................................... 52<br />

Bild 21: Phasen-Schema der Erneuerung von Produkten und Märkten (© GfAH)................................................................ 54<br />

Bild 22: Produkt- und Marktkompetenz-Portfolio................................................................................................................. 55<br />

Bild 23: Export-Innovations-Typologie der deutschen Investitionsgüterindustrie 2001 ......................................................... 56<br />

Bild 24: Produkt- und Marktkompetenz differenziert nach Betriebsgröße............................................................................. 57<br />

Bild 25: Empirische Quintessenzen der Keller-Graddy-Untersuchung: Die Diffussion von über 46 neuen Produkten<br />

im 19. und 20. Jahrhundert............................................................................................................................... 59<br />

Bild 26: Kompetenz-Ensemble zur Bewältigung widersprüchlicher Anforderungen.............................................................. 63<br />

Bild 27: Das Wissen einzigartiger <strong>Unternehmen</strong>.................................................................................................................. 64<br />

Bild 28: Offenes Prozessmodell wiederholter Abgleiche erwarteter* und realisierter Verpflichtungen zwischen<br />

2 Vertragsparteien** (hier: Arbeitgeber und Arbeitnehmer)............................................................................... 67<br />

Bild 29: <strong>Unternehmen</strong>spraktisches Beispiel für <strong>die</strong> Nutzung des HP-Konstruktes................................................................ 68<br />

Bild 30: Vergleich der Tätigkeitsdauer beim jetzigen Arbeitgeber: USA - NRW (©GfAH)..................................................... 71<br />

Bild 31: Tätigkeitsdauer beim jetzigen Arbeitgeber: Vergleich USA - NRW.......................................................................... 72<br />

Bild 32: Dreier-Typologie nach Arbeitsanforderungen und Wissensschichten ..................................................................... 75<br />

Bild 33: Vergleich von Referenzwerten mit betrieblichen Werten der Anforderungstypologie............................................... 76<br />

Bild 34: Wissenslandkarte Deutschland .............................................................................................................................. 77<br />

Bild 35: Personelle Wissenskombinationen bei einem Maschinenbau-<strong>Unternehmen</strong>........................................................... 78<br />

Bild 36: Träger der Wissensintegration in Deutschland (in%) .............................................................................................. 78<br />

Bild 37: Bisherige Tätigkeitsdauer beim jetzigen Arbeitgeber von Vorgesetzten und Nicht-Vorgesetzten<br />

(Deutschland 1991-1992) ................................................................................................................................. 79<br />

Bild 38: Beanspruchungstypologie, Werte 1991/92 ............................................................................................................. 81<br />

Bild 39: AKE-Bilanz als Kombination von Anforderungs- und Beanspruchungstypologie,<br />

1998/99 und 1991/92 (in Klammern) ................................................................................................................ 83<br />

Bild 40: Ergebnisse der Beschäftigungs-Innovativitäts-Matrix.............................................................................................. 87<br />

Bild 41: Charakterisierung der Beschäftigungs- und Innovationstypologie........................................................................... 88<br />

Bild 42: Charakterisierung der Beschäftigungs- und Innovationstypologie (a) Anteile an Unterforderungen und<br />

Anteil an drohender Überforderung; b) Keine gesundheitlichen Beschwerden / krank gewesen) ...................... 90<br />

Bild 43: Charakterisierung der Beschäftigungs- und Innovationstypologie (hier: Alter bis 29 Jahre<br />

und 50 Jahre und älter) .................................................................................................................................... 90<br />

Bild 44: Das Innovations- und Turbulenz-Portfolio von Scott-Morgan u.a., GfAH© .............................................................. 92<br />

Bild 45: Begründung des Zusammenhangs von Innovations- und Organisationstyp - GfAH©............................................. 93<br />

Bild 46: Arbeitslogiken in den Innovations- und Organisationstypen (Quelle: ©GfAH nach Scott-Morgan, op.cit) ................ 95<br />

Bild 47: EFQM-Modell ....................................................................................................................................................... 101<br />

Bild 48: Baukasten: Selbst-Befähigung ............................................................................................................................. 102<br />

Bild 49: Veränderung der Selbst-Befähigung..................................................................................................................... 104<br />

Bild 50: Glossar zum Baukasten „Selbst-Befähigung“ ....................................................................................................... 106<br />

7


Abbildungsverzeichnis<br />

Bild 51: Vergleich von Deming und EFQM ........................................................................................................................ 107<br />

Bild 52: Die pdca-Spirale (© GfAH)................................................................................................................................... 111<br />

Bild 53: Abweichungen und ihre Folgen ............................................................................................................................ 114<br />

Bild 54: Entwicklung der nationalen <strong>Unternehmen</strong>skonzentration 1985 bis 2000............................................................... 122<br />

Bild 55: Entwicklung der Marktanteile von <strong>Unternehmen</strong>................................................................................................... 123<br />

Bild 56: Globale <strong>Unternehmen</strong>skonzentration: Beispiel Automobilindustrie 1950 bis 1998 ................................................ 125<br />

Bild 57: Entwicklung der Export- und Importquoten Deutschlands von 1991 bis 2015 ....................................................... 126<br />

Bild 58: Verteilung der Exportanteile je Betriebsgröße in der Investitionsgüterindustrie ..................................................... 127<br />

Bild 59: Gestaltung des Globalisierungsprozesses............................................................................................................ 131<br />

Bild 60: Prinzip gleicher Stückkosten................................................................................................................................. 134<br />

Bild 61: Ergebnisse der multiplen Branchenvergleiche für alle Branchenpaare und <strong>Unternehmen</strong>sattribute ...................... 146<br />

Bild 62: Das Gründungsalter von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen in Deutschland .......................................... 147<br />

Bild 63: <strong>Unternehmen</strong>salter und -größe der Industrieunternehmen in den alten Bundesländern........................................ 148<br />

Bild 64: Anteile hoch- und niedrig-produktiver <strong>Unternehmen</strong> an <strong>Unternehmen</strong>sgruppen, <strong>die</strong> durch Größe<br />

und Alter definiert sind.................................................................................................................................... 150<br />

Bild 65: Definition der Zu- und Abgänge von Betrieben und <strong>Unternehmen</strong> ........................................................................ 153<br />

Bild 66: Prozentuale Umsatzanteile von zu- und abgehenden Betrieben 1970 und 1979 .................................................. 154<br />

Bild 67: Konzeption einzigartiger <strong>Unternehmen</strong>................................................................................................................ 162<br />

Bild 68: Der Harmoniepfad................................................................................................................................................ 163<br />

Bild 69: Ensemblekompetenz............................................................................................................................................ 164<br />

Bild 70: Erklärungsansätze zum Scheitern des Stahlbau-<strong>Unternehmen</strong>s .......................................................................... 167<br />

Bild 71: <strong>Unternehmen</strong>stypologie des verarbeitenden Gewerbes........................................................................................ 173<br />

Bild 72: Der Harmoniepfad................................................................................................................................................ 178<br />

Bild 73: Zentrale Merkmale von KMU................................................................................................................................ 190<br />

Bild 74: Die drei Stufen der Strategieentwicklung .............................................................................................................. 192<br />

Bild 75: Erfolgsvoraussetzungen und Rollen der Beteiligten.............................................................................................. 193<br />

Bild 76: Die Inhalte der Basismodule................................................................................................................................. 194<br />

Bild 77: Beschäftigtenzahl................................................................................................................................................. 195<br />

Bild 78: Früherkennung..................................................................................................................................................... 197<br />

Bild 79: Kundenzufriedenheit ............................................................................................................................................ 199<br />

Bild 80: Die Entwicklungsstrategie von AKRA ................................................................................................................... 202<br />

Bild 81: Verbesserungsbereiche von AKRA, Ausschnitt „Kunden und Finanzen“............................................................... 203<br />

Bild 82: Maßnahmenplan von AKRA ................................................................................................................................. 204<br />

Bild 83: Die lernende Strategie.......................................................................................................................................... 205<br />

Bild 84: Die Stufen der <strong>Unternehmen</strong>sreife von STABA .................................................................................................... 209<br />

Bild 85: Rangreihe der Excellence-Konzepte nach der Reifestufe der 15 KMU ................................................................. 215<br />

Bild 86: Betriebliche Problemfelder ................................................................................................................................... 225<br />

Bild 87: Zehn-Phasen-Schema ......................................................................................................................................... 231<br />

Bild 88: Globalanalyse Altersstrukturen 2002 und 2012 - betriebliches Beispiel ................................................................ 232<br />

Bild 89: Detailanalyse Facharbeiter 2002 und 2012 - betriebliches Beispiel ...................................................................... 233<br />

Bild 90: Detailanalyse Ingenieure 2002 und 2012 - betriebliches Beispiel ......................................................................... 233<br />

Bild 91: Alternative Zukunftsszenarien (vereinfacht).......................................................................................................... 234<br />

Bild 92: Zukunftsszenarien - betriebliches Beispiel............................................................................................................ 235<br />

Bild 93: Bisherige Erfahrungen mit kreativen betrieblichen Anwendungen der Altersstrukturanalyse aZG© ...................... 236<br />

Bild 94: Lösungsraum zu Rekrutierungsstrategien ............................................................................................................ 237<br />

Bild 95: Erfahrungsaustausch zu Rekrutierungsstrategien................................................................................................. 238<br />

Bild 96: Leitbild "Altersausgewogene Personalpolitik......................................................................................................... 239<br />

Bild 97: Betriebliches Beispiel "Altersausgewogene Personalpolitik" ................................................................................. 239<br />

Bild 98: Gesunde Altersmischung als Leitbild.................................................................................................................... 240<br />

Bild 99:Vielfalt im Personalbestand als Leitbild - betriebliches Beispiel ............................................................................. 241<br />

Bild 100: Auf dem Weg zu einer Wertschätzungs-Kultur ................................................................................................... 241<br />

8


Abbildungsverzeichnis<br />

Bild 101: Neustrukturierung nach Personalthemen............................................................................................................ 242<br />

Bild 102: Vorgehensweise bei der Selbstanalyse .............................................................................................................. 243<br />

Bild 103: Neukoordinierung von Personalmaßnahmen - betriebliches Beispiel (Auszug)................................................... 244<br />

Bild 104: Vergleich der 91/92er und der 98/99er IAB/BiBB-Erhebungen zu den Lern- und Kreativitätsanforderungen ....... 265<br />

Bild 105: Konstruktion der Anforderungstypologie ............................................................................................................. 266<br />

Bild 106:Vergleich der Arbeitsanforderungen in den Jahren 1985/86, 1991/92 und 1998/99 - Erwerbstätige in %............. 267<br />

Bild 107: Auswirkungen von Investitionen in neue Produktionsmittel im Vergleich zu Nicht-Investitionen .......................... 269<br />

Bild 108: Exemplarische Auswertung: Weiterbildungszufriedenheit (in %),....................................................................... 270<br />

Bild 109: Der HR-Navigator............................................................................................................................................... 273<br />

Bild 110: Das betriebliche Positionsgefüge ................................................................................................................... 275<br />

Bild 111: Zusammenstellung von Leitkennziffern.............................................................................................................. 275<br />

Bild 112: Tätigkeiten und ihre Folgen ................................................................................................................................ 276<br />

Bild 113: Arbeiten und Lernen........................................................................................................................................... 277<br />

Bild 114: Leistungsvermögen ............................................................................................................................................ 278<br />

Bild 115: Licht und Schatten: <strong>die</strong> Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Vergleich von 49 Ländern................................. 281<br />

Bild 116: Indikatoren zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands.................................................................................................. 285<br />

Bild 117: Entwicklung bei konstanter Geburtenhäufigkeit .................................................................................................. 286<br />

Bild 118: Entwicklung des Verhältnisses von bis 34-Jährigen zu 50- bis 64-Jährigen........................................................ 288<br />

Bild 119: Rangfolge der 30 wichtigsten Länder von High-Tech-Exporten........................................................................... 289<br />

9


Teil A Konzeption<br />

7HLO $ .RQ]HSWLRQ<br />

/XVW DXI =XNXQIW<br />

(LQ]LJDUWLJNHLW EHGHXWHW<br />

10


1. Lust auf Zukunft<br />

Teil A Konzeption<br />

Kapitel 1 Lust auf Zukunft<br />

1.1 Im Mittelpunkt: das individuelle <strong>Unternehmen</strong><br />

Ohne <strong>die</strong> Lust auf Zukunft, <strong>die</strong> Freude am Entdecken, das Vergnügen an der Wandlungsfähigkeit<br />

verkümmert eine Gesellschaft. Ein wesentlicher Ort, an dem Zukunft immer<br />

wieder neu geschaffen wird, ist das einzelne <strong>Unternehmen</strong>. Ihm gilt <strong>die</strong> Aufmerksamkeit<br />

<strong>die</strong>ses Berichts.<br />

Als Gattung, als Typ - etwa der Mittelstand, das Handwerk, <strong>die</strong> Exportwirtschaft - sind<br />

<strong>Unternehmen</strong> in Deutschland willkommen. Aber eigentlich interessieren sie nur als Lieferanten<br />

von Arbeitsplätzen, Einkommen und Steuern.<br />

Der Respekt für <strong>die</strong> besondere - da wertschöpfende - Leistung <strong>eines</strong> jeden einzelnen<br />

<strong>Unternehmen</strong>s ist wenig(er) ausgeprägt.<br />

Gedacht, agiert und publiziert wird in Systemvorstellungen: Die <strong>Unternehmen</strong> – der Staat<br />

– der Arbeitsmarkt etc: Entstanden ist so eine Diskussionskultur der Verantwortungslosigkeit:<br />

Schuld ist das System, sind <strong>die</strong> Anderen. Verloren zu gehen droht <strong>die</strong> Auslotung der<br />

Gestaltungsmöglichkeiten, <strong>die</strong> Individuen, Gruppen von Individuen oder eben einzelne<br />

<strong>Unternehmen</strong> haben. Kein <strong>Unternehmen</strong> kann aber nach Spielregeln einer verantwortungslosen<br />

Diskussion existieren.<br />

Also wird auf eine Beteiligung an <strong>die</strong>sen Diskussionen verzichtet, stattdessen erfolgt <strong>die</strong><br />

Konzentration auf <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> jeden einzelnen <strong>Unternehmen</strong>s und dessen<br />

Wandlungsfähigkeit. Die aktuelle Diskussion um Rahmenbedingungen ähnelt zu sehr<br />

einem Rahmen ohne Bild. Leere Flächen zu umrahmen ist zwar eine mögliche Tätigkeit,<br />

ihr Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft ist aber eher zweifelhafter Natur.<br />

Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s und dessen Wandlungsfähigkeit verhalten sich<br />

zueinander wie siamesische Zwillinge: sie sind wechselseitig einander zugleich Voraussetzung<br />

und Folge. Es gibt zwischen den beiden Begriffen einen eher pragmatischen<br />

Unterschied. Die Wandlungsfähigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s gilt häufiger als leichter erkenn-<br />

und gestaltbar - also leichter zu managen als <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

Wandlungsfähigkeit erscheint alltagstauglicher.<br />

Trifft <strong>die</strong>se Unterscheidung zu, so ist damit ein Problem gegeben: Wandlungsfähigkeit, <strong>die</strong><br />

den Kontakt zur <strong>Einzigartigkeit</strong> verliert, ist in der Regel nichts anderes als der Wandel zum<br />

Tod <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, wie zu zeigen sein wird.<br />

Zwei Fragen sind zu beantworten:<br />

• <strong>Was</strong> ist unter der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s zu verstehen?<br />

• Warum wird der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s eine so überragende Bedeutung<br />

zugemessen?<br />

11


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 1 Lust auf Zukunft<br />

Eine Vorab-Antwort zu <strong>die</strong>ser Frage ist im Bild 1 wiedergegeben.<br />

Leitsätze:<br />

Wettbewerb<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Profitrate<br />

Voraussetzung<br />

Folge<br />

Wandlungsfähigkeit<br />

Dauer des Produktlebenszyklus<br />

= Konflikte, Widersprüche<br />

1. Die Beziehungen zwischen der Profitrate, dem Wettbewerb, der Dauer des Produktlebenszyklus<br />

und den Innovationen sind in aller Regel widerspruchsvoll und konfliktreich.<br />

2. Das Ausmaß der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s und dessen Wandlungsfähigkeit<br />

entscheiden darüber, ob <strong>die</strong>se Herausforderungen (vgl. 1.) bewältigbar sind.<br />

3. Nur einzigartige <strong>Unternehmen</strong> sind dauerhaft wandlungsfähig. Wandlungsfähigkeit<br />

ohne <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet des Wandel zum Tod.<br />

Bild 1: Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s - Worum geht es?<br />

Das Bild signalisiert <strong>die</strong> Einbettung von <strong>Einzigartigkeit</strong> und Wandlungsfähigkeit in harte<br />

ökonomische Wirklichkeiten. Geboten werden wird weder Entspannungs- noch Abenteuerliteratur,<br />

sondern ein Nachdenken über <strong>die</strong> Möglichkeiten, <strong>die</strong> nächsten 10 bis 20 Jahre<br />

erfolgreich zu überleben.<br />

Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s ist definiert als:<br />

Die beständige Herausforderung,<br />

• im akzeptierten Urteil des Kunden,<br />

• anders als jeder Wettbewerber und<br />

• ähnlich den besten <strong>Unternehmen</strong> zu sein.<br />

12<br />

Innovationen


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 1 Lust auf Zukunft<br />

Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s ist also <strong>die</strong> Kombinationsleistung: Effektivität und<br />

Effizienz zu beherrschen.<br />

Diese Definition wird im nächsten Kapitel Punkt für Punkt erläutert und in den anschließenden<br />

Kapiteln begründet. Deutlich werden wird: <strong>Einzigartigkeit</strong> ist kein Zustand, sondern<br />

ein Prozess. <strong>Einzigartigkeit</strong> wird erzeugt, kann aber auch verloren gehen. Ein <strong>Unternehmen</strong><br />

hat eben nur zwei Zukunftsmöglichkeiten: (sich) zu erneuern oder zu sterben.<br />

Ersteres ist schwierig und anstrengend, letzteres hingegen relativ einfach.<br />

Eine charakterisierende Erläuterung einfach des „schwierigen Weges“ und des „einfachen<br />

Weges“ findet sich in der Herakles-Sage. Als junger Mensch hatte Herakles zwischen<br />

beiden Wegen zu wählen 1 .Wer auf <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s setzt, muss<br />

wissen (bzw. weiß es), dass <strong>die</strong>ser Weg nur um den Preis harter Arbeit zu begehen ist.<br />

Ziel <strong>die</strong>ses Berichtes ist es nicht, den schwierigen Weg zu vereinfachen - das wäre vermessen.<br />

Ziel ist es aber schon, <strong>die</strong> Bewältigung des schwierigen Weges zu unterstützen.<br />

Nach Altshuller 2 , dem Erfinder der TRIZ-Methode 3 , ist eine Erfindung <strong>die</strong> Lösung <strong>eines</strong><br />

Widerspruchs. Als Erfindung gesehen ermöglicht es <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong>, einem <strong>Unternehmen</strong><br />

zugleich Monopolist und Wettbewerber zu sein. Anzumerken ist lediglich, dass <strong>die</strong>se<br />

Erfindung bereits von Tausenden von <strong>Unternehmen</strong> gemacht worden ist, dass sie aber<br />

von noch viel mehr <strong>Unternehmen</strong> vergessen worden ist.<br />

1.2 Zielgruppe<br />

� Pionierlerner<br />

Der hier vorgelegte Text hat <strong>die</strong> Pionierlerner als Zielgruppe. Pionierlerner unterscheiden<br />

sich von Normal- oder gar Nachlernern dadurch, dass sie eigensinnig und eigeninitiativ<br />

genug sind, um ohne pädagogische Unterstützungen und Versprechungen als Verpackung<br />

auszukommen. Geliefert werden lediglich Argumente aber keine Rezepte.<br />

Es ist eben so: Jedes <strong>Unternehmen</strong> hat gleichartige Aufgaben, jedes <strong>Unternehmen</strong> muss<br />

aber seine individuellen Lösungen finden.<br />

Die Gleichartigkeit der Aufgaben: Einkaufen, Produzieren, Verkaufen etc. ermöglicht den<br />

Erfahrungsaustausch zwischen <strong>Unternehmen</strong>. Die erforderliche Individualität der Lösungen<br />

unterscheidet <strong>Unternehmen</strong>, ermöglicht Gewinne und ist eben unabdingbar an <strong>die</strong><br />

Eigentätigkeit gebunden. Die derzeit verbreitete Rezeptier-Literatur verspricht zu viel.<br />

1<br />

Vgl. Schwab, G.: Die schönsten Sagen des klassischen Altertums, Wien 1954, Abschnitt: Herakles am<br />

Scheideweg, S.154<br />

2<br />

Altshuller, G.: And Suddenly the Inventor Appeared, TRIZ (russische Abkürzung, d.Verf.), the Theory of<br />

Inventive Problem Solving, Worcester, USA 1996<br />

3<br />

Die Theorie zur erfinderischen Problemlösung - TRIZ - stellt einen einzigartigen, wissensbasierenden Ansatz<br />

zur Lösung innovativer Aufgaben dar.<br />

13


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 1 Lust auf Zukunft<br />

Eine wissenschaftliche Abhandlung ist <strong>die</strong>ser Text aber auch nicht: hierzu ist <strong>die</strong> berücksichtigte<br />

Literatur zu schmal und es entfällt <strong>die</strong> übliche Rekonstruktion der Positionsgefechte<br />

von Gelehrten.<br />

Die hier verarbeitete Literatur sowie <strong>die</strong> an mehreren Stellen erstmals veröffentlichten<br />

Daten haben aber den Charakter verdichteter Erfahrungen vieler, sehr vieler <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Kommentierung und Interpretation <strong>die</strong>ser Erfahrungen liegen freilich in der Verantwortung<br />

des Verfassers.<br />

Verstanden werden will <strong>die</strong>ser Bericht als Essay, der keine Gewissheiten verkauft, sondern<br />

Überlegungen zur Kommunikation anbietet. Und genau deshalb wendet sich das<br />

Buch an Pionierlerner. Es ist auf mit-, nach- und andersdenkende Leser angewiesen. Anregungen<br />

und Kritiken werden unter der Internet-Adresse: www.einzigartigeunternehmen.de<br />

publiziert.<br />

� Buchaufbau<br />

Im Kern ist <strong>die</strong>ser Bericht in drei Teile gegliedert:<br />

Teil A Konzeption (Kapitel 1 und 2)<br />

Teil B Begründungen (Kapitel 3, 4, 5)<br />

Teil C Bewährungen (Kapitel 6 und 7)<br />

Teil D Erprobungen und Vertiefungen (Kapitel 8 bis 11)<br />

Teil E Schluss (Kapitel 12 und Anhänge).<br />

In praktischer Hinsicht hat <strong>die</strong> Konzeption "einzigartige <strong>Unternehmen</strong>" sich im Prozess der<br />

Globalisierung der Märkte zu bewähren. In wissenschaftlicher Hinsicht hat <strong>die</strong>se Konzeption<br />

sich gegenüber dem evolutionären Schema des Lebenszyklus mit den Phasen<br />

Geburt, Wachstum, Tod zu behaupten.<br />

Der Teil C „Bewährungen“ ist also ein harter Prüfstein für <strong>die</strong> Teile A und B, in dem <strong>die</strong><br />

Konzeption "einzigartige <strong>Unternehmen</strong>" vorgestellt und begründet wird.<br />

Der Teil D „Erprobungen und Vertiefungen“ liefert ein Spektrum an Erprobungen des Konstruktes<br />

„einzigartige <strong>Unternehmen</strong>“ in Form von Vorträgen, Workshops mit <strong>Unternehmen</strong>,<br />

KMU-Beratungen und KMU-Fallbeispielen, Personalkonzepten mit ihren betrieblichen<br />

Umsetzungen etc. Signalisiert werden also praktische Kommunikationsversuche. Zugleich<br />

führt jede <strong>die</strong>ser Aktivitäten <strong>die</strong> Ausführungen in den Teilen A bis C um einen Baustein<br />

weiter. Es ist noch viel zu tun.<br />

Je stärker <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> individueller <strong>Unternehmen</strong> gelingt, desto größer ist <strong>die</strong> Vielfalt<br />

aller <strong>Unternehmen</strong>. Vielfalt aber ist eine recht solide Grundlage für <strong>die</strong> "Lust auf Zukunft".<br />

14


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 1 Lust auf Zukunft<br />

1.3 Zur Entstehungsgeschichte<br />

Dieses Buch ist über Jahre hinweg in mehreren Forschungsprojekten entstanden, so dass<br />

es zunehmend niemanden mehr gehört. Entstanden ist das Konzept „einzigartige <strong>Unternehmen</strong>“<br />

in der Mitte der 90er Jahre in dem Forschungsprojekt „Robuste Produktionsprozesse“<br />

(BMFT-Forschungsprogramm Arbeit und Technik). Das Thema „einzigartige <strong>Unternehmen</strong>“<br />

hat damals kaum jemanden interessiert - aber es konnte eben geboren werden.<br />

In nachfolgenden Projekten ist es weiter verfolgt worden bis schließlich in den Forschungsprojekten<br />

• „Profitables Wachstum durch dauerhafte Wandlungsfähigkeit (Leitung: M. Hartmann,<br />

IMIG AG, Leonberg; BMBF-Rahmenkonzept: "Forschung für <strong>die</strong> Produktion von morgen",<br />

FKZ: 02PP2206) 4 und<br />

• KMU-Humanressourcen als Engpassfaktor für <strong>die</strong> Entwicklung von kleinen und mittleren<br />

<strong>Unternehmen</strong>" (Leitung: V. Volkholz, GfAH mbH, Dortmund, BMBF-Rahmenkonzept<br />

"Innovative Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit", FKZ: 01HL0019) 5<br />

operativ durchgearbeitet werden konnte. Die Fertigstellung des Berichtes erfolgt im Projekt<br />

KMU-Humanressourcen. Die Einbringung des Themas „einzigartige <strong>Unternehmen</strong>“ ist<br />

in den beiden Projekten durchaus unterschiedlich verlaufen.<br />

• Im DaWa-Projekt ist <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s in anstrengender Zusammenarbeit<br />

mit Ingenieuren und <strong>Unternehmen</strong> Teil des DaWa-Modells geworden. Hier<br />

standen Fragen nach der Operativität des Konzeptes im Vordergrund.<br />

• Im Projekt KMU-Humanressourcen hat das Thema "<strong>Einzigartigkeit</strong>" zur Einrichtung<br />

einer kleinen Projektakademie geführt, in der im Projektverlauf Praktiker und Wissenschaftler<br />

aus einem halben Dutzend Disziplinen ihre Vorstellungen von <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

vorgestellt haben. In <strong>die</strong>sem Projekt war es ein phantasieanstiftendes Mittel.<br />

Inzwischen hat ein Ausstrahlungsprozess über <strong>die</strong> Projekte begonnen, der auch eine<br />

Weiterentwicklung und neue Akzente signalisiert. 6<br />

Die Forschungspolitik der Bundesregierung ist anwendungsorientiert. Glücklicherweise<br />

gibt es in <strong>die</strong>sem Prozess der Umsetzung von Grundlagenerkenntnissen hin und wieder<br />

noch Lücken, also Nischen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Entstehung neuer Gedanken ermöglichen. Möge<br />

<strong>die</strong>se Lückenhaftigkeit noch lange Bestand haben.<br />

4<br />

Vgl. Hartmann, M. (Hrsg.): Dauerhafter Wandel - <strong>Unternehmen</strong> werden zukunftsfähig, Leonberg 2003<br />

5<br />

Vgl. www.humanressourcen-kmu.de<br />

6<br />

Kohlgrüber, M., Schnauffer, H.-G., Jäger, D. (Hrsg.): Das einzigartige <strong>Unternehmen</strong>, Berlin, Heidelberg 2003<br />

15


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

2. <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

2.1 ... <strong>die</strong> beständige Herausforderung<br />

� Verbleibende Vorteile in Hochlohnländern<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> ist kein Zustand, wie es <strong>die</strong> Nachsilbe "-keit" signalisiert, sondern ein Prozess<br />

- eigentlich lautet <strong>die</strong> korrekte Bezeichnung "Einzigartigung".<br />

In einer sich globalisierenden Welt sind Information, Technologie und Kapital ubiquitäre<br />

(weltweit verfügbare) Produktionsfaktoren. Im 21. Jahrhundert wird "Qualifikation" hinzukommen.<br />

<strong>Was</strong> bleibt dann den Hochlohnländern als Wettbewerbsvorteil gegenüber den<br />

Niedriglohnländern? Noch dazu, da ein weiterer Nachteil unvermeidbar wird: <strong>die</strong> demographische<br />

Spaltung: In den Industrieländern altern <strong>die</strong> Erwerbstätigen, in der 3. Welt sind<br />

sie deutlich jünger. In den meisten Industrieländern, insbesondere in Europa und Japan<br />

wird <strong>die</strong> Bevölkerung schrumpfen, in der 3. Welt wird sie weiter zunehmen .<br />

Es bleiben nur zwei voneinander abhängige und einander verstärkende Produktionsfaktoren:<br />

Könnendes Ensemble-Wissen und Lebensqualität.<br />

"Könnendes Wissen" bezeichnet <strong>die</strong> Einheit von Erfinden und Verwirklichen, „Ensemble-<br />

Wissen“ sagt aus, dass <strong>die</strong> allermeisten Inventionen (Erfindungen), aber jede Innovation<br />

(erfolgreiche Markteinführung) Kombinationsleistungen aus mehreren bis vielen Wissensgebieten<br />

darstellen.<br />

Lebensqualität ist der Nährboden, auf dem Kenner und Könner gedeihen. Sowohl <strong>die</strong><br />

geographische Patentverteilung als auch <strong>die</strong> internationalen Investitionsströme sind Ausdruck<br />

<strong>die</strong>ses Zusammenhangs von Wissen und Lebensqualität - zu der auch <strong>die</strong> Qualität<br />

des Arbeitslebens gehört (siehe Bild 2).<br />

16


egionale/<br />

kooperative<br />

Wissensbündel<br />

Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

Investitionen<br />

Arbeitsplätze<br />

Dienstleistungen<br />

altes Entwicklungsmodell; gültig gestern bis heute: Investitionen führen zu Industriearbeitsplätzen mit<br />

positiven Folgen für Dienstleistungen, Wissen und Lebensqualität<br />

neues Entwicklungsmodell; gültig heute und zukünftig: Das Bündnis von Wissen und Lebensqualität<br />

schafft Arbeit und zieht Investitionen an.<br />

Quelle: EKO-Stahl GmbH: Personalentwicklung 2010, Eisenhüttenstadt, 2000.<br />

Bild 2: Denk- und Diskussionsmodell <strong>eines</strong> Paradigmenwechsels zur Arbeitserzeugung<br />

Herkömmlicherweise gilt <strong>die</strong> Sequenz: Investitionen � Arbeitsplätze � Einkommen �<br />

Dienstleistungen � Lebensqualität. Wahrscheinlich aber wird <strong>die</strong> Umkehrung <strong>die</strong>ser Reihenfolge<br />

immer wichtiger: Könnendes Wissen + Lebensqualität � Dienstleistungen +<br />

Investitionen � Arbeitsplätze + Beschäftigung � Einkommen + Wohlstand � könnendes<br />

Wissen.<br />

Das Modell <strong>eines</strong> Paradigmenwechsels zur Arbeitserzeugung ist in der <strong>Unternehmen</strong>sstrategischen<br />

Diskussion der EKO Stahl GmbH, Eisenhüttenstadt, entstanden. Ob am<br />

Standort Eisenhüttenstadt nach Abschreibung der aktuellen Investitionen, also nach 2005<br />

bis 2010, weiter in <strong>die</strong> EKO Stahl GmbH investiert werden wird, wird entscheidend von<br />

dem dann dort vorhandenen stahlspezifischen und stahlrelevanten Wissen abhängen.<br />

Das in der Region vorhandene könnende Ensemble-Wissen ist der einzige Faktor, der <strong>die</strong><br />

Defizite anderer Standortfaktoren ausgleichen kann.<br />

Das Beispiel verallgemeinernd gilt: Die Umkehrung der herkömmlichen Reihenfolge ist<br />

umso wichtiger, je mehr es auf wissensbasierte Erneuerungen ankommt. Zur Wissensbasis<br />

gehören Technologiekenntnisse ebenso wie Sprachfertigkeiten oder Organisationskünste,<br />

etc. Entscheiden ist das Ensemble der Kenntnisse und nicht <strong>die</strong> isolierte Sachdisziplin.<br />

Im Anhang sind im Abschnitt C "Indikatoren zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands"<br />

einige Kennziffern hierzu dargestellt.<br />

17<br />

(regionale)<br />

Lebensqualität


� drs-Qualitäten<br />

Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

Diese so charakterisierte Welt ist allerdings - wie näher darzulegen sein wird, vgl. das<br />

Kapitel 6 über <strong>die</strong> Globalisierung - ziemlich dynamisch und turbulent. Ein einzelnes <strong>Unternehmen</strong><br />

wird sich nur behaupten können, wenn seine <strong>Einzigartigkeit</strong> den Eigenschaften<br />

genügt,<br />

zu sein.<br />

• dynamisch, d.h. veränderungsfähig,<br />

• relational erfolgreich, d.h. unterscheidbar von den Wettbewerbern und<br />

• sustainable, d.h. zukunftsfähig<br />

Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, von der in <strong>die</strong>sem Bericht <strong>die</strong> Rede ist, hat <strong>die</strong>se<br />

"drs-Qualitäten". Formen der <strong>Einzigartigkeit</strong>, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Eigenschaften nicht haben, mögen<br />

ästhetisch und sympathisch sein, sie sind aber nicht erfolgreich. Die drs-Qualitäten der<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s immer wieder herzustellen und zu sichern, ist anstrengend<br />

- auch deshalb <strong>die</strong> Betonung von Lebensqualität und - hinsichtlich Zeit und<br />

Geld - ressourcenintensiv.<br />

Aktuell scheint eine Diskrepanz zu bestehen: der häufigen Betonung von drs-Qualitäten in<br />

den Me<strong>die</strong>n steht ein verkümmerter Alltag gegenüber. Empirische Nachweise hierzu finden<br />

sich in dem Kapitel 8 zur Krisenfrüherkennung sowie im Anhang C zur Zukunftsfähigkeit<br />

Deutschlands. Vielfach ist <strong>die</strong> Tendenz beobachtbar, Vergangenheit und Zukunft auf<br />

einer erweiterte Gegenwart zu reduzieren, in der "Dringlichkeit vor Wichtigkeit" steht.<br />

Manager und Unternehmer aber, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Leitlinie „Dringlichkeit vor Wichtigkeit“ im Kopf<br />

haben, sind schwarze Engel, <strong>die</strong> den Tod ihres <strong>Unternehmen</strong>s vorbereiten.<br />

"Zeitsouveränität" wird daher in den folgenden Kapiteln <strong>die</strong> sich mit der Verwirklichung<br />

von <strong>Einzigartigkeit</strong> befassen, eine bedeutende Rolle spielen. „Zeit sparen“ kann nur, wer<br />

„Zeit hat“. Im Alltag der <strong>Unternehmen</strong> wird häufig der Wettlauf gesehen, aber nicht das<br />

Training.<br />

� Herausforderungen im 21. Jahrhundert<br />

Verschiedenen Herausforderungen im 21. Jahrhundert sowie deren Zeithorizonte sind in<br />

dem Bild 3 in das Zielsystem <strong>eines</strong> langfristig orientierten <strong>Unternehmen</strong>s übersetzt worden:<br />

• In Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ist <strong>die</strong> Fähigkeit zur Neu-Erfindung <strong>die</strong><br />

maßgebende Grundlage <strong>eines</strong> erfolgreichen <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

• Ebenfalls traditioneller Natur - aber von bleibender Bedeutung - sind <strong>die</strong> Ziele Gewinn,<br />

Wachstum und Bonität.<br />

• Sie werden flankiert von einer nochmals gewachsenen Bedeutung von Wissenserzeugung<br />

und Ensemblefähigkeit - also der internen und externen Fähigkeit zur Kooperation.<br />

18


Dimensionen der Nachhaltigkeit <strong>Unternehmen</strong> <strong>die</strong> bis zum Jahr... überleben wollen<br />

����<br />

�������<br />

'<br />

Zero-<br />

Emission<br />

'<br />

Ökologische Dimension:<br />

Konvergenz von TRIZ und Zero-Emission,<br />

Solare Energiewirtschaft, etc.<br />

Neue Wettbewerbsfaktoren<br />

Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

����<br />

�����<br />

Arbeiten bis zum<br />

65. Lebensjahr<br />

&<br />

Ausgewogene<br />

Alters- u.<br />

Kompetenzstruktur<br />

&<br />

Soziale Dimension:<br />

Neuer intergenerativer Gesellschaftsvertrag<br />

erforderlich<br />

Veränderungsfähigkeit<br />

����<br />

���<br />

Bild 3: Zeithorizonte <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s im 21. Jahrhundert<br />

• In dem Zeitraum zwischen 2010 und 2025 wird Alter und Altern ein Wettbewerbsfaktor<br />

von erheblicher Bedeutung werden. Bislang ist ungeklärt, ob <strong>die</strong> Megatrends Wissensgesellschaft<br />

und alternde Belegschaften eher Zügen gleichen, <strong>die</strong><br />

im Tandem fahren (wer führt?),<br />

zusammenstoßen<br />

oder einfach unabhängig voneinander existieren.<br />

19<br />

%<br />

Bonität<br />

Wachstum<br />

in globalen<br />

Märkten<br />

Ökonomische Dimension:<br />

Reflexive<br />

<strong>Unternehmen</strong> im %<br />

Vormarsch<br />

Ensemblefähigkeit<br />

Gewinn<br />

Wissenserzeugung<br />

����<br />

$<br />

Sich neu erfindende <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s<br />

als Überlebensbedingung<br />

$<br />

Kreative<br />

Dimension<br />

Bereich herkömmlicher Aufmerksamkeit<br />

Quellen: TRIZ: vergl. G. Altshuller: And Suddenly the Inventor Appeared, USA 1996;<br />

Heute beginnen<br />

Zero-Emission: G. Pauli: Upcycling, Gütersloh 1999;<br />

Solare Energiewirtschaft: Hermann Scheer, Solare Weltwirtschaft, München 2002 (dort weitere Literatur)<br />

sh. auch: www.strukturwandel-zukunft.de


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

Immerhin gewinnt das Thema einer sich ändernden Alterszusammensetzung der<br />

Belegschaften allmählich an praktischer Bedeutung 7 .<br />

• Spätestens ab 2025 wird <strong>die</strong> Zielsetzung "Zero-Emission", was einen Abgang von<br />

dem fossilen Energiesystem zu einem Energiesystem mit erneuerbaren Ressourcen<br />

und <strong>Was</strong>serstoffbasis beinhaltet, unabweichbar werden. Es bedarf keiner Erwartung<br />

von Umweltkatastrophen, um vorherzusagen, dass sich technische und ökologische<br />

Entwicklungen zu einem mächtigen Strom vereinen, der einer wahrscheinlich dezentralen<br />

Energierevolution gleichkommt. Die Bezeichnung "Zero-emission" stammt von<br />

G. Pauli 8 , der "Zero Emission" als Leitmotiv einer hoch kreativen, abfallfreien Kreislaufwirtschaft<br />

auf privatwirtschaftlicher Grundlage setzt. Wie dem Quellenverweis zum<br />

Bild 4 zu entnehmen ist, wird von verschiedenen Ansätzen aus, auf eine Energierevolution<br />

hingearbeitet.<br />

• C. Marchetti 9 hat auf einem OECD-Workshop über zukünftige Energien einen 300jährigen<br />

Energiezyklus (1800 bis 2100) vorgelegt, in dem der Wechsel von der C- zur<br />

H-Energie beschrieben wird (C = Kohlenstoff, H = <strong>Was</strong>serstoff).<br />

Ratio of Hydrogen (H) to Carbon<br />

(C)<br />

102 102 101 101 100 100 10-1 10-1 10 -2 10-2 Methane: H/C = 4<br />

Oil: H/C = 2<br />

Coal: H/C = 1<br />

Wood: H/C = 0,1<br />

1935 (midpoint of process)<br />

= 300 years (length of process<br />

1800 1850 1850 1900 1900 1950 2000 2000 2050 2050<br />

Year<br />

Quelle: C. Marchetti, OECD-Vortrag 2./3.10.2000, zugänglich über Rui Rosa, Climate Change and Oil<br />

Depletion, S. 2; rrosa@uevora.pt<br />

Bild 4: Der Übergang von der C- zur H-Energie<br />

7 Im Rahmen der 2002 und 2003 vom BMBF geförderten drei Demografie-Initiativen, in denen jeweils ein<br />

Industrieverband bzw. Handwerksfachverband und ein Forschungsinstitut kooperierten, hat der Zentralverband<br />

Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) e.V. (Federführung) mit der GfAH zusammengearbeitet.<br />

30 <strong>Unternehmen</strong> der Elektroindustrie aller Produktsparten und Größenklassen haben nach einer von der<br />

GfAH entwickelten Vorgehensweise (Leitfaden zur Selbstanalyse altersstruktureller Probleme in <strong>Unternehmen</strong><br />

mit der dort integrierten Altersstrukturanalyse - Aus der Zukunft in <strong>die</strong> Gegenwart aZG) - ©GfAH) ihren Personalbestand,<br />

ihre Personalstruktur sowie ihre jeweiligen Konzepte zur Arbeitsfähigkeit analysiert und weiterentwickelt.<br />

Im Ergebnis liegen 30 eigenständig erarbeitete personalpolitische Zukunftsplanungen vor. Spätestens<br />

ab 1. Juli 2003 können sie als betriebliche Good-Practice von der ZVEI-Website abgerufen werden.<br />

Das Info-Paket zur Vorgehensweise mit Leitfaden, Broschüre, Videofilm auf CD-Rom und Foliensatz ist inzwischen<br />

von über 300 <strong>Unternehmen</strong> und Multiplikatoren angefordert worden. In Vorbereitung sind Workshopund<br />

Beratungsangebote sowie <strong>die</strong> Bildung einer Community of Practice (COP) zur Altersstrukturanalyse aZG -<br />

©GfAH (Koechling@gfah-do.de).<br />

8 Pauli, G.: Upcycling, Gütersloh 1999<br />

9 Marchetti, C.: Der Übergang von der C- zur H-Energie; OECD-Vortrag, 2./3.10.2000; Rosa, R. macht geltend,<br />

dass der historische Determinismus zur H-Energie nicht zwingend ist, da noch andere Alternativen zur<br />

C-Energie denkbar sind. Beide, R. Rosa und C. Marchetti, stimmen aber überein, dass im 21. Jahrhundert der<br />

definitive Wechsel von einer kohlenstoff-basierten Energieversorgung zu einer Null-Kohlenstoff-Emission<br />

ansteht, womit <strong>die</strong> Bezeichnung „anstehende Energierevolution“ wohl gerechtfertigt ist.<br />

20<br />

Hydrogen<br />

Economy<br />

Nonfossil<br />

Hydrogen<br />

Methane Economy<br />

2100<br />

0,90<br />

0,80<br />

0,67<br />

0,50<br />

0,09<br />

H / (H + C)


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

Die Zeithorizonte der Aktualität der Herausforderungen variieren. Vergleichsweise unverändert<br />

hingegen ist der Zeitpunkt, ab dem eine Auseinandersetzung mit <strong>die</strong>sen Sachverhalten<br />

ansteht: nämlich heute. Die Begründung hierfür ist einfach: Der zeitliche Erkundungsbedarf<br />

ist nicht niedrig, vor allem aber wird <strong>die</strong> Umsetzung Zeit benötigen. Und wer<br />

zu den Pionier-Gewinnern gehören möchte, ist gut beraten, sich beizeiten zu kümmern.<br />

Wer anfängt, sich mit den im Bild 4 aufgeführten neuen Wettbewerbsfaktoren zu befassen,<br />

wird schnell herausfinden, welche Veränderungen in <strong>Unternehmen</strong> von Wirtschaft<br />

und Gesellschaft hiermit verbunden sind.<br />

Mit der Erörterung (noch) verbleibender Standort-Vorteile der Festlegung von drs-Qualitäten<br />

sowie der Übersetzung von beobachtbaren Entwicklungstendenzen im 21. Jahrhundert<br />

in <strong>Unternehmen</strong>sziele ist versucht worden, <strong>die</strong> beständigen Herausforderungen nicht<br />

nur formal zu beschwören, sondern auch inhaltlich einige Chancen zu benennen.<br />

2.2 ... im vom <strong>Unternehmen</strong> akzeptierten Urteil der Kunden ...<br />

� Kundenbilanz<br />

Die Kunden sind Schiedsrichter im Wettbewerb der Angebote von <strong>Unternehmen</strong>. Allerdings<br />

ist mit der so oft geforderten Kundenorientierung viel Blödsinn verbunden. Es geht<br />

nicht um blinde Unterwerfung unter Kundenwünsche, sondern um vom <strong>Unternehmen</strong> akzeptierte<br />

Urteile der Kunden. Es ist <strong>die</strong> Aufgabe <strong>eines</strong> jeden <strong>Unternehmen</strong>s darauf zu<br />

achten, dass <strong>die</strong> Beziehungen zu seinen Kunden auf beiderseitigem Vorteil beruhen. Der<br />

Zufriedenheit des Kunden mit dem Produkt bzw. der Dienstleistung steht der Gewinn des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s gegenüber. Es sind also zwei Fragen zu stellen:<br />

� Wie beurteilen <strong>die</strong> Kunden das <strong>Unternehmen</strong> bzw. dessen Leistungen? und<br />

� Wie beurteilt das <strong>Unternehmen</strong> seine Kunden - also <strong>die</strong> aktuellen und zukünftigen<br />

Gewinnchancen?<br />

Die Antworten auf <strong>die</strong>se Fragen lassen sich mittels vorhandener oder erhebbarer Informationen<br />

zu einer Kundenbilanz verdichten. Sie ist als Instrument im Anhang A beschrieben.<br />

Ergebnis der Kundenbilanz ist eine Qualitätstypologie der Kundenbeziehungen, <strong>die</strong><br />

aus 4 Haupttypen besteht:<br />

21


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

a) zu pflegende Kundenbeziehungen<br />

Beide Seiten sind zufrieden; es bestehen Verbesserungsmöglichkeiten und wechselseitige<br />

Lernmöglichkeiten. Besonders aufmerksam zu verfolgen ist, ob <strong>die</strong>ser Typus durch Zugänge<br />

wächst.<br />

b) nachzubessernde Beziehungen<br />

Die Kunden sind für das <strong>Unternehmen</strong> wichtig, sie sind aber mit dessen Leistungen (teilweise)<br />

nicht zufrieden. Erfolgt keine rasche Nachbesserung, einschließlich der dazugehörigen<br />

Kommunikation, werden <strong>die</strong> Kunden wechseln. Zu verfolgen ist, ob <strong>die</strong>ser Typus sinkt.<br />

c) aufzugebende Beziehungen<br />

Beide Seiten sind unzufrieden: <strong>die</strong> Kunden mit der Leistung, das <strong>Unternehmen</strong> mit dem Gewinn.<br />

Trennung ist angesagt. Zu prüfen ist, ob eine regelmäßige Bereinigung stattfindet.<br />

d) dringlich überprüfungsbedürftige Beziehungen<br />

Die Kunden sind (hoch) zufrieden, aber das <strong>Unternehmen</strong> macht bei ihnen keinen Gewinn.<br />

Führt eine Überprüfung nicht zu einer nachhaltigen Besserung aus Sicht des <strong>Unternehmen</strong>s,<br />

so ist eine Trennung angesagt: es gibt eben auch Kunden, <strong>die</strong> ein <strong>Unternehmen</strong><br />

ausbeuten.<br />

Dieser Beziehungstyp ist deshalb so schwierig und gefährlich, weil in der Regel hier<br />

noch Deckungsbeiträge erwirtschaftet werden, also <strong>die</strong> Verluste begrenzt werden.<br />

Bild 5: Typologie der Kunden-Beziehungen<br />

Wie der Instrumentenbeschreibung zur Kundenbilanz im Anhang A zu entnehmen ist,<br />

lassen sich für jeden Typ der Kundenbeziehungen Anteilswerte berechnen, und zwar sowohl<br />

in bezug auf <strong>die</strong> Gesamtzahl der Kunden als auch in bezug auf den erzielten Umsatz.<br />

Diese Typologie der Qualität der Kundenbeziehungen zeigt, dass ein <strong>Unternehmen</strong> nicht<br />

nur wegen fehlender oder abwandernder Kunden, sondern auch an seinen Stammkunden<br />

(Typ d) zugrunde gehen kann. Wird <strong>die</strong>se Typologie zusätzlich mit Zu- und Abgangsraten<br />

ausgestattet und werden insbesondere für den Typ a) Kundenpotenziale bestimmt, so ist<br />

der Übergang vom operativen ins perspektivische Geschäft gegeben. Alltag und Zukunft<br />

sind miteinander verbindbar. Man muss eben nur wissen wollen, was man im Grunde<br />

weiß oder doch wissen kann.<br />

Nach der Diskussion der Schiedsrichter-Rolle geht es in den nächsten beiden Unterkapiteln<br />

um den Inhalt des Spiels: Ähnlichkeit und Andersartigkeit.<br />

2.3 ... anders als jeder Wettbewerber - und ...<br />

� Die Schwierigkeit, „Andersartigkeit“ zu artikulieren<br />

Die Andersartigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s bestimmt den Unterschied zu den Wettbewerbern;<br />

sie ermöglicht Effektivität (das Richtige tun) und macht ein <strong>Unternehmen</strong> überhaupt<br />

erst strategiefähig. "Andersartigkeit" zu denken bereitet vielen Wissenschaftlern große<br />

Schwierigkeiten: sie sind an Regeln interessiert; Abweichungen stören also. Insbesondere<br />

22


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

<strong>die</strong> ökonomischen Wissenschaften haben vor der Vielfalt der Waren und Dienstleistungen<br />

kapituliert. Diese Vielfalt ist auf etwas Abstraktes, den Gebrauchswert als Träger des<br />

Tauschwertes (Preis) reduziert worden. Dieser ökonomische Reduktionismus hat sehr zu<br />

einer Einschränkung des Themas "einzigartige <strong>Unternehmen</strong>" und - hierzu ergänzend -<br />

der Vielfalt von <strong>Unternehmen</strong> beigetragen.<br />

Zu beobachten ist, dass insbesondere kleinere und mittlere <strong>Unternehmen</strong> sich häufig<br />

schwer tun, <strong>die</strong> Unterschiede zu ihren Wettbewerbern zu beschreiben. Hierfür gibt es<br />

mehrere Gründe: Zunächst ist <strong>die</strong> vorherrschende Vergleichstechnik zu nennen. Die<br />

meisten unserer Urteile beruhen auf bewertend-quantitativen Vergleichen; viel seltener<br />

auf "richtig/falsch"-Unterscheidungen und anscheinend noch seltener auf Beschreibung<br />

von Unterschieden, <strong>die</strong> als gleichwertig gesetzt werden. Mit anderen Worten: es wird zu<br />

schnell bewertet. Als praktische Übung:<br />

Man nehme seine Wettbewerber, untersage sich für eine kurze Weile jeglicher Bewertung<br />

insbesondere solcher negativer Art und versuche, einfach Gemeinsamkeiten und Unterschiede<br />

nach dem Muster "blaue Augen - grüne Augen" zu beschreiben.<br />

Sobald <strong>die</strong> Vergleiche etwas differenzierter werden, wird es in aller Regel ziemlich<br />

schwierig, <strong>die</strong> Selbstdisziplin Andersartigkeit zu sehen, zu erhalten. Anders formuliert: fast<br />

jede(r) nimmt für sich Individualität (<strong>Einzigartigkeit</strong>) in Anspruch, sie aber anderen tatsächlich<br />

zuzugestehen, ist etwas ganz anderes.<br />

Ein weiterer Grund für <strong>die</strong> Schwierigkeiten, Andersartigkeit zu artikulieren, ist <strong>die</strong> Tatsache,<br />

dass Andersartigkeit in der Regel auf der Kombination mehrerer Wissensgebiete, <strong>die</strong><br />

beherrscht werden, beruht. Andersartigkeit ist eine ausgesprochene Ensembleleistung, so<br />

charismatisch der Vordenker <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s auch sein mag.<br />

Ein Beispiel:<br />

Ein <strong>Unternehmen</strong> stellt didaktische Hilfen - also Lehr- und Lernmittel für <strong>die</strong> Ausbildung<br />

an CNC-Maschinen - her.<br />

• Dieses <strong>Unternehmen</strong> gehörte zu den Pionieren, <strong>die</strong> Lernsoftware produzierten. -<br />

Andere zogen nach.<br />

• Als Multimedia praktikabel wurde, gehörte das <strong>Unternehmen</strong> wiederum zu den<br />

Pionieren. - Andere zogen nach.<br />

• Als nächstes wurde <strong>die</strong> Design-Kompetenz verstärkt. - Andere taten das auch.<br />

• Schließlich entdeckte das <strong>Unternehmen</strong> infolge seiner Kundenkontakte, dass<br />

seine Didaktik-Produkte auch Produkte zur Unterstützung der Verkaufsförderung<br />

sein können (mit bescheidenem Umbau). Es erweiterte seine alten Zielgruppen<br />

um eine neue Kundengruppe, wobei es nicht selten <strong>die</strong> im Haus bereits erworbenen<br />

Referenzen nutzen konnte. - Andere haben <strong>die</strong>se Veränderung gar nicht<br />

bemerkt (zumindest bis zum Ende der Beobachtung).<br />

Weitere einzigartige Wissenskombinationen hat der Verfasser inzwischen für ein halbes<br />

Dutzend <strong>Unternehmen</strong> aus verschiedenen Branchen zusammengestellt. In jedem Fall ist<br />

23


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

ein Potenzial aus Ensemble-Wissensgebieten entstanden, das viele Möglichkeiten für<br />

neue Produkte/Dienstleistungen und neue Kunden/Märkte bot und bietet.<br />

In der Rekonstruktion solcher Wissenskombinationen ist auch deutlich geworden, worum<br />

deren Artikulation nicht einfach ist. Diese Kombinationen leben durch Erfahrungen. Erfahrungen<br />

- nicht Theorien - sind in der Regel der Kitt, der eine Verknüpfung verschiedenster<br />

Wissensgebiete zu einem einzigartigen Gefüge ermöglicht.<br />

� Exemplarische Hilfestellung<br />

In der neueren Diskussion wird <strong>die</strong> Andersartigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s häufig durch<br />

seine Kernkompetenzen versucht zu beschreiben. Im Bild 6 ist grafisch dargestellt, was<br />

<strong>die</strong> Urheber <strong>die</strong>ses Konzeptes hierunter verstehen: Ein nicht bzw. nur schwer sichtbares<br />

Potenzial für neue Produkte (Der Hinweis auf <strong>die</strong> Baum-Analogie stammt von den Urhebern,<br />

<strong>die</strong> Gestaltung des Beispiels liegt in der Verantwortung der GfAH). Auf <strong>die</strong> Beziehungen<br />

zwischen Wissen und Kernkompetenzen wird in den nachfolgenden Kapiteln eingegangen.<br />

Baum-Beispiel:<br />

Wurzelgeflecht: nicht sichtbar � Kernkompetenzen<br />

Nervenbahnen von<br />

Stamm und Ästen: Kern-Produkte<br />

Früchte: Final-Produkte mit eingelagerten Kernprodukten<br />

Holz: Basiskompetenzen<br />

Blätter: Photosynthese � Energieaufnahme: neues Wissen<br />

und dessen Umwandlung<br />

Bild 6: Baum der Kernkompetenzen und Produkte<br />

Es gibt nun aber auch einige einfachen Hilfsmittel, anhand derer ein <strong>Unternehmen</strong> zumindest<br />

erkennen kann, ob seine Andersartigkeit blüht oder dabei ist, zu verwelken:<br />

• Erinnert sei zunächst an <strong>die</strong> Typologie der Qualität der Kundenbeziehungen. Setzt<br />

man <strong>die</strong> dargestellten Typen in Beziehung zueinander, so ist relativ schnell zu sehen,<br />

wie es um ein <strong>Unternehmen</strong> bestellt ist.<br />

• Verwiesen sei weiter auf <strong>die</strong> bekannte Stückkostenkurve: Mit zunehmendem Produktionsvolumen<br />

sinken <strong>die</strong> Stückkosten: zunächst schnell, dann immer langsamer. Der<br />

Kehrwert der Stückkostenkurve ist <strong>die</strong> Lebensdauerkurve der hergestellten Pro-<br />

24


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

dukte. 10 Sinken also <strong>die</strong> Herstellkosten immer langsamer, so erreicht nicht nur der<br />

Prozess sein Optimum, sondern tendenziell auch das Produkt sein Lebensende.<br />

Das ist eine etwas kühne Konstruktion, aber es macht Sinn, <strong>die</strong> Entwicklung der Produktionskosten<br />

auch als Warnindikator für den Verkauf zu sehen, auch wenn im Ergebnis <strong>die</strong><br />

tatsächlichen Zusammenhänge komplizierter als dargestellt sein mögen. Und schließlich:<br />

wird eine Matrix: Geschäftsbereiche x Zeit erstellt und wird in <strong>die</strong>se Matrix <strong>die</strong> Zahl der<br />

Innovationen je Zeiteinheit eingetragen, so können geprüft werden,<br />

• <strong>die</strong> Veränderungen der zeitlichen Abstände der Innovationen,<br />

• <strong>die</strong> Veränderungen der Umsatzanteile je Innovation (letzteres ist quantitativ manchmal<br />

schwierig, qualitativ aber i.d.R. möglich).<br />

Zwei Gefahren springen ins Auge:<br />

• <strong>die</strong> Verlängerung des Zeitabstandes zwischen ökonomisch relevanten Innovationen<br />

• und/oder <strong>die</strong> Häufung von kleineren Innovationen ohne durchschlagenden Erfolg -<br />

das sind dann eher Nottriebe als Lösungen.<br />

Diese Erkenntnishilfen nutzen <strong>die</strong> Ökonomie des <strong>Unternehmen</strong>s als Erkenntnisquelle.<br />

Hieraus aber zu schließen, dass <strong>die</strong> Quelle der Erkenntnis identisch ist mit der Quelle,<br />

aus der <strong>die</strong> gegensteuernden Maßnahmen zu schöpfen sind, ist ein leider oft begangener<br />

Fehler.<br />

Diese eher beispielhaften Erläuterungen werden in den nachfolgenden Kapiteln zu einer<br />

grundsätzlichen Klärung verdichtet. Die globale Möglichkeit zur <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> jeden<br />

KMU beruht darauf, dass es vielmehr Möglichkeiten einzigartiger Wissenskombinationen<br />

gibt als es jetzt und in Zukunft <strong>Unternehmen</strong> geben wird.<br />

2.4 ... ähnlich den besten <strong>Unternehmen</strong> zu sein, also ...<br />

� Reflexives Benchmarking<br />

Die Ähnlichkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s zu den besten <strong>Unternehmen</strong> sichert dessen Effizienz<br />

(etwas richtig tun), also den Produktivitätsfortschritt. Hohe Produktivität erschwert oder<br />

verringert <strong>die</strong> Folgen von Überraschungsangriffen. Ähnlichkeit ist unvermeidbar und sie<br />

hat auch positive Konsequenzen (z.B. hohe Produktivität). Nur Ähnlichkeit ohne Andersartigkeit<br />

(Effektivität) aber erzeugt Turbulenzen in Form <strong>eines</strong> ruinösen Wettbewerbs. Entscheidend<br />

ist zu verstehen, dass <strong>die</strong> Steigerung der Ähnlichkeit eine notwendige aber<br />

k<strong>eines</strong>wegs hinreichende Erfolgsbedingung ist.<br />

Eine Hauptquelle der Steigerung von Ähnlichkeit ist der Vergleich mit anderen <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Hierauf sei etwas ausführlicher eingegangen: Viele <strong>Unternehmen</strong> beschränken sich<br />

in ihren Vergleichsstrategien auf den Vergleich mit Branchendurchschnittswerten: das<br />

aber ist zu wenig. Durchschnittswerte enthalten bekanntlich (sehr) gute und schwache<br />

10 Vgl. Modes, T.: Die Berechnbarkeit der Zukunft, Basel 1994, S.37/38<br />

25


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

Leistungen, von letzteren droht keine Gefahr und erstere werden bei Durchschnittsvergleichen<br />

unterschätzt.<br />

Sehr viele unternehmensrelevante Sachverhalte sind nicht branchenabhängig: z.B. Managementsysteme,<br />

IuK-Technologien, Logistik-Konzepte, Strategien der Personalentwicklung<br />

etc. Es ist also wichtig, sich auch Vergleichspartner außerhalb der Branche zu<br />

suchen. (Das ist eine Aufgabe, <strong>die</strong> von den industriellen Fachverbänden viel zu wenig<br />

beachtet wird.)<br />

Ist ein kleineres oder mittleres <strong>Unternehmen</strong> in der Lage, etwa vier bis sechs <strong>Unternehmen</strong><br />

- <strong>die</strong> Hälfte hiervon außerhalb der Branche - zu benennen, mit denen es sich hinsichtlich<br />

spezifischer Gesichtspunkte vergleicht, so ist <strong>die</strong>s als Hinweis auf Wandlungsfähigkeit<br />

zu werten.<br />

Im Bild 7 ist <strong>die</strong>se Vergleichstechnik in bezug auf brancheninterne und branchenexterne<br />

Vergleichsbetriebe sowie in bezug auf zu vergleichende Stärken und Schwächen kurz<br />

beschrieben. So wie es bei der Darstellung der "Andersartigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, um<br />

dessen Kernkompetenzen, also <strong>die</strong> Unterscheidung von Wettbewerbern geht, stehen bei<br />

dem Gesichtspunkt der Ähnlichkeit <strong>die</strong> Basiskompetenzen <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s zur Diskussion.<br />

Basiskompetenzen bezeichnen das allgemein zugängliche Wissen und Können.<br />

Die wachsende Bedeutung von Benchmarking-Prozessen zeigt, dass <strong>die</strong> Basiskompetenzen<br />

sich entwickeln, verändern und dass es in bezug auf deren Beherrschung recht unterschiedliche<br />

Niveaus gibt.<br />

Vergleichspartner<br />

Schwachstellen<br />

abbauen<br />

D, E, F<br />

Kurztest:<br />

Haben Sie eine Vergleichsstrategie ...<br />

innerhalb (A, E, F) außerhalb (B, C, D)<br />

der eigenden Branche?<br />

Thema<br />

F)<br />

Vergleichspartner<br />

A)<br />

Bezugspunkt<br />

des<br />

Vergleichs<br />

Thema<br />

E)<br />

Mit wem<br />

vergleiche ich mich<br />

in bezug<br />

auf was?<br />

Bild 7: Kurz-Test - Haben Sie eine Vergleichsstrategie?<br />

� ·Gründe, zu scheitern<br />

Thema<br />

B)<br />

Thema<br />

D)<br />

Thema<br />

C)<br />

Schwachstellen<br />

abbauen<br />

Vergleichspartner<br />

Partner des<br />

Vergleichs<br />

Stärken<br />

verbessern<br />

(A, B, C)<br />

<strong>Unternehmen</strong> scheitern auch an fehlenden oder mangelnden Kernkompetenzen (es sind<br />

<strong>die</strong> Innovationen abhanden gekommen). <strong>Unternehmen</strong> scheitern aber auch - und <strong>die</strong>s<br />

26<br />

Vergleichspartner<br />

Fragen:<br />

Bezugspunkte festlegen<br />

Welche Stärken wollen Sie verbessern?<br />

Welche Schwächen abbauen?<br />

Vergleichpartner suchen<br />

Kennen Sie <strong>Unternehmen</strong> inner- und<br />

außerhalb der Branche, von denen es lohnt,<br />

zu lernen?<br />

Setzen Sie solche Kenntnisse auch<br />

praktisch um?<br />

Lassen Sie sich anregen und entwickeln Sie<br />

Ihr eigenes Controlling-Instrument!


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

häufig - an unzulänglichen, unvollständigen Basiskompetenzen. Auch gilt: nicht wenige<br />

neuer Ideen können infolge mangelnder Basiskompetenzen nicht realisiert werden.<br />

Viele Sachverhalte, <strong>die</strong> zu bestimmten Zeiten <strong>die</strong> Qualität einer Kernkompetenz hatten,<br />

also einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil darstellt, verlieren <strong>die</strong>se Eigenschaft im Laufe<br />

der Zeit. Die Verwandlung von Kern- in Basiskompetenzen ist ein häufig zu beobachtender<br />

Vorgang. Vorstellbar und beobachtbar ist auch der umgekehrte Vorgang: <strong>die</strong> Verwandlung<br />

von Basiskompetenzen in Kernkompetenzen: das ist dann der Fall, wenn ein<br />

bislang alltäglicher Geschäftsvorgang neu entdeckt, also anders als bislang betrieben,<br />

wird. Vertiefungen hierzu sind in den nachfolgenden Kapiteln angesagt.<br />

Werden, um auf das "Baumbild", vgl. Bild 6 noch einmal zurückzukommen, <strong>die</strong> Kernkompetenzen<br />

durch das Wurzelgeflecht und <strong>die</strong> Kernprodukte durch das Nervensystem in<br />

Stamm und Ästen beschrieben, so sind <strong>die</strong> Basiskompetenzen Holz und Rinde. Es ist<br />

also falsch, <strong>die</strong> eine gegen <strong>die</strong> andere auszuspielen. Ein Baum, noch dazu ein wachsender,<br />

Früchte tragender, entsteht nur durch das Zusammenspiel beider.<br />

2.5 ... <strong>die</strong> Kombination, Effizienz und Effektivität<br />

zu beherrschen<br />

� Portfolio<br />

In der Quintessenz ist <strong>die</strong> hier vorgestellte Konzeption der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s<br />

eine prozessuale (<strong>die</strong> drs-Eigenschaften sind zu beachten, vgl. Kap. 2.1) Kombinationsleistung<br />

von Ähnlichkeit und Andersartigkeit bzw. von Effizienz (etwas richtig tun) und<br />

Effektivität (das Richtige tun). Effizienz und Effektivität sind Gesichtspunkte, <strong>die</strong> wahrscheinlich<br />

für alle sozialen Systeme gelten; Ähnlichkeit und Andersartigkeit sind <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezüglichen<br />

Konkretisierungen für <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> im Wettbewerb mit anderen stehen.<br />

Werden nur <strong>die</strong> Ausprägungen ja/nein zugelassen, so entsteht ein Effektivitäts-/Effizienz-<br />

Portfolio 11 .<br />

Effizienz (etwas richtig tun)<br />

Portfolio für Effektivität und Effizienz<br />

ja<br />

nein<br />

Effektivität (das Richtige tun)<br />

nein<br />

ja<br />

Normale<br />

bis kranke<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

Wettbewerb<br />

Fabrik des Jahres<br />

Simon:<br />

„Die heimlichen<br />

Gewinner“<br />

Bild 8: Portfolio für Effektivität und Effizienz<br />

11 Wettbewerb "Fabrik des Jahres" seit über 10 Jahren von Zeitschrift "Produktion" und der <strong>Unternehmen</strong>sberatung<br />

A.T. Kearny durchgeführt. Simon, H: Die heimlichen Gewinner, Frankfurt, New York, 1996<br />

27<br />

Zwei Beispiele<br />

für unterschiedliche<br />

Schwerpunkte


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

Das Portfolio zeigt: Man kann das Richtige richtig tun. Es ist aber auch möglich, richtig<br />

(effizient) das Falsche oder das Richtige falsch zu tun. Die erforderliche Kombinationsleistung<br />

kann also verfehlt werden.<br />

� Oszillation um den Harmoniepfad<br />

Die Suche nach den richtigen Lösungen und <strong>die</strong> Risiken einer Zielverfehlung lassen sich<br />

mittels des Harmoniepfades darstellen. Er stellt eine zeitliche Abfolge idealer Kombinationspunkte<br />

von Effizienz und Effektivität dar. Ein <strong>Unternehmen</strong> wird - als lernendes System<br />

- um <strong>die</strong>sen Harmoniepfad im Zeitablauf oszillieren (schwanken). Die Toleranzkorridore<br />

signalisieren: hinnehmbare Überbetonungen mal der Effektivität mal der Effizienz.<br />

Werden <strong>die</strong> Toleranzkorridore aber dauerhaft durchbrochen, so nehmen beide Gesichtspunkte<br />

Schaden.<br />

• Die Überbetonung der Effektivität schadet zunächst der Effizienz, dann aber auch der<br />

Effektivität selbst.<br />

• Analog ist es für <strong>die</strong> Überbetonung der Effizienz zu formulieren.<br />

• Die Überbetonung <strong>eines</strong> Gesichtspunktes schädigt beide; <strong>Einzigartigkeit</strong> ist eine<br />

Kombinationsleistung von Ähnlichkeit und Andersartigkeit.<br />

Der Harmonie-Pfad<br />

Effektivität<br />

<strong>Unternehmen</strong>sentwicklung<br />

Die Überbetonung <strong>eines</strong> Gesichtspunktes schädigt beide; <strong>Einzigartigkeit</strong> ist eine<br />

Kombinationsleistung von Ähnlichkeit und Andersartigkeit.<br />

Bild 9: Der Harmoniepfad (©GfAH)<br />

28<br />

Harmoniepfad<br />

Toleranzkorridor<br />

Überschießende<br />

Abweichungen<br />

schädigen beide<br />

Ziele<br />

Effizienz


Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

Im Falle einer solchen Überbetonung wird der Harmoniepfad verlassen, das <strong>Unternehmen</strong><br />

wird auf frühere Niveaus (siehe rückwärtsgerichtete Pfeile) zurückgestuft. In der Regel<br />

verliert er hierbei seine Wettbewerbsfähigkeit. Die Verengung der Toleranzkorridore soll<br />

andeuten, dass ein <strong>Unternehmen</strong> lernen kann, sich selbst zu verstehen und zu beherrschen<br />

- trotz turbulenter Umwelt. Der Harmoniepfad ist zu einer der Grundlagen des<br />

DaWa-Projektes 12 geworden.<br />

In dem Effizienz-Effektivitäts-Portfolio sind zwei empirische Quellen eingebaut. Soweit der<br />

Verfasser es beurteilen kann, ist der Wettbewerb "Fabrik des Jahres" 13 das beste, umfassendste,<br />

effizienzorientierteste Benchmarkingverfahren; Simons Buch 14 "Die heimlichen<br />

Gewinner" hingegen stellt eine Anzahl von kleinen bis mittleren <strong>Unternehmen</strong> vor, <strong>die</strong> mit<br />

einer effektiven Strategie weit vorne in der Weltspitze mitspielen. Die beiden empirischen<br />

Belege haben eine beispielhafte Bedeutung; es gibt mehr solcher Belege. Wird der Wettbewerb<br />

"Fabrik des Jahres" über <strong>die</strong> 90er Jahre hinweg verfolgt, so ist eine Zunahme von<br />

Effektivitätsgesichtspunkten zu beobachten. Werden Simons "heimliche Gewinner" stu<strong>die</strong>rt,<br />

so finden sich vielfach Beachtungen der Effizienz, worauf im Buch auch ausdrücklich<br />

hingewiesen wird.<br />

Die Idee einer <strong>Unternehmen</strong>sentwicklung, <strong>die</strong> um einen Harmoniepfad oszilliert,<br />

• erlaubt eine beschränkte Toleranz für aktuelle Schwerpunktsetzungen,<br />

• verdeutlicht Absturzrisiken durch <strong>die</strong> Überbetonung <strong>eines</strong> Sachverhaltes<br />

• und betont, dass langfristig (sustainable) ein <strong>Unternehmen</strong> nur durch <strong>die</strong> Beachtung<br />

beider Aspekte erfolgreich sein wird 15 .<br />

Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> erfolgreichen <strong>Unternehmen</strong>s besteht eben in der langfristigen<br />

Balancierung von Effizienz und Effektivität bzw. von Ähnlichkeit und Andersartigkeit.<br />

Als Kronzeuge <strong>die</strong>ser Konzeption von <strong>Einzigartigkeit</strong> sei auf M. Porter und seinen Aufsatz<br />

„What ist Strategy?“ 16 verwiesen. Der Unterschied zwischen Porters Ausführungen und<br />

der hier vorgetragenen Position ist folgender:<br />

• Porter setzt <strong>die</strong> Balancierung von Ähnlichkeit und Andersartigkeit einfach voraus: wer<br />

sie verfehlt, scheitert.<br />

• In <strong>die</strong>ser Konzeption wird jedoch <strong>die</strong> Balancierung von Ähnlichkeit und Andersartigkeit<br />

nicht als gegeben, sondern als zu bewältigende Aufgabe gesehen, was <strong>die</strong> folgenden<br />

Kapitel im Teil B beherrschen wird.<br />

12<br />

Verbundprojekt „Profitables Wachstum durch dauerhafte Wandlungsfähigkeit (DaWa)", FKZ: 02PP2206,<br />

gefördert vom BMBF, PT Fertigungstechnik, Rahmenkonzept: "Forschung für <strong>die</strong> Produktion von morgen".<br />

13<br />

Fabrik des Jahres: Wettbewerb der Zeitschrift "Produktion" und der A.T. Kearney <strong>Unternehmen</strong>sberatung<br />

14<br />

Vgl. Simon, H.: Die heimlichen Gewinner (Hidden Champions), Frankfurt, New York 1996<br />

15<br />

Die Idee des oszillierenden Harmoniepfades ist zu einer wesentlichen Grundlage des DaWa-<br />

Verbundprojektes geworden.<br />

16<br />

Porter, M.E.: What is Strategy? In: Harvard Business Review 6, Nov./Dez. 1996<br />

29


� Zu beantwortende Fragen<br />

Teil A Konzeption<br />

Kapitel 2 <strong>Einzigartigkeit</strong> bedeutet ...<br />

Die hier vorgestellte Konstruktion der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s ist der Versuch<br />

einer grundsätzlichen Antwort auf <strong>die</strong> Frage:<br />

Ist es auch für ein kleineres und mittleres <strong>Unternehmen</strong> möglich, in einer<br />

turbulenten Welt, erfolgreich zu existieren?<br />

Diese „große Frage“ wird in drei kleinere Fragen aufgeschlüsselt, siehe Bild 10. Es ist so<br />

eher möglich, Antworten zu finden.<br />

Kapitel Frage Antwort<br />

3<br />

4<br />

5<br />

Wie, wodurch wird <strong>Einzigartigkeit</strong> im<br />

<strong>Unternehmen</strong> erzeugt?<br />

Wie, wodurch wird <strong>Einzigartigkeit</strong> im<br />

<strong>Unternehmen</strong> dauerhaft erhalten?<br />

Wie, wodurch ist es möglich, <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

zukunftsfähig zu gestalten,<br />

obwohl <strong>die</strong> Zukunft kaum planbar ist?<br />

Bild 10: Worum es in den nächsten Kapiteln geht.<br />

Als einfacher Wegweiser kann gelten:<br />

30<br />

unternehmensspezifischer Wissenserzeugung<br />

und -nutzung<br />

Institutionalisierung: Wissensverankerung<br />

Selbst-Erzeugung durch Selbstbefähigung<br />

zu befähigen<br />

• könnendes Ensemblewissen = Wissenserzeugung und unternehmensspezifische<br />

Nutzung (Kap. 3) + Wissensverankerung (Kap. 4)<br />

• Selbstbefähigung zur Erneuerung = könnendes Ensemblewissen + reflexives Wissen<br />

(Kap. 5).<br />

Wenn <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s als <strong>die</strong> Schlüsselleistung gesetzt ist, mit der<br />

ein <strong>Unternehmen</strong> seine Beziehung zu den verschiedenen Umwelten (Märkten) reguliert,<br />

so ist zunächst zu fragen, wie und wodurch <strong>die</strong>se Schlüsselleistung erzeugt wird. Da es<br />

sich bei <strong>die</strong>ser Leistung um eine Dauerleistung handelt, ist weiter zu fragen, wie sie auch<br />

dauerhaft erbracht werden kann. Angesichts der Turbulenzen in der Welt ist Dauerhaftigkeit<br />

heutzutage nur in Verbindung mit Veränderbarkeit vorstellbar. Wie also ist es möglich,<br />

zugleich beständig und veränderlich zu sein?<br />

Es müssen also <strong>die</strong> Veränderungen der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s - seien sie<br />

positiv oder negativ - samt ihrer Triebkräfte deutlich werden. Erinnert sei an <strong>die</strong> geforderten<br />

"drs-Qualitäten" der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s. Sie gilt es, in den folgenden<br />

Kapiteln einzulösen.


Teil B Bewährungen<br />

7HLO % %HZlKUXQJHQ<br />

:LVVHQVHU]HXJXQJ XQG QXW]XQJ<br />

:LVVHQVYHUDQNHUXQJ<br />

6HOEVW %HIlKLJXQJ ]X EHIlKLJHQ<br />

31


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

3. Wissenserzeugung und -nutzung<br />

3.1 <strong>Unternehmen</strong>sspezifische Wissensdynamik<br />

� Wissensdynamik<br />

Audretsch und Thurik 17 diskutieren <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>seigenschaften, <strong>die</strong> zu wachsenden<br />

<strong>Unternehmen</strong> und einer gedeihenden Wirtschaft führen. Eine Zusammenstellung der<br />

Quintessenzen in Stichworten enthält das Bild 11. Die Autoren betonen <strong>die</strong> "Entrepreneurial<br />

Economy" als Wachstumsmotor, wohingegen <strong>die</strong> Managed Economy eher zunehmend<br />

den Mangel an Arbeitsplätzen verwaltet und hierdurch verstärkt. Ähnliche Darstellungen<br />

finden sich auch anderenorts, teilweise auch dort, wo sie nicht zwingend zu vermuten<br />

sind, vgl. etwa Nefiodow 18 . Gemeinsam ist <strong>die</strong>sen Versuchen <strong>die</strong> Betonung von<br />

Wissen und seiner Dynamik. Da Wissen immer schon genutzt worden ist, liegt <strong>die</strong> Berechtigung<br />

der Rede von wissensbasierten <strong>Unternehmen</strong> eher in der Herausforderungen<br />

und Bewältigung der Dynamik des Wissens als im Wissen selbst.<br />

Entrepreneurial Economy<br />

(unternehmende <strong>Unternehmen</strong>)<br />

versus<br />

32<br />

Managed Economy<br />

(verwaltete <strong>Unternehmen</strong>)<br />

1. Wissen als Produktionsfaktor Kapital und Arbeit als Produktionsfaktor<br />

2. Wissensbasierte Regionen als<br />

Sprungbrett<br />

Globalisierung als Ausweg<br />

3. Radikale Innovationen Graduelle Innovationen<br />

4. Turbulenz Stabilität<br />

5. Flexibiliät Größe, Menge<br />

6. Wandel Kontinuität<br />

7. Diversität der <strong>Unternehmen</strong> Spezialisierung<br />

8. Vielfalt der Menschen Homogene Menschen<br />

9. Motivation Kontrolle<br />

10. Wettbewerbskultur:<br />

win-win-Lösungen<br />

11. Lebensqualität:<br />

Arbeit und hoher Lohn<br />

win-lose Lösungen<br />

Arbeit oder hoher Lohn<br />

12. Stimulierende Politik Regulierende Politik<br />

© GfAH, frei nach Audretsch, D. und Thurik, R: Cources of Growth: The Entrepreneurial versus<br />

the Managed Economy, CEPR, London 1997; Discussionpaper Nr. 1710<br />

Bild 11: Die Audretsch-Thurik Quintessenzen zur <strong>Unternehmen</strong>sdiskussion<br />

17<br />

Nach Audretsch, D. und Thurik, R.: Sources of Growth: The Entrepreneurial versus the Managed Economy,<br />

CEPR, London 1997; Discussionpaper Nr. 1710<br />

18<br />

Vgl. Nefiodow, L.: Der sechste Kondratieff - Wege zur Produktivität und Vollbeschäftigung im Zeitalter der<br />

Information. Sankt Augustin, 1999, 3. Auflage


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Diese Beispiele charakterisieren den Hauptstrom gegenwärtiger Gedanken zur <strong>Unternehmen</strong>sentwicklung<br />

und sie sind charakteristisch für das wissenschaftliche Denken in<br />

Regeln, Systemen und eben auch der Konstruktion von Idealtypen - kurz: in dem Bemühen<br />

vom Einzelfall zu abstrahieren.<br />

Nur: dem hier interessierenden individuellen einzelnen <strong>Unternehmen</strong> ist damit nicht geholfen.<br />

Es kann zwar feststellen, ob und wie weit es im Hauptstrom der Gedanken mitschwimmt,<br />

aber <strong>die</strong>ser Hauptstrom nutzt nur begrenzt zur Definition seiner <strong>Einzigartigkeit</strong>,<br />

also der Unterscheidbarkeit von den Wettbewerbern.<br />

Die Konzeption des einzigartigen <strong>Unternehmen</strong>s verlangt aber ein unternehmensspezifisches<br />

Wissen, das gleichzeitig „ähnlich dem besten <strong>Unternehmen</strong> und anders als das<br />

Wissen <strong>eines</strong> jeden Wettbewerbers“ ist, vgl. Kapitel 2.<br />

Unter Ähnlichkeitsgesichtspunkten ist es gut zu wissen, dass man „up to date“ ist. Vorschnelle<br />

Zufriedenheit ist freilich nicht angebracht. Gefordert ist, den bestmöglichen Nutzen<br />

aus dem allgemein zugänglichen Wissen zu ziehen. Unter dem Gesichtspunkt der<br />

Andersartigkeit aber ist <strong>die</strong> Zugehörigkeit zum Hauptstrom eine Katastrophe. Hier kommt<br />

es eben auf einmalige exclusive Wissenslösungen an, <strong>die</strong> kein Wettbewerber hat.<br />

Da vielen Nicht-Unternehmern <strong>die</strong> Vorstellung <strong>eines</strong> einmaligen Wissens fremd ist, sei an<br />

Produktinnovationen erinnert. Jede Produktinnovation beruht auf einer einmaligen Wissenskombination,<br />

sonst wäre es keine Innovation.<br />

Das unternehmensspezifische Wissen, um das es hier geht, ist also<br />

eine Kombination von bestmöglich genutztem allgemeinem Wissen und<br />

exclusivem Wissen.<br />

Bekannt ist <strong>die</strong>se Aufteilung des Wissens in allgem<strong>eines</strong> und exclusives Wissen unter der<br />

Unterscheidung Kern- und Basiskompetenzen, vgl. Kap. 2. Basiskompetenzen beinhalten<br />

das könnende Wissen, das mit anderen <strong>Unternehmen</strong> geteilt wird. Kernkompetenzen<br />

stellen das exclusives Wissen <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s dar, das es mit niemanden freiwillig<br />

teilt. Beide Kompetenzen sind Leistungen des <strong>Unternehmen</strong>s, da sie in aller Regel auf der<br />

Kombination verschiedener Arbeitsvorgänge und Personen beruhen. Mitarbeiter liefern<br />

mit ihren Fach- und Schlüsselkompetenzen einen Beitrag: <strong>die</strong>ser aber ist im Regelfall<br />

nicht identisch mit den Kern- bzw. Basiskompetenzen des <strong>Unternehmen</strong>s. Dieses durch<br />

Kern- und Basiskompetenzen charakterisierte unternehmensspezifische Wissen, unterliegt<br />

nun Veränderungen. Es finden also Wissenszugänge und -abgänge statt, und zwar<br />

sowohl für <strong>die</strong> Basis- als auch für <strong>die</strong> Kernkompetenzen.<br />

Die allgemeine Bewegungsgleichung für Bestandsveränderungen ist in dem Bild 12 für<br />

das Wissen im <strong>Unternehmen</strong> geschrieben worden. In jeder konkreten Analyse ist <strong>die</strong>se<br />

allgemeine Gleichung der Wissensdynamik zunächst getrennt für <strong>die</strong> Basis- und <strong>die</strong> Kernkompetenzen<br />

zu entwickeln.<br />

33


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Bewegungsgleichung:<br />

a) Wt1 = Z - A + Wt0<br />

mit Wt1 Wissen am Ende einer Periode<br />

Wt0 Wissen zu Beginn einer Periode<br />

Z Wissenszugänge<br />

A Wissensabgänge<br />

b) Wt1 - Wt0 = Z - A = S; S = Saldo<br />

c) Wt1 - A = verbleibendes W, in t0 und t1 vorhanden<br />

d) Z + A = Wt = Wissens-Turnover<br />

Wt0 + Wt1<br />

e) Wt = D D = Dauer des Bestandsumschlages<br />

f) s = s = Zuwachsrate des Wissens<br />

g) z = z = Zugangsrate an neuem Wissen<br />

s<br />

Wt0<br />

h) z<br />

= e e = Effizienzkennziffer für das Verhältnis von s zu z.<br />

Achtung: hier nicht dargestellt ist <strong>die</strong> Verwandlung von neuem Wissen in unternehmensspezifisches<br />

Wissen. Dieser Prozess-Schritt ist zusätzlich zu denken.<br />

Bild 12: Wissensdynamik im <strong>Unternehmen</strong> - © GfAH<br />

� Wissensumwandlung<br />

1<br />

S<br />

wt1<br />

Z<br />

wt1<br />

zusätzliches Wissen<br />

abgängiges Wissen<br />

Es gibt nun aber einen wichtigen Unterschied der Wissensdynamik im Vergleich zu anderen<br />

Bestandsveränderungen. Wissenszu- und -abgänge sind ein notwendiger bzw. unvermeidbarer<br />

Schritt, aber sie sind nicht hinreichend. Die Erzeugung neuen Wissens bzw.<br />

34<br />

Wt1<br />

neues<br />

Wissen<br />

verbliebenes<br />

Wissen:<br />

in t0 und t1<br />

vorhanden


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

deren Einkauf allein nutzt wenig. Hinzukommen muss der Umwandlungsprozess in das<br />

jeweilige unternehmensspezifische Wissen - seien es <strong>die</strong> Basiskompetenzen oder vor<br />

allem <strong>die</strong> Kernkompetenzen. Bekannt ist <strong>die</strong>ser Sachverhalt unter dem Stichwort "Einarbeitungsprozess".<br />

Das Bild 13 beschreibt den Aufbau und den Abbau von Wissen durch <strong>die</strong> Kombination<br />

von neuem bzw. veraltertem Wissen und dem zugehörigen Umwandlungsprozess in/aus<br />

unternehmensspezifisches Wissen.<br />

Umwandlungsprozess<br />

im<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

internes<br />

Wissen<br />

Umwandlungsprozess<br />

Verzicht auf<br />

Wissen<br />

Bild 13: Umwandlungsprozesse von neuem und veraltertem Wissen im <strong>Unternehmen</strong> (©<br />

GfAH)<br />

Zusätzlich angegeben sind Hinweise zu Umwandlungsprozessen zwischen Basis- und<br />

Kernkompetenzen. Im Kapitel 2 ist dargestellt worden, dass Wettbewerbsvorteile verloren<br />

gehen, also zu Basiskompetenzen werden; umgekehrt ist aber auch beobachtbar, dass<br />

Basiskompetenzen durch Anreicherung zu Kernkompetenzen werden.<br />

• Orte der Wissenserzeugung<br />

Basiskompetenzen Umwandlungs-<br />

prozess<br />

Kernkompetenzen<br />

Ähnlich den<br />

besten<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

Allgemeiner<br />

WissensWissensbestand veraltertes<br />

Wissen<br />

Die Unterscheidung von neuem Wissen und dessen Umwandlung in unternehmensspezifisches<br />

Wissen ist folgenreich. Während der Umwandlungsprozess ganz überwiegend ein<br />

unternehmensinterner Prozess ist, gilt das für das Schaffen von neuem Wissen, <strong>die</strong> Wissenserzeugung<br />

nicht. Neues Wissen kann:<br />

im <strong>Unternehmen</strong> oder<br />

außerhalb des <strong>Unternehmen</strong>s<br />

Intern oder extern erzeugtes Wissen<br />

aus Wissensvorteilen<br />

wird<br />

Basiswissen<br />

Basiswissen kann<br />

zu einzigartigem<br />

Wissen umgebaut<br />

werden<br />

35<br />

Anders als jeder<br />

Wettbewerber:<br />

unternehmensspezifisches<br />

Wissen<br />

Einmaliger<br />

Wissensbestand<br />

aufzugebendes bzw. aufgegebenes Wissen<br />

veraltertes<br />

Wissen


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

erzeugt werden. Außerhalb des <strong>Unternehmen</strong>s gibt es wiederum eine Mehrzahl von Möglichkeiten,<br />

in der Hauptsache sind drei Quellen zu unterscheiden:<br />

Aneignung von Kundenwissen,<br />

Aneignung von Wissen der Wettbewerber (z.B. Patentkauf, Kauf von <strong>Unternehmen</strong><br />

etc.);<br />

Aneignung von allgemein zugänglichem Wissen (Kongresse, Internet, Neueinstellungen,<br />

Hochschulen).<br />

Auch <strong>die</strong> innerbetriebliche Wissenserzeugung kennt mehrere Entstehungsorte, etwa<br />

• Wissenserzeugung in FuE 19 -Abteilungen,<br />

• Wissenserzeugung mit externen Kooperationen,<br />

• Wissenserzeugung außerhalb von FuE-Abteilungen etc.<br />

Es gibt also mehrere, d.h. vergleichbare Orte der Wissenserzeugung. Allerdings ist zu<br />

beachten:<br />

• Die Orientierung an extern erzeugtem Wissen setzt voraus, dass das externe Wissen<br />

intern sowohl beurteilbar als auch nutzbar ist. Beides geht nur, wenn es eine gewisse<br />

Redundanz (Doppelgleisigkeit) von externem und internem Wissen gibt; der weiter<br />

oben angeführten Substituierbarkeit von interner oder externer Wissenserzeugung<br />

sind also Grenzen gesetzt.<br />

• Intern erzeugtes neues Wissen kann auch durch Nichtnutzung oder Abgang der Entdecker<br />

(Wechsel zu anderen <strong>Unternehmen</strong>, Neugründungen von <strong>Unternehmen</strong> etc.)<br />

verloren gehen. Entscheidend ist also, ob für <strong>die</strong> Nutzung des internen neu erzeugten<br />

Wissens unternehmensintern eine hinreichende Konsensgrundlage besteht, vgl. Kapitel<br />

4 „Wissensverankerung“.<br />

Die Unterscheidung von Wissenserzeugung und -nutzung sowie der hieraus folgenden<br />

Differenzierung mehrerer Orte der Wissensentstehung eröffnet ein weites Feld der vergleichenden<br />

Forschung, dessen Erschließung aber noch in den Anfängen steckt 20 .<br />

In einer vergleichenden Analyse kann etwa gefragt werden, ob es zu dem Schlüsselansatz<br />

von Nonaka und Takeuchi 21 : Wissensentstehung durch Explikation von Erfahrungen,<br />

äquivalente Alternativen gibt. Wird Jansitl und Wert 22 gefolgt, so kann in bezug auf <strong>die</strong><br />

Wissensentstehung das Experiment als Äquivalent zur Explikation der Erfahrung gesetzt<br />

werden - mit dramatischen Unterschieden in bezug auf andere Vergleichskriterien - aber<br />

auch mit mehr Gemeinsamkeiten als man zunächst vermuten möchte.<br />

19<br />

FuE = Forschung und Entwicklung<br />

20<br />

Vgl. Nakicenowic, N., Grübler, A. (Eds): Diffusion of Technologies and Social Behavior, Berlin 2000<br />

21<br />

Vgl. Nonaka, J., Takeuchi, H.: Die Organisation des Wissens. Wie japanische <strong>Unternehmen</strong> eine<br />

brachliegende Ressource nutzbar machen. Frankfurt/Main, 1997<br />

22<br />

Vgl. Jansitl, M., Wert, J.: Technologie-Integration: Der andere Weg zu neuen Produkten, in Harvard<br />

Business manager, 4/1997, S.43-54<br />

36


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Aus <strong>die</strong>ser aufgestellten Äquivalenz-Beziehung lässt sich ableiten, warum nicht wenige<br />

KMU innovativ erfolgreich sind, obwohl sie keine FuE-Abteilung haben: sie mischen Erfahrung<br />

und Experiment (tüfteln).<br />

Soviel als Hinweis zum Weiter-Denken. Das einzelne <strong>Unternehmen</strong> jedenfalls erhält aus<br />

der Unterscheidung von Wissenserzeugung und -nutzung einen Zugewinn an Optionen,<br />

<strong>die</strong> aber auch - wie gezeigt worden ist - mit Risiken verbunden sind.<br />

In den folgenden Kapiteln geht es schlicht darum, <strong>die</strong>se Ausführungen zur unternehmensspezifischen<br />

Wissensdynamik mit den ökonomischen Kernerfahrungen vieler <strong>Unternehmen</strong><br />

abzugleichen, d.h. zu differenzieren und zu konkretisieren.<br />

3.2 Profitrate und Wettbewerb<br />

Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s hat nur eine praktische Bedeutung, wenn sie <strong>die</strong><br />

Profitrate des <strong>Unternehmen</strong>s stützt und <strong>die</strong>s gegen <strong>die</strong> Einebnungstendenzen durch den<br />

Wettbewerb. Die Profitrate (r = P ) wird im folgenden unter zweierlei Gesichtspunkten<br />

K<br />

diskutiert:<br />

• einmal als DuPont-Profitrate,<br />

• zum anderen als Gewinn-Wissen-Beziehung.<br />

Bei der Erörterung der DuPont-Profitrate geht es um <strong>die</strong> ökonomischen Möglichkeiten zur<br />

Erhöhung der Profitrate. Bei der Gewinn-Wissen-Beziehung sind <strong>die</strong> Vielzahl der Wissenskombinationen<br />

als Grundlage der Profitrate, <strong>die</strong> interessieren.<br />

� Die Profitrate als Gewinn-Wissen-Beziehung<br />

Herleitung<br />

Zwischen der Kapitalrendite r oder dem „return on investment (roi)“ und der Verzinsung<br />

der Humanressourcen, also dem „return on human-ressources (roh)“ besteht eine logische<br />

Beziehung. Hieraus folgt:<br />

Die Kapitalrendite ist auch als Gewinn-Wissen-Beziehung lesbar.<br />

Die Verzinsung der human-ressources ist berechenbar.<br />

Es gilt:<br />

P<br />

1. roi = mit: P = Profitmasse; K = Kapital<br />

K<br />

P<br />

2. roh = mit: PK = Personalkosten<br />

PK<br />

3. PK = B ⋅ E mit: B = Beschäftigte<br />

E = ∅ Entgelt pro Kopf und Jahr<br />

Human-resources ist in <strong>die</strong>sem Ansatz definiert als Produkt von:<br />

37


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

jährlich genutzte Arbeitskraft (B) x durchschnittliches Entgelt pro Kopf.<br />

Damit ist ein wichtiger Unterschied zum Sachkapital gegeben. Die human-resources sind<br />

nicht lagerbar, sie müssen in der gleichen Periode ihrer Nutzung auch zu 100% amortisiert<br />

werden. ’roh’ gibt also <strong>die</strong> über 100% Amortisation hinausgehende Verzinsung an.<br />

4. roh = roi<br />

K<br />

PE<br />

x<br />

PE<br />

= oder roh = roi x<br />

Der return on human resources (roh) ist also gleich dem Produkt von:<br />

K<br />

Kapitalrendite x dem Verhältnis von Kapital zu Personalkosten.<br />

5. PE = e e = Effizienzkennziffer<br />

6. roh = roi x e oder<br />

roi = × =<br />

e PK K<br />

Die Kapitalrendite ist gleich dem Quotienten des return on human resources durch <strong>die</strong><br />

Effizienzkennziffer ‚e’. Zur Erinnerung:<br />

PK ist <strong>die</strong> lebendige, wissenstragende und -nutzende Arbeitskraft, bewertet mit ihrem<br />

Entgelt.<br />

K ist <strong>die</strong> vergegenständlichte Arbeit, als das in Maschinen, Anlagen, Bauten etc. gegossene<br />

Ergebnis menschlicher Arbeit bewertet in Geldeinheiten.<br />

Also kann gesagt werden:<br />

Die Profitrate ‚roi’ (siehe oben unter 6.) ist auch gleich dem return on human resources ×<br />

der bewerteten lebendigen Arbeit (PK) im Verhältnis zur vergegenständlichten Arbeit (K).<br />

Sowohl <strong>die</strong> lebendige Arbeit als auch <strong>die</strong> vergegenständlichte Arbeit sind Träger des<br />

unternehmensspezifischen Wissens.<br />

In Kurzform:<br />

roh<br />

P<br />

P<br />

K<br />

P<br />

PK<br />

P<br />

K<br />

<strong>die</strong> Profitrate ist eine Gewinn-Wissen-Beziehung.<br />

Die Beschäftigten verkörpern eben eine Vielzahl von Wissenskompetenzen, <strong>die</strong> durch das<br />

jeweilige <strong>Unternehmen</strong> zu spezifischen Wissensmustern kombiniert werden. Diese sind<br />

durch Lernprozesse oder Umstrukturierungsprozesse in der Art der Kombination veränderbar.<br />

Da es, wie zu zeigen sein wird, eine unübersehbare Menge von Wissenskombinationen<br />

gibt, bestehen auch entsprechende Möglichkeiten der Erzeugung von Gebrauchswerten<br />

für <strong>die</strong> Kunden. Den hierdurch geschaffenen Nutzen bezahlen <strong>die</strong> Kunden.<br />

Dieser Vielfalt von Möglichkeiten, einen Kundennutzen und damit auch Gewinne zu<br />

schaffen, stehen <strong>die</strong> beschränkten Optionen einer nur ökonomischen Betrachtungsweise<br />

gegenüber, wie aus der DuPont-Profitrate zu lernen ist.<br />

38<br />

K<br />

E


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Berechenbarkeit<br />

‚roh’ ist mit Hilfe der Kostenstruktur-Statistik im produzierenden Gewerbe berechenbar. Im<br />

Statistischen Jahrbuch 2002 23 sind <strong>die</strong> verschiedenen Kostenanteile am Brutto-Produktionswert<br />

ausgewiesen. Ihre Summe minus 100 ergibt den Gewinnanteil am Bruttoproduktionswert.<br />

Der Personalkostenanteil am Bruttoproduktionswert ist direkt ablesbar. Es<br />

gilt<br />

7. P × Bruttoproduktionswert P<br />

= = roh<br />

Bruttoproduktionswert × Personalkosten PK<br />

Wegen der Ableitung aus der Kostenstruktur-Statistik sind empirische Werte für roh nach<br />

Branchen differenziert, außerdem liegen sie in Zeitreihen vor.<br />

� Die DuPont-Profitrate - nur 3 ökonomische Basisstrategien<br />

Vorstellung der DuPont-Profitrate als Steuerungsinstrument<br />

Im folgenden ist <strong>die</strong> Profitrate (roi) weiter zu diskutieren. Gefragt wird, welche ökonomischen<br />

Strategien zu ihrer Gestaltung verfügbar sind. Die Diskussion erfolgt mittels der<br />

DuPont-Profitrate.<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> DuPont hat bereits vor knapp 100 Jahren (1911) gezeigt, wie durch<br />

Umformung aus dem Bewertungsmaßstab Kapitalrendite auch ein Steuerungsinstrument<br />

wird. Es gilt:<br />

P<br />

r =<br />

K<br />

U - Ko<br />

= x<br />

U<br />

U<br />

K<br />

mit P<br />

U<br />

=<br />

=<br />

Profit<br />

Umsatz<br />

Ko = Gesamtkosten<br />

U/K = Umschlaghäufigkeit des Kapitals<br />

Die Gewinnrate (Kapitalrendite) ist gleich der Umsatzrendite:<br />

U - Ko P<br />

= × der Umschlaghäufigkeit des Kapitals<br />

U U<br />

DuPont hat gezeigt, wie durch logische Ausdifferenzierung <strong>die</strong> DuPont-Profitrate so aufgefächert<br />

werden kann, dass der Beitrag <strong>eines</strong> jeden Kunden oder Lieferanten, <strong>eines</strong> jeden<br />

Produktes oder (Teil-)Prozesses zum <strong>Unternehmen</strong>sergebnis erkennbar wird, und<br />

zwar sowohl unter Kosten- als auch unter Erlösgesichtspunkten. Wie <strong>die</strong>ser Prozess der<br />

Ausdifferenzierung vonstatten geht, ist dem Bild 14 zu entnehmen. Beispielsweise sind<br />

<strong>die</strong> Beschäftigten über <strong>die</strong> Umsatzproduktivität mit den Erlösen (Umsätzen) und über <strong>die</strong><br />

Personalkosten mit den Kosten verknüpft. Diese Doppelbetrachtung - sowohl der Erlöse<br />

als auch der Kosten - ist im Rahmen des DuPont-Schemas durchgängig für jede unternehmerische<br />

Aktivität möglich.<br />

23 Vgl. Statistisches Jahrbuch 2002, Statistisches Bundesamt Wiesbaden, 2002, S.189<br />

39<br />

U<br />

K


alte<br />

Masch.<br />

Integrierbare und und<br />

auswählbare Teilkennziffern<br />

u.a.<br />

bezüglich<br />

Umsatz,<br />

Kunden,<br />

Innovationen<br />

Maschinen<br />

Sachkosten<br />

Produktivität<br />

etc.<br />

Maschinen Maschinen<br />

neue<br />

Masch.<br />

+<br />

A-Kunden<br />

+<br />

B-Kunden<br />

+<br />

C-Kunden<br />

UmsatzUmsatzUmsatzerlöse Bauten<br />

:<br />

Umlaufvermögen<br />

Kapitalumschlag<br />

+<br />

Gesamtvermögen<br />

Standard<br />

Leistungen<br />

3)<br />

Anlagevermögen<br />

Umsatz<br />

x<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

+<br />

UmsatzUmsatzerlöse r = Gewinne Gewinne<br />

:<br />

Kapital<br />

Umsatz<br />

neuer neuer<br />

LeistunLeistungen Betriebsergebnis<br />

Arbeitsvolumen x durchschn.<br />

Entgelt<br />

./. ./.<br />

SachSachkosten 2)<br />

Umsatzrentabilität<br />

Umsatzkosten<br />

Preise je<br />

Bild 14: DuPont-Profitrate als Basis-Steuerungsinstrument <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s<br />

:<br />

im Englischen:<br />

return on investment<br />

(roi = r)<br />

Damit ist top down gesehen ein Instrument zur Beurteilung der Verankerung einer <strong>Unternehmen</strong>sstrategie<br />

gegeben und bottom up ein Verfahren zur Beurteilung des Ergebnisbeitrages<br />

einzelner Abteilungen, Gruppen, letztlich jedes Einzelnen, formuliert.<br />

40<br />

Beschäftigte Beschäftigte x Stunden<br />

+<br />

Leistungseinheit 1)<br />

Leistungseinheit 1)<br />

Umsatzerlöse<br />

verschiedene<br />

Qualifikationsgruppen<br />

Personalkosten<br />

x<br />

verkaufte<br />

Leistungen 3)<br />

Leistungen 3)<br />

Beschäftigte<br />

x<br />

Umsatzproduktivität<br />

1) LE: Leistungseinheit; 2) Sachkosten: alle Kostenpositionen ohne Personalkosten<br />

3) Leistungen: Produkte und/oder und/oder Dienstleistungen<br />

Das Das ursprüngliche DuPont-Schema ist erweitert worden, um zu zeigen, dass sowohl Kunden<br />

als auch Innovationen integriert werden können.


