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Autonomie stärken - Eine Orientierung für Mitarbeiter-/innen (2013)

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gen in den Nervenzellen des Gehirns.<br />

Gegen diese These wird aus philosophischer Sicht, etwa von Jürgen Habermas, geltend<br />

gemacht, sie missachte, dass wir <strong>für</strong> das Verstehen menschlicher Lebensäußerungen<br />

(z.B. der Entscheidung <strong>für</strong> ein bestimmtes Handeln) andere Kategorien brauchen<br />

als <strong>für</strong> das Erklären physikalischer Vorgänge. <strong>Eine</strong> Denkweise, die die gesamte<br />

Wirklichkeit – also auch Phänomene wie Freiheit, Liebe, Hoffnung – nach dem Muster<br />

von mechanischen, naturhaften Vorgängen erklären wolle, greife zu kurz. Deshalb,<br />

so Habermas, können diese menschlichen Verständigungsprozesse (wie etwa das Bewusstsein:<br />

ich handle aus Freiheit) selbst nicht im Ganzen als „objektive“, physikalische<br />

Vorgänge, beschrieben werden. Aus diesem Grunde kann auch eine rein physikalische<br />

Sicht auf die Welt nur eine eingeschränkte Geltung beanspruchen.<br />

Die Philosophie spricht freilich hinsichtlich der Vorstellung von <strong>Autonomie</strong> nicht<br />

mit einer Stimme. Denn der zweite Einwand gegen das Vorhandensein von <strong>Autonomie</strong><br />

kommt aus philosophischer Sicht. Aus dem Blickwinkel mancher Vertreter moderner<br />

Theorien des Menschseins, auch der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule wird<br />

eingewandt, <strong>Autonomie</strong> sei eine Illusion. Die Fremdbestimmung, die Ohnmacht gegenüber<br />

all den Zwängen sei in unserer Lebenswelt so groß, dass das Subjekt nicht<br />

wirklich Herr seiner ethischen Urteile sei. Je näher man nämlich an die Bestimmungsmöglichkeiten<br />

des erkennenden Bewusstseins oder des handelnden Subjekts gelange,<br />

umso zwielichtiger werde deren autonomer Zustand.<br />

Darauf ist zu erwidern, dass die Einschränkungen der <strong>Autonomie</strong> von den Vertretern<br />

einer Ethik der <strong>Autonomie</strong> durchaus wahrgenommen und nicht geleugnet werden.<br />

Ähnlich wie die Ethik aber an der Freiheit des Menschen festhält, obwohl diese durch<br />

viele Faktoren – Erbanlagen, Erziehung, Milieu u.a. – begrenzt ist, ähnlich ist auch die<br />

<strong>Autonomie</strong> begrenzt – und dennoch gegeben. <strong>Autonomie</strong> ist keine absolute Selbstbestimmung.<br />

Selbstbestimmung und Fremdbestimmung existieren niemals als reale<br />

Alternativen, sie treffen in unserem Bewusstsein dauernd aufeinander und relativieren<br />

sich gegenseitig.<br />

Der dritte Einwand kommt aus theologischer Sicht. <strong>Eine</strong> „autonome Ethik“, so<br />

sagen manche Theologen, missachte die notwendige <strong>Orientierung</strong> des Menschen an<br />

Gott („Theonomie“) und rechtfertige die gegen Gott gerichtete Selbstherrlichkeit des<br />

Menschen. Die Frage ist, ob hier nicht von vorneherein ein Gegensatz von Glaube und<br />

Vernunft vorausgesetzt wird, der sich dann auch in einem autoritätsfixierten Kirchen-<br />

und Gesellschaftsbild, in einer Absage an Partizipation und Mitverantwortung<br />

spiegelt.<br />

Zweifellos sind Glaube und Vernunft nicht einfach identisch. Aber heißt das, dass sich<br />

der Glaube im Gegensatz zur Vernunft profilieren muss? Kann er sich nicht ebenso<br />

gut als Vertiefung und Erweiterung der Vernunft auswirken? Der Philosoph Kant<br />

hat das besser verstanden als manche Theologen. Bei ihm wird <strong>Autonomie</strong> nicht<br />

durch Theonomie überboten, vielmehr ist Theonomie der Idealfall von <strong>Autonomie</strong>;<br />

die göttlichen Gebote können als Idealfall des moralischen Gesetzes gedacht werden.<br />

Insofern ist der Gedanke der <strong>Autonomie</strong>, auch wenn er in der Neuzeit vorrangig von<br />

Philosophen vorgetragen wurde, der christlichen Ethik nicht fremd. Sie will die in<br />

Gottes Schöpfung angelegte Ordnung der menschlichen Lebensbereiche mit Hilfe der<br />

Vernunft gestalten. Auch die Botschaft Jesu bedeutet Ermunterung zur Freiheit.<br />

„Autonome Moral“ ist also ein ethischer Ansatz, der die Moral denkt von der Freiheit<br />

und Eigenverantwortlichkeit des Menschen her. Die Bindung des Menschen an das<br />

Gute kann demnach nur auf Grund einer Selbstbindung der menschlichen Freiheit<br />

geschehen. <strong>Eine</strong> solche Selbstbindung ist an die eigene Einsicht gebunden, die der<br />

ethischen Reflexionsweise bedarf.<br />

(5) <strong>Autonomie</strong> zwischen Vernunft und Beziehung<br />

Angesichts der fehlenden Überzeugungskraft der besprochenen Einwände ist die<br />

Frage also offensichtlich nicht, ob der Ansatz bei der <strong>Autonomie</strong> des Menschen ein<br />

gültiger Ansatz der Ethik ist, sondern eher, ob er der einzig mögliche Ansatz ist.<br />

Auch wenn sich die von der Aufklärung bestimmte neuzeitliche Ethik weitestgehend<br />

auf Kant und seine mit dem <strong>Autonomie</strong>gedanken verbundene Begründung der Ethik<br />

stützt, dürfen wir die Schattenseiten der aufgeklärten Vernunft nicht übersehen. Sie<br />

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