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Autonomie stärken - Eine Orientierung für Mitarbeiter-/innen (2013)

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2 Beispiele <strong>für</strong> das Ringen um <strong>Autonomie</strong><br />

2.1 Suche nach Lösungen in Dilemmasituationen<br />

Die folgenden Beispiele stammen aus verschiedenen Einrichtungen und Betreuungsverhältnissen<br />

der Stiftung Liebenau. Allen gemeinsam ist das Streben der Klienten<br />

nach <strong>Autonomie</strong> der eigenen Lebensführung im Kontext professionell organisierter<br />

Lebenswelten. Alle Beispiele waren Gegenstand einer eingehenden Falldiskussion. In<br />

einigen Fällen war die Ethikkommission gefragt, nachdem schon entschieden war, wie<br />

es weitergeht. In anderen Fällen waren die Situationen so aktuell, dass die Diskussion<br />

in der Ethikkommission noch Einfluss auf die Entscheidungsfindung nehmen konnte.<br />

Die Darstellung der Fälle entspricht der Methodik ihrer Bearbeitung in der Ethikkommission:<br />

Der Schilderung der Ausgangssituation folgt die Beschreibung des Dilemmas.<br />

In der Regel werden sodann verschiedene Handlungsoptionen vorgestellt, bevor die<br />

Entscheidung <strong>für</strong> eine Lösung mit Begründung präsentiert wird.<br />

Die Beispiele zeigen, dass mehr oder weniger weite Entscheidungsspielräume da sind<br />

und von den Klienten auch genutzt werden, um ihren Willen kundzutun. Alle Fälle<br />

stellen das Pflegepersonal vor diverse Dilemmata, also Situationen, die sehr widersprüchliche<br />

Anforderungen an die Beziehung zu den Klienten aufzeigen. Die Lösungen,<br />

die im Folgenden aufgezeigt werden, sind mögliche Lösungen. Dabei wurden<br />

und konnten nicht in allen Fallbeispielen die ökonomischen und rechtlichen Schranken<br />

der Lösungsmöglichkeiten umschrieben und interpretiert werden. Außenstehende<br />

kommen vielleicht zu anderen Lösungen, auch Betroffene können sich anders entscheiden.<br />

Wichtig ist, dass entschieden wurde und dass jede Entscheidung begründet<br />

erfolgt ist. Die Beispiele sollen zeigen, dass es auch im stationären Rahmen gelingen<br />

kann, den <strong>Autonomie</strong>anspruch der Klienten so gut es geht zu berücksichtigen. Sie<br />

zeigen zugleich auf, dass es zur Professionalität des Pflegens und Helfens gehört,<br />

sich ethisch reflektiert ein Urteil zu bilden.<br />

(1) Frau D. will nicht mehr essen<br />

Ausgangssituation:<br />

Die 84jährige Frau D. wird mit einem Gewicht von 30 kg in ein Pflegeheim der St. Anna-Hilfe<br />

aufgenommen. Orale Nahrungsaufnahme lehnt sie vollständig ab und nimmt<br />

nur Flüssigkeit zu sich. Aufgrund ihres geringen Körpergewichts kann sie nur liegen<br />

und hat sich beim Einzug ins Pflegeheim schon aufgegeben. Durch aufmerksame Pflege<br />

bemühen sich die <strong>Mitarbeiter</strong>, ein Wundliegen zu verhindern. Auch versuchen sie<br />

Frau D. zu aktivieren. Über frühere Lieblingsspeisen gelingt es den <strong>Mitarbeiter</strong>n, Frau<br />

D. zum Essen zu motivieren. Ihre Stimmung wird besser und sie kann wieder lachen.<br />

Geistig ist sie die überwiegende Zeit orientiert.<br />

Dilemma:<br />

Obwohl Frau D. wieder Nahrung zu sich nimmt, isst sie nicht so viel, wie sie bräuchte.<br />

Die Pflegedienstleitung führt mit dem Betreuer ein Beratungsgespräch, in dem<br />

sie vorschlägt, Frau D. vorübergehend eine Sonde zu legen, damit sie an Gewicht<br />

zunimmt. Durch die Sonde hätte Frau D. die Möglichkeit, Folgeerscheinungen einer<br />

Mangelernährung zu vermeiden. Mit mehr Gewicht könnte Frau D. im Rollstuhl sitzen,<br />

an Aktivitäten teilnehmen, Kontakt zu anderen Bewohnern bekommen und ihre<br />

Lebensqualität würde steigen. Mit einer vorübergehenden Sonde ist der Betreuer<br />

einverstanden. Der Arzt lehnt eine Sonde jedoch ab, mit der Begründung, „alte<br />

Leute sollen sterben dürfen“. Der Betreuer vertraut dem, was der Arzt sagt. Frau D.<br />

bekommt keine Sonde.<br />

Mögliche Lösung:<br />

Die <strong>Mitarbeiter</strong> müssen die Entscheidung des Betreuers und die ärztliche Meinung akzeptieren.<br />

Im Rahmen ihrer Möglichkeiten bieten sie Frau D. weiterhin Wunschkost an<br />

und versorgen sie mit hochkalorischer Trinknahrung. Über Biografiearbeit versuchen<br />

sie ihren Zustand zu stabilisieren. In der pflegerischen Versorgung passen sie besonders<br />

auf gerötete Stellen auf und beobachten den Gewichtsverlauf sehr genau.<br />

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