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Mit dem DuPont-Schema des nachfolgenden Bildes wird also aus der Profitrate als<br />

Bewertungsmaß ein Steuerungsinstrument des <strong>Unternehmen</strong>s. Da - soweit dem Verfasser<br />

bekannt - alle betriebswirtschaftlichen Instrumente und alle ingenieur-technischen<br />

Instrumente, <strong>die</strong> einen Bezug zur Ökonomie haben, sich in <strong>die</strong>ses Schema einordnen<br />

lassen, kann von einem Basisinstrument gesprochen werden.<br />

Es definiert eine gemeinsame Sprache mit der jedermann mit jedermann in einem <strong>Unternehmen</strong><br />

kommunizieren kann. Über den Stand der Nutzung <strong>die</strong>ses mittels der Verständigung<br />

informiert das Bild 15. Es zeigt immerhin Teilerfolge in der Nutzung der DuPont-Profitrate<br />

als Sprache - bald 100 Jahre nach ihrer erstmaligen Formulierung.<br />

Häufigkeit visualisierter Kennzahlen (n = 1.329)<br />

Termintreue<br />

Kundenreklamation<br />

Umsatz<br />

Qualitätskennziffern/-kosten<br />

Output (Stück)<br />

Vorgabezeit zu Anwesenheitszeit<br />

Durchlaufzeit<br />

Rüstzeiten<br />

Maschinenverfügbarkeit<br />

Wertschöpfung<br />

Bild 15: Verbreitung neuer Controlling-Instrumente, nach Kinkel, S.; Kostenkontrolle oder<br />

Controlling, ISI-Mitteilungen aus der Produktionsinnovationserhebung Nr. 15, ISI Karlsruhe,<br />

1999, S.4<br />

Basis-Optionen der Ökonomie<br />

Wird nun weiter gefragt, wovon <strong>die</strong> Profitrate abhängt, so ergeben sich (ökonomisch gesehen)<br />

<strong>die</strong> Schlüsselgrößen Umsatz bzw. Erlöse (U), Gesamtkosten (Ko) und <strong>die</strong> Umschlaghäufigkeit<br />

des Kapitals (U : K). Sie stellen Grundmuster der Handlungsorientierung<br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s dar:<br />

• Erhöhe den Umsatz (bzw. <strong>die</strong> Erlöse)!<br />

• Senke <strong>die</strong> Gesamtkosten!<br />

• Steigere <strong>die</strong> Umschlaghäufigkeit!<br />

15<br />

20<br />

19<br />

Alle ökonomischen Strategien lassen sich auf <strong>die</strong>se Basis-Optionen<br />

zurückfahren; sie sind also Variationen derselben.<br />

41<br />

30<br />

34<br />

37<br />

41<br />

44<br />

43<br />

0 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100<br />

50<br />

(Mehrfachantworten in%)


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Etwa 80 Jahre nach <strong>die</strong>ser DuPont-Premiere haben Goldratt et.al. in ihrem Buch "Das<br />

Ziel" 24 , <strong>die</strong> gleichen Grundmuster der Handlungsorientierung als Hilfe für einen Betrieb<br />

benannt, der wissen will, ob er profitabel arbeitet oder nicht. Es fällt auf, dass <strong>die</strong> drei<br />

Handlungsmuster ohne den Begriff der Wertschöpfung auskommen, obwohl <strong>die</strong>se natürlich<br />

in ihnen enthalten ist: Umsatz - Vorleistungen = Brutto-Wertschöpfung. Goldratt u.<br />

Cox begründen <strong>die</strong>s damit, dass der Begriff "Wertschöpfung" zu sehr manipulativen Einflüssen<br />

ausgesetzt ist, was stimmt, wie im nächsten Kapitel gezeigt werden wird.<br />

Die drei aufgeführten Basis-Optionen haben zum einen eine jeweils unverzichtbare Eigenständigkeit,<br />

aber sie sind nicht voneinander unabhängig. So ist es beispielsweise gut vorstellbar,<br />

dass mit wachsenden Erlösen überdurchschnittliche Kostensteigerungen einhergehen,<br />

so dass <strong>die</strong> Kapitalrendite anstatt gestärkt, eher verschlungen wird. Goldratt et.al.<br />

haben daher <strong>die</strong> Kombinationsregel formuliert, sie lautet:<br />

Eine Maßnahme ist dann und nur dann sinnvoll, wenn sie eine erwünschte Wirkung<br />

für mindestens zwei der drei Basisoptionen hat. Längerfristig müssen<br />

sich alle drei Optionen in <strong>die</strong> gewünschte Richtung verändern.<br />

Da es vielleicht schwierig ist bei jeder Maßnahme ihre Mehrfachwirkung zu erkennen,<br />

kann <strong>die</strong> Goldratt-Regel auch wie folgt formuliert werden:<br />

Eine Maßnahme in einem <strong>Unternehmen</strong>/Betrieb ist nur dann erfolgreich, wenn<br />

sie Mitglied einer Maßnahmenfamilie ist, <strong>die</strong> zumindest für zwei der drei Basisoptionen<br />

einen positiven Ergebnisbeitrag leistet. Ist also <strong>die</strong> Familienzugehörigkeit<br />

einer Maßnahme unklar, so ist sie ein Risikofaktor, <strong>die</strong> Risiken einer<br />

Verschlimmbesserung sind vorhanden.<br />

Wie viele alleinstehende Maßnahmen es im Verhältnis zu den Maßnahme-Familien gibt,<br />

ist unbekannt - aber sie müssen zahlreich vorhanden sein, vgl. Kapitel 8 "Krisenfrüherkennung".<br />

Die begrenzte Anzahl der Basisoptionen sowie <strong>die</strong> grundsätzliche Bedeutung<br />

der Maßnahmenfamilie, also der Kombination der Basisoptionen, ist <strong>die</strong> ökonomische,<br />

wissenschaftliche Begründung der Oszillation <strong>eines</strong> erfolgreichen <strong>Unternehmen</strong>s um den<br />

Harmoniepfad, wie er im Kapitel 2.5 vorgestellt worden ist. Als Zwischenergebnis sei festgehalten:<br />

• <strong>die</strong> Profitrate lässt sich auch als Wissens-Gewinnrate schreiben;<br />

• <strong>die</strong> DuPont-Profitrate ist in ihrer ausdifferenzierten Form sowohl ein Steuerungsinstrument<br />

als auch ein Medium der Kommunikation;<br />

• alle ökonomischen Strategien lassen sich auf drei Basisoptionen und deren<br />

Kombinationen reduzieren.<br />

Gemessen an der Flut der praxisbezogenen <strong>Unternehmen</strong>s- und Managementliteratur ist<br />

<strong>die</strong>ser Vorrat an Basisoptionen und -kombinationen nicht groß. Selbstverständlich besteht<br />

eine größere Anzahl an Varianten der Basisoptionen. Slywotzky et.al. 25 unterscheiden 22<br />

Gewinnmodelle: es gibt weitere, aber insgesamt hält deren Zahl sich in Grenzen, noch<br />

dazu, da sie nicht überschneidungsfrei sind. Festzuhalten ist also:<br />

24 Vgl. Goldratt, E., Cox, J.: Das Ziel. Ein Roman über Prozessoptimierung, 3. Auflage, Frankfurt 2001<br />

25 Vgl. Slywotzky, A., Morrison, D. mit Andelman, B.: Die Gewinnzone, Landsberg am Lech 1998<br />

42


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

• Trotz einer fast 100-jährigen Existenz wird <strong>die</strong> DuPont-Profitrate, obwohl von grundlegender<br />

Bedeutung, allenfalls teilweise in den <strong>Unternehmen</strong> eingesetzt.<br />

• Angesichts von nur drei ökonomischen Basisoptionen und einer, allerdings überragenden<br />

Kombinationsregel ist schwer vorstellbar, wie von hieraus <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s begründbar ist.<br />

� Der Wettbewerb als lernendes System<br />

Vom Markt verschluckte Leistungen<br />

Erfolgreicher ist es, sich an <strong>die</strong> Gewinn-Wissen-Beziehung der Profitrate zu erinnern (vgl.<br />

Kapitel 3.2) und <strong>die</strong>se im Kontext des Wettbewerbs von <strong>Unternehmen</strong> weiterzuverfolgen.<br />

Die DuPont-Profitrate gilt jederzeit und überall - also auch für jeden Wettbewerber. Hieraus<br />

folgt, dass einfache Veränderungen der Basisoptionen uninteressant sind. <strong>Was</strong> zählt,<br />

sind <strong>die</strong> Veränderungen <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s im Verhältnis zu den Veränderungen der<br />

Wettbewerber. Maßgeblich sind also <strong>die</strong> Differenzen (Unterschiede) der Veränderungsraten.<br />

Das Denken, Planen und Handeln in Differenzen der Veränderungsraten ergibt erst<br />

<strong>die</strong> hinreichende Erfolgsbedingung, mit der DuPont-Profitrate ein <strong>Unternehmen</strong> tatsächlich<br />

zu steuern.<br />

Angenommen sei: ein <strong>Unternehmen</strong> orientiert sich an den Basisoptionen, betrachtet <strong>die</strong><br />

Goldratt-Kombinationsregel, bildet also (eine) Maßnahmefamilie(n). Die Summe aller<br />

Effekte schlägt sich nieder in einer Leistungssteigerung des <strong>Unternehmen</strong>s (dL). Etwas<br />

irritiert beobachtet das <strong>Unternehmen</strong> häufiger folgende Ungleichung:<br />

DL > dP > dG mit dL = Leistungssteigerung<br />

dP = Produktivitätserhöhung<br />

dG = Gewinnerhöhung.<br />

Warum sind <strong>die</strong> Erträge aller Anstrengungen (dL), in Produktivitäts- und Gewinnverbesserungen<br />

gemessen, deutlich kleiner als <strong>die</strong> erbrachten Leistungssteigerungen. Graphisch<br />

dargestellt ist <strong>die</strong>s in Bild 16:<br />

Zuwächse<br />

dL<br />

vom Markt<br />

verschluckt<br />

dP<br />

Bild 16: Ungleiche Zuwächse von Leistungen, Produktivität und Gewinne<br />

43<br />

durch andere<br />

Kostensteigerungen<br />

aufgefressen<br />

dG


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Leistungssteigerungen werden häufig in physikalischen Größen gemessen oder qualitativ<br />

bewertet, Produktivität wird i.d.R. in Brutto-Wertschöpfung je Beschäftigten gemessen.<br />

Leistungssteigerungen sind beispielsweise: Verkürzung der Durchlaufzeiten, Liefertreue,<br />

Verkürzung der Entwicklungszeiten, Qualitätsverbesserungen, Weiterbildungsmaßnahmen<br />

etc.<br />

Es gilt wiederum <strong>die</strong> relationale Betrachtung: ein <strong>Unternehmen</strong> kann sich anstrengen wie<br />

es will, wenn <strong>die</strong> Wettbewerber genau so erfolgreich operieren, hat es nichts bzw. nicht<br />

viel davon. Ein nicht unerheblicher Teil der Leistungsverbesserungen findet also keine<br />

positive Anerkennung in Form von Produktivitätsfortschritten - einfach deshalb, weil <strong>die</strong><br />

Wettbewerber auch lernen und sich ebenfalls verbessern.<br />

1992 berichtet de Meyer 26 im ‚Internationalen <strong>Unternehmen</strong>sreport’ von Insearch, Frankreich<br />

als Quintessenz der letzten TOP-Management-Erhebung (1991) deutliche betriebliche<br />

Leistungssteigerungen aber unbefriedigende Gewinnentwicklungen bzw. Verbesserungen<br />

der Marktanteile. Betriebliche Leistungsverbesserungen schlagen sich also kaum<br />

in den <strong>Unternehmen</strong>sergebnissen nieder; sie werden vom Markt verschluckt, d.h. an <strong>die</strong><br />

jeweiligen Kunden weitergegeben, vgl. Bild 17.<br />

Index<br />

44<br />

Median<br />

improvement in %<br />

Average<br />

improvement in %<br />

Inventory Turnover 10 19<br />

Overall Quality as perceived by the customer 10 12<br />

Manufacturing Lead-Time 10 15<br />

On-time Delivery 7 21<br />

Speed of introducing Product Design Change 5 19<br />

Customer Service 5 16<br />

Producible product variaety 5 15<br />

Delivery Lead-Time 5 14<br />

Equipment Changeover Time 5 13<br />

Procurement Lead-Time 5 11<br />

Speed of New Product Development 5 10<br />

Average Defect Rate at End of Manufacturing 5 10<br />

Average Defect Rate in Customers' hands 5 9<br />

Average Unit Production Cost 5 6<br />

Market Share 3 5<br />

Average Final Inspection Yield 2 9<br />

Profitability 0 6<br />

Quelle: de Meyer, A.: Creating the Virtual Factory; Report on the 1992 European Manufacturing Futures<br />

Survey, Insearch, Frankreich<br />

Kern-Aussagen:<br />

1. Niveauerhöhung: belegt durch Wachstumsraten.<br />

2. Polarisierung: belegt durch Unterschiede zwischen Me<strong>die</strong>n und Durchschnittswerten.<br />

3. Einebnung: weltweit <strong>die</strong>selben Konzepte.<br />

4. Diskrepanzen: Betriebliche Erfolge schlagen sich nur mager in unternehmerischen<br />

Erfolgen (Marktanteil, Profitabilität) nieder.<br />

Bild 17: Leistungsverbesserungen (in %) in 108 europäischen <strong>Unternehmen</strong><br />

26<br />

de Meyer, A.: Creating in the Virtual Factory; Report on the 1992 European Manufacturing Futures Survey,<br />

Insearch, Frankreich


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

De Meyer hat seinerseits als Ausweg aus den gezeigten Schwierigkeiten <strong>die</strong> Förderung<br />

des virtuellen Betriebes vorgeschlagen. 10 Jahre später gibt es zwar überall „Virtualität“,<br />

aber <strong>die</strong> Probleme sind geblieben.<br />

Das Fraunhofer Institut ISI, Karlsruhe, hat in Auswertung seiner jährlichen Erhebungen in<br />

der deutschen Investitionsgüterindustrie geprüft, ob ein Zusammenhang zwischen der<br />

Umsatzrendite und einer Anzahl der in den 90er Jahren meist diskutierten und erprobten<br />

Maßnahmen besteht (vgl. Bild 18). Das Ergebnis ist deutlich: in den meisten Fällen sind<br />

<strong>die</strong> nachweisbaren Effekte eher mager, größere Vorteile lassen sich nur dann erzielen,<br />

wenn mehrere Maßnahmen kombiniert eingesetzt werden, wie <strong>die</strong> Profitraten-Unterschiede<br />

bei der Fertigungstiefe und der Wertschöpfung signalisieren.<br />

Maßnahmen, <strong>die</strong> vor 15 bis 18 Jahren durchaus noch Wettbewerbsvorteile eingebracht<br />

haben (z.B. Zertifizierung), haben ihren Charakter verändert. Sie sind zu Bedingungen<br />

des Verbleibens im Markt geworden, aus Vorteilen werden Mitgliedschaftsregeln der Gemeinschaft<br />

von Wettbewerbern: <strong>die</strong> Leistungen sind notwendig, um am Markt verbleiben<br />

bzw. in den Markt eintreten zu können. Sie kosten Geld, erbringen aber keine Vorteile<br />

(mehr). Das ist in etwa das Schicksal der allermeisten von Ingenieuren formulierten Kennziffern.<br />

Termintreue A<br />

Durchlaufzeit B<br />

Nachbearbeitung C<br />

und Ausschuß<br />

technische Verfügbarkeit D<br />

Umsatzanteil von E<br />

Marktneuheiten<br />

Entwicklungsdauer F<br />

für neue Produkte<br />

Wertschöpfung G<br />

pro Mitarbeiter<br />

Fertigungstiefe H<br />

4% 4,5% 5% 5,5% 6%<br />

6,5% 7%<br />

Daten: ISI, Mitteilungen aus der Produktionsinnovationserhebung 1997, Nr. 11, S.10 (Verfasser: S.Kinkel, G. Lay)<br />

45<br />

unteres Drittel<br />

mittleres Drittel<br />

oberes Drittel


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Bedeutung 3 Richtwerte für das beste<br />

für<br />

Drittel der <strong>Unternehmen</strong> Vorreiter Standard Nachzügler<br />

> 95% X<br />

A<br />

< 10/25 Tage 1 B X<br />

< 3% C X<br />

> 95% D X<br />

20/10 2 % E X<br />

≤ 10 Monate X F<br />

> 140.000 DM G X<br />

> 65% H X<br />

1 10 Tage: einfache Produkte; 25 Tage: komplexere Produkte<br />

2 20% Umsatzanteil: Produktneuheiten; 10% Umsatzanteil: Marktneuheiten<br />

3 Unterschied mehr als halbes Prozent maßgebend<br />

Bei etlichen Merkmalen sind <strong>die</strong> Rendite-Unterschiede bescheiden; andere Merkmale sind eher für Nachzügler<br />

interessant.<br />

Wirklich lohnend sind nur <strong>die</strong> beiden zuletzt aufgeführten Kennziffern "Wertschöpfung pro Mitarbeiter" und<br />

"Fertigungstiefe", zu ihrer Realisierung sind aber Strategien erforderlich; Maßnahmen allein reichen nicht.<br />

Offensichtlich gibt es eine Tendenz zur Einebnung von Vorteilen. - GfAH Zusammenstellung<br />

Welche Wettbewerbsvorteile hat ihr <strong>Unternehmen</strong> in den letzten 3 Jahren eingebüßt, welche Vorteile wurden<br />

gewonnen?<br />

Bild 18: Einfluss von Maßnahmen auf <strong>die</strong> Umsatzrendite - © GfAH<br />

Wenn also <strong>die</strong> Differenz von dL und dP durch den Wettbewerb und hierdurch angeregte<br />

Lernprozesse begründet worden ist, woher kommt dann noch <strong>die</strong> Differenz zwischen dP<br />

und dG? Warum wachsen häufig <strong>die</strong> Gewinne weniger als <strong>die</strong> Produktivität steigt?<br />

Im Kern sind zwei Ursachen zu benennen:<br />

• Im Zähler der Produktivitätskennziffer steht <strong>die</strong> Brutto-Wertschöpfung. Sie umfasst<br />

mehrere Positionen, der Gewinn ist "nur <strong>die</strong> Restgröße". Wachsen also einige <strong>die</strong>ser<br />

Positionen stärker als <strong>die</strong> Produktivität selbst, so sinkt der Gewinnzuwachs.<br />

• Im Nenner der Produktivitätskennziffer steht <strong>die</strong> Anzahl der Beschäftigten. Vielfach<br />

wird <strong>die</strong>se Zahl zu klein ausgewiesen, wodurch <strong>die</strong> Produktivität steigt. Die Produktivität<br />

wird zu einer Nebelkennziffer.<br />

Letztere Aussage ist zu erläutern: Bekannt ist der Sachverhalt, dass viele <strong>Unternehmen</strong><br />

Belegschaftsteile ausgegliedert haben und häufig um Einstellungen zu vermeiden, eher<br />

mit Leiharbeitern, Dienstleistern etc. operieren. Dies führt dazu, dass inzwischen zwei<br />

Arten von Personalkosten zu unterscheiden sind:<br />

einmal <strong>die</strong> arbeitsvertraglichen Personalkosten,<br />

zum anderen <strong>die</strong> auftragsvertraglichen Personalkosten.<br />

Werden nun beide Personalkostenarten als Anteile am Umsatz gemessen, so gilt:<br />

• <strong>die</strong> arbeitsvertraglichen Personalkosten haben in den vergangenen 50 Jahren im<br />

industriellen Durchschnitt ihre Umsatzanteile wenig verändert;<br />

• in den letzten 10 Jahren allerdings sind sie leicht gesunken;<br />

46


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

• innerhalb der arbeitsvertraglichen Personalkosten sind <strong>die</strong> Gehaltsanteile zu Lasten<br />

der Lohnanteile deutlich gestiegen. Sie werden in <strong>die</strong>sen Jahren <strong>die</strong> 50%-Marke<br />

überschreiten; <strong>die</strong> arbeitsvertraglichen Personalkosten bestehen dann im industriellen<br />

Durchschnitt zu über der Hälfte aus Gehaltszahlungen;<br />

• zu den auftragsvertraglichen Personalkosten zählen: Leiharbeit, Handwerksleistungen,<br />

Dienstleistungen und Teile der sonstigen Kosten (hier wird angenommen,<br />

dass etwa <strong>die</strong> Hälfte der sonstigen Kosten den Personalkosten zuzurechnen sind);<br />

• <strong>die</strong>se Kostenpositionen sind in den letzten 50 Jahren gestiegen.<br />

Werden beide Personalkostenarten zusammen gewählt, so ergeben sich eher steigende<br />

Personalkostenanteile 27 . Die Produktivität wird aber nur mit den arbeitsvertraglich Beschäftigten<br />

gerechnet. Gemessen an den tatsächlichen Personalkostenanteilen <strong>eines</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>s wird also eine chronisch überhöhte Produktivität ausgewiesen. Diese<br />

überhöhte Produktivität bedeutet zweierlei:<br />

sie erklärt mit (nicht alleine), wieso <strong>die</strong> Produktivität schneller wachsen kann als<br />

<strong>die</strong> Gewinne;<br />

und sie verdeutlicht, dass der vom Markt verschluckte Anteil der Leistungssteigerungen<br />

noch größer als zunächst beobachtet ist.<br />

Es liegt eine Freikarte zum Selbstbetrug vor.<br />

Bislang ist nur ein Teil der Ungleichung des Wettbewerbs beschrieben worden. In allgemeiner<br />

Form lautet <strong>die</strong> Ungleichung:<br />

><br />

dL= dP = dG<br />

<<br />

><br />

<<br />

Erörtert worden ist also der ungünstige Fall (dL> dP> dG). Unter welchen Bedingungen<br />

aber treten <strong>die</strong> beiden anderen Fälle (d≤ dP≤ dG) auf?<br />

Der Zwang zu neuem Wissen<br />

Dargestellt worden ist, wie Marktvorteile sich in Allgemeinwissen verwandeln. Dieser Prozess<br />

gilt tendenziell für alle Produkte, Prozesse und know-how-Vorteile, soweit sie entweder<br />

einem Nachlerner oder alternativen Neu-Erfindungen zugänglich sind.<br />

Deutschland ist auf <strong>die</strong>se Weise im 19. Jahrhundert zu einer maßgeblichen Industrienation<br />

geworden, Japan in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die ost-asiatischen alten<br />

und neuen Tigerstaaten werden <strong>die</strong>sen Weg wohl in der ersten Hälfte <strong>die</strong>ses Jahrhunderts<br />

zu Ende gehen.<br />

Hieraus folgt ein nahezu unstillbarer (objektiver) Bedarf 28 an neuen Gebrauchswerten, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong> verschlissenen alten Gebrauchswerte als Träger von Tauschwerten ersetzen. Wie<br />

27 Belege für <strong>die</strong> Industrie von 1950 bis 1999 in http:\\www.strukturwandel-zukunft.de. Für <strong>die</strong> empirischen<br />

Angaben zugrunde gelegt ist: Knödler, H.: Industrielle Kostenstrukturen im Wandel, aBL 1950-1994, Berlin<br />

2000<br />

28 Das schließt nicht aus, dass neues Wissen auch blockiert werden kann.<br />

47


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

wird <strong>die</strong>ser Bedarf gedeckt? Letztendlich durch <strong>die</strong> Mobilisierung von Wissen. Neues Wissen<br />

kann im Prinzip auf dreierlei Weise entstehen:<br />

entweder durch <strong>die</strong> Entdeckung neuer Wissensregeln (neue Erkenntnisse),<br />

oder durch <strong>die</strong> Re-Kombination vorhandener Wissensregeln, häufig aus verschiedenen<br />

Wissensgebieten,<br />

oder durch Mischungen aus den beiden erstgenannten Varianten.<br />

Um von der Mannigfaltigkeit der hieraus sich ergebenen Möglichkeiten eine Vorstellung<br />

zu bekommen, ist es hilfreich <strong>die</strong> Fakultätenrechnung heranzuziehen. Diese gibt an, wie<br />

viele einmalige Kombinationen aus n-Elementen bildbar sind. Diese n-Elemente können<br />

<strong>die</strong> Regeln <strong>eines</strong> Wissensgebietes oder verschiedener Wissensgebiete sein, <strong>die</strong> kombiniert<br />

werden.<br />

• Altshuller 29 hat durch <strong>die</strong> Analyse mehrerer tausend Patente auf den Wissensgebieten<br />

der Mechanik und Elektrotechnik herausgefunden, dass es 47 Prinzipien gibt,<br />

widersprüchliche Anforderungen zu lösen. Mit Hilfe von der Fakultätenrechnung ist<br />

leicht festzustellen, welches riesige Potenzial an einzigartigen Kombinationen alleine<br />

hieraus erwächst.<br />

• Es gibt in Deutschland ca. 1.000 verschiedene Stu<strong>die</strong>ngänge, <strong>die</strong> zusammen ca.<br />

10.000 verschiedene Stu<strong>die</strong>nschwerpunkte haben 30 .<br />

Über <strong>die</strong> Anzahl prinzipiell kombinierbarer Wissenselemente gibt es - soweit <strong>die</strong><br />

Kenntnisse des Verfassers reichen - nur Hinweise, keine genauen Zahlen.<br />

Diese sind auch nicht notwendig, da <strong>die</strong> Fakultätenrechnung zu viel mehr einzigartigen<br />

Kombinationen führt, als in den nächsten 1.000 Jahren überhaupt in <strong>Unternehmen</strong> vorstellbar<br />

sind. Es gibt also keinen Mangel an einzigartigen Möglichkeiten, sondern einen<br />

drastischen Überschuss: Das Kernproblem ist nicht <strong>die</strong> Erzeugung von Möglichkeiten<br />

neuen Wissens, sondern <strong>die</strong> Auswahl aus den vielfältigen Möglichkeiten: Die Trennung<br />

von unfruchtbaren und ergiebigen Möglichkeiten.<br />

Warum <strong>die</strong>ser Ausflug in das Reich der Möglichkeiten, der leicht als Euphorie missverstanden<br />

werden kann? Es geht um <strong>die</strong> Beschreibung einer grundlegenden Asymmetrie<br />

der Vergleichbarkeit von <strong>Unternehmen</strong>: Während jedes <strong>Unternehmen</strong> mit jedem anderen<br />

<strong>Unternehmen</strong> hinsichtlich ökonomischer Begriffe und hierdurch beschreibbarer Leistungen,<br />

vom Grundsatz her vergleichbar ist, gilt <strong>die</strong>s nicht für <strong>die</strong> stoffliche Seite der Produktion<br />

bzw. der Erstellung von Dienstleistungen. Trotz aller Angleichungs- und Einebnungstendenzen<br />

durch nachholendes Lernen bestehen, dem Grundsatz nach, auf der<br />

Gebrauchswertseite genügend Möglichkeiten für eine immer wieder neu erzeugte <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

der <strong>Unternehmen</strong>, also für <strong>die</strong> Nicht-Vergleichbarkeit.<br />

Die Andersartigkeit gegenüber den Wettbewerbern ist aber eine entscheidende Voraussetzung<br />

für den Zugang zu (neuen) Kunden, für das Überleben und Wachsen <strong>eines</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>s.<br />

29 Altshuller, G., a.a.O.<br />

30 Recherche von Lauenstein, Th., Dortmund 2002<br />

48


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Während es auf der Tauschwertseite, also bei den ökonomischen Begriffen, nur eine sehr<br />

begrenzte Anzahl von Basis-Optionen mit einer allerdings deutlich größeren Anzahl von<br />

Varianten gibt, gilt <strong>die</strong>s für <strong>die</strong> Gebrauchswertseite einer Ware, weshalb ein Kunde sie<br />

kauft, eben nicht. Hier besteht aber das Problem der Auswahl unter den Möglichkeiten<br />

einzigartiger Wissenskombinationen, <strong>die</strong> zu neuen Produkten, Dienstleistungen führen.<br />

Jede Ware - sei es ein Gut oder eine Dienstleistung - hat einen Doppelcharakter (Karl<br />

Marx): Sie ist zugleich Gebrauchswert und Tauschwert. Wegen ihres Gebrauchswertes<br />

wird sie vom Kunden gekauft, er zahlt dafür einen Preis. In der Ökonomie interessiert der<br />

Gebrauchswert nur als Träger des Tauschwertes: seine Gestalt, sein Nutzen etc. ist den<br />

Ökonomen gleichgültig. Dieses Desinteresse an den Gebrauchswerten erklärt, warum <strong>die</strong><br />

Ökonomie vergleichsweise arm an Handlungsvorschlägen ist, während <strong>die</strong> Wirklichkeit<br />

der <strong>Unternehmen</strong> reich an Möglichkeiten ist.<br />

Festzuhalten ist also: Der Wettbewerb als lernendes System entwertet beständig Leistungen<br />

(Wissen und Erfahrungen) und erzwingt gerade hierdurch, den Neuaufbau von Wissen,<br />

Erfahrungen in Form neuer Produkte und Prozesse. Genau hierin liegt <strong>die</strong> Chance<br />

einzigartiger <strong>Unternehmen</strong>. Zu beachten ist freilich, dass je nach Marktform <strong>die</strong> Intensität<br />

des Wettbewerbs sehr unterschiedlich ausfällt, was wiederum Auswirkungen auf den<br />

Zwang zur Erneuerung hat. Hierauf wird ausführlicher im Kapitel 6 „Optionen der Globalisierung“<br />

eingegangen werden.<br />

Im Ergebnis ist zunächst festzustellen: <strong>die</strong> Befassung mit dem Thema "Profitrate und<br />

Wettbewerb" führt zwingend zur Auseinandersetzung mit dem Neuaufbau, aber auch dem<br />

Abbau von Wissen in jedem einzelnen <strong>Unternehmen</strong>.<br />

3.3 Wissenszu- und -abgänge:<br />

Das PIMS 31 -Schema als Wissensinstrument<br />

� Bekannte, verwandte, neue Märkte und Produkte<br />

Vorstellung des PIMS-Schemas<br />

Wie lassen sich nun <strong>die</strong>se Überlegungen zur Wissensdynamik im <strong>Unternehmen</strong> nutzen?<br />

Beantwortet sei <strong>die</strong>se Frage zunächst anhand einer Neuinterpretation des PIMS-Schemas.<br />

Jedes <strong>Unternehmen</strong> kann seine Produkte und Märkte (Schema) nach den Ausprägungen<br />

bekannt, verwandt, neu sortieren:<br />

Bekannte Produkte bzw. Märkte oder Kunden sind <strong>die</strong> aktuellen Stammprodukte und -<br />

kunden; verwandte Produkte sind Produktneuerungen, <strong>die</strong> Weiterentwicklungen der<br />

Stammprodukte darstellen. Neue Produkte sind Marktneuheiten (aus Sicht des <strong>Unternehmen</strong>s),<br />

deren Unterschiede zu den Stammprodukten sind also beträchtlich. Ver-<br />

31 PIMS: Profit Impact of Market Strategy. Projekt von General Electric, USA unter Leitung von Sidney<br />

Schoeffer. Gestartet in den frühen 60ern des 20. Jahrhunderts, später unter wechselnden Leitungen fortgeführt.<br />

Für eine kritische Bilanz <strong>die</strong>ses enorm einflussreichen Projekts, vgl. Barzen, D., Wahle, P.: Das PIMS-<br />

Programm - was es wirklich wert ist, in: Harvard Manager 12/1990, Heft 1, S.100-119. Das PIMS-Projekt beinhaltet<br />

<strong>die</strong> Suche nach statistischen Regelmäßigkeiten zur Erklärung des return on investment; hierauf bezieht<br />

sich auch <strong>die</strong> kritische Bilanz von Barzen u. Wahle. Beachte: in <strong>die</strong>sem Bericht wird das PIMS-Schema<br />

radikal anders und neu interpretiert.<br />

49


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

wandte Märkte und Kunden sind eine Zwischenstufe zwischen Erst- und Stammkunden.<br />

Neue Kunden sind Erstkunden. Aus <strong>die</strong>ser Sortierung lässt sich eine Matrix: Produkte x<br />

Märkte (Kunden) bilden, sie stellt das PIMS-Schema dar, vgl. Bild 19.<br />

����������������<br />

Produkte<br />

neu<br />

verwandt<br />

bekannt<br />

Integration<br />

neuen<br />

Wissens<br />

4 8<br />

16<br />

����������������<br />

2 8<br />

4<br />

graduelles Lernen bei<br />

Nutzung von Erfahrungen<br />

1 2<br />

4<br />

bekannt verwandt<br />

neu<br />

����������������������<br />

Chancen/Risiken<br />

bekannt: 1<br />

verwandt 2<br />

neu 4<br />

neues<br />

Paradigma<br />

Integration<br />

neuen<br />

Wissens<br />

Vom Verfasser gesetzte Bewertung,<br />

um Zunahme von Chancen und Risiken<br />

darzustellen<br />

Bild 19: Das PIMS-Schema zum Zeitpunkt t0<br />

Märkte<br />

(Kunden)<br />

Das PIMS-Schema unterscheidet eine Produkt- und eine Marktdimension, beide Dimensionen<br />

sind in <strong>die</strong> Ausprägungen bekannt, verwandt, neu aufgeteilt. Mit zunehmendem<br />

Vorstoß ins Neue wachsen Chancen und Risiken, d.h. auch <strong>die</strong> benötigte Fähigkeit zum<br />

Umgang mit Unsicherheit. Für ein <strong>Unternehmen</strong> bedeutet das Schema, dass es mehrere<br />

Optionen hat:<br />

• es kann seine Marktkompetenz betonen,<br />

• es kann seine Produktkompetenz betonen,<br />

• es kann beide Kompetenzen kombiniert einsetzen.<br />

Die Sicherheitslinie gibt an, welcher Spielraum für begrenzte Risiken besteht. Markt- und<br />

Produktkompetenzen bezeichnen das könnende Wissen, vorhandene Erfahrungen in zusätzliche<br />

Produkte und Märkte zu verwandeln.<br />

Solange es um den Übergang bekannt - verwandt geht, kann auf konkretes vorhandenes<br />

Wissen zurückgegriffen werden, angereichert um Wissensergänzungen. Also liegt<br />

hier ein eher graduelles Lernen vor.<br />

Liegt hingegen der Übergang verwandt zu neu vor, geht es um deutlich neues Wissen,<br />

erst recht, wenn der Sprung von bekannt zu neu erfolgen sollte.<br />

50


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Entscheidend ist bei der Einbeziehung von Neuem: Die Erfahrungen ändern ihren Charakter;<br />

aus konkreten Erfahrungen müssen reflexive Erfahrungen 32 werden. Reflexive Erfahrungen<br />

abstrahieren aus konkreten Erfahrungen Denk- und Handlungsprinzipien, <strong>die</strong><br />

es erlauben, neue konkrete Erfahrungen effizienter und effektiver zu erwerben und zu<br />

nutzen.<br />

Ein <strong>Unternehmen</strong>, dass eine völlig neue Technologie einführt, kann <strong>die</strong> konkreten Erfahrungen<br />

mit der bislang genutzten Technologie nicht mehr nutzen. Nutzen kann es aber<br />

einen Teil der Regeln, <strong>die</strong> <strong>die</strong>sen alten Erfahrungen zugrunde liegen, sofern <strong>die</strong>se bewusst<br />

sind. Ein <strong>Unternehmen</strong>, das zusätzlich zu seinen Exporten nach Amerika mit dem<br />

Export nach China beginnt, kann <strong>die</strong> konkreten Amerikaerfahrungen kaum übertragen,<br />

wohl das Wissen, dass es in Amerika kulturelle, ökonomische-juristische Regeln gibt, <strong>die</strong><br />

von heimatlichen Mustern abweichen. Hieraus ergibt sich aber eine Batterie von Fragen,<br />

<strong>die</strong> Antworten auf <strong>die</strong> chinesischen Regeln suchen, etc.<br />

Neues Wissen kann also<br />

entweder neben alte Erfahrungen gestellt werden; etwa durch den Aufbau einer<br />

neuen Abteilung, <strong>eines</strong> neuen Betriebes etc. Dieser Weg der Integration durch<br />

Addition ist in Deutschland bis weit in <strong>die</strong> 80er Jahre dominant gewesen und verblasst<br />

nur allmählich;<br />

oder aber in reflexive Erfahrungen integriert werden, was aber eben <strong>die</strong> Reflexion<br />

konkreter Erfahrungen verlangt.<br />

Werden also <strong>die</strong> beiden PIMS-Dimensionen "Märkte und Produkte" in Kompetenzen<br />

übersetzt und <strong>die</strong>se wissensmäßig interpretiert, so ergeben sich etliche Gestaltungshinweise.<br />

Dynamisierung (Neuinterpretation)<br />

Nun ist <strong>die</strong> PIMS-Analyse eine Bestandsaufnahme zu einem bestimmten Zeitpunkt t0 .<br />

Wird nun aber ein Zeitraum etwa von 5 bis 10 Jahren betrachtet, so ist eine Dynamisierung<br />

der PIMS-Analyse <strong>die</strong> Folge. Wesentliches Kennzeichen <strong>die</strong>ser Dynamisierung ist,<br />

dass <strong>die</strong> eingezeichnete Sicherheitslinie zu wandern beginnt, vgl. Bild 20:<br />

32 Die Unterscheidung von dogmatischen und reflexiven Erfahrungen ist nachhaltig durch <strong>die</strong> Arbeit von<br />

Kohlgrüber, M.: Die Etablierung des Eigensinns von AnlagenfahrerInnen (unveröffentl. Diplomarbeit 1994,<br />

Univ. Dortmund, Prof.Dr. Malsch) angeregt worden.<br />

51


Produkte<br />

n<br />

V<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

• Im Zeitablauf findet eine beständige Transformation statt: aus neu wird verwandt, aus verwandt wird<br />

bekannt.<br />

• Die heutigen Risikobereiche (oberhalb der Sicherheitslinie) sind <strong>die</strong> Stammprodukte und -kunden von<br />

morgen.<br />

• Die Sicherheitslinie wandert.<br />

• Wandlungsfähigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s liegt vor, wenn es in der Lage ist, immer wieder neue<br />

Sicherheitslinien zu erreichen.<br />

Bild 20: Dynamisierung der PIMS-Analyse<br />

Wird eine Zeitstrecke betrachtet so wird aus<br />

b<br />

n<br />

V<br />

b V n<br />

b<br />

St -2<br />

n<br />

V<br />

b<br />

V<br />

St -1<br />

V<br />

n<br />

St 0<br />

bekanntem Wissen ⇒ veraltertes Wissen<br />

verwandtem Wissen ⇒ bekanntes Wissen<br />

neuem Wissen ⇒ verwandtes Wissen und später bekanntes Wissen etc.<br />

Mit anderen Worten: der heutige Hochrisiko-Bereich, neue Produkte und neue Märkte, ist<br />

übermorgen der bekannte, vertraute Kompetenzbereich. Der heutige sichere Bereich,<br />

bekannte Produkte und Märkte, ist morgen veraltert und übermorgen verschwunden.<br />

Auch zeigt sich, dass <strong>die</strong> häufige Empfehlung entweder neue Produkte oder neue Märkte<br />

zu suchen, kurzfristig richtig sein mag; langfristig aber fatale Konsequenzen hat:<br />

• werden über Jahre vorrangig neue Märkte erschlossen, wird also <strong>die</strong> Marktkompetenz<br />

forciert und <strong>die</strong> Produktkompetenz vernachlässigt, so wird das <strong>Unternehmen</strong> an<br />

veralterter Produktion scheitern;<br />

• werden über Jahre vorrangig neue Produkte entwickelt - also wird <strong>die</strong> Erschließung<br />

neuer Märkte vernachlässigt, so wird das <strong>Unternehmen</strong> ebenfalls scheitern - <strong>die</strong>smal<br />

am Mangel an Kunden.<br />

52<br />

n<br />

St +1<br />

St +2<br />

= Zeitachse<br />

Märkte (Kunden)


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Bei einer dynamischen Betrachtung geht es also um <strong>die</strong> Balancierung von Markt- und<br />

Produktkompetenzen, was kurzfristige Schwerpunktsetzungen nicht ausschließt - sofern<br />

eine Dogmatisierung derselben unterbleibt. Bei einem etwas größeren Zeithorizont ergibt<br />

sich aber eine wandernde Sicherheitslinie.<br />

Die Fähigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, immer wieder neue Sicherheitslinien zu erreichen,<br />

charakterisiert dessen Potenzial an Nachhaltigkeit oder Zukunftsfähigkeit, vgl. Kap. 2.<br />

Zeitsouveränität<br />

Aus der dynamischen Betrachtung des PIMS-Schema - also aus der Untersuchung der<br />

Verlagerung der Sicherheitslinien im Zeitablauf - folgt weiter, dass <strong>die</strong> drei Phasen "bekannt,<br />

verwandt, neu" um weitere zu ergänzen sind:<br />

• Bevor etwas neu ist, muss es als 'neu möglich' entdeckt werden, also ist eine Entdeckungsphase<br />

(e-Phase) (St + 2) vor <strong>die</strong> Neu-Phase (n-Phase) zu setzen.<br />

• Aus der Wandlung der bekannt-Phase (b-Phase) in <strong>die</strong> Verwandt-Phase (v-Phase)<br />

folgt auch, dass zu alte Produkte und Märkte abzustoßen, auszuschließen sind, also<br />

kommt eine a-Phase (für Aussortieren) hinzu. Abgeschlossen wird <strong>die</strong>ser Prozess<br />

durch <strong>die</strong> aufgelöste Sicherheitslinie St-2.<br />

Diese zeitlich vorwärts und rückwärts gerichtete Erweiterung der Sicherheitslinien ist im<br />

Bild 21 dargestellt. In der Realität haben Untenehmen sehr unterschiedliche Zeithorizonte:<br />

Es gibt <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> überwiegend nur in der Gegenwart existieren und <strong>die</strong> häufig<br />

Dringlichkeit vor Wichtigkeit setzen. Sie haben wegen ihrer Kurzatmigkeit einen Zeithorizont<br />

vom Typ III. Sie sind nicht zukunftsfähig. Es gibt andere <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> einen<br />

Zeithorizont vom Typ II haben (St1 bis St-1 ). Sie sind wandlungsfähig und bedingt zukunftsfähig.<br />

Ihr Risiko in bezug auf <strong>die</strong> Zukunft ist der Verlust der Richtung wegen der<br />

fehlenden Horizont-Sicherheitslinie. In bezug auf <strong>die</strong> Vergangenheit besteht ihr Risiko<br />

wegen der fehlenden Sicherheitslinie St-2 darin, dass sie möglicherweise überalterte Bestände<br />

nicht konsequent abgestoßen haben.<br />

Zeitsouveräne <strong>Unternehmen</strong> sind durch den Zeithorizont vom Typ I charakterisiert. Er<br />

umfasst <strong>die</strong> Zeitspanne St2 bis St-2. Diese <strong>Unternehmen</strong> verfügen über eine Horizont-<br />

Sicherheitslinie und sind sicher, dass <strong>die</strong> Vergangenheit abgeschlossen ist (St-2). Zeitsouveräne<br />

<strong>Unternehmen</strong> sind so strukturiert, dass sie gleichzeitig verschiedene Zeitalter (von<br />

übermorgen bis abgeschlossene Vergangenheit) verarbeiten. Diese <strong>Unternehmen</strong> sind<br />

nachhaltig (sustainable), also zukunftsfähig.<br />

53


aufgelöste Sicherheitslinie S -2<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Horizont-Sicherheitslinie S +2<br />

vorzubereitende Sicherheitslinie S +1<br />

aktuelle Sicherheitslinie S +0 III<br />

aufzulösende Sicherheitslinie S -1<br />

Typ I: zeitsouveräne, zukunftsfähige <strong>Unternehmen</strong><br />

Typ II: wandlungsfähige, bedingt zukunftsfähige <strong>Unternehmen</strong><br />

Typ III: Dringlichkeit vor Wichtigkeit - nicht zukunftsfähige <strong>Unternehmen</strong><br />

II<br />

Zeitachse<br />

Bild 21: Phasen-Schema der Erneuerung von Produkten und Märkten (© GfAH)<br />

I<br />

In KMU kann man häufiger auf <strong>Unternehmen</strong> stoßen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Reflexion der Vergangenheit,<br />

also ihre Erfahrung zur Strukturierung der Zukunft nutzen, wobei es eben nicht um<br />

Determinierung geht, sondern um Schlussfolgerungen, beispielsweise wie man sich auf<br />

Überraschungen vorbereiten kann. Die Thematisierung von Horizont-Sicherheitslinien (St2<br />

) meint nicht, über exakte Umsatzpläne für etwa 2015 verfügen zu müssen. Der Horizont<br />

hat eine spielerisch-kreative Bedeutung; er signalisiert <strong>die</strong> große Wahrscheinlichkeit, dass<br />

nach der Bewältigung der nächsten Herausforderungen (Erreichen von St1) neue Bewährungen<br />

kommen werden sowie <strong>die</strong> Gewissheit, auch <strong>die</strong>se zu bewältigen. Zeitsouveränität<br />

in dem hier vorgetragenen Sinn ist ausgesprochen reflexivitätsförderlich. Im Alltag wirkt<br />

sich das so aus, dass neben aller Respektierung dringlicher Aufgaben auch wichtige<br />

Themen ihren Platz finden.<br />

Einen praktischen Vorteil haben <strong>die</strong>se Überlegungen zur Produkt- und Marktkompetenz,<br />

zu den durch Ensembleleistungen (Abstimmen von Produkt- und Marktkompetenz) zu<br />

überwindenden Sicherheitslinien: sie sind relativ empiriehaltig, konkret. Die Vergangenheit<br />

ist bekannt, <strong>die</strong> Produkt- und Marktkompetenzen sind anhand von Produktinnovationen<br />

und Neukunden erfassbar. Die Investitionsvorstellungen signalisieren Zukunftsoptionen<br />

etc.<br />

Es macht also Sinn, verfügbare technisch-ökonomische Kennziffern zu nehmen, um sie<br />

nach ihren - manchmal versteckten - Wissensbeiträgen und ihrem Potenzial zu Aussagen<br />

über <strong>die</strong> auch zukünftige <strong>Unternehmen</strong>sentwicklung zu befragen. Die dynamisierte Be-<br />

54<br />

I, II, III<br />

unterschiedliche<br />

Zeithorizonte


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

trachtung <strong>eines</strong> alt-bekannten Instrumentes führt eben zu Wissens- und Nachhaltigkeitserkenntnissen.<br />

Export-Innovationstypologie der deutschen Investitionsgüter-Industrie<br />

Mitgerissen von etwas optimistischen Schlussausführungen des letzten Abschnitts ist <strong>die</strong><br />

Chance genutzt worden, einige der erörterten Aspekte empirisch darstellen zu können.<br />

Vereinfachend wird zwischen starker (+) und schwacher (-) Produktkompetenz sowie zwischen<br />

schwacher (-) und starker (+) Marktkompetenz unterschieden. Werden <strong>die</strong>se beiden<br />

dichotomisierten Dimensionen kombiniert, so entsteht eine 4-Felder-Tafel (vgl. Bild<br />

22).<br />

Marktkompetenz<br />

schwach stark<br />

Exportanteil am Umsatz<br />

kleiner 30% größer 30%<br />

Produktkompetenz<br />

schwach stark<br />

Anteil neuer Produkte am Umsatz<br />

kleiner 10% größer 10%<br />

Bewertung:<br />

Produktkompetenz<br />

verbessern<br />

Bewertung:<br />

nicht zukunftsfähig<br />

Bild 22: Produkt- und Marktkompetenz-Portfolio<br />

Die Produktkompetenz wird in Orientierung an <strong>die</strong> vorangegangenen Überlegungen durch<br />

den Anteil innovativer Produkte am Umsatz dargestellt. Die Marktkompetenz wird - mit<br />

Blick auf <strong>die</strong> Globalisierung - durch den Exportanteil am Umsatz ausgewiesen. Die Grenzen<br />

zwischen starker und schwacher Kompetenz, dargestellt durch <strong>die</strong> Umsatzanteile ab<br />

denen ein <strong>Unternehmen</strong> in <strong>die</strong> jeweils andere Bewertungsgruppe eingestuft wird, sind<br />

pragmatisch-experimentell ermittelt worden. Hier besteht Überprüfungsbedarf.<br />

Wären höhere Obergrenzen für <strong>die</strong> schwachen Kompetenzausprägungen ausgewiesen<br />

worden (etwa Exportanteil 40%, Innovationsanteil 20% am Umsatz), so wäre <strong>die</strong> Gruppe<br />

der nicht-zukunftsfähigen <strong>Unternehmen</strong> (vgl. vorhergehendes Bild) noch deutlich höher<br />

ausgefallen.<br />

Umgekehrt sind niedrigere Obergrenzen auch nicht vertretbar: Die Innovationsdimension<br />

hätte dann nicht mehr berücksichtigt werden können und <strong>Unternehmen</strong> mit einem Exportanteil<br />

bereits ab 20% als exportstark auszuweisen, ist unangemessen. Um Verzerrungen<br />

durch <strong>die</strong> Betriebsgröße zu vermeiden, sind <strong>die</strong> vier Felder getrennt für kleinere Betriebe<br />

55<br />

Bewertung:<br />

zukunftsfähig<br />

Bewertung:<br />

Marktkompetenz<br />

verbessern


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

(bis 99 Beschäftigte), mittlere Betriebe (100 bis 499 Beschäftigte) und größerer Betrieb<br />

(ab 500 Beschäftigte) ausgewiesen worden, vgl. Bild 23.<br />

Wie positionieren Sie Ihr <strong>Unternehmen</strong>?<br />

>30%<br />

Exportanteil<br />

am<br />

Umsatz<br />

< 30%<br />

>30%<br />

Exportanteil<br />

am<br />

Umsatz<br />

< 30%<br />

alle Betriebe<br />

n = 1178 = 100%<br />

56<br />

kleinere Betriebe bis 99<br />

Beschäftigte<br />

Anteil Produktneuheiten<br />

n = 665 = 100%<br />

Anteil Produktneuheiten am<br />

am Umsatz<br />

Umsatz<br />

< 10% > 10% < 10% > 10%<br />

22 22 44 17 15 32<br />

33 23 56<br />

>30%<br />

Exportanteil<br />

am<br />

Umsatz<br />

< 30%<br />

40 28 68<br />

55 45 100 57 43 100<br />

mittlere Betriebe<br />

100 bis 499 Beschäftigte<br />

n = 381 = 100%<br />

Anteil Produktneuheiten<br />

am Umsatz<br />

größere Betriebe: 500 und<br />

mehr Beschäftigte<br />

n = 132 = 100%<br />

Anteil Produktneuheiten am<br />

Umsatz<br />

< 10% > 10% < 10% > 10%<br />

28 26 54 33 44 77<br />

26 20 46<br />

>30%<br />

Exportanteil<br />

am<br />

Umsatz<br />

< 30%<br />

13 10 23<br />

54 46 100 46 54 100<br />

Quelle: Daten: Fraunhofer-Institut ISI, Karlsruhe; Darstellung: ©GfAH<br />

Bild 23: Export-Innovations-Typologie der deutschen Investitionsgüterindustrie 2001<br />

Die Daten zum Bild 23 sind freundlicherweise vom Fraunhofer Institut ISI in Form von 100<br />

Feld-Matrizen je Betriebsgröße zur Verfügung gestellt worden. Sie entstammen der jährlichen<br />

ISI-Produktinnovations-Erhebung 33 in der deutschen Investitionsgüterindustrie (hier:<br />

2001). Die Verantwortung für <strong>die</strong> Datenzusammenfassung und deren Interpretation liegt<br />

bei der GfAH. Obwohl <strong>die</strong>se ISI-Publikationen zumindest mehrheitlich wirklich bemerkenswerte<br />

Ergebnisse liefern, ist <strong>die</strong>se regelmäßige Erhebung insgesamt eher als noch<br />

ungehobener Schatz zu werten.<br />

Die empirischen Befunde lauten:<br />

22% aller Betriebe der Investitionsgüter-Industrie sind nach den hier vorgenommenen<br />

operativen Definitionen sowohl export- als auch innovationsstark. Im Sinne der<br />

Diskussion in Kapitel 3.2 verfügen sie über eine ausgeprägte Produkt- und<br />

Marktkompetenz, also über eine entwickelte Ensemblekompetenz, d.h. sie sind<br />

zukunftsfähig.<br />

33 Vgl. Lay, G., Fraunhofer-Institut für Systemtechnik und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe: Mitteilungen<br />

aus der Produktionsinnovations-Erhebung, fortlaufende, jährliche mehrmalige Veröffentlichung.


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

45% aller Betriebe sind entweder export- oder innovationsstark. Es fehlt also <strong>die</strong> jeweils<br />

komplementäre Absicherung:<br />

bei der einen Hälfte (22% aller Betriebe) fehlt es an Innovationsstärke;<br />

bei der anderen Hälfte (23% aller Betriebe) fehlt es an Exportstärke.<br />

33% aller Betriebe sind weder innovations- noch produktstark. Sie haben keine autonome<br />

Zukunft - nicht wenige leben von Gnaden anderer <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Differenziert nach Betriebsgrößen ist folgendes bemerkenswert:<br />

44% der großen Betriebe sind sowohl export- als auch innovationsstark.<br />

33% der großen Betriebe sind zwar export-, aber nicht innovationsstark. Hier sind also<br />

<strong>die</strong> langfristigen Exportpotenziale zumindest gefährdet.<br />

Bei den kleinen Betrieben ist es umgekehrt; hier sind 38% der Betriebe zwar innovationsstark<br />

aber exportschwach.<br />

Typ<br />

Marktkompetenz<br />

Innovationskompetenz<br />

57<br />

Betriebe in %<br />

alle größere mittlere kleinere<br />

1 + + 22 44 26 15<br />

2 - + 23 10 20 28<br />

3 + - 22 33 28 17<br />

4 - - 33 13 26 40<br />

100 100 100 100<br />

+ = stark; - = schwach (vergl. Text); Quelle: GfAH-Auswertung von ISI-Daten<br />

Bild 24: Produkt- und Marktkompetenz differenziert nach Betriebsgröße<br />

40% der kleineren und immerhin noch 26% der mittleren Betriebe sind sowohl als innovations-<br />

als auch als exportschwach eingestuft worden.<br />

Insgesamt ergibt sich aus der einfachen Kombination zweier Merkmale - Export- und Produktinnovationsanteil<br />

am Umsatz -ein ziemlich differenziertes Bild der deutschen Investitionsgüterindustrie.<br />

Es gibt viele zukunftsfähige Betriebe, aber noch viel mehr Betriebe sind<br />

<strong>die</strong>s nicht oder aktuell nur eingeschränkt zukunftsfähig. Aber auch <strong>die</strong> Bundesregierung<br />

wird <strong>die</strong> bisherige Arbeitsteilung der Ministerien überdenken müssen. Es reicht offensichtlich<br />

nicht, dass das Wirtschaftsministerium sich für Exporte und das Forschungsministerium<br />

sich für Innovationen interessiert. Die Zahlen belegen den Bedarf an der Verzahnung<br />

beider Gesichtspunkte.<br />

3.4 Finanz- und Prozesskompetenz:<br />

Aktualisierung der Erfahrungskurve<br />

� Cash Flow als Funktion des unternehmensspezifischen Wissens<br />

Die Erfahrungskurve der Boston Consulting Group (BCG).<br />

Neue Produkte und neue Märkte sind Chiffren für neues Wissen und dessen Umwandlung<br />

in unternehmensspezifisches Wissen. Die Erzeugung und mit Sicherheit <strong>die</strong> Umwandlung


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

<strong>die</strong>ses Wissens ist teuer und mit Unsicherheiten belastet. Neue Produkte und neue Kunden<br />

haben also als Zugangsvoraussetzung einen angemessenen cash flow. Dieser ist <strong>die</strong><br />

notwendige Erfolgsbedingung, der erst <strong>die</strong> Suche und Gestaltung der hinreichenden Erfolgsbedingungen<br />

(Entdeckung, Kreativität, Umsetzung etc.) ermöglicht. Es gilt Neues<br />

Wissen = f (cash flow). Woher kommt aber der cash flow?<br />

Es ist das Ver<strong>die</strong>nst der Boston Consulting Group 34 und insbesondere ihres Gründers A.<br />

Henderson, <strong>die</strong>ser Frage nachgegangen zu sein. Das Kernargument lautet: cash flow = f<br />

(kumulierte Erfahrung).<br />

Der cash flow ist eine Funktion der kumulierten Erfahrung des <strong>Unternehmen</strong>s. Etwa 20<br />

Jahre nach der Formulierung <strong>die</strong>ses Satzes, also heute, heißt das: Der cash flow ist abhängig<br />

von dem im <strong>Unternehmen</strong> kumuliert-genutzten Wissen.<br />

Umgangssprachlich formuliert:<br />

Das alte Wissen schafft also das Geld heran, um neues Wissen aufzubauen und<br />

sich hierdurch selbst zu zerstören, etc.<br />

<strong>Was</strong> bedeutet also <strong>die</strong> BCG-Regel?<br />

Für <strong>die</strong> Boston Consulting Group ist Erfahrung ein <strong>Unternehmen</strong>sbegriff und bezeichnet<br />

<strong>die</strong> über Jahre angesammelte Wirkung aller Maßnahmen zur Produkt-, Prozess- und<br />

Kundenverbesserung, also <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>serfahrung. Aufgrund empirischer Untersuchungen<br />

geht <strong>die</strong> BCG davon aus, dass mit jeder Umsatzverdoppelung (in konstanten<br />

Preisen) als Maß der <strong>Unternehmen</strong>serfahrung <strong>die</strong> Stückkosten um 20 bis 30% sinken.<br />

Diese Beziehung wird Erfahrungskurve genannt. Die wiederholte Verdoppelung von etwas<br />

ergibt <strong>die</strong> geometrische Reihe 1, 2, 4, 8, 16, 32, ... Bei konstanter Produktionskapazität<br />

und bei einem konstanten Kostensenkungspotenzial von 20% bedeutet <strong>die</strong>s, dass <strong>die</strong><br />

jährlichen Kostensenkungsraten sich in jeder Verdoppelungsperiode in etwa halbieren.<br />

Dauert z.B. eine Verdoppelungsdauer 4 Jahre, so beträgt - bei arithmetischer Durchschnittsrechnung<br />

- <strong>die</strong> jährliche Kostensenkungsrate 5%; bei einer 8-jährigen Verdoppelungsdauer<br />

beträgt sie 2,5% etc. Mit der Zeit wird also <strong>die</strong> kostensenkende Bedeutung der<br />

Erfahrungskurve immer geringer.<br />

Die 20 - 30% Kostensenkung je Verdoppelungsperiode ist so etwas wie <strong>die</strong> Werbemarke<br />

der Boston Consulting Groups der 80er Jahre. Tatsächlich sind sehr unterschiedliche<br />

Kostensenkungspotenziale (höhere und niedrigere) beobachtet worden 35 . Auch ist <strong>die</strong><br />

Konstanz der Kostensenkungsraten je Verdoppelungsperiode nicht zwingend. <strong>Was</strong> aber<br />

empirisch offensichtlich bleibt, ist <strong>die</strong>s: Mit zunehmendem kumulierten Produktionsmengen<br />

sinken <strong>die</strong> Preise (Kosten). Keppler et.al. haben 46 Produktinnovationen des 20.<br />

Jahrhunderts untersucht und teilen folgende durchschnittliche Änderungsraten mit (vgl.<br />

Bild 25):<br />

34 Vgl. von Oetinger, B. (Hrsg.): Das Boston Consulting Group Strategie-Buch, Düsseldorf 1993<br />

35 Vgl. Ghemawat, P.: Strategieplanung mit der Erfahrungskurve, in Harvard Business Manager, Strategie und<br />

Planung, Bd. 2, S. 18-24 (ohne Jahresangabe)<br />

58


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Jährliche, durchschnittliche Veränderungsraten in Jahrfünften<br />

nach Produkteinführung zusammengefasst<br />

Jahrfünft nach Produkteinführung<br />

Veränderungen 1. 2. 3. 4. 5. 6.<br />

Outputveränderungen 1<br />

Preis je Produktveränderungen 1,2<br />

1 Durchschnitt von 46 neuen Produkten<br />

2 inflationsbereinigt<br />

49,8 15,5 8,6 3,4 2,7 1,9<br />

-12,6 -8,1 -6,6 -6,0 -3,2 -2,6<br />

Bild 25: Empirische Quintessenzen der Keller-Graddy-Untersuchung: Die Diffussion von<br />

über 46 neuen Produkten im 19. und 20. Jahrhundert 36<br />

Die empirischen Quintessenzen:<br />

a) Es gibt eine charakteristische Wachstumskurve der verkauften Produktmengen.<br />

Zunächst hohen Wachstumsraten folgen abnehmende Wachstumsraten.<br />

b) Es gibt eine charakteristische Produkt-Preis-Kurve. Inflationsbereinigt folgen zunächst<br />

deutlichen Preissenkungen geringer werdende Preissenkungen.<br />

c) Die Dynamik der Veränderung ist - sowohl bei den Preisen als auch den Produktmengen<br />

- in den ersten Jahren des Diffusionsprozesses <strong>eines</strong> neuen Produktes<br />

deutlich größer als in den späteren Jahren.<br />

Gegensteuernde Maßnahmen sind Kapazitätserweiterung und Innovationen. Das hierdurch<br />

freigesetzte Umsatzwachstum ist aber keine beliebig frei wählbare Variante; es<br />

muss am Markt durchgesetzt werden. Hieraus folgt, dass der Marktanteil <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s<br />

<strong>die</strong> realisierte kumulative Erfahrung, das genutzte Wissen angibt. Die Marktanteile<br />

der Wettbewerber geben Auskunft über <strong>die</strong> Wissensvorteile bzw. -nachteile der einzelnen<br />

<strong>Unternehmen</strong>. Das bedeutet:<br />

• <strong>Unternehmen</strong> mit unterschiedlichen Marktanteilen haben unterschiedliches - im Sinne<br />

von weniger oder mehr - Wissen.<br />

• Gelingt es einem <strong>Unternehmen</strong>, Marktanteile an sich zu reißen, so wird - sofern <strong>die</strong><br />

potenziellen Synergien <strong>die</strong>ser Übernahme realisiert werden - hierdurch das know how<br />

der Konkurrenten entwertet.<br />

Es wird also nicht ein absoluter Zuwachs an Erfahrung/Wissen postuliert, sondern ein<br />

relationaler Zuwachs - im Vergleich und Unterschied zu den Konkurrenten. Maßgeblich<br />

ist also <strong>die</strong> Differenz der Wachstumsraten an Erfahrung zwischen dem <strong>Unternehmen</strong> und<br />

seinen Wettbewerbern.<br />

36 In: Gort, M., Klepper, S.: Time Paths in the Diffusion of Product Innovations“, Economic Journal, Vol .92<br />

(1982), S. 630, 653. Klepper, S., Graddy, E.: The Evolution of new Industries and the Determinents of Market<br />

Structure, R. an Journal of Economic, Vol. 21, 1/1990<br />

59


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Aktualisierung der Erfahrungskurve<br />

<strong>Was</strong> sind nun <strong>die</strong> Treiber, Träger <strong>die</strong>ser relationalen kumulativen Erfahrung? Die BCG<br />

zählt folgende Sachverhalte auf:<br />

• das Lernen der Individuen,<br />

• <strong>die</strong> Organisation mit Betonung zunehmender Arbeitsteilung,<br />

• <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sgröße, da von ihr <strong>die</strong> Umsatzhöhe und <strong>die</strong> Schnelligkeit ihrer<br />

Verdoppelbarkeit abhängen und<br />

• <strong>die</strong> Investitionsentscheidungen, als Maßstab der Nutzung neuen Wissens. Sowohl<br />

das eigene wie auch das zugekaufte Wissen gehören hierzu.<br />

Die Erfahrungskurve gibt also <strong>die</strong> Gesamtanstrengungen des <strong>Unternehmen</strong>s zur Kostensenkung<br />

wieder - sie ist also kein Automatismus, wie sie fälschlicherweise manchmal<br />

gesehen wird. So gesehen kann man sagen, <strong>die</strong> Erfahrungskurve beschreibt <strong>die</strong> Prozesskompetenz<br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s. Die Finanzkompetenz - zuständig für <strong>die</strong> Steuerung der<br />

komplementären Finanzströme - ist Voraussetzung und Folge <strong>die</strong>ser Prozesskompetenz.<br />

Es ist aber erkennbar, dass das soeben vorgestellte Treiber-Ensemble eher dem Paradigma<br />

(Muster) der fordistischen Massenproduktion entspricht als heutigen Produktionskonzepten.<br />

Die Erfahrungskurve - heute formuliert - hat folgende Treiber:<br />

• Das Lernen als reflexives Lernen, also 'lernen zu lernen', insbesondere das Verändern<br />

von Veränderungen.<br />

• Die Organisation als arbeitsteilig-integratives Konzept mit der Betonung von Kommunikation<br />

und Kooperation.<br />

• Die <strong>Unternehmen</strong>sgröße abgewertet und stark um Netzwerke ergänzt.<br />

• Die Investitionsentscheidungen mit besonderer Betonung der Erzeugung von Flexibilität.<br />

Insgesamt hinzu kommt als eigener Begriff das Konzept einer umfassenden quantitativen<br />

und qualitativen Flexibilität von Prozessen, Produkten und Kundenbeziehungen. Die<br />

Märkte sind eben zwar größer, aber auch chaotischer in ihren Anforderungen geworden.<br />

Flexibilität beschreibt aber eher ein Ergebnis als <strong>die</strong> Treiber, <strong>die</strong> zu <strong>die</strong>sem Ergebnis führen.<br />

Während Flexibilität in aller Munde ist, sind <strong>die</strong> sie ermöglichenden Prozesse wesentlich<br />

weniger verstanden. Sie bauten auf der wachsenden Reflexivität von Leistungen.<br />

Unter Reflexivität wird <strong>die</strong> Anwendung <strong>eines</strong> Sachverhaltes auf sich selbst verstanden,<br />

also:<br />

• Lernen zu lernen.<br />

• Planen zu planen.<br />

• Organisieren zu organisieren.<br />

• Programme programmieren.<br />

• Das Verändern verändern.<br />

60


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Reflexive Mechanismen sind als Leistungen einer modernen Organisation vor 40 Jahren<br />

von dem Soziologen Niklas Luhmann 37 formuliert worden. Die Mikroelektronik ist <strong>die</strong><br />

Technologie, <strong>die</strong> ihre breite Umsetzung ermöglicht hat.<br />

Gilt angesichts <strong>die</strong>ser Musterveränderungen das Konzept der kumulativen Erfahrung<br />

noch? Gilt es in Deutschland, dass sich von den USA, wo es entstanden ist, durch eine<br />

deutlich mittelständischere Wirtschaft unterscheidet? Die Antwort ist mehrteilig: An der<br />

empirischen Prinzipaussage, wachsende Produktmengen - sinkende inflationsbereinigte<br />

Preise, besteht wenig Anlass zum Zweifel. Allerdings dürfte es heute zum Teil erheblich<br />

schwieriger sein als vor Jahrzehnten, angemessene Daten zu erheben. Die Gründe liegen<br />

in den angegebenen Veränderungen der Produktionsprozesse. Theoretisch muss <strong>die</strong> Bedeutung<br />

der kumulativen Erfahrung oder des <strong>Unternehmen</strong>s-know-how eher deutlich gestiegen<br />

sein.<br />

Im Vergleich zum fordistischen Konzept ist das neue <strong>Unternehmen</strong>smuster deutlich reflexiver,<br />

wodurch das Verarbeitungspotenzial von Veränderungen erheblich steigt. Reflexive<br />

Erfahrungsmuster müssen aber wie konventionelle Erfahrungsmuster geübt und nochmals<br />

geübt werden. Sie sind schwieriger zu erlernen und noch schwieriger routinemäßig<br />

zu beherrschen.<br />

Einmal gelernt und beherrscht sind sie (fast) noch schwieriger zu ändern als das alte<br />

Muster. Einfach, weil <strong>die</strong> Erinnerungen an <strong>die</strong> Aneignungsprobleme noch vorhanden sind,<br />

vor allem aber, weil <strong>die</strong> Einarbeitungszeiten deutlich länger sind und auch häufiger wiederholt<br />

werden müssen. Mit der Übung durch Wiederholung gilt also auch, dass Muster<br />

entstehen, <strong>die</strong> mit zunehmender Übung nur schwer zu ändern sind.<br />

Reflexive Muster haben zwar ein höheres Verarbeitungspotenzial von sich ändernden<br />

Anforderungen als einfache standardisierte Lösungen. Aber sie ten<strong>die</strong>ren ebenso und<br />

vielleicht noch stärker als letztere zur Erstarrung und Dogmatisierung. Es gibt tatsächlich<br />

so etwas wie erstarrte oder dogmatisierte Reflexivität, was immer dann deutlich wird,<br />

wenn Änderungen außerhalb des Korridors an zugelassenen Änderungen anfallen.<br />

Als Erfahrungswert kann gesagt werden: Reflexive Muster haben, gerade wegen ihrer<br />

größeren Komplexität, einen erheblichen Hang zur Selbst-Täuschung, zur Illusionierung.<br />

Wenn mit einem reflexiven Muster so viele Veränderungen, so viele Überraschungen<br />

korrekt bewältigt worden sind, wie soll dann erkennbar sein, wann ein Sachverhalt, eine<br />

Information nicht in das bewährte Verarbeitungsmuster passt? Hierauf wird im Folgenden<br />

(etwas) näher einzugehen sein.<br />

Ensemble-Kompetenz<br />

Vorzugsweise in der Nähe ökonomischer Begriffe und Erfahrungen sind Bestand, Aufund<br />

Abbau <strong>eines</strong> unternehmensspezifischen Wissens als Grundlage der <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s erörtert worden. Es ist <strong>die</strong>s eine – wissenschaftlich gesprochen –<br />

funktionale Diskussion. Wird <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s als dessen entschei-<br />

37 Vgl. Luhmann, N.: Reflexive Mechanismen, in: Soziologische Aufklärung, Köln und Opladen 1970<br />

61


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

dende Leistung zur dauerhaften Regulierung seiner System-Umwelt-Beziehungen gesetzt,<br />

vgl. Kapitel 2, so ist zu prüfen, wodurch <strong>die</strong>se Leistung erbracht werden kann. Die<br />

Antwort <strong>die</strong>ses Kapitels lautet:<br />

durch Wissenserzeugung und Wissensnutzung, d.h. durch Umwandlung in<br />

unternehmensspezifisches neues Wissen.<br />

Aus Sicht <strong>eines</strong> Unternehmers geht es (fast) immer um könnendes, also nutzbares Wissen.<br />

Dieses könnende Wissen ist mit den 4 Kompetenzen:<br />

Produkt-Kompetenz,<br />

Markt-Kompetenz,<br />

Prozess-Kompetenz und<br />

Finanz-Kompetenz<br />

beschrieben worden. Diese bilden zusammen <strong>die</strong> Ensemble-Kompetenz <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

In <strong>die</strong>ser Ensemble-Kompetenz müssen <strong>die</strong> Kernkompetenzen <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s,<br />

<strong>die</strong> den Unterschied zu den Wettbewerben markieren, eingelagert sein. Es ist nicht<br />

zwingend vorgeschrieben, dass <strong>die</strong> Kernkompetenz im Bereich der Produktkompetenz<br />

liegt, obwohl <strong>die</strong>s empirisch häufig der Fall ist. Aber es gibt auch, gerade bei<br />

Dienstleistern, Beispiele dafür, dass infolge überragender Logistikleistungen ihre Kernkompetenz<br />

im Bereich der Marktkompetenz liegt, etc. Das Zusammenspiel <strong>die</strong>ser Kompetenzen<br />

kann wiederum als <strong>die</strong> Schlüsselleistung <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s gesehen werden,<br />

<strong>die</strong> eine unternehmensspezifische Wissenserzeugung und -nutzung ermöglichen.<br />

Für <strong>die</strong> Finanzkompetenz und <strong>die</strong> Prozesskompetenz gilt ebenso wie für <strong>die</strong> Produkt- und<br />

Marktkompetenz: Vergangenheit und Zukunft treffen sich in der Gegenwart und stellen<br />

widersprüchliche Anforderungen. <strong>Was</strong> heute richtig ist und eben durch <strong>die</strong> Entwicklung<br />

der Vergangenheit in <strong>die</strong> Gegenwart richtig geworden ist, gilt um so weniger, je deutlicher<br />

eine längerfristige Zukunft zugelassen wird.<br />

So wie es überaus kurzfristig einleuchtend ist, <strong>die</strong> Sicherheitslinie der PIMS-Analyse nicht<br />

zu überschreiten, so sicher ist auch, dass sie längerfristig überschritten werden muss. So<br />

wie es überaus sinnvoll ist, das vorhandene unternehmensspezifische Wissen zu pflegen,<br />

da hierdurch der cash flow erzeugt wird, so gilt ebenso, dass der cash flow auch dazu zu<br />

verwenden ist, um durch neues Wissen das vorhandene Wissen zu zerstören.<br />

Der Katalog der Störungen und Konflikte ist damit allenfalls eröffnet und in keiner Weise<br />

erschöpfend behandelt. Zwischen den verschiedenen Teilkompetenzen bestehen teilweise<br />

Konflikte, teilweise sind auch <strong>die</strong> kompetenzinternen Anforderungen nicht widerspruchsfrei.<br />

Die Komplexität der Teilkompetenzen und <strong>die</strong> widersprüchlichen Anforderungen<br />

verlangen funktional einen Weg der Schlichtung. Der Abgleich unterschiedlicher<br />

Anforderungen (und Konflikte) sei - wie bereits geschehen - als Ensemblekompetenz bezeichnen.<br />

Die Ensemblekompetenz sichert k<strong>eines</strong>wegs immer optimale Entscheidungen,<br />

aber sie sichert <strong>die</strong> Vermutung, dass alle Konflikte rational entscheidbar sind.<br />

62


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 3 Wissenserzeugung und -nutzung<br />

Das nachfolgend grafisch dargestellte Kompetenz-Ensemble entspricht in etwa den<br />

DaWa-Gestaltungsfeldern 38 oder denen der Balanced Score Card 39 . Wie sollte es auch<br />

anders sein?<br />

Kompetenzen<br />

der<br />

Finanzkompetenz<br />

Prozesskompetenz<br />

reflexiv<br />

���������<br />

��������� ���<br />

����������<br />

�����������<br />

���<br />

�����������<br />

reflexivitätsförderliche<br />

Organisation<br />

Produktkompetenz<br />

Markt-/Kundenkompetenz<br />

Bild 26: Kompetenz-Ensemble zur Bewältigung widersprüchlicher Anforderungen<br />

Eher neu ist <strong>die</strong> Betonung von reflexiven Erfahrungen und reflexivitätsförderlicher Organisation.<br />

Diese Begriffe werden von erheblicher Bedeutung sein, wenn es um <strong>die</strong> Übersetzung<br />

der funktionalen Analyse, <strong>die</strong> sich mit erbrachten bzw. zu erbringenden Leistungen<br />

befasst, in <strong>die</strong> Untersuchung der Strukturen, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Träger der Leistung organisieren,<br />

geht.<br />

Neu ist der Begriff Ensemble-Kompetenz. Balanced Score Card und das DaWa-Modell<br />

haben als Steuerungsinstanz ein Cockpit, das Kennzahlen verwaltet. Kennzahlen aber<br />

schlichten keine Widersprüche. Hierzu bedarf es Menschen als Funktionsträger, <strong>die</strong> nach<br />

bestimmten Regeln kommunizieren und entscheiden. Erinnert sei exemplarisch an <strong>die</strong><br />

Ausführungen zur Zeitsouveränität, um anzudeuten, wie unterschiedlich <strong>die</strong> Ensemble-<br />

Kompetenz in <strong>Unternehmen</strong> qualitativ strukturiert sein kann.<br />

Mit der Neuinterpretation einer dynamisierten PIMS-Analyse und der Re-Aktualisierung<br />

der Erfahrungskurve sollte - wie bei der Analyse der Profitrate - auch demonstriert werden,<br />

dass ökonomische Lehrstücke vom Range einer Selbstverständlichkeit mehr über<br />

<strong>die</strong> Wissensdynamik in einem <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> auf <strong>Einzigartigkeit</strong> zielende Wissenserzeugung<br />

und Wissensnutzung, kurz mehr über <strong>die</strong> Zukunftsfähigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s<br />

verraten, als ihnen vielleicht zugetraut wird.<br />

38 Hartmann, M.: DaWa-Basispapier, Dauerhafte Wandlungsfähigkeit im Überblick, Stuttgart 2003<br />

39 Kaplan, R.S., Norton, D.P.: Balanced Score Card, Stuttgart 1997<br />

63<br />

Humanressourcen


4. Wissensverankerung<br />

4.1 Embedded Knowing 40<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> ist <strong>die</strong> Schlüsselleistung <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, mit der es sich in turbulenten<br />

Märkten behauptet und entwickelt. <strong>Einzigartigkeit</strong> muss immer wieder erzeugt werden.<br />

Dies geschieht durch den beständigen Auf- und Abbau <strong>eines</strong> unternehmensspezifischen<br />

Wissens, wobei es sich in bezug auf <strong>die</strong> Kernkompetenzen <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s um<br />

exclusives Wissen und in bezug auf dessen Basiskompetenzen um ein bestmögliches<br />

allgemein zugängliches Wissen handeln muss.<br />

Die verschiedenen Aspekte, <strong>die</strong> zum Wissen <strong>eines</strong> einzigartigen <strong>Unternehmen</strong>s gehören,<br />

sind in dem Bild 27 zusammengestellt: es ist schon ein bemerkenswert langer Katalog an<br />

Anforderungen.<br />

1. Könnendes,<br />

2. unternehmensspezifisches,<br />

3. integratives,<br />

4. neugierig-reflexives<br />

5. Ensemblewissen, mit dem das <strong>Unternehmen</strong><br />

6. neues Wissen aufnimmt und/oder entwickelt,<br />

7. veraltertes Wissen abstößt, und zwar<br />

8. in Auseinandersetzung mit dem Marktgeschehen und<br />

9. der Nutzung ökonomischer Kennziffern als Bewertungsmaßstab<br />

sowie<br />

10. der Verfolgung von Zielsetzungen des <strong>Unternehmen</strong>s als Orientierungsmuster<br />

Die Merkmale<br />

1. bis 5. beschreiben <strong>die</strong> Struktur des<br />

Wissens<br />

6. plus 7. beschreiben <strong>die</strong> Dynamik des<br />

Wissens:<br />

8. bis 10. beschreiben das relationale<br />

Wissen:<br />

64<br />

das erfahrungsgesteuerte Ensemblewissen<br />

das Veränderungswissen<br />

das Abgleichwissen<br />

Die verschiedenen Aspekte <strong>die</strong>ses Wissens <strong>eines</strong> einzigartigen <strong>Unternehmen</strong>s sind<br />

in den Kapiteln 2 und 3 erörtert worden.<br />

Bild 27: Das Wissen einzigartiger <strong>Unternehmen</strong><br />

Die Erörterung von Leistungen (Funktionen, <strong>die</strong> einen Bezugspunkt erbringen (hier: <strong>die</strong><br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s) wird als funktionale Analyse bezeichnet. Gilt eine<br />

Beziehung: Y = f (x,z), so befasst <strong>die</strong> funktionale Analyse sich mit den Y-Werten und lässt<br />

zunächst offen, welche x,z-Werte <strong>die</strong>se Funktion erbringen. Ebenso ist <strong>die</strong> Spezifizierung<br />

von "f" offen, d.h. <strong>die</strong> Festlegung in welchen Formen (Gerade, Hyperbel etc.) x,z etc. agieren.<br />

Klar ist nur, es sind Leistungserbringer erforderlich und <strong>die</strong>se müssen in Strukturen<br />

(ausgedrückt durch "f") tätig sein. Ohne <strong>die</strong>se Bedingungen ist keine Leistung möglich.<br />

40 Hinter <strong>die</strong>ser Formulierung liegt ein Gebirge an Wissens-Theorie - allerdings im Nebel verborgen. Wer<br />

trotzdem hindurch und hinauf möchte, sei verwiesen auf: Tomassini, M.C.: Theories of knowledge<br />

development within organisations - a prediminay over view, in: Nyhon, B. (ed.) Taking stepts towards the<br />

knowledge society (Cedefop, Reference series; 35), Luxemburg, Office for Publications of the European<br />

Communities, 2002


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Der Vorteil <strong>die</strong>ser funktionalen Sichtweise besteht darin, dass der Blick frei wird für verschiedene<br />

Leistungsträger und Strukturen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Leistungen erbringen. Strukturen und<br />

Leistungsträger werden also vergleichbar, variierbar und somit veränderbar oder gar<br />

austauschbar.<br />

Die Ökonomie mit der Betonung der Profitrate ist vielleicht das bekannteste Beispiel einer<br />

funktionalen Analyse. Aus Sicht der funktionalen, hier der ökonomischen Analyse, ist es<br />

zunächst beliebig, welche konkreten Gebrauchswerte Gewinne erbringen. Wenn aber aus<br />

<strong>die</strong>ser Beliebigkeit, <strong>die</strong> auch Wählbarkeit von Optionen beinhaltet, Gleichgültigkeit, Ignoranz<br />

und Desinteresse werden, so tritt eine enorme Verarmung an Handlungsmöglichkeiten<br />

ein, wie im Kapitel 3 erörtert worden ist.<br />

Die Chance einer funktionalen Analyse besteht also in der Eröffnung von Möglichkeiten,<br />

Optionen. Das Risiko einer funktionalen Analyse besteht jedoch darin, dass aus dem Wissen<br />

um Möglichkeiten Gleichgültigkeit und Ignoranz werden. Hieraus folgt, dass <strong>die</strong> funktionale<br />

Analyse zu einer funktional-strukturellen Analyse zu erweitern ist, <strong>die</strong> das Spektrum<br />

von Lösungsmöglichkeiten aufzeigt. Hierbei sind zwei Schritte zu unterscheiden:<br />

Einmal geht es darum, <strong>die</strong> Regeln zu bestimmen, nach denen <strong>die</strong> erörterten x,z-Werte in<br />

y-Werte übersetzt werden.<br />

Ist <strong>die</strong>s geschehen, können <strong>die</strong> verschiedenen x,z-Werte, <strong>die</strong> y - hier: <strong>Einzigartigkeit</strong> - erzeugen,<br />

erörtert werden.<br />

Dieses allgemeine Arbeitsprogramm wird für das hier zu verhandelnde Thema, <strong>die</strong> Wissensverankerung<br />

wie folgt konkretisiert:<br />

Ausgangspunkt der Überlegungen ist <strong>die</strong> Unterscheidung von Individuen (Beschäftigte)<br />

und Organisationen (Betrieb, <strong>Unternehmen</strong>). Mittels des HP-Konstruktes 41 , das in Kapitel<br />

4.2 vorgestellt wird, geht es um <strong>die</strong> Darlegung der Regeln, mittels derer <strong>die</strong>se Beziehungen<br />

gestaltet werden.<br />

Zur Begründung für <strong>die</strong>ses Vorgehen sei stellvertretend für viele andere an Nonaka und<br />

Takeuchi 42 erinnert, <strong>die</strong> lakonisch feststellen: Individuen lernen und erzeugen neues Wissen;<br />

Organisationen lernen, indem sie ein gleichsinniges (nicht einfach gleiches), d.h.<br />

auch komplementäres Lernen vieler Individuen in einem <strong>Unternehmen</strong> organisieren.<br />

Organisationen legen eben <strong>die</strong> Arbeitsteilung fest und koordinieren sie.<br />

In den folgenden beiden Abschnitten wird <strong>die</strong> eher allgemeine Beziehungsanalyse zwischen<br />

Individuum und Organisation nach Gesichtspunkten der Wissenserzeugung und -<br />

verankerung zugespitzt. Hierzu werden zwei neue Instrumente vorgestellt:<br />

<strong>die</strong> Arbeitskräfte-Einsatz-Bilanz (AKE-Bilanz) und<br />

<strong>die</strong> Innovativitäts-Beschäftigungs-Typologie.<br />

41 Harriot und Pemberton-Konstrukt; Erläuterungen siehe Kapitel 4.2.<br />

42 Vgl. Nonaka, J., Takeuchi, H.: a.a.O.<br />

65


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Die AKE-Bilanz beschreibt Umfang und Intensität von Lern- und Kreativitätsanforderungen,<br />

mit denen <strong>die</strong> Beschäftigten konfrontiert werden und sie zeigt, wie <strong>die</strong>se Anforderungen<br />

bewältigt werden. Die empirische Auffüllung geschieht mittels repräsentativer Daten,<br />

<strong>die</strong> so beschaffen sind, dass auch betriebsindividuelle Erwartungswerte berechnet werden<br />

können.<br />

Während <strong>die</strong> AKE-Bilanz eher Mikrostrukturen, als Arbeitssystem-Konstellationen analysiert,<br />

ist <strong>die</strong> Innovativitäts-Beschäftigungs-Typologie an der Beschreibung gesamtbetrieblicher<br />

Konstellationen und ihrer Dynamik interessiert. Gezeigt werden wird, wie <strong>die</strong>se<br />

Konstellationen sich auf Lern- und Kreativitätsanforderungen sowie <strong>die</strong> Art und Weise<br />

ihrer Bewältigung auswirken.<br />

Wie bei der AKE-Bilanz gilt auch für <strong>die</strong> gesamtbetriebliche Konstellationsanalyse, Regeln<br />

zu formulieren, wie Wissen verankert wird. Diese Regeln sind aber so aufgebaut, dass<br />

das einzelne <strong>Unternehmen</strong> sie entweder als Benchmark nutzen oder sie selbst erzeugen<br />

kann.<br />

Das hier vorgetragene Arbeitsprogramm zur Analyse der Wissensverankerung ist arg<br />

selektiver Natur; es gibt viel mehr Möglichkeiten für eine solche Analyse. Erhofft wird<br />

aber, dass <strong>die</strong>se Selbstbeschränkung durch <strong>die</strong> Vorlage neuer bislang nicht bekannter<br />

Empirie und hieraus abgeleiteter Aussagen ein wenig ausgeglichen wird.<br />

Am Schluss <strong>die</strong>ses Kapitels schließlich wird zumindest andeutungsweise gezeigt, dass<br />

<strong>die</strong> vorgenommene Themenauswahl auch ein produktives, d.h. kreativitätssteigerndes<br />

Potenzial hat. Dargelegt werden wird, dass sich aus den vorgetragenen Argumenten,<br />

Konvergenztendenzen aus sehr unterschiedlichen Forschungsrichtungen ergeben.<br />

Das eigentliche Interesse besteht aber darin, dem "Embedded Knowing", dem eingebetteten,<br />

verankerten Wissen der <strong>Unternehmen</strong> so nachzuspüren, dass einmal <strong>die</strong> Potenziale<br />

seiner Veränderbarkeit sichtbar werden und dass außerdem noch das einzelne<br />

<strong>Unternehmen</strong> hieraus Nutzen ziehen kann.<br />

4.2 Das HP-Konstrukt: Prozessmodell wiederholter<br />

Erfahrungsabgleiche zwischen Individuum und<br />

Organisation<br />

� Das Modell 43<br />

Im Anschluss an <strong>die</strong> Arbeiten von Agryris 44 haben Harriot und Pemberton 1996 45 einen<br />

Quintessenzenaufsatz zur sozialwissenschaftlichen Forschung über <strong>die</strong> Beziehungen<br />

zwischen Individuen und einer Organisation vorgelegt. Zentrales Ergebnis ist das Modell<br />

43<br />

Den Hinweis auf <strong>die</strong> Arbeiten von Harriot, P. und Pemberton, C. verdankt der Verfasser C. Brasse,<br />

Prospektiv GmbH, Dortmund.<br />

44<br />

Argyris, C.: Understanding Organisational Behaviour; Illinois 1960;<br />

45<br />

Harriot, P., Pemberton, C.: Contracting Careers, Human Relations, 1996, Nr. 6, S. 759-790; Harriot, P.,<br />

Pemberton, C.: Faciliating new deals, Human Research Management Management Journal, Vol.7, Nr.1, S.45<br />

66


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

des "psychological contract defined as the perceptions of both parties to the employment<br />

relationsship, organisation and individual of the obligations implied in the relationship" 46 .<br />

Die Leistung der Verfasser besteht vor allem darin, aus einem einmaligen Vertragsabschluss<br />

ein Modell wiederholter Erfahrungsabgleiche entwickelt zu haben, siehe Bild 28.<br />

In einer späteren Arbeit berichten sie über <strong>die</strong> betriebspraktische Erprobung ihres Modells<br />

47 . Auf abstrakter Ebene kann der Harriot/Pemberton-Ansatz als allgem<strong>eines</strong> Kontrakt-Modell<br />

zweier Vertragsparteien gesehen werden. Entscheidend ist <strong>die</strong> Prozess-Vorstellung,<br />

<strong>die</strong> Harriott u. Pemperton entwickelt haben. Es wird <strong>die</strong> Sequenz gesetzt:<br />

• beiderseitige Information über jeweilige Interessen<br />

• Formulierung <strong>eines</strong> Angebotes von beiden Seiten<br />

• Verhandlung<br />

• Abschluss, d.h. Abbruch oder Aufnahme einer Tätigkeit<br />

• beiderseitige Auswertung, d.h. jeder für sich oder beide zusammen werten <strong>die</strong> gemachten<br />

Erfahrungen aus,<br />

• Neuverhandlung: Fortsetzung oder Beendigung<br />

• Wiederholung von Tätigkeit und Bewertung.<br />

Zeit Stufe Vorgang<br />

t1 Information<br />

t2 Verhandlung ***<br />

t3 Bewertung<br />

t4<br />

tn<br />

Neuverhandlung oder<br />

Ausstieg, Kündigung<br />

Wiederholung<br />

Arbeitgeber formuliert Wünsche, Interessen, überlegt Angebot; Arbeitnehmer<br />

bedenkt seine Wünsche, Interessen, überlegt Angebot<br />

Angebotsvorschläge beider Seiten werden vorgelegt, verhandelt und<br />

abgeschlossen **<br />

Beide Seiten beantworten gemeinsam oder jede für sich <strong>die</strong> Fragen:<br />

- Ist <strong>die</strong> Vereinbarung eingehalten worden?<br />

- Hat sie sich als fair erwiesen?<br />

- Haben Interessen/Anforderungen sich geändert?<br />

* eingeschlossen sich schriftlich oder mündlich fixierte und nicht-fixierte (unausgesprochene) Erwartungen<br />

** gelten auch für andere Vertragsparteien, bspw. Geschäftsführung - Betriebsrat, <strong>Unternehmen</strong> zu <strong>Unternehmen</strong>,<br />

etc.<br />

*** Unterordnung, Zwang hier als Extremfall von Verhandlung (= Nicht-Verhandlung) gesehen<br />

Bild 28: Offenes Prozessmodell wiederholter Abgleiche erwarteter* und realisierter Verpflichtungen<br />

zwischen 2 Vertragsparteien** (hier: Arbeitgeber und Arbeitnehmer)<br />

Dieses Prozessmodell ist offen für den Einbau vielfältigster Einflussfaktoren, <strong>die</strong> Machtsymmetrien,<br />

tarifvertragliche Strukturierung von Verhandlungen und Tätigkeiten, Koalitionsbildungen<br />

etc. Ebenso sind auf der abstrakten Ebene verschiedene Arten von Verhandlung<br />

und Bewertung möglich. I.d.R. werden <strong>die</strong>se in der Bandbreite von formalisiert<br />

bis informell erörtert.<br />

Beachtung ver<strong>die</strong>nen <strong>die</strong> 3 Bewertungsfragen, <strong>die</strong> jede Seite und beide zusammen zu<br />

beantworten haben. Die Fragen nach<br />

46 siehe FN 45<br />

47 siehe FN 45<br />

der Einhaltung von Vereinbarungen und<br />

67


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

der Fairness der getroffenen Vereinbarung sowie <strong>die</strong><br />

nach Veränderungen von Interessen und Bedingungen<br />

sind eine lakonisch kurze aber durchdachte Prüfliste <strong>eines</strong> wechselseitigen Check-up.<br />

� Die Fallstu<strong>die</strong><br />

Die Autoren haben ihr Prozessmodell auch betriebspraktisch erprobt. In einem größeren<br />

<strong>Unternehmen</strong> haben sie mit Hilfe von Gruppendiskussionen <strong>die</strong> wechselseitigen Erwartungen<br />

und Erfahrungen zwischen TOP-Management und mittlerem Management analysiert.<br />

In Kurzform sind <strong>die</strong> Ergebnisse in dem Bild 29 wiedergegeben. Sie sind deshalb von besonderem<br />

Interesse, da sie nicht nur <strong>die</strong> Gegenwart, sondern auch Vergangenheit und<br />

Zukunft einfangen. Deutlich wird hierbei, dass <strong>die</strong> Erwartungs- und Erfahrungsabgleiche<br />

im Zeitablauf eher komplexer und schwieriger geworden sind - mit anhaltender Tendenz.<br />

Wie sieht das mittlere Management heute <strong>die</strong> (etwa 1975)?<br />

Arbeitgeberangebote für eine Vereinbarung: 1975 Arbeitnehmerangebote für eine Vereinbarung: 1975<br />

Sicherheit Loyalität<br />

Status Konformität<br />

Seniorität Fehler-Vermeidung<br />

Wie sieht das mittlere Management gegenwärtig <strong>die</strong> beiderseitigen Angebote? (1995)<br />

<strong>Unternehmen</strong>sangebote für eine Vereinbarung Arbeitnehmerangebote für eine Vereinbarung<br />

Keine Sicherheit, keine Karriere-Struktur Loyalität gegenüber dem Team<br />

Verwirrung und Unsicherheit Interesse an eigener Karriere<br />

Mehr Autonomie, Verantwortung und<br />

Verantwortlichkeit<br />

Anstrengung, wenn es lohnt<br />

Gute Bezahlung<br />

Wie sieht das mittlere Management das zukünftige Vereinbarungsmuster? (2000)<br />

Konsens Konsens<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> bietet an, das mittlere<br />

Das mittlere Management bietet an, das<br />

Management will es:<br />

<strong>Unternehmen</strong> will das Angebot:<br />

Entwicklung Flexibilität, Anpassungsfähigkeit<br />

Autonomie, Herausforderung Professionalität<br />

Verantwortlichkeit KVP<br />

Leistung lohnt sich<br />

Dissens Dissens<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> wünscht, was das mittlere<br />

Management nicht anbietet:<br />

68<br />

Das mittlere Management wünscht, was das<br />

<strong>Unternehmen</strong> nicht anbietet:<br />

Förderung von Veränderungen Arbeitszufriedenheit<br />

Management Skills der Beschäftigten Sozialer Status<br />

Sicherheit, Karriere<br />

Netzarbeit, maßgeschneiderte Kompetenz<br />

Einfluss<br />

Wertschätzung<br />

Quelle: GfAH nach: Harriot und Pemberton, op.cit.<br />

Bild 29: <strong>Unternehmen</strong>spraktisches Beispiel für <strong>die</strong> Nutzung des HP-Konstruktes


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Werden Gegenwart und Vergangenheit miteinander verglichen, so haben sich <strong>die</strong> Arbeitgeberangebote<br />

aus Sicht des mittleren Management vor allem dahingehend geändert,<br />

dass heute weniger Sicherheit aber mehr Autonomie angeboten wird. Das mittlere Management<br />

seinerseits hat - teilweise in Reaktion hierauf - seine Loyalitätsbezüge vom <strong>Unternehmen</strong><br />

weg auf das Team, <strong>die</strong> Abteilung, verlagert.<br />

Anstrengungen sind nicht mehr selbstverständlich, sondern müssen sich lohnen - materiell<br />

und immateriell.<br />

Zukünftig werden <strong>die</strong> wechselseitigen Beziehungen noch komplizierter. Es gibt Konsensbereiche,<br />

aber auch deutliche Zonen der Nicht-Übereinstimmung. Insbesondere lehnt das<br />

mittlere Management <strong>die</strong> beständige Anforderung der Veränderung ab. Es fordert mehr<br />

Wertschätzung, Anerkennung und sieht <strong>die</strong>se Bedürfnisse durch das <strong>Unternehmen</strong> nicht<br />

mehr als zureichend realisiert an.<br />

Die (re-)konstruierte Geschichte der Beziehungen von <strong>Unternehmen</strong> verdeutlicht stattgefundene<br />

und erwartete Veränderungen, vor allem hinsichtlich der Unsicherheit, der<br />

Professionalität der Autonomie und der Loyalitätsverschiebungen. Es wird auch deutlich,<br />

dass eine Rückkehr zu einfachen überschaubaren Mustern nicht wahrscheinlich ist.<br />

So wie hier <strong>die</strong> wahrgenommene und selbstreflektorische Geschichte des mittleren Managements<br />

berichtet worden ist, ist auch ein Bericht für andere <strong>Unternehmen</strong>sgruppen möglich<br />

- seien sie nach traditionellem Status oder Funktionalitätskriterien definiert oder aufgrund<br />

neuerer Überlegungen zusammengesetzt (z.B. Frauen in Männertätigkeiten). Es<br />

wird, so <strong>die</strong> Erfahrung, deutlich werden, dass es in einem <strong>Unternehmen</strong> unterschiedliche<br />

Vereinbarungsmuster gibt, manchmal auch innerhalb einer Statusgruppe. Die Auswahl<br />

und <strong>die</strong> Zusammensetzung der Gruppen für <strong>die</strong> Diskussion der Erwartungen ist also<br />

schon zu überlegen.<br />

Sowohl im Hinblick auf <strong>die</strong> unternehmensinterne Vielfalt als auch im Hinblick auf <strong>die</strong> Entwicklung<br />

der vereinbarten Muster ist der Springpunkt, dass der vorgestellte Ansatz tatsächliche<br />

als Prozessmodell genutzt wird und nicht einfach als Bestandsaufnahme. Insbesondere<br />

<strong>die</strong> Phasen Bewertung und Neuverhandlung bzw. Ausstieg verraten vieles<br />

über <strong>die</strong> Ernsthaftigkeit, Stabilität und Verletzbarkeit der Muster. Hierüber vollzieht sich<br />

der Übergang von proklamierten Werten zur Art der gelebten Kultur.<br />

� Konvergenz von Personal- und Innovationsforschung<br />

Audretsch 48 , Industrieökonom und Spezialist für neugegründete <strong>Unternehmen</strong>, nimmt <strong>die</strong><br />

von Winter 49 1984 formulierte Unterscheidung zwischen entrepreneurial regime und routinized<br />

regime auf und skizziert den Ansatz zweier Wissenskulturen von <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Audretsch unterscheidet wie Harriot u. Pemberton zwischen Individuum und Organisation,<br />

48<br />

Vgl. Audretsch, D.: Kleinunternehmen in der Industrieökonomik: Ein neuer Ansatz, Sept. 1993 (FSIV93-26),<br />

WZB Berlin<br />

49<br />

Winter, S.G.: Schumpeterian Competition in Alternative Technological Regimes; Journal of Economic<br />

Behavior and Organisation Jg. 5, S. 287-320, 1984<br />

69


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

betont ebenso den Erfahrungs- und Erwartungsabgleich sowie <strong>die</strong> Bedeutung von Konsens<br />

und Dissens zwischen beiden.<br />

Nach Audretsch unterscheiden sich <strong>die</strong> beiden regimes auch im Umgang mit neuem Wissen,<br />

so dass von zwei Wissenskulturen gesprochen werden kann. In der routinisierten<br />

Wissenskultur verständigen sich Innovationsanreger, -promotor und -entscheider über<br />

den erwartbaren ökonomischen Nutzen des jeweils spezifischen Wissens. Die Folge hiervon<br />

ist, dass neues Wissen innerhalb des <strong>Unternehmen</strong>, dem der Innovationsanreger<br />

zugehört, realisiert wird. Voraussetzung für <strong>die</strong>se konsensuale Lösung ist im Regelfall,<br />

dass das jeweilige neue Wissen auf der Grundlage gemeinsamer Kenntnisse und Erfahrungen<br />

beurteilt werden kann.<br />

Anders ist <strong>die</strong> Situation im entrepreneurial regime, in der unternehmerischen Wissenskultur.<br />

Für sie ist der Dissens über den erwarteten ökonomischen Wert <strong>eines</strong> Innovationsvorschlages<br />

charakteristisch. Innovationsanreger, -promotor und -entscheider einigen sich<br />

also nicht. Die Folge ist, dass<br />

entweder der Innovationsanreger aufgibt<br />

oder ein neues <strong>Unternehmen</strong> gegründet wird.<br />

In <strong>die</strong>se unternehmerische Wissenskultur gehören auch <strong>die</strong> Fälle, dass<br />

• ein Vorschlag von außen kommt und vom <strong>Unternehmen</strong> nicht aufgegriffen wird,<br />

• ein Vorschlag von außen erst gar nicht vorgelegt wird, da es keine positive Erwartung<br />

einer angemessenen Wertschätzung gibt, etc.<br />

Maßgebend für das entrepreneurial regime ist also ein sich bildender Wissenskodex mit<br />

vielen neuen, unerwarteten Wissensneuerungen, über dessen Nutzbarkeit Dissens besteht,<br />

so dass jede(r) versucht ist, es "alleine" zu erproben.<br />

Diese Audretsche Konstruktion zweier Wissenskulturen findet sich in reiner Form in keinem<br />

<strong>Unternehmen</strong> und keiner Branche, typisch sind Mischverhältnisse. Audretsch hat<br />

aber empirisch hinreichend belegt, dass es Gruppen von <strong>Unternehmen</strong> (Industries) gibt, in<br />

denen mal das eine und mal das andere Regime tonangebend ist. Er betont aber nicht<br />

nur <strong>die</strong> intersektorale Unterschiedlichkeit, sondern auch <strong>die</strong> intertemporale Veränderbarkeit<br />

<strong>die</strong>ser Wissensmuster, abhängig vom Lebenszyklus der tragenden Produkte einer<br />

Branche.<br />

In Erinnerung daran, dass letztendlich <strong>die</strong> Weigerung von IBM, bestimmte Innovationsanregungen<br />

aufzunehmen, zur Gründung von Silicon Valley geführt hat, ist darauf zu verweisen,<br />

dass dem entrepreneurial regime zumindest teilweise ein "bürocratic regime" als<br />

Voraussetzung seiner Entstehung gegenübersteht. Audretsch beschreibt also seine<br />

Typen aus der Sicht der Innovateure.<br />

Mit Hilfe des Harriot/Pemberton-Ansatzes - hier zu sehen als Erwartungsabgleich von<br />

Innovateuren und <strong>Unternehmen</strong> - ist es möglich, wichtige Aspekte sowohl der Genese<br />

neuer <strong>Unternehmen</strong> als auch der Wiedergeburt alter <strong>Unternehmen</strong> durch Neu-Erfindung<br />

70


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

zu beschreiben. 50 Zwischen Teilen der Innovations- und Teilen der Personalforschung ist<br />

also ein Prozess zur Übereinstimmung festzustellen.<br />

� Die Tätigkeitsdauer als Konsens-Dissens-Kennziffer<br />

Obendrein ist noch über eine einfache Kennziffer zu berichten, <strong>die</strong> darüber Auskunft gibt,<br />

wie das Ergebnis des Harriott/Pemberton-Konstruktes des wiederholten Erwartungs- und<br />

Erfahrungsabgleiches gemessen werden kann. Eine hierfür geeignete Maßzahl ist <strong>die</strong><br />

Tätigkeitsdauer <strong>eines</strong> Individuums beim jetzigen Arbeitgeber. Eine hohe Tätigkeitsdauer<br />

lässt auf wiederholt getroffene einvernehmliche Arrangements schließen.<br />

Die Tätigkeitsdauer als Kennziffer kann sowohl gesamtbetrieblich als auch differenziert für<br />

verschiedene Personen, Status- und Funktionsgruppen ausgewiesen werden. Diese<br />

Kennziffer hat also einen intra- und interbetrieblichen Vergleichswert.<br />

Darüber hinaus gilt, etwas vereinfacht: <strong>die</strong> Mobilität (M), hier der Arbeitgeberwechsel, ist<br />

gleich dem Kehrwert der Tätigkeitsdauer (T): M = 1 : T<br />

Hierüber ist also auch ein Zusammenhang zwischen dem Arbeitsmarkt und der innerbetrieblichen<br />

Konsenslage hergestellt. Exemplarisch verglichen sei im Folgenden <strong>die</strong> durchschnittliche<br />

Tätigkeitsdauer beim jetzigen Arbeitgeber in NRW und in den USA 51 .<br />

Mehr als 10 Jahre<br />

beim jetzigen Arbeitgeber<br />

40<br />

USA; Männer<br />

ab 35. Lebensjahr<br />

Mehr als 10 Jahre<br />

beim jetzigen Arbeitgeber<br />

60<br />

NRW; Männer<br />

ab 35. Lebensjahr<br />

Bild 30: Vergleich der Tätigkeitsdauer beim jetzigen Arbeitgeber: USA - NRW (©GfAH)<br />

Das Ergebnis ist eindeutig: Bei gleichen Altersgruppen sind <strong>die</strong> Anteile der Erwerbstätigen<br />

mit einer mindestens 10- bzw. 20-jährigen Tätigkeit beim jetzigen Arbeitgeber in NRW<br />

deutlich höher als in den USA. Die durchschnittliche Tätigkeitsdauer ist also in NRW im<br />

Vergleich zu den USA länger.<br />

Wird <strong>die</strong> Entwicklung während der letzten 20 Jahre betrachtet (in dem Bild 31 verkürzt<br />

durch den Vergleich zweier Jahre dargestellt), so zeigt sich in den USA bei den Männern<br />

eine leicht sinkende Tendenz bei der langjährigen Beschäftigung und bei den Frauen eine<br />

Tendenz zur Stagnation bis zum Anstieg der Beschäftigungsdauer.<br />

50<br />

bzw. das jeweilige Gegenstück zu den angegebenen Entwicklungen<br />

51<br />

Volkholz, V., Langhoff, T.: Alter und Altern der Erwerbstätigen in NRW, unveröffentl. Manuskript, Dortmund<br />

2003<br />

71<br />

Mehr als 20 Jahre<br />

beim jetzigen Arbeitgeber<br />

27<br />

USA; Männer<br />

ab 45. Lebensjahr<br />

Mehr als 20 Jahre<br />

beim jetzigen Arbeitgeber<br />

57<br />

NRW; Männer<br />

ab 45. Lebensjahr


Jahr<br />

1985/6 1)<br />

1998/9 1)<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

mehr als 10 Jahre 2) (in %) mehr als 20 Jahre 3) (in %)<br />

USA NRW USA NRW<br />

M F i M F i M F i M F i<br />

45 29 38 69 43 60 29 11 21 53 22 43<br />

40 30 35 66 48 58 27 14 21 57 32 46<br />

M = Männer , F = Frauen, i = insgesamt<br />

1) 2)<br />

USA: 1987 und 1996 Mindestalter mehr als 35 Jahre<br />

3)<br />

Mindestalter mehr als 45 Jahre<br />

Quelle: GfAH Sekundäranalyse IAB/BIBB-Datensätze „Qualifikation und Erwerbsarbeit 1985/6 und 1998/9<br />

Farber, H.: Trends in Long Term Employment in the United States, 1979-1996, Working Paper 384, Industrial<br />

Relation Section Princeton University, 1997, S. 29<br />

Bild 31: Tätigkeitsdauer beim jetzigen Arbeitgeber: Vergleich USA - NRW<br />

In NRW sind andere Entwicklungen zu beobachten. Abgesehen von einem sehr leichten<br />

Rückgang der mehr als 10-jährigen Beschäftigungsdauer der männlichen Arbeitnehmer<br />

sind steigende Anteile zu beobachten - insbesondere bei der über 20-jährigen Beschäftigungsdauer.<br />

<strong>Was</strong> bedeuten <strong>die</strong>se Unterschiede?<br />

• Die drastisch höheren Anteile der langjährig beim jetzigen Arbeitgeber Beschäftigten<br />

haben zur Folge, dass <strong>die</strong> durchschnittliche Tätigkeitsdauer aller Arbeitnehmer in<br />

NRW deutlich höher als bspw. in den USA liegt und demzufolge <strong>die</strong> Mobilität der<br />

Erwerbstätigen niedriger ist.<br />

• Es gilt nun weiter: Je höher <strong>die</strong> durchschnittliche Tätigkeitsdauer und je niedriger <strong>die</strong><br />

Erwerbsmobilität, desto stärker kommt es bei Neuverteilungen der Humanressourcen<br />

infolge sich ändernder Herausforderungen durch Kunden und Märkte auf <strong>die</strong> Fähigkeit<br />

zur innerbetrieblichen Personalentwicklung an.<br />

Bei gut entwickelter Fähigkeit zur Personalentwicklung ist eine lange Tätigkeitsdauer<br />

durchaus vorteilhaft; bei geringen Fähigkeiten zur Personalentwicklung hingegen ist <strong>die</strong><br />

Entstehung existenzgefährdender Zustände wahrscheinlich. Es kommt also auf das<br />

Verhalten der einzelnen <strong>Unternehmen</strong> an.<br />

Das deutsche Sozialmodell mit seiner Betonung langjähriger Beschäftigung steht und fällt<br />

mit der Fähigkeit der <strong>Unternehmen</strong> zu einer endogenen Potenzialentwicklung, <strong>die</strong> in der<br />

Lage ist, Audretsch's Argumente einer offenen Wissenskultur aufzunehmen. Personalentwicklung<br />

in einer erstarrten <strong>Unternehmen</strong>skultur, <strong>die</strong> <strong>die</strong>se noch stützt, führt nur zu<br />

'Verschlimmbesserungen'.<br />

In den nächsten Abschnitten geht es darum, wie <strong>die</strong> Wissensdynamik in der Arbeit auch<br />

empirisch gefasst werden kann.<br />

72


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

4.3 Die Anforderungstypologie zur Wissensveränderung:<br />

- ein auch empirischer Ansatz zur Wissensverankerung<br />

� Konstruktion der Typologie<br />

Ausgangspunkt sind <strong>die</strong> Arbeiten von Harriot/Pemberton zum Verhältnis von Individuum<br />

und Organisation. In <strong>die</strong>sem Kapitel wird in Form einer Anforderungstypologie beschrieben,<br />

welche Anforderungen zur Wissensveränderung seitens des <strong>Unternehmen</strong>s <strong>die</strong> Beschäftigten<br />

wahrnehmen. Operativ gefasst werden <strong>die</strong> Anforderungen zur Wissensveränderung,<br />

in dem Ausmaß und der Intensität der Kreativitäts- und Lernanforderungen<br />

erörtert werden. Hierzu sind einige Überlegungen zur Wissensschichtung bei Arbeitsaufgaben<br />

notwendig.<br />

Es gibt keine (Arbeits-)Tätigkeiten ohne Routine; es gibt aber (Arbeits-)Tätigkeiten, <strong>die</strong><br />

bestehen überwiegend aus Routine. Unter Routine sei hier <strong>die</strong> selbstverständliche wiederholte<br />

Handhabung von Gelerntem verstanden. Anforderungen, <strong>die</strong> siech beständig,<br />

gleichförmig wiederholen, seien als Routineanforderungen bezeichnet. Wissensmäßig<br />

geht es hierbei überwiegend nur um <strong>die</strong> Nutzung von Wissen - sei es vorgegeben oder<br />

selbst erarbeitet, sei es verstanden oder nicht (man muss nicht wissen, wie ein Auto hergestellt<br />

wird, um es fahren zu können!). Charakteristisch für Routineanforderungen und<br />

Routinearbeit ist das Fehlen von Lern- und Kreativitätsimpulsen.<br />

Eine weitere Wissensschicht beinhaltet Lernanforderungen. Hier geht es um <strong>die</strong> Aneignung<br />

von objektiv vorhandenem Wissen, um neue Aufgaben bewältigen zu können.<br />

Daher werden <strong>die</strong> Bezeichnungen "Lernanforderungen" und "aufgabenflexible Anforderungen"<br />

gleichwertig, also austauschbar verwendet. Es gibt eine Menge von Tätigkeiten,<br />

<strong>die</strong> Lern- und Routineanforderungen beinhalten. Wissensmäßig geht es bei <strong>die</strong>ser Anforderungsart<br />

um <strong>die</strong> Aneignung von Wissen, also um wissensaneignende Anforderungen.<br />

Hiervon nochmals zu unterscheiden sind wissenserzeugende Anforderungen, <strong>die</strong> Tätigkeiten<br />

beinhalten, in denen neues Wissen geschaffen wird. In aller Regel ist eine solche<br />

Tätigkeit auch mit Lernanforderungen verbunden, aber nicht jede Lernanforderung beinhaltet<br />

<strong>die</strong> Anforderung kreativ zu sein, dass heißt, Neues zu schaffen.<br />

Die Anforderungstypen des<br />

Bild 32 sind so zu verstehen, dass nicht <strong>die</strong> Gemeinsamkeiten definitionsbestimmt sind,<br />

sondern <strong>die</strong> Unterschiede.<br />

• Alle Tätigkeiten enthalten Routineanforderungen. Es gibt aber Tätigkeiten, <strong>die</strong> nur<br />

aus Routine bestehen, <strong>die</strong> weder Lern- noch Kreativitätsanforderungen beinhalten,<br />

<strong>die</strong> also - häufig vorgegebenes - Wissen nur nutzen.<br />

• Viele Tätigkeiten beinhalten Lernanforderungen. Aber längst nicht jede Lernanforderung<br />

ist mit der Forderung nach Kreativität verbunden. Es ist also auch zwischen wissensaneignenden<br />

und wissenserzeugenden Anforderungen zu unterscheiden.<br />

• Aus <strong>die</strong>sen Überlegungen entstehen 3 Haupttypen:<br />

A: Kreative Anforderungen (wissenserzeugende Anforderungen)<br />

B: Aufgabenflexble Anforderungen (wissensaneignende Anforderungen)<br />

C: Routineanforderungen (wissensnutzende Anforderungen).<br />

73


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Die empirischen Auswertungen haben gezeigt, dass es sinnvoll ist, aus dem C-Typ<br />

zwei Haupttypen zu machen:<br />

C1: qualifizierte Routinearbeiten oder -anforderungen. Hier liegen gelegentlich Lernoder<br />

Kreativitätsanforderungen vor.<br />

C2: einfache Routineanforderungen. Hier spielen Lern- und Kreativitätsanforderungen<br />

praktisch keine Rolle.<br />

Die operative Umsetzung <strong>die</strong>ser Überlegungen ist im Anhang beschrieben.<br />

� Entwicklung in den letzten 15 Jahren<br />

Wie das Bild 33 ausweist, lassen sich für <strong>die</strong> Wissens-Anforderungstypologie<br />

Zeitpunktvergleiche bilden. Die Typologie ist für <strong>die</strong> Jahre 1985/86 (aBL), 1991/92 (aBL<br />

und nBL) und 1998/99 (aBL und nBL) berechenbar. Die Ergebnisse sind bemerkenswert:<br />

• Die Häufigkeit der Wissensanforderungen sind in der 2. Hälfte der 80er Jahre gestiegen,<br />

um in den 90er Jahren zu sinken.<br />

• Umgekehrt sind <strong>die</strong> Routineanforderungen, insbesondere <strong>die</strong> einfachen, zunächst<br />

gesunken, um denn jedoch wieder zu steigen.<br />

Im Kapitel 4.6, das sich mit der betrieblichen Innovativität und der Beschäftigungsentwicklung<br />

befasst, wird hierfür eine Erklärung geboten.<br />

Die Zahlen für <strong>die</strong> Metallerzeugung entsprechen in etwa den gesellschaftlichen Durchschnittswerten.<br />

Es gibt aber Branchen, wie exemplarisch noch zu zeigen sein wird, <strong>die</strong><br />

hiervon drastisch abweichen. Zunächst aber belegen <strong>die</strong>se Branchendaten, dass es möglich<br />

ist, solche zu berechnen. Die Werte für <strong>die</strong> EKO Stahl GmbH, Eisenhüttenstadt,<br />

zeigen, dass <strong>die</strong> Anforderungstypologie auch betrieblich erhebbar ist. Die beiden Fragen,<br />

aus denen sie gebildet worden ist, sind in einer Mitarbeiterbefragung mit erhoben worden.<br />

Inhaltlich signalisieren <strong>die</strong> ausgewiesenen Werte, dass <strong>die</strong> EKO Stahl GmbH in bezug auf<br />

<strong>die</strong> Häufigkeit kreativer Anforderungen sich nicht vom Branchendurchschnitt unterscheidet.<br />

Bemerkenswert häufiger sind aber <strong>die</strong> Aufgabenflexiblen vertreten, es wird also in der<br />

EKO Stahl GmbH deutlich mehr als branchenüblich durch neue Aufgaben gelernt. Entsprechend<br />

deutlich geringer ist der Anteil der Routinearbeiter.<br />

74


nein Kreative Kreative Anforderungen<br />

ja<br />

A<br />

ja<br />

LernanfordeLernanforderungen<br />

nein<br />

Widersprüchliche<br />

Konflikte zwischen<br />

den Schichten!<br />

I: WissenserzeugendeAnforderungen<br />

ja<br />

Fließprozesse<br />

II II<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

B<br />

II: wissensanwissensan-<br />

II: Wissensaneignendeeignende Anforderungen<br />

Anforderungen<br />

Keine KL-<br />

Anforderungen<br />

Anforderungstypen<br />

Anforderungstypen<br />

A: kreative<br />

Anforderungen<br />

B: aufgabenflexible<br />

Anforderungen<br />

C: nur Routineanforderungen<br />

Es Es Es Es gilt: gilt: gilt: gilt: I I beinhaltet beinhaltet I I beinhaltet beinhaltet II II II II<br />

