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Autonomie stärken - Eine Orientierung für Mitarbeiter-/innen (2013)

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die Langzeitpsychiatrie und ungewisse Zukunftsperspektive) letztlich als einzig mögliche<br />

gewählt wurde. Jedenfalls könne das <strong>Autonomie</strong>streben einzelner Menschen in<br />

keinem Falle soweit hingenommen werden, dass andere Menschen erheblich gefährdet<br />

werden. Nach Abwägung der Risiken anderer und des Selbstbestimmungsrechtes<br />

der Bewohnerin wäre im vorliegenden Falle grundsätzlich immer einem Rauchverbot<br />

<strong>für</strong> die Bewohnerin (was letztlich einer Kündigung des Heimvertrages gleichkäme)<br />

und damit einer Reduzierung der Fremdgefährdung der Vorzug zu geben. Daher<br />

bedeuten die Durchsuchungsmöglichkeiten und die Möglichkeiten der Wegnahme von<br />

Zigaretten zwar eine höhere Einschränkung der körperlichen und räumlichen Integrität,<br />

als sie normalerweise Menschen im Kontext einer <strong>für</strong> viele Menschen gemeinsam<br />

organisierten Pflege und Betreuung in einem Pflegeheim zugemutet wird, müssen<br />

aber von Frau S. als „bessere“ Alternative zu einer Beendigung des Heimaufenthaltes<br />

hingenommen werden.<br />

Wichtig war der Ethikkommission in diesem Fall auch die Transparenz des Entscheidungsvorganges.<br />

Die Einbeziehung von Außenstehenden (Stadtarzt, Heimbewohnervertreter)<br />

in das gewählte Schutzarrangement erhöht die Akzeptanz der Entscheidung<br />

sowohl gegenüber Frau S. als auch gegenüber sonstigen Dritten.<br />

(6) Herr A. braucht eine „Alkoholvereinbarung“<br />

Ausgangssituation:<br />

Herr A. wurde 1958 in Ostberlin geboren. Zu einer leichten geistigen Behinderung hinzu<br />

kam durch einen Arbeitsunfall ein Schädel-Hirn-Trauma. Er leidet seit Jahrzehnten<br />

an einer chronischen Alkoholabhängigkeit. Auch beide Elternteile hatten bzw. haben<br />

Alkoholprobleme.<br />

Im Jahr 2001 kam er von der Langzeit-Suchtstation des Zentrums <strong>für</strong> Psychiatrie<br />

(ZfP) als „therapiert“ auf eine Wohngruppe der St. Gallus-Hilfe. Das Zentrum <strong>für</strong><br />

Psychiatrie hatte im Blick auf seine Abhängigkeit einen geregelten Tagesablauf und<br />

eine sinnstiftende und auslastende Tagesbeschäftigung empfohlen. Das Leben in der<br />

Gruppe in Kombination mit einer Tätigkeit in der Werkstatt <strong>für</strong> behinderte Menschen<br />

(WfbM) ging mehrere Jahre gut. Kleinere Rückfälle konnten vom Team mit Hilfe der<br />

heimärztlichen Ambulanz aufgefangen werden, wenn auch unter hohem zeitlichen<br />

und persönlichem Einsatz.<br />

Im Jahr 2005 wurde im Zuge der Ambulantisierung die Auflösung von Herrn A.s<br />

Wohngruppe angekündigt. Er interessierte sich sehr <strong>für</strong> eine selbstständigere Lebensweise<br />

im eigenen Apartment. Trotz enger Begleitung durch Fachkräfte, die die<br />

Alkoholproblematik ansprachen, trotz Abstimmung mit der WfbM und Anbindung an<br />

die Anonyme-Alkoholiker-Gruppe in der Gemeinde gelang es ihm nicht, sich in dieser<br />

Wohnform zurechtzufinden. Nach drei Monaten scheiterte er an den Anforderungen.<br />

Sein Alkoholkonsum wurde exzessiv. Die Folgen waren eine körperliche Verwahrlosung,<br />

die seine Gesundheit gefährdete, und häufiges Fehlen am Arbeitsplatz. Er<br />

wurde wieder in der Wohngruppe aufgenommen.<br />

Später – im Jahr 2006 – scheiterte auch das Begleitete Wohnen in der Familie seines<br />

Bruders nach nur wenigen Monaten. Und dies trotz intensiver Begleitung durch Sozialarbeiter<br />

und die örtliche Suchtberatung. Auch diese Wohnphase war durch exzessiven<br />

Alkoholkonsum gekennzeichnet. Charakteristisch waren auch massive Probleme<br />

in der Familie sowie kleinere Betrügereien und Straffälligkeiten. Die Therapeuten der<br />

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