Es gilt: II beinhaltet III<br />

Es gilt: II beinhaltet III<br />

Bild 32: Dreier-Typologie nach Arbeitsanforderungen und Wissensschichten<br />

III III III<br />

III<br />

Es gilt: II beinhaltet III<br />

Es gilt: II beinhaltet III<br />

C<br />

III: nur wissensnutzende<br />

Anforderungen<br />

75<br />

Routinearbeiter Aufgabenflexible Innovateure<br />

Erwerbstätige<br />

Erwerbstätige<br />

Definitionsbestimmend für <strong>die</strong> verschiedenen Gruppen von Erwerbstätigen sind nicht<br />

Eigenschaften, <strong>die</strong> sie mit anderen teilen, sondern <strong>die</strong>jenigen Eigenschaften, <strong>die</strong><br />

eine Personengruppe von den anderen unterscheidet.<br />

Quelle: GfAH-Sekundäranalyse des BiBB/IAB-Datensatzes „Qualifikation und Erwerbsarbeit“ von 1991/92 (n = 34.589)


Anforderungen<br />

a) kreative<br />

Anforderungen<br />

b) aufgabenflexible<br />

Anforderungen<br />

c) qualifizierte Routineanforderungen<br />

d) einfache Routineanforderungen<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

BRD Deutschland Metallerzeugung EKO<br />

1985/86 1991/92 1998/99 1991/92 1998/99 1997 1999<br />

19 27 23 19 20 19 21<br />

18 23 17 20 17 22 35<br />

33 29 33 34 35 40 27<br />

29 21 27 27 28 19 17<br />

insgesamt 100 100 100 100 100 100 100<br />

Veränderer a)+b) 37 50 40 39 37 41 56<br />

Nicht-Veränderer c)+d) 62 50 60 61 63 59 44<br />

Achtung: Rundungsfehler! Mitarbeiterbefragungen bei der EKO Stahl GmbH. 1997 als Piloterhebung nicht alle<br />

<strong>Unternehmen</strong>sbereiche erfasst, hierdurch teilweise <strong>die</strong> Abweichungen zu 1999 bedingt (1997: n = 777; 1999:<br />

n = 1.622); Quelle: GfAH-Sekundäranalyse der IAB/BiBB-Datensätze "Qualifikation und Erwerbsarbeit"<br />

1985/86; 1991/92; 1998/99<br />

Bild 33: Vergleich von Referenzwerten mit betrieblichen Werten der<br />

Anforderungstypologie<br />

4.4 Wissenslandkarte Deutschland<br />

� Häufigkeit von Wissensgebieten<br />

Ein Beispiel stellt <strong>die</strong> Wissenslandkarte dar, vgl. Bild 34. Sie wird hier für Deutschland<br />

ausgewiesen. Länder-, Branchen-, berufliche und auch betriebliche Detailausweisungen<br />

sind herstellbar.<br />

Zur Erinnerung: Die Typen der Anforderungstypologie unterscheiden sich nach dem<br />

Niveau der Lern- und Kreativitätsanforderungen. Die relativen Anteile der Typen an den<br />

Erwerbstätigen beschreiben <strong>die</strong> Verbreitung, Häufigkeit <strong>die</strong>ser Niveaustufen.<br />

Zusätzlich sind nun <strong>die</strong> fachlichen Wissensgebiete berücksichtigbar. Erfragt worden ist<br />

1991/92 ein Katalog von 22 Wissensgebieten. Die Frage nach den Wissensgebieten ist<br />

1998/99 wiederholt worden, jedoch mit einer anderen Systematik der Wissensgebiete, so<br />

dass eine Vergleichbarkeit beider Erhebungen nicht gegeben ist. Es lässt sich also eine<br />

Matrix: Anforderungen x Wissensgebiete bilden. Sie ist auszugsweise in dem Bild 34 abgebildet.<br />

Die Prozentwerte in der Matrix geben an, wie viel Prozent der Erwerbstätigen,<br />

<strong>die</strong> zu einem bestimmten Anforderungstyp zugeordnet sind, Kenntnisse aus einem<br />

Wissensgebiet haben (sog. Zeilen-Prozentuierung; Anforderungstyp = 100%).<br />

76


Bild 34: Wissenslandkarte Deutschland<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Anforderungen<br />

1. Verändernde<br />

Anforderungen<br />

Kulturkenntnisse<br />

Fremd-<br />

Statistik spra EDV<br />

chen<br />

Chemie<br />

technische Kenntnisse kaufmännische Kenntnisse<br />

ManagementMecha-<br />

Elektro<br />

nik<br />

Messen<br />

Regeln Physik<br />

RechFinannungszierung,<br />

Einkauf Verkauf<br />

prüfung<br />

Steuern<br />

etc.<br />

Organisation<br />

Durchschnitt<br />

von 22<br />

abgefragten<br />

Kenntnisgebieten<br />

1.1 Wissenserzeugende Anforderungen<br />

1.1.1 TOP-<br />

Innovateure<br />

54 21 27 8 17 18 17 15 23 15 26 27 29 5,3<br />

1.1.2 Flexible<br />

Innovateure<br />

55 19 25 8 18 16 15 11 24 16 23 23 28 5,1<br />

1.1.3 Spezialisierte<br />

Innovateure<br />

43 12 14 8 11 10 8 6 19 11 22 20 20 4,1<br />

1.2 Wissensaneignende Anforderungen<br />

1.2.1 Aufgabenflexible<br />

mit gelegentl.<br />

Kreativitätsanforderungen<br />

1.2.2 Aufgaben-<br />

54 14 21 6 17 15 14 9 25 16 21 20 23 4,7<br />

flexible ohne gelegentl.Kreativitätsanforderungen<br />

46 10 16 3 15 12 10 6 21 12 14 15 13 3,8<br />

2. Nicht-verändernde Anforderungen<br />

2.1 Routinearbeiter<br />

mit gelegentl. LernoderKreativitätsanforderungen<br />

2.2 Routinearbeiter<br />

42 9 14 5 13 9 8 5 21 11 19 17 15 3,7<br />

ohne gelegentl. LernoderKreativitätsanforderungen<br />

31 4 9 3 10 6 5 3 13 6 10 12 6 2,9<br />

Quelle: GfAH-Sekundäranalyse des BIBB/IAB-Datensatzes „Qualifikation und Erwerbsarbeit“ von 1991/1992 (n = 34.589)<br />

Lesebeispiel: 15% der Top-Innovateure haben Physikkenntnisse, 27% EDV-Kenntnisse (1991/92)<br />

Die Wissenslandkarte zeigt, wie unterschiedlich verbreitet <strong>die</strong> verschiedenen Wissensgebiete<br />

sind. Chemiekenntnisse sind deutlich seltener als Physikkenntnisse; angesichts der<br />

Chemisierung sehr vieler Produktionsprozesse ein bemerkenswertes Ergebnis. Auch ist<br />

der Vergleich der Kenntnishäufigkeiten bei den Routinearbeitern von Interesse: Bei den<br />

Mechanik-Kenntnissen liegt das Arbeitsverhältnis bei Top-Innovateuren zu qualifizierten<br />

Routinearbeitern bei 17:13; bezüglich der Mess- und Regelungskenntnisse lautet es 17:8.<br />

Diese Verschiedenheiten weisen darauf hin, dass sachliche Sachverhalte unterschiedlich<br />

leicht im Betrieb kommunizierbar sind - als einfache Folge <strong>eines</strong> unterschiedlich häufigen<br />

gemeinsamen Vorrats an Wissen 52 .<br />

� Wissenskombinationen<br />

Viele betriebliche Aufgaben sind zunehmend so, dass zu ihrer Lösung <strong>die</strong> Kombination<br />

von technischen, organisatorischen und kaufmännischen Kenntnissen erforderlich sind.<br />

Solche Kenntniskombinationen seien TOK-Kenntnisse genannt. Die beobachtbaren<br />

Kenntniskombinationen sind für einen Maschinenbaubetrieb in dem Bild 35 aufgeführt.<br />

Über Kenntnisse aus allen 3 Wissensfeldern verfügen nur 3% der Beschäftigten. 13%<br />

besitzen Kenntnisse aus 2 der 3 Felder.<br />

52 Dass das mechanische Wissen der Innovateure komplexer ist als das der Routinearbeiter ist als gegeben<br />

zu betrachten: es geht hier nicht um Niveauunterschiede, sondern um Kommunikationsmöglichkeiten und<br />

<strong>die</strong>se verlangen eben eine gemeinsame Sprache zwischen Sender und Empfänger - egal, wer welche Rolle<br />

besetzt.<br />

77


Wissensgebiete 1)<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

T K O Beschäftigte Prozente<br />

+ + + 18 3<br />

+ + - 29 4,8<br />

+ - + 26 4,3<br />

+ - - 249 41,3<br />

- + + 24 3,9<br />

- + - 64 10,6<br />

- - + 21 3,5<br />

- - - 172 28,5<br />

Quelle: GfAH-Sekundäranalyse des IAB/BiBB-Datensatzes "Qualifikation und Erwerbsarbeit", 1991/92<br />

Bild 35: Personelle Wissenskombinationen bei einem Maschinenbau-<strong>Unternehmen</strong><br />

Weitergehende Auswertungen, vgl. Bild 36, zeigen, dass <strong>die</strong> kombinierten Kenntnisse vor<br />

allem bei Vorgesetzten, also in der Hierarchie vertreten sind:<br />

Vorhandene<br />

Kenntnisgebiete<br />

Erwerbstätige mit<br />

Kombinationswissen<br />

78<br />

T = technische Kenntnisse<br />

K = kaufmännische Kenntnisse<br />

O = Organisatorische Kenntnisse<br />

1) Angegeben sind alle logischen<br />

Kombinationen, wenn zwischen<br />

vorhandenen (+) und nicht<br />

vorhandenen (-) Kenntnissen<br />

unterschieden wird. Es sind nur<br />

<strong>die</strong> Fachgebiete aus dem<br />

vorliegenden Bild erfasst: Die<br />

Kombination (---) bedeutet also<br />

nicht, dass keinerlei Kenntnisse<br />

vorliegen.<br />

603 100<br />

Technische Kenntnisse: Beherrschung <strong>eines</strong> oder mehrerer Gebiet, <strong>die</strong> in dem vorhergehenden<br />

Bild ausgewiesen worden sind. Analoges gilt für <strong>die</strong> anderen beiden Wissensfelder.<br />

davon:<br />

Vorgesetzte<br />

TOK-Kenntnisse 2,8 76<br />

TK-Kenntnisse 2,9 41<br />

TO-Kenntnisse 1,2 79<br />

OK-Kenntnisse 8,6 68<br />

T = technische Kenntnisse; K = kaufmännische Kenntnisse;<br />

O = organisatorische Kenntnisse<br />

Lesebeispiel: 2,8% aller Erwerbstätigen haben TOK-Kenntnisse, von <strong>die</strong>sen Kenntnisinhabern<br />

sind 76% Vorgesetzte.<br />

Quelle: GfAH-Sekundäranalyse des IAB/BiBB-Datensatzes "Qualifikation und Erwerbsarbeit"<br />

von 1991/92<br />

Bild 36: Träger der Wissensintegration in Deutschland (in%)<br />

Im Bild 36 sind <strong>die</strong> kombinierten Kenntnisse für alle Erwerbstätigen Deutschlands ausgewiesen.<br />

Zugleich ist dargestellt, wie viele derjenigen, <strong>die</strong> über kombinierte Kenntnisse<br />

verfügen, zugleich Vorgesetzte sind. Bei der Kombination: technische + organisatorische<br />

+ kaufmännische Kenntnisse liegt der Anteil der Vorgesetzten bei 76%. Als Vorgesetzter<br />

ist hier definiert, wer für mehrere Mitarbeiter verantwortlich ist. Es zählt also <strong>die</strong> Aufgabe,<br />

<strong>die</strong> Funktion und nicht der Status. Bei <strong>die</strong>ser Definition erweist sich Deutschland als Land<br />

der Vorgesetzten: knapp 30% der Erwerbstätigen sind als Vorgesetzte tätig. Wenn nun<br />

2,8% aller Erwerbstätigen über kaufmännische + organisatorische + technische Kenntnisse<br />

verfügen und 76% hiervon als Vorgesetzte tätig sind, so sind 2,1% der Erwerbstätigen<br />

Inhaber aller drei Wissensfelder und zugleich Vorgesetzte. Werden <strong>die</strong>se 2,1% in


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Beziehung zu den 30% Vorgesetzten gesetzt, so folgt, dass 7% aller Vorgesetzten TOK-<br />

Kenntnisse haben.<br />

Die kombinierten Kenntnisse sind also stark auf Vorgesetzte konzentriert; trotzdem haben<br />

nur - kleine - Minderheiten von Vorgesetzten <strong>die</strong>se Kenntnisse.<br />

� Hierarchische Wissenskoordination<br />

Wissensintegration ist in Deutschland also eine ausgesprochene Leistung der Hierarchie.<br />

Wird nun Hierarchie abgebaut, wie vielfach geschehen, so wird wahrscheinlich auch <strong>die</strong><br />

Zahl der Wissensintegrateure kleiner. Auf alle Fälle aber werden <strong>die</strong> verbleibenden Vorgesetzten<br />

mit zusätzlichen Aufgaben bereichert, so dass sie pro Aufgabe weniger Zeit<br />

haben. Die vielfach angestrebte Delegation nach unten - insbesondere <strong>die</strong> horizontale<br />

Kooperation - stößt aber auf Schwierigkeiten, auch deshalb, weil "unten" wissensintegrative<br />

Kenntnisse eine ausgesprochene Mangelware sind.<br />

Das Bild 37 nachfolgende Bild kann weiter ausgemalt werden. Vorgesetzte sind deutlich<br />

älter als Nicht-Vorgesetzte und je Altersgruppe sind sie deutlich länger als Nicht-Vorgesetzte<br />

bei ihrem jetzigen Arbeitgeber beschäftigt. Entsprechend geringer ist ihre Mobilität,<br />

was in Bild 37 durch <strong>die</strong> Anteile mit kurzer Tätigkeitsdauer 0-4 Jahre angezeigt wird.<br />

90<br />

80<br />

70<br />

69<br />

60<br />

50<br />

40<br />

52<br />

47<br />

41<br />

35 32 34<br />

30<br />

27<br />

25<br />

20<br />

9<br />

25<br />

17<br />

20<br />

13<br />

14<br />

11<br />

10<br />

13<br />

8<br />

9<br />

7<br />

5<br />

0 0<br />

0<br />

20-24 25-29 30-34 35-39 40-44 45-49 50-54 55-59 60-64<br />

-10<br />

71<br />

53<br />

40<br />

Vorges.: 15 J. und länger beim jetzigen Arbeitgeber Nicht-Vorges.: 15 J. und länger bei jetzigen Arbeitg.<br />

Vorges.: 0-4 J. beim jetzigen Arbeitgeber Nicht-Vorges.: 0-4 J. beim jetzigen Arbeitgeber<br />

Quelle: <strong>Unternehmen</strong>sgruppe GfAH, Sekundäranalyse des IAB/BiBB-Datensatzes „Qualifikation und Erwerbsarbeit“ 1991/1992<br />

Bild 37: Bisherige Tätigkeitsdauer beim jetzigen Arbeitgeber von Vorgesetzten und Nicht-<br />

Vorgesetzten (Deutschland 1991-1992)<br />

Insgesamt kann <strong>die</strong> Wissensverankerung in Deutschland - empirisch belegt - wie folgt<br />

charakterisiert werden:<br />

79<br />

63<br />

48<br />

73<br />

58<br />

75<br />

62<br />

85<br />

67


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

• Wissen in Deutschland ist arbeitsteilig in Säulen organisiert.<br />

• Es gibt verhältnismäßig wenig Wissensintegrateure.<br />

• Die Wissenskoordination erfolgt über <strong>die</strong> Hierarchie(spitzen).<br />

• Diese Koordinatoren sind deutlich älter (also erfahrener), als <strong>die</strong> Nicht-Vorgesetzten.<br />

• Und sie sind länger beim jetzigen Arbeitgeber beschäftigt, also betriebstreu -<br />

aber auch betriebsblind.<br />

In Kurzform gilt für <strong>die</strong> Wissensverankerung in Deutschland:<br />

a) Versäult, wenig integrativ, hierarchisch, seniokratisch, erfahren und betriebsnah.<br />

b) Zugleich aber gibt es viele Erwerbstätige mit kreativen oder aufgabenflexiblen<br />

Anforderungen, also Veränderer.<br />

c) Drängt sich nicht das Bild <strong>eines</strong> Hamsters im Hamsterrad auf? Trotz aller Anstrengungen<br />

tritt er auf der Stelle ...<br />

Es ist hier nicht <strong>die</strong> Absicht, eine definitive Beurteilung bekanntzugeben. Gezeigt werden<br />

sollte aber, wie mit der Anforderungstypologie als Grundlage in der Verbindung mit weiteren<br />

Auswertungen - zunächst <strong>die</strong> Wissenslandkarte, dann <strong>die</strong> kombinierten Wissensfelder,<br />

dann <strong>die</strong> Einbeziehung der Vorgesetzten-Anteile - Aussagen gewonnen werden können,<br />

<strong>die</strong> nicht so selbstverständlich sind.<br />

4.5 Die Arbeitskräfte-Einsatz-Bilanz (AKE-Bilanz)<br />

� Konstruktion der AKE-Bilanz<br />

Es ist nun möglich, <strong>die</strong> bislang diskutierte Anforderungstypologie zu einer Arbeitskräfte-<br />

Einsatz-Bilanz (AKE-Bilanz) zu erweitern. Dies geschieht, in dem <strong>die</strong> Frage nach den<br />

Kreativitäts- und Lernanforderungen um <strong>die</strong> Frage nach den Beanspruchungen bei der<br />

Bewältigung <strong>die</strong>ser Anforderungen ergänzt wird.<br />

So, wie <strong>die</strong> Anforderungen in einer Anforderungstypologie zusammengefasst worden<br />

sind, geschieht <strong>die</strong>s mit den Beanspruchungen; sie werden in einer Beanspruchungstypologie<br />

verdichtet.<br />

Die Kombination beider Typologien in Form einer Matrix ergibt <strong>die</strong> AKE-Bilanz, <strong>die</strong> zwei<br />

Fragen beantwortet.<br />

1. Wie viele Erwerbstätige sehen sich mit welchen Anforderungen zur Wissensveränderung<br />

konfrontiert?<br />

2. Wie weit stimmen <strong>die</strong> Fähigkeiten der Erwerbstätigen mit den Anforderungen<br />

überein, wie weit bestehen Über- oder Unterforderung?<br />

Die AKE-Bilanz ist gesamtgesellschaftlich, auf Branchen- oder Berufsebene aber auch<br />

betrieblich herstellbar. Sie liefert sowohl Referenzwerte für <strong>Unternehmen</strong> als auch be-<br />

80


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

triebsindividuelle Erwartungswerte als auch Realwerte. Die AKE-Bilanz ist ein wichtiger<br />

Teil des Humanressourcen-Navigators, der im Anhang B vorgestellt wird.<br />

� Beanspruchungstypologie<br />

Wie bei der Anforderungstypologie besteht auch <strong>die</strong> Beanspruchungstypologie unter der<br />

Kombination der Antworten nur zweier Fragen:<br />

Als Unterforderung wird gewertet, wenn <strong>die</strong> Auskunft lautet: "Zur Ausübung meiner Tätigkeit<br />

reichen geringere Qualifikationen als ich habe". Als drohende Überforderung wird<br />

gewertet, wenn <strong>die</strong> Antworten auf <strong>die</strong> Frage nach der Zufriedenheit mit dem Arbeitstempo<br />

lauten: "eher unzufrieden" oder gar "unzufrieden".<br />

Aus der Kombination beider Fragen ergibt sich <strong>die</strong> Beanspruchungstypologie der 4-Felder-Tafel<br />

vgl. Bild 38.<br />

Unterforderung<br />

nein<br />

ja<br />

Überforderung<br />

nein ja<br />

56 % 18 %<br />

Typ 1 Typ 3<br />

Typ 2 Typ 4<br />

19 % 7%<br />

Quelle: GfAH-Sekundäranalyse des IAB/BiBB-Datensatzes "Qualifikation und Erwerbsarbeit" von 1991/92<br />

Bild 38: Beanspruchungstypologie, Werte 1991/92<br />

Das Bild zeigt, dass Über- und Unterforderung verschiedene Personenkreise charakterisiert.<br />

Die doppelte Fehlbeanspruchung, also das gleichzeitige Vorhandensein von Überund<br />

Unterforderung kommt nur bei einer vergleichsweise kleinen Gruppe vor.<br />

Als Übereinstimmung von Anforderungen und Fähigkeiten gilt hier, wenn weder Unternoch<br />

Überforderung vorliegen - <strong>die</strong>s trifft für 56% der Erwerbstätigen zu (1991/92). Mit<br />

anderen Worten: bei 44% der Erwerbstätigen ist eine zumindest partielle Verschwendung<br />

des Arbeitskräfte-Einsatzes gegeben - sei es durch Unter- oder Überforderung.<br />

81<br />

Typ 1: Übereinstimmung von<br />

Anforderungen und Fähigkeiten<br />

Typ 2: Unterforderung<br />

Typ 3: drohende Überforderung<br />

Typ 4: doppelte Fehlbeanspruchung


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

� Veränderung der Anforderungen und Beanspruchungen<br />

Wie mehrfach angekündigt, entsteht <strong>die</strong> AKE-Bilanz aus der Kombination von Anforderungs-<br />

und Beanspruchungstypologie. Sie ist für <strong>die</strong> Jahre 1991/92 und 1998/99 in dem<br />

Bild 39 wiedergegeben. Die Werte in Klammern beschreiben <strong>die</strong> Situation in 1991/92, <strong>die</strong><br />

Werte ohne Klammern gelten dem gemäß für 1998/99.<br />

In der Spalte "Anteil an den Erwerbstätigen" sind <strong>die</strong> Erwerbstätigen insgesamt gleich 100<br />

gesetzt. Angegeben wird also <strong>die</strong> relative Häufigkeit <strong>eines</strong> Anforderungstyps an allen Erwerbstätigen.<br />

Bei den nachfolgenden Spalten handelt es sich um eine Zeilenprozentuierung.<br />

Angegeben wird also, wie viel Prozent der Erwerbstätigen <strong>eines</strong> Anforderungstyps:<br />

• über eine Übereinstimmung von Anforderungen und Fähigkeiten<br />

• über eine Unterforderung<br />

• über eine drohende Überforderung oder<br />

• über eine doppelte Fehlbeanspruchung<br />

berichten. Werden nun <strong>die</strong> AKE-Bilanzen zu Beginn und eher am Ende der 90er Jahre<br />

miteinander verglichen, so ergeben sich mehrere etwas überraschende Ergebnisse:<br />

• Allen Reden über <strong>die</strong> Tendenz zur Wissensgesellschaft zum Trotz: <strong>die</strong> Anteile der<br />

Erwerbstätigen mit Lern- oder Kreativitätsanforderungen sind gesunken.<br />

• Komplementär hierzu ist der Anteil der Routinearbeiter deutlich gestiegen, bei der<br />

einfachen Routinearbeit stärker als bei der qualifizierten Routinearbeit (Zusammenfassung<br />

der Positionen 2.1 und 2.2).<br />

• Die Übereinstimmung von Anforderungen und Fähigkeiten ist deutlich gesunken: von<br />

56% für alle Erwerbstätigen in 1991/92 auf 46% in 1998/99.<br />

• Besonders deutlich gestiegen ist der Anteil der unterforderten Erwerbstätigen. Derjenigen<br />

also, <strong>die</strong> angeben, zur Ausübung ihrer Tätigkeit reiche eine geringere Qualifikation<br />

als vorhanden. Dieser Anstieg ist in allen Niveaustufen der Anforderungstypologie<br />

zu beobachten. Bei den einfachen Routinearbeitern erreicht <strong>die</strong>ser Anteil 50%!<br />

• Interessanterweise ist der Anteil der Erwerbstätigen mit drohender Überforderung<br />

gesunken, bei den Routinearbeitern etwas stärker als bei den Veränderern (Position<br />

1.1 und 1.2).<br />

82


Anforderungstypologie<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Anteil an<br />

Erwerbstätigen<br />

Beanspruchungen je Anforderung in %<br />

Anforderungstyp (z.B. 1.1) gleich 100<br />

Übereinstimmung<br />

v.<br />

Anforderungen<br />

und<br />

Fähigkeiten<br />

83<br />

Unterforderung<br />

1.1 wissenserzeugende Anforderungen: K+L-Anforderungen<br />

drohende<br />

Überforderung<br />

doppelte<br />

Fehlbeanspruchung<br />

1.1 Kreative Veränderer 24 (27) 54 (64) 21 (11) 18 (22) 7 (4)<br />

1.1.1 Top-Innovateure 4 (5) 57 (70) 17 (8) 20 (19) 6 (3)<br />

1.1.2 Flexible Innovateure 14 (15) 54 (65) 19 (9) 20 (23) 7 (3)<br />

1.1.3 Spezialisierte<br />

Innovateure<br />

6 (7) 54 (58) 26 (16) 13 (20) 7 (5)<br />

1.2 wissensaneignende Anforderungen: nur L-, keine K-Anforderungen<br />

1.2<br />

Aufgabenflexible<br />

Veränderer<br />

14 (23) 52 (60) 22 (13) 18 (23) 8 (6)<br />

1.2.1 Aufgabenflexible mit<br />

gelegentl. Kreativitätsanforderungen<br />

11 (14) 53 (62) 20 (10) 19 (24) 8 (4)<br />

1.2.2 Aufgabenflexible ohne<br />

Kreativitätsanforderungen<br />

3 (9) 45 (56) 32 (14) 14 (23) 9 (7)<br />

2. nur wissensnutzende Anforderungen: weder K- noch L-Anforderungen<br />

2. Routinearbeiter<br />

Nichtveränderer<br />

62 (50) 42 (50) 40 (27) 9 (15) 10 (8)<br />

2.1 Routinearbeit mit<br />

gelegentlichen<br />

Kreativitäts- und<br />

Lernanforderungen<br />

21 (16) 50 (61) 30 (18) 11 (15) 8 (5)<br />

2.2 Routinearbeit mit<br />

gelegentl. Lernanforderungen<br />

13 (13) 46 (54) 33 (21) 12 (18) 9 (7)<br />

2.3 einfache Routinearbeit 28 (21) 33 (40) 50 (36) 6 (12) 11 (12)<br />

3. Gesamt 1 + 2 100 46 (56) 32 (19) 13 (18) 9 (7)<br />

K = Kreativitätsanforderungen; L = häufige Lernanforderungen<br />

2.1 und 2.2 werden auch als qualifizierte Routinearbeit zusammengefasst<br />

Quelle: GfAH-Sekundäranalyse des IAB/BIBB-Datensatzes "Qualifikation und Erwerbsarbeit" 1991/92 und<br />

1998/99<br />

Bild 39: AKE-Bilanz als Kombination von Anforderungs- und Beanspruchungstypologie,<br />

1998/99 und 1991/92 (in Klammern)<br />

<strong>Was</strong> bedeuten <strong>die</strong>se Befunde?<br />

Als Kommentar zur aktuellen Arbeitsmarktdiskussion sei zunächst auf <strong>die</strong> einfache Routinearbeit<br />

(ohne Lern- oder Kreativitätsanforderungen, Typ 2.3) verwiesen. Sie ist in<br />

Deutschland reichlich vorhanden: 21% der Erwerbstätigen rechnen sich 1991/92 hierzu;<br />

1998/99 sind es 27%. Bei <strong>die</strong>sen Erwerbstätigen geben 36% an unterfordert aber nicht<br />

überfordert zu sein (1998/99: 50%).


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Die Arbeitsplätze mit einfachen Anforderungen sind eben mit qualifizierten Personen besetzt,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> weniger Qualifizierten verdrängen. Wir haben keinen Mangel an einfacher<br />

Arbeit, wir haben einen Mangel an qualifizierter Arbeit, an niveau-höheren Arbeitsanforderungen.<br />

Das ist so ziemlich das Gegenteil dessen, was derzeit diskutiert wird.<br />

Angesichts der Verbreitung von Unter- und Überforderung auch bei den niveaureicheren<br />

Arbeitsanforderungen, erscheint auch der so viel diskutierte Fachkräftemangel in einem<br />

etwas differenzierterem Licht. Ohne <strong>die</strong>se Engpässe als irrelevant abzutun - das wäre<br />

falsch - ist doch darauf zu verweisen, dass es eine Menge nicht zureichend und/oder<br />

falsch genutzter Arbeitskräfte gibt.<br />

Es ist also in der Diskussion zu unterscheiden zwischen der Entwicklung der Arbeitsanforderungen<br />

und der Entwicklung der Qualifikationen und Kompetenzen der Erwerbstätigen.<br />

Beide Entwicklungen stimmen zu wenig überein. So gesehen ist <strong>die</strong> "Humanisierung<br />

des Arbeitslebens" (teilweise allerdings mit neuen Themen - vgl. <strong>die</strong> Überforderung bei<br />

den Innovateuren, etc.) aktueller denn je.<br />

Auch <strong>die</strong> Diskussion um das lebenslange Lernen ist neu zu akzentuieren. Optimistisch<br />

formuliert kann festgestellt werden, dass etwa <strong>die</strong> Hälfte der Erwerbstätigen in der Arbeit<br />

mit Lern- oder Kreativitätsanforderungen konfrontiert ist. Hier lautet <strong>die</strong> Frage, wie, durch<br />

welche Lernprozesse sie bei der Bewältigung der Anforderungen unterstützt werden kann.<br />

Die andere Hälfte der Erwerbstätigen hat aber nichts bis wenig mit Lern- oder Kreativitätsanforderungen<br />

zu tun. Sie ist tendenziell bereits überqualifiziert.<br />

Die Diskussion um lebenslanges Lernen droht eine ähnliche katastrophale Fehleinschätzung,<br />

wie sie <strong>die</strong> PISA-Stu<strong>die</strong> bei der allgemeinen Bildungsdiskussion offenbart hat. Mindestens<br />

zwei Jahrzehnte lang sind <strong>die</strong> Chancen von Bildung betont worden. Übersehen<br />

worden ist, dass es hier <strong>die</strong> Chancen der halbierten Jungendlichen waren. Die andere<br />

Hälfte der Jugendlichen hat PISA-Leistungen erbracht, <strong>die</strong> jeder Vorstellung von Chancenförderung<br />

Hohn sprechen. Man hat einfach nicht hinsehen wollen, nicht gewollt zu<br />

lernen, wie heterogen im Sinne von Niveauunterscheidung sich das Bildungssystem entwickelt<br />

hat.<br />

Bezüglich der Weiterbildung und des lebenslangen Lernens lässt sich ein vergleichbarer<br />

Offenbarungseid vorhersagen.<br />

Und schließlich eine lakonische Anmerkung zur Diskussion um Wissensgesellschaft. Es<br />

scheint so zu sein, dass je mehr hierüber geredet wird, <strong>die</strong>se Tendenz um so weniger als<br />

allgemeine Tendenz für alle gilt. Soll man sich also unter der Wissensgesellschaft eine<br />

Minderheit Wissender vorstellen? Werden <strong>die</strong> Ergebnisse der 90er Jahre in <strong>die</strong> Zukunft<br />

verlängert, so sind solche Ahnungen naheliegend.<br />

� Veränderungskompetenz<br />

Da derzeit <strong>die</strong> allgemeine öffentliche Diskussion eine ziemlich vergebliche Angelegenheit<br />

ist, sei noch kurz auf eine Nutzungsmöglichkeit der AKE-Bilanz, <strong>die</strong> zumindest einige<br />

84


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

<strong>Unternehmen</strong> interessiert, hingewiesen. Diese <strong>Unternehmen</strong> wollen wissen, wie viele ihrer<br />

Beschäftigten über eine Veränderungskompetenz verfügen.<br />

Festgelegt sei: wer zumindest häufig mit Lern- oder Kreativitätsanforderungen in der Arbeit<br />

konfrontiert ist, hat Anforderungen der Veränderung bzw. Veränderungsanforderungen<br />

zu bewältigen. Personen, <strong>die</strong> <strong>die</strong>s tun, haben Veränderungskompetenz.<br />

1991/92 hat <strong>die</strong>s für 50% der Erwerbstätigen, 1998/99 für 40% der Erwerbstätigen gegolten.<br />

So gesehen gibt es in Deutschland trotz des Einbruches in 1998/99 relativ viele Veränderer.<br />

Die aus der Anforderungstypologie abgeleiteten Häufigkeiten zur Veränderungskompetenz<br />

können als Brutto-Werte praktizierte Veränderungskompetenz betrachtet<br />

werden. Wie erläutert liegt <strong>die</strong>se praktizierte Veränderungskompetenz in zwei Niveaustufen<br />

vor:<br />

a) Innovateure (kreative Anforderungen)<br />

b) Aufgabenflexible (Lernanforderungen).<br />

Jede Niveaustufe, also auch <strong>die</strong> Veränderer insgesamt, ist nun auch ausdifferenzierbar,<br />

ob<br />

eine steigerbare, da unterfordert,<br />

eine ausgeglichene, da weder unter- noch überfordert oder<br />

eine überforderungsbedrohte<br />

Veränderungskompetenz vorliegt.<br />

Zusätzlich zur praktizierten Veränderungskompetenz liefert <strong>die</strong> AKE-Bilanz auch Hinweise<br />

zur potentiellen, also zusätzlich erschließbaren Veränderungskompetenz: es sind <strong>die</strong>s <strong>die</strong><br />

unterforderten einfachen und qualifizierten Routinearbeiter. Es ist eben so, dass <strong>die</strong> gestellten<br />

Arbeitsanforderungen nicht nur Lernen und Kreativität fordern und fördern, sie<br />

unterdrücken auch Lern- und Kreativitätspotenziale, worauf bereits hingewiesen worden<br />

ist. Insgesamt lässt sich also ein wesentlich differenzierteres Bild zeichnen, als <strong>die</strong> allgemeine<br />

Rede von der Veränderungskompetenz vermuten lässt.<br />

Es ist häufiger in <strong>die</strong>sem Bericht betont worden, wie wichtig <strong>die</strong> endogene Personalentwicklung,<br />

also <strong>die</strong> Entdeckung und <strong>die</strong> Nutzung der vorhandenen Kompetenzpotenziale<br />

für das einzelne <strong>Unternehmen</strong> ist. Die vorgelegten Zahlen signalisieren, dass es hierfür<br />

auch ein reichliches Potenzial gibt. Wer möchte, kann sich beraten lassen, wie aus den<br />

mitgeteilten Zahlen betriebsindividuelle Benchmark-Werte herstellbar sind.<br />

Offen ist aber eine beunruhigende Frage: Warum sind in den 90er Jahren <strong>die</strong> Häufigkeit<br />

der Lern- oder Kreativitätsanforderungen gesunken und <strong>die</strong> der Routineanforderungen<br />

gestiegen. Warum ist also der Wert der Humanressourcen verringert worden? Zur Beantwortung<br />

<strong>die</strong>ser Frage wird im Kapitel 4.6 zumindest ein Einstieg geliefert. Er ist mit einer<br />

wissenschaftlichen Neuerung verbunden. Ermöglicht haben <strong>die</strong>s <strong>die</strong> - dem Verfasser<br />

unbekannten - Konstrukteure des IAB/BIBB-Fragebogens ermöglicht haben.<br />

85


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

4.6 Betriebliche Innovativität und Beschäftigungsentwicklung:<br />

Der Einfluss gesamtbetrieblicher Konstellationen auf <strong>die</strong><br />

Wissensverankerung<br />

� Innovation und Beschäftigung<br />

Erinnert sei an <strong>die</strong> Leitfrage <strong>die</strong>ses Kapitels: Nach welchen Regeln erfolgt <strong>die</strong> Wissensverankerung<br />

im <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> Voraussetzung und Folge des Auf- und Abbaus unternehmensspezifischen<br />

Wissens ist.<br />

Hierzu ist in Kap. 4.2 ein allgem<strong>eines</strong> Beziehungsmodell zwischen Individuum und Organisation<br />

vorgestellt worden, das in den folgenden Kapiteln hinsichtlich der Lern- oder<br />

Kreativitätsanforderungen und ihrer Bewältigung konkretisiert worden ist.<br />

Jetzt wird nun gefragt, ob und wie sich aus <strong>die</strong>sen Auswertungen Informationen gewinnen<br />

lassen, <strong>die</strong> betriebsnäher sind, <strong>die</strong> also etwas mehr über <strong>die</strong> Prozesse der Wissensverankerung<br />

in den verschiedenen <strong>Unternehmen</strong> verraten.<br />

Es ist hier nicht der Ort, den Weg von Versuch und Irrtum nachzuzeichnen. Es reicht, <strong>die</strong><br />

gefundene Lösung vorzustellen. In der 98/99er IAB/BIBB-Erhebung ist den Erwerbstätigen<br />

ein ganzer Katalog von Fragen vorgelegt worden, der darauf abstellte zu erfahren,<br />

welche betrieblichen Veränderungen sie in den letzten 2 Jahren beobachtet haben. Aus<br />

<strong>die</strong>sem Katalog werden hier exemplarisch <strong>die</strong> Fragen vorgestellt, <strong>die</strong> besonders häufig im<br />

Mittelpunkt des Interesses stehen. Sie wurden zu zwei komplexeren Dimensionen zusammengefasst:<br />

• Einmal <strong>die</strong> der Beschäftigungsentwicklung mit den Ausprägungen: in den letzten zwei<br />

Jahren gewachsen, geschrumpft, stabil geblieben.<br />

• Zum anderen <strong>die</strong> der betrieblichen Innovativität mit den Ausprägungen: innovativer<br />

Betrieb, teil-innovativer Betrieb, nicht-innovativer Betrieb<br />

Die empirischen Ergebnisse sind in dem Bild 40 zusammengestellt. Diesem Bild ist auch<br />

zu entnehmen, wie <strong>die</strong> Innovativitätsdimension konstruiert worden ist. Wie dargelegt worden<br />

ist, geben Erwerbstätige über sich und ihren Betrieb Auskunft. Also sind <strong>die</strong> Bilder wie<br />

folgt zu lesen:<br />

27,2% der Erwerbstätigen sagen, sie arbeiten in einem innovativen Betrieb;<br />

26,5% aller Erwerbstätigen sind in einem wachsenden Betrieb tätig und<br />

10,6% aller Erwerbstätigen sind in einem Betrieb beschäftigt, der sowohl<br />

innovativ als auch gewachsen ist, etc.<br />

86


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

a) Gesamtzahl der Erwerbstätigen gleich 100<br />

als: Anteile der Felder (Typen) an insgesamt<br />

Beschäftigungsentwicklung<br />

der<br />

Betriebe<br />

innovativ<br />

Innovativität der Betriebe<br />

teilinnovativ<br />

87<br />

nicht<br />

innovativ<br />

gesamt<br />

wachsend 10,6 8,2 7,7 26,5<br />

stabil 6,4 10,1 26,5 43<br />

schrumpfend 10,2 9,6 10,7 30,5<br />

gesamt 27,2 27,9 44,9 100<br />

Quelle: GfAH-Analyse des IAB/BiBB-Datensatezs "Qualifikation und Erwerbsarbeit" 1998/99<br />

b) Jeder Innovationstyp gleich 100%<br />

Erwerbstätige in:<br />

innovative<br />

Betriebe<br />

teil-innovative<br />

Betriebe<br />

nicht-innovative<br />

Betriebe<br />

gesamt<br />

wachsenden Betrieben 39 29 17 26,5<br />

stabilen Betrieben 23,5 36 59 43<br />

schrumpfenden<br />

Betrieben<br />

37,5 34 24 30,5<br />

gesamt 100 100 100 100<br />

Quelle: GfAH-Analyse des IAB/BiBB-Datensatezs "Qualifikation und Erwerbsarbeit" 1998/99, hier Bild 40a)<br />

Achtung: Rundungsfehler<br />

c) Jeder Beschäftigungstyp gleich 100<br />

Innovativität im<br />

Beschäftigungsentwicklung, Erwerbstätigen<br />

Urteil der<br />

Erwerbstätigen<br />

wachsenden<br />

Betrieben<br />

stabilen<br />

Betrieben<br />

schrumpfenden<br />

Betrieben<br />

innovative<br />

Betriebe<br />

teil-innovative<br />

Betriebe<br />

nicht-innovative<br />

Betriebe<br />

gesamt<br />

40 17 33 27,2<br />

31 24 32 27,9<br />

29 59 35 44,9<br />

gesamt 100 100 100 100<br />

Anmerkungen:<br />

Beschäftigungsentwicklung: Gefragt worden ist nach der Beschäftigungsentwicklung in den letzten 2 Jahren<br />

Innovativität:<br />

innovative Betriebe: Produktinnovationen und IuK-Investitionen sind in den letzten 2 Jahren erfolgt<br />

teil-innovative Betriebe: Produktinnovationen oder IuK-Investitionen sind erfolgt<br />

nicht-innovative Betriebe: weder Produkt- noch IuK-Investitionen erfolgten.<br />

Bild 40: Ergebnisse der Beschäftigungs-Innovativitäts-Matrix<br />

Die Bilder zeigen, dass innovative Betriebe sowohl stärker wachsen als auch schrumpfen<br />

als teil-innovative oder nicht-innovative Betriebe. Schrumpfende Belegschaften finden sich<br />

in allen 3 Innovationstypen etwa gleich stark, vgl. Bild 40c). Für wachsende Betriebe gilt<br />

<strong>die</strong>s ebenso; sie sind jedoch in den innovativen Betrieben etwas stärker vertreten, etc.<br />

Diese häufiger im Mittelpunkt des öffentlichen und politischen Interesses stehenden Fragen<br />

und Ergebnisse werden hier jedoch nicht weiter verfolgt.


� Kreativität und Routinearbeit<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Stattdessen wird gefragt, wie <strong>die</strong> so beschriebene gesamtbetriebliche Konstellation mit<br />

verschiedenen Aspekten der Arbeitskräfte-Einsatz-Bilanz zusammenhängen. Und hier<br />

fallen unerwartete, schroffe Ergebnisse an.<br />

Hier: Anteile an Kreativitätsanforderungen und einfachen Routineanforderungen<br />

Anteil in Prozent<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

innovative Betriebe<br />

Produkt- und Prozessinnovationen<br />

(= 27,1%)<br />

39,3<br />

11,1<br />

13,1<br />

35,3<br />

12,3<br />

35,1<br />

teil-innovative Betriebe<br />

Produkt- oder Prozessinnovationen<br />

(= 27,9%)<br />

19,9<br />

26,2<br />

22,7<br />

24,6<br />

Bild 41: Charakterisierung der Beschäftigungs- und Innovationstypologie<br />

20,1<br />

10<br />

Beschäftigte* + 0 - + 0 - + 0 -<br />

Häufigkeit<br />

in %<br />

10,5 6,4 10,2 8,2 10,1 9,6 7,7 26,5 10,7 = 100%<br />

* in den letzten 2 Jahren: + = wachsende Beschäftigtenzahlen; 0 = stabile Beschäftigtenzahlen; - = abnehmende Beschäftigtenzahlen<br />

22,7<br />

In innovativen Betrieben liegt der Anteil der Erwerbstätigen mit kreativen Anforderungen<br />

bei über 35%. Das Wachstum der Betriebe hat nur einen geringen Einfluss. In teil-innovativen<br />

Betrieben ist der Anteil der Beschäftigten mit kreativen Anforderungen bereits drastisch<br />

geringer, um bei den Erwerbstätigen in nicht-innovativen Betrieben dramatisch niedrige<br />

Werte zu erreichen. Genau umgekehrt ist <strong>die</strong> Entwicklung der einfachen Routinearbeit.<br />

Sie ist in den innovativen Betrieben kaum vorhanden, steigt deutlich an bei den teilinnovativen<br />

Betrieben, um bei den Erwerbstätigen in nicht-innovativen Betrieben Höchstwerte<br />

zu erreichen.<br />

Damit ist im Prinzip <strong>die</strong> mitgeteilte Beobachtung rückläufiger Anteile von Erwerbstätigen<br />

mit kreativen, wissenserzeugenden Anforderungen aufgeklärt. Es muss 1998/99 mehr<br />

nicht-innovative Betriebe als 1991/92 gegeben haben. Wird <strong>die</strong> Häufigkeit der Betriebstypen<br />

mitgerechnet, so sind <strong>die</strong> Niveauunterschiede besorgniserregend: Wie sollen <strong>die</strong><br />

teil-innovativen und erst recht <strong>die</strong> nicht-innovativen Betriebe aufholen - selbst wenn sie <strong>die</strong><br />

hierzu erforderlichen Investitionen finanzieren könn(t)en?<br />

Anhand der Wissenslandkarte ist gezeigt worden, dass <strong>die</strong> Lern- und Kreativitätsanforderungen<br />

mit den fachlichen Wissensgebieten zusammenhängen. Also kann von unterschiedlichen<br />

Wissensmustern in den drei Typen betrieblicher Innovativität ausgegangen<br />

werden.<br />

88<br />

nicht-innovative Betriebe<br />

Weder Produkt- noch Prozessinnovationen<br />

(= 44,9%)<br />

35,1<br />

16,1<br />

40<br />

15<br />

35,8<br />

16,6<br />

Anteil an<br />

Kreativitätsanforderungen<br />

Anteil an einfachen<br />

Routineanfordeerungen


� Unter- und Überforderung<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Werden nun auch <strong>die</strong> Beanspruchungen mit berücksichtigt, vgl. Bild 42a) und b), so ergibt<br />

sich folgendes Bild: Die Unterforderung folgt dem beschriebenen Innovativitätsmuster. Sie<br />

ist in nicht-innovativen Betrieben deutlich höher als in den innovativen. Die Anteile drohender<br />

Überforderung sind nur bescheiden von der Innovativität abhängig, für sie ist <strong>die</strong><br />

Beschäftigungsentwicklung entscheidend.<br />

Der höchste Wert wird mit 34% in innovativen aber schrumpfenden Betrieben erreicht. Die<br />

korrespon<strong>die</strong>renden Werte für beschäftigungsstabile oder wachsende Betriebe liegen<br />

deutlich niedriger, zwischen 20 und 22%.<br />

Den niedrigsten Anteilswert an drohender Überforderungen mit ca. 14% haben <strong>die</strong><br />

Erwerbstätigen, <strong>die</strong> angeben, in nicht-innovativen aber beschäftigungsstabilen Betrieben<br />

zu arbeiten. Der korrespon<strong>die</strong>rende Anteil bei den schrumpfenden Betrieben beträgt 30%.<br />

Wie das Bild 43, das <strong>die</strong> Alterszusammensetzung der Betriebstypen beschreibt, hängen<br />

<strong>die</strong> dramatischen Unterschiede der drohenden Überforderung insbesondere zwischen<br />

beschäftigungsstabilen und schrumpfenden Betrieben nicht von dem Anteil Älterer ab, er<br />

ist in beiden Fällen etwa gleich groß.<br />

Dies ist auch für <strong>die</strong> Interpretation von Bild 42b) von Bedeutung. Beschrieben sind dort <strong>die</strong><br />

Anteile der Erwerbstätigen ohne gesundheitliche Beschwerden und <strong>die</strong> Anteile der krank<br />

gewesenen Personen; sie variieren nach dem Muster der drohenden Überforderung.<br />

a): Hier: Anteile an Unterforderungen und Anteil an drohender Überforderung<br />

Anteil in Prozent<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

Wachsende<br />

<strong>Unternehmen</strong> (= 26,4%)<br />

26,5<br />

21,5 21<br />

31,4<br />

18,9<br />

37,7<br />

<strong>Unternehmen</strong> mit<br />

stabiler Mitarbeiter-Zahl (= 43%)<br />

38,7<br />

24,4<br />

20<br />

28,1<br />

17,1<br />

13,7<br />

10<br />

Innovation * + 0 - + 0 - + 0 -<br />

Häufigkeit<br />

in %<br />

10,5 8,2 7,7 6,4 10,1 26,5 10,2 9,6 10,7 = 100%<br />

* in den letzten 2 Jahren: + = sowohl neue Produkte als auch Investitionen; 0 = neue Produkte oder Investitionen; - = weder neue Produkte noch Investitionen<br />

89<br />

<strong>Unternehmen</strong> mit abnehmender<br />

Mitarbeiter-Zahl (30,5%)<br />

34<br />

24,3<br />

31,7<br />

25,2<br />

31,7<br />

30<br />

Anteil an<br />

Unterforderungen<br />

Anteil an<br />

drohender<br />

Überforderung


33,8<br />

10,8<br />

12<br />

33,1<br />

35,5<br />

10,1<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

b) Hier: Keine gesundheitlichen Beschwerden / Krank gewesen<br />

Anteil in Prozent<br />

45<br />

40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

Wachsende<br />

<strong>Unternehmen</strong> (= 26,4%)<br />

36,3<br />

8,8<br />

<strong>Unternehmen</strong> mit<br />

stabiler Mitarbeiter-Zahl (= 43%)<br />

37,1<br />

8,5<br />

5<br />

Innovation * + 0 - + 0 - + 0 -<br />

Häufigkeit<br />

in %<br />

10,5 8,2 7,7 6,4 10,1 26,5 10,2 9,6 10,7 = 100%<br />

* in den letzten 2 Jahren: + = sowohl neue Produkte als auch Investitionen; 0 = neue Produkte oder Investitionen; - = weder neue Produkte noch Investitionen<br />

Bild 42: Charakterisierung der Beschäftigungs- und Innovationstypologie (a) Anteile an<br />

Unterforderungen und Anteil an drohender Überforderung; b) Keine gesundheitlichen Beschwerden<br />

/ krank gewesen)<br />

Hier: Alter bis 29 Jahre und 50 Jahre und älter<br />

Anteil in Prozent<br />

40 Wachsende<br />

<strong>Unternehmen</strong> (= 26,4%)<br />

35<br />

30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

20<br />

19,7<br />

21<br />

19,1<br />

22,5<br />

22,2<br />

26,2<br />

14,3<br />

28,5<br />

14,2<br />

16,9<br />

Bild 43: Charakterisierung der Beschäftigungs- und Innovationstypologie (hier: Alter bis 29<br />

Jahre und 50 Jahre und älter)<br />

90<br />

43,7<br />

6,5<br />

<strong>Unternehmen</strong> mit<br />

stabiler Mitarbeiter-Zahl (= 43%)<br />

<strong>Unternehmen</strong> mit abnehmender<br />

Mitarbeiter-Zahl (30,5%)<br />

10<br />

Innovation * + 0 - + 0 -<br />

11,9<br />

+ 0 -<br />

Häufigkeit<br />

in %<br />

10,5 8,2 7,7 6,4 10,1 26,5 10,2 9,6 10,7 = 100%<br />

* in den letzten 2 Jahren: + = sowohl neue Produkte als auch Investitionen; 0 = neue Produkte oder Investitionen; - = weder neue Produkte noch Investitionen<br />

30,1<br />

25,1<br />

14,1<br />

24,2<br />

13,4<br />

27,9<br />

25,1<br />

15,1<br />

<strong>Unternehmen</strong> mit abnehmender<br />

Mitarbeiter-Zahl (30,5%)<br />

30<br />

14,3<br />

27,8<br />

15<br />

Keine gesundheitlichen<br />

Beschwerden in<br />

den letzten<br />

2 Jahren<br />

Krank gewesen<br />

in den letzten<br />

12 Monaten<br />

Alter bis<br />

29 Jahre<br />

Alter 50 Jahre<br />

und älter


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

� Zwei regulierende Muster der Wissensverankerung<br />

Bemerkenswerterweise ist es so, dass <strong>die</strong> Rangordnung der Anforderungstypologie in all<br />

<strong>die</strong>sen gesamtbetrieblichen Konstellationen sich immer wieder gleich herstellt. Hierauf<br />

haben <strong>die</strong> gesamtbetrieblichen Konstellationen keinen Einfluss. Einen überaus deutlichen<br />

Einfluss aber haben sie auf <strong>die</strong> relative Häufigkeit der Anforderungstypen und das Ausmaß<br />

der Beanspruchungen.<br />

Damit kann festgestellt werden, <strong>die</strong> Wissensverankerung im <strong>Unternehmen</strong> wird von zwei<br />

einander beeinflussenden Mustern strukturiert:<br />

und<br />

von der Anforderungstypologie<br />

von der gesamtbetrieblichen Konstellation.<br />

Beide Muster bilden sich aufgrund der unternehmerischen Tätigkeit in der Vergangenheit<br />

(Folge-Betrachtung) und sie strukturieren <strong>die</strong> Zukunft (Voraussetzungsbetrachtung).<br />

Natürlich ist es möglich, dass <strong>Unternehmen</strong> mit einer ungünstigen Gesamtkonstellation<br />

über deutlich bessere als erwartbare Wissensmuster verfügen; nur sie werden sich hierfür<br />

erheblich angestrengt haben müssen. Insgesamt folgt aus <strong>die</strong>sen Ausführungen,<br />

da sowohl <strong>die</strong> betrieblichen Veränderungen als auch <strong>die</strong> Arbeitskräfte-Einsatz-<br />

Bilanz relativ einfach erhebbar sind und<br />

da beide einen erheblichen Einfluss auf das betriebliche Wissensmuster haben:<br />

Die Grundzüge <strong>die</strong>ses Musters samt seiner Veränderungspotenziale sind ebenfalls<br />

verhältnismäßig einfach abzuschätzen.<br />

4.7 Die Scott-Morgan Orgin-Hypothese<br />

� Innovation und Organisation wählen einander<br />

Die hier so häufig herangezogenen IAB/BiBB-Datensätze haben aber auch ihre Grenzen:<br />

Über <strong>die</strong> Art und Weise der Organisation und den Typus von Innovationen haben sie zu<br />

wenig Merkmale - oder sie sind noch nicht entdeckt worden 53 . Jedenfalls ist daher eine<br />

neuere, bemerkenswerte Arbeit von Scott-Morgan 54 u.a. willkommen, <strong>die</strong> genau <strong>die</strong>se<br />

benannte Lücke zum Thema hat.<br />

Orgin steht für Organisation und Innovation. Die Orgin-Hypothese besagt: Innovation und<br />

Organisation wählen einander, d.h. bestimmte Innovationstypen gedeihen in bestimmten<br />

53 Vielleicht ist aufgefallen, dass nur selten direkt abgefragte Merkmale in <strong>die</strong>sem Bericht verwendet worden<br />

sind. In der Regel sind durch Merkmal-Kombinationen neue Merkmale geschaffen worden. Es hat so etwas<br />

wie eine reconstruction of reality (Goffmann) stattgefunden. Es ist also vorstellbar, dass <strong>die</strong> im Text notierten<br />

Defizite im Verlauf der weiteren Arbeit verringert werden können, siehe hierzu auch das Abschnitt-Ende.<br />

54 Scott-Morgan, P., Hoving, E., Smit, H., van der Slot, A.: Stabilität durch Wandel. Vier Modelle, mit denen<br />

Sie der Veränderungsmüdigkeit Ihrer Mitarbeiter begegnen. Frankfurt/New York 2001<br />

91


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Organisationstypen prächtig und verkümmern bzw. werden nahezu unmöglich, wenn <strong>die</strong><br />

Synchronität zwischen Innovation und Organisation nicht gegeben ist.<br />

Zu den zuvor erörterten regulierenden Mustern einer dynamischen Wissensverankerung<br />

kommt also ein drittes Muster hinzu.<br />

Entwickelt worden ist <strong>die</strong>se Hypothese von Scott-Morgan u.a. <strong>die</strong> Bezeichnung Orgin-<br />

Hypothese ist vom Verfasser <strong>die</strong>ses Textes. Die Scott-Morgan-Hypothese ist <strong>die</strong> Antwort<br />

auf ein häufig auftretendes Problem, das als Veränderungsfalle bezeichnet sei:<br />

Die Veränderungsfalle beschreibt einen Kreislauf wachsender Verdammnis, in<br />

dem induzierte Änderungen zu Störungen, <strong>die</strong>se zu Kreativitäts- und Leistungseinbußen,<br />

<strong>die</strong>se zu Produktivitätsrückschlägen und <strong>die</strong>se zu noch mehr Änderungen<br />

führen.<br />

Innovationsniveau<br />

hoch<br />

niedrig<br />

A<br />

Bild 44: Das Innovations 55 - und Turbulenz-Portfolio von Scott-Morgan u.a., GfAH©<br />

Scott-Morgan u.a. argumentieren also, dass es möglich ist, sowohl den blinden Veränderungen<br />

als auch den verlustreichen 56 Aufbau- und Konsoli<strong>die</strong>rungsprozessen zu entge-<br />

55 Scott-Morgan u.a. behandeln Innovationen und Turbulenzen als äquivalente Herausforderungen.<br />

56 gemessen an Zeit und Geld.<br />

Sprung-<br />

Innovationen<br />

focussichere<br />

Organisation<br />

graduelle<br />

Innovationen<br />

prozesssichere<br />

Organisation<br />

92<br />

vielfältige<br />

(chaotische)<br />

Innovationen<br />

flexibilitätssichere<br />

Organisation<br />

spiralige<br />

Innovationen<br />

expertensichere<br />

Organisation<br />

B<br />

D<br />

wenig(er) viel Innovationshäufigkeit<br />

Legende vom Verfasser:<br />

Zonen erhöhter Störanfälligkeit.<br />

Übergänge sind das Problem.<br />

A B C D<br />

Zonen der Erstarrung<br />

Diese Eintragungen sind vom Berichterstatter.<br />

C


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

hen. Sie setzen als Organisations- und Innovationsberater der Arthur Dr. Little-<strong>Unternehmen</strong>sberatung<br />

auf eine den Herausforderungen kongeniale Institutionalisierung von Bearbeitungsprozessen.<br />

Im Verständnis von Scott-Morgan u.a. sind Innovationen und Turbulenzen<br />

vergleichbare Herausforderungen, <strong>die</strong> ähnliche Lösungen verlangen.<br />

Ausgangspunkt ist das Innovations- und Turbulenz-Portfolio, siehe Bild 44, bestehend aus<br />

den Dimensionen<br />

Innovations(Turbulenz)häufigkeit mit den Ausprägungen wenig(er) bis viel und<br />

Innovations(Turbulenz)niveau mit den Ausprägungen niedrig bis hoch.<br />

Die so erhältliche 4-Felder-Tafel führt zu einer Erweiterung der bekannten Unterscheidung<br />

zwischen gradueller und radikaler bzw. Sprunginnovation. Hinzu kommen <strong>die</strong> spiraligen 57 ,<br />

<strong>die</strong> häufig auftreten bei begrenzten Niveausprüngen und <strong>die</strong> vielfältigen 58 Innovationen,<br />

<strong>die</strong> sowohl hohe Niveausprünge verlangen als auch häufig auftreten. Die Zuordnung bestimmter<br />

Organisationstypen wird verständlich, wenn unterstellt wird, dass jeder Innovationstyp<br />

eine spezifische Denk- und Arbeitsweise beinhaltet, also über eine bestimmte ihm<br />

eigene Professionalität verfügt. Es gelten - den Autoren folgend - nachfolgende Zuordnungen:<br />

Innovationstyp Professionalität Organisationstyp<br />

sprunghafte radikale<br />

Innovation<br />

graduelle, schrittweise<br />

Innovation<br />

vielfältige (chaotische)<br />

Innovation<br />

spiralige Innovation<br />

effektive Übergangsphase<br />

plus Stabilisierungsphase<br />

ständiger Fortschritt plus<br />

keine Überraschungen<br />

Flexibilität<br />

plus<br />

Opportunismus<br />

Fachwissen plus neue<br />

Herausforderungen<br />

93<br />

focussichere<br />

Organisation<br />

prozesssichere<br />

Organisation<br />

flexibilitätssicher<br />

Organisation<br />

expertensichere<br />

Organisation<br />

Zusammenstellung: GfAH nach Scott-Morgan u.a.: Stabilität durch Wandel, Frankfurt 2001<br />

Herstellung von<br />

Stabilität durch<br />

erst Sammlung, Bündelung<br />

von Veränderungen,<br />

dann konzentrierte<br />

Umsetzung<br />

langsame aber regelmäßige<br />

Anpassungen<br />

Nutzung sich wiederholenderGeschäftsabläufe<br />

für Niveauverbesserungen<br />

flexibel (offen) für Alles,<br />

aber hoch selektiv, in<br />

dem nur <strong>die</strong> erfolgversprechenden<br />

Optionen<br />

verfolgt werden<br />

Bild 45: Begründung des Zusammenhangs von Innovations- und Organisationstyp -<br />

GfAH©<br />

Mit nur ein wenig Phantasie wird <strong>die</strong> Zuordnung bekannter Institutionen möglich, wobei<br />

allerdings vorsichtshalber doch zwischen der Vorstellung von ihnen und denen zu prüfende<br />

Wirklichkeit zu unterscheiden ist. Scott-Morgan u.a. bleiben bei <strong>die</strong>ser Grobcharakterisierung<br />

nicht stehen. Anhand der Leitkriterien<br />

57<br />

Bei Scott-Morgan u-a- <strong>die</strong> repetitive Innovation, was - wie aus dem Buch erkenntlich ist - ein verbaler,<br />

eventuell übersetzungsbedingter Fehlgriff ist.<br />

58<br />

Bei Scott-Morgan u.a.: Die unendliche Innovation. Eine Bezeichnung, <strong>die</strong> das Vorstellungsvermögen des<br />

Verfassers überfordert.


Strategie und deren Verankerung<br />

Steuerung und Prozesse<br />

Organisation und<br />

Humanressourcen<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

werden differenzierende Charakterisierungen der synchronisierten Typologie von organisation<br />

und Innovation (Turbulenz) vorgenommen (siehe Bild 46).<br />

Das Ergebnis ist ein ziemlich reichhaltiges Tableau an begründeten Hypothesen, <strong>die</strong><br />

Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Organisations- und<br />

Innovationstypen veranschaulichen. Sofern man sich den Inhalt der Kurzbezeichnungen<br />

in <strong>die</strong>sem Bild aneignet, hat man auch eine Frageliste zur Selbstanalyse der Beziehungen<br />

von Innovations(Turbulenz) und Organisation.<br />

Scott-Morgan u.a. gehen nach der Charakterisierung der Orgin-Typen vor allem der Frage<br />

nach, wie der Wechsel von einem Typ zum anderen bewältigt werden kann. Für den<br />

Zweck <strong>die</strong>ses Berichts reicht es aber, festzuhalten: Es gibt offensichtlich bestimmte - also<br />

beschreibbare Muster der Organisation und <strong>eines</strong> ihnen korrespon<strong>die</strong>renden Verhaltens<br />

von Menschen, <strong>die</strong> den Umgang mit Veränderungen weder zum Drama noch zur Langeweile<br />

werden lassen, sondern ihn in den Rang einer beherrschten Alltagsleistung<br />

erheben.<br />

94


D<br />

Expertensichere Organisation<br />

Spiralige Innovation<br />

C<br />

Flexibilitätssichernde Organisation<br />

dann<br />

Chaotische Innovation<br />

1. Innovation<br />

• Häufigkeit Niedrig Niedrig Hoch Hoch<br />

B<br />

Prozesssichere Organisation<br />

Graduelle Innovation<br />

A<br />

Focussichere Organisation<br />

Sprunginnovation<br />

wenn *<br />

• Niveau Hoch Niedrig Hoch niedriger<br />

2. Strategie und deren Verankerung<br />

• Ziel Überraschungsfreiheit Beherrschen von wechselnden Herausforderungen<br />

• Verfahren Unbekanntes in Bekanntes verwandeln Nutzen von Erfahrungen Unbekanntes in Bekanntes verwandeln Nutzen von Erfahrungen<br />

Konzentration auf:<br />

• Diskussion Wie einmalige Veränderungen schaffen? Methode, anerkanntes Ziel zu erreichen Vision Neue Aufgaben<br />

interner Wettbewerb zur<br />

• Führungskräfte Methodenvariation Schlüsselaufgabe: KVP Vision charismatisch zu vermitteln<br />

Zyklusverbesserung<br />

3. Steuerung und Prozesse<br />

Konzentration auf Konzentration auf<br />

• was ein Ziel wiederholte Ergebnisse Vielzahl von Zielen neue Anwendungen<br />

• wie durch Verfahren durch Abfolge von Ergebnissen durch Selektion durch Abfolge von Veränderungen<br />

• Planung Größere Planung, Integration durch Personen Detaillierte Pläne am Endergebnis orientiert Zyklusplanung, Verbesserung von Zyklen<br />

Führungszentriert, nach Zielerreichung<br />

durch Kennziffern des jeweils letzten<br />

• Kontrolle<br />

hierarchische Kontrolle Selektion von Möglichkeiten<br />

Feedback-Orientierung<br />

abgeschlossenen Zyklus der Veränderung<br />

Ressourcen bereitstellen,<br />

auf breit gefächerte Investitionen<br />

• Finanzmanagement<br />

Schwerpunkt: Effizienz, Kosteneinsparung<br />

KVP innerhalb von Veränderungszyklen<br />

Produktivitätssteigerung<br />

hingerichtet<br />

4. Organisation<br />

• Aufgabengebiet<br />

flexible Lösungen standardisierte Zuordnungen<br />

klare Trennung von Aufgaben bzw.<br />

Funktionen<br />

durch zu liefernde Ergebnisse definiert<br />

(Funktionen)<br />

hohe Autonomie für Lieferung auf Funktion beschränkt innerhalb von Grenzen sehr hoch auf Veränderungszyklus konzentriert<br />

• Entscheidungsbefug<br />

nis<br />

• Schulung/<br />

Fähigkeiten / Veränderung standardisiertes Verfahren individuelle Höchstleistungen professionelle Arbeitsprozesse<br />

Weiterbildg.<br />

• Wertvorstellungen gemeinsames Ziel Commensence der Erfahrungen Individuum als Held an jeweilige Fachkommunität orientiert<br />

5. Humanressourcen<br />

soziale Kompetenz<br />

• Personalrekrutierung Doppelanforderung Wechsel und Stabilität nachgewiesene Leistung<br />

könnendes Fachwissen<br />

Schlüsselfertigkeit<br />

stark variierende Inhalte, Kooperation mit<br />

• (Fach)Wissen Veränderungs- und Routinewissen Erfahrung<br />

Fachwissen von Experten<br />

Außenwelt<br />

• Erfolg Zielerreichung durch KVP-Leistung nachhaltige Ergebnisse Zugehörigkeit zum Siegerteam am Können gemessen<br />

• Bonussystem insges. zielorientiert Status, Zugehörigkeit Trefferquote nach letzter abgeschlossener Veränderung<br />

*) vertauschbar, also interdependent, korrespon<strong>die</strong>rend<br />

Bild 46: Arbeitslogiken in den Innovations- und Organisationstypen (Quelle: ©GfAH nach Scott-Morgan, op.cit)<br />

95


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

� Erweiterungsbedarfe: Individueller Eigensinn und KMU-Tüftler<br />

Soweit erkennbar, besteht in zweifacher Hinsicht ein Erweiterungsbedarf der Überlegungen<br />

von Scott-Morgan u.a.:<br />

• Einmal ist der Geltungsbereich <strong>die</strong>ser Darstellung auf mittlere bis größere <strong>Unternehmen</strong><br />

fixiert. Kleinere bis mittlere <strong>Unternehmen</strong> haben einfach nicht <strong>die</strong> hier<br />

vorausgesetzte "organisational power".<br />

• Zum anderen kommt <strong>die</strong> Bedeutung des Eigensinns von Individuen zu kurz.<br />

Beide Anmerkungen hängen auch zusammen. An verschiedenen Stellen ihres Buches<br />

betonen Scott-Morgan u.a., dass nicht nur Organisation und Innovation einander wählen,<br />

sondern, dass auch <strong>die</strong> Personen in <strong>die</strong>sen Homogenisierungsprozess einbezogen sind.<br />

Es ist <strong>die</strong>s eine unstrittige Teilwahrheit.<br />

Audretsch 59 hat aber darauf hingewiesen, wie gezeigt worden ist, dass es auch dissonante<br />

Konstellationen zwischen Individuum und Organisation gibt. Es gibt Individuen, <strong>die</strong><br />

andere Ideen der Invention und Innovation im Kopf haben als <strong>die</strong> Entscheider im <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Um mit Harriot und Pemberton 60 zu reden: <strong>die</strong>se Individuen haben dann nur <strong>die</strong><br />

Wahl, sich zu unterwerfen oder zu gehen.<br />

Dem gebrochenen, aber auch dem behaupteten Selbstbewusstsein eigensinniger Individuen<br />

nachzugehen, ist eine zu wenig bearbeitete Forschungsaufgabe. Zu schnell werden<br />

Konsensmöglichkeiten zwischen Individuen und Organisation ausgelotet; zu wenig wird<br />

<strong>die</strong> produktive Bedeutung von Spannungen, Konflikten und Widerreden beachtet.<br />

Auch ist zu überlegen, wie <strong>die</strong> kleinen und mittleren <strong>Unternehmen</strong> in <strong>die</strong>se Typologie der<br />

Wechselwirkungen von Organisation und Innovation einbezogen werden können. So gab<br />

und gibt es in Deutschland den Typ des Tüftlers, der manchmal über Jahre hinweg versucht,<br />

ein Problem zu lösen, mit Mitteln, <strong>die</strong> jeder großbetrieblichen Arbeitslogik Hohn<br />

spotten. Auch ist Audretsch 61 zuzustimmen, wenn er <strong>die</strong> Bedeutung außerbetrieblicher,<br />

informeller Kontakte betont. Dies gilt erst recht auch innerbetrieblich, wobei zwei Konstellationen<br />

zu unterscheiden sind:<br />

• Einmal <strong>die</strong> geregelte (bürokratische) Konstellation. Hier haben informelle Kontakte<br />

häufig <strong>die</strong> Funktion Defizite der übermächtigen Struktur abzumildern.<br />

• Zum anderen <strong>die</strong> offiziell informelle Konstellation. Hier wird - häufig in KMU - spontane,<br />

direkte Kommunikation mit Regelarmut verwechselt.<br />

Wo und wie in <strong>die</strong>sen oder anderen Konstellationen Informalität Kreativität fördert, ist<br />

ebenfalls eine bedenkenswerte Frage.<br />

59 Audretsch, D., a.a.O.<br />

60 Harriot und Pemberton, a.a.O<br />

61 vgl. Audretsch, D., a.a.O.<br />

96


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Die Suche nach Mustern der Dynamik des "embedded knowing" hat trotz zahlreicher<br />

Arbeiten eben gerade erst begonnen. Es fehlt eben <strong>die</strong> doppelte Erzählung, in der sowohl<br />

<strong>die</strong> Biographie <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s als auch <strong>die</strong> ihrer Beschäftigten in ihren wechselseitigen<br />

Verschränkungen berichtet wird. Also muss man sich zur Zeit mit kleinen Wahrheiten<br />

zufrieden geben. Immerhin sind in <strong>die</strong>sem Kapitel mehrere Muster der Verankerung dynamischen<br />

Wissens beschrieben worden.<br />

4.8 Ein fiktiver Synergie-Workshop: Konvergenzen zwischen<br />

sehr verschiedenen Forschungsrichtungen<br />

Wäre <strong>die</strong> Bundesrepublik Deutschland noch ein ehrgeiziges, forschungsverrücktes Land,<br />

so wäre es möglich, Personen aus sehr unterschiedlichen Forschungseinrichtungen zu<br />

einem Synergie-Workshop 62 einzuladen. Zu verhandeln wären Synergien und Konvergenzen<br />

zwischen<br />

• der Personalforschung (Harriot und Pemberton)<br />

• der work-ability-Forschung (Ilmarinen 63 etc.)<br />

• der industrieökonomischen Innovationsforschung (Audretsch)<br />

• der Organisations- und Innovationsgestaltung (Scott-Morgan u.a.).<br />

Ilmarinen, oft in Deutschland eingeladen - würde zunächst seufzen - schon wieder in das<br />

Land der Bedenkenträger reisen zu sollen. Audretsch, der längere Zeit in Deutschland<br />

gearbeitet hat, würde ebenso mit etwas gemischten Gefühlen anreisen. Von Harriot u.<br />

Pemberton ist nicht bekannt, ob sie Deutschland kennen. Scott-Morgan u.a. würden als<br />

Praktiker zögern, an einem Forschungsdiskurs teilzunehmen. Soweit erkennbar, kennen<br />

<strong>die</strong> eingeladenen Personen sich nicht - jedenfalls zitieren sie sich nicht wechselseitig.<br />

Es ist also Zeit, auf dem Workshop und in der Vorbereitung vonnöten, um zu lernen, aufeinander<br />

zu hören. Ist auch <strong>die</strong>se Hürde genommen, so sind einige Gemeinsamkeiten zu<br />

entdecken. Alle Eingeladenen,<br />

• betonen <strong>die</strong> Unterscheidung von Individuum und Organisation,<br />

• und somit <strong>die</strong> Beziehungen zwischen beiden,<br />

• sind an einer doppelten biografischen Erzählung interessiert, in der <strong>die</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>sentwicklung und <strong>die</strong> individuellen Biografien miteinander<br />

verschlungen sind,<br />

• setzen auf Veränderungen und Veränderbarkeit,<br />

• verweisen jedoch auf den alten Grundsatz, dass auch <strong>die</strong> jeweils anderen<br />

Belange zu bedenken sind,<br />

• neigen zur Betonung von Erfahrung und sind doch offen für neue Ideen.<br />

62<br />

Die folgende Darstellung hat eine exemplarische Bedeutung; es gibt noch viel mehr Themen und Personen,<br />

<strong>die</strong> einander etwas zu sagen haben.<br />

63<br />

Ilmarinen, J.: Ageing workers in the European Union. Status and promotion of work ability, employability<br />

and employment, Finnish Institute of Occupational Health, Ministry of Social Affairs and Health, Ministry of<br />

Labour, Hensinki 1999, S. 85ff, S. 188ff.<br />

97


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 4 Wissensverankerung<br />

Gemeinsam ist allen Beteiligten, dass sie über <strong>die</strong> Bildung von Mustern und deren Veränderungen<br />

nachdenken. Wahrscheinlich ergeben sich nach der Entdeckung von Gemeinsamkeiten<br />

eine Reihe intensiver zu verfolgender Themen - Kontroversen hierzu eingeschlossen.<br />

Scott-Morgan u.a. und Ilmarinen würden - von sehr verschiedenen Disziplinen herkommend<br />

- einen Angleichungsprozess von Individuum und Organisation betonen. Harriot und<br />

Pemberton würden darlegen, dass <strong>die</strong>ser sowohl konstruktiv als auch destruktiv sein<br />

kann, je nachdem, wie viel Eigensinn und Autonomie verbleibt. Audretsch aber würde<br />

engagiert <strong>die</strong> produktive Bedeutung der Nicht-Angleichung, des Dissenses als Chance für<br />

Innovationen betonen.<br />

Alle Beteiligten würden sich wahrscheinlich darum bemühen, Lösungen zu suchen, <strong>die</strong><br />

Veränderungen und Veränderbarkeit zu einem normaleren Dasein zu verhelfen. Wahrscheinlich<br />

würde Prävention nicht nur als individuelle, sondern auch als organisatorische<br />

Prävention verstanden, hierbei eine Rolle spielen. Relativ schnell würde aber deutlich<br />

werden, dass jede Prävention offen sein muss für Chaos und Überraschungen.<br />

Womit das Thema reflexiver Erfahrungen und reflexiver Organisationen eröffnet ist.<br />

Irgendwann, wenn <strong>die</strong> Diskussion zu philosophisch wird, würden Scott-Morgan u.a. intervenieren<br />

und betonen, dass es zwar allgemeinere Entwicklungslinien durchaus geben<br />

mag, <strong>die</strong> Praxis der <strong>Unternehmen</strong> aber durch eine Vielzahl zwar unterschiedlicher aber<br />

äquivalenter Lösungen gekennzeichnet sei. Audretsch würde zustimmen und Ilmarinen<br />

würde anfangen, zu grübeln, ob es verschiedene Innovations- oder Lerntypen gibt.<br />

Allen Beteiligten ist klar, dass Vielzahl und Vielfalt ein Neudurchdenken von Regeln und<br />

der simplen good-practice-Philosophie verlangen, etc.<br />

Selbstverständlich und wahrscheinlich ist es so, dass auch ganz andere Zusammenhänge<br />

erörtert werden. Sollte ein Kommentator <strong>die</strong> Runde begleiten, so wird er vermerken, dass<br />

implizit und manchmal explizit sehr viel über knowledge, knowing und embedded knowing<br />

als Ermöglichung, aber auch aus Hindernis in einer turbulenten Welt zu überleben, nachgedacht<br />

worden ist.<br />

Diesen Kommentar und den Synergie-Workshop wird es in Deutschland nicht geben.<br />

Dieses Land ist inzwischen - zumindest in dem Segment, in dem der Verfasser lebt - von<br />

einer kreativen Forschung zu weit entfernt.<br />

98


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

5. (Selbst-)Befähigung zu befähigen<br />

5.1 Code der <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Stärker als alle anderen Kapitel ist <strong>die</strong>ses Kapitel gedanklich-experimenteller Natur. Entstehen<br />

neue Gedanken, so berühren <strong>die</strong>se häufiger <strong>die</strong> Grenze zur Verrücktheit bzw. sie<br />

werden für verrückt gehalten.<br />

Damit sind <strong>die</strong> Risiken benannt, so dass der Leser selbst entscheiden möge, ob er <strong>die</strong>ses<br />

Kapitel einfach überschlägt oder nicht. Immerhin: der Ausgangspunkt der folgenden<br />

Überlegungen ist empirischer Art - freilich hoch verdichtet und stilisiert.<br />

� Veränderung der Zukunftserwartungen<br />

In den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts ist ein Muster der Zukunftserwartungen entstanden,<br />

das in etwa <strong>die</strong> folgende Form hat:<br />

a) (über)morgen = heute + kalkulierbare Veränderungen<br />

Strukturen (heute) wurden also veränderlich gedacht und erlebt, wobei <strong>die</strong> Richtung<br />

der Veränderung als bekannt und das Tempo der Veränderung als hoch erwartet<br />

worden sind.<br />

Seit den 70er Jahren gibt es Korrektur-Diskussionen <strong>die</strong>ser Zukunftsvorstellung: im<br />

wesentlichen führte sie bei beibehaltenen Richtungserwartungen zu reduzierten<br />

Geschwindigkeitsvorstellungen.<br />

Spätestens in den 90er Jahren gewinnt eine veränderte Zukunftsvorstellung an Bedeutung<br />

b) (über)morgen = heute + kalkulierte Veränderungen + x,<br />

wobei x für Ungewissheit, Überraschungen etc. steht.<br />

Auch in <strong>die</strong>ser Zukunftsgleichung ist klar, dass Strukturen sich weiter ändern, <strong>die</strong>se<br />

Änderungen werden auch kalkuliert, aber <strong>die</strong> Unsicherheit über ihr Eintreffen ist groß.<br />

Zur Diskussion steht häufiger nicht nur <strong>die</strong> Geschwindigkeit der Veränderung, sondern<br />

auch deren Richtung.<br />

Die Reaktionen auf <strong>die</strong>se veränderten Zukunftserwartungen sind zweigeteilt:<br />

• Einmal ist eine Reduktion von Vergangenheit und Zukunft auf eine erweiterte Gegenwart<br />

zu beobachten. Längerfristige Orientierungen sind suspekt.<br />

• Zum anderen erfolgt eine Neuinterpretation von Zukunftserwartungen. Wenn <strong>die</strong>se zu<br />

ungewiss sind, um sie in Planungen zu fixieren, so ist doch eine Vorbereitung in Form<br />

von Potenzialen möglich.<br />

Zur Zeit existieren alte und neue Zukunftserwartungen ebenso wie <strong>die</strong> unterschiedliche<br />

Reaktionsweisen auf <strong>die</strong> geänderten Verhältnisse nebeneinander - nicht selten sogar in<br />

einer Person.<br />

Wahrscheinlich aber wird der Potenzialorientierung - zumindest für <strong>Unternehmen</strong> - <strong>die</strong><br />

Zukunft gehören.<br />

99


� Potenzialorientierung<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Ein Potenzial kann als Bündelung von abrufbaren bzw. schnell entwickelbaren Möglichkeiten<br />

verstanden werden. Zu erbringende Leistungen sind also auswählbar.<br />

Der blinde Evolutionsprozess mit seiner Steuerung (Selektion) durch Versuch und Irrtum<br />

wird also teilweise durch einen sehenden Evolutionsprozess ersetzt, der durch Selbststeuerung<br />

charakterisiert ist. Die Einschränkung "teilweise" folgt daraus, weil für jedes<br />

<strong>Unternehmen</strong> nahezu immer eine Vorstrukturierung der Zukunft durch <strong>die</strong> Vergangenheit<br />

vorliegt.<br />

Diese Vorstrukturierung beschränkt den Kreis der Wahlmöglichkeiten. Soll er erweitert<br />

werden, so ist es erforderlich, <strong>die</strong> Vorstrukturierung außer Kraft zu setzen. Dies ist möglich,<br />

aber nur um den Preis der Bewältigung von Folgeproblemen.<br />

Eine Selbst-Steuerung ist nur möglich, wenn Vorstellungen darüber bestehen, wohin gesteuert<br />

werden soll. Das ist <strong>die</strong> ex ante-Leistung der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s:<br />

sie fungiert als Richtungsweiser. Dies ex post-Leistung der <strong>Einzigartigkeit</strong> besteht dann<br />

darin zu prüfen, ob <strong>die</strong> verfolgte Richtung auch tatsächlich ein Erfolg war; erinnert sei an<br />

<strong>die</strong> Diskussion um <strong>die</strong> Profitrate in Kapitel 2.<br />

Mintzbergs Strategy-Safari 64 kann als Hinweis auf <strong>die</strong> wachsende Potenzialorientierung in<br />

der unternehmensstrategischen Diskussion gesehen werden. Fujimoto 65<br />

hat am Beispiel<br />

Toyota das Konzept der evolutionary capability vorgestellt - in <strong>die</strong>sem Bericht wird es mit<br />

der Selbst-Befähigung zu befähigen übersetzt.<br />

Mit am deutlichsten ist <strong>die</strong> Potenzialorientierung im EFQM 66 -Modell mit der Unterscheidung<br />

von Befähigern und Ergebnissen realisiert, siehe Bild 47. Die hier angestellten<br />

Überlegungen zur <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s bewegen sich gewissermaßen vor<br />

dem EFQM-Modell. Hierbei wird <strong>die</strong> reproduzierbare Entstehung von <strong>Einzigartigkeit</strong> vorausgesetzt.<br />

Selbst-Befähigung bezeichnet - so <strong>die</strong> Schlussfolgerung aus der internationalen<br />

Diskussion - das Gefüge von Leistungen, welches zur Erzeugung der <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s unverzichtbar ist.<br />

Nur, welche Leistungen gehören hierzu, was ist der Inhalt der Selbst-Befähigung, <strong>die</strong> als<br />

Gefüge von Leistungen <strong>Einzigartigkeit</strong> erzeugt? In <strong>die</strong>sem Bericht sind einige Leistungen<br />

betont worden, etwa<br />

Wissenserzeugung und -nutzung;<br />

Kern- und Basiskompetenzen;<br />

Ensemblekompetenz;<br />

Veränderungskompetenz.<br />

64 Vgl. Mintzberg, H., Ahlstrand, B., Campel, J.: Strategy-Safari, Wien 1999<br />

65 Vgl. Fujimoto, T.: The Evolution of A Manufacturing System at Toyota, New York 1999<br />

66 EFQM: European Federation for Quality Management<br />

100


Referenzthema<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong><br />

índividuellen Unternehm.<br />

Ähnlich den besten <strong>Unternehmen</strong><br />

(Effizienz)<br />

Anders als jeder Wettbewerber<br />

(Effektivität)<br />

im Kundenurteil<br />

beständige Erneuerung<br />

Zu- und Abgänge<br />

Könnendes Wissen<br />

Wissenserzeugung<br />

Wissensnutzung<br />

Wissensverankerung<br />

Innovation<br />

Selbstorganisation 2<br />

intra-personal<br />

innerbetrieblich<br />

zwischenbetrieblich<br />

(regional)<br />

virtuell<br />

Kultur 2<br />

Ressourcen-<br />

Mobilisierung<br />

verfügbare Technologien/IuK<br />

Kundenzugang<br />

Humanressourcen<br />

Finanzen<br />

Bild 48: Baukasten: Selbst-Befähigung<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Lernende Strategien<br />

<strong>Unternehmen</strong>sspezfische<br />

Wissensdynamik<br />

konsoli<strong>die</strong>rte Vision<br />

flexible Turbulenzerzeugung<br />

agile Turbulenzbewältigung<br />

Ergebnis-Controlling<br />

Wissensbestände<br />

Kern-Kompetenzen<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s<br />

Produkt/Prozess<br />

Ablauf Kundenbezug<br />

personelle Entwicklung<br />

Ökonomie<br />

Basiskompetenzen<br />

Veränderungskompetenz<br />

der Beschäftigten<br />

Neues gestalten<br />

Mitlernen lassen Dritter<br />

Kooperationsfähigkeit<br />

Eigenverantwortlichkeit<br />

Reflexive<br />

Erfahrungen<br />

Bekanntes auf Neues<br />

anwenden<br />

Lernkurven<br />

Dogmatismus begrenzen<br />

Erfahrungen weitergeben<br />

In jedem Kasten des Bild 48, der als Modul oder Werkzeug verstanden wird, sind Bezeichnung<br />

(Thema, Inhalt) und differenzierende Unterpunkte ausgewiesen. Sie sollen -<br />

ohne Anspruch auf Vollständigkeit - darauf aufmerksam machen, woran jeweils zu denken<br />

ist, was zu beachten ist. Zusammen ergeben Haupt- und Unterpunkte eine Art Checkliste<br />

zur <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s. Im Bild 48 befinden sich noch<br />

102<br />

Ziele und Maßnahmen<br />

flexible Ziele/Maßn.<br />

transparente Ziele/Maßn.<br />

einlösbare Ziele/Maßn.<br />

Balancierung von Rechten<br />

und Pflichten der<br />

Mitarbeiter<br />

Ensemble-Kompetenz<br />

(kooperierende Akteure)<br />

funktionierende Führung<br />

funktionale Kooperation<br />

Balancierung interner<br />

Widersprüche<br />

Engagement für <strong>Unternehmen</strong>skultur<br />

Wandlungsfähigkeit<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s<br />

Steigerung der Leistungsfähigkeit<br />

Reduktion der Komplexität<br />

auf leistbare Anforderungen<br />

Zeitrhythmen beherrschen<br />

Strukturvariation<br />

Nachhaltige<br />

Entwicklung<br />

ökonomische Entw.<br />

(Beschäftigung, Technologie)<br />

personell-soziale Entw.<br />

ökologische Entw.<br />

gesellschaftliche<br />

Verantwortung<br />

�� = Zeichen für Chancen = Zeichen für Schwierigkeiten Zeichen für Beziehung<br />

Die Zeichen können überall stehen, da firmenindividuell zu setzen!<br />

2 Die auch widersprüchlichen Beziehungen zwischen Organisation und Kultur <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, stellt eine<br />

der großen Leerstellen dar, <strong>die</strong> noch zu schließen sind.


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

• Beziehungszeichen für Zusammenhänge zwischen zwei oder mehreren Modulen<br />

• Chancen sowie<br />

• Gefahrzeichen.<br />

Diese Zeichen können überall gesetzt werden, ihre Lokalisierung hat also keine<br />

spezifische Bedeutung. Alles zusammen: Modulverzeichnis, Glossar sowie Beziehungsund<br />

Bewertungszeichen stellen den Baukasten dar.<br />

Wie für <strong>die</strong> Werkzeuge <strong>eines</strong> realen Handwerkkastens gilt auch für <strong>die</strong> hier versammelten<br />

Module (Leistungen), sie sind alle nutzbar, nützlich und notwendig - nur nicht gleichzeitig.<br />

Wahrscheinlich ist niemand in der Lage, alle <strong>die</strong>se Module gleichzeitig zu denken und in<br />

ihren Beziehungen zu erläutern. Soll mit <strong>die</strong>sen Modulen gearbeitet werden, so sind<br />

einzelne herauszugreifen und in Beziehung zueinander zu setzen.<br />

So sind in <strong>die</strong>sem Bericht vorzugsweise Wissenserzeugung und -nutzung unter<br />

Berücksichtigung von Kern- und Basiskompetenzen in Bezug auf <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>s erörtert worden. Andere mögen eine andere Auswahl treffen. Einen<br />

wichtigen Vorteil hat aber das Verzeichnis noch: Beschäftigt man sich mit einem Modul<br />

(einer Leistung), so reicht ein Blick auf das Übersichtsblatt, um zu überlegen, was noch zu<br />

beachten ist.<br />

Soeben beschrieben worden ist <strong>die</strong> pragmatisch-individuelle Nutzung des<br />

Werkzeugkastens "Selbst-Befähigung". Es gibt jedoch eine alternative<br />

Nutzungsmöglichkeit des Werkzeugkastens - und <strong>die</strong>se ist für <strong>Unternehmen</strong> i.d.R.<br />

angemessener. Wird der Werkzeugkasten von mehreren benutzt, wird also eine<br />

Ensemble-Leistung erbracht, so sind sehr wohl alle Werkzeuge gleichzeitig nutzbar<br />

(Beispiel: Orchester). Die individuellen Leistungsgrenzen entfallen jetzt. Allerdings sind<br />

dann Kommunikation und Kooperation unverzichtbar.<br />

Diese Ensemble-Leistung wird durch <strong>die</strong> Diskussion des Verhältnisses von "Erfahrungen"<br />

und "Entscheidungen" noch gespeist. Zugleich wird hierdurch deutlich, wie das Potenzial<br />

"Selbst-Befähigung" auch zu einer eigenen Veränderung führt.<br />

Jedes <strong>Unternehmen</strong> hat eine Struktur mittels derer Prozesse organisiert werden, <strong>die</strong> zu<br />

Leistungen mit einem definierten ökonomischen Ergebnis führen. Strukturen sowie <strong>die</strong><br />

Folgen, also Prozesse, Leistungen und Ergebnisse, werden durch Rück- und<br />

Verkoppelungen geändert. Im Falle der Rückkoppelung erfolgt <strong>die</strong> Änderung aufgrund von<br />

Erfahrungen. Die Ergebnisse werden für gut oder schlecht befunden, hieraus erfolgen<br />

Rückschlüsse, ebenso gelernt wird aus den Prozessen und den Leistungen. <strong>Was</strong> kann<br />

besser gemacht werden?<br />

103


Selbst-Befähigung<br />

eingebettet in Strukturen<br />

und Prozesse<br />

erzeugt Leistungen<br />

Bild 49: Veränderung der Selbst-Befähigung<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

<strong>die</strong>se erbringen Ergebnisse<br />

Rückkoppelung<br />

Änderung durch<br />

Erfahrungen<br />

Vorkoppelung<br />

Änderung durch<br />

Entscheidungen<br />

Diese erfahrungsbasierten Änderungen der Strukturen sichern deren Reproduktion bei<br />

gleichzeitiger Veränderbarkeit. Änderungen erfolgen aber auch durch Entscheidungen.<br />

Sie haben nicht selten radikalere Strukturveränderungen zur Folge und beabsichtigen<br />

eher andere Leistungen, vor allem deutliche verschiedene Ergebnisse im Vergleich zur<br />

Ist-Situation.<br />

Erfahrungen reproduzieren Strukturen mittels gradueller Änderungen. Entscheidungen<br />

sind ambivalent, sie können sowohl <strong>die</strong> Reproduktion der Strukturen stützen, aber sie<br />

auch durch neue ersetzen. Die Fähigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, Erfahrungen zu nutzen<br />

und Entscheidungen zu treffen, charakterisiert <strong>die</strong> Umsetzung seiner <strong>Einzigartigkeit</strong>.<br />

Die Qualität <strong>die</strong>ser Umsetzung lässt sich mit den im Kapitel 2 vorgestellten drs-Qualitäten<br />

beschreiben. Es handelt sich also um eine dynamisch-relationale und nachhaltige<br />

Umsetzung - oder auch nicht (Misserfolg).<br />

Folgende Aussagen können als Hypothesen gesetzt werden:<br />

• je dogmatischer, also unveränderlich, Erfahrungen sind, desto härter prallen<br />

Erfahrungen und richtungsändernde Entscheidungen aufeinander,<br />

• je reflexiver, also veränderlicher, Erfahrungen sind, desto eher sind <strong>die</strong>se mit<br />

strategischen Entscheidungen kompatibel,<br />

• je verbreiteter reflexive Erfahrungen in einem <strong>Unternehmen</strong>, also je eingebauter auch<br />

<strong>die</strong> Fähigkeit zu Veränderungen sind, desto weniger schwerwiegende Folgen haben<br />

richtungsändernde Entscheidungen.<br />

Schon jetzt kann gesagt werden, dass <strong>die</strong>se Hypothesen nur innerhalb einer Bandbreite<br />

von Entwicklungsmöglichkeiten gelten. Die eine Grenze des Mitgestaltens von<br />

Veränderungen liegt i.d.R. vor, wenn <strong>die</strong> eigene Existenzgefährdung verlangt wird.<br />

Arbeitnehmer tragen vieles mit, dass sie aber selbst für ihre Entlassung plä<strong>die</strong>ren, ist nur<br />

selten zu beobachten.<br />

104


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Die andere Grenze der möglichen Koexistenz von reflexiven Erfahrungen und<br />

richtungsändernden Entscheidungen liegt vor, wenn letztere größenwahnsinnig werden<br />

(Beispiel: AEG-Politik der 70er Jahre, Siemens zu überholen; Investitionspolitik der hieran<br />

gescheiterten Bank für Gemeinwirtschaft). Wie <strong>die</strong> in Klammern gesetzten Beispiele aber<br />

zeigen, ist <strong>die</strong> Exportwürdigung einer Entscheidung als größenwahnsinnig einfacher als<br />

ihre ex ante Feststellung. Also auch <strong>die</strong> Grenzenerkennung ist alles andere als einfach.<br />

Zusammengefasst:<br />

1. Es ist vorstellbar und wohl auch wahrscheinlich, dass es einen Code der<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s gibt. Der Code bezeichnet <strong>die</strong> Leistungen<br />

(Funktionen), <strong>die</strong> vorhanden sein müssen, um <strong>Einzigartigkeit</strong> immer wieder neu zu<br />

erzeugen.<br />

Die Entzifferung <strong>die</strong>ses Codes würde <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> einzelner <strong>Unternehmen</strong><br />

unterstützen, aber nicht beschädigen, da <strong>die</strong> Leistungen ihrer Form nach und nicht in<br />

ihren spezifischen Inhalten beschrieben sind; vgl. dazu <strong>die</strong> Diskussion in Kapitel 3.<br />

2. Wenn es einen solchen Code gibt, so wird <strong>die</strong>ser eher nutz- und handhabbarer als<br />

Gemeinschaftsleistung Mehrerer/Vieler denn als individuelle Leistung. Die Gründe<br />

hierfür sind in seiner Komplexität zu suchen.<br />

3. Die Hypothese <strong>eines</strong> Code der <strong>Einzigartigkeit</strong> ist formuliert worden, weil es an der Zeit<br />

ist, darüber nachzudenken, wie Potenzialbegriffe präziser beschrieben werden<br />

können. Hierzu gehört insbesondere der der (Selbst -)Befähigung zu befähigen. Zur<br />

Zeit erfolgt nämlich <strong>die</strong> Füllung der Potenzialbegriffe eher indirekt als explizit,<br />

vermittelt als Indikatoren und anderer Signale.<br />

� Glossar<br />

Bild 50 enthält eine Zusammenstellung von Kurzdefinitionen der Schlüsselbegriffe des<br />

Baukastens (Selbst-)Befähigung zu befähigen.<br />

Für einen einzigen Begriff, nämlich den der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, liegt<br />

inzwischen, wie in Kapitel 2 nachzulesen ist, eine Definition mit Erläuterung der<br />

Definitionsmerkmale vor. Dieses Verfahren auf alle anderen Begriffe angewandt, würde<br />

<strong>die</strong> Sprengung aller verfügbaren Ressourcen und eine Papierlänge bedeuten, <strong>die</strong> als<br />

Buch nicht mehr sinnvoll ist.<br />

Deshalb wird wie folgt verfahren: Die vorgelegte Sammlung von Kurzdefinitionen wird<br />

nach und nach via Internet (www.einzigartige-unternehmen.de) um etwas ausführlichere<br />

sowie weitere Definitionen und Erläuterungen ergänzt werden. Grundsätzlich ist damit<br />

auch ein Ort bezeichnet, der geeignet ist, um auf begriffliche Fehlentwicklungen<br />

aufmerksam zu machen, aber auch, um alternative Begriffsbestimmungen vorzustellen.<br />

105


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

1 Selbstbefähigung<br />

Das Potenzial <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s zur Erzeugung und Bewältigung von Marktturbulenzen durch<br />

Strukturvariation.<br />

Es gilt <strong>die</strong> Sequenz: � Befähigung � Leistungen � Ergebnisse � Rückkoppelungen � und der<br />

Vorkoppelungen � Neuschöpfung � Befähigung.<br />

2 Globalisierung<br />

Annäherung an globale Märkte; d.h. Ubiquität von Produktionsfaktoren, Produkten, Dienstleistungen<br />

für Kunden. Achtung: Es gibt verschiedene Spielarten globaler Märkte, vgl. Kapitel 6.<br />

3 Turbulenz<br />

(Unvorhergesehene) Entwicklungen und Ereignisse mit Auswirkung auf das eigene <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Turbulenzbewältigung: verarbeitende Reaktion auf Ereignisse.<br />

Turbulenzerzeugung: Schaffung von Ereignissen, <strong>die</strong> Dritte nicht eingeplant haben.<br />

4 <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Die beständige Erneuerung <strong>eines</strong> vom Kunden honorierten Unterschiedes zu den Wettbewerbern.<br />

Slogan: Ähnlich den besten <strong>Unternehmen</strong>, anders als jeder Wettbewerber im Kundenurteil. Die <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s ist der Richtungsgeber für <strong>die</strong> Potenzialnutzung.<br />

5 Lernende Strategie<br />

Die wiederholte, situative wissensverarbeitende Annäherung <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s an dessen<br />

Zukunftsentwurf.<br />

6 Kern-Kompetenz<br />

Etwas, mit einem Potenzial für neue Produkte und Dienstleistungen können, was andere <strong>Unternehmen</strong><br />

nicht können. Achtung: Nicht zu verwechseln mit Basiskompetenz: etwas gut können -<br />

wie viele andere auch!<br />

7 Veränderungskompetenz<br />

Eigenverantwortliche Bewältigung neuer Anforderungen (selbst gesetzt oder vorgegeben) mittels<br />

Lernen und Kreativität.<br />

8 Könnendes Wissen<br />

Die Verschmelzung verschiedener Wissensgebiete (i.d.R. in einer Person) unter Einschluss von<br />

Erfahrungen zwecks Erzeugung und Nutzung von Wissen.<br />

9 Reflexive, neugierige Erfahrungen<br />

Reflexive Erfahrungen: Auswertende Erinnerung der Erinnerungen an Handlungen, deren<br />

Ergebnisse und Folgen<br />

Neugierige Erfahrungen: Erinnerungsgestütztes Vertrauen in <strong>die</strong> Aufnahme neuer Informationen<br />

sowie deren Suche.<br />

10 Selbst-Organisation<br />

Möglichst dezentrale, eigenverantwortliche Erledigung von vorgegebenen und selbstgesetzten<br />

Aufgaben in geeigneten Strukturen (Vorrang der horizontalen vor der vertikalen Rückkopplung).<br />

11 Ressourcen-Mobilisierung<br />

Die Zur-Verfügung-Stellung von Produktionsfaktoren und Geldmitteln.<br />

12 Nachhaltige Entwicklung<br />

Dergestaltige Kombination mehrerer Entwicklungen, dass auf Dauer für jede einzelne eine spürbare<br />

und hinreichende Verbesserung nachweisbar ist.<br />

Entwicklungen werden hier unterteilt in: ökonomische, beschäftigungsmäßige, soziale, ökologische<br />

und technologische Entwicklungen,<br />

13 Ensemblekompetenz (kooperierende Akteure)<br />

Zusammenarbeit von verschiedenen Funktionsträgern <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s bei Ausbalancierung von<br />

Ziel- und Maßnahmekonflikten.<br />

14 Ziele/Maßnahmen<br />

Ergebnisorientierter, operativer Abgleich (einschließlich der Folgen) von Zukunftsentwurf, Strategie<br />

und operativer Befindlichkeit des <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

15 Wandlungsfähigkeit<br />

Zielgerichtete Leistungsveränderung (Steigerung und Anderswerden) durch Beherrschung des Widerspruchs<br />

von Strategie und Struktur bei Reduktion der Komplexität auf vom Individuum leistbare Aufgaben.<br />

Bild 50: Glossar zum Baukasten „Selbst-Befähigung“<br />

106


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

5.2 Die pdca 68 -Handlungslogik<br />

� Umsetzung von Potenzialen in Handlungen<br />

Wenn, wie erörtert,<br />

<strong>die</strong> Potenzialorientierung <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s von wachsender Bedeutung ist,<br />

und wenn, wie berichtet, hiermit Schwierigkeiten verbunden sind,<br />

so ist zu fragen, was hieraus für das Handeln einzelner Akteure (seien es Facharbeiter<br />

oder Manager) in einzelnen <strong>Unternehmen</strong> folgt.<br />

Gibt es <strong>die</strong> Möglichkeit, <strong>die</strong> Nutzung von Potenzialen zu fördern, wenn an <strong>die</strong> Stelle<br />

deduktiver Ableitungen das Handeln einzelner Akteure als Quelle der (Selbst-)Erkenntnis<br />

gesetzt wird?<br />

Erörtert wird <strong>die</strong>se Frage mittels Deming’s 69 pdca-Zyklus. Dieser unterteilt eine Arbeitsaufgabe<br />

in <strong>die</strong> Phasen to plan, to do, to check, to act, siehe Übersetzung in Bild 51.<br />

Deming: pdca-Zyklen EFQM: RADAR-Zyklus<br />

plan: Ziele festlegen<br />

results: Ziele festlegen<br />

Maßnahmen planen approach: Vorgehensweise, Maßnahmen<br />

do: Umsetzung deployment: Umsetzung<br />

check: auswerten<br />

assets and auswerten und<br />

act: verbessern<br />

review:<br />

verbessern<br />

Bild 51: Vergleich von Deming und EFQM<br />

Demings pdca-Zyklus ist zunächst als Handlungslehre für Qualitätsfachleute entworfen<br />

worden. Der Vergleich mit dem RADAR-Zyklus der European Federation for Quality<br />

Management (EFQM) zeigt, dass inzwischen eine Verallgemeinerung für alle rationalzielgerichtete<br />

Handlungen stattgefunden hat.<br />

In der EFQM-Version wird <strong>die</strong> Deming-Phase "to plan" in 2 Phasen zerlegt: Ziele festsetzen<br />

(results) und Maßnahmen festlegen (approach). Hingegen werden <strong>die</strong> beiden<br />

Deming-Phasen "to check" (auswerten) und to act (verbessern) in der EFQM-Fassung in<br />

einer Phase (assets and review) zusammengezogen.<br />

Man kann sagen: der pdca-Zyklus spiegelt mehr <strong>die</strong> Handlungslogik des Einzelnen wieder,<br />

während der RADAR-Zyklus eher auf <strong>die</strong> Steuerung von und durch größeren <strong>Unternehmen</strong><br />

abstellt.<br />

Es ist aber auch möglich, den pdca- und den RADAR-Zyklus zu einem Zyklus zu vereinen,<br />

so dass <strong>die</strong> Differenzierungsvorteile beider Versionen erhalten bleiben. In <strong>die</strong>sem<br />

Fall erhält man den "radca"-Zyklus mit:<br />

r = results; Ziele festsetzen<br />

a = approach; Maßnahmen festlegen<br />

d = umsetzen, durchführen<br />

c = auswerten<br />

a = verbessern.<br />

68 pdca: plan, do, check, act<br />

69 Deming, W.E.: Quality, Productivity and Competitive Position, Cambridge 1982<br />

107


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

"radca" ist <strong>die</strong> Beschreibung einer zweckrationalen Handlung, <strong>die</strong> den ihr eigenen Impuls<br />

zu ihrer Verbesserung auch nutzt.<br />

Da nun der radca-Zyklus und <strong>die</strong> zu entwickelnde radca-Spirale noch gewöhnungsbedürftiger<br />

als der pdca-Zyklus ist, wird im folgenden mit dem pdca-Zyklus weiter diskutiert. Alle<br />

vorgetragenen Argumente gelten auch für <strong>die</strong> radca-Lösung.<br />

Fragt man nun nach der Handlungslogik, so ergeben sich folgende Regeln:<br />

1. Gliedere eine Aufgabe in Teilschritte: p, d, c, a!<br />

2. Behandele <strong>die</strong> Teilschritte als zeitliche Sequenzen in zwingender<br />

Reihenfolge!<br />

3. Wiederhole den Prozesse auf höherem Niveau!<br />

4. Lege fest, wer handelt!<br />

Die Aufgabengliederung kann als sachliche Dimension bezeichnet werden und <strong>die</strong><br />

Reihenfolge-Festlegung und <strong>die</strong> Wiederhol-Forderung als zeitliche Dimension.<br />

Über den Handelnden (wer) gibt es keine Vorschrift. Klar ist nur, dass es einen Akteur<br />

oder Akteure geben muss; <strong>die</strong> soziale Dimension - <strong>die</strong> Akteur-Dimension ist also implizit<br />

enthalten.<br />

Der pdca-Zyklus ist also eine Vorschrift, <strong>die</strong> <strong>die</strong> drei Basisdimensionen zeitlich, sachlich,<br />

sozial (sie gelten für jedes personale und soziale System) in einer spezifischen Art und<br />

Weise kombiniert: mit dem Vorrang der Aufgabengliederung und der Zeit als Verstärker 70<br />

zu ihrer Erledigung und der Akteurs-Dimension als impliziter Dimension.<br />

Die Unterbetonung der Akteur-Dimension und damit auch <strong>die</strong> Vernachlässigung von<br />

Struktur und Umwelt ist das Einfalltor einer sozialwissenschaftlichen Kritik des pdca-Zyklus.<br />

Die Deming-Vorschrift beruht eben auf der Prämisse rationalen Handelns und <strong>die</strong>se<br />

ist eben empirisch als Allsatz nicht haltbar. Allerdings nutzt <strong>die</strong> Erkenntnis der Fiktion des<br />

pdca-Zyklus allein auch wenig, es mangelt einfach an Alternativen. Also ist zu überlegen,<br />

wie <strong>die</strong>ser Zyklus beibehalten werden kann - in Beherrschung seiner Schwächen.<br />

Zunächst ist einfach darauf zu verweisen, dass in der pdca-Vorschrift eine Reihe von zu<br />

bewältigenden Unsicherheiten stecken, <strong>die</strong> in zwei Gruppen zu unterteilen sind:<br />

• Einmal in <strong>die</strong> Phasenaufgaben p, d, c, a selbst. Jede <strong>die</strong>ser Aufgaben kann richtig<br />

oder falsch bearbeitet werden;<br />

• zum anderen in <strong>die</strong> Übergänge zwischen den Phasen.<br />

Damit stellt sich heraus, dass der simple pdca-Zyklus, zigtausend mal angewandt, nacherzählt,<br />

ein ziemlich kompliziertes, voraussetzungsvolles Gebilde ist. Einen pdca-Zyklus<br />

mehrfach zu durchlaufen, heißt festzustellen, dass eine beachtliche Zahl von Fehlermöglichkeiten<br />

vermieden worden ist.<br />

70 Es gibt Arbeitssituationen, in denen <strong>die</strong> zeitliche Sequenz zu quasi logischen Sekunden schrumpft, also<br />

keine quasi-simultane Erledigung der Phasen erfolgt. Dies verlangt besondere Kompetenzen.<br />

108


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Wenn es nun aber so ist, das der pdca-Zyklus (oder der RADAR-Zyklus), der zur Fehlervermeidung,<br />

zur Unterstützung rationaler Handlung eingesetzt wird, selbst voller Fehlermöglichkeiten<br />

steckt, so kann gefragt werden, ob aus der Fehleranalyse Hinweise zur<br />

Anreicherung des pdca-Zyklus möglich sind. Er wird hierdurch komplexer und auch weniger<br />

einfach. Dafür steigt aber <strong>die</strong> Erfolgswahrscheinlichkeit. Weiter ist dann zu fragen,<br />

was hieraus für <strong>die</strong> Unterstützung der Potenzialorientierung folgt.<br />

� Beispielhafte Fehler<br />

Die Typologie falscher pdca-Lösungen wird zunächst durch Aufzählung von Fällen und<br />

deren Bündelung zu Gruppen gebildet. Es werden folgende Gruppen (Typen) falscher<br />

pdca-Lösungen unterschieden:<br />

a) abgebrochene, unvollständige Zyklen<br />

b) autarke, verselbständigte Zyklen<br />

c) unterlegene Zyklen<br />

d) Nichtbeachtung von (Neben)Folgen.<br />

Die Typen b) und c) sind formal richtig entworfene pdca-Zyklen, <strong>die</strong> jedoch durch Marktund<br />

Technologieveränderungen aus dem Rennen geworfen worden sind. Die Typen a)<br />

und d) sind falsch konstruiert; während im a)-Fall der Sachverhalt relativ bald sichtbar<br />

wird, sind im b)-Fall eher längere Zeitverzögerungen zum Sichtbarwerden wahrscheinlich.<br />

Abgebrochene, unvollständige Zyklen<br />

Es ist bereits dargelegt worden, dass der pdca-Zyklus voller Fehlermöglichkeiten steckt.<br />

Entsprechend häufig sind entweder abgebrochene oder unvollständige pdca-Möglichkeiten.<br />

Scheitern kann ein Zyklus sowohl an einer falschen Phasenfestlegung als auch an<br />

falsch platzierten Übergängen von einer Phase in <strong>die</strong> nächste Phase.<br />

Ein typischer Fehler ist <strong>die</strong> Zielerhöhung ohne Erhöhung der Bearbeitungskapazität. In<br />

<strong>die</strong>sem Fall sinkt <strong>die</strong> Erfolgsrate, definiert als Verhältnis von Umsetzungen je Maßnahme.<br />

Da <strong>die</strong> Fähigkeit Ziele zu setzen u.a. eine Funktion der Zielumsetzung ist, wird auch <strong>die</strong>se<br />

beschädigt. Andere typische Fehler beziehen sich auf <strong>die</strong> Zielformulierung selber (zu<br />

anspruchsvoll, zu viele Ziele, konfligierende Ziele etc.) und auf <strong>die</strong> Art und Weise der Umsetzung.<br />

Bezüglich der Umsetzung besteht ein häufiger Fehler darin, dass soziale Veränderungen<br />

nach der Logik der Entwicklung von Maschinen betrachtet werden. Ist ein Prototyp gebaut<br />

worden, so ist er auch reproduzierbar. Ist eine Pilotgruppe erfolgreich gebildet worden, so<br />

ist sie noch lange nicht reproduzierbar, einfach deshalb, weil Lernvorgänge teilweise wieder<br />

neu anfallen. Auch ist es so, dass <strong>die</strong> Regeln erfolgreicher Verallgemeinerung im<br />

Betrieb andere sind als <strong>die</strong> erfolgreicher Piloterprobung. Auffällig ist, wie häufig in <strong>Unternehmen</strong><br />

<strong>die</strong> c), a) bzw. <strong>die</strong> AR-Phasen wegfallen bzw. schlampig bearbeitet werden. Dieses<br />

steht zwar im krassen Wiederspruch zu dem Anspruch einer lernenden Organisation,<br />

ist aber trotzdem häufig anzutreffen.<br />

109


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Autarke, verselbständigte Zyklen<br />

Diese Zyklen sind das Gegenstück zu den abgebrochenen, gescheiterten Zyklen. Sie<br />

laufen erfolgreich und hierin liegt <strong>die</strong> Ursache ihres späteren Misserfolges: Bei Markt-<br />

Technologieänderungen werden sie nicht rechtzeitig angepasst. Hieraus folgt, je länger<br />

ein Prozess (eine Abteilung, ein <strong>Unternehmen</strong>) ungestört, d.h. ohne größere Veränderungen)<br />

abläuft, desto wandlungsunfähiger wird es. Erfahrungen werden dogmatisiert.<br />

Andere Indikatoren wie steigende Tätigkeitsdauer, d.h. sehr niedrige Abgangsrate und<br />

wenig Ersatz durch Jüngere weisen in <strong>die</strong>selbe Richtung. Allerdings können sie durch<br />

andere Indikatoren wie Weiterbildungsrate und interne Flexibilitätsrate überkompensiert<br />

werden.<br />

Wie auch immer, wo auch immer Resistenzindikatoren in <strong>die</strong> Höhe schnellen, ist <strong>die</strong> dauerhafte<br />

Wandlungsfähigkeit in Frage gestellt.<br />

Unterlegene Zyklen<br />

Viele <strong>Unternehmen</strong> verbessern ihre Prozesse ohne aber an das Niveau ihrer Konkurrenten<br />

(zumindest aber des Branchendurchschnitts) heranzureichen. In <strong>die</strong>sem Fall liegen<br />

unterlegene pdca-Zyklen vor, <strong>die</strong> längerfristig nichts Positives bewirken werden. Je deutlicher<br />

<strong>die</strong> Niveauunterschiede im Vergleich mit den Wettbewerbern zu Lasten <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s<br />

anfallen, desto weniger Gedanken muss man sich über <strong>die</strong> dauerhafte Wandlungsfähigkeit<br />

und desto mehr Gedanken aber über <strong>die</strong> Überlebensfähigkeit machen.<br />

Nicht-Beachtung unerwünschter Folgen<br />

Dieser Fall ist allein deshalb kompliziert, weil er nicht in das Schema rationaler Handlungen<br />

zu passen scheint. Er ist aber weit verbreitet und <strong>die</strong>s gerade auch in <strong>Unternehmen</strong>,<br />

<strong>die</strong> stolz auf ihre Vorreiterrolle sind.<br />

Der Sachverhalt unerwünschter Nebenfolgen ist in der Forschung wohl bekannt; es ist<br />

aber schwer, ihn in <strong>Unternehmen</strong> zu kommunizieren. Beispiele für unerwünschte Nebenfolgen<br />

können bei Regelsetzungen und Kennziffernsystemen beobachtet werden. Vereinfachend<br />

gilt:<br />

je mehr Regeln, desto mehr Abweichungen<br />

je mehr Kennziffern, desto mehr Verschleierungen.<br />

In einem Exkurs, vgl. Kapitel 5.4, werden <strong>die</strong>se Beispiele näher erläutert. Sie sollen nicht<br />

nur als Behauptungen dastehen.<br />

Festzuhalten ist also; der so harmlos erscheinende pdca-Zyklus bietet, wird ihm gefolgt,<br />

eine Menge Möglichkeiten für Fehler. Einige hiervon sind benannt worden.<br />

110


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

5.3 Der Übergang zur pdca-Spirale<br />

Der pdca-Zyklus ist als zweckrationales Handeln mit eingebauter Verbesserung beschrieben<br />

worden. Zugleich ist auch erörtert worden, wie zahlreich <strong>die</strong> Möglichkeiten sind, <strong>die</strong>se<br />

Handlungslogik durch Fehler zu beschädigen oder gar außer Kraft zu setzen. Verwiesen<br />

sei auf den Exkurs, vgl. Kapitel 5.4, dort wird vorgeführt, dass nicht selten rationale Anstrengungen<br />

der Ausgangspunkt einer Reise nach 'Absurdistan' sind.<br />

Wie soll der pdca-Zyklus nach <strong>die</strong>ser Charakterisierung, <strong>die</strong> Umsetzung von Potenzialen<br />

in Handlungen unterstützen? Wie sollen zwei Probleme:<br />

einmal <strong>die</strong> Potenzialorientierung zu verstehen und<br />

zum anderen <strong>die</strong> zahlreichen Fehlermöglichkeiten, <strong>die</strong> der pdca-Zyklus enthält,<br />

zu vermeiden,<br />

zusammen eine Lösung erbringen? Die Antwort ist verblüffend einfach: durch <strong>die</strong> Umwandlung<br />

des pdca-Zyklus 71 in eine pdca-Spirale. Warum?<br />

Der pdca-Zyklus beinhaltet <strong>die</strong> Vorstellung <strong>eines</strong> invarianten Prozesses, den es zu perfektionieren<br />

gilt. Die pdca-Spirale kann leichter mit einem wachsenden und auch mit<br />

einem richtungsändernden Prozess verbunden werden. Nicht <strong>die</strong> pdca-Sequenz macht<br />

den Unterschied, es sind <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Sequenz organisierenden Muster, Zyklus oder Spirale,<br />

<strong>die</strong> den Unterschied ergeben.<br />

Zur Erläuterung sei noch auf ein gänzlich anderes Muster verwiesen. Sowohl der Zyklus<br />

als auch <strong>die</strong> Spirale begünstigen durch <strong>die</strong> Teilbögen zwischen den Phasen, <strong>die</strong> Vorstellung,<br />

dass der Übergang von einer Phase zur nächsten zeitverbrauchend ist; was vielfach<br />

auch so ist.<br />

p<br />

neue Spriale<br />

a a a<br />

Muster verändernder Prozess<br />

�� a: der<br />

schwierigste<br />

Übergang<br />

Bild 52: Die pdca-Spirale (© GfAH)<br />

71 Oder der RADAR-Zyklus, oder der 'radca'-Zyklus (vgl. Kapitel 5.2).<br />

p<br />

p<br />

p<br />

Zyklus-Denken<br />

alte d1 d2 Spirale<br />

Zeitachse<br />

c<br />

c<br />

c<br />

c<br />

Muster verstärkender Prozess<br />

111<br />

d 3<br />

Barriere,<br />

nicht überspringbar<br />

Hindernis, durch<br />

Anstrengung<br />

überwindbar


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Es gibt jedoch auch Arbeitskonstellationen, in denen <strong>die</strong> verfügbare Zeitspanne zwischen<br />

2 Phasen sich auf eine logische Sekunde reduziert, <strong>die</strong> vier Teilprozesse laufen also<br />

quasi simultan ab. Verkaufsgespräche und Kundenberatung können Beispiele für solche<br />

quasi-simultanen Phasendurchläufe sein.<br />

Die pdca-Spriale ist also zweifach zu lesen:<br />

• einmal als Vorschlag <strong>eines</strong> Musters, das dem Zyklus-Muster überlegen ist;<br />

• zum anderen als exemplarischer Hinweis darauf, nicht nur <strong>die</strong> pdca-Phasen zu<br />

registrieren, sondern auch zu fragen, welche Muster sie am besten organisieren.<br />

Der mentale Übergang vom Zyklus-Denken um Denken und Handeln in Spiralen unterstützt<br />

zwei andere produktivitätsfördernde Sachverhalte:<br />

• einmal den Übergang von guten zu sehr guten Lösungen,<br />

• zum anderen das Vertrauen in <strong>die</strong> zukünftige Zeit als Produktivitäts-, da Lösungsreserve.<br />

Gute Lösungen seien charakterisiert als funktional angemessene, normenkonforme und<br />

wirtschaftliche Lösungen. Sehr gute Lösungen erfüllen <strong>die</strong> Kriterien einer guten Lösung,<br />

sie haben aber eine zusätzliche Qualität: einen Impuls nämlich für neue, bessere Lösungen.<br />

Mit der Realisierung einer Aufgabe werden also bereits Ideen für Neues geschaffen.<br />

Wenn in Spiralen und nicht in Zyklen gedacht wird, so wird hierdurch auch das Selbstvertrauen<br />

unterstützt, Probleme lösen zu können. Es muss nicht alles heute erledigt werden,<br />

was ohnehin i.d.R. misslingt. Wichtiger ist, einen richtigen Schritt zu tun und dann den<br />

nächsten. Mit der Zeit weiß man eben, dass morgen und übermorgen auch Lösungen<br />

erbracht werden. Das ist mit der Formulierung gemeint: <strong>die</strong> zukünftige Zeit als Produktivitätsreserve<br />

zu nutzen, um sich in der Gegenwart Hektik zu ersparen.<br />

Solche zusätzlichen Überlegungen werden viel zu wenig in der pdca-Diskussion berücksichtigt.<br />

Sie erlauben es aber, <strong>die</strong> oft quälenden Fehler- und Schwäche-Diskussionen viel<br />

stärker in eine Stärke-Erörterung einzubinden. Meistens ist es auch so, dass <strong>die</strong> Übergänge<br />

p � d und d � c vergleichsweise geläufig und vertraut sind, während der Übergang<br />

c � a vielfach unterschätzt wird. Das deutet sich auch in der EFQM-RADAR-Lösungen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> beiden Phasen c und a zusammenfasst (vgl. Kapitel 5.2). Es geht um<br />

folgende Sachverhalte:<br />

• c � auswerten bedeutet zu analysieren, ob ein Prozess korrekt funktioniert hat,<br />

ob das Ergebnis akzeptabel ist. In c werden Fehler, Mängel notiert.<br />

• a � verbessern heißt, Fehler abstellen, aber auch neue Möglichkeiten erkennen.<br />

Vielfach wird der Fehler begangen, von Mängeln direkt auf Ursachen zu schließen, was<br />

häufiger zu unkorrekten Lösungswegen führt. Vielfach wird auch der Fehler begangen,<br />

sich von aktuellen Mängeln, Schwierigkeiten etc. begrenzen zu lassen, also darauf zu<br />

verzichten, völlig neue Möglichkeiten der Lösung mit einzubeziehen.<br />

112


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Es ist mehr als zweckmäßig, ’a’ als eigenständige, kreativitätshaltige Phase zu begreifen.<br />

Geschieht <strong>die</strong>s, so ist <strong>die</strong> Veränderung der Ziele (p-Phase) leichter zu bewerkstelligen.<br />

Ein Ziel kann quantitativ oder qualitativ wachsen, erkannte Hindernisse überspringen, es<br />

kann aber auch an nicht überwindbare Barrieren stoßen. Diese Bedeutung der a-Phase,<br />

nämlich <strong>die</strong> Grenzen zu erkennen, wird am häufigsten übersehen. Sind Grenzen erkannt,<br />

so muss <strong>die</strong> bisherige Spirale (das bisherige Muster) verlassen und eine neue Spirale (ein<br />

neues Muster) gefunden werden.<br />

Zusammenfassend kann es so formuliert werden: Es geht darum, <strong>die</strong> Muster mittels derer<br />

eine pdca-Sequenz organisiert wird, reflexiv werden zu lassen.<br />

Die Erfahrungen - bestehend aus mehreren Betriebsberatungen und Workshops - zeigen,<br />

dass es zwar (vgl. Kapitel 5.1) sehr schwierig ist, den Werkzeugkasten "(Selbst-)Befähigung<br />

zu befähigen" zu kommunizieren, dass es aber sehr wohl möglich ist, <strong>die</strong> pdca-Spirale<br />

zu erläutern, möglichst in Kombination mit praktischen Übungen. In einem solchen<br />

Kommunikationsprozess können dann auch sukzessive Teile des Werkzeugkastens bewusst<br />

eingefüttert werden.<br />

Es reicht eben nicht, dass ein <strong>Unternehmen</strong> einzigartig ist. Will es das bleiben, so gehört<br />

hierzu auch ein Verständnis zur Unterstützung und Verbesserung der Handlungslogik der<br />

Akteure <strong>die</strong>ses <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

Erinnert sei an <strong>die</strong> Diskussion des Harmoniepfades (vgl. Kapitel 2.5) und der Profitrate<br />

(vgl. Kapitel 3.2). Das Ergebnis war u.a. <strong>die</strong> Feststellung, dass das Konzept "einzigartiges<br />

<strong>Unternehmen</strong>" einer Methoden- und Instrumentenergänzung bedarf, <strong>die</strong> andersartige aber<br />

äquivalente Lösungen betonen. In <strong>die</strong>sem Kapitel ist eine weitere wichtige Ergänzung<br />

hinzugekommen: <strong>die</strong> Förderung reflexiver Handlungslogiken bei den Akteuren in einzigartigen<br />

<strong>Unternehmen</strong>. Diese Ergänzungen komplizieren <strong>die</strong> Forschung, sie vereinfachen<br />

aber eine zukunftsfähige Praxis (s.o.).<br />

5.4 Exkurs: Beispiele unerwünschter Folgen<br />

� Beispiel 1: Welche Folgen Regeln auch haben<br />

Jedes <strong>Unternehmen</strong> hat Regeln, ein Teil davon ist schriftlich fixiert. Letzterer hat <strong>die</strong> chronische<br />

Neigung zu wachsen.<br />

• Die Veränderung der Regeldichte (Anzahl der Regeln je Beschäftigten) ist ein guter<br />

Erstarrungs-Indikator, von dem aber kaum ein <strong>Unternehmen</strong> Gebrauch macht.<br />

Die Ursachen der zunehmenden Regeldichte sind vielfältig: sie hängen zusammen<br />

mit den Tendenzen der Verwissenschaftlichung, der Professionalisierung, der Technostruktur<br />

etc.<br />

Regelsetzungen sind also einmal <strong>die</strong> natürliche Folge professioneller Arbeit (vgl.<br />

Auditierung etc.). Sie sind aber insbesondere erforderlich, wenn Veränderungsprozesse<br />

auf Dauer gestellt werden sollen. Die Erprobung von etwas Neuem (Einführen<br />

113


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

von Gruppenarbeit, Verkürzung der Entwicklungszeiten etc.) kann noch im alten<br />

Regelkonzept erfolgen, einfach durch eine Art Experimentier-Genehmigung!<br />

Die innerbetriebliche Verallgemeinerung <strong>eines</strong> erfolgreichen Pilotversuchs aber<br />

macht eine Regelsetzung erforderlich. Für nicht wenige pdca-Management-Zyklen ist<br />

charakteristisch, dass sie nicht zwischen Pilotvorhaben und Verallgemeinerung unterscheiden,<br />

dass also der Regelungsbedarf nicht zureichend abgeklärt wird. Das ist ein<br />

Grund des Scheiterns.<br />

• Es geht aber weiter: Wo Regeln sind, existieren aber auch Abweichungen; letztere<br />

sehen definitionsgemäß Regeln voraus.<br />

Die Abweichungshäufigkeit je Regel ist unterschiedlich und in Grenzen beeinflussbar.<br />

Allgemein kann gesagt werden:<br />

Je mehr Regeln desto mehr Abweichungen!<br />

Je mehr zusätzliche Regeln in kurzer Zeit desto überproportional viele zusätzliche<br />

Abweichungen.<br />

Abweichungen bedrohen <strong>die</strong> Autorität einer Regel, also werden sie sanktioniert. Es<br />

gilt:<br />

Je mehr Abweichungen, desto mehr Sanktionen.<br />

Auch hier sind ziemlich unterschiedliche Beziehungen zwischen Abweichungen und<br />

Sanktionen anzutreffen. Längst nicht jede Abweichung wird sanktioniert, sei es, weil sie<br />

nicht bemerkt wird, sei es, weil sie toleriert wird. Sanktionen, ob in Form von Strafe, Belehrung,<br />

Unterweisung etc. - verlangen eine Bearbeitungskapazität. Im allgemeinen gilt:<br />

Je mehr Sanktionen, desto größer <strong>die</strong> erforderliche Bearbeitungskapazität.<br />

Sanktionen<br />

Bild 53: Abweichungen und ihre Folgen<br />

B<br />

C<br />

Abweichungen<br />

Ausgangsordnung<br />

(nicht notwendig,<br />

im Gleichgewicht)<br />

Bearbeitungskapazität<br />

�� Kosten!<br />

114<br />

A<br />

D<br />

Regeln<br />

Nutzen!<br />

A, B, C, D: Beeinflussbare Transformationen, d.h. auch A � B � C � D: wandernde Probleme,<br />

d.h. auch mehrere getrennt oder kombiniert einsetzbare Lösungsmöglichkeiten.


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Je größer <strong>die</strong> Bearbeitungskapazität aber ist, desto mehr neue Regeln werden <strong>die</strong> Folge<br />

sein; sei es, um Sanktionen zu verbessern, neue Tatbestände zu sanktionieren oder aus<br />

dem schlichten Drang der Freude am Regelwerk.<br />

Dieser - hypothetisch - angenommene Prozess der Regelvermehrung kann nun an verschiedenen<br />

Stellen unterbrochen werden; sie sind in dem Bild 53 mit A, B, C, D bezeichnet.<br />

So ist denkbar, dass eine Regelvermehrung ohne Abweichungserhöhung erreicht<br />

wird. Das aber hieße: <strong>die</strong> Regeltreue, <strong>die</strong> Bereitschaft, eine Regel zu befolgen, steigt.<br />

Welche Möglichkeiten bestehen hierzu? Eine Möglichkeit ist <strong>die</strong> Belohnung; eine andere<br />

ist eine veränderte Kultur, sprich: Verhaltensweise.<br />

Beide Möglichkeiten sind risikoreich: <strong>die</strong> erste, weil für Abweichungen noch höhere<br />

Belohnungen denkbar sind; <strong>die</strong> zweite, weil kulturelle Änderungen zeitverbrauchend sind<br />

und sich auch nicht einfach anordnen lassen.<br />

Angenommen, es wird <strong>die</strong> Zunahme von Abweichungen bei Regelvermehrung im A-Feld<br />

hingenommen, dann ist zu prüfen, ob auf mehr Abweichungen mit mehr Sanktionen (B-<br />

Feld) reagiert werden soll oder nicht. In beiden Fällen<br />

sind <strong>die</strong> Folgen unangenehm. Geschieht <strong>die</strong>s nicht, so erhöhen sich <strong>die</strong> Abweichungen je<br />

Sanktion (A/S �). Folgende Kette ist aufstellbar:<br />

Je mehr Abweichungen je Sanktion �� desto geringer <strong>die</strong> Akzeptanz von<br />

Regeln �� desto unglaubwürdiger der Regelsetzer.<br />

Aber auch <strong>die</strong> Verstärkung der Sanktionen ist nicht ohne Folgen; sie verlangt eine erhöhte<br />

Bearbeitungskapazität (C-Feld) und sie begünstigt eine vordringliche Beschäftigung mit -<br />

gemessen am <strong>Unternehmen</strong>sziel - zweitrangigen Fragen.<br />

Soll also versucht werden, das Verhältnis von Abweichungen und Sanktionen konstant zu<br />

halten, so ist <strong>die</strong> Bearbeitungskapazität zu erhöhen (C-Feld). Dies ist auf zweierlei Weise<br />

möglich:<br />

Einmal durch Personalzuführung, zum anderen durch eine geänderte effizientere<br />

Arbeitsweise.<br />

In vielen <strong>Unternehmen</strong> gilt: es werden gerne Regeln verabschiedet, aber es wird<br />

unterlassen, <strong>die</strong> Bearbeitungskapazität anzupassen; es entstehen so wachsende<br />

zwangstolerierte Abweichungsräume.<br />

Da <strong>die</strong> Bearbeitungskapazität nicht beliebig rationalisierbar ist und <strong>die</strong> Abweichungsräume<br />

nicht beliebig tolerierbar sind, wird irgendwann <strong>die</strong> Bearbeitungskapazität zunehmen. Je<br />

mehr Fachverstand aber vorhanden ist, desto wahrscheinlicher sind neue Regeln.<br />

Auch in <strong>die</strong>sem Feld - dem D-Feld - bestehen gewisse Gestaltungsmöglichkeiten. Beispielsweise<br />

können <strong>die</strong> Regeln nach Muss-, Kann- und Soll-Charakter unterschieden und<br />

mit einer unterschiedlichen Toleranz gegenüber Abweichungen ausgestattet werden.<br />

115


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Soll-Regeln machen dann Sinn, wenn sie mit Belohnungen statt mit Strafen ausgestattet<br />

sind. Sie zielen faktisch nicht mehr auf das Einhalten alter, sondern auf das Erkennen<br />

neuer Regeln.<br />

Eine weitere bedenkenswerte Maßnahme ist das Aufheben von (alten) Regeln. Welche<br />

Regeln werden tatsächlich benötigt? Hiervon wird allerdings selten Gebrauch gemacht, da<br />

Aufhebungsprozesse arbeits- und kostenintensiv sind. Als wichtigste Kennziffer kann aus<br />

<strong>die</strong>ser Diskussion <strong>die</strong> Veränderung der Regeldichte abgeleitet werden:<br />

Regeldichte (f1): schriftlich fixierte Regeln je Beschäftigten<br />

Veränderung (f2): Zunahme und Abnahme der Regelungsdichte.<br />

<strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> ihre Regelungsdichte kennen und <strong>die</strong> bemüht sind, ihren Zuwachs zu<br />

begrenzen, sind Kandidaten für eine dauerhafte Wandlungsfähigkeit.<br />

� Beispiel 2: Kennziffern fördern auch Selbsttäuschung und -Betrug<br />

Überwiegend besteht Einigkeit in der Management-Literatur: pdca-Zyklen sind mit Kennziffern<br />

zu unterlegen. Ihnen und vor allem ihrer Veränderung wird mehr geglaubt als qualitativen<br />

Aussagen.<br />

Je mehr Kennziffern nun aber ein <strong>Unternehmen</strong> vorhält und pflegt, desto wahrscheinlicher<br />

ist der (Selbst)Betrug, wobei zu unterscheiden ist zwischen:<br />

der un- bis halbbewussten Schwindelei/Selbsttäuschung und<br />

der gezielten Manipulation (dem Betrug).<br />

Beide Sachverhalte sind empirisch belegt.<br />

Werden <strong>die</strong> zuvor diskutierten Regeln und <strong>die</strong> Abweichungen von ihnen durch Kennziffern<br />

und <strong>die</strong> Selbstbetrügereien ersetzt, so ist sinngemäß <strong>die</strong> vorherige Analyse auf den jetzt<br />

erörterten Fall anzuwenden. Insbesondere wird herauskommen, dass Kennziffern einen<br />

wachsenden Controllingbedarf auslösen, der seinerseits - da auf Regelmäßigkeiten angewiesen<br />

- zu den bürokratietreibenden Prozessen zu rechnen ist.<br />

Da hierzu das Nötige bereits gesagt worden ist, sei auf einen andern Zyklus verwiesen,<br />

der durch Kennziffern angeregt wird:<br />

Je mehr Kennziffern,<br />

desto häufiger <strong>die</strong> Neigung zum Selbstbetrug,<br />

desto wahrscheinlicher - längerfristige - Zielverfehlungen,<br />

desto größer der eintretende Schaden,<br />

desto mehr Kennziffern.<br />

Da <strong>die</strong> Folgen von Selbsttäuschung und Betrug einleuchtend sind, liegt der Schwerpunkt<br />

der folgenden Erörterung auf dem Zustandekommen von Selbsttäuschung und Betrug.<br />

116


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

An Kennziffern werden bestimmte Anforderungen gestellt. Sie sollen<br />

• den Prozess, den sie abbilden, tatsächlich charakterisieren.<br />

• in Zeitreihen vorliegen, so dass Veränderungen (möglichst Verbesserungen) erkennbar<br />

sind.<br />

• mit Benchmarks ausgestattet sein, so dass das erreichte Niveau bestimmbar ist und<br />

• Zielvorstellungen haben, um weitere Verbesserungen anzusteuern.<br />

Mit <strong>die</strong>sen Forderungen ist <strong>die</strong> Tür für Fehlleistungen weit aufgestoßen, was zunächst<br />

exemplarisch an zwei Betriebsbeispielen aus der Automobilindustrie diskutiert sei.<br />

Im ersten Fall ist es so, dass <strong>die</strong> Arbeitsschutzabteilung an der Unfallhäufigkeit gemessen<br />

wird. Das aber ist eine falsche Zuordnung. Verwechselt wird der Berichterstatter und der<br />

Verursacher. Unfallhäufigkeiten - und demzufolge auch Senkungen derselben - sind so<br />

gut wie immer <strong>Unternehmen</strong>sleistungen - also Ergebnis des Zusammenwirkens vieler und<br />

nie nur Angelegenheit der Arbeitssicherheit.<br />

Im vorliegenden Fall ist es gelungen, trotz <strong>die</strong>ser fehlerhaften Zurechnung, <strong>die</strong> Unfallhäufigkeit<br />

beharrlich zu senken; der Betrieb ist seit Jahren Klassenbester. Die Konzentration<br />

auf <strong>die</strong>sen Erfolg ist aber mit schwerwiegenden Nachteilen erkauft worden. Übersehen<br />

worden ist u.a. das Altern der Belegschaft; gesundheitsförderliche und vor allem ergonomische<br />

Maßnahmen sind hintenan gestellt worden. Der Krankenstand ist trotz Krankenrückkehrgesprächen<br />

gestiegen. Der Krankenstand macht kostenmäßig in <strong>die</strong>sem <strong>Unternehmen</strong><br />

das 15fache der durch Unfälle verlorenen Arbeitstage aus.<br />

Also: Ein kl<strong>eines</strong> Beispiel für Selbsttäuschung durch Konzentration auf einen spezifischen<br />

Sachverhalt und Außerachtlassung von anderen.<br />

Das zweite Beispiel läuft ähnlich. Hier ist das <strong>Unternehmen</strong> stolz auf seine Weiterbildungsleistung.<br />

Es hat lediglich vergessen, nachzubohren (nicht einfach fragen), ob und<br />

wieweit <strong>die</strong> Bildungsaufwendungen auch innerbetrieblich genutzt, umgesetzt werden.<br />

Teilweise ist <strong>die</strong>ser Sachverhalt auch noch gerechtfertigt worden - als Investition in Potenziale<br />

- bis <strong>eines</strong> Tages offenkundig wurde, dass in nicht unerheblichem Ausmaß am tatsächlichen<br />

Bedarf vorbeiproduziert, weitergebildet worden ist.<br />

Beides sind noch relativ harmlose Beispiele. Viel schwerwiegender sind häufig(er) anzutreffende<br />

Fehler bei Stärken-Schwächen/Chancen-Risiko-Analysen (sog. SWOT-Analysen).<br />

Hier besteht eine nahezu chronische Tendenz<br />

a) Basis- und Kernkompetenzen zu verwechseln und<br />

b) vorhandene Kernkompetenzen nicht nur auf ihre hinreichende Arron<strong>die</strong>rung (Einbettung)<br />

in ausreichende Basiskompetenzen zu prüfen.<br />

Beide Fälle führen zu Selbstüberschätzungen und schlimmer noch, zu falschen Maßnahmen.<br />

117


Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

Der Sachverhalt der Selbsttäuschung ist als Gefahr nahezu unvermeidlich. Nur er kann<br />

gefördert oder erschwert werden. Und Kennziffern mit ihrem Hang zum Positiven und<br />

ihrer Missbilligung von Schwächen, Fehlern etc. können offensichtlich eine problemverschärfende<br />

Wirkung haben.<br />

Wie verhält es sich mit der Steigerung von Selbsttäuschung, dem Betrug oder freundlicher<br />

ausgedrückt, der Manipulation?<br />

Soweit erkennbar, gibt es mehrere manipulationsförderliche Tendenzen, <strong>die</strong> sich sämtlich<br />

der Kennziffern be<strong>die</strong>nen:<br />

Manipulationen häufen sich bei Konflikten im <strong>Unternehmen</strong> und zwischen den Stakeholdern.<br />

Manipulationen häufen sich, wenn <strong>die</strong> Fachloyalität gegenüber der Profession der<br />

vermeintlichen Loyalität gegenüber dem <strong>Unternehmen</strong> untergeordnet wird.<br />

Manipulationen häufen sich, wenn Regeln interpretierbar sind (vgl. Steuerschlupflöcher).<br />

Es ist eben nicht üblich in Kennziffern auszuweisen, dass<br />

Ziel- und andere Konflikte bestehen,<br />

ein <strong>Unternehmen</strong> auf <strong>die</strong> Professionalität seiner Angestellten, d.h. auf deren Unbestechlichkeit<br />

stolz ist,<br />

gesetzestreu im Sinne des Gesetzes gearbeitet wird.<br />

Zusammen mit den bei der Selbsttäuschung dargestellten Tendenzen objektiv (nicht subjektiv)<br />

zu mogeln, durch Weglassen, Nicht-Beachtung und durch Verweigerung von Zusammenhängen,<br />

ergibt sich insgesamt ein nicht unerhebliches Gefahrenpotenzial der<br />

Handhabung von Kennziffern in <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Auf Veränderungsprozesse in <strong>Unternehmen</strong> angewandt:<br />

• Wie häufig ist wohl <strong>die</strong> falsche, unzulängliche Zurechnung von Erfolgen und Maßnahmen?<br />

• Wie häufig ist wohl <strong>die</strong> Verwechselung von Möglichkeit und Wirklichkeit (<strong>die</strong> mögliche<br />

im Idealfall verkürzte Durchlaufzeit wird mit der tatsächlichen verwechselt)?<br />

• Wie häufig sind wohl Überpointierungen der positiven und Unterschätzungen der<br />

problematischen Sachverhalte?<br />

Ritualisierte Positiv-Darstellungen - ob auf Selbsttäuschung oder Manipulation beruhend -<br />

sind früher oder später ein nahezu sicherer Garant für Selbst-Beschädigungen. Auch<br />

hierfür gibt es Indikator-Möglichkeiten. Zunächst einmal solche qualitativer Art:<br />

• Wird überhaupt im <strong>Unternehmen</strong> über <strong>die</strong> Möglichkeit von Selbsttäuschung und<br />

Manipulation gesprochen?<br />

118


• Gibt es eine leistungsfähige Revision?<br />

Teil B Begründungen<br />

Kapitel 5 Optionen der Globalisierung<br />

• Gibt es Widerspruchs-Möglichkeiten? (Die Möglichkeit, eine andere Meinung zu vertreten.)<br />

Es gibt aber auch eher leicht quantifizierbare Größen, <strong>die</strong> den hier diskutierten Sachverhalt<br />

allerdings nur indirekt messen. In Erhebungen zur Mitarbeiterzufriedenheit ist erfragbar,<br />

a) wie hoch der Anteil der resignierten Führungskräfte ist,<br />

b) wie hoch der Anteil der engagierten aber kritikbereiten Mitarbeiter ist.<br />

Je höher a) und je niedriger b), um so höher ist <strong>die</strong> Wahrscheinlichkeit der Selbsttäuschung<br />

und Manipulation; um so schlechter sind <strong>die</strong> Chancen dauerhafter Wandlungsfähigkeit.<br />

Es ist paradox: Will man Selbst-Täuschungen, <strong>die</strong> von Kennziffern ausgehen, nicht erliegen,<br />

braucht man neue Kennziffern. Also stellt sich <strong>die</strong> Frage nach Alternativen. Wie bei<br />

den Regeln gilt auch für Kennziffern, weniger ist häufig mehr. Nur steigen dann <strong>die</strong> Qualitätsanforderungen<br />

an Regeln und Kennziffern und es steigen <strong>die</strong> Anforderungen an <strong>die</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>skultur, deren Leistung auch gerade darin besteht, bestimmte Leistungen -<br />

auch solche kreativ-reflexiver Art - für selbstverständlich zu setzen, so dass sie eben nicht<br />

organisatorisch geformt werden müssen.<br />

119


Teil C Bewährungen<br />

7HLO & %HZlKUXQJHQ<br />

2SWLRQHQ GHU *OREDOLVLHUXQJ<br />

'HU /HEHQV]\NOXV<br />

(UQHXHUQ RGHU 6WHUEHQ<br />

120


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

6. Optionen der Globalisierung<br />

6.1 Intensivierung des Wettbewerbs:<br />

Annäherung an den vollkommenen Wettbewerb<br />

� Ubiquitäre Produktionsfaktoren<br />

<strong>Was</strong> wird aus dem einzigartigen <strong>Unternehmen</strong> im Prozess der Globalisierung, also bei<br />

wachsender internationaler Intensivierung des Wettbewerbs? Kann es sich behaupten?<br />

Geht es unter?<br />

Schreitet der Prozess der Globalisierung in den nächsten Jahrzehnten voran, was derzeit<br />

sowohl wahrscheinlich ist als auch politisch gefördert wird, so entstehen zunehmend reale<br />

globale Märkte, deren Kennzeichen <strong>die</strong> weltweite Verfügbarkeit von Produktionsfaktoren<br />

ist. Hierzu gehören:<br />

• Kapital<br />

• Technologien<br />

• Informationen und<br />

• Qualifikationen.<br />

Insbesondere <strong>die</strong> häufiger vorgetragene Hoffnung, durch ein Mehr an hochwertiger zertifizierter<br />

Qualifikation über ein Schutzschild vor der Globalisierung zu verfügen, wird sich als<br />

Illusion erweisen. China hat heute schon mehr FuE 72 -Personal als Deutschland. Angesichts<br />

der riesigen globalen Unterschiede in den Entgeltkosten, angesichts der wahrscheinlich<br />

weiteren Zunahme der Tendenz zur Produktion vor Ort spricht für <strong>die</strong> alten und<br />

reichen Industrieländer nur noch ihr Vorsprung an könnendem Ensemblewissen und an<br />

Lebensqualität als Voraussetzung und Träger <strong>die</strong>ses Wissens.<br />

Der Zusammenhang von Wissen und Lebensqualität ist in den letzten 15 Jahren in verschiedenen<br />

Analysen gezeigt worden. Geographische Wissenslandkarten sind entstanden.<br />

Nur, <strong>die</strong>se regionalen Wissenscluster mit hoher Lebensqualität, sind kein Monopol<br />

mehr der alten Industrieländer. Ihr Diffusionsprozess in <strong>die</strong> Welt hat bereits begonnen.<br />

Außerdem sind - wie <strong>die</strong> jeweilige <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s - auch <strong>die</strong>se regionalen<br />

Cluster dem Prozess der Erneuerung bzw. des Veralterns unterworfen. Es gibt nicht<br />

nur prosperierende, sondern auch stagnierende bis schrumpfende Regionen, <strong>die</strong> den Erneuerungsprozess<br />

eben nicht oder nur verspätet gepackt haben. Sicher sind <strong>die</strong>se Vorteile<br />

also auch nicht.<br />

Wenn aber allgemeine Rahmenbedingungen keine zureichende Gewähr auf <strong>die</strong> Existenzsicherung<br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s bieten, müssen <strong>die</strong> Erfolgs- und <strong>Unternehmen</strong>schancen<br />

im <strong>Unternehmen</strong>s selbst gesucht werden.<br />

72 FuE = Forschung und Entwicklung<br />

121


� Wettbewerb und Konzentration<br />

Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Die Stärke des Wettbewerbs zwischen <strong>Unternehmen</strong> kann durch <strong>die</strong> Entwicklung des<br />

Konzentrationsgrades gemessen werden. Der Konzentrationsgrad einer Branche gibt an,<br />

auf wie viele <strong>Unternehmen</strong> wie viel Prozent etwa des Umsatzes der Branchen entfallen.<br />

Für Deutschland sind von 1985 bis 2000 (siehe Bild 54) <strong>die</strong> Umsatz- und Beschäftigtenanteile<br />

am Gesamtumsatz des produzierenden Gewerbes bzw. dessen Beschäftigtenzahl für<br />

<strong>die</strong> 10, 25 und 100 größten <strong>Unternehmen</strong> ausgewiesen.<br />

Jahr<br />

Die 10 größten<br />

<strong>Unternehmen</strong> 1<br />

U B<br />

U<br />

B<br />

Die 25 größten<br />

<strong>Unternehmen</strong> 1<br />

U B<br />

122<br />

U<br />

B<br />

Die 100 größten<br />

<strong>Unternehmen</strong> 1<br />

U B<br />

1985 15,6 11,2 1,39 26,1 16,9 1,51 39,9 28,1 1,42<br />

1987 16,9 12,6 1,34 24,9 18,5 1,35 37,4 27,9 1,34<br />

1989 15,7 12,4 1,27 24,3 17,2 1,42 36,4 26,7 1,36<br />

1991 15,6 10,9 1,43 24,1 16,2 1,48 35,4 24,8 1,43<br />

1992 15,5 11,1 1,40 24,1 16,5 1,46 35,2 24,7 1,43<br />

1993 15,2 11,2 1,36 23,3 16,2 1,44 34,3 24,3 1,41<br />

1994 15,6 - - 24,2 15,8 1,53 35,1 24,2 1,45<br />

1995 15,5 10,9 1,42 23,9 15,4 1,55 34,8 23,5 1,48<br />

1996 16,6 10,3 1,61 25,0 14,8 1,69 35,7 23,8 1,50<br />

1997D 16,5 10,2 1,62 24,6 13,4 1,84 34,6 21,3 1,62<br />

1998D 17,9 10,4 1,72 24,8 13,4 1,85 34,5 21,2 1,63<br />

1990D 18,3 10,2 1,79 25,5 13,2 1,93 35,6 20,9 1,70<br />

2000D 18,1 10,1 1,79 26,0 12,6 2,06 36,6 20,0 1,83<br />

1<br />

Verarbeitendes Gewerbe; U = Umsatzanteil; B = zugehöriger Beschäftigungsanteil<br />

U = Umsatzanteil : misst, um wie viel größer/kleiner <strong>die</strong> Umsatzproduktivität <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s<br />

B Beschäftigtenanteil : (Gruppe) im Vergleich zur durchschnittlichen Umsatzproduktivität ist.<br />

Quelle: für U, B: Statistisches Bundesamt: Statistische Jahrbücher, Deutschland sowie Reihe 4, Heft 2,3,<br />

1991-1996, alte Bundesländer, Angaben in %<br />

U10 B10 U10<br />

Hinweis: U : B=<br />

: B10<br />

U<br />

B<br />

U10<br />

B10<br />

= Umsatzproduktivität der Branche, der Industrie<br />

= Umsatzproduktivität der 10 größten <strong>Unternehmen</strong><br />

Bild 54: Entwicklung der nationalen <strong>Unternehmen</strong>skonzentration 1985 bis 2000<br />

Sofort erkennbar ist der Rückgang bei den Beschäftigtenanteilen. Die Umsatzanteile<br />

hingegen schwanken um einige Prozentpunkte. Im Vergleich von 1985 und 2000 gilt:<br />

• Die Umsatzanteile haben sich für <strong>die</strong> 10 größten <strong>Unternehmen</strong> von 15,6 auf<br />

18,1% erhöht.<br />

• Die Umsatzanteile stagnieren für <strong>die</strong> 25 größten <strong>Unternehmen</strong> und<br />

• Die Umsatzanteile sind für <strong>die</strong> 100 größten <strong>Unternehmen</strong> leicht rückläufig.<br />

U<br />

B<br />

U<br />

B


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Diese Umsatzanteile lassen sich in durchschnittliche Marktanteile je <strong>Unternehmen</strong> umrechnen.<br />

Der hierzu erforderliche Rechengang und <strong>die</strong> Ergebnisse sind in Bild 55 beschrieben.<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

1. Gruppe<br />

(<strong>die</strong> 10 größten <strong>Unternehmen</strong>)<br />

2. Gruppe<br />

(<strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> auf den<br />

Rangplätzen 11 bis 25)<br />

Marktanteile je <strong>Unternehmen</strong>*<br />

1985 in % 2000 in %<br />

1,56 1,81<br />

0,7 0,53<br />

3. Gruppe<br />

(<strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> auf den<br />

0,18 0,14<br />

Rangplätzen 26 bis 100)<br />

Berechnet nach den Werten im Bild 54. Beispiel für Rechengang: Umsatzanteil<br />

der 25 größten <strong>Unternehmen</strong> minus Umsatzanteil der 10 größten <strong>Unternehmen</strong>,<br />

geteilt durch 25 minus 10 = durchschnittlicher Marktanteil der <strong>Unternehmen</strong> auf<br />

den Rangplätzen 11 bis 25.<br />

* gemessen am industriellen Gesamtumsatz<br />

Bild 55: Entwicklung der Marktanteile von <strong>Unternehmen</strong><br />

Das Resultat ist deutlich:<br />

• Die ersten 10 Rangplätze haben den durchschnittlichen Marktanteil gesteigert;<br />

• 90 <strong>Unternehmen</strong> auf den Rangplätzen 11 bis 100 haben Marktanteile verloren,<br />

wobei gilt:<br />

<strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> auf den Rangplätzen 11 bis 25 haben ihre Marktanteile vor<br />

allem an <strong>die</strong> 10 Großen verloren,<br />

während <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> auf den Rangplätzen 26 bis 100 ihre Marktanteile vor<br />

allem an <strong>die</strong> übrigen <strong>Unternehmen</strong> verloren haben.<br />

Insgesamt signalisieren <strong>die</strong>se Daten also eine Wettbewerbsverschärfung, dessen<br />

Intensität allerdings datenbedingt mit Sicherheit unterschätzt wird. Die erhältlichen Konzentrationsdaten<br />

erlauben nämlich nicht, zwischen den Rangplätzen und den Rangplatzinhabern<br />

zu unterscheiden. Berechnet werden könnten Veränderungen bei den Rangplatzgruppen.<br />

Gleichzeitig haben jedoch in dem betrachteten Zeitraum etliche <strong>Unternehmen</strong><br />

<strong>die</strong> Rangplätze (auf- oder absteigend) gewechselt. Diese Veränderungen sind mit<br />

<strong>die</strong>sen Daten nicht darstellbar 73 .<br />

� Wachsende Produktivitätsabstände<br />

Bild 55 enthält aber noch eine weitere, eher unerfreuliche, Nachricht für <strong>die</strong> restlichen<br />

(also <strong>die</strong> mittleren und kleineren) Industrie-<strong>Unternehmen</strong>. Diese beschäftigen im Jahr<br />

2000 immerhin 80% der Industrie-Erwerbstätigen und erzielen 63,4% des gesamten<br />

Umsatzes.<br />

73 Zu Datensätzen, <strong>die</strong> eine solche Analyse erlauben, vgl. exemplarisch das nächste Kapitel.<br />

123


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Der Anmerkung zu Bild 55 ist zu entnehmen, dass das Verhältnis von Umsatz- zu<br />

Beschäftigten-Anteil der 100 größten <strong>Unternehmen</strong> über der Umsatzproduktivität der<br />

gesamten Industrie liegt.<br />

1985 betrug <strong>die</strong>ses Verhältnis 1,42 (bzw. 42% über dem Industriedurchschnitt), um bis<br />

2000 auf 1,83 zu steigen, also auf 83% über dem Industriedurchschnitt. Es gilt nun:<br />

Für 1985:<br />

Für 2000:<br />

Beschäftigtenanteil<br />

der 100<br />

größten <strong>Unternehmen</strong><br />

x<br />

Vielfaches der<br />

durchschnittlichen<br />

Umsatzproduktivität<br />

0,281 x 1,42 + 0,719 x X = 1<br />

x = 0,84; 1,42 : 0,84 = 1,69<br />

0,20 x 1,83 + 0,80 X = 1<br />

x = 0,79 1,83 : 0,79 = 2,32<br />

+<br />

Beschäftigtenanteil<br />

der<br />

übrigen <strong>Unternehmen</strong><br />

124<br />

x<br />

Vielfaches der<br />

durchschnittlichen<br />

Umsatzproduktivität<br />

1985 betrug <strong>die</strong> durchschnittliche Umsatzproduktivität aller übrigen Industrie-<strong>Unternehmen</strong><br />

0,84 des damaligen gesamt-industriellen Durchschnittes. Das Verhältnis der Umsatzproduktivität<br />

der 100 größten <strong>Unternehmen</strong> zu der der übrigen <strong>Unternehmen</strong> belief sich<br />

auf 1,42 : 0,84 = 1,69.<br />

Im Jahr 2000 ist der Anteil der übrigen <strong>Unternehmen</strong> an der industriellen Durchschnittsproduktivität<br />

leicht gesunken auf 0,79. Der Produktivitätsabstand zwischen den 100<br />

größten <strong>Unternehmen</strong> und den restlichen <strong>Unternehmen</strong> hat sich vergrößert auf 1,83 : 0,79<br />

= 2,32.<br />

Werden <strong>die</strong> Produktivitätsabstände von 1985 und 2000 zueinander in Beziehung gesetzt,<br />

so ergibt sich: 2,32 : 1,69 = 1,37; d.h. der Produktivitätsabstand zwischen den ganz großen<br />

und den mittleren und kleineren <strong>Unternehmen</strong> ist in den vergangenen 15 Jahren um<br />

mehr als ein Drittel gestiegen. Ein vergrößerter Produktivitätsabstand bedeutet aber einen<br />

gestiegenen Druck auf Preise und Löhne der KMU’s, sofern sie als Zulieferer für <strong>die</strong> 100<br />

größten <strong>Unternehmen</strong> tätig sein wollen. Hierauf wird im Folgenden ausführlicher einzugehen<br />

sein.<br />

Im Kapitel 2 ist bei der Diskussion der Profitrate zwischen arbeitsvertraglichen und auftragsvertraglichen<br />

Personalkosten unterschieden worden. In <strong>die</strong>ser Produktivitätsrechnung<br />

sind nur <strong>die</strong> arbeitsvertraglichen Beschäftigungszahlen berücksichtigt. Würden auch<br />

<strong>die</strong> auftragsvertraglichen Beschäftigungszahlen und deren Steigerung mit betrachtet, so<br />

würde <strong>die</strong> Erhöhung des Produktivitätsabstandes zwischen den großen <strong>Unternehmen</strong> und<br />

den KMU etwas geringer ausfallen - mit Sicherheit aber nicht verschwinden.<br />

= 1


� Internationaler Wettbewerb<br />

Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Die für Deutschland vorgestellten Ergebnisse sind auch für viele andere Länder nachgewiesen<br />

worden. Bei nationaler Betrachtung herrschen relativ stabile Rangordnungen der<br />

<strong>Unternehmen</strong>, geordnet nach ihrer Größe, vor. Auf globaler Ebene - wenn also alle <strong>Unternehmen</strong><br />

der Welt, <strong>die</strong> zu einer Branche gehören, betrachtet werden - ergeben sich nun<br />

aber gänzlich andere Befunde. Verdeutlicht sei <strong>die</strong>s am Beispiel der Automobilindustrie,<br />

siehe Bild 56.<br />

Herfindahl-<br />

0,25<br />

Index<br />

0,20<br />

0,15<br />

0,10<br />

0,05<br />

0,00<br />

1950 1960 1970 1980 1990 '96 '98<br />

Quelle: Ghermawat, P., Ghadar, F.: Globale Megafusionen – ökonomisch nur selten zwingend geboten, in:<br />

Harvard Business Manager, 2001, Heft 1, S.32-42 (In der Quelle gibt es Beispiele auch für andere Branchen,<br />

d.Verf.)<br />

Bild 56: Globale <strong>Unternehmen</strong>skonzentration: Beispiel Automobilindustrie 1950 bis 1998<br />

Von den 50er Jahren an hat es bis etwa 1980 einen dramatischen Verfall der globalen<br />

Konzentration in der Automobilindustrie gegeben, einen ca. 75%-Rückgang. Seitdem gibt<br />

es einen leichten Wiederanstieg mit Rückschlägen. Dieses Beispiel ist kein Einzelfall.<br />

Tendenziell ähnliche Verläufe werden auch für andere Branchen berichtet. 74 Für den Zeitraum<br />

ab 1980 bis zur Gegenwart liefert <strong>die</strong> UNCTAD 75 -Datenbank Zeitreihen zur Konzentrationsentwicklung<br />

- differenziert nach über 250 Produktgruppen.<br />

Exemplarische UNCTAD-Auswertungen (vgl. u.a. Jahresbericht 2002) zeigen, dass insgesamt<br />

eine Wettbewerbsverschärfung zu beobachten ist. Sie zeigen aber, dass je nach<br />

Produktgruppe hinsichtlich Zeitspannen und Intensität große Unterschiede bestehen.<br />

Wird nun der zeitliche Verlauf der internationalen Konzentrationsentwicklung mit der Entwicklung<br />

der Globalisierungsdiskussion verglichen, so ergibt sich eine deutlich asynchrone<br />

Beziehung. Urheber des Stichwortes "Globalisierung" ist Levitt 76 . Er hat 1983<br />

74 Ghermawat, P., Ghadar, F.: a.a.O.<br />

75 United Nations Conference on Trade and Development<br />

76 Vgl. Levitt, Th: The globalization of markets, in: Havard Business Review, März-Juni 1983, Heft 3, S.92-102<br />

125


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

einen - heute immer noch - bedenkenswerten Fundamental-Artikel vorgelegt "The<br />

Globalization of markets". Die Globalisierungsdiskussion ist dann in den 80er Jahren<br />

angeschwollen, um in den 90er Jahren förmlich zu explo<strong>die</strong>ren.<br />

Gemessen an der tatsächlichen Entwicklung - ausgedrückt durch den Zerfall der internationalen<br />

Konzentrationsgrade für <strong>die</strong> verschiedensten Produktgruppen - kann man sagen:<br />

Es ist eine nachholende Diskussion (gewesen),<br />

<strong>die</strong> sich mühsam auf <strong>die</strong> Augenhöhe der aktuellen Entwicklung zu bringen<br />

versucht.<br />

Möglicherweise ist <strong>die</strong>s ein Hinweis darauf, warum <strong>die</strong> Diskussion von dogmatisierten<br />

Pro- und Contra-Argumenten und deren trendmäßige Verlängerung in <strong>die</strong> Zukunft<br />

beherrscht wird. Jedenfalls ist der Vorrat an Gestaltungsalternativen, der auch für das<br />

einzelne <strong>Unternehmen</strong> von Bedeutung ist, denkbar gering.<br />

Ein weiterer bemerkenswerter Sachverhalt ist durch <strong>die</strong> Asynchronität von nationaler und<br />

globaler Entwicklung der Konzentrationsmaße gegeben. Im Vergleich von nationaler und<br />

globaler Perspektive sind <strong>die</strong> Konzentrationsmaße in nationaler Perspektive deutlich<br />

größer und stabiler als in der globalen Perspektive.<br />

Hieraus folgt zumindest, dass viele <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> in nationaler Perspektive eine<br />

respektable Größe darstellen, in internationaler Perspektive eher Winzlinge sind. Je mehr<br />

sich nun <strong>die</strong> internationale Orientierung durchsetzt, gemessen an Exporttätigkeiten, an<br />

Produktionsanteilen im Ausland etc., desto stärker <strong>die</strong> Bedeutung der globalen Konzentrationsmaße<br />

– und <strong>die</strong>s bedeutet:<br />

• Nationale Erfahrungskurven - charakterisiert durch <strong>die</strong> Marktanteile - werden ersetzt<br />

durch internationale Erfahrungskurven, <strong>die</strong> durch wesentlich geringere<br />

Marktanteile charakterisiert sind.<br />

• Nach den Überlegungen in Teil B bedeutet <strong>die</strong>ser Wechsel, zumindest wenn er<br />

abrupt vor sich geht, eine gigantische Entwertung von Erfahrung und Wissen.<br />

� Exportanteile nach Betriebsgröße<br />

Für <strong>die</strong> erfahrene und <strong>die</strong> erwartbare Einflusskonstellation des nationalen und globalen<br />

Wettbewerbs lassen sich <strong>die</strong> Export- und Importquoten als Orientierungsgrößen nehmen:<br />

Quoten 1991 1995 2000 2005 2010 2015<br />

Exportquote 24,2 24,5 33,3 37,4 39,8 42,1<br />

Importquote 23,1 23,8 31,3 33,2 35,7 39,3<br />

Quelle: Schnur, P., Zika, G.: Projektion bis 2015, in: IAB-Kurzberichte Nr. 10/2002, Nürnberg<br />

Bild 57: Entwicklung der Export- und Importquoten Deutschlands von 1991 bis 2015<br />

126


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Die in Bild 57 dargestellte Tendenz steigender Export- und Importquoten verwundert niemanden<br />

- sie gehört zu den Eigenerwartungen einer exportorientierten Nation - zu Unrecht.<br />

Sollen <strong>die</strong> in Bild 57 dargestellten Exportquoten Wirklichkeit werden, so ist nämlich<br />

eine erhebliche Umorientierung der <strong>Unternehmen</strong> vonnöten, wie aus Bild 58 hervorgeht.<br />

Im Bild 58 ist dargestellt, wie viel Prozent der Betriebe der Investitionsgüterindustrie, differenziert<br />

nach Betriebsgröße, welchen Umsatzanteil durch Exporte erwirtschaften. Das<br />

Kernergebnis <strong>die</strong>ses Bildes ist <strong>die</strong> schlichte Mitteilung, wie ungleich <strong>die</strong> Exportaktivitäten<br />

auf <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> der Investitionsgüter-Industrie verteilt sind.<br />

Es gibt eine ausgesprochen exportstarke Gruppe; in allen Betriebsgrößen-Klassen allerdings<br />

mit deutlich unterschiedlichen Anteilen. Diese Gruppe hat einen Exportanteil von<br />

mindestens 60%. Und es wird schon rein rechnerisch schwierig werden, <strong>die</strong>sen Anteil<br />

nochmals um ein Drittel bis zum Jahr 2015 zu steigern, wie in der IAB-Prognose verlangt<br />

wird. Also setzt <strong>die</strong> IAB-Prognose voraus, dass <strong>die</strong> bislang exportschwächeren <strong>Unternehmen</strong><br />

gewaltige Arbeitssteigerungen in vergleichsweise kurzer Zeit bewältigen.<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

44,5<br />

7<br />

0 bis 10<br />

12 11<br />

10<br />

5<br />

10 bis 20<br />

Anteile d. kleinen Betriebe (< 100 Beschäftigte)<br />

Anteile d. mittl. Betriebe (100 b. 499 Besch.)<br />

Anteil d. großen Betriebe (> 500 Besch.)<br />

20 bis 30<br />

14<br />

9<br />

30 bis 40<br />

Bild 58: Verteilung der Exportanteile je Betriebsgröße in der Investitionsgüterindustrie<br />

16<br />

8<br />

40 bis 50<br />

Das Bild 58 signalisiert, dass <strong>die</strong> bislang exportstarken <strong>Unternehmen</strong> dabei sind, ihre<br />

Obergrenze der Exportanteile zu erreichen. Also müssen <strong>die</strong>se <strong>Unternehmen</strong> stark bleiben;<br />

es müssen aber weitere Exportzugpferde hinzukommen, soll <strong>die</strong> projektierte Entwicklung<br />

Wirklichkeit werden. Misslingt <strong>die</strong>ser Zuzug, so sind <strong>die</strong> folgenden Wachstumseinbußen<br />

mit Sicherheit kalkulierbar.<br />

Vergleichbare Überlegungen sind auch für <strong>die</strong> Importquote anzustellen. Auch hier gibt es<br />

Güter, deren Importanteil nur noch bedingt steigerbar ist, also bedeutet ein deutlicher<br />

Importquoten-Anstieg, dass viele bislang im Inland hergestellten Güter hier nicht mehr<br />

produziert werden.<br />

127<br />

18<br />

5 4,6<br />

50 bis 60<br />

10 10<br />

60 bis 70<br />

3,4<br />

70 bis 80<br />

unterdurchschnitt- mittlerer Export- hoher Exportanteil<br />

licher Exportanteil anteil<br />

Betriebe < 100 Besch.: 0 bis 30: 67,5 30 bis 60: 22 60 bis 100: 9,6<br />

mittl. Betriebe 100-499 Besch.: 0 bis 30: 43,0 30 bis 60: 35 60 bis 100: 21<br />

große Betriebe > 500 Besch.: 0 bis 30: 22,0 30 bis 60: 48 60 bis 100: 31<br />

Quelle: GfAH nach ISI-Produktionserhebung in der Investitionsgüterindustrie 2001<br />

5<br />

6<br />

1 0,6<br />

80 bis 90<br />

90 bis 100


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Zumindest <strong>die</strong> dargelegte Verteilung der Exportanteile signalisiert also, dass ein weiterer<br />

Anstieg der Exportquote eine nachhaltige Veränderung der Geschäftspolitik vieler <strong>Unternehmen</strong><br />

voraussetzt. Es ist eben ein großer Unterschied, ob exporterfahrene <strong>Unternehmen</strong><br />

"lediglich" ihr Potenzial weiter ausbauen müssen, oder ob exportstarke Neuzugänge<br />

entstehen müssen.<br />

6.2 Alternativen der Gestaltung<br />

� Zerstörerischer versus zivilisierter globaler Wettbewerb<br />

Auf dem Hintergrund der im Kapitel 6.1 dargelegten empirischen Angaben zur Entwicklung<br />

der Wettbewerbsintensität sei im Folgenden versucht, <strong>die</strong> Globalisierung als ubiquitärer<br />

Prozess in <strong>die</strong> Zukunft zu denken, um von hieraus Gestaltungsalternativen für <strong>die</strong><br />

Gegenwart zu formulieren.<br />

Eine solche Diskussion gleicht eigentlich einer Ellipse, sie hat also zwei Brennpunkte:<br />

einmal das einzelne <strong>Unternehmen</strong>,<br />

zum anderen <strong>die</strong> Rahmenbedingungen.<br />

In <strong>die</strong>sem Kapitel erfolgt eine Konzentration auf das einzelne <strong>Unternehmen</strong> und dessen<br />

Möglichkeiten, sich in einer weiten globalisierenden Welt zu behaupten.<br />

Die Konsequenzen <strong>eines</strong> langjährig verstärkten Wettbewerbs sind klar: sie bedeuten <strong>die</strong><br />

Auflösung des oligopolitischen Wettbewerbs, des häufiger mäßigen Wettbewerbs weniger<br />

großer <strong>Unternehmen</strong> und demzufolge eine Annäherung an den vollkommenen Wettbewerb.<br />

Letzterer ist durch das Verschwinden von Pionier- und Extra-Profiten gekennzeichnet,<br />

einschließlich der Wahrscheinlichkeit, dass der normale Profit sich auch auflöst, da Preise<br />

und Gesamtkosten gleich werden. Die glühendsten Verfechter <strong>die</strong>ser Wettbewerbsform<br />

sind <strong>die</strong> Beamten, für ein <strong>Unternehmen</strong> aber ist <strong>die</strong>se Konstellation der Alptraum<br />

schlechthin. Im vollkommenen Wettbewerb hat es kaum noch Profit- und auch keine<br />

Gestaltungsmöglichkeiten mehr.<br />

Zur Zeit machen Wissenschaft, Politik und Bürokraten, seien sie in öffentlichen oder privaten<br />

Einrichtungen tätig, tendenziell den gleichen Fehler: sie setzen <strong>die</strong> Kategorien der<br />

Kritik und <strong>die</strong> der Gestaltung gleich. Angesichts vieler wettbewerbsloser bzw. -armer<br />

Systeme ist <strong>die</strong> Forderung nach mehr Wettbewerb häufig sehr sinnvoll. Es ist nicht unberechtigt,<br />

hierdurch mehr Initiative, größere Kundenfreundlichkeit, höhere Effizienz zu erwarten.<br />

Ist aber ein System nach den Regeln des Wettbewerbs organisiert, so sind auch <strong>die</strong><br />

Folgeprobleme zu lösen, sie betreffen <strong>die</strong> chronische Neigung, unhandliche Probleme zu<br />

externalisieren. Dieses Regulierungsproblem ist immerhin bekannt.<br />

128


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Viel weniger überlegt wird aber, welcher Art von Wettbewerb langfristig gelten soll, obwohl<br />

<strong>die</strong> Ergebnisse der Marktformenlehre eine deutliche Sprache sprechen. Es gibt eben<br />

(siehe oben) profitvernichtende Wettbewerbsformen, mit denen letztendlich niemand<br />

leben kann: weder der Unternehmer noch der Arbeitnehmer, weder das <strong>Unternehmen</strong><br />

noch der Staat.<br />

Die folgenden Überlegungen und Argumente sind in Auseinandersetzung mit der Konstruktion<br />

des Hyperwettbwerbs durch D’Aveni 77 entstanden. Seine Gestaltungsoption vergleicht<br />

er mir den Bemühungen zur Reoligopolisierung, <strong>die</strong> er allerdings für vergebliche<br />

Anstrengungen hält.<br />

Diesen beiden Handlungsoptionen gesellt der Verfasser eine weitere Option hinzu: <strong>die</strong><br />

des zivilisierten Wettbewerbs infolge der <strong>Einzigartigkeit</strong> der <strong>Unternehmen</strong>. Auf <strong>die</strong> Tendenz<br />

des verschärften Wettbewerbs und der hiermit gegebenen Annäherung an den vollkommenen<br />

Wettbewerb stehen also drei Reaktionsmuster zur Verfügung.<br />

A: der D'Avenische Hyperwettbewerb<br />

Dies ist eine Kriegslehre der schnellen wechselnden taktischen Vorteile, <strong>die</strong> darauf<br />

abzielen, befristete Wettbewerbsvorteile zu erzielen.<br />

B: der Versuch der Reoligopolisierung<br />

Hierzu gehören Fusionen ebenso, wie Netzwerke und Kooperationen zwischen Wettbewerbern.<br />

D'Aveni gibt <strong>die</strong>sen Bemühungen keine langfristigen Erfolgschancen, er<br />

hält <strong>die</strong> Globalisierung für eine zu mächtige Tendenz.<br />

C: der zivilisierte Wettbewerb<br />

Er beruht auf der breiten Realisierung des Konzeptes "<strong>Einzigartige</strong>s <strong>Unternehmen</strong>"<br />

mit ihrer jeweils spezifischen Kombination von Andersartigkeit und Ähnlichkeit, von<br />

Effektivität und Effizienz.<br />

Gemeinsam ist den drei Aktionsmustern, dass sie eine Alternative zur beständigen Wettbewerbsverschärfung<br />

mit der Konsequenz <strong>eines</strong> vollkommenen, also profitlosen Marktes<br />

suchen. Die Unterschiede liegen in den Schlussfolgerungen sowie deren Folgen.<br />

Auf dem Hintergrund der unvermeidbaren Globalisierung entwickelt D’Aveni seine These<br />

des Hyperwettbewerbs. Das ist eine Wettbewerbsform, <strong>die</strong> dem drohenden vollkommenen<br />

Wettbewerb durch beständig neue Bildung von Wettbewerbsvorteilen zu entgehen<br />

sucht, vgl. Bild 59. D’Aveni vertritt so etwas wie eine darwinistische Kriegsschule, in der<br />

Täuschung, Bedrohung, Überwältigung ebenso legale Mittel sind wie Innovation und Zeitwettbewerb.<br />

D’Avenis Hyperwettbewerb ist eine seltsame Mischung (Vermischung) von machiavellistischer<br />

Politikwissenschaft und effizienzorientierter Betriebswirtschaft, in dem der Lösungsvorrat<br />

beider Disziplinen zusammengeworfen wird. Realistischerweise ist davon auszugehen,<br />

dass D’Aveni ausspricht und schreibt, was viele Manager denken. D’Aveni hält eine<br />

Re-Oligopolisierung für aussichtslos. Viele <strong>Unternehmen</strong> aber - wie an der angeschwolle-<br />

77 Vgl. D’Aveni,R., Gunther, R.: Hyperwettbewerb, Frankfurt/New York 2000<br />

129


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

nen Fusionshäufigkeit abzulesen ist - sehen hierin eine Chance, dem vollkommenen<br />

Wettbewerb sowie der schwierigen Handhabung des Hyperwettbewerbs zu entkommen.<br />

D'Aveni akzeptiert Fusionen; er bezweifelt aber, dass der Versuch der Re-Oligopolisierung<br />

erfolgreich sein wird.<br />

Fujimoto 78 weist in seiner Diskussion über <strong>die</strong> Zukunft der Automobilindustrie darauf hin,<br />

dass es eine Alternative zur Fusion gibt: <strong>die</strong> strategische Kooperation. Allerdings sagt <strong>die</strong><br />

von ihm hierzu mitgeteilte Empirie:<br />

• Der Anstieg der Kooperation erfolgte vor allem in den späten 80er Jahren und stagniert<br />

in den 90er Jahren.<br />

• In den 90er Jahren sind <strong>die</strong> ohnehin nur schwach vertretenen Verkaufskooperationen<br />

dramatisch rückläufig, während technische Kooperationen und joint ventures sich halten.<br />

Wird bedacht, dass nicht wenige Fusionen von zweifelhaftem Erfolg sind, so kann man<br />

sagen: Es gibt massive Bemühungen der Re-Oligopolisierung im Weltmaßstab, ohne<br />

dass <strong>die</strong> bislang beschrittenen Wege (Fusion und Kooperation) zu einer gesicherten<br />

Trendumkehr der weltweit gesunkenen <strong>Unternehmen</strong>skonzentration geführt haben.<br />

D’Avenis Hyperwettbewerb hat also gute Chancen.<br />

Nun ist es so, dass <strong>die</strong> beiden bislang besprochenen Optionen „Hyperwettbewerb“ und<br />

„Re-Oligopolisierung“ möglicherweise beanspruchen können, <strong>die</strong> Profitrate zu sichern,<br />

ansonsten aber durchaus nennenswerte Nachteile auf ihrer Seite haben. Die Probleme<br />

<strong>die</strong>ser Welt sind nicht ohne Zutun der Konzerne entstanden und eine Ökonomie als Krieg<br />

(D’Aveni) zu begreifen, ist auch nicht dem sozio-kulturellen Fortschritt <strong>die</strong>nlich. Wegen<br />

ihrer Nachteile werden <strong>die</strong> Optionen „Hyperwettbewerb“ und „Re-Oligopolisierung“ als<br />

zerstörerischer Wettbewerb bezeichnet.<br />

78<br />

Vgl. Fujimoto, T., Takeushi, A.: „Automobiles: Strategy-based Lean Production System“, Juni 2001;<br />

unpublished discussion paper (Bezug über Verfasser)<br />

130


alte Lösungen neue Lösungen (C)<br />

Zivilisierter Wettbewerb durch strategische<br />

Vorteile infolge <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Oligopol<br />

Monopol<br />

Vorwärts-<br />

vollkommenerWettbewerb<br />

droht<br />

durch<br />

d.h. kundenlegitimiertes<br />

befristetes<br />

quasi-Monopol<br />

im Wettbewerb<br />

errungen und<br />

verteidigt<br />

bewegung<br />

sehr hohe<br />

Wettbe-werbsintensität<br />

Globalisierung<br />

Hyperwettbewerb (A)<br />

nach D‘Aveni<br />

mäßige<br />

Wettbewerbsintensität<br />

geringe<br />

Wettbewerbsintensität<br />

Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

hohe Wettbewerbsintensität<br />

Versuch der Re-Oligopolisierung (B)<br />

Schnelle Abfolge verschiedener,<br />

kleinerer, taktischer<br />

Wettbewerbsvorteile<br />

Dieses Konzept funktioniert bei ubiquitären<br />

Produktionsfaktoren in einer vernetzten Welt<br />

nicht mehr (nach D‘Aveni).<br />

Bild 59: Gestaltung des Globalisierungsprozesses<br />

durch<br />

131<br />

Optionen: Zerstörerischer Wettbewerb<br />

- Versuch der Re-Ologopolisierung (A)<br />

- Hyperwettbewerb (B)<br />

Zivilisierter Wettbewerb (C) durch <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Volker Volkholz, GfAH<br />

Richard D‘Aveni mit Robert Gunther: Hyperwettbewerb,<br />

Frankfurt/New York, S. 50, 403, 405


� <strong>Einzigartigkeit</strong> als KMU-Chance<br />

Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Also ist zu prüfen, ob ein Wettbewerb, der auf <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> jeden <strong>Unternehmen</strong>s<br />

und damit auf <strong>die</strong> Unterschiedlichkeit der Wettbewerber setzt, profitabel und sozialverträglich<br />

ist. Ein auf der <strong>Einzigartigkeit</strong> beruhender Wettbewerb wird im Folgenden auch<br />

als zivilisierter Wettbewerb bezeichnet. Der zivilisierte Wettbewerb geht davon aus, dass<br />

• Kunden wichtiger als Märkte sind,<br />

• Innovationen (neuer Kundennutzen) wichtiger sind als bloße Tauschwertmanipulationen,<br />

• könnendes Wissen wichtiger ist als der Überfluss an Informationen.<br />

Grundlage <strong>die</strong>ser Wettbewerbsform ist <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> der <strong>Unternehmen</strong>, sowie sie in<br />

den Teilen A und B entwickelt worden ist. Zur Erinnerung: <strong>Einzigartigkeit</strong> ist definiert als<br />

Balancierung von Ähnlichkeit und Andersartigkeit, von Effizienz und Effektivität.<br />

Das Konzept des zivilisierten Wettbewerbs teilt mit dem D’Avenischen Hyperwettbewerb<br />

<strong>die</strong> Auffassung, dass Wettbewerbsvorteile nicht mehr qua Macht und Status verliehen<br />

werden (Re-Oligopol-Ansatz), sondern immer wieder neue errungen werden müssen. Wie<br />

kurz dargestellt, setzt D’Aveni hierbei auf einen politisch-ökonomischen Lösungsvorrat an<br />

geeigneten Maßnahmen.<br />

Hier liegt der Unterschied zur Konzeption des auf <strong>Einzigartigkeit</strong> beruhenden zivilisierten<br />

Wettbewerbs. Er respektiert ökonomische Kalküle, hält aber deren Lösungspotenzial für<br />

zu beschränkt, um Unterschiede zu den Wettbewerbern immer wieder neu zu schaffen.<br />

Der Ansatz „Wettbewerb einzigartiger <strong>Unternehmen</strong>“ stützt sich auf den Gebrauchswert<br />

von Produkten und Dienstleistungen als Grundlage des Kundennutzens, als wesentliche<br />

Quelle der Erzeugung von erkennbarer Andersartigkeit. Im ökonomischen Ergebnis bedeutet<br />

der zivilisierte Wettbewerb, <strong>die</strong> Schaffung befristeter, durch Kunden legitimierter<br />

und im Wettbewerb errungener, Quasi-Monopole.<br />

Während <strong>die</strong> Monopole der ökonomischen Theorie durch Übermächtigkeit sich behaupten,<br />

haben <strong>die</strong> befristeten Quasi-Monopole ihre Existenzberechtigung in der Zustimmung<br />

durch <strong>die</strong> Kunden; sie sind gewählte Produzenten, <strong>die</strong> also auch abgewählt werden können.<br />

Angesichts der Vielzahl möglicher <strong>Einzigartigkeit</strong>en ist in <strong>die</strong>ser Konzeption für sehr<br />

viele <strong>Unternehmen</strong> Platz. Dies umso mehr, je zivilisierter auch <strong>die</strong> Rahmenbedingungen<br />

gestaltet werden.<br />

Sicherlich werden <strong>die</strong>se Argumente den Spott "der Experten" hervorrufen,<br />

• denen Regeln und Standards lieber sind als einzigartige Kombinationen,<br />

• <strong>die</strong> Typen von <strong>Unternehmen</strong> gegenüber der Unübersichtlichkeit vieler einzelner,<br />

eben individueller <strong>Unternehmen</strong>, bevorzugen.<br />

132


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Sicherlich ist es auch so, dass einige große <strong>Unternehmen</strong> vermeintlich stark genug sind,<br />

um <strong>die</strong> A- oder B-Variante zu gehen. Für kleinere und mittlere <strong>Unternehmen</strong> aber ist <strong>die</strong><br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> ihres <strong>Unternehmen</strong>s <strong>die</strong> einzige Chance, in den nächsten Jahrzehnten zu<br />

überleben.<br />

6.3 Gesellschaftlich unterstützte Produktivität<br />

<strong>Unternehmen</strong> sind nun aber keine Monaden (Leibniz), also keine isolierten und geschlossenen<br />

Systeme. Die Produktivität <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s wird - sowohl im Hinblick auf <strong>die</strong><br />

Kosten als auch <strong>die</strong> Erlöse - vielfältig gesellschaftlich beeinflusst. Dieser Sachverhalt sei<br />

durch den Begriff gesellschaftlich unterstützter Produktivität ausgedrückt. Allerdings wird<br />

in <strong>die</strong>sem Beitrag auf eine Wiederholung der üblichen Standortdiskussion verzichtet;<br />

stattdessen werden einige konkrete Wirkungszusammenhänge zwischen dem einzelnen<br />

<strong>Unternehmen</strong> und gesellschaftlichen Tatbeständen vorgestellt. Eröffnet wird <strong>die</strong> Erörterung<br />

durch <strong>die</strong> Vorstellung des KMU-Paradoxon von Vitois 79 .<br />

� Vitois KMU-Parodoxon<br />

Vitois beschreibt für Deutschland das folgende KMU 80 -Parodoxon 81 :<br />

• Im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern (USA, Großbritannien) ist der<br />

KMU-Sektor, gemessen am Anteil der Beschäftigten, in Deutschland größer.<br />

• im Vergleich zu den angelsächsischen Ländern ist der Lohnabstand zwischen<br />

den großen und den kleineren und mittleren <strong>Unternehmen</strong> in Deutschland<br />

geringer.<br />

Nach den Vorstellungen der ökonomischen Lohntheorie sollte es eigentlich umgekehrt<br />

sein: Höhere Löhne im KMU-Sektor müssten einen kleineren KMU-Sektor zur Folge<br />

haben, bzw. ein größerer KMU-Sektor bedeutet eigentlich, geringere Löhne im KMU-Bereich.<br />

Vitois zeigt mittels der Diskussion der Lohnstückkosten, dass der Widerspruch auflösbar<br />

ist, wenn angenommen wird, dass <strong>die</strong> Produktivität der KMU in Deutschland größer als in<br />

den angelsächsischen Ländern ist. Unter Lohnstückkosten (LSK) wird das Verhältnis von<br />

Lohn je Beschäftigtenstunde (L) zur Produktivität je Beschäftigten(stunde) (P) verstanden,<br />

als LSK = L : P.<br />

Aus Gründen der Einheitlichkeit der Argumentation in <strong>die</strong>sem Bericht seien <strong>die</strong> Lohnstückkosten<br />

hier als Entgelt-Umsatzproduktivität-Stückkosten geschrieben. Es werden<br />

also <strong>die</strong> durchschnittlichen Personalkosten je Beschäftigten zugrunde gelegt (Entgelt = E);<br />

<strong>die</strong>se werden auf <strong>die</strong> Umsatzproduktivität je Beschäftigten bezogen.<br />

79 Vitois, S.: German Banks and the Modernization of the Small Firm Sector, WZB 1995 (FSI-95-309)<br />

80 KMU: kleinere und mittlere <strong>Unternehmen</strong>; hier bis 500 Beschäftigte.<br />

81 Paradoxon: widersprüchliche, eigentlich nicht mögliche Situation, Lösung.<br />

133


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Wer will, kann <strong>die</strong>se Beziehung leicht in <strong>die</strong> übliche Wertschöpfungs-Beziehung umrechnen,<br />

da bekanntlich gilt: Umsatz-Vorleistungen = Brutto-Wertschöpfung. Entscheidend ist<br />

folgendes:<br />

L : P bzw. hier E : Pu haben <strong>die</strong> gleichen Stückkosten. Dargestellt wird <strong>die</strong>s mittels einer<br />

ISO-Geraden 82 . Links der ISO-Geraden gilt: E > Pu, was wirtschaftliche nicht tragbar ist;<br />

rechts der ISO-Kurve ist der Bereich der profitablen Lösungen, da E < Pu ist.<br />

Für <strong>die</strong> Entgelt-Umsatz 83 -Stückkosten liegen empirische Angaben für <strong>die</strong> Industrie-Branchen<br />

vor. Sie zeigen, um wie viel das Entgelt in der Vergangenheit gestiegen ist, wenn <strong>die</strong><br />

Umsatzproduktivität um eine Einheit gestiegen ist. Die empirischen Werte hierzu sind in<br />

jedem statistischen Jahrbuch zu lesen.<br />

Lohn<br />

links der ISO-Kurve:<br />

Verlustbereich<br />

Mit A seien <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> mit der höchsten Umsatz-Produktivität und - sofern sie auf der ISO-Geraden liegen,<br />

mit den höchsten Entgelten bezeichnet. Vereinfacht sind das häufig <strong>die</strong> großen <strong>Unternehmen</strong>, vg. Kap. 6.1.<br />

Mit B seien <strong>die</strong> Entgeltkosten deutscher KMU charakterisiert; <strong>die</strong> zugehörige Produktivität Pu erlaubt aber nur <strong>die</strong><br />

deutlich niedrigeren Entgeltkosten B1. Sind aber <strong>die</strong> Entgeltkosten vorgegeben, was in Deutschland durch <strong>die</strong><br />

Flächentarifverträge und andere Regeln der Fall ist, so bleibt nur <strong>die</strong> Erzielung einer höheren Produktivität (PB2),<br />

um sowohl gegenüber den großen <strong>Unternehmen</strong> als auch gegenüber der 3. Welt wettbewerbsfähig zu sein.<br />

Mit C seien <strong>Unternehmen</strong> in der 3. Welt bezeichnet. Die Produktivität ist niedriger, <strong>die</strong> Löhne sind es aber auch.<br />

Sofern keine anderen Argumente eine Rolle spielen, ist also das 3.Welt-<strong>Unternehmen</strong> mit den hochproduktiven<br />

<strong>Unternehmen</strong> konkurrenzfähig.<br />

Bild 60: Prinzip gleicher Stückkosten<br />

Vitois wirft <strong>die</strong> Frage auf, warum und wie es den deutschen <strong>Unternehmen</strong> gelingt, <strong>die</strong>se<br />

geforderte Produktivität immer wieder herzustellen. Die Antwort:<br />

Um <strong>die</strong> Produktivität zu steigern, wird i.d.R. Kapital benötigt. Und <strong>die</strong>ses wird in<br />

Deutschland langfristig (!) und zinsgünstig (!) durch das Doppelsystem Hausbank,<br />

d.h. ein <strong>Unternehmen</strong> wählt seine Bank und <strong>die</strong> Kreditanstalt für Wiederaufbau<br />

(KfW), ermöglicht. Letztere nimmt der Hausbank durch Bürgschaft einen Teil des<br />

Risikos ab und verbilligt auch <strong>die</strong> Zinsen durch Subvention.<br />

82 Die ISO-Gerade beschreibt hier alle Verhältnisse von L : P, <strong>die</strong> zu einem gleichen Quotienten führen.<br />

83 Genau eigentlich: Brutto-Inlandsprodukt.<br />

C<br />

B<br />

D 1 B1<br />

PB 1<br />

D 2<br />

E = Pu<br />

134<br />

B 2<br />

PB 2<br />

A<br />

tatsächliches<br />

Verhältnis<br />

rechts der ISO-Kurve:<br />

Gewinnbereich<br />

Produktivität


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

In der Vitois-Perspektive ist es also so, dass <strong>die</strong> deutsche Kreditfinanzierung und das inländische<br />

Tarifsystem einander bedingen. Funktioniert das eine System nicht mehr, kann<br />

auch das andere nicht funktionieren.<br />

� Fordernde und fördernde Produktivitätsunterstützung<br />

Auflistung und Zuordnung<br />

Vitois diskutiert nur Wechselwirkung von Entgeltsystem und Kreditsystem. Man kann aber<br />

auch <strong>die</strong>se Analyse als exemplarisch begreifen und fragen, ob es noch andere Mechanismen<br />

der gesellschaftlichen Unterstützung zur Produktivitätssteigerung, insbesondere in<br />

KMU gibt. Diese Frage gewinnt an Attraktivität, wenn zusätzlich zwischen<br />

einer fordernden gesellschaftlichen Produktivitätsunterstützung, also produktivitätserzwingende<br />

Regelungen und<br />

einer fördernden gesellschaftlichen Produktivitätsunterstützung, also produktivitätsermöglichenden<br />

Regelungen<br />

unterschieden wird. Das Tarifsystem hat also eine produktivitätserzwingende, das Kreditsystem<br />

hingegen eine produktivitätsermöglichende Bedeutung.<br />

Mit <strong>die</strong>ser erweiterten Fragestellung lässt sich manchen Nebel lichten - zu mindest auf der<br />

Ebene prüfenswerter Hypothesen.<br />

So kann wenig Zweifel daran bestehen, dass neben dem Flächentarifvertrag das Sozialversicherungssystem<br />

mit seiner Beitragsfinanzierung bei seiner Wiedergeburt nach<br />

Kriegsende bewusst als Produktivitätstreiber gesetzt worden ist. Die beabsichtigte Wirkung<br />

war in beiden Fällen <strong>die</strong> Gleiche. Steigende Lohnkosten sollten (!) zu nachhaltigen<br />

Anstrengungen der Produktivitätserhöhung führen. Vergleichbares lässt sich auch für <strong>die</strong><br />

ständige Erhöhung der Importquote sagen.<br />

Parallel zu den produktivitätserzwingenden Lösungen, von denen 3 kurz vorgestellt worden<br />

sind, hat es auch eine ganze Reihe produktivitätsermöglichender Regelungen gegeben.<br />

Hierzu gehör(t)en:<br />

• das bereits erwähnte Kreditsystem<br />

• das duale System der Berufsausbildung<br />

• <strong>die</strong> staatlichen Investitionen<br />

• <strong>die</strong> Nutzung von KMU als Zulieferer für <strong>die</strong> große Industrie<br />

• <strong>die</strong> Exportsteigerung.<br />

Mit der Förderung von IuK 84 -Technologien, insbesondere der von virtuellen Beziehungen,<br />

aber auch der Förderung von face-to-face-Netzwerken sollen derzeit neue Möglichkeiten<br />

der Produktivitätsunterstützung geschaffen werden.<br />

84 IuK: Informations- und Kommunikationstechnik<br />

135


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

In <strong>die</strong>ser - unvollständigen - Liste sind einige Positionen leicht nachvollziehbar: So ist<br />

einleuchtend, dass staatliche Investitionen eine enorme Nachfragebedeutung gerade<br />

auch für KMU haben. Dasselbe gilt für <strong>die</strong> Aufträge an Zulieferer.<br />

In beiden Fällen haben aber in den letzten 10 bis 20 Jahren große Veränderungen stattgefunden.<br />

Die Industrie hat ihr Zulieferersystem neu geordnet und <strong>die</strong> staatlichen Investitionen<br />

haben - abgesehen vom Vereinigungsboom - eine chronische Neigung zur Rückläufigkeit<br />

(Haushaltsmisere). Faktisch findet ein teilweiser Entzug von Produktivitätsunterstützung<br />

statt.<br />

Ähnliches droht auch bei der Neuordnung des Kreditsystems. Zur Zeit kann <strong>die</strong> Kreditnachfrage<br />

nicht befriedigt werden. Die Banken sind eine Wachstumsbremse par excellence.<br />

Ohne <strong>die</strong> gegensteuernden Bemühungen der Kreditanstalt für Wiederaufbau sowie<br />

der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) wären <strong>die</strong> Arbeitslosen-Zahlen noch viel größer.<br />

Allgemein gilt der Export als deutsche Wundertüte. Werden aber Rangreihen von Exporttätigkeiten<br />

differenziert nach Betriebsgrößen (vergl. Kap. 6.1) gebildet, so wird deutlich,<br />

dass große Teile der KMU gar nicht oder nur unterschiedlich am Exportgeschäft tätig sind.<br />

Eher ist von einer gespaltenen Exportökonomie zu reden. Einer Minderheit von exportstarken<br />

<strong>Unternehmen</strong> steht eine Mehrheit von exportschwachen <strong>Unternehmen</strong> gegenüber.<br />

Auch hier vernebeln Durchschnittszahlen <strong>die</strong> Wirklichkeit.<br />

Es besteht Nachbesserungsbedarf, <strong>die</strong>s um so stärker, je schwächer andere bisherige<br />

Produktivitätsunterstützer werden.<br />

KMU-Schäden durch das Bildungssystem<br />

Eine besondere Anmerkung schließlich ver<strong>die</strong>nt das deutsche duale Bildungssystem. Es<br />

hat in der Tat eine immense Kreativitäts- und Produktivitätsbedeutung; <strong>die</strong>s aus Gründen<br />

freilich, <strong>die</strong> den meisten Befürwortern gar nicht klar sind.<br />

Im Vergleich zu den USA etwa ist <strong>die</strong> durchschnittliche Tätigkeitsdauer der Beschäftigten<br />

bei ihrem jetzigen Arbeitgeber dramatisch länger 85 . Damit wird aber nahezu zwangsläufig<br />

<strong>die</strong> folgende Ereigniskette in Gang gesetzt:<br />

• eine längere Tätigkeitsdauer bedeutet zwingend eine geringere Arbeitsmarktmobilität;<br />

• eine geringere Arbeitsmarktmobilität bedeutet eine erhöhte Angewiesenheit auf<br />

<strong>die</strong> innerbetriebliche Potenzialentwicklung der Beschäftigten;<br />

• erhöhte Anforderungen an <strong>die</strong> Potenzialentwicklung sind bei den beschränkten<br />

KMU-Ressourcen nur mit kreativitätsstarken Schulabgängern und in der Folge<br />

mit Auszubildenden zu realisieren.<br />

85<br />

Vgl. Volkholz, V., Langhoff, Th.: Altern in NRW, Dortmund 2002, unveröffentlichter Bericht (bei den Autoren<br />

erhältlich)<br />

136


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 6 Optionen der Globalisierung<br />

Die PISA-Stu<strong>die</strong> 86 hat nun deutlich gemacht, dass <strong>die</strong> schulischen Leistungen von 20%<br />

der Jugendlichen dem durchschnittlichen mexikanischen Bildungsniveau entsprechen und<br />

ein weiteres Fünftel auch nicht gerade als Garant von Kreativität einzustufen ist. Natürlich<br />

gibt es auch viele andere Jugendliche; nur stehen <strong>die</strong>se i.d.R. den KMU’s nicht zur Verfügung.<br />

Die Heterogenität der deutschen Bildungsleistungen ist insbesondere für kleine und<br />

kleinere <strong>Unternehmen</strong> eine (Zukunfts-)Katastrophe.<br />

Das Versagen des Bildungssystems als Garant der Chancengleichheit ist diskutiert worden;<br />

das Versagen des Bildungssystems als Wachstumsmotor hingegen nicht.<br />

<strong>Unternehmen</strong>s-Solidarität als Ausweg<br />

Etwas lakonisch ist zusammenfassend festzustellen: Es zeichnen sich erhebliche Veränderungen<br />

in der Zusammensetzung der gesellschaftlich unterstützten Produktivitätssteigerung<br />

ab. Die Komponente der Ermöglichung von Produktivitätssteigerung wird kleiner, <strong>die</strong><br />

der Erzwingung derselben aber stärker.<br />

Damit besteht aber <strong>die</strong> Gefahr <strong>eines</strong> Dilemmas, <strong>eines</strong> nicht auflösbaren Widerspruchs:<br />

Satz A: <strong>Unternehmen</strong> sind zu ihrer Produktivitätsentfaltung auf gesellschaftliche<br />

Unterstützung angewiesen.<br />

Satz B: Diese Unterstützung wird ihnen aber eher entzogen. Also müssen sie sich<br />

selber helfen, was aber vor allem KMU’s ressourcenbedingt tendenziell überfordert.<br />

Gelten beide Sätze, so bleibt als Ausweg aus <strong>die</strong>sem Konflikt wahrscheinlich nur <strong>die</strong><br />

Selbstentdeckung der Solidarität 87 zwischen den <strong>Unternehmen</strong>. Dies ist freilich ein<br />

gewöhnungsbedürftiger Gedanke: <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> der einzelnen <strong>Unternehmen</strong> und <strong>die</strong><br />

Solidarität zwischen <strong>Unternehmen</strong> in einen Zusammenhang zu stellen.<br />

Wer das Wort "Solidarität" nicht mag, rede von Kooperationen und anderen Begriffen, der<br />

Sachverhalt bleibt der gleiche. <strong>Unternehmen</strong> - insbesondere KMU - bedürfen, um ihre<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> verteidigen zu können, einer gesellschaftlich unterstützten Produktivitätssteigerung.<br />

Dies bisherigen Unterstützungsmechanismen ändern sich aber zu Ungunsten der KMU.<br />

Wenn <strong>die</strong>ses so ist (bzw. vor allem so bleibt), so werden <strong>die</strong> KMU’s ihre gemeinschaftlichen<br />

Interessen selbst entdecken und organisieren müssen.<br />

86<br />

Vgl. OECD: Lernen für das Leben: Erste Ergebnisse von PISA 2000, OECD 2000<br />

87<br />

Wirtschaftshistorikern fallen hierzu freilich grausame Geschichten ein: vgl. Wehler, H.U.: Geschichte und<br />

Soziologie, Köln 1976<br />

137


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

7. Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

7.1 Die biologisch-evolutionäre Vorstellung<br />

� Das Lebenszyklus-Konzept<br />

Nach der Erörterung der Optionen der Globalisierung (siehe Kap. 6) geht es jetzt um das<br />

Paradigma des Lebenszyklus von <strong>Unternehmen</strong>, in dessen Verlauf nur <strong>die</strong> Stärksten<br />

überleben. Hat das Konzept der einzigartigen <strong>Unternehmen</strong> eine Bedeutung für <strong>die</strong><br />

Gestaltung der Lebensspanne <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s? Ist es identisch mit den Stärksten,<br />

<strong>die</strong> überleben? Woraus besteht Stärke? Wie ist <strong>die</strong> Lebensspanne beeinflussbar? Gibt es<br />

eine Alternative?<br />

Ein Paradigma ist ein Satz von für wahr gehaltenen Regeln, um Sachverhalte zu erklären<br />

und Handlungsorientierung zu stiften. Ein solches Konzept ist das des "Lebenszyklus". Es<br />

wird häufig benutzt, um <strong>die</strong> Entwicklung von Produkten, von <strong>Unternehmen</strong> oder Branchen<br />

zu erläutern. Der Lebenszyklus umfasst folgende Phasen:<br />

• Geburt (besser: geboren werden und frühkindliche Entwicklung)<br />

• Wachstum<br />

• Reife<br />

• Schrumpfen<br />

• Tod (Sterben).<br />

Zwischen Geburt und Tod liegt <strong>die</strong> Lebensspanne. Sie variiert in der Länge und der<br />

Lebensqualität. Mathematisch lässt sich ein solcher Lebenszyklus beschreiben<br />

• durch <strong>die</strong> S-Kurve, wenn auf akkumulierte Bestände wie Produktmengen<br />

über Jahre<br />

• bzw. durch <strong>die</strong> Glockenkurve, wenn auf Wachstumsraten abgestellt wird.<br />

Sofern ein Prozess - etwa <strong>die</strong> Diffusion <strong>eines</strong> Produktes - soweit vorangeschritten ist,<br />

dass er selbstlaufend ist, ist i.d.R. auch der weitere Verlauf ordentlich prognostizierbar.<br />

Das gilt aber eben nicht für alle Prozesse 88 89 90 . Und es gilt auch nicht in der Anfangsphase,<br />

also zu Beginn kreativer Akte.<br />

Innovationen und ihre Vorläufer - <strong>die</strong> Inventionen - genügen offensichtlich auch S-Kurven:<br />

man kann inzwischen wohl sagen, wann sie gehäuft unter welchen Konstellationen<br />

erwartbar sind, aber man kennt den Inhalt der Invention/Innovation (noch) nicht.<br />

Um S-Kurven ist viel geschrieben worden, wie weit ihre Prognosekraft tatsächlich reicht,<br />

ist nicht abschließend geklärt. Sagen kann man aber wohl, <strong>die</strong>se Analysetechnik hilft, das<br />

Unbekannte, <strong>die</strong> Zukunft, zu sortieren: in Teile, zu denen man sich begründet äußern<br />

kann und in Teile, <strong>die</strong> mit <strong>die</strong>sem Werkzeug nicht erfassbar sind. Beispielsweise ist <strong>die</strong><br />

88 Vgl. Thomas, H., Nefiodow, L.A.: Kondratieffs Zyklen der Wirtschaft, Herford 1998<br />

89 Modis, T.: Die Berechenbarkeit der Zukunft, Basel 1994<br />

90 Nakicenovic, N., Grübler, K. (Hrsg.): Difussion of Technologies and Social Behavior, Berlin 1991<br />

138


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

Lebenserwartung und ihre weitere Entwicklung mit der S-Kurven-Analyse ganz gut darstellbar,<br />

<strong>die</strong> geborenen Kinder bzw. <strong>die</strong> noch zu erwartenden Kinder aber (noch) nicht.<br />

Diese Anmerkung ist kein Beitrag zur Diskussion, sie ist nur eine Selbst-Aufforderung für<br />

weiteres Nachdenken.<br />

Der Wettbewerb reguliert den Lebenszyklus. Dies ist <strong>die</strong> evolutionär-darwinistische Vervollständigung<br />

des Lebenszyklus-Paradigmas mit dem bekannten Prinzip der Selektion<br />

(Auswahl) durch Konkurrenz, so dass <strong>die</strong> Stärksten überleben.<br />

In der Anwendung <strong>die</strong>ses Paradigmas auf zivilisierte menschliche Gesellschaften entsteht<br />

ein Fundamentalproblem. Die zivilisierte Gesellschaft schützt auch das Individuum, <strong>die</strong><br />

Evolution aber nur <strong>die</strong> Gattung 91 . In der Ökonomie ist <strong>die</strong>ses Problem externalisiert worden,<br />

d.h. auf <strong>die</strong> allgemeinen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Produktion<br />

verwiesen worden. Für <strong>die</strong>se sind Gesellschaft und Staat zuständig, weder das Produkt<br />

noch das <strong>Unternehmen</strong>. Diese Arbeitsteilung, <strong>die</strong> Wirtschaft ist zuständig für <strong>die</strong> Gattung<br />

(<strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> Arbeiter etc.), Gesellschaft und Staat hingegen für das Individuum,<br />

sofern es mit seinen eigenen Mitteln seine Lebensverhältnisse nicht mehr angemessen<br />

bewältigen kann, ist <strong>die</strong> Grundlage vieler Kontroversen.<br />

In der Volkswirtschaft, aber auch in der Betriebswirtschaft, ist "Entwicklung und Sterben"<br />

von Produkten, <strong>Unternehmen</strong>, Branchen selbstverständlich, da systemnotwendig. Welche<br />

Chancen hat dann das einzelne <strong>Unternehmen</strong>? Es ist nun so, dass <strong>die</strong> vorgetragenen<br />

Argumente eine Menge wissenschaftlicher Überlegungen und solide Belege durch Daten<br />

auf ihrer Seite haben.<br />

Winter 92 hat <strong>die</strong> vorliegende Literatur in einem 3-Phasen-Schema zusammengefasst. Er<br />

unterscheidet <strong>die</strong> Phasen<br />

• early explorative stage (Phase I)<br />

• intermediate development (Phase II)<br />

• mature stage (Phase III).<br />

In der Phase I (der Geburtsphase) sind <strong>die</strong> Produkte neu und aufregend, jedoch noch<br />

wenig durchgestylt, mit eher unspezifischen Maschinen gefertigt. Die Kosten sind hoch,<br />

<strong>die</strong> Produktmengen klein und <strong>die</strong> Abnahme durch den Markt unsicher.<br />

In der Phase II (der Wachstumsphase) wachsen <strong>die</strong> Erfahrungen, <strong>die</strong> Marktorientierung<br />

wird besser, der verkaufbare Nutzen deutlicher erkennbar, <strong>die</strong> Absatzmenge steigt, <strong>die</strong><br />

Kosten sinken, <strong>die</strong> Produktionsprozesse werden effizienter und <strong>die</strong> Produkte stabiler.<br />

In der Phase III (der Reifephase) schließlich sind <strong>die</strong> Abenteuer keine Abenteuer mehr.<br />

Die erwartbaren Veränderungsraten bei den Märkten, Produkten und Prozessen sind kalkulierbar.<br />

Audretsch 93 hat einige der empirischen Quintessenzen zu <strong>die</strong>sem Phasenmodell der Entwicklung<br />

zusammengestellt:<br />

91<br />

Und <strong>die</strong>se auch nur auf - allerdings sehr lange - Zeit.<br />

92<br />

Vgl. Winter, S.G.: Schumpeterian Competition, in Alternative Technological Regimes Journal of Economic<br />

Behavior and Organisation, 5/1984, S.287-320<br />

93<br />

Vgl. Audretsch, D.B., Thurik, R.: Innovation, Industry Evolution and Employment, Cambridge, UK 1999<br />

139


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

• Je innovativer das Produktfeld und je offener der Markt, desto mehr neue <strong>Unternehmen</strong><br />

werden angelockt.<br />

• Je mehr neue <strong>Unternehmen</strong> es gibt, desto mehr <strong>Unternehmen</strong> sterben jung.<br />

• Wachsende <strong>Unternehmen</strong> sterben häufiger, haben also schlechtere Überlebenschancen.<br />

• Überlebende <strong>Unternehmen</strong> wachsen nicht oder nur mäßig.<br />

• Je älter das <strong>Unternehmen</strong>, desto größer ist es.<br />

• Ältere und größere <strong>Unternehmen</strong> wachsen wenig, überleben aber besser als<br />

junge, dynamische <strong>Unternehmen</strong>.<br />

• Je durchsetzungsstärker vorhandene <strong>Unternehmen</strong> sind, desto weniger<br />

Markteintritte neuer <strong>Unternehmen</strong> gibt es.<br />

Insbesondere <strong>die</strong> hohe Kindersterblichkeit von jungen <strong>Unternehmen</strong> ist ein oft beobachteter<br />

und vielfach diskutierter Sachverhalt. Eine der systematischsten Tabellen hierzu liefert<br />

Baldwin 94 . Nahezu zeitgleich zur Formulierung <strong>die</strong>ser Quintessenzen hat in den 90er<br />

Jahren deren Revision begonnen; hierauf sei im Folgenden anhand zweier Beispiele eingegangen.<br />

� Erweiterung: Innovativität und Lebenszyklus<br />

• Audretsch's et.al. spezifische Leistung besteht in der empirisch begründeten Zuordnung<br />

von Innovationshäufigkeiten zu den verschiedenen Phasen des Lebenszyklus.<br />

• In der Geburts- und auch noch in der Wachstumsphase sind kleine, neue <strong>Unternehmen</strong><br />

<strong>die</strong> maßgeblichen Innovationsträger. Mehrere Sachverhalte sind von besonderer<br />

Bedeutung:<br />

das neue Wissen ist wenig erfahrungsgesättigt, es gibt viele Unsicherheiten, da<br />

<strong>die</strong>se aber allgemein verbreitet ist, gibt es auch viele Möglichkeiten für neue<br />

Ideen;<br />

in Phasen neuen unsicheren Wissens gedeihen <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> in räumlicher<br />

Nähe besser zueinander: es gibt <strong>die</strong> Möglichkeit des Erfahrungsaustausches, des<br />

Teilens, des Hinzufügens von tacil-knowledge.<br />

In <strong>die</strong>ser Phase sind auch Universitäten hilfreich.<br />

• Hat aber <strong>die</strong> Wachstumsphase voll eingesetzt, so verlieren <strong>die</strong> Universitäten an<br />

Bedeutung. Die <strong>Unternehmen</strong> bilden spezifische Wissensmuster aus, <strong>die</strong> sie nicht<br />

teilen wollen/können.<br />

• In der Reifephase ist <strong>die</strong> Innovationsaktivität der <strong>Unternehmen</strong> niedriger, <strong>die</strong> größeren<br />

<strong>Unternehmen</strong> sind kreativer als <strong>die</strong> kleineren:<br />

es beginnt eine erneute Öffnung zu Universitäten und<br />

neue Forschungsaktivitäten entstehen bewusst außerhalb der tra<strong>die</strong>rten Herkunftsregionen;<br />

94 Vgl. Baldwin, J.R.: The Dynamics of Industrial Competition, New York, 1995, S. 20<br />

140


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

mit anderen Worten: <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> erkennen, dass sie neue Impulse benötigen,<br />

aus ihren tra<strong>die</strong>rten Mustern ausbrechen müssen.<br />

Dieses Konzept von Innovativität und Lebenszyklus zeigt auch einige der Wechselwirkungen<br />

von <strong>Unternehmen</strong> und Region. Regionale Wissenscluster haben in der Gründungsphase<br />

<strong>eines</strong> Lebenszyklus eine deutliche, proaktive Bedeutung. Nicht jedoch in der Reifephase,<br />

da hier häufig <strong>die</strong> Erstarrung von Wissensmustern eine restriktive Rolle spielt. Es<br />

gibt eben auch alt gewordene Regionen.<br />

� Vertiefung: <strong>die</strong> shake-out-Phase<br />

Klepper u.a. 95 haben das Ver<strong>die</strong>nst, <strong>die</strong> einfache Logik von „Gründen, Wachsen, Reifen“<br />

nachhaltig gestört zu haben. Sie haben 46 bedeutende Produktinnovationen im 20. Jahrhundert,<br />

von ihrem ersten Markteintritt über <strong>die</strong> nachfolgenden Jahrzehnte verfolgt. Ihr<br />

Ziel war es, <strong>die</strong> Frage zu beantworten, wie sich <strong>die</strong> Zahl der <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> <strong>die</strong>ses<br />

neue Produkt herstellen, im Laufe der Zeit verändert hat? Klepper orientiert sich am Winter-Schema<br />

der 3 Phasen (vgl. FN 92), verändert es aber zugleich nachhaltig. Kleppers<br />

Phasenabfolge lautet:<br />

• In der Phase I (Geburtsphase) gibt es überwiegend neue <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> Zuwachsraten<br />

an neuen <strong>Unternehmen</strong> sind hoch. Trotz der Ausfälle unter den<br />

Neuen (Kindersterblichkeit) steigt <strong>die</strong> Gesamtzahl der <strong>Unternehmen</strong> deutlich an.<br />

• In der Phase II (Wachstumsphase) geht <strong>die</strong> Zunahme der <strong>Unternehmen</strong> noch<br />

weiter, sie wird aber kleiner bis <strong>die</strong> Zahl der beteiligten <strong>Unternehmen</strong> ihr Maximum<br />

erreicht.<br />

• Hier startet <strong>die</strong> von Klepper neu eingeführte Phase, <strong>die</strong> zwischen der herkömmlichen<br />

Wachstums- und Reifephase liegt: <strong>die</strong> shake-out-Phase, wie er sie nennt.<br />

Die shake-out-Phase ist durch einen dramatischen, über einige Jahre sich hinziehenden<br />

Ausstiegsprozess von <strong>Unternehmen</strong> (Tod oder Rückzug) gekennzeichnet.<br />

Gemessen an der jeweils maximalen <strong>Unternehmen</strong>szahl scheiden ca.<br />

50% der <strong>Unternehmen</strong> aus.<br />

• Nach Ausklingen der shake-out-Phase setzt <strong>die</strong> Reifephase ein: Die Zahl der<br />

<strong>Unternehmen</strong> ist halbiert, bleibt jetzt aber eher eine Zeitlang stabil. Die Wachstumsraten<br />

der <strong>Unternehmen</strong> sind mäßig und an den Marktanteilen ändert sich<br />

nicht viel.<br />

• Nach der Reifephase beginnt eine erneute Schrumpfungs- oder Sterbephase.<br />

Hierzu äußert sich aber Klepper nicht ausführlich.<br />

Im Paradigma des vom Wettbewerb regulierten Lebenszyklus sind also zwei häufig tödlich<br />

verlaufende Epidemien zu verankern:<br />

• zum einen <strong>die</strong> soeben vorgestellte shake-out-Epidemie, <strong>die</strong> doch ein erhebliches<br />

Ausmaß annimmt und den Übergang von der Wachstums- zur Reifephase zu<br />

einem lebensgefährdenden Vorgang werden lässt;<br />

95 Vgl. Gort, M., Klepper, S.: a.a.O.<br />

141


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

• zum anderen <strong>die</strong> seit längeren bekannte erhöhte Kindersterblichkeit junger <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Die Bedeutung <strong>die</strong>ser Epidemien ist erheblich. Von 100 gegründeten <strong>Unternehmen</strong> überlebt<br />

etwa <strong>die</strong> Hälfte <strong>die</strong> weitgefasste Gründungsphase nicht. Von <strong>die</strong>sen Überlebenden<br />

scheitert wiederum <strong>die</strong> Hälfte im Übergang von der Wachstums- zur Reifephase. Da während<br />

der Wachstumsphase selbst auch noch <strong>Unternehmen</strong> abstürzen, kann als erste Annäherung<br />

gesagt werden: Von den gegründeten <strong>Unternehmen</strong> erreicht etwa ein Fünftel<br />

<strong>die</strong> Reifephase.<br />

Kleppers Untersuchungen haben auch eine prinzipielle über sie hinausgehende Bedeutung.<br />

Sie verweisen nachdrücklich darauf, dass es nicht genügt, sich mit der Geburt und<br />

Kindheit von <strong>Unternehmen</strong> zu befassen. Die bestehenden, also um im Bild zu bleiben, <strong>die</strong><br />

erwachsenen <strong>Unternehmen</strong> unterliegen deutlichen Veränderungen. Die shake-out-Phase<br />

ist nur ein - allerdings drastisches - Beispiel hierfür.<br />

Wie bei Audretsch beruhen auch Kleppers Innovations- und Wissensüberlegungen auf<br />

einem gewaltigen Berg eigener empirischer Untersuchungen. Die vorgetragenen Argumente<br />

sind in beiden Fällen von den Autoren gut belegt. Insgesamt zeigt <strong>die</strong> kurze Zusammenstellung<br />

einiger wissenschaftlichen Überlegungen und ihre Untermauerung durch<br />

neuere empirische Befunde, dass das wettbewerbliche regulierte Lebenszyklus-Paradigma<br />

erkenntnismäßig ziemlich fruchtbar sein kann. Aber: ist <strong>die</strong>s alles?<br />

Es gibt ein einfaches Argument, das in dem vorgestellten Paradigma nicht auftaucht: dass<br />

der Wiedergeburt <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s durch Selbsterneuerung. Während für Lebewesen<br />

<strong>die</strong> Entwicklung Geburt - Tod zwingend ist, gilt das<br />

• ebenso für <strong>die</strong> meisten Produkte,<br />

• aber eben nicht zwingend für <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Kurz, es ist scharf zwischen dem Lebenszyklus von Produkten und <strong>Unternehmen</strong> zu unterscheiden.<br />

Der Produkt-Lebenszyklus ist ein sinnvolles Konstrukt. Schließlich will niemand<br />

mehr - außer als Tourist - sich mit der Pferdedroschke fortbewegen müssen. Der<br />

Produktlebenszyklus ist eben auch gleichbedeutend mit immer wieder neuen Produkten.<br />

Falsch ist aber <strong>die</strong> Gleichsetzung von neuen Produkten und neuen <strong>Unternehmen</strong>. Die<br />

Schlüsselaussage lautet:<br />

Je stärker sich ein <strong>Unternehmen</strong>, eine Branche an bestimmte Produktinnovationen<br />

in dem Sinne bindet, dass keine Alternativen hierzu entstehen, desto<br />

stärker folgen <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> auch dem Produktlebenszyklus.<br />

Je stärker aber <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> auf ihre prinzipielle Fähigkeit zur 'Selbsterneuerung'<br />

u.a. durch den Wechsel von Produkten und Prozessen setzen,<br />

desto eher sind sie von einem spezifischen Produktlebenszyklus unabhängig.<br />

• Diese Unabhängigkeit besteht in der Möglichkeit der Wiedergeburt durch Selbsterneuerung:<br />

Siemens sieht sich als 100 Jahre junges <strong>Unternehmen</strong>. Erinnert sei an<br />

142


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

Marchettis 96 Skepsis gegenüber strategischen Diskussion, <strong>die</strong> er als Geschnattere<br />

bezeichnet. Man kann <strong>die</strong>ses Geschnattere mit Blick auf <strong>die</strong> Gänse des Kapitols, <strong>die</strong><br />

vor dem Feind warnten, auch als Signal dafür verstehen, etwas Anderes als der<br />

Hauptstrom der Diskutanden zu tun. Marchetti selbst hat das Gegenargument zu<br />

seiner Kritik formuliert. <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> sich auf einen vorgezeichneten Pfad<br />

bewegen, können ihn auch verlassen, etwa durch <strong>die</strong> Eröffnung neuer S-Kurven.<br />

An den aufgeführten Belegen zu Leben und Tod von <strong>Unternehmen</strong> ändert sich hierdurch<br />

nichts; nur ihre Interpretation wird etwas, aber entscheidend, anders:<br />

Die vorgeführten Belege zeigen, was passiert, wenn sich ein <strong>Unternehmen</strong><br />

oder gar eine Gruppe von <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> eine Branche bilden, sich<br />

dem Produktlebenszyklus unterordnen.<br />

In <strong>die</strong>sem Fall bedeutet der Wandel des <strong>Unternehmen</strong>s ein Wandel zum Tod. Wer also<br />

das Lebenszyklus-Paradigma auf <strong>Unternehmen</strong> anwendet, möchte <strong>die</strong> Lebensspanne des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s gestalten, um es danach sterben zu lassen. Alternativ hierzu gilt:<br />

Wer auf den Wandel durch Selbst-Erneuerung setzt, plä<strong>die</strong>rt für <strong>die</strong> wiederholte<br />

Wieder(Neu-)geburt des <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

Wie aber steht es mit den empirischen Belegen zu <strong>die</strong>ser Hypothese der Selbst-Erneuerung?<br />

7.2 Repräsentative Firma versus einzigartige <strong>Unternehmen</strong><br />

� Die repräsentative Firma<br />

Eine Möglichkeit der Empirie-Beschaffung besteht in der Literatursuche nach geeigneten<br />

Langzeit-Fallstu<strong>die</strong>n. Verwiesen sei exemplarisch auf ein relativ aktuelles Beispiel:<br />

J.C. Collins, J.I. Parras: Built To Last, New York 1997<br />

(erweiterte paperback-edition)<br />

Beschrieben und diskutiert wird <strong>die</strong> Erfolgsgeschichte von 18 amerikanischen Großunternehmen,<br />

<strong>die</strong> zwischen 1812 und 1945 gegründet worden sind. Diese - in ihren Geschäftsfeldern<br />

(quasi Olympia-Sieger) - werden mit den jeweiligen Zweit- und Drittbesten<br />

verglichen. Dieser Ansatz der Fallstu<strong>die</strong>nauswertung wird aber hier nicht weiter verfolgt,<br />

da ein grundsätzliches Problem zu lösen ist: Die eigene Selbst-Erneuerung wird nur<br />

erfolgreich sein - so <strong>die</strong> in Kapitel 2 vorgelegte Konzeption einzigartiger <strong>Unternehmen</strong> -<br />

wenn eine Balancierung von Ähnlichkeit (ähnlich den besten <strong>Unternehmen</strong>) und Andersartigkeit<br />

(anders als jeder Wettbewerber) gelingt. Die so definierte <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>s beinhaltet aber logischerweise <strong>die</strong> Vielfalt aller <strong>Unternehmen</strong> - zumindest<br />

der Wettbewerber.<br />

Diese Vielfalt widerspricht aber fundamental dem Konzept der repräsentativen Firma. "Mit<br />

<strong>die</strong>sem von Marshall eingeführten Begriff sollte das Interesse von den individuellen<br />

Besonderheiten des einzelnen <strong>Unternehmen</strong>s weggeführt und auf eine höher aggregierte<br />

96 Vgl. Marchetti, C.: a.a.O.<br />

143


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

Ebene ausgerichtet werden, auf der nur noch <strong>die</strong> Merkmale einer durchschnittlichen Einheit<br />

anzutreffen sind, <strong>die</strong> als Stellvertreter für <strong>die</strong> Menge der Einzelunternehmen angesehen<br />

werden können". 97<br />

Dieses Konzept der repräsentativen Firma ist ein betriebswirtschaftliches Basiskonzept,<br />

das <strong>die</strong> Theorie der Produktions- und Kostenfunktionen nachhaltig strukturiert. Auf der<br />

Grundlage der repräsentativen Firma beruhen auch Branchenanalysen (pro Branche etwa<br />

ein großes <strong>Unternehmen</strong> und ein KMU als repräsentative <strong>Unternehmen</strong>) ebenso wie Verbandsaktivitäten<br />

oder gar Teile der Forschungs- und Wettbewerbspolitik der Bundesregierung<br />

(Stichworte: z.B. Förderung von high-tech-Branchen, innovationsfreundliche Branchen,<br />

wettbewerbsfähige Branchen etc.).<br />

Das Konzept der repräsentativen Firma wirkt also als mächtiger Verbündeter <strong>eines</strong> dominanten<br />

Lebenszyklus-Modells, da es Alternativen, <strong>die</strong> sich um <strong>die</strong> Selbsterneuerung oder<br />

auch Selbstbefreiung <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s drehen, blockiert. Um <strong>die</strong>se Blockade zu<br />

durchbrechen, muss also gezeigt werden, dass das Konzept der repräsentativen Firma<br />

eine Fiktion ist, dass also Branchendurchschnittswerte Mittelwerte darstellen, <strong>die</strong> etwa<br />

dem Durchschnitt <strong>eines</strong> Elefanten und einer Mücke entsprechen. Solche Durchschnittswerte<br />

können als Eselei bezeichnet werden.<br />

Das Konstrukt einzigartige <strong>Unternehmen</strong> ist eben nur realitätstauglich, wenn <strong>die</strong> Vielfalt<br />

der <strong>Unternehmen</strong> einer Branche, also ihre Heterogenität und Nicht-Homogenität - nachweisbar<br />

ist.<br />

� Vieltfalt der <strong>Unternehmen</strong><br />

Dem Verfasser sind zwei deutschsprachige Untersuchungen bekannt, <strong>die</strong> sich dem<br />

Thema Homogenität versus Heterogenität von <strong>Unternehmen</strong> in Branchen stellen.<br />

einmal: Fritsch, M. (1990): Wie heterogen sind Branchen-Aggregate? Zur Eignung<br />

von Aggregatdaten für Analysen wirtschaftlicher Entwicklung. In: Allgem<strong>eines</strong> Statistisches<br />

Archiv 1974, S. 397-412,<br />

zum anderen: Schohl, F.: Branchenstreuung von <strong>Unternehmen</strong>sattributen. In:<br />

Hochmuth, U., Wagner, J. (Hrsg.): Firmenpanelstu<strong>die</strong>n in Deutschland, Tübingen,<br />

Basel 1994, S.139-160.<br />

Die Untersuchung von Fritsch beruht auf einer postalischen Erhebung bei Industrieunternehmen,<br />

mittels derer <strong>die</strong> Entwicklung der <strong>Unternehmen</strong> von 1975 bis 1986 nachgezeichnet<br />

werden konnte. Fritsch's Ergebnis war, "... dass <strong>die</strong> Streuung der individuellen Merkmalsausprägungen<br />

so breit war, dass von einer branchentypischen Ausprägung der<br />

Werte häufig nicht gesprochen werden konnte." 98<br />

Nachstehend wird exemplarisch der Arbeit von Schohl gefolgt, da sie auf noch härteren<br />

Daten, den Jahresabschlüssen von 313 <strong>Unternehmen</strong>, für einen noch längeren Zeitraum,<br />

von 1961 bis 1984, beruht. Schohl berichtet, dass das Statistische Bundesamt wiederholt<br />

geprüft hat, ob Branchen eine hinreichende Homogenität der stofflichen Güterproduktion<br />

97 Vgl. Schohl, F.: Branchenstreuung von <strong>Unternehmen</strong>sattributen, In: U. Hochmuth, J. Wagner (Hrsg.):<br />

Firmenpanelstu<strong>die</strong>n in Deutschland, Tübingen, Basel 1994, S.157<br />

98 Vgl. Fritsch, M. (1990): Wie heterogen sind Branchen-Aggregate? Zur Eignung von Aggregatdaten für<br />

Analysen wirtschaftlicher Entwicklung. In: Allgem<strong>eines</strong> Statistisches Archiv 1974, S. 397-412<br />

144


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

beinhalten. Diese Frage wurde bejaht. Schohl zieht hieraus <strong>die</strong> Schlussfolgerung für <strong>die</strong><br />

Prüfung der wirtschaftlichen Homogenität von <strong>Unternehmen</strong>, möglichst technik- und produktionsnahe<br />

ökonomische Kennziffern zu bilden. Er will so prüfen, ob <strong>die</strong> stofflichen Unterschiede<br />

zwischen Branchen auch zu Unterschieden bei ökonomisch messbaren Variablen<br />

führen. 99<br />

Bei 8 Wirtschaftszweigen ergeben sich 28 Paare von zu vergleichenden Branchen, wobei<br />

jedes Paar über 24 Jahre verglichen wird. Je Kennziffer sind also 28 x 24 Beziehungen zu<br />

testen. Da Schohl sechs Kennziffern einsetzt, sind insgesamt 4.032 Beziehungen zu untersuchen.<br />

Diese Ergebnisse sind im Bild 61 dargestellt.<br />

Branchenpaare<br />

<strong>Unternehmen</strong>sattribute<br />

Prod.tech Prod.tätig Rendite<br />

SA MD KI PI UR PR<br />

Zusammenfassung Testergebnisse<br />

signifikant nicht signifikant<br />

Anzahl Anteil Anzahl Anteil<br />

20 - 21 22 22 15% 122 85%<br />

20 - 22 5 24 29 20% 115 80%<br />

20 - 23 5 3 8 6% 136 94%<br />

20 - 24 19 21 16 24 80 56% 64 44%<br />

20 - 25 4 17 21 15% 123 85%<br />

20 - 26 11 11 8% 133 92%<br />

20 - 27 8 3 11 8% 133 92%<br />

21 - 22 2 2 1% 142 99%<br />

21 - 23 12 3 2 17 12% 127 88%<br />

21 - 24 24 1 4 2 31 22% 113 78%<br />

21 - 25 8 8 6% 136 94%<br />

21 - 26 144 100%<br />

21 - 27 1 6 7 14 10% 130 90%<br />

22 - 23 3 12 23 7 7 52 36% 92 64%<br />

22 - 24 24 14 24 1 2 65 45% 79 55%<br />

22 - 25 18 13 31 22% 113 78%<br />

22 - 26 144 100%<br />

22 - 27 19 12 12 6 5 54 38% 90 83%<br />

23 - 24 13 21 23 3 2 62 43% 82 57%<br />

23 - 25 2 6 2 2 12 8% 132 92%<br />

23 - 26 2 2 4 3% 140 97%<br />

23 - 27 1 1 2 1% 142 99%<br />

24 - 25 144 100%<br />

24 - 26 24 13 12 1 50 35% 94 65%<br />

24 - 27 3 23 18 4 3 51 35% 93 65%<br />

25 - 26 21 21 15% 123 85%<br />

25 - 27 9 4 2 15 10% 129 90%<br />

26 - 27 20 1 21 15% 123 85%<br />

Summe 203 104 98 195 51 43 694 17% 3338 83%<br />

SA Sachanlagenanteil; MD Maschinendominante; KI Kapitalintensität; PI Personalintensität; UR Umsatzrendite; PR<br />

Produktionsrendite; MD Anteil Maschinen und Anlagen am Sachanlagevermögen; Prod.tech: Produktionstechnik; Prod.tätig:<br />

Produktionstätigkeit<br />

99 Vgl. Schohl, F.: a.a.O., S.142/143<br />

145


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

WZ -2-Steller Kurzbezeichnung Anzahl <strong>Unternehmen</strong><br />

20 Chemische Industrie 49<br />

21 Kunststoff - Gummi 18<br />

22 Glas, Steine, Erden 53<br />

23 Metallerzeugung 25<br />

24 Maschinenbau 102<br />

25 Elektrotechnik 12<br />

26 Holz, Papier, Druck 24<br />

27 Textilindustrie 30<br />

313<br />

146<br />

Quelle: Schohl, F.: Branchenstreuung von<br />

<strong>Unternehmen</strong>sattributen, In: U. Hochmuth, J.<br />

Wagner (Hrsg.): Firmenpanelstu<strong>die</strong>n in<br />

Deutschland, Tübingen, Basel 1994, S. 149, 154<br />

Bild 61: Ergebnisse der multiplen Branchenvergleiche für alle Branchenpaare und<br />

<strong>Unternehmen</strong>sattribute<br />

Nur 17% der geprüften Beziehungen sind statistisch signifikant, d.h. <strong>die</strong> Verteilung der<br />

Kennziffern in je zwei Branchen, <strong>die</strong> ein Paar bilden, sind relevant verschieden. Deutlich<br />

am häufigsten unterscheidet sich noch der Maschinenbau von anderen Branchen. Die<br />

ökonomischen Kennziffern zur Produktionstechnik bzw. zur Produktionstätigkeit unterscheiden<br />

sich häufiger als <strong>die</strong> Rendite-Kennziffern signifikant. Die Aus- und Bewertung<br />

der Ergebnisse durch Schohl ist eindeutig:<br />

a) "Die Streuung aller untersuchten Attribute (<strong>Unternehmen</strong>seigenschaften durch <strong>die</strong><br />

Kennziffern dargestellt) ist so groß, dass sie <strong>die</strong> Branchengrenzen deutlich überschreiten.<br />

Trotz der stofflichen Unterschiede in der Branchenproduktion bilden sich<br />

keine branchentypischen ökonomischen Branchenmuster heraus".<br />

b) An <strong>die</strong> Stelle des neoklassischen Optimierungsverhaltens tritt das Ausfüllen von<br />

Entscheidungsspielräumen: "... Daraus resultieren <strong>die</strong> individuellen Attributsmuster<br />

der <strong>Unternehmen</strong>". 100<br />

Haben <strong>die</strong>s Untersuchungsergebnisse von Schohl und Fritsch Bestand, so ist das Konstrukt<br />

des einzigartigen <strong>Unternehmen</strong>s realitätsnäher als <strong>die</strong> repräsentative Firma der<br />

Betriebswirtschaftslehre. Da Schohl und Fritsch mit ihren Untersuchungen <strong>die</strong> Heterogenität<br />

von <strong>Unternehmen</strong> in Branchen belegen, also <strong>die</strong> Verschiedenartigkeit der <strong>Unternehmen</strong>,<br />

ist auch geklärt, dass <strong>die</strong> 'Selbsterneuerung als Wandel zur Wiedergeburt' eine reale<br />

Alternative zum 'Wandel auf den Tod hin' für <strong>Unternehmen</strong> ist.<br />

7.3 Das Alter der <strong>Unternehmen</strong><br />

� Lebensbaum der <strong>Unternehmen</strong><br />

Fritsch und Schohl haben gezeigt, dass <strong>die</strong> Möglichkeit zur <strong>Einzigartigkeit</strong>, also zur Unterscheidung<br />

von den Wettbewerbern von den <strong>Unternehmen</strong> auch tatsächlich genutzt wer-<br />

100 Vgl. Schohl, F.: a.a.O., S. 156, 157


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

den. Jetzt soll nach den Folgen <strong>die</strong>ser Nutzung gefragt werden: Wie schlägt sie sich im<br />

Lebensalter der <strong>Unternehmen</strong> wieder?<br />

Auskunft gibt das Bild 62, das das Alter seit Gründung für <strong>die</strong> Industrie- und <strong>die</strong><br />

Dienstleistungsunternehmen ausweist.<br />

10,5 %<br />

Verarbeitendes<br />

Gewerbe<br />

theoretischer<br />

Ausgleich der<br />

historischen<br />

Einflüsse<br />

11,5 %<br />

●<br />

●<br />

6,8 % ●<br />

9,8 %<br />

0,2 % ●●0,0<br />

%<br />

1851 bis 1900<br />

1.000 bis 1.500<br />

●1,5<br />

%<br />

1,6 %<br />

●<br />

22 %<br />

●<br />

Dienstleistungen<br />

von/für<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

Quelle: GfAH-Auswertung der Hoppenstedt-Firmendatenbank 2000, Darmstadt 2001<br />

●<br />

1946 bis 1950<br />

1991 bis 1995<br />

1998<br />

Bild 62: Das Gründungsalter von Industrie- und Dienstleistungsunternehmen in Deutschland<br />

Wie nicht anders zu erwarten, ist der Lebensbaum der Dienstleistungsunternehmen deutlich<br />

jünger als der der Industrieunternehmen. 46% der Dienstleistungsunternehmen, aber<br />

nur 21% der Industrieunternehmen sind in den letzten 20 Jahren gegründet worden. Gut<br />

<strong>die</strong> Hälfte der Industrieunternehmen (52%) sind bis zu 50 Jahre jung, <strong>die</strong> andere Hälfte ist<br />

über 50 Jahre alt. Der Anteil der über 100-jährigen Industrieunternehmen übersteigt mit<br />

ca. 14% den bei den Menschen deutlich; <strong>die</strong> ältesten Industrieunternehmen erreichen ein<br />

wahrhaft biblisches Alter: sie sind älter als 500 Jahre.<br />

<strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> 50, 100 Jahre und mehr existieren, haben ihre Fähigkeit zur Selbsterneuerung<br />

mehr als einmal unter Beweis stellen müssen. Insbesondere der negative Einfluss<br />

von Faschismus und 2. Weltkrieg ist deutlich erkennbar. Aus den Kriegsjahren gibt<br />

es nur relativ wenige heute noch existierende <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Demgegenüber steht der immer noch deutlich erkennbare Gründungsboom in der unmittelbaren<br />

Nachkriegszeit (1946 bis 1950). Hält man <strong>die</strong>se Gründungen für teilweise nachholende<br />

Gründungen, so erhält man eine fiktiv-theoretische Linie (in dem Bild 62<br />

gestrichelt eingezeichnet), <strong>die</strong> <strong>die</strong> Entwicklung ohne Faschismus beschreibt. Es ergibt<br />

147<br />

● 24,1 %


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

sich dann ein relativ breiter, sich nur allmählich verjüngender Lebensbaum aller<br />

Industrieunternehmen.<br />

� Alter und <strong>Unternehmen</strong>sgröße<br />

Die Hoppenstedt-Firmendatenbank hat nun eine deutliche Verzerrung zugunsten der größeren<br />

und auch der mittleren <strong>Unternehmen</strong>. Also ist es angezeigt, den Lebensbaum differenziert<br />

nach Beschäftigungs-Größenklassen, siehe nachfolgendes Bild, auszuweisen.<br />

Zugleich bietet sich hierdurch <strong>die</strong> Möglichkeit, den Zusammenhang zwischen <strong>Unternehmen</strong>sgröße<br />

und -alter zu erörtern. Hierbei wird schnell deutlich, wie sehr <strong>die</strong> Ergebnisse<br />

von der Sichtweise abhängen. Wird zwischen bis 50-jährigen und älteren <strong>Unternehmen</strong><br />

unterschieden, so ist der Befund klar: <strong>die</strong> größeren sind anteilig bei den älteren <strong>Unternehmen</strong><br />

häufiger vertreten als <strong>die</strong> mittleren und <strong>die</strong>se wiederum häufiger als <strong>die</strong> kleineren.<br />

<strong>Unternehmen</strong>sgröße<br />

bis 15<br />

Jahre<br />

(1)<br />

15 bis 25<br />

Jahre<br />

(2)<br />

25 bis 50<br />

Jahre<br />

(3)<br />

148<br />

Alter<br />

bis 50<br />

Jahre<br />

(1-3)<br />

50 bis 100<br />

Jahre<br />

> 100<br />

Jahre<br />

größere <strong>Unternehmen</strong> n 441 183 634 1.258 1.074 704 3.036<br />

> 500 Beschäftigte % 14,5 6,0 20,9 41,4 35,4 23,2 100<br />

mittlere <strong>Unternehmen</strong> n 462 412 1.084 1.958 1.398 722 4.078<br />

100 bis 499 Beschäftigte % 1,3 10,1 26,6 48,0 34,3 17,7 100<br />

kleinere <strong>Unternehmen</strong> n 1.667 1.564 2.582 5.813 3.165 1.323 10.301<br />

20 bis 99 Beschäftigte % 16,2 15,2 25,1 56,4 30,7 12,8 100<br />

alle <strong>Unternehmen</strong><br />

n 2.570 2.159 4.300 9.029 5.637 2.749 17.415<br />

% 14,8 12,4 24,7 51,8 32,4 15,8 100<br />

Quelle: GfAH-Auswertung der Hoppenstedt-Firmendatenbank 2000; Darmstadt 2001. Alter von 2000 aus gerechnet.<br />

Bild 63: <strong>Unternehmen</strong>salter und -größe der Industrieunternehmen in den alten Bundesländern<br />

Anders sieht es bei den jungen Industrieunternehmen (bis 15 Jahre alt) aus. Hier gibt es<br />

kaum relevante Unterschiede zwischen den <strong>Unternehmen</strong>sgrößen, was sehr wahrscheinlich<br />

an den deutlich gestiegenen Ausgründungszahlen in den 80er und vor allem den 90er<br />

Jahren liegt.<br />

Im internationalen Vergleich sind <strong>die</strong> hier mitgeteilten Altersverteilungen der <strong>Unternehmen</strong><br />

ungewöhnlich. Für <strong>die</strong> KMU liefern Erhebungen der Europäischen Union 101 Informationen.<br />

Bekanntlich ist <strong>die</strong> Obergrenze <strong>eines</strong> KMU aus Sicht der EU 250 Beschäftigte. Die Bandbreite<br />

reicht also von 1 bis 250 Beschäftigte. In Deutschland sind <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> im<br />

produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungssektor Mitte der 90er Jahre durchschnittliche<br />

32 Jahre alt: 14 Jahre älter als im EU-Durchschnitt (18 Jahre).<br />

Ein deutlich älteres Durchschnittsalter der <strong>Unternehmen</strong> bedeutet aber auch eine geringere<br />

Sterbe- und Neugründungsrate. Also muss der Indikator "<strong>Unternehmen</strong>salter" diffe-<br />

101<br />

Vgl. Europäische Kommission: Das Europäische Beobachtungsnetz für KMU, 6. Bericht 2000, Luxemburg<br />

2000, S. 422<br />

alle


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

renziert gesehen werden. Für <strong>die</strong> Vergangenheit ist es sicherlich ein Beleg für <strong>die</strong> Fähigkeit<br />

zur Selbsterneuerung, sonst gäbe es <strong>die</strong>se <strong>Unternehmen</strong> nicht mehr. Für <strong>die</strong> Zukunft<br />

aber kann der Indikator zweierlei total Entgegengesetztes bedeuten:<br />

• einmal <strong>die</strong> Fähigkeit zur weiteren Selbsterneuerung,<br />

• zum anderen <strong>die</strong> Tendenz zur Altersmüdigkeit.<br />

� Alter und Umsatzproduktivität<br />

Es ist im konzeptionellen Teil (vgl. Kapitel 2) deutlich darauf verwiesen worden, dass <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

kein Zustand, schon gar kein Besitz ist, sondern immer wieder neu errungen<br />

werden muss.<br />

Welche Tendenz ist in Deutschland vorherrschend? Die der Erneuerung oder <strong>die</strong> der<br />

Ermüdung? Klar ist, dass bei einer geringeren Neugründungsrate wir dringend auf das<br />

Erneuerungspotenzial der <strong>Unternehmen</strong> angewiesen sind.<br />

Nährungsweise lassen sich <strong>die</strong> aufgeworfenen Fragen mit den Hoppenstedt-Daten klären.<br />

Bezugsgröße ist <strong>die</strong> Umsatzproduktivität:<br />

U<br />

UP =<br />

B<br />

^ mit U = Umsatz und B = Beschäftigte<br />

Unterschieden wird zwischen hochproduktiven <strong>Unternehmen</strong> und niedrigproduktiven<br />

<strong>Unternehmen</strong>. Erstere haben einen Pro-Kopf-Umsatz von ≥ 250.000 Euro, letztere von bis<br />

zu 100.000 Euro. Diese Grenzwerte sind Setzungen infolge der Analyse der Verteilung<br />

der Umsatzproduktivität. Die Umsatzproduktivitäten werden ausgewiesen für<br />

größere <strong>Unternehmen</strong> (> 500 Beschäftigte)<br />

mittlere <strong>Unternehmen</strong> (100 bis 499 Beschäftigte)<br />

kleinere <strong>Unternehmen</strong> (20 bis 99 Beschäftigte).<br />

Jede <strong>Unternehmen</strong>sgröße wird zusätzlich in 5 Altersgruppen geteilt:<br />

bis 15 Jahre alt (d.h. <strong>Unternehmen</strong> haben ein Alter von .. bis im Jahr 2000)<br />

15 bis 25 Jahre alt<br />

25 bis 50 Jahre alt<br />

50 bis 100 Jahre alt<br />

100 Jahre und älter.<br />

50 bis 100 Jahre alt bedeutet: Diese Untenehmen sind zwischen 1901 und 1950 gegründet<br />

worden. 100 Jahre alt heißt: <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> sind 1900 und früher gegründet worden.<br />

Die Ergebnisse <strong>die</strong>ser Auswertungen finden sich in Bild 63. Sie sind wie folgt zu<br />

lesen:<br />

• von allen größeren <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> bis 15 Jahre alt sind, sind 19,7% hoch produktiv<br />

und 16,8% niedrig produktiv, etc. Die Aussagen sind deutlich.<br />

• Der Anteil hochproduktiver <strong>Unternehmen</strong> stagniert zwischen den <strong>Unternehmen</strong>sgrößen.<br />

149


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

• Der Anteil niedrigproduktiver <strong>Unternehmen</strong> nimmt hingegen mit abnehmender<br />

<strong>Unternehmen</strong>sgröße deutlich zu:<br />

größere <strong>Unternehmen</strong>: 22,9% Anteil an niedrigproduktiven <strong>Unternehmen</strong>,<br />

mittlere <strong>Unternehmen</strong>: 37,5% Anteil an niedrigproduktiven <strong>Unternehmen</strong>,<br />

kleinere <strong>Unternehmen</strong>: 45,6% Anteil an niedrigproduktiven <strong>Unternehmen</strong>.<br />

• Werden <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>salter zusätzlich berücksichtigt, so fällt auf, dass <strong>die</strong><br />

jüngsten Untenehmen den höchsten Anteil an hochproduktiven <strong>Unternehmen</strong><br />

haben, wobei zusätzlich deutliche <strong>Unternehmen</strong>sgrößen-Unterschiede bestehen.<br />

• Die Anteile hochproduktiver <strong>Unternehmen</strong> sinken mit zunehmendem Alter. Sie<br />

sind bei den 50- bis 100-jährigen <strong>Unternehmen</strong> am niedrigsten.<br />

• Interessanterweise steigen sie durchgängig bei den ältesten <strong>Unternehmen</strong> wieder<br />

an, ohne aber Spitzenwerte der jungen <strong>Unternehmen</strong> zu erreichen.<br />

• Den mit zunehmendem Alter sinkenden Anteilen hochproduktiver <strong>Unternehmen</strong><br />

(mit Ausnahme bei den ältesten <strong>Unternehmen</strong>) steht bei den Anteilen der niedrigproduktiven<br />

<strong>Unternehmen</strong> eine gegenläufige Tendenz gegenüber.<br />

• Besondere Aufmerksamkeit ver<strong>die</strong>nen <strong>die</strong> 50- bis 100-jährigen <strong>Unternehmen</strong>. Sie<br />

haben durchgängig <strong>die</strong> niedrigsten Anteile an hochproduktiven <strong>Unternehmen</strong> und<br />

<strong>die</strong> höchsten Anteile an niedrigproduktiven <strong>Unternehmen</strong>.<br />

<strong>Unternehmen</strong>sgruppen<br />

Anteil hochproduktiver<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

150<br />

Anteil niedrigproduktiver<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

1. alle <strong>Unternehmen</strong> (gleich 100) 10,3 34,9<br />

2. größere <strong>Unternehmen</strong> (gU)<br />

> 500 Beschäftigte (gleich 100)<br />

12,9 22,9<br />

2.1 gU bis 15 Jahre alt (gleich 100) 19,7 16,8<br />

2.2 gU 15 bis 25 Jahre alt (gleich 100) 14,2 16,1<br />

24,0<br />

2.3 gU 25 bis 50 Jahre alt (gleich 100) 14,2 23,9<br />

2.4 gU 50 bis 100 Jahre alt (gleich 100) 9,1 25,0<br />

2.5 gU über 100 Jahre alt (gleich 100) 11,8 22,0<br />

3. mittlere <strong>Unternehmen</strong> (mU)<br />

100 bis 499 Beschäftigte (gleich 100)<br />

9,9 37,5<br />

3.1 mU bis 15 Jahre alt (gleich 100) 15,2 33,8<br />

3.2 mU 15 bis 25 Jahre alt (gleich 100) 12,4 16,1<br />

35,0<br />

3.3 mU 25 bis 50 Jahre alt (gleich 100) 10,6 35,5<br />

3.4 mU 50 bis 100 Jahre alt (gleich 100) 7,7 41,0<br />

3.5 mU über 100 Jahre alt (gleich 100) 8,3 37,9<br />

4. kleinere <strong>Unternehmen</strong> (kU)<br />

20 bis 99 Beschäftigte (gleich 100)<br />

9,8 45,6<br />

4.1 kU bis 15 Jahre alt (gleich 100) 13,9 42,2<br />

4.2 kU 15 bis 25 Jahre alt (gleich 100) 11,3 16,1 37,7 42,1<br />

4.3 kU 25 bis 50 Jahre alt (gleich 100) 9,9 44,5<br />

4.4 kU 50 bis 100 Jahre alt (gleich 100) 6,9 52,4<br />

4.5 kU über 100 Jahre alt (gleich 100) 9,4 45,2<br />

hochproduktiv: Umsatzproduktivität > 250.000 Euro; niedrigproduktiv: Umsatzproduktivität > 100.000 Euro<br />

Quelle: GfAH-Auswertung der Hoppenstedt-Firmendatenbank 2000, Darmstadt 2001<br />

Bild 64: Anteile hoch- und niedrig-produktiver <strong>Unternehmen</strong> an <strong>Unternehmen</strong>sgruppen,<br />

<strong>die</strong> durch Größe und Alter definiert sind<br />

16,1<br />

35


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

Werden <strong>die</strong> mitgeteilten Ergebnisse zusammenfassend interpretiert, so besteht über alle<br />

Größen- und Altersklassen hinweg eine deutliche Polarisierung der Umsatzproduktivität.<br />

Diese Polarisierung wird durch <strong>die</strong> Differenzierung der <strong>Unternehmen</strong>sgrößen zu Lasten<br />

der kleinen <strong>Unternehmen</strong> verstärkt und sie wird nochmals - bis auf <strong>die</strong> über 100-jährigen -<br />

durch <strong>die</strong> zusätzliche Altersdifferenzierung vergrößert.<br />

Es gibt also empirisch nachweisbar, wenn auch eher nährungsweise<br />

• Beide Tendenzen, <strong>die</strong> zur Selbstbefähigung sich zu erneuern und <strong>die</strong> zum Abfallen,<br />

einschließlich einer Altersmüdigkeit, bestehen.<br />

• Leider ist es auch so, dass bei quantitativer Betrachtung der Anteilswerte von hochund<br />

niedrigproduktiven <strong>Unternehmen</strong> <strong>die</strong> niedrig-produktiven Anteile deutlich überwiegen.<br />

Die bei Fritsch und Schohl zunächst optimistisch herausgearbeitete Tendenz zur Verschiedenartigkeit<br />

der <strong>Unternehmen</strong> ist also um <strong>die</strong> Aussage zu ergänzen, dass nicht wenigen<br />

<strong>Unternehmen</strong> der Verlust ihrer <strong>Einzigartigkeit</strong> droht, wenn sie nicht bereits verloren<br />

ist. Viele der Industrieunternehmen in den aBL werden <strong>die</strong> nächsten 10 Jahre nicht überleben.<br />

So hat <strong>die</strong> Befassung mit dem <strong>Unternehmen</strong>salter ein sehr ambivalentes Ergebnis. Es<br />

bestätigt <strong>die</strong> Möglichkeit zur Wiedergeburt durch Selbsterneuerung und es belegt, dass<br />

eine Minderheit von <strong>Unternehmen</strong> <strong>die</strong>se Möglichkeit auch nutzt. Sehr viel mehr <strong>Unternehmen</strong><br />

tun <strong>die</strong>s aber genau nicht.<br />

Es gibt also nicht nur <strong>die</strong> so eifrig erörterten Probleme der Rahmenbedingungen. Es gibt<br />

auch den Sachverhalt, dass der Inhalt, der umrahmt werden soll - <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> -<br />

droht, zu größeren Anteilen zu verschwinden.<br />

7.4 Die Kombination der beiden Ansätze "Erneuerung" und<br />

"Wandel zum Tod" als Forschungsperspektive<br />

� Variationen der Optionen<br />

Die dargelegten Zukunftsoptionen haben jeweils mehrere Varianten. So lehrt etwa der<br />

Blick in Todesanzeigen, dass der Wandel zum Tod u.a. folgende Konstellationen beinhaltet:<br />

• „plötzlich und unerwartet“,<br />

• „nach langer, schwerer Krankheit“,<br />

• „nach einem erfüllten Leben“.<br />

Auch <strong>die</strong> Option „Erneuern“ kennt mehrere Varianten:<br />

• neu Durchstarten, sich neu Erfinden,<br />

• aktive Gestaltung der Lebensspanne,<br />

• beschränkte Anpassung.<br />

151


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

Die Aufzählung zeigt, <strong>die</strong> Varianten der beiden Optionen gehen an mehreren Stellen<br />

ineinander über. Es gibt nicht wenige <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> sich einfach nicht entscheiden<br />

können, ob sie leben oder sterben wollen. Nicht selten wird <strong>die</strong> Option „Leben“ behauptet<br />

und doch nur "der Tod vorbereitet“. Selbst-Betrug ist verbreitet.<br />

Im Kapitel 6 über <strong>die</strong> "Globalisierung" ist das Produktivitätsgefälle zwischen den <strong>Unternehmen</strong><br />

erörtert worden. Im Kapitel 8 „Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong>“ werden<br />

Fallbeispiele und empirische Daten am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland vorgelegt.<br />

Wird <strong>die</strong> dort wiedergegebene Häufigkeitsverteilung der <strong>Unternehmen</strong> betrachtet, so<br />

ist nicht auszuschließen, dass viele <strong>Unternehmen</strong> von einer Art „kollektiver Todessehnsucht“<br />

geplant sind - so elementar sind <strong>die</strong> Verstöße gegen <strong>die</strong> Regeln <strong>eines</strong> erfolgreichen<br />

<strong>Unternehmen</strong>s; aber <strong>die</strong>s ist ein Vorgriff.<br />

Worin besteht nun der Nutzen der aufgeführten Alternative „Erneuern oder Sterben“? In<br />

praktischer Hinsicht kann sie eine Spiegel-Bedeutung haben. Tue ich das, was ich tue,<br />

konsequent genug? Die Alternative „Erneuern oder Sterben“ kann also helfen, <strong>die</strong> Häufigkeit<br />

und <strong>die</strong> Intensität der faulen Kompromisse zu beschränken. Zur Zeit ist <strong>die</strong>se Aussage<br />

nur eine Hypothese. Praxisversuche hierzu haben erst begonnen.<br />

� Längsschnitt-Untersuchungen von <strong>Unternehmen</strong> sind machbar<br />

Auch in wissenschaftlicher Hinsicht ist eine Anfangssituation gegeben. Um beide Aspekte<br />

„Erneuern oder Sterben“ mit hinreichender statistischer Präzision verfolgen zu können,<br />

sind genügend große, dynamische Längsschnittuntersuchungen von <strong>Unternehmen</strong> erforderlich,<br />

wobei <strong>die</strong> hierzu verwendeten Datensätze mit Merkmalen so ausgestattet sein<br />

müssen, dass <strong>die</strong> alternativen Optionen auch darstellbar sind.<br />

In Deutschland existieren solche Datensätze noch nicht. Einen anschaulichen Überblick<br />

über den Stand der Forschung liefern Hochmuth und Wagner 102 mit dem Sammelband<br />

"Firmenpanelstu<strong>die</strong>n". Es lohnt der Vergleich mit der nachfolgend skizzierten Untersuchung.<br />

Gemeinsamkeiten und Niveauunterschiede werden so deutlich. Wie es scheint,<br />

gibt es in Deutschland zwei nicht lösbare intellektuelle Herausforderungen:<br />

• Die Unterscheidung zwischen Betrieb und <strong>Unternehmen</strong> gelingt nicht. Viel zu viele<br />

Ansätze laufen immer wieder auf einen bloßen Betriebsansatz hinaus. Im Betrieb<br />

werden aber nur nachrangige Entscheidungen getroffen 103 .<br />

• Das Bemühung, <strong>die</strong> Arbeitslosigkeit zu beherrschen, verstellt den Blick für <strong>die</strong> Handlungslogik<br />

der <strong>Unternehmen</strong>. Würden wir uns mehr mit den Verschiedenheiten zwischen<br />

<strong>Unternehmen</strong> befassen, gäbe es möglicherweise auch nachhaltigere Ideen<br />

zur Begrenzung der Arbeitslosigkeit.<br />

102<br />

Vgl. Hochmuth, U., Wagner, J.(Hrsg.): Firmenpanelstu<strong>die</strong>n in Deutschland - konzeptionelle Überlegungen<br />

und empirische Anlaysen, Tübingen, Basel 1994<br />

103<br />

Statistisch gibt es Ausnahmen. Vgl. hierzu in <strong>die</strong>sem Bericht <strong>die</strong> Diskussion der Arbeit von Schohl, F.:<br />

a.a.O..<br />

152


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

Weltweit gibt es nur wenige Datensätze, <strong>die</strong> den skizzierten dynamischen Anforderungen<br />

genügen. Im Bild 65 ist das Analyseschema einer <strong>die</strong>ser Untersuchungen dargestellt.<br />

Verknüpft sind <strong>die</strong> Zu- bzw. Abgänge und Bestände von <strong>Unternehmen</strong> mit den Zu-, Abgängen<br />

und Beständen von Betrieben. Hierdurch wird deutlich, dass <strong>die</strong> Bestände, Zugänge<br />

und Abgänge von <strong>Unternehmen</strong> jeweils verbunden sind mit recht vielfältigen Veränderungen<br />

von Betrieben, etwa<br />

• durch Neugründung und Schließung<br />

• Kauf und Verkauf<br />

• Branchenwechsel.<br />

Firm status<br />

Plant status Continuing Entrants Exits<br />

Divested 11 - 31<br />

Acquired 12 22 -<br />

Births 13 23 -<br />

Deaths 14 - 34<br />

Continuing 15 - -<br />

Transfer in 16 26 -<br />

Transfer out 17 - 37<br />

Definition Cell Description<br />

Entrants 22 Firms that entered the industry by acquiring one or more plants between t and<br />

t + n<br />

23 Firms that entered the industry by opening one or more plants between t and t<br />

+ n<br />

26 Firms that entered the industry by transferring one or more plants from<br />

another industry to the given industry between t and t + n<br />

Exits 31 Firms that left the industry by divesting one or more plants between t and t + n<br />

34 Firms that left the industry by closing one or more plants between t and t + n<br />

37 Firms that exited the industry by transferring one or more plants out of the<br />

given industry to another between t and t + n<br />

Continuing 11 Continuing firms that divested themselves of one or more plants between t<br />

and t + n<br />

12 Continuing firms that acquired one or more plants between t and t + n<br />

13 Continuing firms that built of one or more plants between t and t + n<br />

14 Continuing firms that closed of one or more plants between t and t + n<br />

15 Continuing firms that owned at least one plant that existed in both t and t + n<br />

16 Continuing firms that transferred plants into the given industry<br />

17 Continuing firms that transferred plants out of the given industry<br />

Quelle: Baldwin, J.R.: The Dynamic of Industrial Competition, New York 1995<br />

Bild 65: Definition der Zu- und Abgänge von Betrieben und <strong>Unternehmen</strong><br />

Die Unterscheidung von Betrieb und <strong>Unternehmen</strong> erhöht nicht nur <strong>die</strong> Zahl der beobachtbaren<br />

Veränderungen, sie ist auch für das hier vorgetragene Argument der Erneuerung<br />

(Auf- und Abbau von Wissen etc.) wichtig. Betriebe sind austauschbarer als <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Eröffnet wird durch <strong>die</strong>se Unterscheidungen <strong>die</strong> Möglichkeit des Vergleichs der verschiedenen<br />

Veränderungen. So sind in dem Bild 66 <strong>die</strong> Umsatzanteile der verschiedenen Veränderungen<br />

von <strong>Unternehmen</strong> und Betrieben für 2 Jahre, <strong>die</strong> ein Jahrzehnt umrahmen,<br />

ausgewiesen.<br />

153


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

Über das Analyseschema in dem Bild 65 hinaus, wird in dem Bild 66 noch über Betriebe<br />

mit wachsenden bzw. schrumpfenden Marktanteilen berichtet.<br />

Firm category 1970 1979<br />

All firms 100.0 100.0<br />

All entrants b<br />

- 26.8<br />

By plant birth - 11.5<br />

By acquisition - 10.7<br />

By plant transfer c<br />

- 4.6<br />

All exits d<br />

30.8 -<br />

By plant closing 13.3 -<br />

By divestiture 12.7 -<br />

By plant transfer c<br />

4.9 -<br />

All continuing firms e<br />

69.1 73.2<br />

Continuing plants e<br />

63.4 65.0<br />

Gaining share 26.4 40.5<br />

Losing share 37.1 24.5<br />

Divested plant 1.1 -<br />

Acquired plant - 3.0<br />

Plant closures 3.8 -<br />

Plant births - 4.4<br />

Plant transfers c<br />

0.8 0.9<br />

a<br />

The sample consists of long-form establishments. (See Appendix A for definition.)<br />

b<br />

Entrants are firms that were in a four-digit industry in 1979 but not in 1970<br />

c<br />

Plant transfers are those whose four-digit industry classification changed because the principal<br />

product changed.<br />

d<br />

Exits are those firms in 1970 that were no longer in the same four-digit industry in 1979.<br />

e<br />

Continuing firms and plants were in the same four-digit industry in both 1970 and 1979. Firms are<br />

defined as unconsolidated enterprises at the four-digit SIC industry level.<br />

Quelle: Baldwin, J.R.: The Dynamics of Industrial Competition, New York 1995, S. 73<br />

Hinweis: Zahlen gelten für Kanada<br />

Bild 66: Prozentuale Umsatzanteile von zu- und abgehenden Betrieben 1970 und 1979<br />

Erinnert sei an <strong>die</strong> geforderten drs-Qualitäten zur Bestimmung der <strong>Einzigartigkeit</strong> (siehe<br />

Kap. 2) <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s. Der von Baldwin benutzte Datensatz löst <strong>die</strong>se Forderung<br />

zu großen Teilen ein; er zeigt:<br />

• eine dynamische Analyse über Zu- und Abgänge und nicht nur über Bestandsvergleiche<br />

ist machbar;<br />

• ebenso sind relationale Untersuchungen möglich, etwa in Form der Veränderung<br />

von Marktanteilen;<br />

• schließlich ist <strong>die</strong> Nachhaltigkeit zumindest teilweise als Merkmal erfasst, vor<br />

allem in Form der realisierten <strong>Unternehmen</strong>slebensdauer 104 .<br />

Wenn ein solcher Längsschnitt-Datensatz mit vielen Merkmalen besteht, von denen hier<br />

nur ein sehr kleiner Teil Erwähnung gefunden hat, so ist es auch möglich, <strong>die</strong> Einzigartig-<br />

104 Vgl. Baldwin, J.R.: a.a.O., S.117<br />

154


Teil C Bewährungen<br />

Kapitel 7 Der Lebenszyklus: Erneuern oder Sterben<br />

keit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s zu thematisieren - und sei es in Form von anonymisierten Fallanalysen,<br />

in der <strong>die</strong> Merkmalsausprägungen einzelner <strong>Unternehmen</strong> mit den gefundenen<br />

empirischen Regelmäßigkeiten verglichen werden.<br />

Etwas ist besorgniserregend an <strong>die</strong>sem bemerkenswerten Buch von Baldwin. Es ist 1995<br />

erschienen und operiert mit Daten aus den 70er Jahren. Ist <strong>die</strong> Fortsetzung des Datensatzes<br />

abgebrochen worden (es gibt keine Hinweise hierzu im Buch), hat <strong>die</strong> Datenaufbereitung<br />

so lange gedauert? Ist es also der Pilotcharakter der Untersuchung, der so viel<br />

Zeit verschlungen hat?<br />

Gewinnt <strong>die</strong> hier exemplarisch vorgestellte Längsschnittanalyse zur Entwicklung von<br />

<strong>Unternehmen</strong> weiter an Fahrt, so wird sich innerhalb der nächsten 10 Jahre ein<br />

wesentlich reichhaltigeres Bild der <strong>Unternehmen</strong>sentwicklung ergeben, als es bislang<br />

bekannt ist.<br />

Und <strong>die</strong>s wird praktische Konsequenzen haben. Die Gesprächsgrundlagen zwischen<br />

Wirtschaft und Öffentlichkeit (Politik, Wissenschaft etc.) werden differenzierter.<br />

Und vielleicht wird bei <strong>die</strong>sem Diskurs sogar gelernt, Maßnahmen zielgenauer als<br />

heute häufig üblich anzusetzen.<br />

Und vielleicht hat dann auch <strong>die</strong> Einsicht eine Chance, dass <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong><br />

jeden <strong>Unternehmen</strong>s identisch ist mit der Vielfalt aller <strong>Unternehmen</strong> und dass sich<br />

hieraus für alle Vorteile ergeben.<br />

155


Teil D Erprobungen und Vertiefungen<br />

156


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

8. Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong>:<br />

Krisenfrüherkennung als unternehmerischer<br />

Erfolgsfaktor (Vortrag auf DtA-Workshop) 105<br />

8.1 Einleitung: Früherkennung ist nicht Insolvenzabwehr:<br />

Insolvenzabwehr ist (Zu)Späterkennung<br />

In der alltäglichen Diskussion werden Früherkennung und Insolvenz häufig nahezu<br />

gleichgesetzt. Das ist vom Wortsinn her sowie konzeptionell und praktisch falsch. Insolvenzabwehr<br />

findet statt, wenn Früherkennung versagt hat. Im besten Fall kann bei Insolvenzabwehr<br />

von Späterkennung gesprochen werden.<br />

Vergleichbares gilt für <strong>die</strong> Vorstufe der Insolvenzabwehr: für den Sanierungsfall. Auch<br />

<strong>die</strong>se Situation ist durch das Versagen der Früherkennung charakterisiert.<br />

In <strong>die</strong>sem Bericht wird zweigleisig verfahren:<br />

• einmal wird Früherkennung als Präventionskonzept verstanden, das sich an gesunde<br />

<strong>Unternehmen</strong> wendet, um <strong>die</strong>se gesund zu erhalten;<br />

• zum anderen ist aber nicht zu bestreiten, dass es bedeutsame fließende Übergänge<br />

von gesunden bis todkranken <strong>Unternehmen</strong> gibt. Dieses wird anhand einer <strong>Unternehmen</strong>stypologie<br />

vorgeführt werden.<br />

Vereinfachend ist es so, dass <strong>die</strong> nicht geringen Schwierigkeiten der Früherkennung von<br />

Chancen und Risiken sich bei dem kranken <strong>Unternehmen</strong> vervielfachen.<br />

Trotzdem ist es auch für <strong>die</strong> Fälle der Sanierung und der Insolvenzabwehr sinnvoll, sich<br />

mit der präventiven Früherkennung und deren Erfolgsbedingungen zu befassen - zumindest<br />

dann, wenn dauerhafte Erfolge angestrebt werden. Allzu häufig gilt, dass <strong>die</strong> kurzfristige<br />

Krisenbewältigung eben nicht zu einer dauerhaften Krisenvermeidung führt.<br />

Der Bericht hat vier Teile:<br />

• Die Konzeption der Früherkennung auf dem Hintergrund der internationalen Forschung<br />

zur <strong>Unternehmen</strong>sentwicklung.<br />

• Zwei praktische Beispiele gescheiterter und erfolgreicher Früherkennung.<br />

• <strong>Unternehmen</strong>stypologie nach dem Gesundheitsgrad bzw. dem ökonomischen<br />

Erfolg von <strong>Unternehmen</strong>.<br />

• Schlussfolgerungen - insbesondere für <strong>die</strong> Mittelstandsbank (KfW und DtA).<br />

Im Großen und Ganzen ist es so, dass <strong>die</strong> verschiedenen Teile auch unabhängig voneinander<br />

gelesen werden können. Insbesondere der 1. Teil wendet sich an Pionierlerner106;<br />

er ist also für Normallerner oder gar Nachlerner nicht so geeignet.<br />

105<br />

Werkstattgespräch der Deutschen Ausgleichsbank (DtA) „Turn-around durch Krisenmanagement“, Berlin<br />

25.03.2003<br />

157


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

8.2 Konzeption zur Früherkennung<br />

� Anmerkung zum internationalen Stand der <strong>Unternehmen</strong>sforschung<br />

Die internationale <strong>Unternehmen</strong>sforschung befindet sich im Umbruch. In methodischer<br />

Hinsicht gewinnen dynamische Analysen107 an Bedeutung; in inhaltlicher Hinsicht konzentrieren<br />

sich viele Forschungsanstrengungen auf ein besseres Verständnis der evolutionary<br />

capability 108 <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, also der Fähigkeit zur Selbsterneuerung. 109<br />

Die Grundzüge der dynamischen Analyse sind einfach. Es gilt:<br />

Bt 1 = Bt 0 + Z - A<br />

mit B: Bestand<br />

Z: Zugänge<br />

A: Abgänge<br />

t0: Beginn einer Zeitstrecke<br />

t1 : Ende einer Zeitstrecke<br />

Es gilt: Bt1 - Bt0 = S = Z - A; S = Saldo<br />

In aller Regel sind Z du A wesentlich größer als S. Es muss also viel bewegt werden bzw.<br />

sich bewegen, damit etwas sich verändert bzw. verändert wird.<br />

Aus den bislang vorliegenden Analysen sind einige Kernergebnisse zu berichten, <strong>die</strong> für<br />

<strong>die</strong> Krisenfrüherkennung von Bedeutung sind:<br />

• Vielfach ist es so, dass <strong>die</strong> Zukunft <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s (<strong>die</strong> nächsten 10 Jahre) in<br />

einem erstaunlichen Ausmaß von dessen Vergangenheit (<strong>die</strong> letzten 10 Jahre)<br />

geprägt wird. Voraussetzung für <strong>die</strong> Aussage ist freilich, dass <strong>die</strong> bisherige Entwicklung<br />

nicht einfach in ihrer Faktizität zur Kenntnis genommen wird, sondern, dass den<br />

Potenzialen nachgespürt wird, <strong>die</strong> zu <strong>die</strong>sen Ergebnissen beigetragen haben. Entgegen<br />

weit verbreiteter Auffassungen kann <strong>die</strong> Früherkennung <strong>eines</strong> kleinen und mittleren<br />

<strong>Unternehmen</strong>s (KMU) also etliches aus der Reflexion seiner Geschichte lernen 110 .<br />

• Es gilt aber auch: <strong>die</strong> Wirkungen, Prozessergebnisse einer kurzfristigen Periode (ein<br />

Jahr) unterscheiden sich vielfach von denen einer längeren Periode (5 bis 10 Jahre).<br />

Hierfür sind unterschiedliche Treiber verantwortlich. Beispielsweise lösen deutliche<br />

106 Pionierlerner sind interessierte, neugierige und eigenaktive Menschen. Sie sind auf didaktische Gestaltung<br />

und Betreuung nicht (so sehr) angewiesen. Der didaktische sowie der Betreuungsaufwand steigen von<br />

Pionier- über den Normal- bis zum Nachlerner; korrespon<strong>die</strong>rend sinkt der Nutzen des Lernens.<br />

107 Als Beispiel sei auf <strong>die</strong> bemerkenswerte Arbeit von Baldwin, J.R., a.a.O (vgl. Kapitel 7)<br />

108 Das Konzept der evolutionary capability ist von Fujimoto, T.: University of Tokio; jedenfalls ist der<br />

Verfasser zuerst bei Fujimoto hierauf gestoßen. In der Interpretation wird es vom Verfasser mit "Selbst-<br />

Befähigung zu befähigen" übersetzt. Schumpeters schöpferische Zerstörung bezieht sich auf<br />

Volkswirtschaften: es werden überalterte <strong>Unternehmen</strong> zerstört und neue <strong>Unternehmen</strong> entstehen. Die<br />

evolutionary capability dagegen betont <strong>die</strong> Möglichkeit der Selbst-Erneuerung und Neu-Erfindung (auch)<br />

bestehender <strong>Unternehmen</strong><br />

109 Insgesamt ist <strong>die</strong>ser lakonische Satz eine etwas kühne Zusammenfassung <strong>eines</strong> unübersichtlichen<br />

Literaturgebirges; er ist als Hypothese und nicht als Gewissheit zu werten. Mit <strong>die</strong>ser Vorsichtsmaßnahme<br />

aber ist er durchaus ein nützlicher Schlüssel.<br />

110 In der <strong>Unternehmen</strong>sgruppe GfAH ist ein Potenzial-Check für KMU entwickelt und erprobt worden<br />

(verantwortlich: Dahmer, J.), in dem <strong>die</strong> Annäherung an <strong>die</strong> Zukunft <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s über <strong>die</strong> Reflexion<br />

seiner Vergangenheit erfolgt (vgl. auch Kapitel 10).<br />

158


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Veränderungen positiver oder negativer Art häufig gegenläufige Prozesse aus, <strong>die</strong><br />

<strong>die</strong>se Ergebnisse - teilweise - neutralisieren.<br />

Beispielsweise führt <strong>die</strong> fortlaufende Kumulation kleiner(er) Veränderungen zu beachtlichen<br />

Gesamtveränderungen im Vergleich zweier Bestände, <strong>die</strong> eine längere Zeitstrecke<br />

auseinanderliegen.<br />

Früherkennung kann den unterschiedlichen Wirkungen je nach Zeithorizont dadurch<br />

Rechnung tragen, dass sie annimmt, dass bei den Wettbewerbern und Kunden auch<br />

nachgedacht wird, dass sie also mit lernenden Systemen rechnet. Erreichen <strong>die</strong> Wettbewerber<br />

gleichwertige Ergebnisse, so ist kein Vorteil gegeben; maßgeblich sind <strong>die</strong><br />

längerfristigen Unterschiede in den Veränderungsraten zwischen den einzelnen <strong>Unternehmen</strong><br />

und seinen Wettbewerbern. Viele Früherkennungsanalysen beachten den<br />

Grundsatz der lernenden Wettbewerber und Kunden nicht.<br />

• Schließlich ist zu beobachten, dass "Intra"-Unterschiede häufig gravierender als<br />

"Inter"-Unterschiede sind. Intra-Unterschiede bezeichnen Unterschiede zwischen<br />

<strong>Unternehmen</strong> in einer Analysegruppe; Inter-Unterschiede hingegen stellen Unterschiede<br />

zwischen Analysegruppen dar.<br />

So gibt es eben prosperierende <strong>Unternehmen</strong> in schrumpfenden Branchen und<br />

schrumpfende <strong>Unternehmen</strong> in Wachstumssektoren.<br />

Für <strong>die</strong> Früherkennung folgt hieraus, mit der Übertragung von wissenschaftlichen,<br />

empirischen Regeln auf einzelne <strong>Unternehmen</strong> vorsichtig zu sein - <strong>die</strong> Chancen<br />

fehlerhafte Be-Urteilungen sind beachtlich. Viele Rating-Verfahren verstoßen zumindest<br />

teilweise hiergegen.<br />

Die Reflexion der eigenen Erfahrungen (Lernen aus der eigenen Vergangenheit, das Lernen<br />

von Wettbewerbern und Kunden, <strong>die</strong> Vorsicht in der Art der Nutzung empirischer Regeln)<br />

sind also einige der Hinweise, <strong>die</strong> sich aus dynamischen Analysen der Entwicklung<br />

von <strong>Unternehmen</strong> ableiten lassen.<br />

In inhaltlicher Hinsicht, also dem Bemühen um ein besseres Verständnis der Entwicklungspotenziale<br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s (evolutionary capability), ist <strong>die</strong> Formulierung von<br />

früherkennungsrelevanten Quintessenzen schwieriger, was der Komplexität des Gegenstandes<br />

und seiner bislang nur teilweise gelungenen Durchdringung geschuldet ist. Trotzdem<br />

sei <strong>die</strong>s im folgenden versucht.<br />

Als übergeordneter Trend hierzu kann festgehalten werden:<br />

Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s gewinnt an Bedeutung, Durchschnittswerte<br />

und gemeinsame Merkmale treten in den Hintergrund 111 .<br />

� Ausgewählte Quintessenzen zur Krisenfrüherkennung<br />

Notwendige, aber nicht hinreichende Erfolgsbedingungen<br />

Zunächst - wahrscheinlich noch konsensfähig - ist festzustellen: Krisenfrüherkennung ist<br />

eine notwendige aber nicht hinreichende Erfolgsbedingung für <strong>Unternehmen</strong>. Nicht weni-<br />

111<br />

Literatur und Diskussion hierzu in: www.strukturwandel-zukunft.de; www.einzigartige-unternehmen.de;<br />

www.humanressourcen-kmu.de<br />

159


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

ger wichtig ist <strong>die</strong> Chancen-Früherkennung. Vor allem aber: Erkennen nutzt nur dann etwas,<br />

wenn es ein Wechselspiel von Erkennen und Tun gibt.<br />

In einem <strong>Unternehmen</strong> sind Erkennen und Tun in der Regel eine gemeinschaftliche Angelegenheit,<br />

an der mehrere bis viele Personen mitwirken. Konsens und Dissens im<br />

Erkennen und Tun steuern maßgeblich <strong>die</strong> Entwicklungspotenziale <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

In <strong>die</strong>sem einfachen Satz sind Literaturberge an Forschungsergebnissen aufgehoben112.<br />

Hinsichtlich des Früherkennens von Krisen lässt sich sagen: Häufig ist nicht das Erkennen<br />

der kritische Engpass, sondern das unzulängliche Mitlernen Dritter; es misslingt <strong>die</strong><br />

Kommunikation der Erkenntnis.<br />

Hinsichtlich des Tuns, also der Umsetzung von Erkenntnis, lässt sich zur Krisenfrüherkennung<br />

feststellen: Diese gehört zu der Gruppe der flüchtigen bzw. flüchtenden Ereignisse;<br />

d.h. gewonnene Einsichten werden schnell und gerne wieder vergessen. Positiv<br />

formuliert hat Krisenfrüherkennung nur dann eine Chance, wenn sie in den Arbeitsalltag<br />

vor allem der Führungskräfte so integriert ist, dass sie den Erfolg ihrer alltäglichen Arbeit<br />

fördert.<br />

Hinsichtlich der Umsetzung von Früherkennung lässt sich feststellen: Der kritische Engpass<br />

der allermeisten <strong>die</strong>sbezüglichen Bemühungen ist <strong>die</strong> unzulängliche alltagstaugliche<br />

Institutionalisierung.<br />

Reflexive Erfolgsmuster statt isolierter Erfolgsfaktoren<br />

Die bisherige Problemskizze dürfte bereits ausreichen, den faktischen Misserfolg vieler<br />

Früherkennungsbemühungen - seien es Beratungen, Workshops, Broschüren - zu erklären.<br />

Es gibt aber noch weitere Sachverhalte, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Erfolglosigkeit fördern. Sie sind allerdings<br />

schwieriger zu greifen.<br />

Die weit verbreitete Suche nach den Erfolgsfaktoren droht in eine Sackgasse zu laufen.<br />

Maßgebender als einzelne Faktoren sind im Regelfall Kombinationen derselben, also<br />

Muster. Längerfristig positiv zu werten sind solche Muster aber nur dann, wenn sie lernfähig,<br />

also reflexiver Natur sind. Dogmatisierte, starre Muster werden zu Todesfallen, wenn<br />

sich <strong>die</strong> Erfolgsfaktoren ändern.<br />

Für kleine(re) und mittlere <strong>Unternehmen</strong> gilt zusätzlich: sie folgen häufig eher impliziten<br />

(erfahrungsgeleiteten) als expliziten (verbalisierten) Mustern. Erfahrungsgeleitete Muster<br />

sind aber nur mit besonderen Vorkehrungen kommunizierbar113, weshalb <strong>die</strong><br />

Misserfolgsrate in KMU besonders hoch ist. Die Existenz reflexiver Muster von<br />

Erfolgsbedingungen ist empirisch nachweisbar, vgl. Kapitel 4. Zugleich aber besteht eine<br />

überwältigende Neigung zum Selbst-Betrug bzw. zur Dogmatisierung an Erfolgsmustern.<br />

Abzulesen ist <strong>die</strong>s nicht selten an der Anthropologisierung sozialer Tatbestände (z.B. "der<br />

Mensch ist ein Gewohnheitstier").<br />

112<br />

Ausgewählte Literatur und Diskussion in: www.strukturwandel-zukunft.de<br />

113<br />

Gefordert ist <strong>die</strong> Fähigkeit des Wissenschaftlers/Beraters, <strong>die</strong> gemeinte Bedeutung von<br />

Beispielerzählungen zu erfassen.<br />

160


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Lernen und Reflexion sind offensichtlich nur dann ergiebige Werkzeuge, wenn sie in <strong>die</strong><br />

Frage: Woraufhin gelernt, gedacht wird? eingebunden werden. Bei einer Abkoppelung<br />

von <strong>die</strong>ser Zielsetzung sind Lernen und Reflexion Mittel der Beliebigkeit, <strong>die</strong> Sinn und<br />

Unsinn nicht unterscheiden können. Man kann eben auch richtig das Falsche lernen.<br />

Wird Früherkennung - sei es <strong>die</strong> von Chancen, Risiken oder Krisen - in Erfolgsmuster<br />

eingebracht, so können sich hieraus erhebliche Steigerungen in der Wirksamkeit derselben<br />

ergeben, da <strong>die</strong> zugehörige Leitfrage lautet: Kann es nicht auch anders sein?<br />

Faktisch aber wird <strong>die</strong>ses Potenzial häufig schon deshalb nicht genutzt, da kleine(re)n<br />

und mittleren <strong>Unternehmen</strong> ihre Erfolgsmuster nur sehr bedingt geläufig sind - und den<br />

Beratern noch weniger. Die Nicht-Kenntnis der eigenen Erfolgsbedingungen ist nicht selten<br />

ein weiterer Engpassfaktor einer Krisenfrüherkennung.<br />

Orientierung: <strong>Einzigartige</strong> <strong>Unternehmen</strong><br />

Angesichts der etwas betrüblichen Aufzählung von Schwierigkeiten, mit denen <strong>die</strong> (Krisen-)Früherkennung<br />

insbesondere in kleine(re)n und mittleren <strong>Unternehmen</strong> konfrontiert<br />

ist, stellt sich <strong>die</strong> Frage, wie denn nun <strong>die</strong> Aussicht auch auf einen praktischen Erfolg gesteigert<br />

werden kann?<br />

Hierzu seien zwei zueinander komplementäre Begriffskonstrukte vorgestellt:<br />

• Zur Sicherung der <strong>Unternehmen</strong>sorientierung das Konzept des einzigartigen<br />

<strong>Unternehmen</strong>s und<br />

• zur Sicherung <strong>eines</strong> erfolgreichen Handelns das Konzept der Ensemblekompetenz<br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> ist kein Zustand, wie <strong>die</strong> Endsilbe "keit" es nahelegt, sondern ein Prozessbegriff,<br />

also eine ständig zu bestehende Herausforderung, über deren Art der Bewältigung<br />

letztendlich <strong>die</strong> Kunden als Schiedsrichter entscheiden.<br />

Abgesehen von Zufallskäufen kauft ein Kunde das Produkt, <strong>die</strong> Dienstleistung, wenn es<br />

sich von anderen positiv unterscheidet. Die Andersartigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s gegenüber<br />

seinen Wettbewerbern ist eine zentrale Bedingung s<strong>eines</strong> Überlebens.<br />

Andersartigkeit ohne Produktivität nutzt aber auch nicht so viel, deshalb <strong>die</strong> komplementäre<br />

Forderung nach Ähnlichkeit mit den besten <strong>Unternehmen</strong> - inner- und außerhalb der<br />

Branche.<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> ist also eine Balance zwischen Ähnlichkeit und Andersartigkeit, zwischen<br />

Effizienz und Effektivität. Die Überbetonung <strong>eines</strong> Sachverhaltes schädigt zunächst den<br />

anderen und hierüber anschließend sich selbst, vgl. Bild 67.<br />

161


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

+ -QP\GRVKQP GKP\KICTVKIGT 7PVGTPGJOGP<br />

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Bild 67: Konzeption einzigartiger <strong>Unternehmen</strong><br />

Das Konzept einzigartiger <strong>Unternehmen</strong> hat etliche Implikationen, <strong>die</strong> hier nur angedeutet<br />

werden können 114 :<br />

• Zunächst <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> jeden <strong>Unternehmen</strong>s bedeutet <strong>die</strong> Vielfalt aller<br />

<strong>Unternehmen</strong> - auch der der Wettbewerber.<br />

Die Vielfalt von Prozessen und Produkten gehört traditionell zu den Stärken der deutschen<br />

Wirtschaft; sie ist in den letzten Jahren zu wenig beachtet worden.<br />

• Sodann: je vielfältiger, andersartiger Wettbewerber sind, desto zivilisierter der Wettbewerb;<br />

je ähnlicher Prozesse und Produkte geraten, desto zerstörerischer der Wettbewerb.<br />

Es wird in der Regel übersehen, dass <strong>die</strong> Globalisierung der Weltmärkte offen<br />

für beide Spielarten des Wettbewerbs ist.<br />

• Schließlich: <strong>Einzigartigkeit</strong> entsteht letztendlich im Regelfall durch eine unternehmensspezifische<br />

Wissenserzeugung und Wissensnutzung - beruhend auf der einmaligen<br />

Kombination von Wissensregeln aus verschiedenen Wissensgebieten. Mathematisch<br />

zeigen lässt sich, dass es sehr viele mehr einzigartige Wissenskombinationen als<br />

weltweit <strong>Unternehmen</strong> gibt. Nicht <strong>die</strong> Knappheit an einzigartigen Möglichkeiten ist also<br />

das Problem, sondern <strong>die</strong> Auswahl aus viel zu vielen Möglichkeiten.<br />

114 Vgl. www.einzigartige-unternehmen.de.<br />

162


Effektivität<br />

<strong>Unternehmen</strong>sentwicklung<br />

Bild 68: Der Harmoniepfad<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Die praktischen Erfahrungen mit <strong>die</strong>sem Konzept reichen inzwischen von bekannten<br />

mittelständischen <strong>Unternehmen</strong> bis zu kleinen Dienstleistern. Es ist - so <strong>die</strong> Erfahrung -<br />

<strong>Unternehmen</strong> leichter zu vermitteln als Wissenschaftlern und Politikern. Letztere sind an<br />

Regeln also an Gleichförmigkeit orientiert, erstere an Abweichungen, also an Unterschieden<br />

zu anderen <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Auf dem Hintergrund des Konstruktes "einzigartige Unterscheidung" wird <strong>die</strong> Trennung<br />

von Krisen- und Chancen-Früherkennung gegenstandslos. Chancen und Risiken werden<br />

beständig im Hinblick auf Ähnlichkeit und Andersartigkeit sowie deren Balancierung<br />

geprüft.<br />

Verankerung: Ensemblekompetenz<br />

Um das Konzept "einzigartiges <strong>Unternehmen</strong>" im <strong>Unternehmen</strong> zu verankern, bedarf es<br />

einer Ensemblekompetenz. Wird mit der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>die</strong> Richtung der <strong>Unternehmen</strong>sentwicklung<br />

beschrieben, so erfasst <strong>die</strong> Ensemblekompetenz <strong>die</strong> Struktur des <strong>Unternehmen</strong>s,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong>se Entwicklung ermöglicht.<br />

Unter Ensemblekompetenz wird <strong>die</strong> Fähigkeit <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s verstanden, unterschiedliche<br />

und häufig konfligierende Anforderungen so abzugleichen, dass gehandelt<br />

werden kann.<br />

In der Regel ist <strong>die</strong>se Ensemblekompetenz auf mehrere Personen als Anwälte verschiedener<br />

Themen im <strong>Unternehmen</strong> verteilt - sie kann aber auch in einer Person vereinigt<br />

sein.<br />

163<br />

Harmoniepfad<br />

Toleranzkorridor<br />

Überschießende<br />

Abweichungen<br />

schädigen beide<br />

Ziele<br />

Effizienz


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Die Ensemblekompetenz ist für bürokratische Systeme einigermaßen analysiert und verstanden,<br />

für KMU hingegen (noch) nicht. Verwiesen sei auf <strong>die</strong> Darlegungen zu den Engpässen<br />

der Früherkennung.<br />

Fortschritte im Verständnis sind durch eine Wissens- und Erfahrungsanalyse von KMU-<br />

Inhabern und Führungskräften zu erwarten. Zwei Fragen sind vordringlich:<br />

• Wie integrieren <strong>die</strong>se Personen verschiedene Wissensgebiete?<br />

• Unter welchen Bedingungen wird in <strong>die</strong>se Wissens- und Erfahrungsbündel neues<br />

Wissen aufgenommen?<br />

Verdeutlicht seien <strong>die</strong>se Fragestellungen anhand der Balanced Scorecard (BSC), vgl. Bild<br />

69.<br />

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Ensemblekompetenz<br />

Abgleich unterschiedlicher, verschiedener häufig konfligierender Anforderungen mit dem<br />

Ziel, das Richtige richtig zu tun, also Effizienz und Effektivität zu kombinieren.<br />

In der Regel Leistung von mehreren Personen in einem <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Bild 69: Ensemblekompetenz<br />

In größeren <strong>Unternehmen</strong> wird ein erheblicher Aufwand getrieben, um <strong>die</strong> Interdependenzen<br />

zwischen Geschäftsprozessen, Kunden, Finanzen und Humanressourcen darzustellen.<br />

In kleineren <strong>Unternehmen</strong> bestehen <strong>die</strong> gleichen Aufgaben, aber <strong>die</strong> Abstimmung erfolgt<br />

nahezu beiläufig. So unterschiedlich <strong>die</strong> Bearbeitungssituationen sind, so gilt in beiden<br />

Fällen: <strong>die</strong> geforderte Wissensintegration scheitert häufiger. Jahre nach der Befassung<br />

mit der BSC ist <strong>die</strong> Standard-Antwort auf <strong>die</strong> Frage nach deren Nutzen: "Es hat einige<br />

pragmatische Verbesserungen gegeben." Von reflexiven Erfolgsmustern ist nur selten <strong>die</strong><br />

Rede.<br />

Die Erfahrung lehrt weiter:<br />

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164<br />

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Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Etliche Unternehmer scheitern an mangelnden Kernkompetenzen, also der Fähigkeit,<br />

sich von den Wettbewerbern zu unterscheiden.<br />

Noch häufiger aber gilt: <strong>Unternehmen</strong> scheitern an unzulänglichen Basiskompetenzen,<br />

d.h. an allgemein verfügbarem lehr- und lernbaren Wissen, das sie nicht in<br />

der Lage sind, in ihre Wissens- und Erfahrungsmuster zu integrieren. Es gibt also<br />

recht unterschiedliche Wissensniveaus mit jeweils spezifischen Defiziten.<br />

Die hier beschriebene Ensemblekompetenz von KMU, samt ihrer Wissensgrundlagen, ist<br />

ein dringendes Forschungsthema. Gelingt es, <strong>die</strong> Ensemblekompetenz von KMU zu<br />

verbessern, so sind zwei Wirkungen zu erwarten:<br />

• <strong>die</strong> kranken und gescheiteren <strong>Unternehmen</strong> werden weniger, da Früherkennung<br />

als präventive Maßnahme eine Chance hat zu greifen;<br />

• es werden mehr KMU wachsen, da <strong>die</strong> Wachstumsschranke "beschränkte<br />

Ensemblekompetenz" besser aufgebrochen werden kann.<br />

Arbeitslosigkeit und der Mangel an Beschäftigungschancen sind eben nicht nur eine<br />

Frage der Rahmenbedingungen - wie es <strong>die</strong> aktuelle Diskussion signalisiert.<br />

Diese gesellschaftlichen Missstände sind eben auch Indikatoren einer unzulänglichen<br />

Qualität von Führungskräften und <strong>Unternehmen</strong>, wie in den nachfolgenden Abschnitten<br />

anhand von Beispielen und von repräsentativen Daten verdeutlicht werden wird.<br />

8.3 Praktische Beispiele gescheiterter und erfolgreicher<br />

Früherkennung<br />

In <strong>die</strong>sem Kapitel werden zwei kleinere <strong>Unternehmen</strong> vorgestellt:<br />

ein Stahlbau-<strong>Unternehmen</strong> mit 50 Beschäftigten und<br />

ein Gitterrost-Hersteller mit 90 Beschäftigten.<br />

Der erstgenannte Betrieb ist im Jahr 2002 in <strong>die</strong> Insolvenz geraten, der andere Betrieb ist<br />

Jahr 2002beschäftigungsmäßig gewachsen. Beide <strong>Unternehmen</strong> hatten erhebliche Verhandlungsprobleme<br />

mit den Banken, <strong>die</strong> allerdings sehr unterschiedlich gelöst worden<br />

sind.<br />

Die beiden Beispiele werden vorgestellt, um <strong>die</strong> eher wissenschaftlich orientierte Darstellung<br />

im ersten Abschnitt durch praktische Beispiele der Chancen und Risiken bzw. der<br />

Erfolgsbedingungen von Früherkennung zu ergänzen. Vorab angeraten sei, Lob und<br />

Tadel nicht einfach nach Erfolg und Misserfolg zu verteilen; <strong>die</strong> Wirklichkeit ist etwas<br />

komplexer.<br />

165


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

� Stahlbaubetrieb, 50 Beschäftigte: trotz vorhandener Aufträgen in <strong>die</strong><br />

Insolvenz<br />

Ein Unternehmer kauft einen Stahlbaubetrieb, bindet also hierdurch sein Eigenkapital,<br />

investiert in eine große Halle, um expan<strong>die</strong>ren zu können - vorwiegend auf Kreditbasis<br />

und akquiriert einen großen Auftrag, den vorzufinanzieren <strong>die</strong> Banken sich weigern. Das<br />

<strong>Unternehmen</strong> muss Insolvenz anmelden. <strong>Was</strong> ist hier falsch gelaufen?<br />

Eine mögliche Sichtweise ist der Verweis auf <strong>die</strong> Kombination von lahmender Konjunktur<br />

und restriktiver Kreditpolitik der Banken. Doch <strong>die</strong>se naheliegende Erklärung ist im konkreten<br />

Fall unbefriedigend. Beide Risiken waren vor Abschluss des Großauftrages bekannt.<br />

Es lagen also Erkenntnisse vor, <strong>die</strong> handlungsmäßig nicht beachtet worden sind.<br />

Tatsächlich sind <strong>die</strong> Verhältnisse verwickelter. Zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses<br />

wusste der Unternehmer, dass er mit Großaufträgen zwar Kosten decken aber keinen<br />

Profit erwirtschaften kann. Geld ver<strong>die</strong>nen war hingegen mit kleineren Aufträgen möglich.<br />

Warum ist auch <strong>die</strong>se Erkenntnis nicht umgesetzt worden? Fairerweise muss gesagt werden,<br />

dass sie relativ neu, also noch nicht eingeschliffen war. Sie erfolgte erste nach einer<br />

Reorganisation des Controlling.<br />

Mehrere kleinere Aufträge zu bearbeiten, um ein Äquivalent zu dem Großauftrag zu<br />

schaffen, hätte bedeutet:<br />

• über eine flexiblere und zeitsichere Produktion zu verfügen; <strong>die</strong>s zu bewerkstelligen<br />

überstieg <strong>die</strong> Fähigkeiten des Fertigungsleiters;<br />

• über einen Vertrieb zu gebieten, der statt Auskünfte zu erteilen auch Kunden<br />

beraten kann. Dieses konnte der Unternehmer, aber nicht seine Vertriebsmitarbeiter;<br />

• transparente Kosten für Vor- und Nachkalkulation zu haben; <strong>die</strong>s leistete der 2.<br />

Geschäftsführer nicht, so dass das Untenehmen sich von ihm trennte.<br />

Im Ergebnis kann man sagen: der Großauftrag ist eingeworben worden, um aktuelle<br />

Schwächen in der Produktion, bei den Führungskräften und Mitarbeitern zu überdecken.<br />

Positiv formuliert: Es ging auch darum, Zeit zu gewinnen, um <strong>die</strong> Restrukturierungsaufgaben<br />

durchführen zu können. Stattgefunden hat also ein misslungener Austauschversuch<br />

von Risiken - interne Risiken sollten durch einen weiteren Bankkredit überspielt werden.<br />

Zusätzlich zu berücksichtigen ist, dass der Unternehmer von Hause aus leidenschaftlicher<br />

Verkäufer ist und das Einwerben <strong>eines</strong> Großauftrages auch Spaß bereitet. Bei der Übernahme<br />

des Betriebes war er davon ausgegangen, sich um seine Spezialität kümmern zu<br />

können, da <strong>die</strong> anderen das Andere tun. Er merkte vor Vertragsabschluss, dass <strong>die</strong>s nicht<br />

der Fall war, er begann umzusteuern, <strong>die</strong>s aber wohl nicht konsequent und gegenüber<br />

den Banken nicht transparent genug.<br />

166


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Einen direkten Vorwurf hieraus abzuleiten, ist nicht ganz einfach. Es handelte sich<br />

schließlich um neue Wissens- und Tätigkeitsfelder, was notwendigerweise mit Unsicherheit<br />

und Zögerlichkeit verbunden ist.<br />

Die Kompensation von internen Risiken durch externe Risiken - sprich: Kredite - war bis<br />

Mitte der 90er Jahre weit verbreitet und ist auch über Jahre durch <strong>die</strong> Politik des leichten<br />

Kredits gefördert worden. <strong>Was</strong> kann aus <strong>die</strong>sem Beispiel gelernt werden? Es demonstriert:<br />

• eine unzulängliche Ensemblekompetenz,<br />

• defizitäre Basiskompetenzen (Prozessbeherrschung),<br />

• nicht reflektiertes Vertrauen auf alte Lösungen (Bankkredite),<br />

• das Vorliegen <strong>eines</strong> mehrteiligen Misserfolgsmusters, in dem mehrere Faktoren<br />

negativ sich einander beeinflussten.<br />

Versucht sei, <strong>die</strong>ses Misserfolgsmuster aufzuschlüsseln, in dem mehrere Erklärungsansätze<br />

aufgeführt werden.<br />

lfd.-Nr. Verursachungs-Zurechnung<br />

1. Ansatz Schuld ist <strong>die</strong> restriktive Kreditpolitik der Banken, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Finanzierung<br />

<strong>eines</strong> abgeschlossenen Auftrags verweigerten.<br />

2. Ansatz Schuld hat <strong>die</strong> zu geringe Eigenkapitalquote.<br />

Der Unternehmer hatte durch den Kauf des <strong>Unternehmen</strong>s seine<br />

Eigenmittel ausgereizt, durch <strong>die</strong> anschließende Großinvestition<br />

"Hallenneubau" seine Kreditspielräume.<br />

3. Ansatz Schuld hat der Unternehmer.<br />

Er wusste, dass er eigentlich den verkehrten Auftrag eingeworben<br />

hatte. Kleinere Aufträge bringen deutlich bessere Margen.<br />

4. Ansatz Schuld sind <strong>die</strong> unzulänglichen Betriebsprozesse.<br />

Um genügend kleinere Aufträge zu fertigen, hatten <strong>die</strong> Betriebsprozesse<br />

flexibler, zeitgenauer und kostenmäßig transparenter sein<br />

müssen; außerdem wäre ein anderer Verkauf vonnöten gewesen.<br />

5. Ansatz Schuld sind <strong>die</strong> Humanressourcen.<br />

Der Veränderungsbedarf bei den Betriebsprozessen war bekannt,<br />

<strong>die</strong> vorhandenen Führungskräfte waren aber nicht in der Lage, <strong>die</strong>ses<br />

umzusetzen.<br />

6. Ansatz Schuld hat <strong>die</strong> Wachstumsstrategie des <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

Anstatt neu zu investieren (Halle), hätte er erst den Betrieb in Ordnung<br />

bringen müssen.<br />

7. Ansatz Eigentlich schuld haben <strong>die</strong> Illusionen des Unternehmers beim Kauf<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

Der Unternehmer ist begeisterter Verkäufer und hat sich beim Kauf<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s darauf verlassen, dass <strong>die</strong> anderen <strong>die</strong> Anderen<br />

Aufgaben erledigen.<br />

Er hat <strong>die</strong> Defizite bemerkt, <strong>die</strong> Zeit zum Gegensteuern aber reichte<br />

nicht.<br />

Bild 70: Erklärungsansätze zum Scheitern des Stahlbau-<strong>Unternehmen</strong>s<br />

167


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Diese Ursachen-Auflistung zeigt, dass je nach Sichtweise recht unterschiedliche Erklärungen<br />

möglich sind. <strong>Was</strong> eben nicht gestimmt hat, ist <strong>die</strong> Ensemblekompetenz des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s.<br />

Im zweiten Beispiel finden sich <strong>die</strong> meisten der aufgeführten Faktoren wieder ein, nur<br />

dass <strong>die</strong>smal ein positives Ergebnis - ein auch beschäftigungsmäßig wachsendes <strong>Unternehmen</strong><br />

- <strong>die</strong> Folge ist.<br />

� Gitterrost-Hersteller, 90 Beschäftigte: vom Serienproduzenten zum<br />

produzierenden Dienstleister<br />

Der Gitterrost-Hersteller ist ein Familienbetrieb, der seit 50 Jahren besteht. Er stellt ein<br />

Produkt her, dass für eine wissensbasierte Gesellschaft als nicht komplex genug gelten<br />

kann und trotzdem expan<strong>die</strong>rt er hiermit:<br />

• im In- und Ausland; trotz schwacher Konjunktur, trotz veränderter Kreditpolitik der<br />

Banken, trotz relativ hoher Löhne, trotz erhöhter Importmengen etc.<br />

• Vor allem aber, obwohl in den 90er Jahren der traditionelle Abnehmermarkt (der<br />

Anlagenbau) gleichermaßen deutlich geschrumpft ist und eine erhebliche <strong>Unternehmen</strong>skonzentration<br />

erfahren hat.<br />

Mit dem zuvor beschriebenen Stahlbauunternehmen gemeinsam hat der Gitterrost-Hersteller<br />

<strong>die</strong> Durchführung großer Investitionen und demzufolge eine angespannte Finanzlage.<br />

Im Unterschied zum zuerst beschriebenen <strong>Unternehmen</strong> haben in <strong>die</strong>sem Fall <strong>die</strong><br />

beteiligten Banken den Kredit weder versagt noch gekündigt. Wäre <strong>die</strong>s der Fall gewesen,<br />

wäre wohl auch eine Insolvenz unvermeidlich geworden. Der Gitterrost-Hersteller beschreibt<br />

vor allem <strong>die</strong> Suche einer zahlungswilligen Bank als extrem nervenaufreibend.<br />

Rückwärts in <strong>die</strong> Vergangenheit der letzten 20 Jahre gerichtet, lassen sich mehrere ineinander<br />

verschlungene Entwicklungspfade ausmachen:<br />

• <strong>die</strong> systematische Erhöhung der Prozessflexibilität bei verkürzten Durchlaufzeiten;<br />

• <strong>die</strong> Erweiterung des Produktspektrums - sowohl werkstoffseitig als auch qualitätsseitig;<br />

• <strong>die</strong> drastische Erhöhung der Kundenindividualität.<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> hat in den letzten 2 Jahren mehr als 1.000 Neukunden dazu gewonnen<br />

und sieht das Potenzial noch lange nicht ausgereizt. Der Kundenzuwachs beruht auf zwei<br />

Komponenten:<br />

• einmal <strong>die</strong> termingenaue Lieferung auch von Kleinstmengen;<br />

• zum anderen <strong>die</strong> systematische Erschließung neuer Anwendungsmöglichkeiten für<br />

Gitterroste (u.a. z.B. als Design-Element).<br />

168


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

An einigen Maßnahmebeispielen sei kurz beschrieben, was Früherkennung praktisch bedeutet:<br />

a) Die neue Kundenorientierung verlangt einen anderen Vertrieb. Früher waren <strong>die</strong> Vertriebsmitarbeiter<br />

Auskunftsgeber über Mengen, Termine und Preise. Heute sind sie<br />

verstärkt als Berater kundenspezifischer Lösungen tätig.<br />

b) Dieser Neuorientierung wurde auch durch zusätzliche Effizienz-Indikatoren, z.B. Anzahl<br />

der in der Produktion bearbeiteten Kundenaufträge, Rechnung getragen.<br />

c) Trotz intensiver Qualifizierungsmaßnahmen stellte sich heraus, dass <strong>die</strong> Bedeutung<br />

<strong>die</strong>ser Kennziffern zwar situationsgebunden - während der Qualifizierung - klar war,<br />

im Alltag aber immer wieder wegrutschte.<br />

Kurz bevor eine Qualifizierungskrise ausgerufen wurde, ist eine alternative Hypothese<br />

geprüft worden (vgl. d).<br />

d) In der wöchentlichen Besprechung der Führungskräfte, <strong>die</strong> durch ein tagesaktuelles<br />

standardisiertes Berichtssystem unterstützt wird, wurde über <strong>die</strong> neuen Kennziffern<br />

kaum geredet. Es stellte sich heraus, dass einfach <strong>die</strong> Anpassung des Berichtssystems<br />

vergessen worden ist. Mit der Erkennung <strong>die</strong>ses Fehlers entstand folgende<br />

Maßnahme-Wirkungskette:<br />

• Anpassung des Berichtssystems<br />

• regelmäßige Erörterung auch der neuen Kennziffern bei der Führungskräftebesprechung<br />

• Absage der Qualifikationskrise.<br />

e) Die Vielzahl der Intranet-, Kommunikations- und Qualifizierungsbemühungen des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s wurden zunehmend von den Führungskräften und der Belegschaft als<br />

lästig eingestuft. Die Personalleiterin geriet zunehmend unter Rechtfertigungsdruck.<br />

Gleichzeitig war <strong>die</strong> Aufgabe "Qualitätskoordinator" zu besetzen, <strong>die</strong> regelmäßige<br />

Zertifizierung ist für den Geschäftserfolg unabdingbar. Diese freie aber unbeliebte<br />

Aufgabe wurde von der Personalleiterin gegen vielseitige Unterstützungszusagen<br />

übernommen.<br />

Abgesehen davon, dass <strong>die</strong> Kombination der beiden Gebiete auch inhaltlich vertretbar<br />

ist, profitiert <strong>die</strong> betriebliche Weiterbildung von einer noch größeren Betriebsnähe<br />

und einer jetzt deutlich stärkeren Unterstützung der anderen Führungskräfte.<br />

f) Die Vielzahl der neuen Kunden und deren jeweiligen Produktwünsche verlangten<br />

neue Kalkulations-, Liefer- und Preisregeln. Entstanden ist ein 4-stufiges System, das<br />

im Kern wie folgt funktioniert:<br />

• 4-Stunden-Aufträge: Ein Kunde kommt auf den Betriebshof, findet sein Produkt<br />

(Lager), lädt auf, bezahlt und fährt ab.<br />

• 24-Stunden-Auftrag: Das Produkt ist ebenfalls im Prinzip vorrätig, es muss<br />

aber noch nach Kundenwunsch zugeschnitten und ggf. weiterbearbeitet werden<br />

(Verzinkerei).<br />

• Eine kleinere Serie wird in 8 Tagen gefertigt und ausgeliefert.<br />

169


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

• Größere Serien werden in 17 Tagen gefertigt und vom polnischen Betrieb des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s geliefert.<br />

Die 8-Tages-Lieferung ist <strong>die</strong> Kalkulationsgrundlage für den Preis, längere Lieferzeiten<br />

werden mit einem Abschlag, kürzere mit einem Aufschlag versehen. Mit <strong>die</strong>sem<br />

einfachen System lässt sich tatsächlich der Verkauf an tausende unkalkulierbare<br />

Kunden steuern.<br />

g) Dieses Liefersystem ist zunächst vorzugsweise regional erprobt worden. Mit dem<br />

Aufbau <strong>eines</strong> elektronischen Ladens wird es in Kürze auch national und international<br />

angeboten.<br />

Die Beispiele sind fortsetzbar. Sie zeigen, wie aus vielen einzelnen Beispielen allmählich<br />

ein System der Kombination von Prozessflexibilität, bedarfsweiser Produktvielfalt und<br />

Kundenindividualität entsteht. Das <strong>Unternehmen</strong> hat sich eben nicht einfach von der<br />

Serienfertigung verabschiedet, sondern gelernt, Serienfertigung und Kundenindividualität<br />

quasi simultan anzubieten.<br />

Auf dem Hintergrund <strong>die</strong>ser gewachsenen Potenziale hat Früherkennung eine fast lustvolle<br />

Bedeutung bekommen: <strong>die</strong> Freude, neue Kundengruppen und Anwendungsmöglichkeiten<br />

des Kernproduktes zu entdecken und der Trotz, Risiken so frühzeitig zu erkennen,<br />

dass ihnen flexibel und kreativ begegnet werden kann.<br />

<strong>Was</strong> ist aus <strong>die</strong>sem Beispiel zu lernen?<br />

• Die Veränderungen in <strong>die</strong>sem <strong>Unternehmen</strong> sind nicht nach einem Masterplan realisiert<br />

worden - und hätte es einen solchen gegeben, wären sie möglicherweise gescheitert<br />

115 .<br />

• In den letzten 10 Jahren hat es zu jedem Zeitpunkt in dem <strong>Unternehmen</strong> mehrere<br />

Baustellen gegeben, auf denen manchmal eher zielstrebig gearbeitet und manchmal<br />

eher experimentiert worden ist.<br />

• Trotz <strong>die</strong>ser vielfältigen aber induktiven Vorgehensweise fangen <strong>die</strong> verschiedenen<br />

Teillösungen an, sich zu einem Gesamtsystem mit Rückkoppelungsprozessen zusammenzufügen.<br />

• Es ist ein technisch-organisatorisches und personelles Potenzial entstanden, das auch<br />

Früherkennung in seinen Teilen, Chancen- und Risiken-Erkennung in <strong>die</strong> Zukunftsorientierung<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s alltäglich integriert.<br />

• Es gibt eine positive Ensemblekompetenz und ein Streben nach <strong>Einzigartigkeit</strong> in dem<br />

beschriebenen Sinn einer Balance zwischen Andersartigkeit und Ähnlichkeit, vgl. Bild<br />

69.<br />

So weit, so gut. Aber warum hat es in <strong>die</strong>sem <strong>Unternehmen</strong> geklappt und in dem zuvor<br />

beschriebenen nicht?<br />

115<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> hat in den letzten 20 Jahren mehrmals versucht, mittels <strong>eines</strong> Generalplans zu<br />

agieren, sie sind sämtlich "stecken geblieben".<br />

170


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Der Gitterrost-Hersteller hat für <strong>die</strong> beschriebene Entwicklung 20 Jahre Zeit gehabt, der<br />

gescheiterte Stahlbauproduzent nur wenige Jahre, <strong>die</strong> infolge einer anfänglichen falschen<br />

Einschätzung der innerbetrieblichen Situation nochmals zu halbieren ist. Mehr Zeit<br />

bedeutet viel mehr Chancen für den Austausch von Betriebsangehörigen sowie für das<br />

Mitlernen Dritter (der Führungskräfte, der Belegschaft, des Betriebsrates).<br />

Die unterschiedliche Verfügung über zeitliche Ressourcen wird in einer Erklärung der<br />

unterschiedlichen Entwicklung sicherlich ihren Anteil haben, ohne jedoch alle Erklärungen<br />

zu liefern. Es gibt weitere Bausteine einer Erklärung <strong>die</strong> bekannt sind, bezogen auf <strong>die</strong><br />

unterschiedliche Entwicklung beider <strong>Unternehmen</strong>:<br />

Der Stahlbauunternehmer war faktisch alleine tätig; er hat sich beizeiten von einer Führungskraft<br />

getrennt, aber <strong>die</strong> rechtzeitige Trennung von zwei weiteren versäumt. Der<br />

Gitterrosthersteller hat demgegenüber eine langjährige Kernführungsgruppe aufzuweisen,<br />

in der Kundenkompetenz, betriebswirtschaftliche und technische Kompetenz seit den 80er<br />

Jahren exzellent vertreten und <strong>die</strong> personelle sowie organisatorische Kompetenz nachgewachsen<br />

sind.<br />

Wahrscheinlich leistet <strong>die</strong> unterschiedliche Kombination der Faktoren Zeit und Ensemblekompetenz<br />

in den beiden <strong>Unternehmen</strong> einen nicht unerheblichen Erklärungsanteil. Weitere<br />

Bestandteile einer angemessenen Erklärung werden noch gesucht.<br />

8.4 Über prosperierende und sterbende <strong>Unternehmen</strong> -<br />

Eine empirische Typologie der KMU im verarbeitenden<br />

Gewerbe mit Zwischentönen<br />

Einleitend ist festgestellt worden, dass Früherkennung und Insolvenzabwehr zwei durchaus<br />

verschiedene, eher konträre Begriffe sind. Die Insolvenzabwehr tritt ein, wenn <strong>die</strong><br />

Früherkennung nicht stattgefunden hat.<br />

Die Wirklichkeit der <strong>Unternehmen</strong> kennt nun eine Reihe von Zwischentypen, <strong>die</strong> es erlauben,<br />

einen Bogen, besser eine abschüssige Bahn, von gesunden zu wahrscheinlich sterbenden<br />

<strong>Unternehmen</strong> zu ziehen. Orientiert am deutschen Schulnoten-System wird eine 6stufige<br />

Typologie von <strong>Unternehmen</strong> vorgestellt; <strong>die</strong>se umfasst <strong>die</strong> Typen:<br />

Typ 1 prosperierende <strong>Unternehmen</strong><br />

Typ 2 wachsende <strong>Unternehmen</strong><br />

Typ 3 eher stagnierende <strong>Unternehmen</strong><br />

Typ 4 gefährdete <strong>Unternehmen</strong><br />

Typ 5 Sanierungs-<strong>Unternehmen</strong><br />

Typ 6 insolvenzbedrohte <strong>Unternehmen</strong><br />

171


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Die Bezeichnung der Typen ist von den Verfassern gewählt worden. Die Typologie selbst<br />

ist von Friedrichs, W. 116 in einer Auftragsarbeit für das Bundeswirtschaftsministerium entwickelt<br />

worden, um <strong>die</strong> Bedeutung des Eigenkapitals zu klären. Sie ist aber auch sehr<br />

instruktiv - wie zu zeigen sein wird - um <strong>die</strong> Aufgaben einer Früherkennung bei der Insolvenzabwehr<br />

darzulegen. Die im Kapitel 8.2 beschriebenen praktischen Beispiele sind den<br />

Typen 6 (1. Beispiel) und 2 (wachsende Betriebe) zuzuordnen.<br />

Gewonnen worden ist <strong>die</strong>se Typologie mittels einer Clusteranalyse ökonomischer Merkmale,<br />

<strong>die</strong> in einer repräsentativen Erhebung erhoben worden sind. In der Spalte 1 des Bild<br />

71 gibt der Text jeweils eine verbalisierte Charakterisierung des jeweiligen Typs wieder.<br />

Die Spalten 2 und 3 stellen <strong>die</strong> relativen Anteile der <strong>Unternehmen</strong>stypen an allen <strong>Unternehmen</strong><br />

dar, jeweils getrennt für <strong>die</strong> alten und neuen Bundesländer.<br />

Die rechte mittlere Spalte enthält eine Gruppierung der <strong>Unternehmen</strong> nach ihrem Gefährdungsgrad.<br />

Unterschieden wurden, ob ...<br />

• Renditeprobleme<br />

• Finanzierungsprobleme<br />

• oder Zahlungsprobleme<br />

vorliegen.<br />

Das Ergebnis ist etwas ernüchternd: Nahezu zwei Drittel der westdeutschen und über vier<br />

Fünftel der ostdeutschen <strong>Unternehmen</strong> hatten Renditeprobleme, etc. Als ökonomisch<br />

gesund (Typ 1 und 2) sind nur ein gutes Drittel der westdeutschen und 12% der ostdeutschen<br />

KMU anzusehen.<br />

Aus den Quellenangaben folgt, dass <strong>die</strong> Datenerhebung Mitte der 90er Jahre erfolgte. Da<br />

sich seitdem <strong>die</strong> Kreditpolitik der Banken geändert hat, ist anzunehmen, dass der Typ 2<br />

(wachsende <strong>Unternehmen</strong>) heute schwächer vertreten ist. 117<br />

116<br />

Vgl. Friedrichs, W. u.a.: Ertragsentwicklung, Eigenkapitalausstattung und Insolvenzen im Bereich des<br />

industriellen Mittelstandes, Köln/Neuss 1997<br />

117<br />

Vgl. Herausgebergruppe: Mittelstandsmonitor 2003 (Februar 2003), S.9ff<br />

172


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Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

EKQ = Eigenkapitalquote;<br />

Quelle: Friedrich, W. u.a.: Ertragsentwicklung, Eigenkapitalausstattung und Insolvenzen im Bereich des<br />

industriellen Mittelstandes, Köln/Neuss 1997, S.184ff.<br />

Problem und Aufgabenschwerpunkte: Volkholz, V., GfAH mbH (mittlere u. rechte Spalte von Volkholz, V.)<br />

Bild 71: <strong>Unternehmen</strong>stypologie des verarbeitenden Gewerbes<br />

Die vergangene und gegenwärtige Kreditpolitik der Banken ist dringend einer Prüfung zu<br />

unterziehen. Hierbei sollte das folgende Maßnahme-Wirkungs-Schema beachtet werden:<br />

Maßnahme wachstumsfördernd Risikoüberdeckung<br />

vergangene Kreditvergabe (Politik<br />

des leicht erhältlichen Kredits)<br />

derzeitige Kreditvergabe<br />

(schwieriger Krediterhalt)<br />

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173<br />

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Risiko-Überdeckung: Überspielen interner Schwachstellen durch Bankenkredit, vgl.<br />

Beispiel in Kapitel 8.2.<br />

Nach <strong>die</strong>sem Schema hatte <strong>die</strong> Politik des leichten Kredits nicht nur Vorteile, sondern<br />

auch schwerwiegende Nachteile in dem sie zur Tolerierung betriebsinterner Schwachstellen<br />

beigetragen hat.<br />

Die derzeitige Kreditpolitik ist demzufolge wegen ihrer Wachstumsbeschränkung zu kritisieren;<br />

nicht zu übersehen sind aber auch ihre Vorteile, das erzwungene Wegräumen<br />

interner Schachstellen.<br />

Die äußerste rechte Spalte im Bild 71 notiert unter den Gesichtspunkten "Prävention und<br />

Rehabilitation" <strong>die</strong> zu bewältigenden Herausforderungen, also Aufgabenschwerpunkte.<br />

Mehrererlei wird deutlich:


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

• Die Vordringlichkeit der Aufgabenstellung wechselt von Typ zu Typ. Die ist stark<br />

von der ökonomischen Verfassung des jeweiligen <strong>Unternehmen</strong>s abhängig.<br />

• Je schlechter <strong>die</strong> ökonomische Verfassung der einzelnen <strong>Unternehmen</strong>, also je<br />

geringer <strong>die</strong> verfügbaren Ressourcen, um so mehr Aufgaben sind (neu) zu lösen.<br />

Die Analogie zu den Konzepten "Prävention" und "Rehabilitation" kann helfen, Maßnahmeschwerpunke<br />

zu erkennen:<br />

• Bei den Typen 1 und 2 ist Früherkennung als Präventionsaufgabe vordringlich,<br />

wohingegen Rehabilitation von nachrangiger Bedeutung ist.<br />

• Bei den Typen 5 und 6 ist es kurzfristig umgekehrt. Die Rehabilitation, der turnaround<br />

steht im Vordergrund, <strong>die</strong> Früherkennung als Prävention im Hintergrund.<br />

Allerdings gilt <strong>die</strong>s nur für <strong>die</strong> akute Krisenbewältigung. Will das <strong>Unternehmen</strong><br />

langfristig überleben, ist mit der Krisenbewältigung auch der Aufbau einer präventiven<br />

Früherkennung erforderlich. Hiergegen wird oft verstoßen.<br />

• Bei den Typen 3 und 4 besteht eine Gemengelage, <strong>die</strong> Prävention und Rehabilitation<br />

gleichermaßen erfordert.<br />

Angesichts des Widerspruchs zwischen abnehmenden Ressourcen und zunehmenden zu<br />

bewältigenden Herausforderungen ist es nicht verwunderlich, dass <strong>die</strong> Zahl der Insolvenzen<br />

in den 90er Jahren deutlich gestiegen ist.<br />

Diese betrübliche Feststellung ist aber nur <strong>die</strong> halbe Wahrheit. Aus dynamischen <strong>Unternehmen</strong>sanalysen<br />

ist bekannt, dass insbesondere in längeren Zeiträumen nicht unerhebliche<br />

Auf- und Abwärtsbewegungen bei den <strong>Unternehmen</strong> stattfinden. Einem Teil der<br />

<strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> zu den Typen 5 und 6 gerechnet werden, gelingt es also, sich aus <strong>die</strong>ser<br />

misslichen Lage zu befreien, allerdings stürzt auch ein Teil der prosperierenden <strong>Unternehmen</strong><br />

ab.<br />

Bislang liegen solche differenzierenden und dynamischen Analysen in Deutschland zu<br />

selten und zu wenig aktuell vor. Es dominieren komperativ-statische Mittelswert-Analysen<br />

für herkömmliche Ordnungsschemata (Branchen, Betriebsgrößen, Regionen), <strong>die</strong> auf<br />

Grund ihrer internen Streuung wenig(er) aussagekräftig sind. Wird der Mittelwert aus<br />

einem Elefanten und einer Mücke berechnet, so entsteht eben ein(e) große(r) Esel(ei),<br />

der/<strong>die</strong> keine praktikable Aussage zulässt!<br />

174


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

8.5 Schlussfolgerungen - insbesondere hinsichtlich der<br />

Mittelstandsbank<br />

<strong>Was</strong> folgt aus der skizzierten Analyse - insbesondere für <strong>die</strong> KfW und <strong>die</strong> DtA, also <strong>die</strong><br />

neu entstehende Mittelstandsbank?<br />

� Ergänzung der banklichen wissenschaftlichen Analysetätigkeit<br />

KfW und DtA verfügen über beachtliche Analysefähigkeiten - nicht nur auf Grund ihrer<br />

Datensätze, sondern auch als Folge der Kompetenz der hiermit betrauten Personen. Die<br />

hier vorgetragenen Argumente legen es nun nahe, den vorherrschenden Analyseansatz,<br />

der methodisch um Mittelwerte und statistische Zusammenhänge kreist, durch typisierende<br />

Analysen zu ergänzen. Diese sind besser geeignet, der Mustererkennung von<br />

Erfolgsfaktoren Rechnung zu tragen. Sie erlauben es auch, Maßnahmeüberlegungen<br />

kontextspezifischer und damit unternehmensindividueller zu gestalten.<br />

Konkret wird empfohlen zu prüfen, ob mit den vorhandenen Daten eine <strong>Unternehmen</strong>stypologie<br />

wie <strong>die</strong> dargestellte erzeugbar ist und ob <strong>die</strong>s regelmäßig (also routinemäßig)<br />

geschehen kann. Ziel einer solchen Anstrengung wäre, zu einer differenzierenden Berichterstattung<br />

über den Mittelstand beizutragen. Ein Mittel hierzu kann <strong>die</strong> Entwicklung<br />

<strong>eines</strong> Indikators der Vielfalt mittelständischer <strong>Unternehmen</strong> sein.<br />

• <strong>Unternehmen</strong>sindividuelle Beratung<br />

DtA-seitig wird überlegt, „Krisenmanagement als Förderinstrument“ anzustreben. Den<br />

mitgeteilten Zahlen/Anteilswerten zur <strong>Unternehmen</strong>stypologie ist zu entnehmen, dass zumindest<br />

der latente Bedarf hieran gewaltig ist. Allerdings dürfte ein Krisenmanagement<br />

eher bei den <strong>Unternehmen</strong>stypen 5 und 6 anschlagen, gewissermaßen nachdem das<br />

Kind in den Brunnen gefallen ist.<br />

Außen vor bleiben darum <strong>die</strong> Typen 3 und 4, <strong>die</strong> zwischen Früh- und (Zu)Späterkennung<br />

liegen, in jedem Fall aber einer Neuorientierung bedürfen, um nicht zu Sanierungs- oder<br />

gar Insolvenzfällen zu werden.<br />

Auch nicht erfasst wird der Typ 2, also <strong>die</strong> wachsenden <strong>Unternehmen</strong>. Hierzu zumindest<br />

wären Check-ups und Betreuungsleistungen angezeigt, um Absturzgefahren rechtzeitig<br />

zu erkennen.<br />

Insgesamt wäre es wohl besser, ein unternehmensindividuelles Informations-, Kommunikations-<br />

und Beratungsangebot insgesamt zu konzipieren, innerhalb dessen das Krisenmanagement<br />

<strong>eines</strong> von mehreren Modulen ist. Beiden Banken ist vertraut, dass man nicht<br />

alles alleine tun muss. Sofern <strong>die</strong> Impulse gesetzt sind, sind auch kooperative Lösungen<br />

denkbar.<br />

Sollte <strong>die</strong> neue Mittelstandsbank sowohl Wachstumsbetreuung als auch Krisenmanagement<br />

anbieten, so wird ihr Auftrag auch besser artikuliert als es bei einer ausschließlichen<br />

Konzentration auf das Krisenmanagement der Fall wäre.<br />

175


� KMU-Akademie als Selbstlernzentrum<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 8 Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Ein systemischer Ansatz in bezug auf Kommunikation, Beratung und Betreuung mit und<br />

von KMU erlaubt sowohl thematische Variationen - also <strong>die</strong> Aufnahme neuer Themen wie<br />

Nachfolge-Beratung oder KMU-Führungskräfte-Schulung als auch methodische Variationen<br />

- vom e-learning bis zum traditionellen Workshop. Vorstellbar ist eine KMU-Akademie<br />

als Selbstlern-Zentrum für kleine(re) und mittlere <strong>Unternehmen</strong>. Selbstlernzentren bieten<br />

Methoden und Themen als Optionen an, so dass der interessierte Lerner - sei er Pionier-,<br />

Normal- oder Nachlerner - auswählen kann, was ihm zusagt. Es gibt Ansätze für solche<br />

Ideen in Deutschland, aber noch wenig Realisationen.<br />

� Die Mittelstandsbank als innovativer Aktivposten<br />

KfW und DtA gehören zu den innovativen Aktivposten Deutschlands. Das gilt für den<br />

Kernbereich der Finanz<strong>die</strong>nstleistungen, <strong>die</strong> Erzeugung von Wissen über KMU und Umsetzung<br />

von Fördermaßnahmen als Hilfe zur Selbsthilfe.<br />

Die neue Mittelstandsbank sollte <strong>die</strong>se Tradition fortsetzen - mit dem Grundsatz: Auf das<br />

einzelne <strong>Unternehmen</strong> kommt es an. Gelingt es der Mittelstandsbank in der Vielzahl der<br />

KMU auch deren Vielfalt zu sehen und zu fördern, wird das einzelne <strong>Unternehmen</strong> nicht<br />

nur als Zählelement gesehen, sondern als Respekt gebietende, individuelle unternehmerische<br />

Zukunft, so kann <strong>die</strong> „Lust auf Zukunft“ besser gedeihen.<br />

In der GfAH hat <strong>die</strong> Arbeit an einer Landkarte könnenden Wissens von DtA und KfW<br />

begonnen. Es zeigt sich: Beide Banken können mehr als sie können (dürfen). Die erste<br />

Version <strong>die</strong>ser Landkarte soll zum Jahresende 2003 vorgelegt werden. Vielleicht aber - so<br />

<strong>die</strong> leise Hoffnung - ist sie bei der Vorlage bereits veraltert.<br />

Manchmal ist <strong>die</strong> Praxis schneller als <strong>die</strong> Wissenschaft.<br />

176


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

9. <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

(Vortrag beim UNIKAT-Abschluss-Workshop 118 )<br />

9.1 <strong>Was</strong> bedeutet <strong>Einzigartigkeit</strong>?<br />

"Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> jeden individuellen <strong>Unternehmen</strong>s und <strong>die</strong> Vielfalt aller <strong>Unternehmen</strong><br />

stehen in einem logischen, komplementären Verhältnis zu einander: Je einzigartiger<br />

<strong>die</strong> einzelnen <strong>Unternehmen</strong>, desto größer ist <strong>die</strong> Vielfalt aller <strong>Unternehmen</strong>.<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt sind gedankliche Konstrukte, also miteinander verknüpfte<br />

Hypothesen über Eigenschaften von <strong>Unternehmen</strong>. Es ist also zunächst darzulegen, was<br />

<strong>die</strong>se Konstrukte bedeuten.<br />

Hypothesen, Gedankenspiele oder auch Phantasien gibt es viele. Somit ist zweitens zu<br />

prüfen, was der empirische Gehalt <strong>die</strong>ser Konstrukte ist:, also wie viel Kontakt zur Wirklichkeit<br />

in den <strong>Unternehmen</strong> haben sie?<br />

Hieraus entsteht eine dritte Frage: <strong>Was</strong> ist der praktische Nutzen von <strong>Einzigartigkeit</strong> und<br />

Vielfalt, was kann ein einzelnes <strong>Unternehmen</strong>, was können Gesellschaft und Staat hiermit<br />

anfangen?<br />

Das FuE-Verbundprojekt "UNIKAT" befasst sich mit der Verstärkung unternehmensinterner<br />

Potenziale. Die Ergebnisse sind in dem Buch "Das einzigartige <strong>Unternehmen</strong>" 119 zusammengefasst.<br />

Also werde ich Ihnen vortragen, was Sie in dem UNIKAT-Verbundprojekt<br />

eigentlich gedacht haben. Darauf verzichten werde ich, das eigentlich Gedachte mit dem<br />

tatsächlich Gedachten - wie es in dem Buch dokumentiert ist - zu vergleichen. Das überlasse<br />

ich Ihnen.<br />

<strong>Was</strong> nun bedeutet <strong>die</strong> Bezeichnung "einzigartiges <strong>Unternehmen</strong>"? In meinem Verständnis<br />

ist <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s definiert als<br />

• beständige Herausforderung<br />

• im Urteil des Kunden<br />

• anders als jeder Wettbewerber und<br />

• ähnlich den besten <strong>Unternehmen</strong><br />

zu sein. <strong>Einzigartigkeit</strong> ist also <strong>die</strong> beständige Balancierung von Ähnlichkeit und Andersartigkeit.<br />

Einige Erläuterungen zu <strong>die</strong>ser Definition von <strong>Einzigartigkeit</strong>:<br />

Charakteristisch für <strong>die</strong>se Konzeption von <strong>Einzigartigkeit</strong> ist <strong>die</strong> Idee der Balancierung von<br />

Ähnlichkeit und Andersartigkeit oder von Effizienz (etwas richtig tun) und Effektivität (das<br />

Richtige tun). Es wird also darauf bestanden, sowohl <strong>die</strong> Kostensenkung als auch <strong>die</strong><br />

Erlössteigerung zu beachten.<br />

118 Vortrag "<strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt " beim UNIKAT-Abschluss-Workshop am 05. Juni 2003 in St. Ingbert-<br />

Rohrbach. UNIKAT ist ein Verbundforschungsprojekt und wurde mit Mitteln des BMBF, innerhalb des<br />

Rahmenkonzeptes "Forschung für <strong>die</strong> Produktion von morgen" gefördert und vom Projektträger Produktion<br />

und Fertigungstechnologien, Forschungszentrum Karlsruhe betreut (FKZ: 02PP2232).<br />

119 Kohlgrüber, M., Schnauffer, H.-G., Jäger, D.: a.a.O.<br />

177


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

9.2 Der Harmoniepfad als Entwicklungsgeschichte <strong>eines</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>s<br />

Grafisch darstellen lässt sich <strong>die</strong>se Forderung des "sowohl als auch" mittels des Harmoniepfades<br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, um den seine tatsächliche Entwicklung - oszillierend -<br />

innerhalb <strong>eines</strong> Toleranz-Korridors schwankt. Drei Fragen sind zu beantworten:<br />

a) <strong>Was</strong> bedeutet der Harmoniepfad, wie ist er zu beschreiben, empirisch zu<br />

überprüfen?<br />

b) Woher kommen <strong>die</strong> Schwankungen in den Harmoniepfad und warum sind nur<br />

Schwankungen innerhalb gewisser Toleranzen zulässig?<br />

c) Wie werden <strong>die</strong> Toleranzen festgelegt?<br />

Marcchetti 120 , der Alt- und Großmeister der Analyse logistischer Wachstumsprozesse,<br />

würde - einen Blick auf den Harmoniepfad werfend - sagen: 'Klar, der Harmoniepfad beschreibt<br />

<strong>die</strong> Lebensspanne <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, also <strong>die</strong> Zeit zwischen Geburt und Tod.'<br />

Wie das?<br />

Logistische Wachstumsprozesse unterscheiden sich von exponentiellen Wachstumsprozessen<br />

dadurch, dass sie einem Grenzwert zustreben. Es entsteht das bekannte Bild<br />

einer S-Kurve (siehe Bild 72; vgl. Kapitel 2.5).<br />

Effektivität<br />

<strong>Unternehmen</strong>sentwicklung<br />

Der Harmoniepfad kann als vollzogene und noch erwartbare Lebensspanne <strong>eines</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>s verstanden werden.<br />

Bild 72: Der Harmoniepfad<br />

Bildet <strong>die</strong> X-Achse <strong>die</strong> Anzahl der Lebensjahre <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s ab, so stellt <strong>die</strong> Y-<br />

Achse <strong>die</strong> kumulierten Ergebnisse während des Lebens dar, z.B. <strong>die</strong> jährlich anfallenden<br />

Umsätze. Die Gerade am unteren Ende der S-Kurve bedeutet, dass das <strong>Unternehmen</strong><br />

noch nicht geboren ist. Die Geburt findet mit den ersten wirtschaftlichen Aktivitäten, also<br />

dem Erzielen von Umsätzen statt. Die Gerade am oberen Ende der S-Kurve bedeutet,<br />

120 Vgl. Marcchetti, C.: a.a.O.<br />

178<br />

Harmoniepfad<br />

Toleranzkorridor<br />

Überschießende<br />

Abweichungen<br />

schädigen beide<br />

Ziele<br />

Effizienz


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

dass keine Umsätze mehr erzielt werden, mit dem Übergang der S-Kurve in <strong>die</strong> Gerade<br />

am oberen Ende stirbt das <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Der Harmoniepfad ist nicht anderes als <strong>die</strong> semilogistische Darstellung (logy = a + bt) der<br />

S-Kurve. Die Grausamkeit der S-Kurven besteht darin, dass sofern genügend Anfangswerte<br />

bekannt sind, der weitere Verlauf der S-Kurve berechenbar ist. Der Tod <strong>eines</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>s ist also - wird der S-Kurven-Logik gefolgt - berechenbar.<br />

In <strong>die</strong>ser S-Kurven-Logik bedeutet <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s nichts anderes<br />

als <strong>die</strong> Erfüllung der Lebensspanne, also den Wandel zum Tod. Eine etwas trübsinnige<br />

Vorstellung für ein <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> empirisch gut belegt und doch nicht zwingend ist.<br />

Außer dem Wandel zum Tod gibt es <strong>die</strong> Möglichkeit <strong>eines</strong> Wandels zur Selbsterneuerung,<br />

zur Neuerfindung, bildlich gesprochen: <strong>eines</strong> Wandels zur Wiedergeburt <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

Auch <strong>die</strong>se Möglichkeit ist empirisch gut belegt, etwa anhand der statistischen Aufbereitung<br />

von Lebensbäumen der <strong>Unternehmen</strong>. Die Möglichkeit der Selbst-Erneuerung<br />

ist ebenfalls mit den S-Kurven vereinbar. In <strong>die</strong>sem Fall enthält man statt einer mehrere<br />

aufeinanderfolgende und aufbauende S-Kurven.<br />

Diese Abfolge von S-Kurven ist auch empirisch darstellbar, anhand beispielsweise der<br />

Abfolge von Produktinnovationen und deren Diffusion. Sinken <strong>die</strong> Wachstumsraten der<br />

Innovationen, so befindet das <strong>Unternehmen</strong> sich in seiner 2. Lebensphase. Es ist also in<br />

jedem einzelnen <strong>Unternehmen</strong>sfall zu klären, ob der Harmoniepfad den Wandel zum Tod<br />

oder den Wandel zur Selbsterneuerung beschreibt. Die Zukunftsaussichten <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s<br />

sind je nach der Art des Harmoniepfades recht verschieden.<br />

Die Abweichungen vom Harmoniepfad bezeichnen <strong>die</strong> Ergebnisse von <strong>Unternehmen</strong>saktivitäten<br />

und hieraus folgenden Lernprozessen - soweit eine Rückkehr zum Harmoniepfad<br />

erfolgt. Es gibt sehr unterschiedliche Muster <strong>die</strong>ser Abweichungs- und Lernprozesse; sie<br />

verraten viel über <strong>die</strong> Lern-, Arbeits- und Lebensgewohnheiten <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

Die Festlegung der Toleranzgrenzen kann statistisch erfolgen, als Festlegung über <strong>die</strong><br />

zulässige Streuung um <strong>die</strong> S-Kurve. Im DaWa-Projekt 121 ist das Ampelprinzip verfolgt worden,<br />

d.h. für jede Kennziffer ist festgelegt worden, welche Wertebereiche als grün, gelb<br />

oder rot zu gelten haben.<br />

Leider hat sich im nachhinein herausgestellt, dass viele <strong>Unternehmen</strong> farbenblind sind,<br />

also insbesondere grün und rot verwechseln. Vielfach ist <strong>die</strong> Maximierung einer Kennziffer<br />

eben kein erstrebenswertes Ziel. Die allgemeine Ursache hierfür ist darin zu sehen, dass<br />

viele Kennziffern hinsichtlich der ökonomischen Ergebnisse nicht-linear interagieren.<br />

Im folgenden werde ich daher versuchen, <strong>die</strong> Ursachen für Abweichungen und für <strong>die</strong><br />

Schwierigkeiten präzise Toleranzkorridore festzulegen, etwas grundsätzlicher auszuloten.<br />

Will man verstehen, woher <strong>die</strong>se Abweichungen, <strong>die</strong> nicht immer aber doch ziemlich häufig<br />

nervend bis lebensgefährlich sind, kommen, so ist es nützlich, sich einige Implikationen<br />

der Profitrate (roi = P/K) zu verdeutlichen.<br />

121 FuE-Verbundprojekt "Profitables Wachstum durch dauerhafte Wandlungsfähigkeit durch profitables<br />

Wachstum", Förderkennzeichen: 02 PP2206, a.a.O.<br />

179


9.3 Die DuPont-Profitrate<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

Die allgemeine Profitrate kann auch als DuPont-Profitrate geschrieben werden:<br />

oder<br />

roi = P/K = P/U x h mit h = U/K<br />

roi = P/K = U-Ko/U x h mit P = U-Ko; Ko = Gesamtkosten<br />

Es handelt sich um tantologische Transformationen. Diese haben keinen Erklärungswert,<br />

aber sie präzisieren, was zu erklären ist. Soll <strong>die</strong> Profitrate gehalten oder gesteigert werden,<br />

so folgen aus der DuPont-Profitrate drei Basisoptionen:<br />

• Steigere <strong>die</strong> Erlöse!<br />

• Senke <strong>die</strong> Gesamtkosten!<br />

• Erhöhe den Kapitalumschlag!<br />

Da <strong>die</strong>se 3 Basisoptionen nicht unabhängig voneinander sind, folgt als Kombinationsregel:<br />

Stelle sicher, dass eine durchgeführte Maßnahme mindestens 2 der 3<br />

Basisoptionen erfüllt. Beachte, dass längerfristig allen 3 Optionen Genüge<br />

getan wird.<br />

Die gesamte Betriebwirtschaft lässt sich also auf 3 Basisoptionen und eine Kombinationsregel<br />

reduzieren. Selbstverständlich haben sich im Laufe der Jahrzehnte hierzu eine Anzahl<br />

von konkretisierenden Sub-Varianten entwickelt, <strong>die</strong> aber sämtlich auf eine oder<br />

mehrere <strong>die</strong>ser Basis-Optionen rückführbar sind. Die Anzahl <strong>die</strong>ser Sub-Varianten hat<br />

bislang niemand genau gezählt, aber sie scheint doch arg begrenzt zu sein.<br />

Soweit beurteilbar, kommen <strong>die</strong> Abweichungen vom Harmonie- bzw. Entwicklungspfad<br />

zum einen dadurch zustande, dass es nicht gelingt, <strong>die</strong> Kombinationsregel zu beachten.<br />

Viele <strong>Unternehmen</strong> bevorzugen zu einem bestimmten Zeitpunkt eine der 3 Basis-Optionen<br />

und vernachlässigen <strong>die</strong> beiden anderen. Die Ensembleleistung <strong>die</strong>ser <strong>Unternehmen</strong><br />

stimmt nicht.<br />

Es bleibt noch eine weitere - beunruhigende - Schlussfolgerung: Wie sollen mit nur 3<br />

Basisoptionen, einer Kombinationsregel und einer begrenzten Anzahl von Varianten einer<br />

turbulenten globalen Weltwirtschaft, <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt der <strong>Unternehmen</strong> möglich<br />

sein?<br />

Es gibt hierauf eine betriebswirtschaft-macchiavellistische Antwort, d.h. das betriebswirtschaftliche<br />

Lösungsspektrum wird um Gewalt, Betrug, Täuschung etc. erweitert: es ist der<br />

D'Avenische122 Hyperwettbewerb. Das Kernargument lautet: Erzeugung von <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

durch schnellen Wechsel von Optionen, wobei es vor allem darauf ankommt, anders<br />

als <strong>die</strong> Wettbewerber zu reagieren. Gibt es Alternativen zu <strong>die</strong>ser Kriegsschule, <strong>die</strong> in den<br />

USA offensichtlich Zukunft hat?<br />

122 Vgl. D’Aveni,R., Gunther, R.: a.a.O; siehe auch Kapitel 6.2<br />

180


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

9.4 Der Return on Human Ressources<br />

Hierzu ist es erforderlich, noch einmal auf <strong>die</strong> Profitrate zurückzukommen, um <strong>die</strong>smal<br />

eine andere als <strong>die</strong> DuPontsche Transformation vorzunehmen. Es gilt nämlich aus:<br />

roi = roh x e,<br />

wobei roh den return of human ressources beschreibt und e eine Art Effizienzkennziffer<br />

darstellt. Es gilt:<br />

roh = P/PK = P/BxE mit: B = Personalkosten;<br />

E = durchschnittl. Entgelt<br />

und<br />

e = PK/K mit PK = Personalkosten; K = Kapital.<br />

PK steht für das könnende Wissen der Beschäftigten und dessen Entgelt-<br />

Bewertung.<br />

e ist das Verhältnis von ökonomisch-bewerteten lebendigem Wissen (PK)<br />

zu vergegenständlichtem Wissen (K).<br />

roi ist demnach des Produkt aus Verzinsung des lebendigen Wissens 123 und dem Verhältnis<br />

von lebendigem zum vergegenständlichtem Wissen.<br />

So gesehen ist <strong>die</strong> Profitrate eine Gewinn-Wissen-Beziehung.<br />

Wird nun bedacht,<br />

• dass es weit mehr als 1.000 verschiedene Wissensgebiete gibt,<br />

• dass Inventionen sehr häufig und Innovationen immer aus Wissenskombinationen<br />

bestehen,<br />

• dass mittels der Fakultäten-Rechnung relativ einfach darstellbar ist, dass es viel mehr<br />

einmalige Wissenskombinationen gibt als es jeweils <strong>Unternehmen</strong> geben wird,<br />

so wird deutlich:<br />

Der ziemlichen Armut an Kombinationsmöglichkeiten, <strong>die</strong> sich aus der Du-Pont-Profitrate<br />

ergibt, steht ein enormer Reichtum an Möglichkeiten gegenüber, wenn <strong>die</strong> Profitrate als<br />

Wissen-Gewinn-Beziehung interpretiert wird.<br />

Um mit Karl Marx zu reden: jede Ware, sei es ein Gut oder eine Dienstleistung, hat eine<br />

Gebrauchswert- und eine Tauschwertseite. Wird <strong>die</strong> Gebrauchwertseite mit berücksichtigt,<br />

so besteht kein Mangel an einzigartigen Möglichkeiten, stattdessen wird <strong>die</strong> geeignete<br />

Auswahl zum Problem. Die Selektion von Möglichkeiten ist aber ein risikoreicher und<br />

teurer Prozess.<br />

123 In ökonomisch bewerteter Form (E = Entgelt)<br />

181


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

Es gelten nun zwei einfache Beziehungen zwischen Wissen und Ökonomie:<br />

a) neues, unternehmensspezifisches Wissen ist eine Funktion des cash flow<br />

(Wn = f (cash flow) und<br />

b) das cash flow ist eine Funktion des in <strong>Unternehmen</strong> kumulierten Wissens<br />

(cash flow = f (kumuliertes Wissen).<br />

Wer Schwierigkeiten hat, hierunter sich etwas Konkretes vorzustellen, sei an <strong>die</strong> poor<br />

dogs, <strong>die</strong> Emporkömmlinge und <strong>die</strong> Stars aus dem Wachstum-Marktanteil-Portfolio der<br />

Boston Consulting Group erinnert. Sie alle kosten mehr Geld als sie einspielen. Finanziert<br />

werden sie von den cash cows.<br />

Wegen des Alterns der cash cows und wegen der Marktdynamik kann aber kein <strong>Unternehmen</strong><br />

auf <strong>die</strong> neuen Produkte und Dienstleistungen verzichten, schließlich müssen <strong>die</strong><br />

zukünftigen cash cows gefunden werden.<br />

Diese unternehmensimmanente widersprüchliche Beziehung zwischen altem und neuem<br />

Wissen ist der zweite Hauptgrund dafür, warum Abweichungen vom Entwicklungspfad<br />

(Harmonie-Pfad) immer wieder passieren werden.<br />

Soweit <strong>die</strong> Anmerkungen zu dem Konstrukt "<strong>Einzigartigkeit</strong>", das noch um viele hier nicht<br />

erwähnte Bausteine und Facetten zu ergänzen wäre.<br />

9.5 Empirischer Nachweis der Vielfalt von <strong>Unternehmen</strong><br />

<strong>Was</strong> ist nun der Realitätsgehalt <strong>die</strong>ses Konstruktes? Eigenartigerweise ist es so, dass der<br />

empirische Nachweis des Realitätsgehaltes über den Nachweis der Vielfalt von <strong>Unternehmen</strong><br />

als Folge einzigartiger <strong>Unternehmen</strong> leichter gelingt als <strong>die</strong> direkte Demonstration<br />

der <strong>Einzigartigkeit</strong> vieler <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Allerdings werden hierdurch - wiederum - Folgeprobleme eingehandelt, <strong>die</strong> erheblich sind.<br />

Als Faktum kann gesetzt werden: Politik und Wissenschaften denken und handeln eher in<br />

Vorstellungen von Branchen als in individuellen <strong>Unternehmen</strong>. Dieser Branchenorientierung<br />

entsprechen Denkvorstellungen <strong>eines</strong> typischen repräsentativen <strong>Unternehmen</strong>s. Und<br />

<strong>die</strong>s ist das Gegenteil vieler einzigartiger <strong>Unternehmen</strong>. Wer hat Recht?<br />

Schloh 124 ist <strong>die</strong>ser Frage nachgegangen. Er hat für 6 Kennziffern über 24 Jahre <strong>die</strong><br />

Gewinn- und Verlustrechnungen sowie <strong>die</strong> Bilanzen von mehr als 300 <strong>Unternehmen</strong> aus 8<br />

verschiedenen Branchen analysiert.<br />

Wenn das Konzept des repräsentativen Branchenunternehmens gilt, so müssen sich<br />

deutliche Differenzen zwischen den Branchen nachweisen lassen. Solche nachgewiesenen<br />

Differenzen erlauben es, von einer ökonomischen Branchenhomogenität der beteiligten<br />

<strong>Unternehmen</strong> zu sprechen.<br />

124 Schloh, F.: a.a.O.<br />

182


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

Gilt hingegen das Konzept der einzigartigen <strong>Unternehmen</strong>, so sind <strong>die</strong> einzelnen Branchen<br />

eher heterogen zusammengesetzt und es existieren keine relevanten Unterschiede<br />

zwischen den Branchen.<br />

Bei 8 verschiedenen Branchen gibt es 28 verschiedene Branchenpaare, <strong>die</strong> miteinander<br />

zu vergleichen sind (etwa: Maschinenbau - chemische Industrie). Diese Vergleiche sind<br />

für 6 Kennziffern und 24 Jahre durchzuführen. Es gilt also:<br />

28 x 6 x 24 = 4.032 Beziehungen, <strong>die</strong> zu prüfen sind.<br />

Das Ergebnis ist eindeutig:<br />

83% der geprüften Beziehungen führen zu nicht-signifikanten Unterschieden der<br />

Merkmalsbeteiligungen<br />

17% zu signifikanten Unterschieden.<br />

Schloh kommentiert: "Die individuellen <strong>Unternehmen</strong>smerkmale sind eindeutig vorrangiger<br />

als <strong>die</strong> Brancheneigenschaften".<br />

Die Konzeption des individuellen, einzigartigen <strong>Unternehmen</strong>s ist der traditionsreichen<br />

Vorstellung des typischen repräsentativen <strong>Unternehmen</strong>s überlegen. Für <strong>die</strong> deutsche<br />

Industrie ist <strong>die</strong> Vielfalt der <strong>Unternehmen</strong> ein maßgebliches Charakteristikum - wovon<br />

allerdings in der Standort-Diskussion der letzten 20 Jahre nicht viel zu hören war.<br />

Auch hier gilt: tatsächlich sind <strong>die</strong> Argumente en detail natürlich differenzierter als es vortragsbedingt<br />

möglich war darzustellen. Nur, wie jedermann nachlesen kann, verstärkt <strong>die</strong><br />

Detailanalyse <strong>die</strong> Argumentation zugunsten des einzigartigen <strong>Unternehmen</strong>s.<br />

Wenn aber <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt relevanter ist als Homogenität und Repräsentativität,<br />

so denken und handeln viele Wissenschaftler, Beamte, Funktionäre und Politiker an<br />

der Wirklichkeit vorbei. Ihnen allen ist <strong>die</strong> Regel wichtiger als <strong>die</strong> Ausnahmen. Für <strong>die</strong> einzelnen<br />

<strong>Unternehmen</strong> ist es umgekehrt: sie leben davon, eine Ausnahme - also einmalig -<br />

zu sein.<br />

9.6 Polarisierung zwischen <strong>Unternehmen</strong><br />

Schloh hat nicht geprüft, ob Homogenität und Heterogenität im Zeitablauf variieren. Auch<br />

enden seine empirischen Ergebnisse Mitte der 80er Jahre. Wie aber ist <strong>die</strong> Entwicklung in<br />

den 90er Jahren zu beurteilen?<br />

Bei der Vorstellung des Konstruktes "<strong>Einzigartigkeit</strong>" ist dargestellt worden, dass <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

kein Zustand, kein unvergänglicher Besitz ist, sondern wettbewerbsbedingt eine<br />

beständige Herausforderung darstellt, <strong>die</strong> arbeitend zu bewältigen ist. <strong>Einzigartigkeit</strong> wird<br />

erzeugt und gewonnen - sie kann aber auch verloren gehen und <strong>die</strong>s endgültig.<br />

183


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

Die empirische Untersuchung von Schloh gilt für größere <strong>Unternehmen</strong> und endet 1985.<br />

Für <strong>die</strong> 90er Jahre gilt - aus verschiedenen Quellen zusammengetragen - etwa folgendes<br />

Bild in vereinfachter Darstellung:<br />

• Ein Drittel der Industrieunternehmen kann als hinreichend einzigartig und somit<br />

zukunftsfähig eingestuft werden.<br />

• Ein anderes Drittel der <strong>Unternehmen</strong> ist in einer so jämmerlichen Verfassung,<br />

dass es - abgesehen von einzelnen Wundern - gestattet ist, ihren Tod in den<br />

nächsten 10 Jahren vorherzusagen.<br />

• Und schließlich gibt es das letzte Drittel an <strong>Unternehmen</strong>. Es ist dadurch gekennzeichnet,<br />

dass <strong>die</strong> zugehörigen <strong>Unternehmen</strong> sich nicht entscheiden können, ob<br />

sie leben oder sterben wollen.<br />

Es sieht so aus, als ob durch <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> derzeit eine tiefe Spaltung oder Polarisierung<br />

geht. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche aber insgesamt zu wenige <strong>Unternehmen</strong>,<br />

<strong>die</strong> Lust auf Zukunft haben, <strong>die</strong> Schwierigkeiten als zu bewältigende Herausforderung<br />

annehmen etc.<br />

Auf der anderen Seite haben wir etwa 1/3 bis 2/3 aller <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> in den Sog einer<br />

kollektiven Todessehnsucht zu verfallen drohen. Jedenfalls verhalten sie sich so. Das<br />

Sterben von Untenehmen ist in einer kapitalistischen Gesellschaft etwas Normales, nicht<br />

normal aber ist der Massencharakter vollzogener und erwartbarer Todesfälle. Es kann<br />

also sein - bezogen auf <strong>die</strong> nächsten 10 Jahre, dass das Konzept der einzigartigen <strong>Unternehmen</strong><br />

zwar weiter gilt, dass es aber zu wenige <strong>Unternehmen</strong> gibt, <strong>die</strong> dessen Kriterien,<br />

wie dargestellt, genügen.<br />

9.7 Hinweise zum praktischen Nutzen<br />

Womit wir beim letzten der angekündigten Teile sind, der nach dem praktischen Nutzen<br />

von vorgelegten Konzepten und Empirie fragt. Adressat ist wiederum das einzelne <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Zunächst: es gibt einige durchaus optimistischen Feststellungen, <strong>die</strong> genutzt<br />

werden können. Hierzu gehören:<br />

• <strong>die</strong> Feststellung, dass <strong>Einzigartigkeit</strong> durchaus ein Mittel ist, sich in den Turbulenzen<br />

der Weltmärkte zu behaupten,<br />

• <strong>die</strong> Beobachtung, dass Vielfalt ein Charakteristikum der deutschen Industrie zumindest<br />

war und in Teilen zumindest noch ist,<br />

• dass es sowohl theoretische als auch empirische Möglichkeiten gibt, dem normalen<br />

Lebenszyklus, der einen Wandel zum Tod beschreibt, durch Selbsterneuerung, also<br />

Wiedergeburt zu entgehen.<br />

Der Nutzen solcher Argumente ist umso größer, je stärker einzelne <strong>Unternehmen</strong> sich auf<br />

sich selbst verlassen und je weniger sie am Tropf der öffentlichen Debatte hängen; <strong>die</strong>se<br />

hilft ihnen wenig und wahrscheinlich wird das zukünftig eher noch stärker gelten.<br />

184


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

Es gibt aber auch Risiken. Zu dem größten Risiko gehört m.E., dass zu viele <strong>Unternehmen</strong><br />

dem Trend der kollektiven Todessehnsucht folgen. Etwas weniger literarisch formuliert,<br />

dass sie sich aufgeben und als zu wenig lernfreudig erweisen.<br />

Wahrscheinlich ist <strong>die</strong>ses Problem mit öffentlichen Mitteln - seien es Diskurse oder finanzielle<br />

Hilfen - nicht zu lösen. Wichtiger erscheint mir eine ehrlichere Diskussion zwischen<br />

und unter <strong>Unternehmen</strong>; sowohl in vorhandenen informellen Gruppierungen als auch in<br />

den Verbänden.<br />

Empfohlen sei auch <strong>die</strong> Einbeziehung der Mittelstandsbank - Fusionierung der KfW und<br />

DtA. Diese Bank kann empirisch belegen, dass <strong>die</strong> von ihr betreuten <strong>Unternehmen</strong> weniger<br />

konkursgefährdet sind als <strong>die</strong> nicht betreuten <strong>Unternehmen</strong>. Die Mittelstandsbank<br />

kann auch belegen, dass sie sich in turn-around-Prozessen erfolgreich engagiert hat. Sie<br />

ist eine der wenigen innovativen Aktivposten der deutschen Gesellschaft, <strong>die</strong> in der Lage<br />

ist insbesondere kleinen und mittleren <strong>Unternehmen</strong> zu unterstützen. Dies auch nicht immer<br />

und durchgängig, aber doch ziemlich häufig.<br />

Da den meisten von Ihnen auch <strong>die</strong>se Zuspitzungen zu allgemein sind, so sei noch einige<br />

Schritte weitergegangen:<br />

• Empirisch belegt ist, dass selbst <strong>die</strong> einfachen Bonitätsauskünfte von Creditreform<br />

etc. Prognosen über <strong>die</strong> Konkurswahrscheinlichkeit erlauben. Wer mehr als 250<br />

Punkte im Creditreform-Bonitäts-Schema hat, hat Anlass, sich Sorgen zu machen.<br />

Die Prognosefähigkeit steigt erheblich, wenn Ratings vorliegen. Hier existieren bis zu<br />

10-Jahres-Prognosen über voraussichtliche Zahlungsprobleme in Abhängigkeit von<br />

einem Ausgangsrating.<br />

Ein <strong>Unternehmen</strong>, dass halbwegs interessiert an seiner Zukunft ist, sollte sich an<br />

einem Rating beteiligen und <strong>die</strong> Bewertungen für sich selbst nutzen. Auch hierbei<br />

kann <strong>die</strong> Mittelstandsbank beraten.<br />

• In den nächsten 10 bis 15 Jahren wird sich <strong>die</strong> Alterszusammensetzung vieler Belegschaften<br />

ändern. Negativ betroffen sein werden vor allem Betriebe, deren Altersstruktur<br />

in Prozentpunkten ausgedrückt <strong>die</strong> Form einer umgekehrten U-Kurve hat,<br />

d.h. eine überdurchschnittliche Besetzung in den mittleren Jahrgängen und eine<br />

schwache Besetzung in den jüngeren und älteren Jahrgängen. Schätzungsweise<br />

mehr als <strong>die</strong> Hälfte der Industriebetriebe haben <strong>die</strong>se Altersstruktur.<br />

Ohne akut gegensteuernde Maßnahmen werden <strong>die</strong>se Betriebe aus den verschiedensten<br />

Gründen in den nächsten 10 bis 15 Jahren enorme Probleme haben, ihr<br />

Leistungsniveau aufrecht zu erhalten.<br />

Inzwischen gibt es <strong>die</strong> ersten Industrieverbände (vor allem der ZVEI, aber auch der<br />

VDMA), <strong>die</strong> sich zu <strong>die</strong>ser Herausforderung sachverständig gemacht haben. Nutzen<br />

sie <strong>die</strong>se Möglichkeit!<br />

• Erinnern Sie sich an <strong>die</strong> Ausführungen zu den S-Kurven und dem Harmoniepfad als<br />

Darstellungsform derselben? Stellen Sie für Ihre Innovationsaktivitäten solche S-Kurven<br />

her. Trennen und verbinden Sie hier bei Produktinnovationen Prozessinnovationen<br />

und sonstige Innovationen etwa logistischer Art oder z.B. hinsichtlich der Dienstleistungen.<br />

185


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 9 <strong>Einzigartigkeit</strong> und Vielfalt<br />

Beziehen sie auch Verbesserungsvorschläge und Eigenaktivität ihrer Mitarbeiter in<br />

besonderen S-Kurven ein. Sie erfahren hierdurch eine Menge über ihre gegenwärtigen<br />

und zukünftigen Potenziale.<br />

Es kommt hierbei auch aber weniger auf mathematische Berechnungen an. In der<br />

Regel sieht man nämlich, wenn eine Punktegruppe aus kumulierten Werten vorliegt,<br />

ob Veränderungsprozesse sich verstärken oder abschwächen.<br />

Das sind drei konkrete Empfehlungen, <strong>die</strong> jedes <strong>Unternehmen</strong>, sei es allein oder mit<br />

anderen zusammen, realisieren kann. Die drei Empfehlungen haben gemeinsam, dass<br />

eine jede von ihnen das Wissen Ihres <strong>Unternehmen</strong>s organisiert. Sie sind also auch<br />

Hebel zur Wissensveränderung.<br />

Sie können argumentieren, das Alltagsgeschäft sei wichtiger, also Dringlichkeit vor Wichtigkeit.<br />

Wenn <strong>die</strong>ses Argument durchgängig bezogen auf mehrere Monate oder ein Jahr<br />

gilt, dann gehören Sie eben auch zu den schwarzen Engeln, <strong>die</strong> den Wandel zum Tod<br />

ihres <strong>Unternehmen</strong>s pflegen.<br />

Sie können aber auch den Empfehlungen oder anderen äquivalenten Ideen - <strong>die</strong> eigenen<br />

sind fast immer vorzuziehen - folgen und sich - allerdings überlegt - in <strong>die</strong> Abenteuer<br />

"Lust auf Zukunft" und "Selbst-Erneuerung" stürzen.<br />

Ich denke, Sie haben letzteres im Verbundprojekt UNIKAT getan.<br />

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit."<br />

186


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

10. Erfahrungen mit der Strategiearbeit in kleinen<br />

und mittleren <strong>Unternehmen</strong><br />

10.1 Einführung<br />

Ziel <strong>die</strong>ses Beitrages ist es, Wege und Werkzeuge zur Entwicklung, Umsetzung und Verankerung<br />

von Strategie in kleinen und mittleren <strong>Unternehmen</strong> (KMU) aufzuzeigen.<br />

Um den Besonderheiten von KMU gerecht zu werden, gilt es zu fragen:<br />

• nach den Kompetenzen:<br />

<strong>Was</strong> wissen und können KMU? Wo sind ihre Stärken? Wo liegen ihre Schwachstellen und<br />

wie gehen sie damit um? Wie sehen ihre Erfolgsmuster aus? Inwieweit sind sie bekannt,<br />

expliziert, handlungsleitend und im <strong>Unternehmen</strong> verankert?<br />

• nach der Vorgehensweise:<br />

Wie sieht <strong>die</strong> Art und Weise der Strategieentwicklung, -umsetzung und -verankerung aus?<br />

<strong>Was</strong> zeichnet geeignete Hilfsmittel und Werkzeuge aus? Wie kann <strong>die</strong> notwendige Transparenz<br />

im System „<strong>Unternehmen</strong>“ gesichert werden?<br />

Ein Werkzeug, das <strong>die</strong> Strategiearbeit von KMU unterstützen kann, ist der Potenzial-<br />

Check. Er ist an <strong>die</strong> Voraussetzungen und Möglichkeiten von KMU angepasst, antizipiert<br />

<strong>die</strong> Vielfalt der Bedingungen und bietet deshalb nicht nur Anleitung zu einer systematischen<br />

Strategiearbeit, sondern lässt auch Zwischenstufen zu. Im Spannungsfeld zwischen<br />

den Besonderheiten und der Individualität von KMU auf der einen Seite und den<br />

allgemeinen Konzepten des Potenzial-Checks auf der anderen Seite wird ein Lernprozess<br />

im <strong>Unternehmen</strong> initiiert. In dessen Verlauf werden <strong>die</strong> allgemeinen Konzepte sukzessive<br />

kontextualisiert und angeeignet, eine unternehmensindividuelle Strategie entwickelt und<br />

eine geeignete Vorgehensweise herausgearbeitet.<br />

Die Erfahrungen mit der Strategiearbeit werden anhand ausgewählter Ergebnisse von<br />

Strategieberatungen in insgesamt 15 KMU dargelegt. Sie wurden im Zeitraum von Anfang<br />

2001 bis Mitte 2003 durchgeführt. Mit einer Ausnahme sind alle <strong>Unternehmen</strong> von den<br />

Eigentümern geführt. In der Mehrzahl der <strong>Unternehmen</strong> bewegt sich <strong>die</strong> Mitarbeiterzahl<br />

zwischen 40 und 60 Beschäftigten; das kleinste <strong>Unternehmen</strong> hat 5 und das größte 82<br />

Mitarbeiter. Die Firmen sind in einem breiten Spektrum verschiedenster Branchen angesiedelt,<br />

<strong>die</strong> vom Stahl- und Anlagenbau über Druck, Leder, Logistik, Baustoffhandel, Lack<br />

und Nahrungsmittel bis zum Garten- und Landschaftsbau reichen. Insgesamt gehören vier<br />

Firmen zum Dienstleistungsbereich, <strong>die</strong> Mehrzahl aber sind produzierende <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Davon sind vier Chargenproduzenten, <strong>die</strong> sich durch eine „kundenindividuelle Massenproduktion“<br />

auszeichnen 125 ; <strong>die</strong> anderen fertigen vorwiegend Unikate und Kleinstserien.<br />

Aus Gründen des Datenschutzes und der Vertraulichkeit werden Namen und sensible<br />

betriebliche Daten herausgenommen oder verfremdet.<br />

Im Fokus der folgenden Darstellung stehen strategische Aktivitäten der <strong>Unternehmen</strong> im<br />

engeren Sinne. Erfahrungen und Vorschläge zur Gestaltung der konkreten Umsetzung<br />

125 Vgl. hierzu Pine, B.J.: Mass Customization, Boston 1993<br />

187


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

von Maßnahmen werden hier ausgespart und in einer späteren Veröffentlichung unterbreitet.<br />

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass <strong>die</strong> Beherrschung der Finanzen als eine der<br />

Kernaufgaben des <strong>Unternehmen</strong>s natürlich <strong>die</strong> entsprechende Berücksichtigung im<br />

Potenzial-Check findet, aber nicht im Zentrum <strong>die</strong>ses Beitrages stehen soll (was es für ein<br />

<strong>Unternehmen</strong> heißen kann, <strong>die</strong> finanztechnischen Gegebenheiten nicht hinreichend zu<br />

berücksichtigen, wurde im Kapitel 8.3 „Praktische Beispiele gescheiterter und erfolgreicher<br />

Früherkennung“ nachdrücklich gezeigt). Es soll angemerkt werden, dass der Autor<br />

<strong>die</strong>ses Beitrages zugleich als Berater <strong>die</strong> Strategiearbeit mit den <strong>Unternehmen</strong> durchführte.<br />

126<br />

10.2 Die Herausforderung<br />

� Ein neues strategisches Denken und Handeln ist gefordert<br />

Eines der grundlegenden Probleme von <strong>Unternehmen</strong> besteht darin, <strong>die</strong> Zukunft nicht<br />

vorhersagen zu können oder gar, im extremsten Fall, mit einer prinzipiellen Unprognostizierbarkeit<br />

von Markt-, Kunden- und Wettbewerbsstrukturen konfrontiert zu sein. Diese<br />

Schwierigkeiten werden durch eine zunehmende Intransparenz, Dynamik, Diskontinuität<br />

und Vielfalt der relevanten Bedingungen im <strong>Unternehmen</strong>sumfeld und dem <strong>Unternehmen</strong><br />

noch gesteigert. Die Leitung von <strong>Unternehmen</strong> ist deshalb einem hohen Maß an<br />

Unsicherheit bei gleichzeitiger Forderung nach Führung, Vorgaben und Planungssicherheit<br />

ausgesetzt. Persönliche Grenzen werden erreicht und es wächst <strong>die</strong> Einsicht, dass<br />

eine veränderte, intensivere Beschäftigung mit Zukunfts- und Überlebensfragen des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s dringend notwendig ist.<br />

Strategische <strong>Unternehmen</strong>sführung findet zwar in jedem <strong>Unternehmen</strong> statt, häufig jedoch<br />

in einer vorwiegend impliziten, intuitiven Form. Demgegenüber will der Begriff strategisches<br />

Management strategisches Denken und Handeln explizit bewusst machen,<br />

rationalisieren und <strong>die</strong> Entwicklung von <strong>Unternehmen</strong> gezielt gestalten. Aufgegriffen werden<br />

Themen, <strong>die</strong> als überlebenswichtig für <strong>die</strong> Entwicklung des <strong>Unternehmen</strong>s nach<br />

außen zur Umwelt und nach innen zu sich selbst angesehen werden.<br />

Im Unterschied zu Modellen der Totalplanung, <strong>die</strong> davon ausgehen, <strong>die</strong> Entwicklung von<br />

<strong>Unternehmen</strong> könne vollumfänglich gesteuert werden oder zu Annahmen, nach denen <strong>die</strong><br />

Entwicklung von <strong>Unternehmen</strong> prinzipiell unsteuerbar ist und nur ein Durchwursteln bleibt,<br />

wird hier eine dritte Sichtweise favorisiert: Strategieentwicklung als geplante Evolution127.<br />

Dabei <strong>die</strong>nt eine grob gerasterte, konzeptionelle Gesamtsicht des <strong>Unternehmen</strong>s zur<br />

Steuerung der einzelnen <strong>Unternehmen</strong>sschritte und jeder konkrete Schritt hat wiederum<br />

Auswirkungen auf <strong>die</strong> Gesamtsicht und führt zu deren Modifikation und Konkretisierung.<br />

Wohin <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sentwicklung letztlich geht bleibt offen.<br />

126<br />

Diese Arbeit ist entstanden im Rahmen des Verbundvorhabens „Instrumente zur Etablierung<br />

kundenindividueller Geschäftsmodelle in der Chargenindustrie“, gefördert vom Projektträger PFT,<br />

Projekträgerschaft Produktion und Fertigungstechnologie des Bundesministeriums für Bildung und Forschung;<br />

Förderkennzeichen 02PD1161.<br />

127<br />

Vgl. dazu Kirsch, W.: Wegweiser zur Konstruktion einer evolutionären Theorie der strategischen Führung.<br />

München 1997<br />

188


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Die beteiligten Akteure lernen im Prozess aus ihren Erfahrungen und gewinnen Rückschlüsse<br />

für ihre weiteren Vorgehensweisen. In dem fortlaufenden kollektiven Lernprozess<br />

werden Ideen generiert, geprüft und durch Erfahrungen bestätigt oder revi<strong>die</strong>rt.<br />

Dieser Prozess bewegt sich im Spannungsfeld von deduktiv abgeleiteten Ideen und<br />

induktiv gewonnener Erfahrung sowie top-down-Planungen und bottom-up-Initiativen. In<br />

einer solchen erweiterten Sicht sind strategische Aktivitäten nun nicht mehr eine exclusive<br />

Aufgabe der betrieblichen Führung, sondern sie werden vielmehr zur betrieblichen<br />

Gemeinschaftsaufgabe. Eine lebendige, erfolgreiche Strategie besteht nicht nur aus<br />

Analysieren und Planen, sondern auch aus Umsetzen, Prüfen und Korrigieren und bedarf<br />

weit mehr als ausschließlich Managementaktivitäten: Für eine solche umfassenden Perspektive<br />

steht der Begriff „Strategiearbeit“.<br />

� KMU haben eine eigene Handlungslogik<br />

KMU sind anders<br />

Viele Aktivitäten einer professionellen <strong>Unternehmen</strong>sgestaltung in KMU folgten und folgen<br />

der Prämisse „lernt von den Großen und übertragt deren Konzepte auf <strong>die</strong> Kleinen“. Bei<br />

all <strong>die</strong>sen Ansätzen ist man jedoch mehr oder weniger schnell auf schier unüberwindbare<br />

Hindernisse gestoßen: in KMU sind nicht nur <strong>die</strong> finanziellen und personellen Ressourcen<br />

knapp und lediglich ein begrenzter Zugriff auf externe Finanzierungsquellen möglich, sondern<br />

es fehlt auch an Experten und systematisierten, im <strong>Unternehmen</strong> verbreiteten Planungs-<br />

und Regelsystemen. So scheiterten beispielsweise Bemühungen Controllingsysteme<br />

wie <strong>die</strong> Balanced Scorecard oder fortschrittliche Entgeltsysteme einzuführen schon<br />

daran, dass in der Regel keine Kennzahlen vorhanden sind. Ferner ist in der Mehrzahl der<br />

Betriebe weder ein Konzept zur Personalentwicklung und Weiterbildung noch zum Innovations-<br />

und Wissensmanagement erkennbar, elaborierte Konzepte zur Früherkennung<br />

von Chancen und Risiken sind weitgehend unbekannt und auch das strategische Management<br />

ist als unzureichend zu kennzeichnen.<br />

Während im skizzierten Defizit-Modell den KMU vorwiegend Schwächen zugewiesen<br />

werden, gesteht ihnen eine andere Perspektive eine eigene Handlungslogik zu. Damit<br />

eröffnen sich völlig neue Möglichkeiten ihrer Beurteilung. So werden KMU folgende wesentliche<br />

Eigenschaft zugeschrieben: Sie sind ausgeprägt kundenorientiert, können aufgrund<br />

der zentralen Position des Eigentümers und des übersichtlichen Führungssystems<br />

sehr schnell Entscheidungen treffen und besitzen im Unterschied zu den Großbetrieben<br />

eine geringere Arbeitsteilung und eine damit einhergehende geringe Expertendichte in<br />

unterstützenden Bereichen. In der Konsequenz sind <strong>die</strong> Leitungstätigkeiten multifunktional<br />

und ein ansonsten verteiltes Wissen ist auf wenige Köpfe zentriert. Insgesamt ist <strong>die</strong><br />

Integration verschiedener Wissensgebiete in den einzelnen Köpfen sehr ausgeprägt und<br />

<strong>die</strong> Schlüsselintegratoren des Wissens sind weniger explizite, theoriebegründete Strukturen,<br />

als vielmehr implizite, arbeitsbedingte Erfahrungen.<br />

Es ist vor allem <strong>die</strong>se stille, sich im Arbeitshandeln einzelner betrieblicher Personen und<br />

Gruppen vollziehende Wissenserzeugung und -integration <strong>die</strong> erklären kann, warum KMU<br />

nur aus ihrer eigenen Handlungslogik begriffen werden können. Gefordert ist damit nicht<br />

nur ein Wandel der Denkweisen, sondern auch <strong>die</strong> Entwicklung anderer, KMU-geeigneter<br />

Methoden und Instrumente. Da das Lernen in der Arbeit <strong>die</strong> zentrale Aneignungsform ist<br />

189


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

und große Teile des Wissens implizit sind, sollte sich das Augenmerk verstärkt auf dazu<br />

passende Möglichkeiten der Erfahrungsreflexion und Wissensintegration richten.<br />

geringe<br />

Expertendichte/<br />

vielfältige<br />

Aufgaben/ breites<br />

Wissen<br />

knappe zeitliche<br />

und finanzielle<br />

Ressourcen<br />

geringe<br />

Arbeitsteilung/<br />

Hand in in Hand<br />

arbeiten/ Lernen<br />

in in der Arbeit<br />

Bild 73: Zentrale Merkmale von KMU<br />

zentrale Stellung<br />

des Inhabers/<br />

übersichtliche<br />

Führung/ schnelle<br />

Entscheidungen<br />

190<br />

Nötig sind geeignete Konzepte,<br />

Werkzeuge und Standards zur<br />

Unterstützung von:<br />

• Erfahrungsreflexionen und<br />

Lernen<br />

• Beteiligung und Verantwortungsdelegation<br />

• Kommunikation und Information<br />

• effiziente Prozesse, pdca-Zyklen<br />

• Effektivität und <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

KMU sind eigen<br />

Jedes <strong>Unternehmen</strong> hat seine eigene Herkunft, Kultur und Organisation, durchläuft eine<br />

bestimmte Phase s<strong>eines</strong> Lebenszyklus, steckt in einer spezifischen Markt- und Wettbewerbssituation<br />

und ist dementsprechend individuell zu behandeln: es gibt keinen onebest-way.<br />

Während <strong>die</strong> Eigenheit jedes KMU´s ein gegebenes Faktum ist, gilt <strong>die</strong>s für den Begriff<br />

der <strong>Einzigartigkeit</strong> nicht. <strong>Einzigartigkeit</strong> muss vielmehr erarbeitet werden. Wie insbesondere<br />

<strong>die</strong> Krisenerfahrungen der letzten Jahre zeigten, ist es für KMU existenzbedrohend,<br />

wenn es ihnen nicht gelingt sich in ihren Märkten durch besondere, dem Kunden nützliche<br />

und durch Konkurrenten schwer kopierbare und damit einzigartige Leistungen zu unterscheiden.<br />

Diese setzen entwickelte Kernkompetenzen bzw. eine einmalige Kombination<br />

verschiedener Wissensgebiete voraus. Wissenserzeugung ist wiederum <strong>die</strong> Quelle aus<br />

der sich <strong>die</strong> Kompetenzen speisen - und <strong>die</strong> Art der Wissenserzeugung und -integration<br />

hat in KMU einen ganz besonderen Charakter - wie oben skizziert.<br />

Es geht also bei der strategischen Arbeit mit KMU nicht nur darum ihre gegebene Eigenheit<br />

zu akzeptieren und zu berücksichtigen, sondern darüber hinaus ganz gezielt zu fördern.<br />

Ersteres heißt, nicht mehr alle Firmen über einen einzigen Leisten zu schlagen und<br />

nach scheinbar allgemeingültigen Regeln zu gestalten und letzteres bedeutet <strong>die</strong> Ausrichtung<br />

auf einzigartige Leistungen.


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

10.3 <strong>Unternehmen</strong>sindividuelle Strategiearbeit initiieren und<br />

verankern<br />

� Der Potenzial-Check: Ein Weg zur systematischen Strategiearbeit in KMU<br />

Das Werkzeug<br />

Der Potenzial-Check ist ein Werkzeug für KMU zur Ausarbeitung und Verankerung einer<br />

zukunftsorientierten, unternehmensindividuellen Strategie. Er umfasst sowohl einen Leitfaden<br />

für <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sanalyse als auch Handlungsanweisungen für eine sach- und<br />

situations-gerechte Vorgehensweise und unterstützt ein Mitlernen der Beteiligten. Partizipation<br />

und Konsensorientierung sichern das Verständnis, <strong>die</strong> Akzeptanz und <strong>die</strong> aktive<br />

Mitwirkung der Beschäftigten. Darüber hinaus begreift der Potenzial-Check strategische<br />

Aktivitäten nicht als Einmal-Veranstaltung, sondern als einen zyklischen Prozess von<br />

Analyse, Zielbestimmung, Planung, Umsetzung und Ergebniskontrolle oder, anders gesagt,<br />

als einen beständigen Lern- und Gestaltungsprozess. In <strong>die</strong> Ausgestaltung des<br />

Instrumentes wurde also <strong>die</strong> Umsetzung und <strong>die</strong> Verankerung der Strategiearbeit im<br />

<strong>Unternehmen</strong> mit hinein gedacht.<br />

Die zentrale Methode ist der leitfaden- und visualisierungsgestützte Dialog. Dabei werden<br />

zunächst <strong>die</strong> leistungsbestimmenden internen und externen Faktoren entfaltet, ausgeleuchtet<br />

und bewertet, danach in der <strong>Unternehmen</strong>sstrategie und notwendigen Verbesserungserfordernissen<br />

überschaubar verdichtet und auf der Grundlage der gemeinsamen<br />

Orientierung entsprechende Maßnahmen abgeleitet und initiiert. Der inhaltliche Fokus<br />

liegt auf der Erarbeitung von Strategien, <strong>die</strong> einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil sichern.<br />

Dies bedeutet zweierlei: Zum einen nicht nur „Jedermanns-Kompetenzen“ zu<br />

besitzen, sondern wenigstens auf einem Gebiet, das für <strong>die</strong> Kunden wesentlich ist, besser<br />

zu sein als <strong>die</strong> Wettbewerber; <strong>die</strong> Andersartigkeit sichert <strong>die</strong> Effektivität (das Richtige tun).<br />

Zum anderen heißt es, den besten <strong>Unternehmen</strong> möglichst ähnlich zu sein; <strong>die</strong>s sichert<br />

<strong>die</strong> Effizienz (etwas richtig tun). <strong>Einzigartigkeit</strong> liegt nun in der Balance von Ähnlichkeit<br />

und Andersartigkeit.<br />

Hervorzuheben ist, dass <strong>die</strong> Inhalte und <strong>die</strong> Vorgehensweise des Potenzial-Checks nur<br />

ein Vorschlag oder eine Anregung sein können. Sie sind immer an <strong>die</strong> jeweiligen Eigenheiten<br />

und <strong>die</strong> spezifischen Problem- und Zielstellungen des <strong>Unternehmen</strong>s anzupassen.<br />

Die Vorgehensweise: Strategien entwickeln, umsetzen und verankern<br />

Nach den notwendigen Vorbereitungen seitens des Beraters und der <strong>Unternehmen</strong>sleitung<br />

wie einem orientierenden Betriebsrundgang, der Sichtung ausgewählter Dokumente<br />

und der Absprache der Vorgehensweise schlägt der Potenzial-Check ein dreistufiges<br />

Vorgehen vor, wie das Bild 74 darlegt:<br />

191


Ziel:<br />

Ablauf:<br />

Ergebnis:<br />

Workshop I<br />

„Bestandsaufnahme“<br />

<strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>spotenziale<br />

einschätzen<br />

<strong>die</strong> Stärken und Schwächen des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s mit Hilfe des<br />

Leitfadens feststellen<br />

ƒ komplexe betriebliche<br />

Abläufe und das<br />

Innovationsgeschehen sind<br />

erkannt und bewertet<br />

ƒ <strong>die</strong> Ergebnisse sind<br />

dokumentiert und visualisiert<br />

Bild 74: Die drei Stufen der Strategieentwicklung<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Workshop II<br />

„Positionierung“<br />

<strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>spotenziale<br />

darstellen<br />

auf der Grundlage der Bestandsaufnahme<br />

<strong>die</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>sstrategie<br />

ausarbeiten und <strong>die</strong><br />

Verbesserungserfordernisse<br />

ableiten<br />

ƒ <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sstrategie<br />

ist formuliert und <strong>die</strong><br />

Verbesserungserfordernisse<br />

sind festgehalten<br />

ƒ <strong>die</strong> Ergebnisse sind<br />

dokumentiert und visualisiert<br />

Dauer: 1 Tag 1 Tag 1 Tag<br />

Beteiligte: Geschäftsführung / 1 Berater Geschäftsführung / 1 Berater<br />

übergeordnetes<br />

Ziel:<br />

Das Bild verdeutlicht <strong>die</strong> Ziele, <strong>die</strong> Inhalte, das Ergebnis, <strong>die</strong> Dauer und <strong>die</strong> Beteiligten<br />

jeder einzelnen Stufe sowie deren Abfolge. Der Potenzial-Check verfolgt das ehrgeizige<br />

Ziel, den Prozess der Stärken-Schwächen-Analyse, <strong>die</strong> Erarbeitung der <strong>Unternehmen</strong>sstrategie,<br />

der Bestimmung von Verbesserungsbereichen, <strong>die</strong> Festlegung und Initiierung<br />

von Maßnahmen einschließlich der Beteiligung von Schlüsselmitarbeitern, in nur drei Arbeitstagen<br />

zu bewältigen. Da jede Stufe mit einem brauchbaren, konkreten Ergebnis abschließt,<br />

können <strong>Unternehmen</strong> nach Bedarf eine, zwei oder alle drei Stufen wählen. So<br />

zeigte <strong>die</strong> Erfahrung mit den 15 KMU, dass ein Teil der <strong>Unternehmen</strong> zunächst allein den<br />

Workshop I „Bestandsaufnahme“ als „Schnuppertag“ vereinbarte und erst danach <strong>die</strong><br />

nächsten beiden Stufen. Im folgenden werden <strong>die</strong> Inhalte und <strong>die</strong> Vorgehensweise jeder<br />

einzelnen Stufe detailliert ausgeführt.<br />

Workshop I und II: „Bestandsaufnahme und Positionierung“<br />

Eingedenk der meist knappen Ressourcen und der in der Regel herausragenden Rolle<br />

des Unternehmers in KMU, ist bei den ersten zwei Workshops allein <strong>die</strong> oberste Führung<br />

einbezogen - <strong>die</strong>s sind erfahrungsgemäss zumeist ein bis zwei Leitungspersonen. Die<br />

Arbeit wird durch einen Berater unterstützt. Aufgabe des Workshop I ist eine leitfadenorientierte<br />

Bestandsaufnahme der internen und externen Leistungsbedingungen des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s. Die zentralen Ergebnisse werden ausgearbeitet, im Leitfaden dokumentiert<br />

und <strong>die</strong>nen als Arbeitsgrundlage des Workshops II „Positionierung“. In <strong>die</strong>sem werden<br />

<strong>die</strong> Ergebnisse nun sukzessive nochmals geprüft und parallel dazu mit Hilfe der<br />

Metaplantechnik <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sstrategie ausgearbeitet und Verbesserungserfordernisse<br />

festgehalten. In einem Prozess des Sortierens, Zuordnens, Überprüfens und Korrigierens<br />

schälen sich allmählich <strong>die</strong> relevanten Aspekte von Strategie und Verbesserungen<br />

heraus und verdichten sich zu einer Gesamtstrategie und dazu gehörigen Verbesserungsthemen.<br />

192<br />

Workshop III<br />

„Beteiligung“<br />

<strong>die</strong> Umsetzung einleiten<br />

<strong>die</strong> Führungskräfte über <strong>die</strong><br />

Bestandsaufnahme und<br />

Positionierung informieren; <strong>die</strong><br />

Ergebnisse gemeinsam<br />

überprüfen und Maßnahmen<br />

festlegen<br />

ƒ <strong>die</strong> Schlüsselmitarbeiter sind<br />

informiert und zu Akteuren<br />

des Geschehens geworden,<br />

ƒ kritische Maßnahmen,<br />

Verantwortlichkeiten und<br />

Zeitfenster sind bestimmt<br />

und dokumentiert.<br />

Geschäftsführung /<br />

Führungskräfte / 1 Berater<br />

einen Prozess der systematischen Strategieentwicklung, -umsetzung und –überprüfung implementieren


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Angemerkt werden soll, dass der zweitägige intensive Dialog mit der <strong>Unternehmen</strong>sführung<br />

eine Doppelfunktion aufweist: Er erbringt nicht nur eine Fülle von strategierelevanten<br />

Informationen, sondern <strong>die</strong>nt den Unternehmern zugleich als eine der dünn gesäten<br />

Gelegenheit zu einem Austausch über eine Vielzahl ihnen persönlich wichtiger Themen<br />

im Feld <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Darstellungstechnisch soll zunächst allein <strong>die</strong> Arbeit mit dem Leitfaden weiter veranschaulicht<br />

werden. Die anderen oben erwähnten Aktivitäten zur weiteren Ausarbeitung<br />

der Strategie werden im Rahmen des Workshops III „Beteiligung“ dargelegt. Zunächst zu<br />

den Erfolgsvoraussetzungen und den Rollen der Beteiligten bei der Bestandsaufnahme.<br />

Diskurs<br />

Geschäftsführer:<br />

Fragen beantworten,<br />

<strong>Unternehmen</strong>ssituation skizzieren;<br />

(Erfahrung, Offenheit,<br />

selbstkritische Haltung)<br />

Berater:<br />

Fragen stellen,<br />

Antworten festhalten,<br />

Gespräch moderieren;<br />

(Erfahrung,<br />

Konzeptwissen)<br />

Leitfaden:<br />

<strong>die</strong> 5 Basismodule<br />

als Orientierung und<br />

Gesprächsleitlinie<br />

Bild 75: Erfolgsvoraussetzungen und Rollen der Beteiligten<br />

Das Bild 75 verdeutlicht, dass eine erfolgreiche Bestandsaufnahme den gelungenen<br />

Dialog zwischen Führungspersonen und Berater voraussetzt. Dieser gründet wiederum in<br />

der Offenheit und selbstkritischen Haltung der Führungspersonen, einer<br />

situationsangemessenen Gesprächsführung des Beraters und in der wechselseitigen,<br />

kritischen Würdigung des komplementären Wissens der Gesprächspartner. Letztlich gilt<br />

aber, dass ohne eine hinreichende Vertrauensbasis alle Bemühungen in den Misserfolg<br />

führen (für weitere Ausführungen zu <strong>die</strong>sem Aspekt siehe <strong>die</strong> Erläuterungen zu Bild 77<br />

„Beschäftigtenzahl“ weiter unten).<br />

Die dritte Erfolgsvoraussetzung ist der Leitfaden. Er wird Schritt für Schritt durchgearbeitet<br />

und leitet <strong>die</strong> Teilnehmer durch das „Dickicht“ strategierelevanter Themen des überkomplexen<br />

Systems <strong>Unternehmen</strong>. Der Leitfaden strukturiert den Dialog, regt das Denken an<br />

und <strong>die</strong>nt zur parallelen Dokumentation der Gesprächsergebnisse. Das Bild 76 zeigt <strong>die</strong><br />

Inhalte des Leitfadens im Überblick.<br />

193


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Bild 76: Die Inhalte der Basismodule<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

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Der Leitfaden zur Bestandsaufnahme der <strong>Unternehmen</strong>spotenziale besteht aus fünf Modulen,<br />

<strong>die</strong> Schritt für Schritt im Dialog von Geschäftsführung und Berater durchgearbeitet<br />

werden. Modul A reflektiert, dass <strong>Unternehmen</strong> eine Herkunft haben, <strong>die</strong> auch Gegenwart<br />

und Zukunft beeinflusst; Modul B stellt <strong>die</strong> schwierige Aufgabe, einen Blick in mögliche<br />

Zukünfte zu wagen; Modul C befasst sich mit unternehmerischen Kernaufgaben; Modul D<br />

mit Erfolgsfaktoren von Innovationen und Modul E fordert eine zusammenfassende Bewertung<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s, angelehnt an das Excellence-Modell der EFQM (European<br />

Foundation of Quality Management). 128 Je nach der Fragestellung des <strong>Unternehmen</strong>s<br />

können einzelne Module herausgelassen oder ausgewählt werden.<br />

Der Leitfaden kann als ein integriertes Konzept-, Modell- und Methodentableau beschrieben<br />

werden, mit dem in vergleichsweise kurzer Zeit alle zukunftsrelevanten Potenziale<br />

des hoch-komplexen Systems <strong>Unternehmen</strong> zu erfassen und zu bewerten sind (das Bild<br />

74 „Die drei Stufen der Strategieentwicklung“ weiter oben zeigte auf, dass der Workshop I<br />

„Bestandsaufnahme“ wie auch <strong>die</strong> anderen beiden Workshops nicht länger als einen Tag<br />

dauert). Neben arbeits- und sozialwissenschaftlichen Aspekten beinhaltet der Leitfaden<br />

betriebswirtschaftliche und managementwissenschaftliche Schwerpunkte und Elemente.<br />

Das Tableau ist so konstruiert, dass <strong>die</strong> zentralen Inhalte wie z.B. „Kundenorientierung“<br />

aus der Perspektive mehrerer Konzepte und Modelle betrachtet und analysiert werden.<br />

Die bewusste partielle Redundanz <strong>die</strong>nt einerseits der inhaltlichen Vertiefung, andererseits<br />

soll dadurch das Verstehen und das Denken im Analysegespräch gefördert werden.<br />

Der Gesprächsleitfaden ist nicht wie ein klassischer Fragebogen aufgebaut. Vielmehr sind<br />

farblich bebilderte und gestaltete Charts <strong>die</strong> Grundlage des Gesprächs und der Doku-<br />

128 Vgl. EFQM: Die grundlegenden Konzepte der EFQM und ihr Nutzen, 1999<br />

194


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

mentation. Diese Form der Visualisierung fördert wiederum das Verstehen und Denken im<br />

Gespräch.<br />

Einige ausgewählte Aspekte bzw. Charts aus der Bestandsaufnahme mehrerer <strong>Unternehmen</strong><br />

sollen einen Einblick in den Charakter des Leitfadens geben.<br />

A.1 Beschäftigtenzahl<br />

A.1 Beschäftigtenzahl<br />

Bestimmen Sie zunächst <strong>die</strong> Funktionsgruppen und <strong>die</strong> jeweilige, aktuelle Mitarbeiteranzahl. Tragen Sie dann <strong>die</strong> Beschäftigtenzahlen<br />

der letzten Jahre ein und geben Sie eine Zukunftsprognose. Nennen Sie <strong>die</strong> Hintergründe der Entwicklungen.<br />

Funktionsgruppen/Anzahl: a) Lagerverwalter (2) b) Lagerpersonal (9��) c) Disposition (4��)<br />

d) Fahrer (5) e) Konfektion (10��) f) Buchhaltung (1)<br />

g) Sicherheit / Technik (1)<br />

55-60<br />

Bild 77: Beschäftigtenzahl<br />

46 45<br />

46<br />

48<br />

40<br />

42<br />

41<br />

40<br />

35-40<br />

37<br />

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34<br />

34<br />

30<br />

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27<br />

195<br />

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1<br />

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1990 91 92 93 94 95 96 97 98 99 2000 ´01 ´02 ´03 ´04 ´05 ´06 ´08 ´09<br />

�������<br />

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Historie Ist Prognose<br />

Fragen: Wie werden sich <strong>die</strong> Funktionsgruppen zukünftig entwickeln? Wie ist <strong>die</strong> Altersstruktur?


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Bild 77 verdeutlicht, wie der Unternehmer am Beispiel der Beschäftigtenzahl im „Blick<br />

zurück nach vorn“ deren Entwicklung reflektiert, entscheidende Faktoren vergegenwärtigt,<br />

Wendepunkte markiert und seine teilweise weitreichenden Entscheidungen skizziert. So<br />

zeigt sich als Konsequenz von Vorkommnissen wie einer temporären Sättigung des<br />

Marktes <strong>eines</strong> Hauptkunden, dem Verlust von wichtigen Kunden wie dem Autopflegemittelhändler<br />

und einem weiteren <strong>Unternehmen</strong> oder der fehlenden Baugenehmigung zur<br />

Erweiterung von Lagerhallen, direkte Konsequenzen in der Beschäftigtenzahl: sie nimmt<br />

nämlich ab. Im Kontrast dazu resultiert aus Erfolgen wie der Akquisition <strong>eines</strong> großen<br />

Catering-Kunden oder der endlich vorliegenden Baugenehmigung ein konkreter und für<br />

<strong>die</strong> weitere Zukunft antizipierter Anstieg der Beschäftigtenzahlen. Das Chart sagt also<br />

auch aus, dass es sich um ein <strong>Unternehmen</strong> mit Wachstumsabsichten handelt.<br />

Über <strong>die</strong> oben skizzierten Inhalte hinaus zeigte sich, dass <strong>die</strong> Vergegenwärtigung und<br />

Auseinandersetzung mit der <strong>Unternehmen</strong>svergangenheit konstituierend wichtig für das<br />

gemeinsam zu erarbeitende Verständnis der Lage des <strong>Unternehmen</strong>s ist. Darüber hinaus<br />

eignet sich das Thema Erfahrung und Vergangenheit in der Regel als hervorragender<br />

Eisbrecher zu Beginn des Gesprächs: <strong>die</strong> Rekonstruktion der Historie von <strong>Unternehmen</strong><br />

(<strong>die</strong> häufig eng mit der Biographie des Unternehmers verwoben ist) schafft nicht nur Einsicht,<br />

sondern auch Nähe - und ohne Nähe als einer Vorbedingung für Vertrauen, ist ein<br />

offener Diskurs überlebenswichtiger, sensibler, strategischer Themen mit einem zunächst<br />

fremden, im günstigen Fall empfohlenen Berater schwerlich möglich.<br />

196


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Wirtschaftlicher<br />

Bereich<br />

� Stärke der<br />

Konkurrenz<br />

� Marktpotenzial<br />

� Preissituation<br />

� Ersatzprodukte/<br />

-<strong>die</strong>nstleistungen<br />

� VolkswirtschaftlicheEinflussgrößen<br />

Organ./techn.<br />

Bereich<br />

� Entwicklung<br />

der internen<br />

Verfahren<br />

� Entwicklung<br />

der Produkte/<br />

Dienstleistungen<br />

Soziologischer<br />

Bereich<br />

� Bevölkerungsstruktur<br />

� Verbrauchergewohnheiten<br />

Politischer<br />

Bereich<br />

� Gesetzliche<br />

Regelungen<br />

Sonstige<br />

Faktoren<br />

Bild 78: Früherkennung<br />

Absatzmarkt<br />

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Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

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B.1 B.1 Früherkennung von von wichtigen Entwicklungen auf auf den den Absatz- und und Faktormärkten<br />

(vgl. (vgl. A1, A1, A2, A2, A3, A3, A4, A4, A6) A6)<br />

Einsatzgütermarkt<br />

(Lieferanten)<br />

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Frage: Betreibt Ihr <strong>Unternehmen</strong> eine systematische Früherkennung?<br />

Durch <strong>die</strong> Arbeit mit dem Chart „Früherkennung“ sollen absehbare und/oder mögliche<br />

Zukunftsentwicklungen in den Absatz- und Faktorenmärkten vorhergesagt werden. Die zu<br />

prognostizierenden Entwicklungen beziehen sich vor allem auf <strong>die</strong> Bereiche Wirtschaft,<br />

Technologie, Organisation, Gesellschaft und Politik sowie <strong>die</strong> Zukunftsfähigkeit des <strong>Unternehmen</strong>s<br />

und wurden am Beispiel des Logistik-<strong>Unternehmen</strong>s „ODC“ wie folgt ausgeführt:<br />

Die Geschäftsführung von ODC rechnet für <strong>die</strong> nächsten fünf Jahre damit, dass das<br />

Marktpotenzial zwar gleich bleibt, <strong>die</strong> Preise aber fallen werden. Welche Konsequenzen<br />

<strong>die</strong> EU-Osterweiterung haben wird, ist noch nicht ganz klar. Dieser Markt muss im weiteren<br />

streng beobachtet werden. Die Konkurrenz wird insgesamt zunehmen, da z.B. klassische<br />

Logistiknutzer wie <strong>die</strong> chemische Industrie zukünftig zu Logistikanbietern werden.<br />

Insgesamt werden sich aber <strong>die</strong> etablierten Konkurrenten bei hohen Marktzugangsbarrie-<br />

197<br />

Arbeitsmarkt<br />

(Mitarbeiter)<br />

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Kapitalmarkt<br />

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Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

ren halten. Aufgrund der skizzierten Tendenzen und einem anhaltenden Trend zu individuellen<br />

und ganzheitlichen Leistungen, sieht ODC seine Zukunftschancen vor allem in<br />

zusätzlichen Angeboten zur Konfektionierung gelagerter Produkte und im Ausbau des<br />

Segments mittelständischer Kunden.<br />

Wegen des zunehmenden Umweltbewusstseins geht ODC davon aus, dass durch Gesetzesverschärfungen<br />

mehr Stoffe als bisher zu Gefahrstoffen deklariert werden und<br />

zugleich höhere Zugangsbarrieren zum Gefahrstoffmarkt entstehen. Neben <strong>die</strong>sen von<br />

ODC für <strong>die</strong> eigene Position positiv eingeschätzten Tendenzen entsteht aber auch aller<br />

Wahrscheinlichkeit nach eine neue Konkurrenz aus dem Ausland. Diese könnten andere,<br />

weniger restriktive gesetzliche Regelungen zu Billigangeboten nutzen.<br />

Eine Abnahme der Gefährlichkeit der Produkte aufgrund von Auflagen des Gesetzgebers<br />

wird nur wenig Auswirkungen auf das Geschäft von ODC haben. Einstellen muss sich<br />

ODC aber darauf, dass in der Zukunft Gefahrstoffe voraussichtlich vermehrt auf der<br />

Schiene transportiert werden und LKW´s deren regionale Verteilung übernehmen. Deswegen<br />

plant ODC seine Lagerkapazitäten im Gefahrstoffbereich und Serviceangebote<br />

(wie Konfektionierung) auszubauen. Technische Neuerungen werden primär im Bereich<br />

von neuen Gefahrstoff-EDV- und Barcode-Systemen gesehen. ODC ist zur Zeit dabei<br />

entsprechende Systeme zu implementieren.<br />

Von Seiten der Lieferanten erwartet ODC trotz Konzentrationsprozessen keine gravierenden<br />

Veränderungen für das eigene Geschäft. Bzgl. der Mitarbeiterqualifikation befürchtet<br />

ODC, dass sie zukünftig geringer wird. Zwar geht das <strong>Unternehmen</strong> davon aus, auch in<br />

Zukunft eine hinreichende Zahl benötigter Mitarbeiter aus dem Fundus Arbeitsloser<br />

schöpfen zu können, sieht aber <strong>die</strong> Notwendigkeit einer forcierten Aus- und Weiterbildung<br />

auf sich zu kommen. Da sich <strong>die</strong> Zugangsvoraussetzungen für <strong>die</strong> Kreditaufnahme erhöhen,<br />

antizipiert ODC auch im Bankenbereich neue Schwierigkeiten und Anstrengungen.<br />

Festzuhalten ist, das k<strong>eines</strong> der beteiligten 15 KMU eine irgendwie geartete, systematisierte<br />

und dokumentierte Früherkennung betreibt. Ebenso sah es so gut wie k<strong>eines</strong> der<br />

<strong>Unternehmen</strong> als sinnvoll an, einen Zeitraum von mehr als 5 Jahren zu überschauen.<br />

KMU denken und planen eher kurzfristig, im allerbesten Fall mit einer mittelfristigen Perspektive.<br />

Längerfristige Trends (>5 Jahre) spielen in ihren Zukunftsantizipationen eine<br />

geringe Rolle. Dieses Faktum gilt es bei der Suche nach sowohl zukunfts- als auch KMUgerechten<br />

Formen der Strategiearbeit mit zu bedenken (siehe dazu unten im Kap. 10.5<br />

„Schlussfolgerungen“, Abschnitt: „3. Stufe: konzeptgeleitete Revision“).<br />

198


Kundenorientierung<br />

Nr. Kunden/<br />

Kundengruppen<br />

Bild 79: Kundenzufriedenheit<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

C.4 Kundenzufriedenheit einschätzen (vgl. A5, C1)<br />

Geben Sie <strong>die</strong> Zufriedenheit Ihrer wichtigsten Kunden/Kundengruppen an (Erheben Sie<br />

systematisch Kundeninfos?).<br />

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Kundenzufriedenheit<br />

niedrig mittel hoch sehr hoch<br />

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Mit Hilfe <strong>die</strong>ses Charts schätzen <strong>die</strong> Leitungspersonen <strong>die</strong> Zufriedenheit ihrer Kunden<br />

bzw. Kundengruppen in einem ersten Überblick ein. Dabei werden bewusst strenge Maßstäbe<br />

für <strong>die</strong> Bewertung der Unzufriedenheit, Zufriedenheit und Begeisterung angelegt.<br />

Diese fordern zu einer selbstkritischen Einschätzung auf und erzeugen <strong>die</strong> notwendige<br />

Sensibilität für <strong>die</strong> zentrale Aufgabe der Kundenpflege und Neukundengewinnung.<br />

• Unzufriedenheit: Die selbstverständlichen Leistungen werden zwar erbracht, jedoch<br />

ist <strong>die</strong> wahrgenommene <strong>Unternehmen</strong>sleistung geringer als <strong>die</strong> erwartete Leistung.<br />

Die Gefahr den Kunden zu verlieren ist sehr groß.<br />

199<br />

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Fragen:<br />

� Wer sind Ihre Gesprächspartner im Kundenunternehmen?<br />

� Worin unterscheiden sich neue vs. erfahrene Kunden?<br />

� Worin unterscheiden sich zufriedene vs. begeisterte Kunden?<br />

� Anteil Stammkunden? Weiterempfehlung? Positive Rückmeldungen? Auszeichnungen?<br />

Beschwerden? Garantiekosten? Rückgesandte Lieferungen?


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

• Zufriedenheit: Die Wahrnehmung der Kunden im Vergleich von Preis und Leistung<br />

entspricht den Erwartungen. Sie stehen dem <strong>Unternehmen</strong> aber eher gleichgültig<br />

gegenüber und können daher im Prinzip jederzeit abwandern.<br />

• Begeisterung: Ein hohes Maß an Zufriedenheit liegt dann vor, wenn <strong>die</strong> vom Kunden<br />

gesetzten Erwartungen übertroffen werden, bzw. nicht erwartete Leistungen geboten<br />

werden. Begeisterte Kunden weisen <strong>die</strong> höchste Bindung auf und sind <strong>die</strong> besten<br />

Werber; sie empfehlen den Lieferanten und seine Leistung weiter.<br />

Die abfallende Kurve vom begeisterten über den zufriedenen zum unzufriedenen Kunden<br />

weist auf <strong>die</strong> Gefahr hin, dass aus zufriedenen Kunden schnell unzufriedene werden können.<br />

Es sei denn, das <strong>Unternehmen</strong> arbeitet kontinuierlich an der Verbesserung seiner<br />

Kundenorientierung: Kundenzufriedenheit und Kundenbindung sind kein Zustand, sondern<br />

ein Prozess.<br />

Das <strong>Unternehmen</strong>sbeispiel zeigt, dass zwei Kundengruppen als begeistert eingeschätzt<br />

werden, eine als hoch zufrieden und drei lediglich als gerade noch zufrieden. Bei letzteren<br />

besteht <strong>die</strong> akute Gefahr, sie in nächster Zeit zu verlieren. Das <strong>Unternehmen</strong> hat aus den<br />

Ergebnissen der Bewertung bereits Konsequenzen gezogen und Maßnahmen wie verbesserte<br />

Marktstu<strong>die</strong>n und Information, Reorganisationen und Weiterbildung sowie Verbesserungen<br />

von Produkten und Serviceleistungen eingeleitet.<br />

Der Workshop III: „Beteiligung“<br />

Zentrale Ziele der dritten Stufe sind <strong>die</strong> Information und Einbeziehung der Schlüsselmitarbeiter<br />

(bzw. des erweiterten Führungskreises) und <strong>die</strong> Ableitung und Initiierung von notwendigen<br />

Verbesserungsaktivitäten. Dazu stellt <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sleitung zunächst wichtige<br />

Ergebnisse des Leitfadens als Einführung in das Thema vor. Danach skizziert sie den<br />

Vorschlag zur <strong>Unternehmen</strong>sstrategie und leitet anschließend zur Darlegung der Verbesserungserfordernisse<br />

über. Der Berater moderiert den Workshop und hält <strong>die</strong> relevanten<br />

Diskussionsergebnisse mittels Metaplantechnik fest. Im gelungenen Fall werden <strong>die</strong> „Vorschläge<br />

von oben“ und <strong>die</strong> „Anregungen von unten“ gleichberechtigt aufgegriffen, an den<br />

zentralen <strong>Unternehmen</strong>szielen gespiegelt und im Konsens entweder befürwortet oder<br />

verworfen.<br />

Da bisher lediglich <strong>eines</strong> der 15 <strong>Unternehmen</strong> Vorerfahrungen mit einer expliziten, partizipativen<br />

Strategiearbeit besaß, bedurfte es in der Mehrzahl der Fälle einer „Aufwärmphase“,<br />

bis <strong>die</strong> Mitarbeiter den Einstieg in eine Diskussion wagten. Er gelang aber in<br />

jedem Fall über <strong>die</strong> konkreten, von den Praktikern leicht nachvollziehbaren Verbesserungserfordernisse.<br />

Ist das Eis erst einmal gebrochen, werden auch strategische Implikationen<br />

als ehemalige Domäne der Geschäftsführung zunehmend in <strong>die</strong> Diskussion einbezogen,<br />

nachgefragt und auch modifiziert. Aber im Kern drehten sich <strong>die</strong> Gedanken der<br />

Mitarbeiter weiter um <strong>die</strong> ihnen näher stehenden Verbesserungserfordernisse und <strong>die</strong><br />

daraus abzuleitenden Maßnahmen. Ein stärkeres Gewicht strategischer Themen im<br />

betrieblichen Dialog bedarf <strong>eines</strong> längerfristigen Lern- und Veränderungsprozesses von<br />

Einstellungen, Kompetenzen, Kultur, Strukturen und Prozessen in Richtung ermächtige<br />

Mitarbeiter, gezielte Information und insgesamt einer lernenden Organisation.<br />

200


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Der Workshop ist abgeschlossen, wenn alle Beteiligten mit dem Gesamtergebnis einverstanden<br />

sind, Verantwortlichkeiten für <strong>die</strong> Maßnahmenumsetzung und weitere Planungen<br />

festgelegt wurden und jedem Beteiligten klar ist, wie der angestoßene Prozess weiter<br />

verläuft. Die parallel zur Diskussion festgehaltenen Ergebnisse <strong>eines</strong> Beteiligungsworkshops<br />

sollen anhand <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>sbeispiels verdeutlicht werden.<br />

� Der Potenzial-Check im Firmenbeispiel<br />

Das <strong>Unternehmen</strong>sbeispiel „AKRA“<br />

Das <strong>Unternehmen</strong>, seine Ziele und Potenziale<br />

Das im folgenden mit dem Namen „AKRA“ bezeichnete <strong>Unternehmen</strong> ist ein inhabergeführtes<br />

Stahlbau-<strong>Unternehmen</strong> im Einzugsbereich <strong>eines</strong> großindustriellen Ballungsraums.<br />

Das <strong>Unternehmen</strong> besteht seit ca. fünf Jahren und wuchs in <strong>die</strong>ser Zeit von ehemals 29<br />

auf heute 41 Mitarbeiter. Die Kernkompetenzen, also <strong>die</strong> Fähigkeiten, <strong>die</strong> einen zusätzlichen<br />

Kunden-nutzen erbringen, von Wettbewerbern deutlich schlechter beherrscht werden<br />

und den potenziellen Zugang zu einer Vielzahl von Märkten eröffnen, liegen bei<br />

AKRA in folgendem Leistungsensemble:<br />

• der Erfahrung und Qualifikation der Mitarbeiter im Umgang mit sehr groß dimensionierten<br />

Produkten und Spezialstählen,<br />

• der Kombination einer Vielfalt technischer Verfahren einschließlich der großzügigen<br />

Halle mit Krananlagen und dem gut ausgestatteten, robusten Maschinenpark,<br />

• teamförmigen Strukturen, <strong>die</strong> eine schnelle Reaktion auf Kundenwünsche in Herstellung<br />

und Service mit hoher Effizienz verbinden.<br />

Nicht nur für AKRA, sondern für alle 15 KMU war charakteristisch, dass ihre Kernkompetenzen<br />

nicht aus einzelnen, isolierten Fähigkeiten resultieren (z.B. einer bestimmten<br />

Technologie), sondern vielmehr aus einer langjährig gewachsenen Gefügeleistung verschiedenster,<br />

grundlegender Leistungsfaktoren. Sie sind eine koordinierte Ganzheit aus<br />

Technologien, know-how, Organisation, Anlagen und Räumlichkeiten etc.<br />

Im Kern ging es für AKRA zum Zeitpunkt des Potenzial-Checks darum, vom Anbieter<br />

einer sehr breit gestreuten Produktpalette in vielen verschiedenen Marktsegmenten zum<br />

Komplettanbieter ausgewählter Produkte und Leistungen in lukrativen Märkten zu werden.<br />

Es galt Märkte zu erproben, Kunden zu akquirieren, das Engineering und <strong>die</strong> gemeinsame<br />

Entwicklungsarbeit mit Kunden auszubauen und insgesamt <strong>die</strong> Kernkompetenzen als<br />

Produktionsspezialist weiter zu entwickeln und mit einem Netzwerk von komplementären<br />

Zulieferern zu ergänzen. Das Motto hieß: „AKRA entwickelt sich in den nächsten drei Jahren<br />

vom Bauchladen zum spezialisierten Komplettanbieter mit vertiefter Wertschöpfung“.<br />

Dies verdeutlicht das Strategieschema in der folgenden Abbildung.<br />

201


eite Palette von<br />

Aktivitätsfeldern<br />

Konzentration<br />

der Aktivitätsfelder<br />

Bild 80: Die Entwicklungsstrategie von AKRA<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

„Bauchladen“<br />

viele „Pufferprodukte“<br />

AKRA<br />

0 X 0 X X 0 0 X 0 X 0 0<br />

Märkte erproben<br />

Kunden akquirieren<br />

auf Kernkompetenzen<br />

orientieren<br />

insbesondere:<br />

– Engineering<br />

– Entwickeln mit Kunden<br />

AKRA<br />

0 0 0 0<br />

X X X X X<br />

0 0 0<br />

Zulieferer Zulieferer<br />

Komplettanbieter<br />

Netzwerkkoordinator<br />

Produktionsspezialist<br />

mit vertiefter Wertschöpfung<br />

Die Ergebnisse des Beteiligungsworkshops<br />

Auf der Grundlage der Vorarbeiten der Geschäftsführung im Workshop I und II wird im<br />

Beteiligungsworkshop gemeinsam mit dem erweiterten Führungszirkel (im Falle von<br />

AKRA 10 Mitarbeitern aus allen Bereichen einschließlich Betriebsrat) <strong>die</strong> Strategie und <strong>die</strong><br />

Verbesserungshinweise weiter ausgearbeitet und in einem Maßnahmenplan konkretisiert.<br />

Ergebnis sind vier große, mittels Metaplantechnik ausgearbeitete Papierbahnen. Auf der<br />

ersten sind <strong>die</strong> Kernsätze zur <strong>Unternehmen</strong>sstrategie festgehalten, auf den nächsten<br />

beiden <strong>die</strong> Verbesserungshinweise geordnet nach den Bereichen Prozesse, Lernen / Mitarbeiter,<br />

Kunden und Finanzen (in Anlehnung an das Schema der Balanced<br />

Scorecard)129 und auf der letzten der Maßnahmenplan. Beispielhaft werden im folgenden<br />

<strong>die</strong> Verbesserungsbereiche „Kunden und Finanzen“ sowie der Maßnahmenplan von<br />

AKRA dargelegt.<br />

129 Kaplan, S., Norton D.: Balanced Scorecard. Stuttgart 1997<br />

202<br />

2002<br />

2005


��������<br />

Liquidität sichern<br />

Förderprogramme<br />

nutzen<br />

Bereiche<br />

prioritäre<br />

Geschäftsfelder:<br />

-Maschinenbau<br />

-Behälter/Apparate<br />

-Dienstleistungen<br />

1. Kunden<br />

bewerten<br />

Technik<br />

(Betrieb)<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Auftragsabwicklung<br />

Dienstleistungen<br />

=>Effektivität prüfen<br />

2. Konzepte<br />

entwickeln<br />

Bild 81: Verbesserungsbereiche von AKRA, Ausschnitt „Kunden und Finanzen“<br />

Im Bereich „Finanzen“ ging es bei AKRA um <strong>die</strong> zentrale Frage, <strong>die</strong> Liquiditätssicherung<br />

nicht aus den Augen zu verlieren. Zwar bestand keine akute Gefährdung, da <strong>die</strong> Liquiditätsreserve<br />

als hinreichend eingeschätzt wurde, aber im kommenden Jahr galt es bei<br />

Außenständen, großen Kundenaufträgen mit hoher Vorleistung und größeren Investitionen<br />

genau zu rechnen. Als eine Möglichkeit zusätzlicher finanzieller Unterstützung seiner<br />

Innovationsvorhaben, wollte AKRA verstärkt Förderprogramme der öffentlichen Hand nutzen.<br />

In konsequenter Umsetzung des <strong>Unternehmen</strong>sziels Komplettanbieter ausgewählter Produkte<br />

in lukrativen Märkten zu werden, sah AKRA seine primären Aufgabe in der systematischen<br />

Kundenakquisition in ausgewählten Geschäftsfeldern wie Maschinenbau,<br />

Behälter- und Apparatebau und Dienstleistungen. Neben Hinweisen auf <strong>die</strong> Notwendigkeit,<br />

<strong>die</strong> Kunden mehr zu schulen und zu informieren ging es zentral darum, mittelfristig<br />

den Vertrieb anforderungsgerecht auszubauen. Dazu sollte mit einer Kundenanalyse im<br />

Segment Maschinenbau begonnen und darauf aufbauend ein Konzept zur Gestaltung der<br />

Kundenbeziehung entwickelt und umgesetzt werden. Wenn alle <strong>Unternehmen</strong>sbereiche<br />

203<br />

Wir brauchen Zeit für<br />

Kundenakquisition<br />

3. Konzepte<br />

umsetzen<br />

������<br />

-Akquisition Aufträge<br />

- Montage<br />

-Reparatur<br />

-AUG<br />

-Schulung für Kunden<br />

-gläserne Fabrik<br />

Kunden über<br />

Kostenpositionen<br />

aufklären/ Folgekosten<br />

mittelfristig Vertrieb<br />

ausbauen<br />

(Diversifizierung)<br />

Kundenanalyse<br />

„Maschinenbau“<br />

(bisher diffus) alle Bereiche müssen<br />

dazu beitrage<br />

Wertungskriterien<br />

erarbeiten<br />

Systematisch<br />

Kundeninfo´s sammeln<br />

und bewerten<br />

differenzierte Sicht und<br />

Behandlung für Kunden<br />

entwickeln<br />

Differenziertes Konzept<br />

für Akquisition<br />

erarbeiten<br />

gezielte Aktionen zur<br />

Kundenansprache<br />

Akquisition<br />

persönl.<br />

Kundenkontakte<br />

aufbauen<br />

direkte Kundenkontakte<br />

aufbauen - keine<br />

„Durchlauferhitzer“<br />

Marketing durch<br />

Mitarbeiter beim<br />

Kunden<br />

mehr Recherchen<br />

über Auftragsabläufe/<br />

Kundensicht<br />

Kunden Kompetenz<br />

von AKRA aufzeigen<br />

(müssen) können


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

ihren Beitrag wie abgesprochen leisten, sieht AKRA gute Chancen den Plan erfolgreich zu<br />

realisieren.<br />

Nr. <strong>Was</strong> Wer bis Wann Rückmeldung<br />

1 Projektablauf prüfen und verbessern � planen H. Meier 28 KW<br />

2 Erfahrungsaustausch mit Hersteller und Schweißer H. Müller bis 33 KW<br />

3 Zielvereinbarung / Weiterqualifizierung � Überblick / Matrix H. Schmidt 26. KW<br />

4 Aktion Ordnung und Sauberkeit in der Produktion planen<br />

Bild 82: Maßnahmenplan von AKRA<br />

H. Müller<br />

(Schmitz/Meier)<br />

Im Maßnahmenplan von AKRA finden sich <strong>die</strong> angesprochenen Verbesserungsthemen<br />

wieder. Zum einen wurden kleinere, unmittelbar umsetzbare Aktivitäten wie <strong>die</strong> Aktion<br />

„Sauberkeit und Ordnung“, der „Erfahrungsaustausch der Schweißer mit dem Hersteller“<br />

oder das „Sammeln der Abweichberichte“ bestimmt. Ihre Realisierung verspricht unmittelbare<br />

Erfolge und so eine Stärkung der Motivation von Beteiligten. Diese kleineren Maßnahmen<br />

wurden k<strong>eines</strong>wegs willkürlich ausgewählt, sondern Hauptkriterium war neben<br />

der einfachen Umsetzbarkeit, dass sie in ihrer Wirkung <strong>die</strong> strategische Orientierung von<br />

AKRA unterstützten. Andere Vorhaben wie <strong>die</strong> „Verbesserung des Projektablaufes“ oder<br />

„Neukunden im Maschinenbau“ sind überlebenswichtige Initiativen, <strong>die</strong> sich nicht neben<br />

der Alltagsarbeit her bewältigen lassen, sondern Projektcharakter besitzen. Sie bedürfen<br />

zusätzlicher zeitlicher, personeller und finanzieller Ressourcen und einer systematischeren<br />

Vorbereitung, Planung, Durchführung und Kontrolle.<br />

Der Maßnahmenplan benennt auch verantwortliche Personen und Personengruppen.<br />

Dies sind zum einen <strong>die</strong> „Kümmerer“, <strong>die</strong> als Treiber für <strong>die</strong> Umsetzung fungieren. Zum<br />

anderen werden, soweit nicht schon vorhanden, Gremien benannt, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> regelmäßige<br />

und bedarfsweise Diskussion und Entscheidung wichtiger Fragestellungen<br />

zuständig sind. Dies ist im Falle von AKRA ein bereits bestehendes „Führungs-Team“ für<br />

bereichsübergreifende Fragestellungen und eine „Produktionsbesprechung“ für den Fertigungsbereich.<br />

Diese Gremien sind für <strong>die</strong> weitere Planung, Koordination und <strong>die</strong> Ergebnisprüfung<br />

von Aktivitäten in ihrem Verantwortungsbereich zuständig.<br />

Die nächsten Schritte - Planung, Umsetzung und Revision<br />

Mit der Formulierung von Maßnahmen und der Festlegung von Verantwortlichkeiten,<br />

Terminen und Lenkungsgremien wird <strong>die</strong> Maßnahmenumsetzung eingeleitet. Damit endet<br />

204<br />

Ende 20. KW<br />

5 Qualität sicher stellen: planen (Qualitätszirkel) H. Müller Ende 22 KW<br />

zu 1 Abweichungsberichte sammeln<br />

6<br />

7<br />

Zuständigkeiten der Geschäftsfelder in Angebotsphase +<br />

Kundenzuordnung<br />

Projekt Neukunden Maschinenbau a) Sofortmaßnahmen<br />

b) Systematik/Konzept<br />

H. Meier<br />

(alle)<br />

26. KW<br />

H. Schmidt 20. KW<br />

(Müller/Meier)<br />

H. Schmidt<br />

Team Sitzung<br />

29 KW<br />

Kom.-Besprechung<br />

27 KW<br />

Team-Sitzung<br />

23. KW<br />

Kom-Besprechung<br />

21. KW<br />

Kom-Besprechung<br />

23.KW<br />

Team-Sitzung<br />

27 KW<br />

Team-Sitzung<br />

21 KW<br />

Ende 22 KW Team-Sitzung 23. KW


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

der Potenzial-Check im engeren Sinne. Mit der Umsetzung stehen <strong>die</strong> Beschäftigten nun<br />

vor einer Vielfalt von Aufgaben, <strong>die</strong> sie sukzessive bewältigen müssen. Möglichkeiten und<br />

Wege sie dabei zu unterstützen werden in einer geplanten Veröffentlichung zum Thema<br />

Projektmanagement dargelegt. Strategische Diskussionen sind aber keine Einmalveranstaltung,<br />

sondern müssen in angemessenen Zeiträumen wiederholt werden - in turbulenten,<br />

uneinsichtigen Märkten und Umfeldern des öfteren, in stabileren, durchschaubareren<br />

weniger häufig. Deshalb beinhaltet der Potenzial-Check auch einen Vorschlag zur Prüfung<br />

und Weiterentwicklung der <strong>Unternehmen</strong>sstrategie. Dies verdeutlicht Bild 83:<br />

konzeptgeleitet<br />

Revision<br />

Strategie umfassend<br />

prüfen und anpassen,<br />

Verbesserungsbereiche<br />

identifizieren<br />

kritische Maßnahmen<br />

initiieren<br />

konzeptgeleitet<br />

Bild 83: Die lernende Strategie<br />

Erstmaliger Potenzial-Check<br />

Stärken/Schwächen einschätzen<br />

Strategie ausarbeiten<br />

Verbesserungsbereiche identifizieren<br />

kritische Maßnahmen initiieren<br />

Bestandsaufnahme/<br />

Zwischenrevision<br />

Strategie u. Maßnahmen<br />

prüfen, abgleichen und<br />

optimieren<br />

eingebettet<br />

Danach wird in einer abgestimmten Aufeinanderfolge von erstmaligem Potenzial-Check,<br />

Maßnahmenumsetzung, Zwischenrevision / Bestandsaufnahme und umfassender Revision<br />

<strong>die</strong> Maßnahmenumsetzung und <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sstrategie immer wieder geprüft<br />

und wenn erforderlich an neue Gegebenheiten angepasst. Mit anderen Worten ausgedrückt:<br />

es wird ein beständiger Optimierungszyklus nach dem Schema „Plan-Do-Check-<br />

Act“ (der sogenannte „P-D-C-A-Zyklus“) in Gang gesetzt und eine Lernspirale initiiert. Die<br />

im Bild 83 oben benutzten Begriffe „konzeptgeleitete“ und „eingebettete“ Strategiearbeit<br />

werden im folgenden Kapitel 10.3.3, Abschnitt „Von der konzeptgeleiteten zur eingebetteten<br />

Strategiearbeit: das Beispiel KREM“ erläutert.<br />

Es bleibt festhalten, dass nahezu alle <strong>Unternehmen</strong> mit dem Potenzial-Check und seiner<br />

systematischen, partizipativen Strategiearbeit Neuland betraten. Ihnen erschien der Vorschlag<br />

zwar erfolgversprechend, seine Brauchbarkeit für ihre Zwecke konnten sie natürlich<br />

erst wirklich beurteilen, als sie ihn im Prozess persönlich erlebt hatten. Danach waren<br />

sie mit der Vorgehensweise und den Ergebnissen zufrieden und bewerteten den Potenzial-Check<br />

einhellig als ein sehr gutes Instrument. Er sei anregend, klärend, orientierend,<br />

motivierend und Impulsgeber für eine Vielzahl von Veränderungsaktivitäten. War <strong>die</strong><br />

Methode einmal akzeptiert, wurden ohne weiter Umstände <strong>die</strong> Konsequenzen aus den<br />

gewonnenen Erkenntnissen gezogen: <strong>die</strong> schnelle Entscheidung und <strong>die</strong> Nutzung von<br />

Chancen ist eine der herausragenden Stärken von KMU.<br />

205<br />

Maßnahmen:<br />

planen,<br />

umsetzen,<br />

prüfen


� Formen der Strategiearbeit<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Trotz des Angebots <strong>eines</strong> firmenspezifischen Zuschnitts von Vorgehensweise und Leitfaden<br />

hielt sich <strong>die</strong> Mehrheit der 15 <strong>Unternehmen</strong> an den vorgeschlagenen Weg der dreistufigen<br />

Strategieerarbeitung, wie er beispielhaft für AKRA beschrieben wurde. Auch<br />

machte k<strong>eines</strong> von der Möglichkeit der Auswahl von Leitfadenmodulen Gebrauch. Lediglich<br />

vier <strong>Unternehmen</strong> wichen von dem Vorschlag des Potenzial-Checks aufgrund ihrer<br />

spezifischen Konstellation und aktuellen Problemstellungen in Teilen ab.<br />

So führten drei Firmen mit unterschiedlichen Begründungen nur <strong>die</strong> ersten beiden<br />

Workshops durch. Ein Unternehmer wollte sich lediglich seiner persönlichen strategischen<br />

Orientierung vergewissern; ein Zweiter explizierte und modifizierte zwar seine Strategie in<br />

großem Umfang, sah aber aufgrund der hierarchischen Grundstruktur der Firma zum jetzigen<br />

Zeitpunkt wenig Nutzen im Partizipationsworkshop; bei einem Dritten verfestigte<br />

sich im Rahmen der Diskussionen <strong>die</strong> latente Verkaufsabsicht - damit erübrigte sich der<br />

Workshop mit den Mitarbeitern; beim vierten <strong>Unternehmen</strong> standen neben einer einleitenden<br />

Darlegung der <strong>Unternehmen</strong>sziele deren Abstimmung mit den ganz persönlichen<br />

Zielen der Schlüsselmitarbeiter im Zentrum.<br />

Im folgenden geht es nun darum aufzuzeigen, welche Pfade <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> in ihrer<br />

weiteren praktischen Strategiearbeit einschlugen und welche Erfahrungen sie damit<br />

machten. Zwei exemplarische <strong>Unternehmen</strong>sbeispiele sollen <strong>die</strong>s verdeutlichen.<br />

Konzeptgeleitete Strategiearbeit: das Beispiel „STABA“<br />

Das <strong>Unternehmen</strong>, seine Ziele und Potenziale<br />

STABA ist ein inhabergeführtes <strong>Unternehmen</strong> im Bereich Anlagenbau und produziert Unikate<br />

und Kleinserien im Kundenauftrag. Es wurde vor 8 Jahren gegründet und wuchs von<br />

damals 30 bis auf 82 Beschäftigte im Jahre 2003. Seine Kernkompetenzen sieht STABA<br />

ähnlich wie AKRA in folgendem Leistungsensemble:<br />

• den Kompetenzen der Mitarbeiter, insbesondere im Bereich Schweißen<br />

einschließlich Zertifikaten,<br />

• den Synergien aus der engen Zusammenarbeit von Vertrieb, Engineering und<br />

Produktion,<br />

• dem abgestimmten Einsatz modernster Arbeitsmittel und Maschinen, geräumigen<br />

Hallen und passenden Krananlagen,<br />

• der Fähigkeit vielfältigste, kundenspezifische, komplette Systeme (Hard- und<br />

Software) aus einer Hand in vereinbarter Qualität und verabredetem Service zu<br />

günstigen Kosten herzustellen.<br />

STABA bietet als Systemhersteller eine umfassende Leistung an, will weiter wachsen und<br />

in längerfristiger Perspektive know how- und Kostenführer in seinen Märkten werden. In<br />

der Zusammenarbeit mit Zulieferern strebt STABA danach, alle kundensensiblen Leistungen<br />

soweit wie möglich selbst zu erbringen.<br />

Der erstmalige Potenzial-Check wurde Anfang 2001 durchgeführt und <strong>die</strong> erste und<br />

zweite Revision jeweils ca. ein Jahr später. Darüber hinaus führte der Berater mehrere<br />

206


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Workshops zur Initiierung und Planung von Umsetzungsaktivitäten durch. Zugleich <strong>die</strong>nten<br />

<strong>die</strong>se als Möglichkeit zu einer Bestandaufnahme der Umsetzungserfahrungen.<br />

Die erstmalige Durchführung des Potenzial-Checks<br />

Die erstmalige Durchführung des Potenzial-Checks Anfang 2001 machte deutlich, dass<br />

das <strong>Unternehmen</strong> vor einer doppelten Aufgabe stand. Es musste sowohl weiter daran<br />

arbeiten sich auf den angezielten Märkten zu etablieren und neue Kunden zu gewinnen<br />

als auch <strong>die</strong> interne <strong>Unternehmen</strong>sorganisation darauf abgestimmt auszubauen. Dies<br />

bedeutete nicht mehr und nicht weniger als <strong>die</strong> Umsetzung einer Vielzahl größerer und<br />

kleinerer Aktivitäten einschließlich der Etablierung <strong>eines</strong> passenden strategischen Managements.<br />

Neben kleineren, direkt von verantwortlichen Mitarbeitern umsetzbaren Maßnahmen,<br />

wurden auch mehrere umfassendere Vorhaben als Projekte definiert. Dies waren<br />

beispielsweise eine Reorganisation der Zusammenarbeit von Vertrieb und Konstruktion<br />

als prioritäre Aufgabe; ferner <strong>die</strong> Einführung <strong>eines</strong> systematischen Marketings und<br />

umfangreichere Qualifizierungsmaßnahmen als längerfristige Vorhaben.<br />

STABA hatte von vorneherein das Ziel, eine systematische Strategiearbeit im <strong>Unternehmen</strong><br />

zu verankern. Deshalb führte es alle drei Stufen des Potenzial-Checks wie vorgeschlagen<br />

durch. Mit Beendigung des 3. Workshops waren zwar alle Beteiligten schlauer<br />

als vorher, standen aber nun vor einem Berg an Arbeit, der nur schrittweise abzutragen<br />

war. Unter Berücksichtigung der gegebenen Ressourcen wurden mit Hilfe des Maßnahmenplans<br />

Aktivitäten festgehalten, priorisiert, terminiert und Verantwortlichkeiten<br />

bestimmt. Auswahlkriterien für aufwändigere Vorhaben waren: Strategiekonformität,<br />

Wichtigkeit und Dringlichkeit, Machbarkeit, Finanzierbarkeit und <strong>die</strong> Erzielung kurzfristiger,<br />

motivierender Erfolge. Kleinere Maßnahmen wurden in der Alltagsarbeit sofort umgesetzt.<br />

Sie mussten aber „in <strong>die</strong> richtige Richtung weisen“ bzw. im angezielten Ergebnis strategiekonform<br />

sein.<br />

Revisionen, Bestandsaufnahmen und Umsetzungsworkshops<br />

Im Rahmen <strong>eines</strong> Workshops zur Reorganisation der Zusammenarbeit von Vertrieb und<br />

Konstruktion ein halbes Jahr nach dem ersten Potenzial-Check, wurden <strong>die</strong> Teilnehmer<br />

bzgl. ihrer Umsetzungserfahrungen befragt. Tenor war, dass zwar vieles begonnen worden<br />

sei, aber bisher wenig umgesetzt werden konnte. Das Tagesgeschäft dominiere alles<br />

und ungeplante Sonderwünsche von Kunden kosteten viel Zeit. Es sei eine Überprüfung<br />

der Maßnahmeneffekte nötig und insgesamt gelte es <strong>die</strong> Rechenschaftspflicht der im<br />

Maßnahmenplan benannten verantwortlichen „Kümmerer“ einzufordern.<br />

Die Erfahrung, dass es einerseits ein wirklich großer Schritt ist systematisch eine Strategie<br />

zu entwickeln und Aktivitäten abzuleiten, andererseits aber eine völlig andere Sache<br />

sie umzusetzen, teilte STABA mit den anderen Firmen. Diese führten Gründe für das<br />

Scheitern oder Verschleppen von Aktivitäten an wie mangelnde Unterstützung der<br />

Geschäftsführung, unzureichende Koordination der Aktivitäten, kein Kostenplan, unklare<br />

Regelung der Leitung von Projekten, viel Streit im Team, keine regelmäßigen Besprechungen,<br />

keine klare Definition von Aufgaben, nachlassende Anfangsbegeisterung und<br />

einiges mehr.<br />

207


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Die weiteren Revisionen und Bestandsaufnahmen im Verlaufe der folgenden zwei Jahre<br />

zeigten, dass nach den skizzierten ersten Anlaufschwierigkeiten <strong>die</strong> Mehrheit der kleinen,<br />

im Kompetenzbereich der zuständigen Mitarbeiter liegenden Maßnahmen auch umgesetzt<br />

wurden. Es zeigte sich aber auch, dass einige größere Vorhaben nie soweit ge<strong>die</strong>hen,<br />

dass sie zu greifbaren Ergebnissen führten. Das <strong>Unternehmen</strong> hatte sich überfordert und<br />

in zu kurzer Zeit zu viele „Baustellen“ eröffnet. Es musste auf der einen Seite lernen, sich<br />

auf das unter den jeweils gegebenen Bedingungen Machbare zu beschränken zugleich<br />

aber auch feststellen, dass seine internen Kompetenzen und Regelungsmechanismen zur<br />

Steuerung größerer Reorganisationsprojekte verbesserungsbedürftig sind.<br />

Revisions-Experimente<br />

Die erste Strategierevision Anfang 2002 fand unter Beteiligung des gesamten erweiterten<br />

Führungsteams (12 Personen) der beiden Geschäftsführer und des Beraters statt und<br />

sollte nach der Planung einen Tag dauern. Obwohl <strong>die</strong> Veränderungen der strategischen<br />

Lage des <strong>Unternehmen</strong>s überschaubar waren und mit dem visualisierten Ergebnissen des<br />

ersten Potenzial-Checks eine diskussionsunterstützende Vorlage vorhanden war, zeigte<br />

sich sehr schnell, dass der angesetzte Zeitraum zu kurz war. Es dauerte nicht nur einen,<br />

sondern insgesamt zwei Tage, <strong>die</strong> strategisch wichtigen Aspekte hinreichend zu diskutieren<br />

und Veränderungen in den Charts des Leitfadens festzuhalten, Verbesserungserfordernisse<br />

festzustellen und Maßnahmen zu bestimmen.<br />

Damit waren natürlich <strong>die</strong> Möglichkeiten <strong>eines</strong> kleinen <strong>Unternehmen</strong>s überstrapaziert. Der<br />

Hauptgrund war in der ausgeprägt operativen Orientierung der Führungskräfte zu suchen.<br />

Sie interessierte weniger <strong>die</strong> strategische Situation des <strong>Unternehmen</strong>s als vielmehr <strong>die</strong><br />

Schwierigkeiten in ihrem Verantwortungsbereich. Die Alltagsprobleme verschütteten <strong>die</strong><br />

vorhandenen Ansätze einer übergreifenderen Perspektive immer wieder. Sicher ist für<br />

STABA, dass vor dem nächsten Versuch einer systematischen, gemeinsamen Strategieausarbeitung<br />

mit den Führungskräften noch ein längerer Lernprozess liegt. In den nächsten<br />

Jahren wird Strategieentwicklung weiterhin vorwiegend eine Sache der Geschäftsführung<br />

bleiben.<br />

Die zweite Revision Anfang 2003 wurde in der Konsequenz analog zur Vorgehensweise<br />

des ersten Potenzial-Checks durchgeführt: Die Geschäftsführung arbeitete unterstützt<br />

vom Berater im Rahmen <strong>eines</strong> eintägigen Workshops den Leitfaden durch, hielt <strong>die</strong> Veränderungen<br />

und Verbesserungserfordernisse fest und nutzte <strong>die</strong>se Vorlage in einem<br />

halbtägigen Beteiligungsworkshop mit den Führungskräften. Diese Vorgehensweise<br />

erbrachte für STABA <strong>die</strong> erwünschten Erfolge mit akzeptablem Aufwand.<br />

Strategie- und Werkzeuglernen<br />

Das missglückte Experiment einer gemeinschaftlichen Strategieentwicklung im erweiterten<br />

Führungskreis hieß aber k<strong>eines</strong>falls, dass bei den Beschäftigten kein Strategielernen<br />

stattfand. So konnte vom Berater im Rahmen der Begleitung von Umsetzungsaktivitäten<br />

sehr wohl ein zunehmender Bezug auf Fragen der Gesamtlage des <strong>Unternehmen</strong>s und<br />

seine Zielstellungen registriert werden. Zudem können Umsetzungsaktivitäten gezielt zur<br />

Reflektion der Einbindung einer Einzelmaßnahme in <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sstrategie genutzt<br />

208


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

werden. Hier findet sukzessive im Umsetzungsprozess ein Strategielernen der Beteiligten<br />

statt (auf <strong>die</strong>se Lernform wird unten im Firmenbeispiel „KREM“ weiter eingegangen).<br />

Den Nachweis für einen mehrfachen Lernprozess im <strong>Unternehmen</strong>, nämlich Strategieund<br />

Werkzeuglernen, liefert das Bild 84:<br />

Bild 84: Die Stufen der <strong>Unternehmen</strong>sreife von STABA<br />

209<br />

Legende:<br />

05/01<br />

05/01 aus Sicht 05/02<br />

05/02<br />

05/03


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Als Abschluss jeder Potenzialanalyse wird <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sreife nach den neun grundlegenden<br />

Konzepten von Excellence im Sinne der European Foundation of Qualitymanagement<br />

(EFQM) in einem Überblick bewertet .130<br />

Die insgesamt neun Konzepte „Ergebnisorientierung, Kundenorientierung, Führung und<br />

Zielkonsequenzen, Management mit Prozessen und Fakten, Mitarbeiterentwicklung und -<br />

beteiligung, Verbesserung und kontinuierliches Lernen, Innovation und Wissensaustausch,<br />

Aufbau von Partnerschaften und Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit“<br />

(ihre Operationalisierung ist in dem Bild 84 ausgeführt) werden dabei bzgl. des Grades<br />

der Systematik, Verbreitung, Integration und Transparenz in der Vorgehensweise, der<br />

Umsetzung, und der Ergebnisbewertung und -überprüfung eingeschätzt.<br />

Es wird für jedes Konzept gefragt: 131<br />

• ob das <strong>Unternehmen</strong> noch in den Anfängen steckt; also das Vorgehen, <strong>die</strong> Umsetzung,<br />

Bewertung und Überprüfung sporadisch, intransparent und wenig systematisch<br />

ist, aber das Problem erkannt wurde und erste Veränderungen eingeleitet sind,<br />

• ob das <strong>Unternehmen</strong> auf dem Weg ist; also das Vorgehen, <strong>die</strong> Umsetzung, Bewertung<br />

und Überprüfung wenigstens in Teilbereichen des <strong>Unternehmen</strong>s systematisch<br />

und transparent und mit anderen Aktivitäten verknüpft ist,<br />

• und ob das <strong>Unternehmen</strong> eine reife Organisation ist, also das Vorgehen, <strong>die</strong> Umsetzung,<br />

Bewertung und Überprüfung systematisch, transparent, integriert und im<br />

Gesamtunternehmen verankert sind.<br />

Das Bild 84 zeigt nun das Ergebnis der Einschätzungen der Geschäftsführung von<br />

STABA aus drei Strategieentwicklungs-Workshops der Jahre 2001, 2002 und 2003 und<br />

zusätzlich eine rückblickende Bewertung des <strong>Unternehmen</strong>s für das Jahr 2001 aus der<br />

Sicht von 2002. Während STABA nach Einschätzung der Geschäftsführung 2001 noch<br />

auf der Stufe der Anfänge steckt, befindet sich das <strong>Unternehmen</strong> im Jahr 2002 schon auf<br />

dem Weg zur Excellence. Lediglich beim „Aufbau von Partnerschaften“ hat sich das<br />

<strong>Unternehmen</strong> verschlechtert (<strong>die</strong> Ursache der Bewertung lag in schlechten Erfahrungen<br />

mit Zulieferern und einem Wunsch-Kooperationspartner mit komplementärem Leistungsprofil).<br />

Im Jahre 2003 befindet sich das <strong>Unternehmen</strong> in allen Konzepten auf dem Weg<br />

zur Excellence.<br />

Die Ausführungen verdeutlichen, dass sich das <strong>Unternehmen</strong> sukzessive in allen Konzepten<br />

wesentlich verbessert hat: es wurde umgestaltet und hat Strategie gelernt. Sie<br />

zeigen aber auch, dass <strong>die</strong> größten Sprünge am Anfang des Gestaltungsprozesses möglich<br />

waren. Danach werden <strong>die</strong> Schritte wesentlich kleiner bzw. <strong>die</strong> weitere Verbesserung<br />

wird immer schwieriger. Der Weg zur Excellence bedarf zwar erster, möglichst kurzfristiger,<br />

motivierender Erfolge. Er erfordert vor allem aber einen langen Atem und eine grö-<br />

130 Der hier benutzte Begriff von Excellence lehnt sich an das Modell der EFQM an, wurde aber um das<br />

Konzept „Innovation und Wissensaustausch“ ergänzt. Durch <strong>die</strong> Betonung des Innovationsthemas soll <strong>die</strong><br />

Orientierung auf <strong>die</strong> Effektivität („das Richtige tun“) gestärkt werden - im Unterschied zur bisher zumeist im<br />

Fokus der Wandlungsbemühungen stehenden Effizienzorientierung („etwas richtig tun“).<br />

131 Die Zehner-Skala (10% bis 100%) im oberen Teil des Bildes wurde zusätzlich aufgenommen, um dem<br />

Bedürfnis der betrieblichen Gesprächspartner nach einer stärkeren Differenzierung nachzukommen.<br />

210


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

ßere Ausdauer als <strong>die</strong> meisten <strong>Unternehmen</strong> zu Beginn ahnen (<strong>die</strong>s zeigt <strong>die</strong> Erfahrung<br />

von Reorganisationsprojekten).<br />

Hervorzuheben sind <strong>die</strong> Ergebnisse der Bewertung der Jahre 2001 und 2002 sowie <strong>die</strong><br />

rückblickende, nochmalige Einschätzung des Jahres 2001. Die Korrektur der erstmaligen<br />

Bewertung beim Blick von vorn zurück, also von 2002 auf 2001, ergab eine weit schlechtere<br />

Einschätzung der Ausgangssituation des <strong>Unternehmen</strong>s. Die Ursachen der veränderten<br />

Bewertung sind in einem mehrfachen Lernprozess zu suchen, indem sich STABA<br />

nicht nur tatsächlich verbesserte, sondern darüber hinaus eine realistischere Sicht der<br />

<strong>Unternehmen</strong>spotenziale erwerben und zugleich <strong>die</strong> Instrumenten- und Anwendungskenntnisse<br />

verbessern konnte. Schritt für Schritt im Wechsel von Gespräch und Tun, Planung<br />

und Umsetzung wurden <strong>die</strong> allgemeinen Konzepte des Leitfadens, sozusagen <strong>die</strong><br />

leere Form, durch den Kontext und <strong>die</strong> Ziele des <strong>Unternehmen</strong>s gefüllt, konkretisiert und<br />

selbst auch neu geformt - also <strong>die</strong> Theorie und der Leitfaden weiter entwickelt.<br />

Das Beispiel STABA steht dafür, dass <strong>die</strong> Bewertung von <strong>Unternehmen</strong> von der Einsicht<br />

und Reflektionsfähigkeit der Beteiligten abhängt, dass erste Einschätzungen häufig zu<br />

günstig ausfallen und dass es <strong>eines</strong> längeren Lernprozesses bedarf, eine realistischere<br />

Sichtweise des <strong>Unternehmen</strong>s zu erlangen. Im gelungenen Fall wird aber sowohl <strong>die</strong><br />

Entwicklung <strong>eines</strong> gemeinsamen Verständnisses, ein Mitlernen aller Beteiligten und <strong>die</strong><br />

Entwicklung von Können als auch <strong>die</strong> Weiterentwicklung des Leitfadens gefördert. Das<br />

sukzessive Strategie- und Werkzeuglernen ist eine Chance für das <strong>Unternehmen</strong> eine<br />

zunehmende Selbstständigkeit in der Strategiearbeit zu erlangen.<br />

Von der konzeptgeleiteten zur eingebetteten Strategiearbeit: das Beispiel „KREM“<br />

Das <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> Ziele und Potenziale<br />

Die Firma KREM ist ein inhabergeführtes Stahlbauunternehmen und mit 21 Mitarbeitern<br />

wesentlich kleiner als STABA und AKRA. Sie besteht seit Mitte der 90iger Jahre und ist<br />

als Herstellerin von Unikaten in einer Vielzahl verschiedener Marktsegmente tätig. Im<br />

Unterschied zu den anderen beiden oben dargestellten Stahlbaufirmen arbeitet <strong>die</strong> Mehrheit<br />

der Mitarbeiter im Engineeringbereich. KREM ist als ein Ingenieurbüro zu charakterisieren,<br />

dass sich auch eine Fertigung leistet. Die Kernkompetenzen liegen in folgendem<br />

Leistungsensemble:<br />

• der engen Verknüpfung von Engineeringleistungen mit Produktionsarbeit in den<br />

Projekten, um Qualität, Effizienz und vor allem das Lernen zu sichern,<br />

• der Qualifikation, Flexibilität und dem Engagement der Schlüsselmitarbeiter und<br />

der teamförmigen Projektarbeit,<br />

• dem Einsatz leistungsstarker, modernster Informationstechnologien im Engineeringbereich,<br />

• der Entwicklung und Pflege von <strong>Unternehmen</strong>snetzwerken, um alle Leistungen<br />

jederzeit in geforderter Qualität kostengünstig aus einer Hand anbieten zu<br />

können.<br />

211


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Die Firma KREM will in den nächsten Jahren wachsen und in den lukrativsten Märken<br />

neue Kunden gewinnen. Es bleiben jedoch alle bisher be<strong>die</strong>nten Marktsegmente erhalten,<br />

um Nachfrageschwankungen ausgleichen zu können. Dazu soll der Engineeringbereich<br />

erweitert, neue CAD-Systeme angeschafft, in Teilbereichen modulare Produktstrukturen<br />

entwickelt, <strong>die</strong> Teamarbeit und Projektprozesse stabilisiert, ein systematisches Marketing<br />

aufgebaut und das Zulieferernetzwerk geprüft, gepflegt und neue Partnerschaften erprobt<br />

werden. KREM achtet streng darauf, seine Wissenssouveränität und Eigenständigkeit zu<br />

erhalten.<br />

Erstmaliger Potenzial-Check: konzeptgeleitete Strategiearbeit<br />

Der erstmalige Potenzial-Check wurde Mitte 2001 durchgeführt. Er zeigte, dass KREM<br />

zwar ein <strong>Unternehmen</strong> ist, das sich im Markt bisher behaupten konnte, Ideen hat und eine<br />

klare Wachstumsperspektive besitzt, dass dazu aber eine Fülle von personellen, organisatorischen<br />

und technischen Verbesserungsaufgaben im internen und externen Bereich<br />

zu erfüllen sind. Dies wurde im Rahmen der Workshops I und II mit dem Unternehmer klar<br />

herausgearbeitet. Beide Workshops wurden wie im Potenzial-Check vorgeschlagen<br />

durchgeführt, der dritte mit den Schlüsselmitarbeitern aber aufgrund von Personalproblemen<br />

im Engineeringbereich in Zielen, Form und Inhalt abgewandelt.<br />

Im Workshop III erhielt jeder Beteiligte nach einer Vorstellung und Diskussion der ausgearbeiteten<br />

Strategie <strong>die</strong> Möglichkeit in Einzel- und Gruppenarbeit seine persönlichen<br />

Berufs- und Arbeitsziele auszuformulieren, mit den <strong>Unternehmen</strong>szielen abzugleichen<br />

und über Wege der Verknüpfung beider Zielstellungen zu diskutieren. Mit einem allgemeinen<br />

und einem persönlichem Maßnahmenplan und viel Arbeit für alle Beteiligten schloss<br />

der modifizierte Workshop ab.<br />

Revisionen, Bestandsaufnahmen und Maßnahmenumsetzung:<br />

eingebettete Strategiearbeit<br />

Im Unterschied zur von STABA praktizierten systematisierten, turnusmäßigen, vor den<br />

Einflüssen des Tagesgeschäfts abgeschirmten Strategieentwicklung in Form von<br />

Workshops, ergaben sich bei KREM andere Varianten der Strategiearbeit.<br />

1. Problemgebundener Strategiediskurs<br />

In den folgenden zwei Jahren nach dem erstmaligen Potenzial-Check, nutzten der Unternehmer<br />

und der Berater Termine zur Vorbereitung von Umsetzungsaktivitäten, um sich in<br />

gebotener Kürze (ein bis zwei Stunden) über neueste strategierelevante Entwicklungen in<br />

Märkten und dem <strong>Unternehmen</strong> auszutauschen. Der rote Faden der Gespräche ergab<br />

sich zum einen aus den Erfahrungen des Geschäftsführers mit wichtigen, aktuellen Veränderungen<br />

und deren Chronologie, zum anderen aus dem „Leitfaden“ im Kopf des Beraters.<br />

Die Ergebnisse wurden später in <strong>die</strong> Ergebnisdokumentation des ersten Potenzial-<br />

Checks eingearbeitet und gingen dem Unternehmer zu.<br />

Das Beispiel zeigt, dass es weniger um eine umfassende Betrachtung der Lage des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s ging, sondern vielmehr um ein „Auffrischen“ einzelner, für konkrete Probleme<br />

und Maßnahmen bedeutsame Aspekte der <strong>Unternehmen</strong>sstrategie. Metaphorisch<br />

gesprochen, sollte nicht <strong>die</strong> grundsätzliche Richtung des Kompasses geändert werden,<br />

sondern lediglich <strong>die</strong> Marschzahl um ein paar Striche korrigiert. Bedenkt man <strong>die</strong> Eigen-<br />

212


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

heiten von KMU ist es sicherlich nicht überraschend, dass der problemgebundene Strategiediskurs<br />

eine auch von anderen <strong>Unternehmen</strong> präferierte Vorgehensweise war. Sie ist<br />

ökonomisch, brauchbar und erfolgreich - zumindest solange, wie sich <strong>die</strong> Umfeldbedingungen<br />

oder Zielstellungen des <strong>Unternehmen</strong>s nicht grundlegend ändern.<br />

2. Situationsinduzierter Strategiediskurs<br />

Eine andere Variante der Strategiearbeit wurde auch schon oben beim <strong>Unternehmen</strong>sbeispiel<br />

STABA angesprochen (Abschnitt „Strategie- und Werkzeuglernen“). Dabei nutzte<br />

der Berater <strong>die</strong> konkreten Umsetzungsaktivitäten als Gelegenheit, den Mitarbeitern orientierende<br />

strategische Informationen zu vermitteln, <strong>die</strong> anstehenden Aktivitäten in <strong>die</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong>sstrategie einzubinden und miteinander über strategische Implikationen<br />

ihres aktuellen Planens und Tuns nachzudenken.<br />

3. Strategische Initiativen von unten<br />

Eine dritte Möglichkeit der Strategiearbeit zeigt das Beispiel <strong>eines</strong> Workshops, der von<br />

den Mitarbeitern explizit als Versuch initiiert wurde, eigenständige Vorschläge zur Verbesserung<br />

der <strong>Unternehmen</strong>sprozesse zu erarbeiten. Hintergrund war, dass <strong>die</strong> Geschäftsführung<br />

<strong>die</strong> Lösung aktueller betrieblichen Probleme primär im Bereich Personal- und<br />

Qualifikationsfragen vermutete, während <strong>die</strong> Mitarbeiter <strong>die</strong> Ursachen eher in der Arbeitsorganisation<br />

und bei den Zulieferern suchten. In <strong>die</strong>ser verfahrenen Situation sahen alle<br />

Beteiligten einschließlich der Geschäftsführung einen eigenständigen Mitarbeiter-Workshop<br />

als guten Weg an. Die Mitarbeiter sicherten sich <strong>die</strong> Unterstützung des Beraters für<br />

<strong>die</strong> Planung und Umsetzung ihres Vorhabens.<br />

In zwei je eintägigen Workshops wurden <strong>die</strong> wichtigsten Auftragsabläufe nach ihren Stärken<br />

und Schwächen analysiert, Lösungsvorschläge erarbeitet und notwendige Maßnahmen<br />

festgehalten. Zum Auftakt aber behandelten <strong>die</strong> Mitarbeiter mit Unterstützung des<br />

Beraters explizit strategische Themen. Sie machten sich <strong>die</strong> Wettbewerbssituation auf<br />

den Märkten klar und überprüften mittels Portfoliotechnik differenziert <strong>die</strong> Zufriedenheit<br />

der Kunden in den wichtigsten Marktsegmenten. Damit hatten sie nicht nur ein Leitlineal<br />

zur Bewertung ihrer Prozesse und zur Priorisierung von Maßnahmen, sondern auch einen<br />

Hintergrund für Vorschläge zur Positionierung des <strong>Unternehmen</strong>s und zur Gestaltung der<br />

Wertschöpfungskette. Die Mitarbeiter unternahmen also nicht nur eine Umsetzungs-, sondern<br />

auch eine strategische Initiative. Solchermaßen präpariert gingen sie in eine Sitzung<br />

mit dem Geschäftsführer und präsentierten ihre Workshopergebnisse. Die Vorschläge<br />

wurden akzeptiert und <strong>die</strong> schrittweise Umsetzung eingeleitet.<br />

Ein Zwischenfazit<br />

Die drei beschriebenen Varianten eingebetteter Strategiearbeit zeigen, dass weder <strong>die</strong><br />

strategische Diskussion im <strong>Unternehmen</strong> nur eine einzige Form aufweist und an einem<br />

einzigen Ort stattfinden kann noch, dass <strong>die</strong> konzeptgeleiteten Strategieworkshops mit<br />

der Geschäftsführung der allein mögliche Weg sind. Vielmehr hat eine erfolgversprechende<br />

Strategiearbeit ihren Platz an vielen Orten im <strong>Unternehmen</strong> und kann in vielen<br />

verschiedenen Formen stattfinden - einige Möglichkeiten wurden hier aufgezeigt. Deutlich<br />

geworden ist auch, dass <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sstrategie nicht zum Leben erweckt werden<br />

kann und eine leere Hülle bleibt, wenn es den <strong>Unternehmen</strong> misslingt, strategisches Denken<br />

und Handeln in <strong>die</strong> Umsetzung einzubinden und eine Vielzahl von Wegen für das<br />

213


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Entstehen und <strong>die</strong> Artikulation strategischer Initiativen zu öffnen. Mit anderen Worten: es<br />

geht nicht nur um eine systematische, explizite, gemeinschaftliche Entwicklung von Strategien,<br />

sondern auch um ihre Einbettung in <strong>die</strong> Umsetzung.<br />

Mit dem Begriff der Einbettung lässt sich auch <strong>die</strong> Arbeit des Beraters charakterisieren.<br />

Sie erschöpft sich nicht, wie vielfach üblich, allein in konzeptgeleiteten Aktivitäten zur<br />

Entwicklung der <strong>Unternehmen</strong>sstrategie (siehe das Bild 74: Die drei Stufen der Strategieentwicklung),<br />

sondern schließt auch Umsetzungsaktivitäten und <strong>die</strong> darin eingebundenen<br />

strategischen Diskurse ein - <strong>die</strong> oben ausgeführten Varianten strategischer Arbeit zeigten<br />

Möglichkeiten auf. In den gemeinsamen Lernprozessen wird für alle Beteiligten nicht nur<br />

ein vertieftes Verstehen interner und externer betrieblicher Zusammenhänge und strategischer<br />

Implikationen möglich, sondern auch <strong>die</strong> Entwicklung von Können im Umgang mit<br />

Werkzeugen gefördert (z.B. von Instrumenten zur Unterstützung von Analyse- und Planungsprozessen<br />

in Teams). Der Leitfaden des Potenzial-Checks erhält dabei eine weitere<br />

Funktion: er wird vom Instrument einer systematischen Analyse der <strong>Unternehmen</strong>spotenziale<br />

zum Werkzeugkasten für <strong>die</strong> eingebettete Strategiearbeit. Je nach Bedarf werden für<br />

einzelne Fragestellung passende Hilfen ausgewählt (wie Portfolios zum Einschätzen der<br />

Kunden- und Mitarbeiterzufriedenheit oder Charts zur Bestimmung von Kernkompetenzen).<br />

10.4 Kompetenzmuster von KMU<br />

Wie <strong>die</strong> Potenzialanalysen mit den 15 KMU ergaben, stehen alle Firmen vor großen Herausforderungen<br />

wie Wachstum in umkämpften Märkten, Entwicklung dazu passender<br />

interner Prozesse, systematisches Marketing, Aufbau von Lieferantennetzwerken und<br />

vieles mehr. Während im Fokus der bisherige Ausführungen das „WIE“ bzw. <strong>die</strong> Wege<br />

erfolgreicher Strategiearbeit standen, geht es im folgenden Abschnitt um das „WAS“, also<br />

<strong>die</strong> Kompetenzen der <strong>Unternehmen</strong>. Bisher wurde anhand der <strong>Unternehmen</strong>sbeispiele<br />

AKRA, STABA, und KREM ein Einblick in ihre Potenziale gegeben (siehe <strong>die</strong> skizzierten<br />

Strategien, Kernkompetenzen und Verbesserungsbereiche). Im folgenden soll vertiefter<br />

geklärt werden, auf welche Stärken <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> bei der Bewältigung der Gegenwarts-<br />

und Zukunftsanforderungen zurückgreifen können und wo ihre Schwachstellen<br />

liegen. Die Beantwortung <strong>die</strong>ser Fragestellung verspricht weitere Hinweise auf Entwicklungsbedarfe<br />

der <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Grundlage sind ausgewählte Ergebnisse der Potenzialanalysen in den 15 KMU. Dies sind<br />

zum einen <strong>die</strong> Einschätzung der <strong>Unternehmen</strong>sreife nach den neun Kernkonzepten von<br />

Excellence der EFQM (<strong>die</strong>se wurden bereits oben im Rahmen des <strong>Unternehmen</strong>sbeispiels<br />

STABA, Abschnitt „Strategie- und Werkzeuglernen“ im Detail erläutert), zum anderen<br />

ein Frageraster zur Bewertung des Innovationssystems (danach werden Fragen zu<br />

den Themen Marktpositionierung, Kooperation, Organisation, Führung/Management,<br />

Kommunikation/Information und Projektmanagement auf einer fünfstufigen Skala von sehr<br />

schwach bis sehr stark eingeschätzt). Beide Module des Leitfadens beschäftigen sich auf<br />

unterschiedliche Art und Weise mit wichtigen Aspekten excellenter <strong>Unternehmen</strong> und lassen<br />

so Quervergleiche zu. Die Einschätzung der <strong>Unternehmen</strong>sreife nach den neun<br />

Excellencekonzepten ist ein grobes Raster, erlaubt aber einen guten Überblick; dem-<br />

214


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

gegenüber lässt <strong>die</strong> Bewertung des Innovationssystems mit mehr als 30 Fragen differenzierende<br />

Aussagen für einige Teilbereiche zu.<br />

� Eine Bewertung im Überblick<br />

Wie sehen sich nun <strong>die</strong> 15 KMU im Lichte des Modells zur Bewertung von Excellence?<br />

Dazu das folgende Bild 85:<br />

Bild 85: Rangreihe der Excellence-Konzepte nach der Reifestufe der 15 KMU<br />

215


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Die Selbsteinschätzung der Unternehmer zeigt, dass k<strong>eines</strong> der KMU eine durchgängig<br />

„reife Organisation“ besitzt. Lediglich in einzelnen Konzepten werden von einigen <strong>Unternehmen</strong><br />

höchste Stufen der Excellence erreicht. Die übergroße Mehrheit aber ist im<br />

besten Falle „auf dem Weg“ zur Reife oder steckt bei einem Teil der Konzepte noch in<br />

den ersten „Anfängen“. Keine wesentlich besseren Ergebnisse erzielten aber auch <strong>die</strong> 77<br />

Bewerber um den Ludwig-Erhard-Preis der Jahre 1997 bis 2002. 132 Auch sie sind in ihrer<br />

Mehrzahl (52%) „auf dem Weg“, nur ein sehr geringer Teil (3%) erreicht erste Ansätze<br />

einer „reifen Organisation“ und der große Rest (45%) ist über „Anfänge“ nicht hinausgekommen.<br />

Sowohl <strong>die</strong> Ergebnisse der Excellence-Einschätzung der 15 KMU als auch der 77 Bewerber<br />

um den Ludwig-Erhard-Preis verweisen darauf, dass <strong>die</strong> EFQM ein sicherlich sehr<br />

anspruchsvolles Modell hat. Sie zeigen aber auch auf, dass nahezu alle bewerteten<br />

<strong>Unternehmen</strong> einen enormen Verbesserungsbedarf haben. Sie sind zwar in ihrer Mehrzahl<br />

„auf dem Weg“ zur Excellence aber noch lange nicht dort angekommen. Zudem ist<br />

<strong>die</strong> Entwicklung von der ersten Stufe „Anfänge“ zur nächsten „auf dem Weg“ in der Regel<br />

leichter als der Sprung von einer Mittelposition zur Spitze bzw. zur „reifen Organisation“.<br />

Deshalb kann <strong>die</strong> mittlere Reifestufe „auf dem Weg“ für <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> in ihren Innovationsanstrengungen<br />

nachlassen, schnell zum Scheideweg werden und in eine Abwärtsspirale<br />

münden.<br />

Für <strong>die</strong> hier interessierenden 15 KMU muss bedacht werden, dass erstmalige Einschätzungen<br />

der <strong>Unternehmen</strong>sreife häufig zu günstig ausfallen (<strong>die</strong>s zeigte zum einen das<br />

Beispiel STABA weiter oben auf, zum anderen soll auf nicht dokumentierte Differenzen<br />

zwischen der Einschätzung des Beraters und der Unternehmer verwiesen werden - <strong>die</strong><br />

Unternehmer neigten z.T. zu einer deutlich positiveren Bewertung als der Berater). Erreichen<br />

<strong>die</strong> meisten der <strong>Unternehmen</strong> lediglich mittlere Werte oder liegen gar darunter,<br />

müsste entsprechend der obigen Argumentation ihre Position nach unten korrigiert werden.<br />

Es bleibt festzuhalten, dass <strong>die</strong> Mehrzahl der 15 KMU einen großen Nachholbedarf<br />

aufweisen.<br />

� Eine differenzierte Betrachtung<br />

Im nächsten Schritt sollen <strong>die</strong> einzelnen Konzepte miteinander bzgl. des erreichten Grades<br />

der Excellence über alle <strong>Unternehmen</strong> verglichen werden. Dazu wurden sie in eine<br />

Rangreihe gebracht. Rang 1 bedeutet, dass <strong>die</strong> 15 <strong>Unternehmen</strong> in <strong>die</strong>sem Konzept im<br />

Durchschnitt <strong>die</strong> höchste Reifestufe erreicht haben, Rang 2 eine geringere etc. Die Konzepte<br />

ließen sich zwar in eine Rangordnung bringen (<strong>die</strong>s zeigt das Bild 85 „Rangreihe<br />

der Excellence-Konzepte nach der Reifestufe der 15 KMU“), wiesen jedoch bis einschließlich<br />

dem Konzept auf Rang 5 nur geringfügige Unterschiede auf. Erst für <strong>die</strong> folgenden<br />

vier Konzepte ist <strong>die</strong> Reife von den meisten <strong>Unternehmen</strong> deutlich niedriger bewertet<br />

worden.<br />

132<br />

Vgl. EFQM, 2003: LEP-Assessoren-Brief. Der Ludwig-Erhard-Preis ist <strong>die</strong> Auszeichnung für <strong>die</strong> deutsche<br />

Variante des EFQM-Awards.<br />

216


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Die Konzepte mit dem höheren Reifegrad<br />

Das Bild 85 zeigt, dass <strong>die</strong> Mehrzahl der 15 KMU <strong>die</strong> Kundenorientierung, Innovation und<br />

Wissensaustausch, Verbesserung und kontinuierliches Lernen, Aufbau von Partnerschaften<br />

und Mitarbeiterentwicklung und Beteiligung den vergleichsweise höchsten Grad<br />

der Reife erlangten.<br />

Es ist sicherlich keine Überraschung, dass <strong>die</strong> Kundenorientierung in der Rangreihe der<br />

Konzepte an oberster Stelle steht. Sie gilt als eine der größten Stärken von KMU. Ähnliches<br />

trifft auch für Innovation und Wissensaustausch und Verbesserung und kontinuierliches<br />

Lernen zu. Erstaunlich ist aber der relativ hohe Reifegrad, den <strong>die</strong> Unternehmer dem<br />

Thema Aufbau von Partnerschaften gaben. Dies weist daraufhin, dass sie erkannt haben,<br />

dass ihre Zukunft weniger im Einzelkämpfertum liegt, als vielmehr in der Zusammenarbeit<br />

mit anderen <strong>Unternehmen</strong>. Wie <strong>die</strong> oben dargelegten <strong>Unternehmen</strong>sbeispiele aufweisen,<br />

sind <strong>die</strong> Anstöße für ein Mehr an Kooperation primär in den gestiegenen Anforderungen<br />

durch Ziele wie „alle Leistungen aus einer Hand bieten“ und „Systemhersteller zu werden“<br />

zu suchen. Sie zeigen aber auch, dass <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> darauf achten möglichst alle<br />

kundensensiblen Leistungen in ihrer Hand zu behalten. Das Motto ist also „Kooperation<br />

ja, aber aus der Position eigener Stärke unter Wahrung der Unabhängigkeit“.<br />

Die Bewertung der oben benannten fünf Konzepte kann für einzelne Themen auf der<br />

Grundlage der Einschätzung der Erfolgsfaktoren für Innovationen noch differenzierter betrachtet<br />

werden. Die Fragen wurden auf einer Skala von „sehr stark“, „stark“, „mittel“,<br />

„schwach“ bis „sehr schwach“ durch <strong>die</strong> Unternehmer eingeschätzt:<br />

Kundenorientierung:<br />

Die vergleichsweise stärkere Ausprägung der Kundenorientierung wird durch zwei Ergebnisse<br />

der Befragung gestützt. Zum einen sehen sich <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> als „sehr stark“ in<br />

der Markt- und Wettbewerberkenntnis und sie beginnen mit ihrer Preiskalkulation immer<br />

beim Kunden („target costing“).<br />

Innovation und Wissensaustausch:<br />

Demgegenüber muss <strong>die</strong> Einschätzung der Innovationsfähigkeit aufgrund folgender<br />

Befragungsergebnisse relativiert werden: Während <strong>die</strong> Finanzierungsgrundlage und <strong>die</strong><br />

gezielte Entwicklung von Kernkompetenzen noch in einem Skalenbereich zwischen „sehr<br />

stark“ und „mittel“ angesiedelt sind, ist <strong>die</strong> Bewertung der Frage, ob eine hinreichende<br />

Anzahl von Innovationstreibern im <strong>Unternehmen</strong> vorhanden sind mit einer Streuung von<br />

„sehr stark“ bis „sehr schwach“ für <strong>die</strong> Mehrzahl der <strong>Unternehmen</strong> als problematisch anzusehen.<br />

Es gibt bei einem Teil der KMU zu wenige Innovationstreiber; meist ist es allein<br />

der Unternehmer. Eine ähnlich schwache Einschätzung ergab <strong>die</strong> Frage nach der Einbindung<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s in ein innovationsförderliches Umfeld. Die Mehrzahl der KMU<br />

besitzt kaum Kontakte zu Universitäten, Forschungseinrichtungen, Verbänden etc. und<br />

verschließt sich so wichtige Quellen für innovationsrelevante Informationen und Zuarbeiten.<br />

Hingewiesen werden soll abschließend auf das bei nahezu allen <strong>Unternehmen</strong> mangelhafte<br />

Projektmanagement. Dieses gravierende Defizit wird unten im Zusammenhang<br />

mit den Konzepten Führung und Zielkonsequenzen und Management mit Prozessen und<br />

Fakten weiter ausgeführt.<br />

217


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Die Konzepte mit dem niedrigeren Reifegrad<br />

Im Unterschied zu den oben diskutierten fünf Konzepten weisen <strong>die</strong> in der Rangreihe folgenden<br />

vier bei der Mehrzahl der <strong>Unternehmen</strong> einen geringeren Reifegrad auf. Während<br />

<strong>die</strong> Ergebnisorientierung und <strong>die</strong> Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit in ihrer<br />

Bewertung sichtbar aber doch noch relativ geringfügig abfallen, ist <strong>die</strong> schlechtere Einschätzung<br />

bei Führung und Zielkonsequenzen und Management mit Prozessen und<br />

Fakten recht deutlich.<br />

Führung und Zielkonsequenzen und Management mit Prozessen und Fakten:<br />

Eines der auffälligsten Ergebnisse ist <strong>die</strong> Schwäche der Mehrzahl der KMU im Bereich<br />

Führung und Zielkonsequenzen und Management mit Prozessen und Fakten. Die eine<br />

Hälfte der <strong>Unternehmen</strong> steckt hier noch in den „Anfängen“ und <strong>die</strong> andere Hälfte beginnt<br />

gerade <strong>die</strong> ersten Schritte auf der folgenden Stufe der <strong>Unternehmen</strong>sreife (also „auf dem<br />

Weg“ zu sein).<br />

Genau im Spektrum <strong>die</strong>ser beiden Themenfeldern finden sich auch bei der Mehrzahl der<br />

<strong>Unternehmen</strong> wenige Stärken und viele Schwächen in der Einschätzung der Erfolgsfaktoren<br />

für Innovationen. Die Einschätzung der Erfolgsfaktoren von Innovationen kann einige<br />

Hinweise zur weiteren Konkretisierung der konstatierten Defizite bei Führung und Management<br />

geben.<br />

Zunächst <strong>die</strong> Themen, in denen <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> eher Stärken zeigten (sie liegen zwischen<br />

den Werten „sehr stark“ und „mittel“). Die Fragen betreffen:<br />

• <strong>die</strong> klare Definition von Projektrahmenbedingungen und Kosten,<br />

• das Nutzen von Konflikten als Entwicklungschance,<br />

• keine Suche nach Sündenböcken.<br />

Aufgrund der meist knappen Ressourcen ist leicht nachvollziehbar, das <strong>die</strong> Mehrzahl der<br />

<strong>Unternehmen</strong> Kosten und sonstige Rahmenbedingungen von Projekten möglichst klar<br />

definiert; ebenso ist es verständlich, dass bei Fehlern eher keine Sündenböcke gesucht<br />

und Konflikte vor allem als eine Chance zur Weiterentwicklung gesehen werden. Denn in<br />

kleineren <strong>Unternehmen</strong> kennen sich <strong>die</strong> Beschäftigten zumeist recht gut und es entwickeln<br />

sich leichter engere soziale Bezüge. Damit ergeben sich Chancen für einen produktiven<br />

Umgang mit Konflikten.<br />

Nun zu den Themen, in denen <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> eher Schwächen zeigten (sie erreichen<br />

nur noch Werte zwischen „mittel“ und „sehr schwach“). Die Fragen betreffen:<br />

• <strong>die</strong> Offenheit des Informationssystems,<br />

• <strong>die</strong> frühzeitige Beschaffung von Informationen,<br />

• angepasste Methoden des Projektmanagements,<br />

• <strong>die</strong> sukzessive Konkretisierung von Projektzielen und ihrer Kontrolle,<br />

• <strong>die</strong> Abstimmung von Phasen des Wandels und der Stabilisierung,<br />

• das systematische Marketing,<br />

• <strong>die</strong> Reflektion von Prozesserfahrungen.<br />

218


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Die Fragen nach der Qualität des Informations- und Projektmanagement zeigten große<br />

Schwächen auf. So werden Informationen meist nicht frühzeitig genug beschafft, es mangelt<br />

an der Offenheit des Informationssystems, Methoden des Projektmanagements sind<br />

rar und entsprechend defizitär ist <strong>die</strong> Ergebniskontrolle und <strong>die</strong> damit verknüpfte sukzessive<br />

Zielkonkretisierung; ferner fehlt es an einem systematischen Marketing und der<br />

Reflektion von Prozesserfahrungen. Insbesondere der letztere Aspekt erstaunt, bedenkt<br />

man, dass <strong>die</strong> Hauptlernform in KMU das „Erfahrungmachen-im-Tun“ ist. <strong>Was</strong> nützen<br />

Erfahrungen, <strong>die</strong> nicht reflektiert und breit kommuniziert werden? Ein Problem entsteht<br />

natürlich auch in <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> nicht beachten, dass auf Phasen des Wandels auch<br />

Zeiten der Erholung für <strong>die</strong> Akteure und eine Stabilisierung der Prozesse folgen muss.<br />

Gelingt <strong>die</strong> Balance zwischen Wandel, Ruhe und Stabilisierung nicht, werden <strong>die</strong><br />

Beschäftigten leicht überfordert und es droht <strong>die</strong> Gefahr, dass Wandlungsprozesse zur<br />

Kampagne verkommen und letztlich scheitern. In der Konsequenz der aufgeführten<br />

Schwächen muss <strong>die</strong> generelle eher positive Einschätzung der Innovationsfähigkeit<br />

sicherlich in Teilbereichen korrigiert werden. Auch hier besteht ein großer Verbesserungsbedarf.<br />

Festzuhalten ist, dass in den Themenbereichen Führung und Management sowie Management<br />

mit Prozessen und Fakten <strong>die</strong> größten Defizite für <strong>die</strong> Mehrheit der 15 KMU liegen.<br />

Es fehlt an Systematik, Transparenz, Integration und Verankerung. Allerdings kann<br />

<strong>die</strong> Forderung nach einem systematisierteren Arbeiten nicht heißen, den Expertentaylorismus<br />

der Großindustrie und <strong>die</strong> dort entwickelten Instrumente auf KMU zu übertragen.<br />

Hier müssen unterstützende Werkzeuge und Vorgehensweisen entwickelt und genutzt<br />

werden, <strong>die</strong> für KMU tauglich sind. Sie müssen beispielsweise das Lernen in der Arbeit<br />

und <strong>die</strong> reflexive Erfahrung unterstützen, widersprüchliche Anforderungen mitdenken und<br />

abgleichen (wie z.B. <strong>die</strong> Widersprüche zwischen Produktion und Vertrieb), ein Mitlernen<br />

erlauben und <strong>die</strong> meist knappen Ressourcen berücksichtigen etc. (vgl. Kap. 10.2 „Die<br />

Herausforderung“, Abschnitt „KMU haben eine eigene Handlungslogik“). Ein Beispiel für<br />

ein Instrument das solches leistet ist der Potenzial-Check.<br />

Ergebnisorientierung:<br />

Mit den ausgeprägten Defiziten in den Konzepten der <strong>Unternehmen</strong>sreife Management<br />

mit Prozessen und Fakten und Führung und Zielkonsequenzen könnte auch <strong>die</strong> erstaunlich<br />

niedrige Ausprägung der Ergebnisorientierung zusammenhängen. Denn sie bezieht<br />

sich aus Sicht der EFQM nicht nur allein auf <strong>die</strong> Vorteile des Eigentümers, sondern <strong>die</strong><br />

ausgewogene Berücksichtigung der Interessen aller relevanten Interessensgruppen wie<br />

<strong>die</strong> Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten und <strong>die</strong> Gesellschaft im allgemeinen. Diese Aufgabe<br />

setzt sicherlich auch eine klare Führung und ein systematisches Management voraus.<br />

Insgesamt gilt, dass ohne eine Verbesserung in den oben angesprochenen drei Kernthemen<br />

<strong>die</strong> z.T. weitgesteckten Ziele der 15 KMU nur schwer erreichbar sein werden.<br />

Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit:<br />

Da <strong>die</strong> 15 <strong>Unternehmen</strong> mit ihrer Spanne zwischen 5 und 82 Mitarbeitern eher den kleineren<br />

als den mittleren <strong>Unternehmen</strong> zuzuordnen sind, ist es erklärungsbedürftig, dass das<br />

Konzept Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit für <strong>die</strong> Mehrzahl der Firmen doch<br />

einen relativ hohen Reifegrad besitzt. Die Ursache ist vor allem in den geringen Ansprüchen<br />

der Unternehmer an <strong>die</strong>ses Kriterium zu suchen. So gingen in <strong>die</strong> Bewertung zum<br />

Teil auch Selbstverständlichkeiten ein wie <strong>die</strong> korrekte Einhaltung von Normen, Regeln<br />

219


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

und Gesetzen. Festzuhalten bleibt, dass KMU in der Regel soviel mit sich selber zu tun<br />

haben, dass ihnen für ihr gesellschaftliches Umfeld wenig Kapazitäten verbleiben.<br />

10.5 Schlussfolgerungen<br />

Die folgenden Ausführungen beschäftigen sich mit Schlussfolgerungen zu den <strong>Unternehmen</strong>spotenzialen,<br />

Eigenschaften KMU-gerechter Werkzeuge und Wegen der Strategiearbeit.<br />

Erfahrungen mit der Umsetzung von Maßnahmen wurden nur so weit wie nötig<br />

gestreift. Sie sind Thema einer weiteren geplanten Veröffentlichung.<br />

� Die Kompetenzen<br />

Wie sich in der Arbeit mit den 15 KMU zeigte, können sie bei der Realisierung ihrer z.T.<br />

anspruchsvollen Ziele einerseits auf einigen beachtenswerten und KMU-typischen Stärken<br />

aufbauen (wie Kundennähe, Flexibilität, schnelle Entscheidungen, große Handlungsspielräume,<br />

persönliche Entfaltungsmöglichkeiten, Mitarbeiterengagement etc.). Sie stehen<br />

auf der anderen Seite aber vor der Herausforderung gravierende Hindernisse zu<br />

überwinden. So gilt für nahezu alle KMU, dass sie nach dem Bewertungsmodell der<br />

EFQM einen großen Nachholbedarf in allen neun Konzepten der Excellence aufweisen:<br />

ihr Kernproblem ist in der mangelnden Systematik, Transparenz, Integration und Verankerung<br />

der Themen im Gesamtbetrieb zu suchen. Aufgrund der Kluft zwischen den meist<br />

anspruchsvollen Zielstellungen (und den dahinter stehenden Marktforderungen und -<br />

chancen) und den Fähigkeiten zu ihrer Umsetzung, ist in einer generellen Bewertung <strong>die</strong><br />

Zukunftsfähigkeit der Mehrzahl der <strong>Unternehmen</strong> als eingeschränkt anzusehen. Alle 15<br />

<strong>Unternehmen</strong> arbeiten aber hart an einer Verbesserung der Lage.<br />

In einer differenzierteren Betrachtungsweise zeigen sich aber sehr wohl Unterschiede<br />

zwischen den Konzepten im durchschnittlich erreichten Reifegrad. So ist <strong>die</strong> Mehrzahl der<br />

<strong>Unternehmen</strong> bei Themen, <strong>die</strong> als traditionelle Stärken von KMU gelten, wie Kundenorientierung,<br />

Innovation, Verbesserung und Mitarbeiterbezug vergleichsweise stark. Demgegenüber<br />

schälten sich als zentrale Problemstellungen der meisten <strong>Unternehmen</strong> ihre<br />

Schwächen in der Führung und im Prozess- und Informationsmanagement heraus. Wer<br />

herausfordernden Zielen nachstrebt wie Systemhersteller zu werden, alle Leistungen aus<br />

einer Hand zu bieten, neue Märkte zu gewinnen und <strong>Einzigartigkeit</strong> zu erreichen, der<br />

muss auf der anderen Seite auch für Orientierung, Aktivierung und leistungsfähige Prozesse<br />

sorgen - oder, mit anderen Worten, Effektivität (das Richtige tun) und Effizienz<br />

(etwas richtig tun) in einer Balance halten. Genau an <strong>die</strong>ser Balance mangelt es der<br />

Mehrheit der KMU.<br />

Die zentrale Forderung nach einem systematisierteren Arbeiten kann nun auf keinen Fall<br />

heißen, den Expertentaylorismus der Großindustrie und <strong>die</strong> dort entwickelten Konzepte<br />

und Instrumente auf KMU zu übertragen. Denn KMU besitzen eine eigene Handlungslogik<br />

und unterstützende Werkzeuge und Vorgehensweisen müssen entsprechend ihrer Bedarfe<br />

zugeschnitten sein (vgl. Kap. 10.2 „Die Herausforderung“, Abschnitt „KMU haben eine<br />

eigene Handlungslogik“).<br />

220


� Das Werkzeug<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Die Leitfadengestaltung<br />

Der Leitfaden hilft, das Dickicht undurchsichtiger, überkomplexer sich ständig wandelnder<br />

unternehmensinterner und -externer Bedingungen zu durchleuchten, zu sortieren und<br />

überschaubar zu machen. Er spricht <strong>die</strong> wesentlichen, erfolgsrelevanten internen und<br />

externen <strong>Unternehmen</strong>saspekte an und berücksichtigt <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sherkunft <strong>die</strong> -<br />

gegenwart und <strong>die</strong> -zukunft.<br />

Der systematische Wechsel von Analyse und Synthese sowie der Wechsel von punktueller<br />

Vertiefung relevanter Teilaspekte und deren grobgerasterter Zusammenschau in<br />

wichtigen (Teil-) Systemen (wie z.B. der internen Wertschöpfungskette) verschafft sukzessive<br />

Einblick, Überblick und neue Erkenntnisse. Für das Verstehen der Erfolgsbedingungen<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s ist weiterhin das Wechselspiel von analoger, abbildender Fassung<br />

in Form der farblich bebilderten Charts des Leitfadens und der begrifflichen Fassung<br />

im Dialog von <strong>Unternehmen</strong>sführung und Berater konstituierend. Es wächst eine<br />

anschaulich gestützte Vorstellung vom System <strong>Unternehmen</strong>. Die diskussionsbegleitende<br />

Visualisierung wichtiger Aussagen fördert nicht nur das Verstehen, das Denken und den<br />

Dialog, sondern ist auch <strong>die</strong> Grundlage der Ergebnisdokumentation und Information der<br />

beteiligten betrieblichen Akteure.<br />

Die Veranschaulichung von Strategie und Verbesserungsbereichen<br />

Die im Leitfaden dokumentierten Ergebnisse sind <strong>die</strong> Basis für <strong>die</strong> Ausarbeitung der<br />

<strong>Unternehmen</strong>sstrategie und <strong>die</strong> Bestimmung von Verbesserungserfordernissen. Der<br />

Leitfaden wird Schritt für Schritt durchgearbeitet, strategierelevante Aspekte und Verbesserungshinweise<br />

abgeleitet und mittels Metaplantechnik visualisiert. Mit der Zeit und einigen<br />

Optimierungsschleifen wird der Pool vielfältiger Ergebnisse in einem anschaulichen,<br />

unternehmensindividuellen Strategiemuster verdichtet und parallel dazu schälen sich <strong>die</strong><br />

Verbesserungsschwerpunkte heraus.<br />

Die orientierenden Vorlagen für <strong>die</strong> Diskussion mit den Mitarbeitern<br />

In <strong>Unternehmen</strong> ohne eine Tradition gemeinschaftlicher strategischer Arbeit sind Führungskräfte<br />

in der Regel vom Thema Strategie überfordert. Eingedenk der meist knappen<br />

Ressourcen von KMU wird deswegen zunächst allein mit den wenigen strategiegeübten<br />

Akteuren im <strong>Unternehmen</strong> (also der Geschäftsführung), als Vorarbeit <strong>die</strong> Stärken-,<br />

Schwächen-Analyse durchgeführt sowie ein Vorschlag zur <strong>Unternehmen</strong>sstrategie und zu<br />

Verbesserungsbereichen ausgearbeitet. Dieser wird in Form des Leitfadens und der<br />

Metaplanausarbeitungen festgehalten. Auf der Grundlage <strong>die</strong>ser gezielt offen gehaltenen<br />

Vorlage wird eine Darlegung und fokussierte Diskussion strategischer Themen auch im<br />

größeren Kreis möglich und korrigierende und ergänzende Vorschläge und Hinweise können<br />

aufgenommen werden.<br />

Der gemeinsame Lernprozess<br />

Im Unterschied zu den häufig angewandten, expertenzentrierten und allgemein gehaltenen<br />

Befragungsmethoden ist beim Potenzial-Check der Dialog, das gegenseitige Verste-<br />

221


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

hen und das gemeinsame Lernen zentral. Experten aus verschiedenen betrieblichen<br />

Bereichen mit unterschiedlichen Funktionen erhalten <strong>die</strong> Gelegenheit ihr divergentes Wissen<br />

und ihre vielfach konträren, Konflikte induzierenden Perspektiven in <strong>die</strong> strategische<br />

Diskussion einzubringen, sich auszutauschen, gemeinsame Standpunkte zu erarbeiten<br />

oder zumindest Kompromisse zu schließen und Maßnahmen zu verabreden.<br />

Der Lernprozess des Beraters<br />

Nicht nur <strong>die</strong> Beschäftigten der <strong>Unternehmen</strong> lernten, sondern auch der Berater erwarb in<br />

der Kumulation der Handhabungen und der zunehmenden Kontextualisierung der Werkzeuge<br />

und Konzepte ein Mehr an Kompetenz und Souveränität. Erst dadurch wurden <strong>die</strong><br />

vielfältigen Brüche zwischen der allgemeinen Logik von Konzepten und der je spezifischen<br />

Handlungslogik von <strong>Unternehmen</strong> überbrückbar und <strong>die</strong> im Rahmen der Potenzialanalyse<br />

aufgebaute Komplexität handhabbar. Die Fähigkeit des Beraters sich auf individuelle<br />

Lösungen einzulassen ist eine der Kernvoraussetzungen erfolgreicher Strategiearbeit.<br />

� Die Verankerung der Strategiearbeit im <strong>Unternehmen</strong><br />

Jedes <strong>Unternehmen</strong> ist eigen und dementsprechend individuell zu behandeln. Deshalb<br />

kann es auch kein einheitliches Vorgehen der Strategieentwicklung und -umsetzung<br />

geben. Vielmehr ist auf der Grundlage der aktuellen <strong>Unternehmen</strong>ssituation und der<br />

Problem- und Zielstellungen eine je unternehmensspezifische Vorgehensweise zu erarbeiten<br />

und im <strong>Unternehmen</strong> sukzessive in einem integrierten Lern- und Gestaltungsprozess<br />

zu verankern. Werkzeuge wie der Potenzial-Check können <strong>die</strong>sen Prozess unterstützen.<br />

Im folgenden werden verschiedene Varianten der Strategiearbeit und des Strategie-<br />

und Werkzeuglernens aufgezeigt.<br />

Variante 1: Konzeptgeleitete Strategiearbeit<br />

Konzeptgeleitete Strategiearbeit meint eine Vorgehensweise, <strong>die</strong> sich im Kern an den<br />

Vorschlägen des Potenzial-Checks orientiert, in ihren konkreten Details aber sehr wohl an<br />

<strong>die</strong> individuellen Bedarfe des <strong>Unternehmen</strong>s angepasst werden kann und muss. Deshalb<br />

sind sowohl der Leitfaden als auch <strong>die</strong> drei Workshops modular aufgebaut So kann der<br />

Workshop I allein oder in Kombination mit Workshop II je nach Zielstellung hinreichende<br />

Anregungen liefern. Das hier vorgeschlagene Drei-Stufen-Modell und der Leitfaden mit<br />

seinen fünf Modulen sind eine sinnvolle und erprobte Variante, aber eben nur eine Möglichkeit<br />

unter verschiedenen anderen.<br />

In den Workshops werden im Dialog, gestützt durch eine begleitende Visualisierung der<br />

wichtigsten Ergebnisse, Schritt für Schritt <strong>die</strong> allgemeinen Konzepte des Potenzial-Checks<br />

durch den Kontext und <strong>die</strong> Ziele des <strong>Unternehmen</strong>s konkretisiert und auch neu geformt -<br />

also nicht nur <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong>sstrategie, sondern auch das Werkzeug weiterentwickelt.<br />

Auf <strong>die</strong>se Art und Weise entwickelt sich allmählich ein gemeinsames Verständnis, <strong>die</strong><br />

Beteiligten lernen mit, der Könnenserwerb wird gefördert und <strong>die</strong> Eigenständigkeit im Umgang<br />

mit strategischen Fragestellungen nimmt zu.<br />

222


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 10 Erfahrungen mit der Strategiearbeit in KMU<br />

Variante 2: Eingebettete Strategiearbeit<br />

Die strategische Diskussion im <strong>Unternehmen</strong> besitzt nicht nur eine einzige Form und<br />

einen einzigen Ort, sondern kann an vielen Stellen im <strong>Unternehmen</strong> und in verschiedenen<br />

Formen stattfinden. Dies zeigen <strong>die</strong> Beispiele des „problemgebundenen“ und „situationsinduzierten<br />

Strategiediskurses“ oder der „strategischen Initiative von unten“ auf. Strategisches<br />

Denken und Handeln ist dabei in <strong>die</strong> Umsetzung eingebunden und es werden<br />

Chancen für ein Entstehen und eine Artikulation strategischer Initiativen eröffnet. Es sind<br />

Prozesse der Einbindung von Strategie in <strong>die</strong> Umsetzung oder anders ausgedrückt, es ist<br />

eine eingebettete Strategiearbeit. Der Leitfaden erhält dabei eine weitere Funktion: er wird<br />

vom Instrument einer systematischen Analyse und Bewertung der <strong>Unternehmen</strong>spotenziale<br />

zum Werkzeugkasten für ausgewählte strategische Fragestellungen.<br />

Variante 3: Konzeptgeleitete Revision<br />

Veränderte <strong>Unternehmen</strong>sumwelten fordern über <strong>die</strong> begrenzten Möglichkeiten einer eingebetteten<br />

Strategiearbeit hinaus von Zeit zu Zeit eine erneute Standortbestimmung des<br />

<strong>Unternehmen</strong>s. Diese beinhaltet neben Fragen zu den Potenzialen und zur Positionierung<br />

des <strong>Unternehmen</strong>s nicht zuletzt eine Sichtung der „Baustellen“ und eine Bewertung des<br />

Erfolges oder Misserfolges der Umsetzungsaktivitäten. Genau <strong>die</strong> Erfahrungsreflexion als<br />

<strong>die</strong> zentrale Lernform von KMU weist aber Schwachstellen auf. Dies erbrachte <strong>die</strong> Arbeit<br />

mit den 15 <strong>Unternehmen</strong> und ihre Selbstbewertung im Leitfaden des Potenzial-Checks<br />

auf (vgl. Kap.10.4 „Kompetenzmuster von KMU, Abschnitt „Die Konzepte mit dem niedrigeren<br />

Reifegrad“). Weiterhin legten <strong>die</strong> Firmen ihren Zukunftsüberlegungen in der Regel<br />

nur einen recht begrenzten Zeithorizont zugrunde (maximal fünf Jahre, zumeist weniger)<br />

und führten darüber hinaus aufgrund ihrer meist knappen Ressourcen zeitlich eng limitierte<br />

und damit notwendigerweise relativ „grobkörnige“ Analysen durch. Deshalb<br />

empfiehlt es sich, <strong>die</strong> Phasen zwischen den grundsätzlichen Standortbestimmungen möglichst<br />

kurz zu halten – denn wer den Blick beim Gehen nicht weit genug hebt, muss des<br />

öfteren stehen bleiben und sich des Wegs vergewissern. Anders ausgedrückt heißt das,<br />

den Zyklus von Zielbestimmung, Planung, Umsetzung, Ergebniskontrolle und Verbesserung<br />

möglichst oft zu durchlaufen - natürlich immer in Abhängigkeit vom Grad der Umfeldturbulenz<br />

und eigenen, evtl. veränderten Zielstellungen (man kann durch Innovationen<br />

und aktive Gestaltung seiner Märkte auch selbst Turbulenzen erzeugen).<br />

Bisher sahen drei der 15 KMU eine umfassende, systematische Bestandsaufnahme und<br />

Revision der Strategie als notwendig an. Aufgrund der dargelegten Anforderungen erfolgreicher<br />

Strategiearbeit, ist auch den anderen <strong>Unternehmen</strong> zum passenden Zeitpunkt<br />

eine konzeptgeleitete Art der Strategie-Revision anzuraten. Der Potenzial-Check bietet<br />

dafür eine „hemdsärmelige“, auf <strong>die</strong> Bedürfnisse von KMU zugeschnittene Hilfestellung<br />

an.<br />

223


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

11. Im Schatten des demografischen Wandels:<br />

Neuorientierung, Neustrukturierung und<br />

Neukoordinierung der Personalarbeit<br />

11.1 Kann ein <strong>Unternehmen</strong> über seine Personalarbeit<br />

einzigartig sein?<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> ist kein Zustand sondern ein Prozess. Beschrieben werden nachfolgend<br />

mögliche schrittweise Veränderungen der bestehenden Personalarbeit von <strong>Unternehmen</strong><br />

infolge (1) der Orientierung an neuen Leitbildern (Neuorientierung), (2) der Umstrukturierung<br />

von Personalmaßnahmen in Orientierung an <strong>die</strong>sen neuen Leitbildern (Neustrukturierung),<br />

(3) der Neukoordinierung <strong>die</strong>ser Veränderungen der Personalarbeit über kurz-,<br />

mittel- und langfristige Planungshorizonte.<br />

Worin liegt <strong>die</strong> besondere Güte der Personalpolitik <strong>die</strong>ses <strong>Unternehmen</strong>s? Das <strong>Unternehmen</strong><br />

projektiert seinen zukünftigen Personalbestand, seine zukünftige Personalstruktur,<br />

<strong>die</strong> zukünftige Arbeitsfähigkeit seiner gesamten Belegschaft zehn Jahre im Voraus<br />

unter Vorwegnahme der Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt.<br />

Es will unter den Besten sein in der Konkurrenz auf dem Arbeitsbeschaffungsmarkt.<br />

Dieser wird infolge des demografischen Wandels i.w. von zwei Problemkomplexen<br />

dominiert: (1) Abnahme von jüngeren Erwerbspersonen und (2) proportionale Zunahme<br />

von älteren Erwerbspersonen - verstärkt durch ein Mismatch zwischen regionalen, branchen-<br />

und produktspartenbezogenen, beruflichen und qualifikatorischen Anforderungen,<br />

dem sogenannten Fachkräftemangel. Einerseits finden sich Erscheinungsformen wie<br />

Rekrutierungs- und Betriebsbindungsproblemen bei jungen (qualifizierten) Fachkräften,<br />

dem „War for Talents“ auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt. Andererseits stehen<br />

gegenwärtig in vielen <strong>Unternehmen</strong> Frühverrentungsstrategien konträr zu notwendigen<br />

Strategien zur Stärkung der Arbeitsfähigkeit und zur Neueinstellung älterer Fachkräfte. In<br />

Bild 86 findet sich eine stilisierte Darstellung der Entwicklungen der unter 30-jährigen und<br />

über 50-jährigen Erwerbspersonen mit den wesentlichen betrieblichen Problemfeldern.<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> zeigt sich durch Ähnlichkeit mit den Besten - hier mit der Good-Practice<br />

anderer <strong>Unternehmen</strong>. Über eine Erzeugung von Referenzbeispielen einschließlich ihrer<br />

wesentlichen Entstehungsbedingungen (Vorgehensweise) und (über)betrieblichen Rahmenbedingungen<br />

sowie ihrer Veröffentlichung in einer Datenbank mit Suchkriterien 133 wird<br />

demonstriert, dass jedes <strong>Unternehmen</strong> sich „seine eigenen besten <strong>Unternehmen</strong>“ selbst<br />

suchen muss, da <strong>die</strong> betriebliche Heterogenität bei Problemlösungen zu Fragestellungen<br />

des demografischen Wandels sehr groß ist.<br />

133 Siehe: www-zvei.org/demografie<br />

224


40<br />

35<br />

30<br />

25<br />

33<br />

21<br />

Quelle: Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 86: Betriebliche Problemfelder<br />

23<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Stichjahr<br />

2002<br />

Vergangenheit Zukunft<br />

22<br />

20 Jüngere<br />

Rekrutierungsprobleme<br />

Betriebsbindungsprobleme<br />

19<br />

„War for Talents“<br />

18<br />

15<br />

1985 1990 1995 2000<br />

2002<br />

2005<br />

2008<br />

2010 2015 2020 2025 2030<br />

24<br />

<strong>Was</strong> heißt hier „ähnlich dem Besten“? Es muss heißen „ähnlich dem Besten s<strong>eines</strong> Typs“,<br />

denn <strong>die</strong> arbeitsmarktpolitischen und personalpolitischen Probleme stellen sich natürlich<br />

bei einem Weltmarktunternehmen mit einem bekannten Markennamen und vielen Initiativbewerbungen<br />

anders dar als bei einem Zulieferer- KMU oder bei einem größeren Mittelständler<br />

in einer ländlichen Gegend im Einzugbereich <strong>eines</strong> Weltkonzerns. Entsprechend<br />

sind auch jeweils andere Lösungen erforderlich. Es kann kein Nachahmen von personalpolitischen<br />

Maßnahmen im Verhältnis 1:1 stattfinden, sondern es muss ein Entwickeln<br />

spezieller Kombinationen von Maßnahmen sein - eben unter Berücksichtigung von regionalen<br />

Umfeldbedingungen u.ä.<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> zeigt sich durch das Anderssein als jeder Wettbewerber. Die Andersartigkeit<br />

liegt hier in der Vorgehensweise: der Anwendung der Altersstrukturanalyse aZG© -<br />

aus der Zukunft in <strong>die</strong> Gegenwart, <strong>die</strong> allerdings bei jedem <strong>Unternehmen</strong> - wie oben erwähnt<br />

- zu spezifischen Lösungskombinationen führt. Dabei erfolgt eine Neustrukturierung<br />

von Personalmaßnahmen über acht Personalthemen: Welche sind bereits vorhanden<br />

bzw. in der Planung? Welchen sollen beibehalten werden? Welche sollen wegfallen?<br />

Welche sollen wie verändert werden? Welche sollen neu hinzukommen? Andersartig sind<br />

auch <strong>die</strong> zur Altersstrukturanalyse aZG© gehörende Personalplanung in mehreren Zeithorizonten<br />

durch eine entsprechende Aufschlüsselung der geplanten Personalmaßnahmen<br />

nach Umsetzungszeitpunkten (im gleichen Jahr, im nächsten Jahr, in den nächsten<br />

drei, fünf bzw. zehn Jahren) sowie eine Orientierung an Leitbildern wie z.B. „Altersausgewogene<br />

Personalpolitik“ oder „Gesunder Alters-Mix“.<br />

<strong>Was</strong> heißt hier Wettbewerber? Der Wettbewerb findet zunächst auf dem Ausbildungs- und<br />

Arbeitsmarkt statt. Zu fragen ist, ob und inwieweit dadurch auch <strong>die</strong> Wettbewerbssituation<br />

auf den Absatzmärkten beeinflusst werden. Es muss berücksichtigt werden, dass sich <strong>die</strong><br />

Wettbewerber auf den Ausbildungs- und Arbeitsmärkten von den Wettbewerbern auf den<br />

Absatzmärkten unterscheiden. Eine Ausnahme könnten regionale Wissenscluster bilden.<br />

225<br />

unter 30jährige<br />

Erwerbspersonen<br />

35<br />

über 50jährige<br />

Erwerbspersonen<br />

Ältere<br />

Älterwerden der Belegschaft<br />

Arbeitsfähigkeit bis 65<br />

Vorzeitige Verrentung<br />

Einstellungsbarrieren<br />

30


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Je mehr <strong>Unternehmen</strong> <strong>die</strong>se Art der Personalarbeit praktizieren, desto geringer wird allerdings<br />

das Ausmaß der <strong>Einzigartigkeit</strong> bei den Pionier-<strong>Unternehmen</strong>. <strong>Einzigartigkeit</strong> wird<br />

erzeugt, kann aber auch wieder verloren gehen. Mit dem Voranschreiten des demografischen<br />

Wandels in den nächsten 20 bis 30 Jahren wird sich <strong>die</strong> Personalarbeit wieder<br />

erneuern müssen - unter Berücksichtigung der etwa ab 2008 beginnenden sprunghaften<br />

Zunahme der älteren Erwerbspersonen sowie zusätzlicher Trends wie spezieller Auswirkungen<br />

der Globalisierung auf den Standort Deutschland bzw. auf <strong>die</strong> verschiedenen<br />

<strong>Unternehmen</strong>stypen oder der Zunahme virtueller <strong>Unternehmen</strong>. In <strong>die</strong>se Erneuerung zu<br />

integrieren sind dann auch Überlegungen über <strong>die</strong> zukünftigen Beschäftigtengenerationen<br />

und ihre Kompetenzen, zukünftige Trends im Bildungsbereich wie z.B. e-learning und<br />

Intranet-Nutzung.<br />

Einzigartig ist wiederum <strong>die</strong> Institutionalisierung des Prinzips einer lernenden Personalarbeit<br />

in <strong>Unternehmen</strong>. <strong>Unternehmen</strong> bewegen sich damit heraus aus dem mainstream<br />

gegenwärtiger Personalstrategien.<br />

Springt der Funke der Neuorientierung, Neustrukturierung und Neukoordinierung der Personalarbeit<br />

im <strong>Unternehmen</strong> über, bedeutet das eine Institutionalisierung <strong>eines</strong> Prozesses<br />

zur kontinuierlichen Verbesserung der Personalarbeit, ihres betrieblichen Status und der<br />

Erhöhung ihres Niveaus. Ob irgendwann <strong>die</strong> Personalarbeit selbst zum Zünglein an der<br />

Waage bei Entscheidungen über unternehmerische Strategien werden kann, kann an<br />

<strong>die</strong>ser Stelle nicht eindeutig beantwortet werden. Bei Standortverlagerungen oder Expansionen<br />

auf dem Weltmarkt könnte sie es heute bereits sein. Auch am Beispiel des Gitterroste-Herstellers<br />

in Kapitel 8 <strong>die</strong>ser Publikation wird deutlich, dass eine (wirtschaftlich<br />

notwendige) veränderte Kundenorientierung (Kleinstmengen termingenau liefern und<br />

neue Anwendungsmöglichkeiten des Produktes systematisch erschließen) einen anderen<br />

Vertrieb (vom Auskunftsgeber zum Berater) und zusätzliche Qualifikationen (Handhabung<br />

von Effizienzindikatoren im Betriebsalltag) erforderlich machte. Unabhängig von der<br />

betrieblich spezifischen Lösung (Zusammenlegen der beiden Funktionen Qualitätskoordination<br />

und Personalmanagement) kann an <strong>die</strong>sem <strong>Unternehmen</strong>sbeispiel verdeutlicht<br />

werden, dass <strong>die</strong> neue Personalstrategie überhaupt erst <strong>die</strong> Veränderungen in der <strong>Unternehmen</strong>sstrategie<br />

ermöglichte und handhabbar machte.<br />

Anhand der in Kapitel 8 dargestellten <strong>Unternehmen</strong>stypologie wird erkennbar, dass bei<br />

speziellen Gefährdungsstufen (Typ 3 Stagnierendes <strong>Unternehmen</strong>, Typ 4 Gefährdetes<br />

<strong>Unternehmen</strong>) Revitalisierungen oder Neupositionierungen bei Produkten, Prozessen,<br />

Kunden und Märkten notwendig werden, <strong>die</strong> in der Regel mit Änderungen in der Qualifikation<br />

oder Motivation der Beschäftigten (z.B. Leistungsentlohnung) verbunden sind. Im<br />

Falle des demografischen Wandels brechen spezifische Zielgruppen auf dem Ausbildungs-<br />

und auf dem Arbeitsmarkt nach und nach weg, so dass der Nachschub von<br />

Beschäftigten mit den gewohnten soziodemografischen Merkmalen fraglich wird. Darunter<br />

leiden <strong>die</strong> produktspezifischen und <strong>die</strong> prozessspezifischen Kernkompetenzen, falls keine<br />

kompensatorischen Lösungen gefunden werden können. Das ist insbesondere der Fall,<br />

wenn „kritische Altersstrukturen“ wie mittel- oder alterszentrierte Personalstrukturen<br />

bereits heute vorhanden sind.<br />

Aber auch <strong>die</strong> Prosperierenden <strong>Unternehmen</strong> (Typ 1) und <strong>die</strong> Wachsenden <strong>Unternehmen</strong><br />

(Typ 2) aus der <strong>Unternehmen</strong>stypologie von Kapitel 8 kämpfen bei Neueinstellungen<br />

226


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

bereits mit den ersten Ausläufern des demografischen Wandels, so dass vorausschauende<br />

Personalplanungen immer notwendiger werden. Letztlich muss jeder <strong>Unternehmen</strong>styp<br />

aus der sechsstufigen Typologie in Kapitel 8 <strong>die</strong>ser Publikation <strong>die</strong> seiner<br />

Zukunftsstrategien gemäßen Personalstrategien suchen und finden.<br />

Die <strong>Einzigartigkeit</strong> als Kombination von „ähnlich dem Besten“ und „anders als <strong>die</strong> anderen<br />

Wettbewerber“ finden ihren Ausdruck im vom Unternehmer akzeptierten Urteil der Kunden.<br />

Wer sind <strong>die</strong> Kunden der betrieblichen Personalarbeit? Es sind Auszubildende und<br />

Fachkräfte auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt, <strong>die</strong> z.B. im Bereich der Elektroindustrie<br />

bereits einen sehr ausgeprägten Kundenstatus haben. Es sind <strong>die</strong> eigenen<br />

Beschäftigten, <strong>die</strong> in kontinuierlichen Aushandlungsprozessen bei betrieblichen Veränderungen<br />

ihre Interessen gegenüber den Interessen des <strong>Unternehmen</strong>s abwägen mit deutlichen<br />

Auswirkungen auf betriebliche Kennziffern wie Fluktuationsquote und durchschnittliche<br />

Beschäftigungsdauer 134. Kunden sind auch andere <strong>Unternehmen</strong>sbereiche wie z.B.<br />

FuE oder Vertrieb als Abnehmer von zentral angebotenen Gesundheits- oder Bildungs<strong>die</strong>nstleistungen.<br />

Kunden sind auch Führungskräfte, <strong>die</strong> mit der Geschäftsführung Zielvereinbarungen<br />

einschließlich personeller Ziele abgeschlossen haben, und <strong>die</strong> entsprechend<br />

ihrer Zielerreichung bewertet werden.<br />

<strong>Einzigartigkeit</strong> ist <strong>die</strong> Balance zwischen Ähnlichkeit (Effizienz: etwas richtig tun) und<br />

Andersartigkeit (Effektivität: das Richtige tun). Effizienz und Effektivität entstehen über<br />

eine unternehmensspezifische Wissenserzeugung - als einmalige Kombination von Wissen<br />

aus unterschiedlichen Gebieten (siehe Kapitel 8 in <strong>die</strong>ser Publikation). Auf <strong>die</strong>se spezielle<br />

Form der Personalarbeit übertragen heißt das eine Kombination aus<br />

(1) dem vorhandenen Personalsach- und Fachwissen,<br />

(2) neuem Hintergrundwissen zum demografischen Wandel in seinen sehr vielschichtigen<br />

betrieblichen Auswirkungen,<br />

(3) neuem transferierten Forschungswissen „<strong>Unternehmen</strong> im demografischen Wandel“:<br />

- Leitbild- und Konzeptwissen: Altersausgewogene Personalpolitik, Gesunder Alters-<br />

Mix ( Neuorientierung der Personalarbeit).<br />

- Vorgehenswissen: Altersstrukturanalyse aZG© (Neustrukturierung und Neukoordinierung<br />

von Personalmaßnahmen).<br />

11.2 Zum Forschungsvorhaben<br />

Im vom BMBF im Rahmenkonzept „Innovative Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit“<br />

geförderten Vorhaben „Demografie-Initiative“ unter Federführung des Zentralverbandes<br />

Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI) e.V. Frankfurt am Main führte <strong>die</strong> GfAH <strong>die</strong><br />

wissenschaftliche Begleitung durch 135 . Zielgruppen waren Personalverantwortlichen, d.h.<br />

134<br />

Herriot, P., Pemberton, G.: Facilitating New Deals, in: Human Ressource Management Journal - Vol. 7 No.<br />

1, 2001, S. 45ff<br />

135<br />

Siehe: ZVEI e.V. (Hrsg.): Demografie-Initiative mit <strong>Unternehmen</strong> der Elektrotechnik- und<br />

Elektronikindustrie, Frankfurt am Main, 09/2002<br />

227


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Inhaber, Geschäftsführer und Kaufmännische Leiter aus KMU sowie Personalleiter und<br />

Personalreferenten aus größeren <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Das oben skizzierte Konzept einer Personalarbeit durchlief dort einen Praxistest mit 30<br />

<strong>Unternehmen</strong> der Elektrotechnik- und Elektronikindustrie aller Größenklassen (mit Ausnahme<br />

von Weltkonzernen) und Produktsparten (von Nanotechnik bis Elektromotoren).<br />

Das Vorhaben begann im Januar 2002 und wird bis Dezember 2003 andauern. Die<br />

betriebliche Erprobungsphase fand von März 2002 bis Dezember 2003 statt. Diese Laufzeit<br />

betrug etwa neun Monate. Die beteiligten <strong>Unternehmen</strong> entstammten eher südlichen<br />

Bundesländern (Baden-Württemberg. Bayern, Sachsen, Thüringen). Sie wiesen eher<br />

mittelalter- und alterszentrierte Personalstrukturen sowie mittlere bzw. höhere Qualifikationsstrukturen<br />

auf. Die Ergebnisse werden z.Zt. dokumentiert 136 und ausgewertet.<br />

Das Thema Demografischer Wandel allein reichte nicht aus, um <strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> zu<br />

bewegen, ihre Personalpolitik umzustellen bzw. eine vorausschauende Personalplanung<br />

einzuführen. Durch <strong>die</strong> Akteure selbst fanden Verknüpfungen zu anderen aktuellen<br />

betrieblichen Brennpunkten wie Fachkräftemangel, <strong>Unternehmen</strong>sentwicklung, Qualitätsmanagement<br />

statt, <strong>die</strong> sich auch in den betrieblichen Lösungen niederschlagen.<br />

136 Siehe: www.zvei.org/demografie<br />

228


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

11.3 Vorgehensweise mit der Altersstrukturanalyse aZG© 137<br />

Mit der Altersstrukturanalyse aZG© - aus der Zukunft in <strong>die</strong> Gegenwart können Personalverantwortliche<br />

eine Zeitreise in <strong>die</strong> Zukunft - z.B. von 2003 bis 2013 - unternehmen, um<br />

zu erkennen, mit welchen Personalbeständen, Personalstrukturen und Problemen der<br />

Arbeitsfähigkeit ihrer Belegschaft Ihr eigenes <strong>Unternehmen</strong> zukünftig konfrontiert sein<br />

wird, falls <strong>die</strong> bisherigen Personalstrategien fortgesetzt werden. Das ist aber erst der erste<br />

Schritt. Im zweiten Schritt können über (vereinfachte) Zukunftsszenarien alternative Personalstrategien<br />

auf dem Papier erprobt werden. Dadurch werden Entscheidungen über<br />

Zukunftsplanungen im Personalsektor aktiv unterstützt. Die Vorgehensweise durchläuft<br />

erfahrungsgemäß zehn Phasen. In allen Phasen werden bestimmte Wissensinhalte zu<br />

möglichen Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt<br />

und auf <strong>die</strong> Personalpolitik entweder direkt vermittelt oder von den Akteuren reflektiert.<br />

Die Anwendung der Altersstrukturanalyse aZG© durch Personalverantwortliche <strong>die</strong>nt primär<br />

der schrittweisen Optimierung der vorhandenen Personalarbeit über <strong>die</strong> Öffnung von<br />

neuen Zeithorizonten, Sichtweisen, Orientierungen und Lösungsräumen. Es sollen keine<br />

sogenannten Leuchtturm-Projekte oder gruppenspezifische Aktionsprogramme initiiert<br />

werden. Bereits vorhandene oder in der Planung befindliche Projekte z.B. zur Personalentwicklung<br />

oder zur Gesundheitsvorsorge sind integrierbar. Das gilt auch für Anforderungen<br />

aus dem Qualitätsmanagement, <strong>die</strong> personelle Themen betreffen (Bildungscontrolling<br />

u.ä.).<br />

Unverzichtbar bei der Anwendung ist das betriebliche Erfahrungswissen z.B. zum tatsächlichen<br />

Stand der Fort- und Weiterbildung oder der Personalentwicklung - unabhängig<br />

von der schriftlichen Dokumentation und der Darstellung nach außen. Das spricht an sich<br />

gegen eine fremdbestimmte Anwendung durch eine externe Beratung, da <strong>die</strong>se gerade<br />

<strong>die</strong>ses unverzichtbare aber schwer erschließbare betriebliche Erfahrungswissen nicht<br />

besitzen kann. Vom gemeinten Sinne handelt es sich um eine Vorgehensweise, <strong>die</strong> über<br />

Externe moderiert werden kann aber von den betrieblichen Akteuren selbst durchlaufen<br />

werden muss. Das stellt hohe Anforderungen an <strong>die</strong>se moderierende Beratung<br />

� Zehn-Phasen-Schema<br />

Die Vorgehensweise umfasst insgesamt zehn Arbeitsschritte, <strong>die</strong> aber nicht sequentiell<br />

hintereinander abgearbeitet werden können. Erfahrungsgemäß sind drei Schleifen mit<br />

Reflexionen und Kontrollfragen notwendig.<br />

1. Informationen zum demografischen Wandel sowie zur Fachkräfteproblematik, <strong>die</strong><br />

auch (aber nicht nur) durch den Rückgang an jüngeren Erwerbspersonen hervorgerufen<br />

worden ist<br />

137 Siehe: Köchling, A.: Leitfaden zur Selbstanalyse altersstruktureller Probleme in <strong>Unternehmen</strong>, in Badura,<br />

B. u.a. (Hrsg.): Fehlzeitenreport 2002. Demografischer Wandel: Herausforderung für <strong>die</strong> betriebliche<br />

Personal- und Gesundheitspolitik. Zahlen, Daten, Analysen aus allen Branchen der Wirtschaft, Berlin u.a.<br />

2003, S. 235ff; Köchling, A.: Leitfaden zur Selbstanalyse altersstruktureller Probleme in <strong>Unternehmen</strong>,<br />

Dortmund, April 2002 (GfAH-Selbstverlag); GfAH (Hrsg.): Altersstrukturanalyse aZG© - aus der Zukunft in <strong>die</strong><br />

Gegenwart, Dortmund 2003 (unveröff. Manuskript)<br />

229


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

2. Global- und Detailanalysen zur Alterstrukturentwicklung mit Zukunftsszenarien, Erkennen<br />

der wesentlichen Problemfelder für den künftigen Personalbestand und <strong>die</strong><br />

künftige Personalstruktur<br />

3. Personalstrategien zur Rekrutierung, zur Betriebsbindung, zur (vorzeitigen) Verrentung:<br />

was wird bereits gemacht? <strong>Was</strong> kann beibehalten werden? <strong>Was</strong> müsste wie verändert<br />

werden?<br />

4. Reflexion der sich bereits abzeichnenden Auswirkungen des demografischen Wandels<br />

auf Region, Arbeitsmarkt und Bildungssystem: sind <strong>die</strong>se zukünftigen Auswirkungen<br />

angemessen berücksichtigt worden? (erste Schleife mit Korrekturmöglichkeiten)<br />

5. Auswertung der Global- und Detailanalysen zur altersstrukturellen Entwicklung auf betriebliche<br />

Problemfelder zur Arbeitsfähigkeit (Lernungewohnte, Generationen-Konflikte,<br />

Ausgrenzungen von Personengruppen, vorzeitiger gesundheitlicher Verschleiß)<br />

- u.U. ergänzt um bereits vorhandene Analysen aus dem Bildungscontrolling, zur Mitarbeiterzufriedenheit,<br />

zu Fehlzeiten, zur Arbeitsunfähigkeit u.ä.<br />

6. Personalstrategien zum berufsbegleitenden Lernen, zur beruflichen Entwicklung, zum<br />

Wissenstransfer, zur Gesundheitsvorsorge, zur Wertschätzungs-Kultur: was wird bereits<br />

gemacht? <strong>Was</strong> kann beibehalten werden? <strong>Was</strong> müsste wie verändert werden?<br />

7. Reflexion ausgewählter Forschungsergebnisse zur Arbeits(bewältigungs)fähigkeit<br />

(Qualifikation, Motivation, Gesundheit): sind <strong>die</strong>se Erkenntnis bei der Weiterentwicklung<br />

der Personalstrategien angemessen berücksichtigt worden? (zweite Schleife mit<br />

Korrekturmöglichkeiten)?<br />

8. Planung der Umsetzung der personalpolitischen Maßnahmen im gleichen Jahr, in den<br />

nächsten drei Jahren, in den nächsten fünf Jahren, in den nächsten 10 Jahren<br />

9. Reflexion der zukünftigen Personalarbeit: neue Planungshorizonte, neue Orientierungen.<br />

(dritte Schleife mit Korrekturmöglichkeiten)<br />

10. Zusammenfassung in einer Ergebnisdarstellung.<br />

230


Quelle: Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 87: Zehn-Phasen-Schema<br />

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�<br />

�<br />

�<br />

�<br />

�<br />

Information<br />

� Global- und Detailanalysen<br />

�<br />

�<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Global- und Detailanalysen mit Zukunftsszenarien,<br />

Erkennen (gegenwärtiger und zukünftiger)<br />

Problemfelder zum Personalbestand und zur<br />

Personalstruktur<br />

Personalstrategie zu Personalbestand und Personalstruktur<br />

Reflexion<br />

Erkennen (gegenwärtiger und zukünftiger) Problemfelder<br />

zur Arbeitsfähigkeit<br />

Personalstrategie zur Arbeitsfähigkeit<br />

Reflexion<br />

Planung der Umsetzung in unterschiedlichen Zeithorizonten<br />

� Reflexion<br />

�� Ergebnisbericht<br />

Das Beispiel <strong>eines</strong> KMU aus den neuen Bundesländern 138 verschaulicht, wie <strong>die</strong> Globalanalyse<br />

ein trügerisches Bild einer mittelalterzentrierten Altersstruktur mit einer geringen<br />

Anzahl an über 55Jährigen vermittelt, während Detailanalysen zu Facharbeitern einerseits<br />

und Ingenieuren andererseits auf <strong>die</strong> eigentlichen personellen Probleme verweisen. Bei<br />

den älter werdenden Ingenieuren besteht hier ein weitaus höherer Handlungsdruck als bei<br />

den Facharbeitern.<br />

138<br />

Lust Hybrid-Technik GmbH Hermsdorf: Vorausschauende Personalpolitik in einem jungen <strong>Unternehmen</strong> -<br />

siehe: www.zvei.org/demografie<br />

231


30<br />

25<br />

20<br />

15<br />

10<br />

5<br />

0<br />

2002<br />

2002<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

2012<br />

2002<br />

bis 24 Jahre 25-34 Jahre 35-44 Jahre 45-54 Jahre ab 55 Jahre<br />

= Auszubildende<br />

Quelle: Lust Hybrid-Technik GmbH Hermsdorf 2003 - Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 88: Globalanalyse Altersstrukturen 2002 und 2012 - betriebliches Beispiel<br />

2012<br />

232<br />

2002<br />

2012<br />

2002<br />

2012


24<br />

22<br />

20<br />

18<br />

16<br />

14<br />

12<br />

10<br />

8<br />

6<br />

4<br />

2<br />

0<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Quelle: Lust Hybrid-Technik GmbH Hermsdorf 2003 - Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 89: Detailanalyse Facharbeiter 2002 und 2012 - betriebliches Beispiel<br />

10<br />

9<br />

8<br />

7<br />

6<br />

5<br />

4<br />

3<br />

2<br />

1<br />

0<br />

2002<br />

2002 2012<br />

bis 24 Jahre 25-34 Jahre 35-44 Jahre 45-54 Jahre ab 55 Jahre<br />

2002<br />

= Auszubildende<br />

Quelle: Lust Hybrid-Technik GmbH Hermsdorf 2003 - Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 90: Detailanalyse Ingenieure 2002 und 2012 - betriebliches Beispiel<br />

2002<br />

bis 24 Jahre 25-34 Jahre 35-44 Jahre 45-54 Jahre ab 55 Jahre<br />

= Auszubildende<br />

2002<br />

2012<br />

2002<br />

233<br />

2012<br />

2012<br />

2002<br />

2002<br />

2012<br />

2012<br />

2002<br />

2002<br />

2012<br />

2012


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

� (Vereinfachte) alternative Zukunftsszenarien<br />

Die Zukunft ist keine eindimensionale Fortschreibung der Gegenwart. Personalverantwortliche<br />

können über unterschiedliche Annahmen (Faktorenbündel) alternative Zukunftsszenarien<br />

entwickeln und durchspielen. Die Faktorenbündel können beinhalten:<br />

1. quantitative Effekte auf den Personalbestand: Erstausbildungs- bzw. Übernahmequoten,<br />

Trainee-, Einstellungs- und Fluktuationsquoten, Quoten der (vorzeitigen) Verrentungen<br />

einschließlich Altersteilzeitquoten, Personaleinsparungen über Rationalisierungseffekte,<br />

Personalaufstockungen durch neue Geschäftsfelder u.ä.,<br />

2. qualitative Effekte auf <strong>die</strong> Personalstruktur: Veränderungen in den Qualifikationsstrukturen<br />

über Veränderungen in Geschäftsfeldern, FuE, Fertigung, über Reorganisation<br />

u.ä.<br />

Personalverantwortliche sollten ihre (über)betrieblichen Rahmenbedingungen in ihren<br />

Zukunftsszenarien mit berücksichtigen. Dieses geschieht vielfach in indirekter Form wie<br />

z.B. über <strong>die</strong> Selbstbewertung der eigenen Attraktivität als Arbeitgeber oder über <strong>die</strong> Einschätzung<br />

des Ausbildungs- und Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung von Arbeitslosenquote,<br />

Nähe von Ausbildungseinrichtungen, Nähe von anderen Arbeitgebern mit einer<br />

höheren Attraktivität für Bewerber u.ä. Die direkten Folgen zeigen sich z.B. in der Definition<br />

von Zielgruppen für Personalmaßnahmen und in der Festlegung der Personalmaßnahmen<br />

selbst.<br />

Status<br />

Quo<br />

Quelle: GfAH 2003<br />

Faktorenbündel 1: Beschäftigungswachstum;<br />

reduzierte ATZ-Quote;<br />

Beibehaltung<br />

Erstausbildungsquote;<br />

Rationalisierungseffekte<br />

Faktorenbündel 2: Beschäftigungsrückgang;<br />

hohe ATZ-Quote;<br />

Beibehaltung Erstausbildungsquote;<br />

Rationalisierungseffekte<br />

Bild 91: Alternative Zukunftsszenarien (vereinfacht)<br />

234<br />

Zukunftsszenario


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Das Beispiel <strong>eines</strong> KMU aus den alten Bundesländern 139 zeigt, dass im selbst erstellten<br />

Szenario mit unterschiedlichen Annahmen über Beschäftigungswachstum sowie Personalstrategien<br />

gearbeitet worden ist.<br />

100<br />

90<br />

80<br />

70<br />

60<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

15-24 Jahre 25-34 Jahre 35-44 Jahre 45-54 Jahre ab 55 Jahre<br />

1996 2002 2012a 2012b<br />

Quelle: microTEC GmbH Duisburg/Bad Dürkheim 2003 - Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 92: Zukunftsszenarien - betriebliches Beispiel<br />

� Kein Schematismus<br />

Personalverantwortliche haben eigene „Handschriften“ und eigene Werkzeuge zum Planen<br />

und Durchspielen von Szenarien. Das zeigt sich bereits an den Darstellungsformen<br />

der betrieblichen Altersstruktur (nach Jahrgängen, nach Kreissegmenten, nach Säulendiagrammen,<br />

nach 5er- oder 10er-Gruppen u.ä.) aber auch bei der Zusammenstellung<br />

von Faktorenbündeln für <strong>die</strong> Szenarien. Die Altersstrukturanalyse aZG© kann flexibel auf<br />

individuelle Bedürfnisse und betriebliche Anforderungen angepasst werden. Daher bietet<br />

<strong>die</strong> GfAH ganz bewusst keine PC-Programme an, sondern setzt darauf, dass <strong>die</strong>se nur im<br />

<strong>Unternehmen</strong> selbst erstellt werden können.<br />

139 microTEC GmbH Duisburg/Bad Dürkheim: MIX IT - Technologieführerschaft ausbauen durch aktive<br />

Personal- und Organisationsentwicklung mit altersgemischten Teams - siehe: www.zvei.org/demografie<br />

235


Quelle: GfAH 2003<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Bild 93: Bisherige Erfahrungen mit kreativen betrieblichen Anwendungen der Altersstrukturanalyse<br />

aZG©<br />

� Ausweitung von Lösungsräumen<br />

Die Ausweitung von Lösungsräumen erfolgte im Vorhaben Demografie-Initiative auf dreierlei<br />

Weise:<br />

(1) über ein Nachschlagewerk 140, u.a. gegliedert nach acht Personalthemen (von Rekrutierungsstrategien<br />

bis Wertschätzungs-Kultur) - jeweils ergänzt mit Katalogen von<br />

optionalen Personalmaßnahmen, d.h. bekannten und weniger bekannten Maßnahmen,<br />

als Cafeteria-Angebot.<br />

(2) über einen Erfahrungsaustausch: Über <strong>die</strong> Durchführung von drei regionalen<br />

Workshops als Follow-Up-Workshops an vier regionalen Standorten 141 war der Kreis<br />

der betrieblichen Teilnehmer immer gleich bzw. ähnlich zusammengesetzt - trotz der<br />

Verschiedenartigkeit der beteiligten <strong>Unternehmen</strong>. Die Teilnehmer lernten sich näher<br />

kennen. Daraus entwickelte sich ein Erfahrungsaustausch speziell zu von einzelnen<br />

Workshop-Teilnehmern vorgeschlagenen Personalmaßnahmen. Teilweise wurden<br />

Adressen, Literaturhinweise und Materialien ausgetauscht.<br />

140 Siehe FN 137<br />

141 Siehe FN 135<br />

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236


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

(3) über Vertiefungsworkshops: zu speziellen in den Kreisen der beteiligten <strong>Unternehmen</strong><br />

weniger bekannten Themen wie z.B. „Familienfreundliches <strong>Unternehmen</strong>“,<br />

„Wertschätzungs-Kultur“ wurden- unter Einbindung von betrieblicher Good Practice<br />

und externen Experten Workshops zur Themenvertiefung durchgeführt, um den beteiligten<br />

Personalverantwortlichen <strong>die</strong>se Konzepte und Maßnahmen näher zu bringen 142.<br />

Bild 94 zeigt am Beispiel des ersten Personalthemas „Rekrutierungsstrategien“ einerseits<br />

das Gesamtspektrum an möglichen Maßnahmen, <strong>die</strong> von den beteiligten <strong>Unternehmen</strong><br />

mehr oder weniger ausgeschöpft worden waren, Bild 95 eine Zuordnung der Maßnahmen<br />

zu Betriebsgrößen, zu bekannter betrieblicher Good Practice sowie über ZVEI- oder<br />

GfAH-vermittelte Wissensbestände.<br />

Flexibilisierung<br />

der ATZ<br />

Abwerbung<br />

von Älteren<br />

aus anderen<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

Quelle: Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 94: Lösungsraum zu Rekrutierungsstrategien<br />

142 Siehe FN 135<br />

Hochqualifizieren<br />

Erstausbildung<br />

Fach-/<br />

Hochschulkontakte<br />

Einstellungen<br />

von<br />

(arbeitslosen)<br />

Älteren<br />

Berufsrückkehrerinnen<br />

Personalmarketing<br />

besondere<br />

Trainéeprogramme<br />

237<br />

Outsourcing<br />

Neueinstellungen<br />

Arrangements<br />

mit BFWn,<br />

Weiterbildungsträgern,Beschäftigungsgesellschaften<br />

Leiharbeit


auch KMU<br />

Flexibilisierung<br />

der ATZ<br />

Abwerbung<br />

von Älteren<br />

aus anderen<br />

<strong>Unternehmen</strong><br />

Hochqualifizieren<br />

Quelle: Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Erstausbildung<br />

Fach-/<br />

Hochschulkontakte<br />

Einstellungen<br />

von<br />

(arbeitslosen)<br />

Älteren<br />

Berufsrückkehrerinnen<br />

Personalmarketing<br />

besondere<br />

Trainéeprogramme<br />

Bild 95: Erfahrungsaustausch zu Rekrutierungsstrategien<br />

11.4 Neuorientierung über Leitbilder<br />

� Altersausgewogene Personalpolitik<br />

Dieses Leitbild war Resultat <strong>eines</strong> vorangegangen Forschungsvorhabens 143 und hatte<br />

auch Eingang in das Rahmenkonzept „Innovative Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit“<br />

des DLR Projektträger des BMBF Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen gefunden 144. Es<br />

basierte auf einem aus den USA stammenden organisationsdemografischen Ansatz 145 .<br />

Die Ausgewogenheit besteht darin, dass einerseits <strong>die</strong> Maßnahmen auf spezielle Altersgruppen<br />

zugeschnitten sind und andererseits <strong>die</strong> verschiedenenartigen Interessen beider<br />

Generationen angesprochen werden. Bild 96 zeigt <strong>die</strong> Prinziplösung, Bild 97 <strong>die</strong> Umsetzung<br />

<strong>die</strong>ses Konzeptes anhand <strong>eines</strong> betrieblichen Beispiels. Es handelt sich um den<br />

Standort Minden <strong>eines</strong> internationalen Konzerns mit über 500 Beschäftigten 146.<br />

143<br />

Köchling, A.: Altersstrukturen und Personalpolitik unter den Bedingungen des demographischen Wandels,<br />

in: Köchling, A. u.a. (Hrsg.): Innovation und Leistung mit älterwerdenden Belegschaften, München und<br />

Mehring 2000, S. 43ff, insb. S. 92f; Köchling, A.: Alt und Jung im Betrieb. Intergenerative Personalpolitik als<br />

Wettbewerbsfaktor, in: Buck, H., Schletz, A. (Hrsg.): Wege aus dem demografischen Dilemma durch Sensibilisierung,<br />

Beratung und Gestaltung, Stuttgart 2001, S. 20ff<br />

144<br />

BMBF (Hrsg.): Innovative Arbeitsgestaltung - Zukunft der Arbeit. Rahmenkonzept, Bonn Sept. 2002<br />

145<br />

Siehe: Nienhüser, W.: Organisationale Demographie-Darstellung und Kritik <strong>eines</strong> Forschungsansatzes,<br />

in: DBW 06/1991, S. 763ff; Nienhüser, W.: Personalwirtschaftliche Wirkungen ausgewogener betrieblicher<br />

Altersstrukturen, in: George, R., Struck, O. (Hrsg.): Generationenaustausch im <strong>Unternehmen</strong>, München und<br />

Mehring 2000, S. 55ff; Nienhüser, W.: Ursachen und Wirkungen betrieblicher Personalstrukturen, Stuttgart<br />

1998; Nienhüser, W.: Wirkungsanalyse und Gestaltung betrieblicher Personalstrukturen - am Beispiel der<br />

Altersstruktur, in Zeitschrift für Personalforschung 01/1992, S. 75ff<br />

146<br />

ABB Automation Products Minden: Mit der Altersstrukturanalyse zu einer vorausschauenden Personalpolitik<br />

- siehe: www.zvei.org/demografie<br />

238<br />

Good-Practice<br />

Outsourcing<br />

Leiharbeit<br />

Arrangements<br />

mit BFWn,<br />

Weiterbildungsträgern,Beschäftigungsgesellschaften<br />

Großunternehmen<br />

Neueinstellungen<br />

Projekt


Erhöhung der AZUBI-Trainée-Quote<br />

Durchlässige Berufslaufbahnplanungen<br />

Attraktivität der Arbeit<br />

Betriebsbindung<br />

bei<br />

Jüngeren<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Quelle: Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 96: Leitbild "Altersausgewogene Personalpolitik<br />

Erstausbildung<br />

Eigenverantwortung<br />

Selbstverwirklichung<br />

individuelle Gratifikationen<br />

➔ modern u. arbeitsplatznah<br />

➔ bedarfsorientiert<br />

➔ Übernahmesicherheit<br />

Fachkräftenachwuchs<br />

➔ bedarfsorientierte<br />

Neueinstellungen<br />

➔ Frauen-Rekrutierungsoffensive<br />

➔ Intensivierung u. Stabilisierung<br />

Schul- u. Hochschul-Marketing<br />

Generationenvertrag<br />

Quelle: ABB Automation Products Minden 2003 - Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 97: Betriebliches Beispiel "Altersausgewogene Personalpolitik"<br />

„Gesunder Alters-Mix“ und „Vielfalt im Personalbestand“<br />

Vorausgegangene Forschungsprojekte hatten bereits gezeigt 147 , dass in <strong>Unternehmen</strong> mit<br />

einer Vielfalt im Personalbestand oder „Bunten Belegschaft“ 148 in der Regel alle Altersgruppen<br />

vertreten sind. Die meisten der an der Demografie-Initiative beteiligten <strong>Unternehmen</strong><br />

hatten sich für das Leitbild einer altersgemischten Belegschaftsstruktur entschie-<br />

147 Siehe FN 143<br />

148 Uhl, B.; Köchling, A.; Schwab, E.: Bunte Belegschaft. Wie stellt sich Bürkert dem demografischen Wandel,<br />

Dortmund 09/2002 (Videofilm auf CD-Rom) (GfAH-Selbstverlag)<br />

239<br />

Senkung ATZ-Quote<br />

Neueinstellungen auch von Älteren<br />

Wertschätzung von Erfahrungswissen<br />

Leistungswandel ausgleichen<br />

Wissenstransfer über Patenmodelle zwischen Jung und Alt<br />

frühzeitige und zielorientierte<br />

Nachfolgeplanung<br />

Soziale Sicherheit<br />

Ermutigung im Umfeld<br />

Gefühl, gebraucht zu werden<br />

Jüngere Ältere<br />

bedarfsorientierter<br />

Einsatz von<br />

Angelernten<br />

bedarfsorientierte<br />

Rekrutierung von<br />

Ingenieuren mit<br />

Berufserfahrung<br />

aktive Berufslaufbahnplanung<br />

Arbeitsfähigkeit<br />

bis zur Rente<br />

Reduzierung ATZ-Quote<br />

Arbeiten bis 63 bzw. 65<br />

Erhaltung der Arbeitsfähigkeit<br />

➔ Gesundheitsprogramme für<br />

über 45jährige<br />

➔ Wissensauffrischung für über<br />

45jährige<br />

gegen Einseitigkeit, Überspezialisierung, gesundheitlichen Verschleiß


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

den, einige definitiv auch für das Leitbild „Bunte Belegschaften“. Bild 98 zeigt <strong>die</strong> Zusammenhänge<br />

zwischen beiden Leitbildern und verweist gleichzeitig auf enge Zusammenhänge<br />

zu einem dritten Leitbild (Altersausgewogene Personalpolitik, s.o.) und einem<br />

vierten Leitbild (Wertschätzungs-Kultur, s.u.). Bild 99 zeigt dazu ein betriebliches Beispiel<br />

<strong>eines</strong> KMU aus den alten Bundesländern 149.<br />

Quelle: Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 98: Gesunde Altersmischung als Leitbild<br />

149 Siehe FN 139<br />

Altersausgewogene<br />

Personal<br />

politik<br />

Arbeitsfähigkeit<br />

für jedes Alter<br />

Vielfalt<br />

Gesunde<br />

Alters-<br />

Mischung<br />

im Personalbestand<br />

Planung in längeren<br />

Zeithorizonten<br />

240<br />

Wertschätzungs-<br />

Kultur


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Attraktiver Arbeitgeber für ältere Beschäftigte bleiben!<br />

Der Anteil an Beschäftigen 50plus soll langfristig bei 20 bis 30 Prozent stabilisiert<br />

werden.<br />

Attraktiver Arbeitgeber für Junge werden!<br />

Die bereits geschaffene Rekrutierungsreserve solle 2003/2004 über <strong>die</strong> Einrichtung<br />

von Ausbildungsplätzen erweitert werden..<br />

Attraktiver Arbeitgeber für weibliche Beschäftigte werden!<br />

Zukünftig soll stärker mit der eigenen Good-Practice als „Familienfreundliches<br />

<strong>Unternehmen</strong>“ im Außenfeld geworben werden, um insbesondere von<br />

Ingeneurinnen und Naturwissenschaftlerinnen zu gewinnen.<br />

Attraktiver Arbeitgeber für ausländische Beschäftigte bleiben!<br />

2002 fand bereits eine erfolgreiche Integration von Beschäftigten aus<br />

unterschiedlichen Kulturkreisen in den Teams statt, <strong>die</strong> 2003 fortgesetzt werden<br />

wird.<br />

Quelle: microTEC GmbH Duisburg/Bad Dürkheim 2003 - Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 99:Vielfalt im Personalbestand als Leitbild - betriebliches Beispiel<br />

� Wertschätzungs-Kultur<br />

Altersgemischte oder bunte Belegschaften bedürfen einer speziellen <strong>Unternehmen</strong>skultur,<br />

der Wertschätzungs-Kultur 150. Eine Kultur der gegenseitigen Wertschätzung zwischen<br />

allen Generationen und Beschäftigtengruppen ist ein qualitativer Sprung gegenüber Anti-<br />

Diskriminierung, Chancengleichheit oder Gleichstellung. Dieses soll durch <strong>die</strong> Wertschätzungs-Treppe<br />

in Bild 100 verdeutlicht werden 151.<br />

Abbau von<br />

Diskriminierung<br />

Quelle: GfAH 2003<br />

Chancengleichheit<br />

(Förderung)<br />

Gleichstellung (political<br />

correctness)<br />

(Ergebnis aus dem GfAH-Transfervorhaben „Intergenerative Personalpolitik“ - Köchling 2002 )<br />

Bild 100: Auf dem Weg zu einer Wertschätzungs-Kultur<br />

150<br />

Uhl, B. u.a.: Verbundantrag „Diversity als Innovationskultur. Kulturwandel in kleinen und mittelständischen<br />

<strong>Unternehmen</strong> der Spitzentechnik - DIVINKU“, Dortmund 2003<br />

151<br />

GfAH-Methode (in Entwicklung) zur Ermittlung der <strong>Unternehmen</strong>skultur als Wertschätzungs-Kultur<br />

verschiedener <strong>Unternehmen</strong>sbereiche<br />

241<br />

Wertschätzung der<br />

Andersartigkeit<br />

(valuing diversity)


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

11.5 Neustrukturierung und Neukoordinierung von<br />

Personalmaßnahmen<br />

� Neustrukturierung<br />

Eine Neustrukturierung erfolgt auf mehreren Wegen:<br />

(1) über eine Ausrichtung nach neuen Leitbildern,<br />

(2) über <strong>die</strong> Zukunftsszenarien,<br />

(3) über bestimmte Fragestellungen im betrieblichen Ergebnisbericht als Abschluss der<br />

zehnphasigen Vorgehensweise:<br />

- zum zukünftige Personalbestand und zur zukünftigen Personalstruktur,<br />

- zur zukünftigen Arbeitsfähigkeit der gesamten Belegschaft, d.h. aller Altersgruppen.<br />

Entsprechend sind <strong>die</strong> acht Personalthemen den Fragestellungen zugeordnet - s. Bild<br />

101.<br />

Personalbestand, Personalstruktur<br />

Rekrutierungsstrategien<br />

Berufsbegleitendes<br />

Lernen<br />

Wissenstransfer<br />

Betriebsbindung<br />

Arbeitsfähigkeit<br />

Berufliche<br />

Entwicklung<br />

Gesundheitsvorsorge<br />

Quelle: Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 101: Neustrukturierung nach Personalthemen<br />

(4) über <strong>die</strong> acht Personalthemen selbst, <strong>die</strong> jeweils Kataloge von optionalen Maßnahmen<br />

umfassen und dadurch eine Ausweitung von Lösungsräumen darstellen.<br />

In Bild 102 finden sich <strong>die</strong>se prinzipiellen Überlegungen in vereinfachter Form.<br />

242<br />

Vorzeitige<br />

Verrentung<br />

Wertschätzungs-<br />

Kultur


Quelle: Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 102: Vorgehensweise bei der Selbstanalyse<br />

Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

� Neukoordinierung in längeren Zeithorizonten<br />

Die Umsetzungs- und Planungshorizonte waren im Vorhaben Demografie-Initiative unterteilt<br />

wie folgt:<br />

• 2002 (projektbegleitend)<br />

• 2003 ein Jahr später<br />

• 2005 drei Jahre später<br />

• 2007 fünf Jahre später<br />

• 2012 zehn Jahre später.<br />

Altersstrukturanalyse<br />

Fortschreibung 5, 10 Jahre Überprüfung Personalmaßnahmen<br />

Rekrutierungsstrategien<br />

Betriebsbindung<br />

8 betriebliche Problembereiche<br />

vorzeitigeVerrentung<br />

berufsbegleit.<br />

Lernen<br />

berufl.<br />

Entwicklung<br />

optionale Einzelmaßnahmen<br />

Die Aufschlüsselung der von den Akteuren entwickelten - bereits umgesetzten und geplanten<br />

- Personalmaßnahmen nach <strong>die</strong>sen unterschiedlichen Zeithorizonten war <strong>die</strong><br />

dritte Aufgabenstellung zur Erstellung des betrieblichen Ergebnisberichtes. Bild 103 zeigt<br />

einen Ausschnitt aus der Umsetzung der Maßnahmenstruktur von Bild 97 in <strong>die</strong> betreffenden<br />

Zeitkoordinaten 152.<br />

152 ABB Automation Products Minden: Mit der Altersstrukturanalyse zu einer vorausschauenden<br />

Personalpolitik - siehe: www.zvei.org/demografie<br />

243<br />

Wissenstransfer<br />

GesundWertheitsschätzungsvorsorge Kultur


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

Quelle: ABB Automation Products Minden 2003 - Demografie-Initiative ZVEI und GfAH 2003<br />

Bild 103: Neukoordinierung von Personalmaßnahmen - betriebliches Beispiel (Auszug)<br />

Nahezu alle beteiligten <strong>Unternehmen</strong> verstanden <strong>die</strong>se Planung nicht als absolute Setzung<br />

für <strong>die</strong> Zukunft sondern als Fundament für eine kontinuierliche - in der Regel jährliche<br />

- Bestandsaufnahme und Fortschreibung.<br />

In Teil 1 <strong>die</strong>ses Fachartikel erfolgte bereits ein gezielter Hinweis auf eine Fortschreibung<br />

über den Planungshorizont der zehn Jahre hinaus. Neben einer Verschärfung der Situation<br />

auf dem Arbeitsmarkt, da etwa ab 2008 eine sprunghafte Zunahme der über 50-jährigen<br />

Erwerbspersonen erfolgt, sind dabei zusätzliche Trends zu beachten.<br />

11.6 Ausblick<br />

ab 2002<br />

Reduzierung der Inanspruchnahme der betrieblichen<br />

Altersteilzeitregelungen<br />

ab 2009<br />

Auslaufen relevanter Altersrenten (Geburtsjahr<br />

1952)<br />

2002<br />

Erste Überlegungen zu einer längerfristigen<br />

Stärkung der Arbeitsfähigkeit<br />

seit 2002<br />

Überprüfung Gefährdungsanalysen, Arbeitsplatzbegehungen<br />

ab 2003<br />

Auswertung von Mitarbeitergesprächen im<br />

Rahmen betrieblicher Personalplanungen zur<br />

Förderung einer aktiven Berufslaufbahngestaltung<br />

für alle Beschäftigten<br />

ab 2004<br />

Planung zusätzlicher standortbezogener<br />

Bildungsmaßnahmen über 45-Jähriger<br />

Wie im ersten Teil <strong>die</strong>ses Fachartikels bereits angerissen, sind Kundenverständnis („im<br />

vom <strong>Unternehmen</strong> selbst akzeptierten Urteil der Kunden“) und Wettbewerber-Verständnis<br />

(„anders als <strong>die</strong> anderen Wettbewerber“) im Falle <strong>die</strong>ser im Schatten des demografischen<br />

Wandels neustrukturierten Personalarbeit noch nicht deutlich umrissen. Diese Fragestellungen<br />

müssten zukünftig zielgerichteter verfolgt werden. Das gilt insbesondere für Auswirkungen<br />

des demografischen Wandels auf Ausbildungs- und Arbeitsmärkte in ihrem<br />

Verhältnis zu Absatzmärkten. In welcher Form werden Produkt- und Marktwettbewerbe<br />

durch Verwerfungen auf den Ausbildungs- und Arbeitsmärkten beeinflusst? Die Aus-<br />

244


Teil D Erprobungen, Vertiefungen<br />

Kapitel 11 Im Schatten des demografischen Wandels<br />

gangsfragestellung „Kann ein <strong>Unternehmen</strong> über seine Personalarbeit einzigartig sein?“<br />

konnte daher in <strong>die</strong>sem Fachartikel nur teilweise und nicht abschließend beantwortet<br />

werden.<br />

Die übliche Form der Personalarbeit als Tätigwerden <strong>eines</strong> einzelnen <strong>Unternehmen</strong>s kann<br />

im Vergleich zu sich herausbildenden Communities of Practice (COP) zu Personalthemen<br />

als weniger effizient und effektiv bewertet werden, da <strong>die</strong> Lösungsspielräume vergleichsweise<br />

eingeschränkter sind. Gerade unter Berücksichtigung einer Zunahme an Komplexität<br />

in der Personalarbeit unter den Bedingungen des demografischen Wandels gewinnt<br />

<strong>die</strong> Institutionalisierung <strong>eines</strong> selbstorganisierten dauerhaften Erfahrungsaustausches<br />

zunehmend an Bedeutung.<br />

Die Lernende Personalpolitik erfordert spezielle Strukturen und Prozesse sowie eine spezielle<br />

Vorgehensweise wie hier am Beispiel der Altersstrukturanalyse aZG© im Rahmen<br />

<strong>eines</strong> Zehn-Phasen-Schemas demonstriert. Erkennbar werden <strong>die</strong> ersten erfolgreichen<br />

Planungs- und Umsetzungsschritte initiiert. Eine Langfrist-Evaluation steht noch aus.<br />

245


7HLO ( 6FKOXVV<br />

$QKDQJ<br />

Teil E Schluss<br />

Kapitel 12 Das Ende ist der Anfang<br />

'DV (QGH LVW GHU $QIDQJ<br />

246


Teil E Schluss<br />

Kapitel 12 Das Ende ist der Anfang<br />

12. Das Ende ist der Anfang<br />

� Baustelle<br />

Mit der zunehmenden Erprobung sowie der Niederschrift <strong>die</strong>ses Textes sind viele neue<br />

Ideen, aber auch Herausforderungen entstanden, so dass gilt: das Ende ist der Anfang.<br />

Es ist deutlich geworden, dass das Konstrukt "einzigartige <strong>Unternehmen</strong>", abgesehen von<br />

immanenten Verbesserungen, einer doppelten Flankierung bedarf:<br />

• einmal einer praxeologischen Ergänzung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Handlungsperspektiven der<br />

Akteure beschreibt und<br />

• zum anderen einer methodischen Ergänzung, <strong>die</strong> <strong>die</strong> Vorgehensweise der Analyse<br />

darlegt.<br />

Mit Blick auf <strong>die</strong> Handlungslogik der Akteure ist mit der pdca-Spirale (siehe Kapitel 5.2)<br />

eine Grundlage geschaffen worden, <strong>die</strong> der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s kongruent<br />

ist. Das Verbindungsstück zwischen den individuellen Handlungen und der <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s ist <strong>die</strong> Ensemblekompetenz (siehe Kapitel 3.3). Wie das Kapitel 4<br />

zur Wissensverankerung zeigt, besteht in der Abarbeitung des Wechselspiels von individuellem<br />

und organisatorischem Handeln noch ein Bedarf - Forschung hierzu eingeschlossen.<br />

Der methodische Entwicklungsbedarf ist wahrscheinlich noch erheblich größer. Immerhin<br />

ist durch <strong>die</strong> vorgelegte Arbeit deutlich geworden, worauf <strong>die</strong> <strong>die</strong>sbezüglichen Anstrengungen<br />

herauslaufen (können): auf eine Kombination (um das Wort 'Vereinigung' zu vermeiden)<br />

von<br />

• S-Kurven-Analysen, also der Untersuchung logistischer Wachstumsprozesse<br />

und<br />

• der äquivalenz-funktionalen Methode, wie sie Luhmann 153 vor über 40 Jahren<br />

skizziert hat.<br />

Die S-Kurven-Analyse zeigt <strong>die</strong> Strukturierung bis Determinierung der Zukunft durch <strong>die</strong><br />

Vergangenheit. Die äquivalenz-funktionale Methode organisiert <strong>die</strong> Suche nach anderen<br />

Möglichkeiten, also den Umbruch aus der Vorbestimmtheit.<br />

Selbst wenn erhebliche methodische Fortschritte gelingen sollten, wird das bislang dominante<br />

Verfahren zur Herausbildung von <strong>Einzigartigkeit</strong> - <strong>die</strong> Selektion erfolgreicher<br />

Wissenskombinationen durch Erfahrungsbildung infolge Versuch und Irrtum - nicht abgeschafft<br />

werden; es wird aber stärker unterstützt und somit rationaler gestaltet werden können.<br />

Selbst wenn es gelingen sollte, den Code der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s in<br />

einer akzeptablen und verständlichen Form zu beschreiben, so ist hiermit <strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s noch lange nicht außer Kraft gesetzt:<br />

153<br />

Vgl. Luhmann, N: Funktion und Kausalität. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 14,<br />

1992, S.617-644<br />

247


Teil E Schluss<br />

Kapitel 12 Das Ende ist der Anfang<br />

• Der Code selbst wird zu viele einmalige Kombinationsmöglichkeiten enthalten.<br />

• Außerdem beschreibt er nur Formen, wohingegen <strong>die</strong> eigentliche Vielfalt in den<br />

Inhalten der Wissenskombinationen liegt.<br />

Trotzdem macht es Sinn, <strong>die</strong>sen Code der <strong>Einzigartigkeit</strong> weiter zu verfolgen; <strong>die</strong> Erfolgsaussichten<br />

von Lösungen werden besser bestimmbar und es wird <strong>die</strong> Dauerhaftigkeit des<br />

Erfolges gefördert.<br />

Der Verfasser ten<strong>die</strong>rt inzwischen dazu, den wiederholten Schöpfungsakt <strong>eines</strong> einzigartigen<br />

<strong>Unternehmen</strong>s eher mit der Entstehung von Kunstwerken als mit wissenschaftlichen<br />

Regelmäßígkeiten zu vergleichen. Man kann <strong>die</strong>s für Romantik halten, aber auch als Einsicht<br />

in zumindest aktuell-wissenschaftliche Grenzen werten. In keinem Fall ist es eine<br />

Absage an <strong>die</strong> Dienstleistung Wissenschaft: Die Unterstützung kreativer Prozesse ist eine<br />

sinnvolle Tätigkeit.<br />

� Die äquivalent-funktionale Methode ...<br />

Zurückgekehrt von den Ausflügen in zukünftige Bauarbeiten sei noch etwas ausführlicher<br />

auf <strong>die</strong> äquivalent-funktionale Methode (Kurzform: funktionale Methode) eingegangen, da<br />

sie weniger bekannt ist als <strong>die</strong> Analyse logistischer Wachstumsprozesse. Außerdem lassen<br />

sich hierdurch Leistung und Grenzen <strong>die</strong>ses Berichts veranschaulichen.<br />

Im Kern liegt <strong>die</strong>sem Buch eine funktionale Analyse zugrunde, bestehend aus folgenden<br />

Schritten:<br />

• Definiert wird eine Leistung (hier: <strong>Einzigartigkeit</strong>).<br />

• Gefragt wird, durch welche anderen Leistungen sie entsteht (hier: Wissenserzeugung<br />

und -nutzung, Ensemble-Kompetenz und Selbstbefähigung).<br />

• Erörtert werden <strong>die</strong> Folgen (Wirkungen) der als Bezugspunkt gesetzten Funktion<br />

(Leistung: <strong>Einzigartigkeit</strong>; Folgen: Überleben oder Sterben).<br />

Beschrieben werden also <strong>die</strong> Wirkungen (Teil B) von Funktionen auf eine Funktion (Teil<br />

A). Dieser mehrfache Bezug von Funktionen auf Funktionen kann als Erörterung reflexiver<br />

Leistungen verstanden werden.<br />

Nun ist es so, dass Funktionen zu ihrer Erzeugung <strong>eines</strong> Trägers, also der Struktur,<br />

bedürfen. Dieser Bericht reicht bis an <strong>die</strong> Schaltstelle zur Strukturbildung. Die konkreten,<br />

leistungserbringenden Strukturen werden aber nicht erörtert.<br />

Beispiel: Die Funktion „Ensemble-Kompetenz“ kann in sehr verschiedenen Strukturen<br />

realisiert werden:<br />

• etwa von einer Person,<br />

• oder einer Gruppe von Personen,<br />

• oder durch einen charismatischen Vorsitzenden, dem von Anderen assistiert<br />

wird,<br />

• oder durch partizipative Prozesse, in denen viele eingebunden sind, etc.<br />

248


Teil E Schluss<br />

Kapitel 12 Das Ende ist der Anfang<br />

In aller Regel gibt es deren mehrere bis viele konkrete Strukturen (im Beispiel: Organisationsstrukturen),<br />

<strong>die</strong> eine gleichwertige Leistung erbringen. Die Analyse der Erbringung<br />

gleichwertiger Leistungen durch verschiedene unterschiedliche Strukturen ist von Luhmann<br />

154 vor 40 Jahren unter der Bezeichnung äquivalent-funktionale Methode vorgetragen<br />

worden.<br />

Nach Luhmann erhält <strong>die</strong>se Methode ihre Bezugspunkte der Analyse (also: worauf hin<br />

analysiert wird) aus der Systemtheorie. In <strong>die</strong>sem Bericht ist der vorgegebene Bezugspunkt<br />

<strong>die</strong> <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s, <strong>die</strong> unter Wettbewerbsbedingungen das<br />

Überleben <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s ermöglicht. Die Äquivalenz (Gleichwertigkeit) verschiedener<br />

Strukturen gilt immer nur in bezug auf den Bezugspunkt der Analyse. Hinsichtlich anderer<br />

Bezugspunkte kann und wird <strong>die</strong> Äquivalenz häufig sofort aufhören zu bestehen.<br />

Diese äquivalent-funktionale Methode richtet sich nicht gegen Kausalitäts-Vorstellungen.<br />

Sie betrachtet Kausalität als Sonderfall des Äquivalenzfunktionalismus. Von Kausalität,<br />

<strong>die</strong> auch von mehreren Faktoren erzeugt werden kann, ist dann zu reden, wenn eine bestimmte<br />

Funktion von nur einer (und nicht von mehreren verschiedenen) Strukturen erzeugt<br />

wird.<br />

Diese von Luhmann vorgetragenen Argumente haben im Wissenschaftsbetrieb keine Karriere<br />

gemacht. Dieser war und ist in sehr großen Teilen auf das Erkennen von Regeln<br />

durch <strong>die</strong> Darlegung der Gemeinsamkeiten verschiedener Strukturen fixiert, der Wissenschaftsbetrieb<br />

hat wenig Gespür für <strong>die</strong> Gleichwertigkeit von Leistungen unterschiedlicher<br />

Strukturen.<br />

� ... und ihre praktische Bedeutung<br />

Für <strong>die</strong> Analyse der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s aber ist <strong>die</strong> äquivalent-funktionale<br />

Methode von schlechthin zentraler Bedeutung. Erinnert sei an <strong>die</strong> Überlegungen zur<br />

Erzeugung von <strong>Einzigartigkeit</strong> durch einmalige Wissenskombination. Es ist <strong>die</strong> enorme<br />

Vielfalt <strong>die</strong>ser Möglichkeiten, <strong>die</strong> das Denken von einzigartigen <strong>Unternehmen</strong> überhaupt<br />

erst sinnvoll macht.<br />

Luhmann bezeichnet seinen Ansatz als funktional-strukturelles Vorgehen und grenzt sich<br />

deutlich gegen <strong>die</strong> strukturell-funktionalen Vorgehen ab.<br />

• Wird zwischen Funktion und Struktur unterschieden und der Funktion Vorrang<br />

vor der Struktur gegeben, so sind bei invarianter Funktion eben verschiedene<br />

Strukturen, Lösungen möglich.<br />

• Wird aber von existierenden Strukturen aus gedacht und nach deren Funktionen<br />

gefragt, so können <strong>die</strong>se Strukturen zwar auch verändert werden - im Kern aber<br />

nur, um erhalten zu bleiben -, was eben nicht selten dazu führt, dass sie an der<br />

Umwelt (dem Wettbewerb) scheitern.<br />

154<br />

Vgl. Luhmann, N.: Funktion und Kausalität. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie<br />

14/1962, S. 617-644.<br />

249


Teil E Schluss<br />

Kapitel 12 Das Ende ist der Anfang<br />

Diese Erörterung ist alles andere als akademisch - sie ist höchst praktischer Natur, denn<br />

• alle erfolgreichen <strong>Unternehmen</strong> und Unternehmer sind Funktionalisten, im Sinne<br />

des funktional-strukturellen Vorgehens von Luhmann. Ihnen ist <strong>die</strong> Verteidigung<br />

der <strong>Einzigartigkeit</strong> ihres <strong>Unternehmen</strong>s wichtiger als <strong>die</strong> Verteidigung überkommender<br />

Strukturen.<br />

• Alle nicht erfolgreichen <strong>Unternehmen</strong> sind Strukturalisten. Sie basteln an ihren<br />

Strukturen ohne tatsächlich nach der Erzeugung von <strong>Einzigartigkeit</strong> zu fragen.<br />

• In bezug auf <strong>die</strong> Sozialwissenschaften lässt sich sagen: Sie sind über-wiegend<br />

Anhänger der Verlierer, bevorzugen also das strukturell-funktionale Vorgehen<br />

und sie fördern das immer neue Entstehen von Verlierern, in dem sie <strong>die</strong> Ähnlichkeit<br />

der <strong>Unternehmen</strong> betonen (z.B. etwa <strong>die</strong> Diffusion von Gruppenarbeit)<br />

und einen zu geringen Sinn für <strong>die</strong> Andersartigkeit, also <strong>die</strong> Unterschiedlichkeit<br />

von <strong>Unternehmen</strong> entwickeln.<br />

Bevor eine unnötige Aufregung entsteht, sei auf <strong>die</strong> Charakterisierung der <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

<strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s als Balancierung von Ähnlichkeit und Andersartigkeit hingewiesen.<br />

Die Suche nach Ähnlichkeiten ist nichts Schlechtes - sie ist notwendig. Alleingelassen,<br />

ohne <strong>die</strong> komplementäre Suche nach Andersartigkeit, aber ist sie schlicht zu wenig, um<br />

<strong>Unternehmen</strong> zukunftstauglich auszustatten.<br />

� Schwarze Engel<br />

Zu den Eigenheiten des Berichts gehören nun nicht nur begriffliche Überlegungen. Der<br />

Kontakt zur Wirklichkeit wird durch zahlreiche empirische Befunde und etliche KMU-Beispiele<br />

gehalten. Die <strong>die</strong>sbezüglichen Befunde lassen sich zu mehr als der Hälfte mit dem<br />

Bild der "schwarzen Engel" charakterisieren.<br />

Die Gruppe der "schwarzen Engel" besteht aus zwei Teilgruppen:<br />

• einmal aus den lernunwilligen <strong>Unternehmen</strong> und Managern und<br />

• zum anderen aus Managern, <strong>die</strong> vor allem im Kopf haben, dass Dringlichkeit vor<br />

Wichtigkeit geht oder dass Kosten wichtiger als Erlöse sind.<br />

Beide Teilgruppen betreiben <strong>die</strong> Veränderung ihres <strong>Unternehmen</strong>s als Wandel zum Tod.<br />

Empirische Belege hierfür sind reichlich vorgelegt worden.<br />

Etwas ausdifferenzierter lässt sich folgendes Bild zeichnen:<br />

• Es gibt eine größere Minderheit von <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> Einzigartigung als Prozess,<br />

als "beständige Herausforderung, im vom <strong>Unternehmen</strong> akzeptierten Urteil<br />

der Kunden, anders als jeder Wettbewerber und ähnlich den besten <strong>Unternehmen</strong><br />

zu sein = <strong>die</strong> Kombination Effizienz und Effektivität zu beherrschen" (vgl.<br />

Kapitel 2) begreift. Sie ist also zukunftsfähig einzustufen.<br />

250


Teil E Schluss<br />

Kapitel 12 Das Ende ist der Anfang<br />

• Es gibt aber auch eine große Minderheit von <strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> von einer Art<br />

kollektiven Todessehnsucht getrieben scheint. Sie erweist sich als relativ lernunwillig<br />

und betreibt kaum etwas Anderes als den Wandel zum Tod.<br />

• Es gibt noch eine weitere Gruppe, <strong>die</strong> Zwischengruppe. Hierzu zählen <strong>Unternehmen</strong>,<br />

<strong>die</strong> sich zwischen Selbsterneuerung und Sterben nicht recht entscheiden<br />

können.<br />

Es ist nun aber so, dass <strong>die</strong> Gruppe der zukunftsfähigen <strong>Unternehmen</strong> nicht losgekoppelt<br />

von den beiden anderen Gruppen existiert. Hierin liegt möglicherweise das größte Risiko<br />

<strong>die</strong>ses Landes.<br />

Bereits in der Einleitung ist auf <strong>die</strong> folgende Möglichkeit verwiesen worden: Eines Tage,<br />

wenn endlich <strong>die</strong> Standortdebatte beendet ist, wenn also angemessene Rahmenbedingungen<br />

geschaffen worden sind, gibt es zwar einen Rahmen, aber kein Bild mehr, das<br />

durch den Rahmen zu schützen ist; es sind bis dahin einfach zu viele <strong>Unternehmen</strong> ohne<br />

Nachwuchs verschwunden.<br />

Anders, holzschnittartiger, formuliert: Gemessen an den wirklich wichtigen Aufgaben, der<br />

Unterstützung der <strong>Einzigartigkeit</strong> von einzelnen <strong>Unternehmen</strong>, werden in Politik und Wissenschaft<br />

vorzugsweise <strong>die</strong> zweit- und drittrangigen Fragen diskutiert. Der großen Koalition<br />

der 'schwarzen Engel' können eben nur <strong>die</strong> einzelnen <strong>Unternehmen</strong> selbst entkommen,<br />

wozu wahrscheinlich auch eine wachsende wechselseitige Solidarität zwischen den<br />

<strong>Unternehmen</strong> gehören wird.<br />

� Projekt "Lust auf Zukunft"<br />

Die statistischen Durchschnittszahlen sind, insbesondere im internationalen Vergleich, nur<br />

mit Grautönen vergleichbar. Werden sie in <strong>die</strong> Zukunft projiziert, vgl. Anhang, so werden<br />

aus grauen eher schwarze Farben. Zugleich aber gibt es Minderheiten von Menschen,<br />

<strong>Unternehmen</strong>, von Schulen und vielen anderen Gruppen und Institutionen, <strong>die</strong> eigensinnig<br />

genug sind, sich <strong>die</strong>sem Halbdunkel-Trend nicht unterzuordnen.<br />

Sitzt man Schreibtisch, um Statistiken zu differenzieren, als in verschiedene Teilgruppen<br />

zu zerlegen; fährt man durch <strong>die</strong> Republik, um Menschen und <strong>Unternehmen</strong> zu besuchen,<br />

so findet man auch außerordentlich vielfältige, farbenfrohe und lebenslustige Wirklichkeiten,<br />

<strong>die</strong> sogar nicht zu den soeben beschriebenen Un-Farben passen. Diese Akteure und<br />

<strong>Unternehmen</strong> dafür zu gewinnen, Kreativitätspotenziale in <strong>die</strong>sem verdorrenden Land<br />

freizusetzen, ist eine lohnende Herausforderung. Eine experimentierfreudige Projektserie<br />

'Lust auf Zukunft' kann hierzu <strong>die</strong> erforderlichen organisatorisch-finanziellen Voraussetzungen<br />

schaffen ...<br />

251


Teil E Schluss<br />

Anhang<br />

Anhang:<br />

Gedankenexperimente zur Potenzialerkennung<br />

A-Experiment: Instrument "Kundenbilanz"<br />

B-Experiment: Konstruktion "Humanressourcen-Navigator"<br />

C-Experiment: Indikator(en) zur Zukunftsfähigkeit der<br />

Bundesrepublik Deutschland<br />

Hinweis:<br />

� Die Erkennung von Potenzialen ist keine leichte Arbeit. Definitionsgemäß sind<br />

Potenzialbegriffe unvollständig definiert, da sie auf Möglichkeiten abstellen.<br />

� Vorgestellt werden 3 Versuche, Fakten im Hinblick auf ihre Möglichkeiten zu<br />

nutzen.<br />

252


A-Experiment<br />

Instrument "Die Kundenbilanz"<br />

Inhalt:<br />

Hinweis<br />

Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

1. <strong>Was</strong> beinhaltet <strong>die</strong> Kundenbilanz?<br />

2. Welche Informationen, Kennziffern benötigt ein <strong>Unternehmen</strong>, um<br />

<strong>die</strong> Fragen der Kundenbilanz zu beantworten?<br />

3. Wahrheitstafel I:<br />

Bewertung der Kunden durch das <strong>Unternehmen</strong><br />

4. Wahrheitstafel II:<br />

Bewertung des <strong>Unternehmen</strong>s durch <strong>die</strong> Kunden<br />

5. Das Portfolio der Kundenbeziehungen<br />

6. Bildung von Kennziffern und Indikatoren<br />

7. Kundenbilanz: ein erweiterbares Basisinstrument<br />

253


0. Hinweis<br />

Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

Bei der Erörterung der Konzeption der <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s ist eine Typologie<br />

der Beziehungen zwischen den Kunden und dem <strong>Unternehmen</strong> vorgestellt worden.<br />

Aufgabe <strong>die</strong>ses Textes ist es zu zeigen, wie <strong>die</strong>se Typologie konstruiert worden ist und<br />

wie sie berechnet werden kann.<br />

<strong>Unternehmen</strong>, <strong>die</strong> über eine solche Kundenbilanz verfügen, haben ein relativ sicheres<br />

Zukunftsradar, insbesondere<br />

� wenn <strong>die</strong> Kundenbilanz nach Produkten bzw. Geschäftsfeldern differenziert ausgewiesen<br />

wird und<br />

� wenn für <strong>die</strong> einzelnen Teile der Typologie Zu- bzw. Abgangszahlen von Kunden<br />

und Umsätzen vorliegen.<br />

Allerdings ist es auch so, dass kaum ein KMU in der Lage sein wird, eine solche Kundenbilanz<br />

zu berechnen. Es fehlt an Daten- und Bewertungstransparenz.<br />

Trotzdem lohnt es, sich mit der Logik der Kundenbilanz auseinander zu setzen, sie deckt<br />

nämlich eine weit verbreitete Schwäche auf:<br />

� Viele <strong>Unternehmen</strong> verfolgten inzwischen eine Handvoll Kennziffern mit großer<br />

Sorgfalt und sind bemüht, <strong>die</strong>se zu maximieren bzw. zu minimieren.<br />

� In der isolierten Handhabung solcher Kennziffern wird aber vergessen, Zusammenhänge<br />

zu anderen Kennziffern herzustellen.<br />

An einem Beispiel wird das Problem schnell deutlich:<br />

Ein <strong>Unternehmen</strong> erreicht Spitzenwerte in der Einhaltung vereinbarter Lieferzeiten.<br />

Stünde ihm eine berechnete Kundenbilanz zur Verfügung, so würde es schnell mehrerlei<br />

merken:<br />

� einmal: es erfüllt seine Verpflichtungen gegenüber einigen Kunden, <strong>die</strong> das <strong>Unternehmen</strong><br />

eher ausbeuten als faire Geschäftsbeziehungen zu pflegen;<br />

� zum anderen: das <strong>Unternehmen</strong> schließt aufgrund s<strong>eines</strong> Erfolgsindikators auf<br />

eine Kundenzufriedenheit <strong>die</strong> teilweise (so) nicht vorhanden ist; es übersieht<br />

Abwanderungsgefahren (andere Sachverhalte sind dem Kunden also wichtiger);<br />

� schließlich versorgt es noch Kunden mit liefertreuen Leistungen, obwohl anderen<br />

Abteilungen (z.B. Verkauf) schon längst klar ist, dass es im beiderseitigen Interesse<br />

besser ist, <strong>die</strong>se Geschäftsbeziehungen zu beenden.<br />

Treten <strong>die</strong>se Fehler gehäuft auf, so wird aus einer Leistungskennziffer (sehr unfreiwillig)<br />

ein Instrument des Selbst-Betrugs.<br />

Dieses Beispiel ist nahezu auf alle Kennziffern - auch außerhalb der Kundenbeziehungen<br />

- anwendbar. <strong>Unternehmen</strong> versuchen, sich vor solchen Gefahren der Überdehnung einer<br />

Kennziffer dadurch zu schützen, dass sie mehrere Kennziffern ansetzen. Leider werden<br />

254


Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

<strong>die</strong>se entweder unverbunden nebeneinander gestellt oder über Gewichtungsfaktoren miteinander<br />

verknüpft. Nur merkt man aber so nicht, ob ein Kunde in bezug auf <strong>die</strong> Liefertreue<br />

sehr anspruchsvoll ist, aber selbst z.B. ein miserables Zahlungsverhalten praktiziert.<br />

Erst wenn Wahrheitstafeln, vgl. <strong>die</strong> Ausführungen zum Instrument (Position 3 und 4)<br />

und/oder statistische Kreuztabellen erstellt werden, fallen solche Sachverhalte auf.<br />

Größere bis große <strong>Unternehmen</strong> haben <strong>die</strong> Ressourcen für solche Probleme Rechenprogramme<br />

und Datenauswertungen vorzuhalten. Sie haben aber einen Nachteil: zur Problemlösung<br />

sind abteilungsübergreifende Kommunikationen erforderlich.<br />

KMU haben häufig weniger Chancen der Berechnung, dafür aber mehr und schnellere<br />

Möglichkeiten der Kommunikation (wenn sie wollen). Hieraus ergibt sich eine einfache<br />

Möglichkeit: <strong>die</strong> Umwandlung der Rechenlogik <strong>die</strong>ses Instrumentes in eine Gesprächslogik.<br />

Angenommen, es erfolgt über <strong>die</strong> Wahrheitstafeln - über <strong>die</strong> zu berücksichtigenden Kriterien<br />

und <strong>die</strong> hierauf aufbauenden Bewertungen - eine pragmatische Verständigung, so<br />

kann häufig im Gespräch geklärt werden, ob bestimmte Kundenbeziehungen auszubauen,<br />

als gefährdet einzustufen oder gar abzubrechen sind.<br />

Die Faszination, <strong>die</strong> von einzelnen noch dazu sauber gerechneten Kennzahlen ausgehen<br />

kann, mag hierdurch etwas an Strahlkraft verlieren, dafür aber steigt das Zusammenhangswissen.<br />

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass hierüber eine Verbesserung des<br />

Gesamtergebnisses erreicht wird.<br />

Der eigentliche Nutzen der Kundenbilanz wird in KMU also häufig dann eintreten, wenn<br />

das berechenbare Instrument "Kundenbilanz" in einen Dialog-Helfer umgewandelt wird.<br />

255


Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

1. <strong>Was</strong> beinhaltet <strong>die</strong> Kundenbilanz?<br />

Die Kundenbilanz ordnet <strong>die</strong> Antworten auf folgende Fragen:<br />

� Wie beurteilt ein <strong>Unternehmen</strong> seine Kunden?<br />

� Wie beurteilen <strong>die</strong> Kunden das <strong>Unternehmen</strong>?<br />

Die Kombination der Antworten ergibt eine Qualitätstypologie der Beziehungen zwischen<br />

dem <strong>Unternehmen</strong> und seinen Kunden:<br />

Typ der Beziehung Anteil an Kunden Anteil am Umsatz<br />

a) zu pflegende, auszubauende<br />

Beziehungen<br />

b) nachzubessernde<br />

Beziehungen<br />

c) überprüfungsbedürftige<br />

Beziehungen<br />

d) aufzulösende<br />

Beziehungen<br />

256<br />

55% 45%<br />

20% 25%<br />

10% 25%<br />

15% 5%<br />

Die Zahlen sind aus einem praktischen Beispiel. Sie sagen, dass vieles im Argen ist, insbesondere<br />

gilt <strong>die</strong>s für:<br />

� nachzubessernde Beziehungen:<br />

Hier ist zwar das <strong>Unternehmen</strong> mit den Kunden zufrieden, aber nicht <strong>die</strong> Kunden mit<br />

dem <strong>Unternehmen</strong>. Kundenabgänge drohen.<br />

� überprüfungsbedürftige Beziehungen:<br />

Hier beuten <strong>die</strong> Kunden das <strong>Unternehmen</strong> aus.


Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

2. Welche Informationen, Kennziffern benötigt ein<br />

<strong>Unternehmen</strong>, um <strong>die</strong> Fragen der Kundenbilanz zu<br />

beantworten?<br />

Frage 1: Beurteilung der Kunden durch das <strong>Unternehmen</strong><br />

Ist der Kundenauftrag profitabel? ja / nein<br />

Ist der Auftrag (ggfs. Plural) mengenmäßig interessant? ja / nein<br />

Wächst der Kunde? Hat er Zukunft? ja / nein<br />

Frage 2: Beurteilung des <strong>Unternehmen</strong>s durch seine Kunden<br />

Liefert das <strong>Unternehmen</strong> kostengünstig? ja / nein<br />

Ist das <strong>Unternehmen</strong> flexibel? ja / nein<br />

Sind <strong>die</strong> Produkte/Dienstleistungen qualitativ angemessen? ja / nein<br />

Häufig/meistens werden solche Informationen/Kennziffern nur isoliert aus-gewertet. Hier<br />

aber werden - zunächst für jede Frage getrennt - <strong>die</strong> Antworten zu Mustern zusammengestellt.<br />

Bei 2 Antwortmöglichkeiten und 3 Fragen gibt es je Frage 2 3 = 8 kombinierte Antwortmöglichkeiten.<br />

Einstieg in ein eigenes Instrument:<br />

• Welche Kriterien, Kennziffern sind für Ihr <strong>Unternehmen</strong> wichtig?<br />

• Wie lauten <strong>die</strong> drei wichtigsten?<br />

• Insbesondere zu Frage 2:<br />

• Welche Kriterien werden zukünftig an Bedeutung gewinnen?<br />

Denken Sie beispielsweise an <strong>die</strong> These: der Kunde kauft nicht ein Gut, sondern<br />

<strong>die</strong> Nutzung und Verfügung!<br />

257


Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

3. Wahrheitstafel I:<br />

Bewertung der Kunden durch das <strong>Unternehmen</strong><br />

Antwortmuster<br />

Lfd.-Nr.<br />

Kriterien<br />

Profitabler<br />

Kundenauftrag<br />

mengenmäß<br />

ig relevanter<br />

Auftrag<br />

Kunde<br />

mit<br />

Zukunft<br />

258<br />

Bewertung Code<br />

1 + + + pflegen, fördern A<br />

2 + + - Vorsicht, Alternativen B / C 1<br />

3 + - + suchen, verbessern B<br />

4 + - - verbessern und aussteigen C<br />

5 - + + entwickelbar? C / B 1<br />

6 - + - aussteigen D<br />

7<br />

- - +<br />

kritisch: Ausstieg,<br />

entwickelbar?<br />

8 - - - aufgeben D<br />

1 firmenindividuelle Entscheidung erforderlich<br />

Legende: ja = +; nein = -<br />

A: pflegen, fördern B: verbessern<br />

C: überprüfen, Ausstieg erwägen D: aufgeben / auflösen<br />

Einstieg in eigenes Instrument:<br />

• Welche Kriterien wählen Sie<br />

• Wie bewerten Sie <strong>die</strong> Antwortkombinationen?<br />

• Wie verteilen Sie <strong>die</strong> Codes?<br />

D


Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

4. Wahrheitstafel II:<br />

Bewertung des <strong>Unternehmen</strong>s durch <strong>die</strong> Kunden<br />

Antwortmuster<br />

Lfd.-Nr.<br />

Kriterien: Ist das <strong>Unternehmen</strong>/ist <strong>die</strong> Lieferung ...<br />

kostengünstig?<br />

flexibel?<br />

qualitativ<br />

angemessen?<br />

259<br />

Bewertung Code<br />

1 + + + ausbauen A<br />

2 + + - eigenes Verhalten<br />

B<br />

3 + - +<br />

ändern B<br />

4 + - - kritisch C<br />

5 - + + kritisch C<br />

6 - + - aussteigen D<br />

7 - - + aussteigen D<br />

8 - - - aussteigen D<br />

Legende: ja = + ; nein = -<br />

Bewertung:<br />

Eigentlich ist der Kunde der Bewerter; bei unvollständiger Information muss aber jemand<br />

im <strong>Unternehmen</strong> <strong>die</strong> Kundenrolle übernehmen (wie sieht XY uns? - Vorsicht: Selbstbetrugsgefahr!)<br />

A: pflegen, fördern B: verbessern<br />

C: überprüfen, Ausstieg erwägen D: aufgeben / auflösen<br />

Einstieg in eigenes Instrument:<br />

• Welche Kriterien wählen Sie?<br />

• Wie bewerten Sie?<br />

• Wie co<strong>die</strong>ren Sie?


Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

5. Das Portfolio der Kundenbeziehungen<br />

Wie bewerten <strong>die</strong> Kunden das<br />

<strong>Unternehmen</strong>?<br />

A<br />

B<br />

C<br />

D<br />

ausbauen<br />

verbessern<br />

überprüfen<br />

aufgeben<br />

IV. Quadrat<br />

Kritisch zu<br />

überprüfende<br />

Beziehungen<br />

III. Quadrat<br />

Geschäftsbeziehungen<br />

abbrechen<br />

D C<br />

aufgeben überprüfen<br />

260<br />

I. Quadrat<br />

zu pflegende,<br />

auszubauende<br />

Beziehungen<br />

II. Quadrat<br />

dringlich<br />

nachzubessernde<br />

Beziehungen<br />

B A<br />

verbessern ausbauen<br />

Wie beurteilt das <strong>Unternehmen</strong> seine Kunden?<br />

Die Antworten sind aus Sicht des <strong>Unternehmen</strong>s formuliert.<br />

Quadranten als Hinweisgeber<br />

1. Quadrant: profitables Wachstum<br />

2. Quadrant: Gefahr für Umsatzeinbruch<br />

3. Quadrant: Verluste wahrscheinlich<br />

4. Quadrant: Verluste wahrscheinlich<br />

Insbesondere der 4. Quadrant verdeutlicht schnell und anschaulich,<br />

warum isolierte Kennziffern (Kostengünstigkeit, Liefertreue) gefährlich<br />

sind: Man kann eben auch an sehr zufriedenen Kunden Schaden<br />

nehmen.


Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

6. Bildung von Kennziffern und Indikatoren<br />

• Elementare (einfache) Kennziffern<br />

Werte für <strong>die</strong> unter Punkt 2 aufgeführten Kriterien der Beurteilung.<br />

(Viele KMU werden Schwierigkeiten haben, exakte Zahlen zu liefern; es wird vorgeschlagen,<br />

mit Schätzungen anzufangen.)<br />

• Kombinierte Kennziffern<br />

Anteilswerte der Qualitätstypen der Kundenbeziehungen (vgl. Anhang A, Punkt 1 und 5)<br />

berechnen und zwar:<br />

- einmal in Prozent aller Kunden<br />

- zum anderen in Prozent des Umsatzes je Kundengruppe am Gesamtumsatz<br />

• Kundenanteile und Umsatzanteile vergleichen<br />

Wenn z.B. 30% des Umsatzes mit 20% Kunden, <strong>die</strong> dem 3. und/oder 4. Quadranten<br />

zuzurechnen sind, erwirtschaftet werden, dann gibt es relativ viele Kunden, <strong>die</strong> nur<br />

Verluste ins Haus bringen.<br />

• Gezielt verfeinern<br />

Jeder Quadrant ist intern aufteilbar, siehe gestrichelte Linien im Portfolio (Anhang A,<br />

Punkt 5). Aber Vorsicht, keine Datenfriedhöfe produzieren!<br />

Einstieg in ein eigenes Instrument:<br />

1. Verschiedene Kennziffern bilden.<br />

2. Mit Wahrheitstafeln gedanklich experimentieren.<br />

3. Festlegen, welche Kennziffern Sie als Steuerungsmittel nutzen wollen.<br />

4. Welche Informationen fehlen Ihnen noch?<br />

5. Sind seltene oder ungewohnte Kunden Hinweisgeber auf zu<br />

entdeckende Geschäftsfelder?<br />

261


Teil E Schluss<br />

Anhang: A-Experiment<br />

7. Kundenbilanz: ein erweiterbares Basisinstrument<br />

• Die Ellipse als Vergleichsmodell<br />

Die Kundenbilanz kann durch <strong>die</strong> geometrische Figur der Ellipse ver-anschaulicht<br />

werden. Wie <strong>die</strong> Ellipse hat sie zwei Zentren<br />

- das der zufriedenen Kunden und<br />

- das der profitablen Aufträge mit Perspektive.<br />

Der Abstand der beiden Zentren charakterisiert <strong>die</strong> Beziehung. Wird er zu klein, so<br />

kann schnell einer der beiden Partner verschluckt werden. Ist er zu groß, so verliert<br />

<strong>die</strong> Beziehung sich im Unendlichen. Ist <strong>eines</strong> der beiden Zentren gestört/zerstört, so<br />

ist <strong>die</strong> Ellipse zertrümmert, ebenso wie <strong>die</strong> partnerschaftliche Geschäftsbeziehung.<br />

• Impulsgeber-Qualität<br />

Auch hat <strong>die</strong> Kundenbilanz eine gewisse Qualität als Impulsgeber - und sei es nur<br />

dadurch, das bei der Vorbereitung oder dem Abschluss von Verträgen man sich fragen<br />

kann, welcher Art Geschäftsbeziehung man <strong>die</strong>smal eingeht.<br />

Die Kundenbilanz kann helfen, ebenso das eigene Nachdenken als auch <strong>die</strong> Kommunikation<br />

mit Kunden und Mitarbeitern zu unterstützen.<br />

Die Kundenbilanz hat vor allem auch deshalb eine Impulsgeber-Qualität, weil in ihr<br />

Diskrepanzen, Widersprüche eingebaut sind, <strong>die</strong> Quadranten II und IV. Widersprüche<br />

können verdrängt werden, sie können aber auch als Anstoß genommen werden,<br />

kreativ tätig zu werden.<br />

• Erweiterbarkeit<br />

Es ist leicht möglich, <strong>die</strong> vorgelegte Kundenbilanz auszutauschen, etwa<br />

- durch Unterscheidung verschiedener Geschäftsfelder,<br />

- durch Berücksichtigung der Kundendynamik - also den Zugängen und<br />

Abgängen von Kunden,<br />

- durch Übersetzung in interne Kunden-Lieferanten-Beziehungen etc.<br />

Es gibt viele Ausbaumöglichkeiten, <strong>die</strong> nach und nach hinzugenommen werden können -<br />

sofern sie von Nutzen sind.<br />

In der GfAH mbH 155 entsteht zur Zeit ein ganzer Baustein an Kundeninstrumenten.<br />

155 GfAH = Gesellschaft für Arbeitsschutz- und Humanisierungsforschung mbH, Friedensplatz 6, 44531<br />

Dortmund ( www.gfah.de; Email: info@gfah-do.de)<br />

262


B-Experiment:<br />

Humanressourcen-Navigator<br />

Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

1. Die Arbeitskräfte-Einsatz-Bilanz (AKE-Bilanz)<br />

(Vortrag im Rahmen der ver.di-Veranstaltung "Wissen ist was wert" vom<br />

11.-13.02.2003 in Bremen)<br />

Gliederung:<br />

1. Die Arbeitskräfte-Einsatz-Bilanz (AKE-Bilanz)<br />

1.1 Konstruktion der Anforderungstypologie<br />

1.2 Beanspruchungstypologie<br />

1.3 Auswirkungen betrieblicher Änderungen<br />

1.4 Selbst-Evaluation<br />

1.5 Schlussfolgerungen<br />

2. Themen des Navigators<br />

(Vortrag "Das virtuelle HR-<strong>Unternehmen</strong>" bei der Bertelsmann-Stiftung, Gütersloh am<br />

28.04.2003<br />

Hinweis:<br />

Gliederung:<br />

2. Themen des Navigators<br />

2.1 Überblick<br />

2.2 Erste Hauptgruppe: Das betriebliche Positionsgefüge<br />

2.3 Zweite Hauptgruppe: Ausgeübte Tätigkeiten und ihre Risiken<br />

2.4 Dritte Hauptgruppe: Arbeiten und Lernen<br />

2.5 Vierte Hauptgruppe: Das Leistungsvermögen der Belegschaft<br />

• Die AKE-Bilanz analysiert und bewertet Arbeitsanforderungen der Veränderung sowie<br />

<strong>die</strong> Art und Weise ihrer Bewältigung.<br />

• Die AKE-Bilanz liefert differenzierte Referenzwerte für Betriebe und sie ist auch -<br />

nachgewiesenermaßen - betrieblich einsetzbar.<br />

• Die AKE-Bilanz ist das Kernstück des Humanressourcen-Navigators. Er ermöglicht<br />

<strong>die</strong> Beschreibung von 24 Themenfeldern, <strong>die</strong> für <strong>die</strong> Humanressourcen wichtig sind.<br />

• Hierbei wird einem einfachen Struktur-Prozess-Ergebnis-Modell gefolgt.<br />

• Wird der Humanressourcen-Navigator zusammen mit einem Betrieb ausgewertet und<br />

genutzt, so erfahren <strong>die</strong> Betriebe über sich - so <strong>die</strong> bisherigen Erfahrungen - deutlich<br />

mehr als sie bislang gewusst haben.<br />

263


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

1. Die Arbeitskräfte-Einsatz-Bilanz (AKE-Bilanz)<br />

1.1 Konstruktion der Anforderungstypologie<br />

Die AKE-Bilanz 156 vergleicht im Urteil der Erwerbstätigen<br />

• <strong>die</strong> Arbeitsanforderungen an <strong>die</strong> Erwerbstätigen mit<br />

• den Fähigkeiten der Erwerbstätigen, <strong>die</strong>sen Anforderungen zu genügen.<br />

Die AKE-Bilanz beantwortet also folgende Fragen:<br />

• Mit welchen Lern- und Kreativitätsanforderungen sind wie viele Erwerbstätige<br />

konfrontiert?<br />

• Wie werden <strong>die</strong>se Anforderungen bewältigt, d.h. wie häufig liegen Unterund/oder<br />

Überforderungen bzw. eine Übereinstimmung von Anforderungen und<br />

Fähigkeiten vor?<br />

Selbstverständlich gibt es viel mehr Anforderungsarten als <strong>die</strong> Lern- und Kreativitätsanforderungen,<br />

auf <strong>die</strong> sich <strong>die</strong>se Analyse konzentriert. Es wird eine Aufgabe weiterer Untersuchungen<br />

sein, über eine Erweiterung des Anforderungsspektrums nachzudenken.<br />

Bezüglich der Lern- und Kreativitätsanforderungen werden vier Niveaustufen unterschieden:<br />

• kreative Anforderungen<br />

• aufgabenflexible Anforderungen<br />

• qualifizierte Routineanforderungen und<br />

• einfache Routineanforderungen.<br />

Einfache Routineanforderungen sind dadurch charakterisiert, dass bei ihnen selten oder<br />

praktisch nie Lern- und Kreativitätsanforderungen gestellt werden. Qualifizierte Routineanforderungen<br />

sind durch das gelegentliche ("immer mal wieder") Auftreten von Lern- und<br />

Kreativitätsanforderungen bestimmt. Bei den kreativen Anforderungen kommen Lern- und<br />

Kreativitätsanforderungen praktisch immer/häufig vor. Und für <strong>die</strong> aufgabenflexiblen Anforderungen<br />

gilt: es treten praktisch immer/häufig Lernanforderungen auf, während Kreativitätsanforderungen<br />

nur gelegentlich bis nie gestellt werden.<br />

Die operative (handwerkliche) Frage zur Ermittlung der Kreativitätsanforderungen lautet:<br />

• Wie häufig kommt es bei der täglichen Arbeit vor, dass bisherige Verfahren zu<br />

verbessern oder neue Verfahren auszuprobieren sind?<br />

Die Frage nach den Lernanforderungen lautet:<br />

156 Vgl. ausführliche/re Darstellung in:<br />

a) Volkholz, V., Köchling, A.: Lernen und Arbeiten in ABWF/QUEM, Kompetenzentwicklung 2001 -<br />

Tätigsein - Lernen - Innovation, Münster 2001<br />

b) Volkholz, V., Köchling, A.: Arbeiten und Lernen in: Brödner, P., Knuth, M. (Hrsg.): Nachhaltige<br />

Arbeitsgestaltung. Trendreports zur Entwicklung von Humanressourcen, München 2002<br />

264


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

• Wie häufig kommt es bei der täglichen Arbeit vor, dass man vor neue Aufgaben gestellt<br />

ist, in <strong>die</strong> man sich erst hineindenken und einarbeiten muss?<br />

Empirische Grundlage <strong>die</strong>ser Anforderungstypologie sind <strong>die</strong> IAB/BIBB-Datensätze "Qualifikation<br />

und Erwerbsarbeit". Sie liegen für 1979, 1985/86, 1991/92 und 1998/99 vor. Es<br />

handelt sich um 0,1% Stichproben der Erwerbstätigen, d.h. jede/r 1.000te Erwerbstätige/r<br />

ist befragt worden. Die Größe der Stichprobe erlaubt eine Aufschlüsselung nach Bundesländer,<br />

Branchen, Berufen, Personengruppen und nach anderen Merkmalen. Die Anforderungstypologie<br />

ist so konstruiert, dass jede/r Erwerbstätige/r nur einem Typ zugeordnet<br />

wird. Die Typologie ist also überschneidungsfrei - Doppelzählungen gibt es nicht.<br />

Anforderungen<br />

Lernanforderungen<br />

Neue Aufgaben, in<br />

<strong>die</strong> man sich erst<br />

reindenken muss<br />

Kreativitätsanforderungen<br />

Verfahren verbessern,<br />

Neues ausprobieren<br />

1991/<br />

92<br />

1998/<br />

99<br />

praktisch<br />

immer<br />

häufig<br />

265<br />

gelegentlich<br />

selten<br />

praktisch<br />

nie<br />

11 32 29 18 10 100<br />

8 26 31 20 15 100<br />

Saldo -3 -6 +2 +2 +5 0<br />

1991/<br />

92<br />

1998/<br />

99<br />

5 21 30 24 19 100<br />

4 18 30 23 24 100<br />

Saldo -1 -3 +0 -1 +5 0<br />

GfAH-Sekundäranalyse der IAB/BiBB-Erhebungen "Qualifikation und Erwerbsarbeit"<br />

Frage/n:<br />

Wie häufig kommt es bei Ihrer Arbeit vor, dass Sie mit neuen Aufgaben zu tun haben, in <strong>die</strong> man sich erst<br />

hineindenken muss?<br />

Wie häufig kommt es bei Ihrer Arbeit vor, dass Sie Verfahren verbessern, Neues ausprobieren?<br />

Bild 104: Vergleich der 91/92er und der 98/99er IAB/BiBB-Erhebungen zu den Lern- und<br />

Kreativitätsanforderungen<br />

Angegeben sind in dem Bild 104 <strong>die</strong> Antwortverteilungen in Prozent aller Erwerbstätigen<br />

der Bundesrepublik Deutschland (aBL und nBL) für 1991/92 und 1998/99. Die Saldenwerte<br />

signalisieren, dass <strong>die</strong> Häufigkeiten bei den Antworten 'praktisch immer', 'häufig'<br />

leicht rückläufig waren, während sie bei den anderen Antworten mehrheitlich gestiegen<br />

sind. Zu zeigen sein wird, dass <strong>die</strong>se gesamtgesellschaftlich gesehen, eher geringen Veränderungen<br />

auf erhebliche und auch gegenläufige Umschichtungen bei verschiedenen<br />

gesellschaftlichen Gruppen beruhen.<br />

Wie ist es nun möglich, aus <strong>die</strong>sen beiden einfachen Fragen, eine doch etwas komplexe<br />

Anforderungstypologie zu konstruieren? Die Antwort liefert das Bild 105. Aus der Kreuztabellierung<br />

der Fragen nach den Lern- und Kreativitätsanforderungen entsteht eine aus 25<br />

Feldern (Zellen) bestehende Übersicht: 5 Antwortmöglichkeiten zu den Lernanforderungen<br />

x 5 Antwortmöglichkeiten zu den Kreativitätsanforderungen = verschiedene Antwortkombinationen.<br />

Durch <strong>die</strong> Zusammenfassung von Antwortmöglichkeiten ergeben sich <strong>die</strong><br />

im Bild 105 eingezeichneten nummerierten 8 Felder.


�����������������������������<br />

�����������������������������<br />

���� �� ���� �������� ���� ������ ��� �����������<br />

���� �� ���� �������� ���� ������ ��� �����������<br />

�������������������<br />

�������������������<br />

�� �����������<br />

������������� ���<br />

���������<br />

����� ������ ������������ ������ ���<br />

������������������������<br />

������������������<br />

�����<br />

���������������<br />

���������<br />

�����<br />

��� �������������������������<br />

����� �������������� ���<br />

����� ��������������� ��<br />

����� �������� ����������� ���<br />

����� ������������������������� ��<br />

�<br />

�����<br />

��������������<br />

�����������<br />

�����<br />

��������<br />

�����������<br />

���<br />

��������������� ���<br />

��������������<br />

�������������������������<br />

�����<br />

����������������<br />

��� ���������<br />

������ �������������<br />

�������������<br />

Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

Bild 105: Konstruktion der Anforderungstypologie<br />

��<br />

������<br />

����������������<br />

����������<br />

���������<br />

��� ���������������� �����������<br />

�������� �������������� ���<br />

����� ��� ���������� �������������<br />

������������� ���<br />

����� ���� ������������������������ ��<br />

�� ����������������<br />

������������� ���<br />

������������<br />

����������<br />

���������<br />

��� ��������������� ��� ��������� �<br />

��������������������� ���<br />

���� ��� �������������� �����<br />

������������� ���<br />

���� ���� ���������������� ���<br />

���<br />

�����������<br />

��� �����<br />

����������<br />

����������<br />

��������<br />

Jedes der 8 Felder entspricht einem Anforderungs- bzw. Tätigkeitstyp. Aus Gründen der<br />

einfacheren Darstellung wird im folgenden häufiger auch mit der Reduktion auf 4 Haupttypen<br />

gearbeitet.<br />

Die dargestellten Niveaustufen der Lern- und Kreativitätsanforderungen sind intern weiter<br />

aufschlüsselbar, so dass insgesamt 7 Unter- und 4 Haupttypen unterschieden werden<br />

können. Folgende Erfahrungen gelten:<br />

266<br />

���<br />

���������������<br />

���� ������<br />

�����������<br />

�����<br />

����������������<br />

���� �������������<br />

�������������<br />

������<br />

��������� ����������� ����� ������������<br />

��������� ����������� ����� ������������<br />

���������������������������<br />

���������������������������<br />

��<br />

���������<br />

����<br />

��<br />

���� �����<br />

��������������<br />

��<br />

�� ������ ����<br />

���<br />

�� �� �� �� �� ���<br />

KL = Kreativ- und Lernanforderungen<br />

���������� ����������������<br />

Hinweis:<br />

Die Typen 2.1 und 2.2 werden im folgenden auch häufiger zu dem Haupttyp „qualifizierte Routineanforderungen<br />

bzw. -arbeit“ zusammengefasst.<br />

: 4 Haupttypen


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

• Die Kombination sowohl der ausführlichen als auch der gekürzten Typologie mit<br />

anderen Merkmalen zeigt, dass intersozial und intertemporal stabile Muster bestehen.<br />

Die Typologie ist also inhaltlich ergiebig.<br />

• Da <strong>die</strong>se Anforderungstypologie aus nur zwei Fragen konstruiert worden ist, sind<br />

<strong>die</strong>se leicht in Mitarbeiter- und/oder Beschäftigungsbefragungen integrierbar; sie taugen<br />

also auch zu betrieblichen Erhebungen. Inzwischen liegt ein halbes Dutzend solcher<br />

Erhebungen vor.<br />

• Die Bedeutung <strong>die</strong>ser Anforderungstypologie besteht auch darin, dass sie <strong>die</strong> Lernund<br />

Kreativitätsanforderungen direkt und unabhängig von Merkmalen wie Status,<br />

Einkommen oder zertifizierter Qualifikation erschließt.<br />

• Entwicklung 1985 bis 1998: Der intertemporale Vergleich der Jahre 1985, 1991 und<br />

1998 liefert eine Überraschung, vgl.<br />

• Bild 106:<br />

zwar steigt - wie erwartet - von 1985 auf 1991 der Anteil der Erwerbstätigen mit<br />

kreativen und der lernenden Arbeitsanforderungen,<br />

aber er sinkt zwischen 1991 und 1998 und <strong>die</strong>s doch deutlich.<br />

Wie ist <strong>die</strong>s zu erklären?<br />

Die Lern- und Kreativitätsanforderungen sind eben keine statischen Größen. Sie atmen<br />

gewissermaßen, d.h. sie verändern sich mit betrieblichen Entscheidungen. So steigen sie,<br />

wenn z.B. in neue Produktionsmittel investiert wird und sie sinken, wenn beispielsweise<br />

Outsourcing erfolgt; hierauf wird etwas später mit empirischen Belegen näher einzugehen<br />

sein.<br />

Erwerbstätige mit ... Anforderungen 1985/86 1991/92 1998/99<br />

Anforderungen der Veränderung 37 50 40<br />

davon:<br />

kreative Anforderungen<br />

19 27 23<br />

aufgabenflexible Anforderungen 18 23 17<br />

Anforderungen der Nicht-Veränderung 62 50 60<br />

davon:<br />

qualifizierte Routineanforderungen<br />

33 29 33<br />

einfache Routineanforderungen 29 21 27<br />

insgesamt 102 100 100<br />

Bild 106:Vergleich der Arbeitsanforderungen in den Jahren 1985/86, 1991/92 und 1998/99<br />

- Erwerbstätige in %<br />

1.2 Beanspruchungstypologie<br />

Zusätzlich zu der Anforderungstypologie ist eine Beanspruchungstypologie entwickelt<br />

worden. In ihr werden <strong>die</strong> Fragen kombiniert.<br />

267


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

• Reicht zur Ausübung der Tätigkeit eine geringere Qualifikation als <strong>die</strong> vorhandene?<br />

Die Antwort "geringere Qualifikation ausreichend" gilt als Unterforderung.<br />

und<br />

• Wie zufrieden sind Sie mit dem Arbeitsdruck? Die Antworten "eher unzufrieden" und<br />

"unzufrieden" werden als drohende Überforderung gewertet.<br />

Die Kombination der Antworten ergibt eine 4-Felder-Tafel:<br />

• Unterforderung vorhanden, keine Überforderung.<br />

• Überforderung vorhanden, keine Unterforderung.<br />

• Sowohl Unter- als auch Überforderung vorhanden.<br />

• Weder Unter- noch Überforderung vorhanden, also ist eine Übereinstimmung von<br />

Anforderungen und Fähigkeiten gegeben.<br />

Werden beide Typologien - <strong>die</strong> Anforderungs- und <strong>die</strong> Beanspruchungstypologie - miteinander<br />

kombiniert, so entsteht <strong>die</strong> AKE-Bilanz. Für jeden Lern- und Kreativitätstyp ist jetzt<br />

angebbar, wie <strong>die</strong> Bewältigung der Arbeit erfolgt:<br />

• Die Übereinstimmung von Anforderungen und Fähigkeit sinkt von den kreativen<br />

Anforderungen zu den einfachen Routineanforderungen.<br />

• Die Unterforderung steigt entsprechend.<br />

• Die Überforderung ist bei den Erwerbstätigen mit Veränderungsanforderungen<br />

ausgeprägter als bei den qualifizierten und den einfachen Routinearbeitern.<br />

Auch <strong>die</strong> Matrix: Anforderungs- × Beanspruchungstypologie, also <strong>die</strong> vollständige AKE-<br />

Bilanz reagiert auf betriebliche Maßnahmen, d.h.<br />

nicht nur der Umfang der Lern- und Kreativitätsanforderungen variiert mit unterschiedlichen<br />

betrieblichen Maßnahmen,<br />

sondern auch das jeweilige Ausmaß von Unter- und Überforderung.<br />

1.3 Auswirkungen betrieblicher Änderungen<br />

Das Bild 107 zeigt exemplarisch <strong>die</strong> Auswirkungen von Investitionen zu Nicht-<br />

Investitionen. Auch andere betriebliche Entscheidungen können in ihren Konsequenzen<br />

dargestellt werden, z.B.<br />

wachsende Betriebe,<br />

schrumpfende Betriebe,<br />

restrukturierende Betriebe<br />

Outsourcing-Betriebe<br />

Betriebe mit Änderungen der Eigentumsverhältnisse,<br />

Betriebe mit Managementveränderungen, etc.<br />

268


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

Beanspruchungen je Anforderungstyp<br />

Häufigkeit der Übereinstimmung<br />

insge-<br />

Anforderungen<br />

drohende Über- doppelte Fehl-<br />

Anforderungstypen von Anforderungen Unterforderung<br />

samtforderungbeanspruchung<br />

und Fähigkeiten<br />

Kreative Anforderungen, wenn<br />

Investitionen 31 53 19 20 7 100<br />

Nicht-Investitionen 16 57 22 15 6 100<br />

Aufgabenflexible Anforderungen, wenn<br />

Investitionen 21 51 19 20 9 100<br />

Nicht-Investitionen 14 53 24 15 9 100<br />

qualifizierte Routineanforderungen, wenn<br />

Investitionen 32 48 27 13 9 100<br />

Nicht-Investitionen 33 38 32 10 8 100<br />

einfache Routineanforderungen, wenn<br />

Investitionen 16 36 42 9 13 100<br />

Nicht-Investitionen 36 32 52 6 10 100<br />

insgesamt , wenn<br />

Investitionen 100 48 26 16 9 100<br />

Nicht-Investitionen 100 45 36 10 9 100<br />

Achtung: Rundungsfehler<br />

Quelle: GfAH-Sekundäranalyse der IAB/BiBB-Daten "Qualifikation und Erwerbsarbeit" 1998/99<br />

Bild 107: Auswirkungen von Investitionen in neue Produktionsmittel im Vergleich zu Nicht-Investitionen


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

Häufig treten solche Maßnahmen kombiniert auf; auch <strong>die</strong>s ist darstellbar. Es ist schließlich<br />

ein Unterschied, ob Investitionen in wachsenden oder schrumpfenden Betrieben realisiert<br />

werden. Als Beurteilungskriterien <strong>die</strong>ser Entscheidungen und Maßnahmen stehen<br />

zur Verfügung:<br />

<strong>die</strong> Lern- und Kreativitätshaltigkeit der Arbeit,<br />

<strong>die</strong> Unter- und Überforderung,<br />

<strong>die</strong> unmittelbare Betroffenheit und<br />

<strong>die</strong> Entfaltungs- und Gratifikationszufriedenheit.<br />

1.4 Selbst-Evaluation<br />

Sehr viele Überlegungen sind aufgewandt worden, um herauszufinden, ob <strong>die</strong>se AKE-<br />

Bilanz nur eine theoretische Konstruktion ist oder auch eine praktische-sinngebende Bedeutung<br />

hat. Hierauf sei noch kurz eingegangen. Werden <strong>die</strong> Zellen der Matrix Anforderungs-<br />

× Beanspruchungstypologie mit verschiedenen Dimensionen der Arbeitszufriedenheit<br />

kombiniert, so entstehen erstaunliche konsistente Muster:<br />

Der Anteil der "sehr zufriedenen" sinkt von oben nach unten und von links nach rechts,<br />

der Anteil der "unzufriedenen" steigt von oben nach unten und von links nach rechts, vgl.<br />

Bild 108.<br />

Mit den Möglichkeiten, sich weiterzubilden, bin ich ...<br />

(1) ... sehr zufrieden (2) ... eher bis unzufrieden 1) Saldo (1-2)<br />

Anforderungstypologie<br />

A B C D A B C D A B C D<br />

Top-Innovateure 46 37 28 29 11 14 30 33 35 23 -2 -4<br />

Flexible Innovateure 26 22 15 9 16 25 33 50 10 -3 -18 -41<br />

Spezialisierte<br />

Innovateure<br />

Aufgabenflexible mit<br />

geleg. Kreativitätsanforderungen<br />

Aufgabenflexible ohne<br />

gelegentl. Kreativitätsanforderungen<br />

Routinearbeit mit<br />

gelegentl. Lern- und<br />

Kreativitätsanforderungen<br />

Routinearbeit mit<br />

gelegentl. Lernanforderungen<br />

21 14 11 12 22 35 47 54 -1 -21 -36 -42<br />

21 19 13 6 22 32 36 49 -1 -13 -23 -42<br />

17 13 8 3 29 40 40 65 -12 -27 -32 -62<br />

14 9 6 4 25 39 40 50 -11 -30 -34 -46<br />

11 10 7 4 30 41 47 57 -19 -31 -40 -53<br />

Nur Routinearbeit 7 4 4 4 37 51 7 71 -30 -47 -53 -67<br />

1) eher bis unzufrieden heißt: eher unzufrieden und unzufrieden<br />

A: Übereinstimmung mit Anforderungen und Fähigkeiten; B: nur Unterforderung;<br />

C: nur Überforderung D: zweifache Fehlbeanspruchung<br />

Quelle: GfAH-Sekundäranalyse des IAB/BiBB-Datensatzes „Qualifikation und Erwerbsarbeit“ von 1991/1992<br />

(n = 34.589)<br />

Bild 108: Exemplarische Auswertung: Weiterbildungszufriedenheit (in %),<br />

270


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

<strong>Was</strong> mit "von oben nach unten" bzw. mit "von links nach rechts" gemeint ist, veranschaulicht<br />

ebenfalls das Bild 108. Es stellt <strong>die</strong> Veränderung der Weiterbildungszufriedenheit in<br />

Abhängigkeit von der Lern- und Kreativitätshaltigkeit der Arbeit und den Beanspruchungen<br />

durch <strong>die</strong> Arbeit dar.<br />

46% der TOP-Innovateure, <strong>die</strong> von einer Übereinstimmung von Anforderungen und<br />

Fähigkeiten berichten, sind mit den Weiterbildungsmöglichkeiten sehr zufrieden.<br />

11% <strong>die</strong>ser Gruppe sind unzufrieden, der Saldo beträgt 35 Prozentpunkte.<br />

Umgekehrt: Für Erwerbstätige mit einfachen Routineanforderungen, <strong>die</strong> sowohl unter- als<br />

auch überfordert sind, gilt:<br />

4% sind sehr zufrieden und<br />

57% sind unzufrieden; der Saldo beträgt 53 Prozentpunkte.<br />

Diese Auswertung ist exemplarischer Natur. Eine vergleichbare Variation ist für jede der<br />

verschiedenen Arbeitszufriedenheiten gegeben. Das Grundmuster der Variation ist für <strong>die</strong><br />

1991/92er und 1998/99er Erhebung identisch.<br />

Aus <strong>die</strong>sem Antwort-Muster kann geschlossen werden, dass <strong>die</strong> verschiedenen Kombinationen<br />

Anforderungen × Beanspruchungen für <strong>die</strong> Erwerbstätigen eine reale Bedeutung<br />

haben und nicht einfache analytische Konstruktionen darstellen.<br />

Die Feststellung einer offensichtlich praktischen Bedeutung der AKE-Bilanz erlaubt es,<br />

einen Verschwendungsindikator zu berechnen. Werden <strong>die</strong> Anteile der Unter- und Überforderten<br />

ad<strong>die</strong>rt, so erhält man einen Anteil der Erwerbstätigen, der nicht anforderungsgerecht<br />

eingesetzt ist, was als Verschwendung von Arbeitskraft zu werten ist. Das Ausmaß<br />

der Verschwendung ist erstaunlich: sind doch etwa <strong>die</strong> Hälfte der Erwerbstätigen<br />

betroffen.<br />

1.5 Schlussfolgerungen<br />

Aus der AKE-Bilanz ergeben sich etliche unerfreuliche, aber auch einige positive Einsichten:<br />

• Entgegen weit verbreiteter Auffassung gibt es in Deutschland keinen Mangel an einfachen<br />

Tätigkeiten (ca. 30% gehören hierzu), nur sind <strong>die</strong>se Tätigkeiten eben mit<br />

wenig zufriedenen, qualifizierten Personen besetzt.<br />

• Tatsächlich haben wir einen Mangel an qualifizierten Arbeitsplätzen. Die Menschen<br />

können mehr und trauen sich mehr zu als von ihnen verlangt wird.<br />

• Es empfiehlt sich mit immer neuen Lern(an)forderungen etwas vorsichtiger zu hantieren;<br />

komplementär besteht ein riesiger Gestaltungsbedarf von Arbeitsplätzen und -<br />

systemen. Die Humanisierung der Arbeit ist aktueller denn je.<br />

• Der Nachweis ungenutzter Potenziale hat jedoch auch einen tröstlichen Aspekt. Werden<br />

nur <strong>die</strong> zertifizierten Qualifikationen betrachtet, so entsteht alterungsbedingt im<br />

271


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

nächsten Jahrzehnt eine kaum deckbare Lücke an qualifizierten und hochqualifizierten<br />

Fachkräften.<br />

• Werden aber <strong>die</strong> nicht oder nur mangelhaft genutzten Potenziale mit berücksichtigt,<br />

so entsteht bei einer konsequenten Politik der Personalentwicklung und der Gestaltung<br />

von Arbeit eine lösbare Aufgabe.<br />

Wird <strong>die</strong>se Herausforderung von den einzelnen <strong>Unternehmen</strong> und Betrieben - samt ihren<br />

Betriebs- und Personalräten und Beschäftigten - angenommen, so ist eine Versöhnung<br />

von Wissensgesellschaft und alternder Gesellschaft möglich. Wird <strong>die</strong>se Herausforderung<br />

entweder gar nicht gesehen oder doch nicht angenommen, so werden viele <strong>Unternehmen</strong><br />

<strong>die</strong> nächsten 10 bis 20 Jahre nicht überleben - zum Schaden aller.<br />

2. Themen des Navigators<br />

2.1 Überblick<br />

Die Ergiebigkeit der AKE-Bilanz hat zur Konstruktion <strong>eines</strong> Humanressourcen-Navigators<br />

geführt. Mit dessen Hilfe können für Betriebe zu 24 Sachverhalten Referenzwerte geliefert,<br />

in ihren Zusammenhängen analysiert und mittels der AKE-Bilanz bewertet werden.<br />

Zugrunde liegt dem Navigator ein einfaches Struktur-Prozess-Ergebnis-Modell. Er ist zunächst<br />

in 4 thematische Hauptgruppen gegliedert:<br />

I. Hauptgruppe betriebliches Positionsgefüge Struktur<br />

II. Hauptgruppe<br />

III. Hauptgruppe<br />

Tätigkeiten und ihre Folgen<br />

Arbeiten und Lernen<br />

Prozesse<br />

IV. Hauptgruppe Leistungsvermögen Ergebnisse<br />

Jede Hauptgruppe ist in 2 Untergruppen aufgeteilt und jede Untergruppe informiert über 3<br />

Sachverhalte. Insgesamt gibt der HR-Navigator über 4 x 2 x 3 = 24 Themen Auskunft. Zu<br />

jedem Thema sind eine oder mehrere Kennziffern bzw. Indikatoren bildbar.<br />

Dieser Navigator unterscheidet sich von vielen anderen Indikatorensystemen dadurch,<br />

dass Zusammenhänge zwischen den einzelnen Merkmalen bzw. Kennziffern darstellbar<br />

sind. Genau deswegen kann man sagen, wenn betriebliche individuelle Referenzwerte<br />

berechnet werden, der HR-Navigator weiß über ein individuelles <strong>Unternehmen</strong> teilweise<br />

mehr als der Betrieb selbst.<br />

In Betrieben fallen <strong>die</strong> meisten Informationen abteilungsweise an und sind häufig nur bedingt<br />

so integriert, dass <strong>die</strong> verschiedenen Merkmale miteinander variierbar sind. Der HR-<br />

Navigator aber ist an solche Grenzen der Abteilungen und Beschränkungen der Informationsintegration<br />

nicht gebunden. Im Rahmen seiner Möglichkeiten liefert er integrierte<br />

Informationen. Zu Wissen werden <strong>die</strong>se Informationen dann, wenn sie verstanden sind<br />

und genutzt werden können. Im folgenden seien <strong>die</strong> Themengruppen des HR-Navigators<br />

kurz erläutert.<br />

272


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Bild 109: Der HR-Navigator<br />

Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

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273<br />

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Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

Mit der ersten Hauptgruppe wird <strong>die</strong> betriebliche Ausgangssituation, also <strong>die</strong> Organisation<br />

der und <strong>die</strong> Nutzung von Arbeitskräften, beschrieben. Die beiden folgenden Hauptgruppen<br />

charakterisieren den Prozess der Arbeit<br />

• einmal unter dem Gesichtspunkt der ausgeübten Tätigkeiten und benutzten<br />

Arbeitsmittel sowie der hierbei zu beachtenden Risiken,<br />

• zum anderen unter dem Gesichtspunkt der Wechselbeziehungen von Arbeiten<br />

und Lernen,<br />

Die vierte Hauptgruppe schließlich stellt auf <strong>die</strong> Ergebnisse des Arbeitsprozesses in Form<br />

erreichter Produktivität und zukunftsrelevanter Potenziale ab. Die Besonderheit <strong>die</strong>ses<br />

einfachen Struktur-Prozess-Ergebnis-Modells besteht darin, dass mit ihm auch <strong>die</strong> Folgen<br />

von Strukturveränderungen etwa durch Investitionen, Restrukturierung, Änderung der<br />

Eigentumsverhältnisse darstellbar sind. Damit werden unternehmerische Entscheidungen<br />

in ihren Auswirkungen auf <strong>die</strong> Humanressourcen ex ante kalkulierbar.<br />

Der Gesamtnavigator ist in dem Bild 109 vorgestellt. Im folgenden erfolgt eine<br />

Kurzerläuterung entlang der vier Hauptgruppen.<br />

2.2 Erste Hauptgruppe: das betriebliche Positionsgefüge<br />

Ein Betrieb kombiniert individuelle Arbeitsfähigkeiten so, dass Waren erzeugt und verkauft<br />

werden. Hiermit befasst sich <strong>die</strong> erste Hauptgruppe. Sie ist in <strong>die</strong> Untergruppen<br />

• Mitgliedschaft der Erwerbstätigen im <strong>Unternehmen</strong> und<br />

• Arbeitskräfte-Einsatz<br />

aufgeschlüsselt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt ist jede(r) Erwerbstätige/r Mitglied<br />

entweder der Kernbelegschaft<br />

oder der Stammbelegschaft<br />

oder der Randbelegschaft (Merkmal 3).<br />

Die Mitgliedschaft lässt sich in zeitlicher Hinsicht durch <strong>die</strong> bisherige Tätigkeitsdauer beim<br />

jetzigen Arbeitgeber kennzeichnen (Merkmal 2); <strong>die</strong> Mobilität (Merkmal 1) beschreibt <strong>die</strong><br />

Erneuerungsrate von Kern-, Stamm- und Randbelegschaft (Merkmal 3).<br />

Die Mitgliedschaft in einem Betrieb führt zu der Nutzung der Arbeitskraft. Der Arbeitskräfte-Einsatz<br />

wird beschrieben durch den Abgleich der Kreativitäts- und Lernanforderungen<br />

(4) mit den Fähigkeiten (5). Aus der Kombination beider Sachverhalte ergeben sich -<br />

auch durch Nutzung weiterer Merkmale verschiedene Fassungen der Veränderungskompetenz<br />

(6).<br />

274


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Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

Bild 110: Das betriebliche Positionsgefüge<br />

Die Analyse des betrieblichen Positionsgefüges führt zu 12 Kennziffern, <strong>die</strong> als Leitkennziffern<br />

gesetzt sind. Dies aus folgenden Gründen:<br />

• <strong>die</strong>se Kennziffern sind weiter ausdifferenzierbar,<br />

• ihre wechselseitigen Abhängigkeiten sind - zunehmend - vertraut und sie sind in ihrer<br />

intertemporalen Entwicklung bekannt<br />

• sie haben einen erheblichen Einfluss auf <strong>die</strong> übrigen Sachverhalte im HR-Navigator.<br />

Zur Zeit existieren ein halbes Dutzend Module (Teilinstrumente), <strong>die</strong> den Positionsnummern<br />

1 bis 6 entsprechen und mit dem virtuellen HR-<strong>Unternehmen</strong> bearbeitbar sind. Das<br />

Modul Tätigkeitsdauer basiert auf dem Basismodul der Altersstrukturanalyse. Dieses ist<br />

von A. Köchling (GfAH) soweit zu einem Analyse- und Gestaltungswerkzeug entwickelt<br />

worden, dass es jetzt mit Unterstützung vom Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie<br />

e.V. (ZVEI) und dem Verband deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V.<br />

(VDMA) in mindestens 60 elektrotechnischen und Maschinenbau-<strong>Unternehmen</strong> erprobt<br />

wird. In der vorliegenden Fassung enthält <strong>die</strong> Altersstrukturanalyse über 100 unterschiedliche<br />

(!) Gestaltungsbeispiele. Durch <strong>die</strong> betrieblichen Aktivitäten werden weitere<br />

hinzukommen. Mitgeteilt wird <strong>die</strong>s, weil es eine denkbare Entwicklung des virtuellen HR-<br />

<strong>Unternehmen</strong>s andeutet: seine Koppelung mit Gestaltungs-Lösungsräumen, aus denen<br />

<strong>die</strong> <strong>Unternehmen</strong> Optionen auswählen können.<br />

1. Erneuerungsrate (externe Zugangs-Mobilität)<br />

2. Durchschnittliche Tätigkeitsdauer<br />

3. Anteil mit über 15-jähriger Betriebszugehörigkeit<br />

4. Anteil Kernbelegschaft<br />

5. Anteil Stammbelegschaft<br />

6. Anteil Randbelegschaft<br />

7. Anteil Veränderer (häufig/immer mit Kreativitäts- oder Lernanforderungen konfrontiert)<br />

8. Anteil Routinearbeiter (nur gelegentliche bis keine Lern- oder Kreativitäts-anforderungen)<br />

9. Anteil Unterforderte<br />

10. Anteil Überforderungsbedrohter<br />

11. Anteil Veränderungskompetenz (mit Übereinstimmung von Anforderungen und Tätigkeiten)<br />

12. Anteil Veränderungsanforderungen mit Nichtübereinstimmung von Anforderungen und<br />

Fähigkeiten<br />

Bild 111: Zusammenstellung von Leitkennziffern<br />

275


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

2.3 Zweite Hauptgruppe: Ausgeübte Tätigkeiten und ihre Risiken<br />

Zunächst geht es um <strong>die</strong> Beschreibung der Arbeit selbst und der damit verbunden<br />

Arbeitsbelastungen. Beschrieben werden Tätigkeiten und benutzte Arbeitsmittel (7), hieraus<br />

resultierende Arbeitsbelastungen (8) und psycho-mentale Anforderungen (9).<br />

Diese potenziellen Risikofaktoren sind mit der gesundheitlichen Verfassung der Erwerbstätigen<br />

abzugleichen. Dargestellt werden <strong>die</strong> erkrankten Personen (10), <strong>die</strong> gesundheitlichen<br />

Beschwerden (11) und der Einsatz von Schwerbehinderten (12).<br />

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Bild 112: Tätigkeiten und ihre Folgen<br />

Dieser Abgleich beinhaltet nicht <strong>die</strong> automatische Vermutung, dass Arbeit krank macht -<br />

das ist zu simpel. Im übrigen, unabhängig von der Verursachung ist von Interesse, ob und<br />

wie weit gesundheitliche Beschwerden leistungsrelevante Auswirkungen haben. Obwohl<br />

<strong>die</strong>sbezügliche Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, kann bereits gesagt werden,<br />

dass eine Schwerpunktverlagerung der Aufmerksamkeit ansteht. Die von den <strong>Unternehmen</strong><br />

begünstigte Kernmannschaft sowie <strong>die</strong> kreativen Tätigkeiten erweisen sich in<br />

Teilen als gesundheitliche Problemgruppen.<br />

Auch steht bereits fest, dass relativ präzise virtuelle betriebsindividuell angepasste<br />

Gefährdungs- und/oder Beschwerdenkataster erzeugbar sind. Des weiteren besteht <strong>die</strong><br />

Möglichkeit (nahezu erstmals) den Wechselwirkungen von gesundheitlicher Verfassung<br />

und Lernbereitschaft nachzugehen. Qualifikation und Gesundheit sind bislang eben in<br />

getrennten und häufig nicht so kooperativen Betriebsabteilungen verhandelt worden.<br />

2.4 Dritte Hauptgruppe: Arbeiten und Lernen<br />

Dieses Themenfeld ist in <strong>die</strong> Untergruppen "Kompetenzerwerb'" und "könnendes Wissen"<br />

gegliedert. In dem Segment Kompetenzerwerb werden diskutiert:<br />

• <strong>die</strong> üblichen Einflussfaktoren: Qualifikation und Weiterbildung (15),<br />

• <strong>die</strong> Eigeninitiative zum Lernen (14) und<br />

• <strong>die</strong> Lernorte des Kompetenzerwerbs (13).<br />

276


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

Manchmal ist es etwas unheimlich, wie sehr <strong>die</strong> Erörterung der Methoden- und Sozialkompetenz<br />

<strong>die</strong> Fachkompetenz in den Schatten rückt. Daher wird in der zweiten Untergruppe<br />

der 3. Hauptgruppe dem könnenden Wissen besondere Aufmerksamkeit<br />

geschenkt. Erörtert werden<br />

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• <strong>die</strong> benötigten Wissensgebiete (16),<br />

• das integrative Wissen - also das fachübergreifende Fachwissen (17) und<br />

• <strong>die</strong> erforderlichen Wissensverbesserungen (18).<br />

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Bild 113: Arbeiten und Lernen<br />

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Die empirischen Ergebnisse <strong>die</strong>ses Abschnitts ergeben so etwas wie einen kritischen<br />

Kommentar zur offiziellen Weiterbildungsberichterstattung. Dies betrifft <strong>die</strong> Überschätzung<br />

der institutionellen Weiterbildung und <strong>die</strong> Unterschätzung des Lernens in der Arbeit, insbesondere<br />

<strong>die</strong> Bedeutung der Selbstlerner. In mancher Weise ist <strong>die</strong> häufiger geforderte<br />

neue Lernkultur bereits weiter vorhanden als offiziell wahrgenommen. Ebenso erkennbar<br />

aber ist, dass <strong>die</strong> Verfechter der neuen Lernkultur sich auch neuen Herausforderungen zu<br />

stellen haben:<br />

• Erforderlich ist eine Ausdifferenzierung des Erfahrungsbegriffs. Viel stärker als bislang<br />

wird zwischen dogmatisierten und reflexiven Erfahrungen zu unterscheiden sein.<br />

Ohne <strong>die</strong>se Unterscheidung wird es nicht gelingen, <strong>die</strong> neue Lernkultur aktiv voranzubringen.<br />

• Erhebliche Anstrengungen müssen unternommen werden, das fachüber-greifende<br />

Fachwissen, also <strong>die</strong> Kombination von technischen, kaufmännischen und organisatorischen<br />

Kenntnissen einzufangen. Hier bestehen Mangelerscheinungen. Andererseits<br />

gewinnen aber <strong>die</strong>se Hybrid-Kenntnisse um so mehr an Bedeutung, je mehr <strong>die</strong><br />

<strong>Unternehmen</strong> ihre Arbeitsweise horizontal entlang des Wertschöpfungsprozesses<br />

organisieren.<br />

Inzwischen sind <strong>die</strong> ersten Wissenslandkarten erstellt worden. Sie erklären, warum wir -<br />

trotz zahlreicher Veränderer (vgl. 1. Hauptgruppe) - so viele Probleme mit Veränderungen<br />

haben. In der betrieblichen Praxis gibt es ein Wissenssystem, das aus getrennten Säulen<br />

mit wenigen und eher schwachen Brücken besteht. Die Erwerbstätigen agieren eingefangen<br />

innerhalb ihrer Säulen - wie Hamster im Hamsterrad.<br />

277


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

Wissen, und zwar könnendes Wissen in seiner empirischen Aufzeigbarkeit, ist ein dringliches<br />

Thema solcher BMBF 157 -Forschungsprogramme wie "Lernkultur Kompetenzentwicklung".<br />

Aber auch das BMBF-Forschungsprogramm "Innovative Arbeitsgestaltung" ist<br />

gefordert. Es wird Zeit, dem "Taylorismus der Experten" als Entwicklungshemmnis von<br />

<strong>Unternehmen</strong> nachzugehen.<br />

2.5 Vierte Hauptgruppe: Das Leistungsvermögen der Belegschaft<br />

Nach der Erörterung des betrieblichen Positionsgefüges, den Konkretisierungen in der<br />

zweiten und dritten Hauptgruppe, schließt sich mit der vierten Hauptgruppe der Kreis. Im<br />

Vordergrund der Betrachtung stehen jetzt <strong>die</strong> Ergebnisse menschlicher Arbeit; hierzu<br />

werden zwei Untergruppen unterschieden:<br />

• Produktivität und<br />

• Potenziale.<br />

Als produktivitätsrelevante Sachverhalte werden vorgestellt:<br />

• <strong>die</strong> (Arbeitszeit-)Flexibilität (19),<br />

• <strong>die</strong> verschiedenen Arbeitszeitzufriedenheiten (20) und<br />

• das Einkommen (21).<br />

Bezüglich der Potenziale liegen Hinweise<br />

vor.<br />

• zum Umfang der innerbetrieblichen Verschwendung von Arbeitskraft (22),<br />

• zur zukünftigen Leistungsfähigkeit (wenn keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen<br />

werden) einer Belegschaft (23)<br />

• und den erkennbaren Gestaltungsbedarfen (24)<br />

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Bild 114: Leistungsvermögen<br />

Am intensivsten sind bislang <strong>die</strong> Arbeitszufriedenheiten (Zufriedenheit in bezug auf unterschiedliche<br />

Sachverhalte) analysiert worden. So konnte vor allem auch gezeigt werden,<br />

157 BMBF: Bundesministerium für Bildung und Forschung<br />

278


Teil E Schluss<br />

Anhang: B-Experiment<br />

dass <strong>die</strong> begrifflichen Konstrukte der ersten Hauptgruppe, <strong>die</strong> eben nicht unbedingt wissenschaftliches<br />

Allgemeingut sind, tatsächlich für <strong>die</strong> Erwerbstätigen einen unterschiedlichen<br />

Bedeutungsgehalt haben und <strong>die</strong>ser sowohl im Ost-West-Vergleich als auch im<br />

Zeitvergleich (1991/92 vs. 1998/99) ziemlich stabil ist.<br />

Die Analyse des monatlichen Einkommens zeigt deutlich, dass unterschiedliches Einkommen<br />

nur teilweise leistungsbedingt ist, zu einem erheblichen Teil sind unterschiedliche<br />

Einkommen schlichte Fortschreibungen von Traditionen und Konventionen.<br />

Die empirische Beschreibung von Potenzialen ist schwierig, was begriffsimmanent<br />

bedingt ist. Immerhin liegt inzwischen eine betriebliche Verschwendungsrechnung von<br />

Arbeitskräften vor, <strong>die</strong> Aussagen über <strong>die</strong> Fehlnutzung von Arbeitnehmern zulässt. Positiv<br />

lassen sich auch durch Rückgriff auf einen erweiterten Flexibilitätsbegriff nicht genutzte<br />

Nutzungsmöglichkeiten von Arbeitskräften aufzeigen.<br />

Weiter ist es möglich, mit Hilfe der Fortschreibung der Altersstruktur, wenn-dann-Aussagen<br />

zum zukünftigen Leistungsvermögen der Beschäftigten <strong>eines</strong> Betrieben zu treffen. Es<br />

ist also möglich, <strong>die</strong> Zukunftsfähigkeit der Humanressourcen <strong>eines</strong> Betriebes nachkontrollierbar<br />

zu diskutieren.<br />

Dem Leser wird aufgefallen sein, dass, außer zur ersten Hauptgruppe, keine Kennziffern<br />

und Indikatoren angegeben worden sind. Zum großen Teil liegen sie vor. Nur, als Quintessenz<br />

aller bisherigen praktischen Erprobungsversuche mit dem HR-Navigator kann<br />

gelten: Kennziffern und Indikatoren nutzen nur etwas, wenn sie gewissermaßen von den<br />

Betrieben bzw. den Akteuren selbst gewollt und entdeckt werden.<br />

In der GfAH mbH wird zwischen "nackten" und "bekleideten" Instrumenten unterschieden.<br />

Nackte Instrumente sind intersubjektiv, d.h. lehr- und lernbar. Bekleidete Instrumente<br />

beinhalten zusätzlich <strong>die</strong> Übersetzung von Instrumenten in den Handlungshorizont der<br />

Akteure. Dieses kann unterstützt aber nicht vorgegeben werden.<br />

279


Teil E Schluss<br />

Anhang: C-Experiment<br />

Indikator(en) zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands<br />

Gliederung:<br />

1. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands 2002 (IMD-Kennziffern)<br />

2. Zukunftsfähigkeit auf der Grundlage von UNO und OECD-Kennziffern<br />

2.1 Unterschiedliche Zeithorizonte<br />

2.2 Indikatorenauswahl<br />

2.3 Langfristige Zukunftsperspektive: Bevölkerungsentwicklung<br />

2.4 Mittelfristige Zukunftsperspektive: Bildung und Wissen<br />

2.5 Kurzfristige Zukunftsperspektive: Wettbewerbsfähigkeit<br />

3. Konsequenzen<br />

Hinweis:<br />

Inhaltlich geht es um <strong>die</strong> Bedeutung der Humanressourcen.<br />

Ohne stärkeres Engagement der einzelnen <strong>Unternehmen</strong> wird der Zerfall der<br />

Humanressourcen nicht aufhaltbar sein.<br />

Methodisch geht es um <strong>die</strong> Frage, ob komplexe und unsichere Sachverhalte mit<br />

einfachen Leitindikatoren sinnvoll darstellbar sind.<br />

1. Die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Jahre 2002<br />

Das Institut for Management Development (IMD) 158 , Lausanne, gibt einen jährlichen Bericht<br />

zur Wettbewerbsfähigkeit zur Wettbewerbsfähigkeit von Ländern heraus. Für 2002<br />

wurden 43 Länder in bezug auf ca. 300 Merkmale, für <strong>die</strong> Rangordnungen ermittelt worden<br />

sind, miteinander verglichen.<br />

Deutschland ist Schlusslicht des ersten Drittels. In <strong>die</strong>sem Beitrag geht es aber nicht um<br />

<strong>die</strong>se Gesamtbewertung, sondern um <strong>die</strong> Beurteilung der Humanressourcen unter einem<br />

spezifischen Gesichtspunkt, der als 'Achterbahn-Phänomen' bezeichnet sei. Gemeint ist<br />

hiermit, je nachdem welche Kennziffer herangezogen wird, stößt man auf Licht oder<br />

Schatten. Exemplarisch werden <strong>die</strong> Ranking-Ergebnisse zu folgenden Sachverhalten vorgestellt:<br />

• Aus- und Weiterbildung<br />

• Wissenschaftliche Leistungsfähigkeit<br />

• High-Tech-Exporte<br />

• Management-Leistungen.<br />

Die Ergebnisse finden sich in Bild 115, es zeigt:<br />

158 Institut für Management Development (IMD); Lausanne, Schweiz<br />

280


Teil E Schluss<br />

Anhang: C-Experiment<br />

• es gibt eine ganze Reihe von Indikatoren, in denen Deutschland im internationalen<br />

Vergleich zum ersten Dritten (<strong>die</strong> besten 16 Länder) gehört;<br />

• es gibt aber auch eine Menge Indikatoren, <strong>die</strong> Deutschland deutlich in der schwächeren<br />

Hälfte der Länder verorten.<br />

Aus- und Weiterbildung<br />

Positive Merkmale:<br />

Die Aus- und Weiterbildung in Deutschland wird positiv beurteilt<br />

(Rangplatz 7).<br />

Kritische Merkmale:<br />

Aber: <strong>die</strong> schulische und <strong>die</strong> universitäre Erziehung werden mit den Rangplätze 37 und 33 als<br />

minderwertig eingestuft.<br />

Wissenschaftliche Leistungsfähigkeit<br />

Positive Merkmale:<br />

In bezug auf <strong>die</strong> Anzahl der seit 1950 verliehenen Nobelpreise belegt Deutschland den 3. Platz<br />

von 49 Rängen.<br />

In bezug auf <strong>die</strong> relative Patenthäufigkeit und in bezug auf <strong>die</strong> Anzahl der veröffentlichten<br />

wissenschaftlichen Aufsätze wird jeweils der 4. Platz besetzt.<br />

Kritische Positionen:<br />

Aber: in bezug auf eine hinreichende Vermittlung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in der<br />

Schule sowie in bezug auf informationstechnologische Kompetenzen werden nur <strong>die</strong> Rangplätze<br />

34 und 37 besetzt.<br />

High-Tech-Exporte<br />

Positive Merkmale:<br />

In bezug auf den Umfang der High-Tech-Exporte wird der 3. Rangplatz besetzt; in bezug auf <strong>die</strong><br />

Exportleistungen insgesamt der 8. Rangplatz.<br />

Kritische Positionen:<br />

Aber: in bezug auf <strong>die</strong> ausreichende Verfügbarkeit von Ingenieuren nur der 39. Rangplatz. Die<br />

ökonomische Bildung (Rangplatz 29) und das Finanzwissen (Rangplatz 28) werden etwas besser<br />

aber doch ziemlich schwach beurteilt.<br />

Management- und Unternehmerleistungen<br />

Positive Merkmale:<br />

In bezug auf <strong>die</strong> soziale Verantwortung und ethische Standards werden <strong>die</strong> Rangplätze 10 und<br />

13 belegt. Für <strong>die</strong> Fähigkeit, sich am Weltmarkt zu behaupten, gibt es immerhin noch den 15.<br />

Platz.<br />

Kritische Merkmale:<br />

Aber: in bezug auf <strong>die</strong> Management-Fähigkeit, sich an Marktveränderungen anzupassen, wird<br />

der Rangplatz 31 vergeben; in bezug auf <strong>die</strong> Bemühung um Kundenzufriedenheit gibt es den<br />

Rangplatz 36.<br />

Katastrophal sind <strong>die</strong> Beurteilung von "entrepreneurship" und "firm creation", hier gibt es <strong>die</strong><br />

Rangplätze 41 und 43.<br />

Quelle: Institut für Management Development (IMD); Lausanne, Schweiz; Jahrbuch: World<br />

Competitiveness, 2002<br />

Bild 115: Licht und Schatten: <strong>die</strong> Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands im Vergleich von 49<br />

Ländern.<br />

Interessanterweise gilt <strong>die</strong>se ambivalente Einstufung in jeder Themengruppe. Es ist also<br />

nicht so, dass wir bei der Aus- und Weiterbildung gut und bei den Managementleistungen<br />

schlecht sind. Innerhalb jeder Themengruppe erbringen wir nach dem Bericht zur Wettbewerbsfähigkeit<br />

sowohl ordentliche als auch miserable Leistungen. <strong>Was</strong> bedeutet <strong>die</strong>s?<br />

281


Teil E Schluss<br />

Anhang: C-Experiment<br />

Positive Bewertungen (Platzierung im 1. Drittel) werden erreicht, wenn es um Leistungen<br />

der Vergangenheit geht, <strong>die</strong> noch in der Gegenwart wirken, z.B.<br />

• <strong>die</strong> erhaltenen Nobelpreise,<br />

• <strong>die</strong> Aus- und Weiterbildung als System,<br />

• <strong>die</strong> Exportleistungen.<br />

Diese Leistungen beruhen auf einer erarbeiteten Substanz, einem erarbeiteten Vermögen<br />

an Humanressourcen. Dieses wird genutzt und es werden ordentliche Leistungen<br />

erbracht.<br />

Die schlechten Leistungen stellen sich immer dort ein, wenn es um Leistungen geht, <strong>die</strong><br />

gegenwärtig zu erbringen sind, aber erst in der Zukunft ihre Wirksamkeit entfalten. Beispiele<br />

sind:<br />

• neues technisches und ökonomisches Wissen<br />

• Verfügbarkeit von Ingenieuren<br />

• Teile des Erziehungssystems<br />

• Management der Veränderung<br />

• Unternehmer-Kultur, etc.<br />

Die hier aufgeführten schwachen Leistungen sind Potenzialleistungen, <strong>die</strong> jetzt zu erarbeiten<br />

sind, um sie später zu nutzen bzw. um später zu ernten.<br />

Werden beide Teilergebnisse zusammengefasst, so ergibt sich eine einfache, aber bittere<br />

Aussage:<br />

Deutschland lebt von seiner Substanz und es verbraucht <strong>die</strong>se 159 , ohne zurechnend -<br />

nach internationalen Maßstäben gemessen - neue Potenziale also neue Ressourcen<br />

aufzubauen.<br />

Hieraus ergibt sich insgesamt eine eingeschränkte und nachlassende Zukunftsfähigkeit.<br />

Eine wichtige Ergänzung <strong>die</strong>ses Befundes liefert der Global Entrepreneurship Monitor 160 .<br />

Verglichen werden 34 Länder in bezug auf <strong>die</strong> Gründung von Potenziale für <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Deutschland ist über alle Merkmale summiert Spitzenreiter des zweiten Drittels.<br />

Wiederum ist der Achterbahn-Effekt zu beobachten. Diesmal ist er wie folgt zu formulieren:<br />

• Ordentliche Ergebnisse (Rangplätze im 1. Drittel) gibt es, so weit es um materielle<br />

Gegebenheiten geht: von der Infrastruktur, über <strong>die</strong> Finanzierung, bis zur Förderung.<br />

• Schlechtere und schlechte Rangplätze (2. und 3. Drittel) fallen an, wenn es um mentale<br />

Sachverhalte geht, also um Wissen, Erziehung, Offenheit gegenüber Veränderungen<br />

etc.<br />

159<br />

Spätestens beim Übergang in <strong>die</strong> Rente ist <strong>die</strong>s Vermögen weg.<br />

160<br />

Vgl. Stemberg, R., Bergmann, H.: Global Entrepreneurship Monitor, Länderbericht Deutschland 2002, Köln<br />

2003<br />

282


Teil E Schluss<br />

Anhang: C-Experiment<br />

Es ist also nicht so, dass aktuelle Wachstumsschwächen und <strong>die</strong> Finanzierungsnöte der<br />

öffentlichen Hand für <strong>die</strong> mittelmäßige Gesamt-Einstufung verantwortlich sind. Offensichtlich<br />

gibt es im größeren Umfang mentale Probleme. Bewusstsein zu verändern, ist aber<br />

ziemlich schwierig.<br />

Ohne <strong>die</strong> Zukunftspotenziale (neues Wissen, Veränderungsfähigkeit, etc.) kann aber das<br />

einzelne <strong>Unternehmen</strong> nicht existieren. Es ist auf kongeniale Gemeinschaftsleistungen<br />

angewiesen. Die <strong>Einzigartigkeit</strong> <strong>eines</strong> <strong>Unternehmen</strong>s und <strong>die</strong> Vielfalt aller <strong>Unternehmen</strong><br />

ist ohne <strong>die</strong> entsprechenden Gemeinschaftsleistungen dauerhaft nicht möglich.<br />

Da <strong>die</strong> erforderlichen Gemeinschaftsleistungen aber derzeit nicht verfügbar sind, bleibt<br />

den einzelnen <strong>Unternehmen</strong> nur<br />

1. <strong>die</strong> Eigenmöglichkeiten zu aktivieren und<br />

2. sich politisch mehr Gehör zu verschaffen.<br />

Beides ist lästig, zumindest aber anstrengend und nicht billig.<br />

2. Zukunftsfähigkeit aufgrund von UNO- und<br />

OECD-Kennziffern<br />

2.1 Unterschiedliche Zeithorizonte<br />

Die soeben entwickelten Thesen vom Substanzabbau der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit<br />

und der eingeschränkten Zukunftsfähigkeit wird durch <strong>die</strong> folgenden Kennziffern, <strong>die</strong><br />

aus dem UNO-Indikatoren-System stammen, gestützt. Es stimmen also <strong>die</strong> Befunde zur<br />

aktuellen Situation mit den im folgenden vorzustellenden Perspektiv-Indikatoren überein.<br />

In <strong>die</strong>sem Abschnitt geht es aber auch um zusätzliche Gesichtspunkte. In den meisten<br />

Zukunftsüberlegungen wird <strong>die</strong> Zeitperspektive zu wenig beachtet. Hier wird wie folgt<br />

unterschieden:<br />

• kurzfristige Perspektive: bis etwa 2010<br />

• mittelfristige Perspektive: 2010 bis 2025<br />

• langfristige Perspektive: ab 2025 bis 2050.<br />

Heute erkennbar ist, dass in den späteren Zeithorizonten neue Probleme hinzukommen,<br />

<strong>die</strong> <strong>die</strong> aktuellen aber weiter bestehenden Probleme verschärfen werden.<br />

Selbstverständlich gilt <strong>die</strong>se Aussage nur, sofern keine gegensteuernden Maßnahmen<br />

erfolgen.<br />

Um mit der Überkomplexität von Kennziffern und Indikatorensystemen fertig zu werden,<br />

wird bewusst mit Leitindikatoren gearbeitet. Jeder Zeithorizont (bis 2010, 2010 bis 2025,<br />

ab 2025) wird durch nur einen Indikator gekennzeichnet. Voraussetzung für einen Leitin-<br />

283


Teil E Schluss<br />

Anhang: C-Experiment<br />

dikator (z.B. das jährliche wirtschaftliche Wachstum) ist, dass er hinreichend auf differenzierende<br />

und konkretisierende Kennziffern verweist.<br />

Wie auch im vorherigen Kapitel wird auch hier gefragt werden: Welche Konsequenzen<br />

ergeben sich für das einzelne <strong>Unternehmen</strong>?<br />

2.2 Indikatorenauswahl<br />

In Orientierung an <strong>die</strong> UNO-Methodik 161 globaler Indikatoren zur menschlichen<br />

Entwicklung und zum Erreichen von technologischem Niveau wird ein Indikator zur<br />

Beurteilung der Zukunftsfähigkeit Deutschlands entwickelt.<br />

Dieser Indikator zur Zukunftsfähigkeit ist definiert als arithmetisches Mittel der Teil-Indikatoren<br />

• zur Bevölkerungsentwicklung,<br />

• zum Bildungs- und Wissensstand und<br />

• zur Wettbewerbsfähigkeit<br />

Deutschlands. Die Indikatorenbildung geschieht durch das Bilden von Verhältniswerten<br />

deutschlandspezifischer Ist-Werte zu Referenzwerten. Als Referenzwerte sind gesetzt:<br />

• für <strong>die</strong> Bevölkerungsentwicklung <strong>die</strong> Geburtenhäufigkeit, <strong>die</strong> zur<br />

Bestandserhaltung notwendig ist;<br />

• für Bildung und Wissen das skandinavische Ausgabenniveau in % des BIP;<br />

• für <strong>die</strong> Wettbewerbsfähigkeit <strong>die</strong> Veränderung der High-Tech-Exporte im<br />

Durchschnitt aller OECD-Länder.<br />

Werden <strong>die</strong> in dem Bild 116 angegebenen Referenzwerte als Beurteilungsmaßstab<br />

akzeptiert, wird also <strong>die</strong> deutsche Leistung im Verhältnis zu <strong>die</strong>sen Referenzwerten<br />

gemessen, so ist das Ergebnis eindeutig.<br />

161 Vgl. UNDP: Human Development Report 2001, New York 2001<br />

284


Teil E Schluss<br />

Anhang: C-Experiment<br />

Ist-Werte Referenzwerte Indikatorwerte Ergebnis<br />

Dimension;<br />

Indikatorauswahl<br />

Zeithorizont<br />

Position<br />

rückläufige<br />

Bevölkerung wird<br />

auch Arbeitsplätze<br />

kosten<br />

Bestandserhaltung:<br />

2,1 Kinder je Frau<br />

1,3 : 2,1 =<br />

0,62<br />

1,3 Kinder je Frau*<br />

Bevölkerungsentwicklung<br />

Indikator:<br />

Geburtenhäufigkeit<br />

Längerfristiger<br />

Horizont<br />

Betroffenheit: in 25<br />

und mehr Jahren<br />

A<br />

Seit 1970 überwiegend < 2,1<br />

Ersatzbedarf an<br />

Qualifizierten nicht<br />

mehr deckbar<br />

4,8 : 7,4 =<br />

0,65<br />

Skandinavische<br />

Länder: 7,4%<br />

In den 90er Jahren<br />

Anstieg<br />

4,8%<br />

Bildung und<br />

Wissen<br />

Indikator:<br />

Bildungsausgaben<br />

Mittelfristiger<br />

Horizont<br />

Betroffenheit: in 10<br />

bis 20 Jahren<br />

B<br />

in % des BIP<br />

Verschlechterung<br />

der<br />

Wettbewerbsfähigkeit<br />

wahrscheinlich<br />

50 : 100 =<br />

0,50<br />

Reiche OECD-<br />

Länder:<br />

1980: 10%<br />

1999: 20%<br />

Steigerungsrate:<br />

100%<br />

1990: 12%<br />

1999: 18%<br />

Steigerungsrate:<br />

50%<br />

Wettbewerbsfähigkeit<br />

Indikator:<br />

Steigerung des<br />

High-Tech-Anteils<br />

im Export<br />

Kurzfristiger<br />

Horizont<br />

Betroffenheit: in 0<br />

bis 10 Jahren<br />

C<br />

Gesamtindikator der Zukunftsfähigkeit: 1/3 (A+B+C) = 0,62 +0,65 + 0,42 : 3 = 0,59<br />

Deutschland hat in bezug auf Zukunftsfähigkeit einen 41%igen Rückstand (1 - 0,59).<br />

Bild 116: Indikatoren zur Zukunftsfähigkeit Deutschlands<br />

285


Teil D Erprobungen und Vertiefungen<br />

Kapitel 8: Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Für jeden Indikator, d.h. für jeden Zeithorizont, ergibt sich ein deutlicher Entwicklungsrückstand.<br />

Werden <strong>die</strong> einzelnen Indikatoren als einfaches arithmetisches Mittel - zu<br />

einem Gesamtindikator vereinigt, so hat man eine Maßzahl für <strong>die</strong> Zukunftsfähigkeit des<br />

Landes. Der konkrete Wert besagt, dass <strong>die</strong>se deutlich unterentwickelt ist.<br />

Die Berechtigung einer Zusammenfassung zu einem Gesamtindikator "Zukunftsfähigkeit"<br />

ergibt sich daraus, dass <strong>die</strong> Probleme zwar in unterschiedlichen Zeithorizonten virulent<br />

werden, zur Gegensteuerung aber jetzt begonnen werden muss. Es gibt eben soziale<br />

Prozesse, <strong>die</strong> nicht über Nacht - also kurzfristig - zu verändern sind.<br />

Wie ist es nun mit der Eignung der Indikatoren als Leitindikatoren bestellt?<br />

2.3 Langfristige Zukunftsperspektive: Bevölkerungsentwicklung<br />

Für <strong>die</strong> nächsten 20 Jahre wird <strong>die</strong> leicht sinkende Bevölkerung Deutschlands eher begrüßt,<br />

werden doch hiermit Entlastungen auf dem Arbeitsmarkt erwartet. Erst allmählich<br />

wird wahrgenommen, dass es nicht nur um <strong>die</strong> Quantität der Erwerbspersonen, sondern<br />

auch um deren Alterszusammensetzung geht, <strong>die</strong> sich sicher innerhalb der nächsten 20<br />

Jahre deutlich verschlechtern wird.<br />

Spätestens aber ab dem 3. Jahrzehnt <strong>die</strong>ses Jahrhunderts wird <strong>die</strong> Bevölkerungsentwicklung<br />

zum kollektiven Trauma werden, wenn deutlich wird, dass <strong>die</strong>s - ohne Gegensteuerung<br />

- ein Prozess nach Null ist.<br />

2000 2020 2050<br />

Bevölkerungszahl 82,7 Mill. 79,9 Mill. 68,2 Mill.<br />

Durchschnittliches Alter 40,1 Jahre 47,8 Jahre 52,4 Jahre<br />

Geburtenhäufigkeit 1,3 1,3 1,3<br />

Bild 117: Entwicklung bei konstanter Geburtenhäufigkeit 162<br />

Ändert sich <strong>die</strong> Geburtenhäufigkeit nicht, so wird <strong>die</strong> Bevölkerung im übernächsten Jahrhundert<br />

aussterben.<br />

Alle europäischen Gesellschaften haben im 21. Jahrhundert <strong>die</strong> Probleme schrumpfender<br />

und alternder Gesellschaften, allerdings mit deutlich unterschiedlicher Intensität.<br />

Diese Herausforderungen sind durch Zuwanderung zu mildern, aber nicht zu lösen 163 .<br />

Die meisten Menschen, <strong>die</strong> sich mit dem Thema Bevölkerungsrückgang auseinandersetzen,<br />

denken, 'ein paar Menschen weniger ist eher vorteilhaft'. In der Tat ist es so, dass es<br />

eine Menge Gesellschaften gibt, <strong>die</strong> kleiner als Deutschland und dennoch wohlhabend<br />

sind.<br />

162 Vgl. www.strukturwandel-zukunft.de<br />

163 Vgl. www.strukturwandel-zukunft.de<br />

286


Teil D Erprobungen und Vertiefungen<br />

Kapitel 8: Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Das Problem ist also nicht <strong>die</strong> kleinere Bevölkerungszahl zu einem bestimmten Zeitpunkt,<br />

sondern der beständige Prozess der Verringerung, der so lange weitergehen wird, wie <strong>die</strong><br />

Kinderzahl so bleibt wie sie aktuell ist.<br />

Vergessen wird auch, dass es Jahrzehnte benötigt, ehe eine dauerhafte Erhöhung der<br />

Kinderzahl den Schrumpfungsprozess stoppt. 164<br />

Es gibt mindestens zwei Gründe, warum <strong>die</strong> Bevölkerungsentwicklung in Deutschland so<br />

schwer diskutierbar ist:<br />

• einmal <strong>die</strong> kurzbeschriebenen mentalen Schwierigkeiten, sich <strong>die</strong> Langfristigkeit<br />

mancher Prozesse vorzustellen,<br />

• zum anderen <strong>die</strong> Verweigerung der Diskussion des Zusammenhangs zwischen<br />

wirtschaftlichen Wachstumsraten und Bevölkerungsentwicklung.<br />

Definitionsgemäß gilt:<br />

Volkseinkommen= Einkommen pro Kopf<br />

der Bevölkerung × Bevölkerung<br />

Y = L × B<br />

Wird <strong>die</strong>se Gleichung in Veränderungs- also Wachstums- oder Schrumpfungsraten geschrieben,<br />

so folgt:<br />

dY = dL + dB<br />

In entwickelten Gesellschaften trägt also das Bevölkerungswachstum zum wirtschaftlichen<br />

Wachstum bei, wovon <strong>die</strong> USA deutlich stärker als <strong>die</strong> europäischen Länder profitieren.<br />

Schrumpft <strong>die</strong> Bevölkerung, wird also dB negativ, so muss entweder dL vorsätzlich erhöht<br />

werden oder dY sinkt. Angesichts der Globalisierung wird <strong>die</strong> zusätzliche Erhöhung von<br />

dL nicht so einfach sein, also besteht <strong>die</strong> Gefahr, dass dY sinkt, was Arbeitsplätze kosten<br />

wird.<br />

Eine langfristig sinkende Bevölkerung lässt also sehr ungemütliche ökonomische Konsequenzen<br />

erwarten. Die zentral erforderliche gegensteuernde Maßnahme ist somit <strong>die</strong> Diskussion,<br />

praktische Erprobung und Entwicklung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Der<br />

Ausdruck "kinderfreundliche Gesellschaft" ist vielleicht gewöhnungsbedürftig. Er soll ausdrücken,<br />

dass <strong>die</strong> bisherigen Politikansätze - gleich welcher Coleur - zu wenig gebracht<br />

haben. Es muss einfach wieder Spaß bereiten, Kind zu sein und Kinder zu haben. Eine<br />

gigantische Herausforderung.<br />

164 Ausführlicher hierzu siehe: www.strukturwandel-zukunft.de<br />

287


Teil D Erprobungen und Vertiefungen<br />

Kapitel 8: Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

2.4 Mittelfristige Zukunftsperspektive: Bildung und Wissen<br />

Bildungsinvestitionen wirken nicht sofort, sondern eher mittelfristig.<br />

Bildung und Wissen werden mittels des Indikators Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt<br />

dargestellt.<br />

Als Referenzgruppe werden <strong>die</strong> skandinavischen Länder gesetzt, vor allem deshalb, weil<br />

zumindest Dänemark, Schweden und Finnland in den 90er Jahren gezeigt haben, dass<br />

Haushaltskonsoli<strong>die</strong>rung und deutliche Steigerung der Bildungsausgaben machbar sind:<br />

wenn auch mit Schmerzen.<br />

Deutschland hat sich in den 90er Jahren einen Abbruch der Bildungsexpansion, also eine<br />

eher stagnierende Bildungsentwicklung geleistet. Gelingen <strong>die</strong> Umschaltung auf eine<br />

ziemlich radikale Bildungsoffensive sowie das Zuwanderungsgesetz nicht, so wird im<br />

nächsten Jahrzehnt der massenhafte Export von (hoch-)qualifizierten Arbeitsplätzen <strong>die</strong><br />

unvermeidbare Folge sein. Mangels Kompetenzen wird <strong>die</strong> Wirtschaft schrumpfen.<br />

<strong>Was</strong> ohne Gegensteuerung passieren wird, verdeutlicht Bild 118. Für <strong>die</strong> in Rente gehenden<br />

älteren Erwerbstätigen fehlt im nächsten Jahrzehnt der Ersatz. Diese antizipierbare<br />

Entwicklung ist das Ergebnis von demographischer Entwicklung (Altern der geburtenstarken<br />

Jahrgänge, nachrückende geburtenschwache Jahrgänge) und stagnierenden Bildungsausgaben,<br />

also keiner Erhöhung der (Aus-)Bildungsbeteiligung.<br />

Erwerbstätige 1976 1998 2020<br />

Akademiker 2 1,2 0,4<br />

Mit Berufsausbildung 1,9 1,1 0,6<br />

Lesebeispiel: Auf einen älteren kommen x jüngere Erwerbstätige je<br />

Qualifikationsstufe; demographische Fortschreibung<br />

Bild 118: Entwicklung des Verhältnisses von bis 34-Jährigen zu 50- bis 64-Jährigen<br />

Das Ergebnis ist eindeutig: Zukünftig ist der Ersatzbedarf an (hoch)qualifizierten Arbeitskräften<br />

nicht mehr deckbar. Diese Aussage ist das Ergebnis der kombinierten Wirkung<br />

von stagnierender Bildungsexpansion und alternder Gesellschaft. 165<br />

Zu den bekannten Maßnahmen 'mehr Bildung, mehr Frauenerwerbstätigkeit, mehr<br />

Zuwanderer' - und <strong>die</strong>s alles trotz Massenarbeitslosigkeit - müssen neue Überlegungen<br />

hinzutreten. Es gibt - empirisch belegt 166 ein großes innerbetriebliches Kompetenzpotenzial,<br />

das nicht oder noch zu wenig genutzt wird. Gelingt es, <strong>die</strong>ses Potenzial zu aktivieren,<br />

so sind <strong>die</strong> angegebenen Herausforderungen deutlich besser zu bewältigen.<br />

165<br />

Ausführlicher beschrieben in: Volkholz, V.: Ohne Lernkultur sinken Wettbewerbs- und Überlebenschancen<br />

der <strong>Unternehmen</strong>, in: QUEM-Bulletin, Berlin April 2003<br />

166<br />

Vgl. Volkholz, V., Köchling, A.: Lernen und Arbeiten, in: Kompetenzentwicklung 2001, Tätigsein - Lernen -<br />

Innovation, Münster 2002<br />

288


Teil D Erprobungen und Vertiefungen<br />

Kapitel 8: Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

2.5 Kurzfristige Zukunftsperspektive: Wettbewerbsfähigkeit<br />

1980 hat der Anteil der High-Tech-Produkte am Export 12% betragen, 1999 - also knapp<br />

20 Jahre später, waren es 18%, was einer Anteilserhöhung um 50% entspricht. Im<br />

gleichen Zeitraum haben sich aber <strong>die</strong> Durchschnittswerte aller wohlhabenden OECD-<br />

Länder von 10 auf 20% erhöht, also um 100% gesteigert. Werden <strong>die</strong> beiden Veränderungsraten<br />

in Beziehung gesetzt, so kann festgestellt werden: Im High-Tech-Export hat<br />

<strong>die</strong> deutsche Veränderungsdynamik nur 50% des Durchschnitts aller OECD-Länder<br />

betragen. Deutschland ist von einer überdurchschnittlichen zu einer unterdurchschnittlichen<br />

Position abgerutscht - was bei einer Trendfortschreibung in <strong>die</strong>sem Jahrzehnt wenig<br />

Gutes verspricht.<br />

Werden <strong>die</strong> High-Tech-Exporte nach Volumen in Milliarden DM geordnet, so hat<br />

Deutschland 1999 Platz 3 hinter den USA und Japan inne. Wird aber <strong>die</strong> Exportdynamik<br />

in den 90er Jahren betrachtet, so besetzt Deutschland den 24ten von 30 Rangplätzen. Bei<br />

Fortschreibung <strong>die</strong>ser Veränderungsraten wird Deutschland in 10 Jahren etliche Länder<br />

volumenmäßig vor sich haben, <strong>die</strong> derzeit als Entwicklungsländer eingestuft sind.<br />

Im Volumen hat Deutschland<br />

Rank<br />

Country or area<br />

Billions of US<br />

Dollars, 1998-99<br />

289<br />

Index<br />

(1990=110)<br />

1 United States 206 250<br />

2 Japan 126 196<br />

3 Germany 95 206<br />

4 United Kingdom 77 255<br />

5 Singapore 66 420<br />

6 France 65 248<br />

7 Korea, Rep.of 48 428<br />

8 Netherlands 45 310<br />

9 Malaysia 44 685<br />

10 China 40 1,465<br />

11 Mexico 38 3,846<br />

12 Ireland 29 535<br />

13 Canada 26 297<br />

14 Italy 25 177<br />

15 Sweden 22 314<br />

16 Switzerland 21 231<br />

17 Belgium 19 296<br />

18 Thailand 17 591<br />

19 Spain 11 289<br />

20 Finland 11 512<br />

21 Denmark 9 261<br />

22 Philippines 9 1,561<br />

23 Israel 7 459<br />

24 Austria 7 172<br />

25 Hungary 6 ..<br />

26 HongKong, China<br />

5 111<br />

(SAR)<br />

27 Brazil 4 364<br />

28 Indonesia 3 1,811<br />

29 Czech Republic 3 ..<br />

30 Costa Rica 3 7.324<br />

Quelle: UNDP: Human Development-Report 2001, New York 2001, S. 42<br />

in der Dynamik hat<br />

Deutschland Platz 24<br />

Bild 119: Rangfolge der 30 wichtigsten Länder von High-Tech-Exporten


Teil D Erprobungen und Vertiefungen<br />

Kapitel 8: Verlorene und gewonnene <strong>Einzigartigkeit</strong><br />

Bei einer differenzierenden Betrachtung zeigt sich, dass <strong>die</strong> hohen Exportleistungen<br />

Deutschlands von einer recht kleinen Anzahl von <strong>Unternehmen</strong> erbracht werden. In <strong>die</strong>sem<br />

leistungsstarken Wirtschaftssektor haben aber zusätzliche Steigerungen wegen der<br />

bereits hohen Exportleistungen Grenzen.<br />

Die Exporttätigkeit muss also auf breitere Schultern gestellt werden, d.h.<br />

• Exportmobilisierung bei <strong>Unternehmen</strong> mit bislang unterdurchschnittlichen Exportleistungen<br />

• Heranführung an Exporttätigkeit bei bislang nicht exportierenden <strong>Unternehmen</strong>.<br />

Bei einem genaueren Hinsehen stellen sich also wieder einmal "Licht und Schatten" ein.<br />

3. Konsequenzen<br />

Die Erörterung der Leitindikatoren zeigt, dass sie als solche verwendbar sind, wenn es ein<br />

hinreichendes Wissen zu ihrem Verständnis gibt. Diese Aufgabe, ein angemessenes Zusammenhangswissen<br />

zu schaffen, wird zu wenig gesehen. Für <strong>die</strong> einzelnen <strong>Unternehmen</strong><br />

folgt aus <strong>die</strong>sen Darlegungen, dass sie ungemütlichen Zeiten entgegen sehen.<br />

Alle drei Indikatoren haben in unterschiedlichen Varianten mit den Humanressourcen zu<br />

tun. Viele Untenehmen sind aus den letzten 20 Jahren gewohnt, dass Humanressourcen<br />

kein Engpassfaktor sind. Angesichts der Massenarbeitslosigkeit wird es schwer sein, sich<br />

umzuorientieren.<br />

Die Trennung von Illusionen ist keine leichte Aufgabe.<br />

Die in den vorherigen Kapiteln vorgestellten gegensteuernden Maßnahmen zeigen, dass<br />

Problemlösungen denkbar sind. Voraussetzung ist jedoch, dass <strong>die</strong> einzelnen <strong>Unternehmen</strong><br />

sich stärker engagieren; <strong>die</strong>s in ihrem eigenen Interesse, aber auch als Impulsgeber<br />

für ein neues Gemeinwohl.<br />

Wer <strong>die</strong>sen Ausführungen nicht traut, wer sie etwas für romantisch hälft, hinterlege sie als<br />

Prognose seinen Kindern. Sie mögen dann in etwa 20 Jahren über ihren Realitätsgehalt<br />

urteilen.<br />

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