Autonomie stärken - Eine Orientierung für Mitarbeiter-/innen (2013)
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Begründung:<br />
Die Klinik sah keine Handlungsalternative, die in der Sache und auch ethisch als bessere<br />
Problemlösung überzeugt hätte. Sie empfand es als besondere Herausforderung,<br />
im Sinne des Stiftungsauftrags auch <strong>für</strong> „schwierige“ Menschen mit besonderem<br />
Hilfebedarf „da zu sein“ und mit den vorhandenen Rahmenbedingungen <strong>für</strong> ihn und<br />
in seinem Sinne eine passende Hilfe zu organisieren. Der gewählte Lösungspfad zeigt<br />
sich als zielführend. Herr B. fühlt sich wohl, er ist im neuen Gruppenverbund gut<br />
integriert und findet Anerkennung. Das Problemverhalten ist quantitativ wie qualitativ<br />
deutlich abgemildert – ein stringenter sozialtherapeutischer Kontext ist allerdings<br />
noch immer hilfreich und mittlerweile von Herrn B. als echte Hilfe akzeptiert und<br />
anerkannt.<br />
(8) Herr U. will Beifahrer werden<br />
Ausgangssituation:<br />
Herr U. ist 30 Jahre alt, arbeitet im Lager der Liebenau Service GmbH und wohnt<br />
vollstationär auf einer Wohngruppe der St. Gallus-Hilfe. Seine Mutter ist gesetzliche<br />
Betreuerin. Herr U. hat eine geistige Behinderung und ist Epileptiker. Er bekommt<br />
etwa ein bis zwei Anfälle in der Woche. <strong>Eine</strong>n Schutzhelm zu tragen lehnt er strikt ab.<br />
Herr U. hat den Wunsch, als Beifahrer auf dem Lkw zu arbeiten.<br />
Sein Verhalten und seine Beschäftigung im Lager sind als sehr schwierig zu bezeichnen.<br />
Er lässt sich schnell von seiner Arbeit ablenken, ist unmotiviert und verlässt<br />
öfters ohne Begründung seinen Arbeitsplatz. Auch lenkt er gerne seine Arbeitskollegen<br />
von der Arbeit ab und stichelt oder provoziert andere verbal. Er hofft, dass er<br />
sich mit seinem negativen Verhalten unbeliebt macht und dadurch schneller auf den<br />
Lkw-Arbeitsplatz wechseln darf.<br />
Beteiligte Personen:<br />
Mutter als gesetzliche Betreuerin:<br />
Die gesetzliche Betreuerin stimmt nicht zu, dass ihr Sohn auf dem Lkw arbeitet, da<br />
dieser Arbeitsplatz <strong>für</strong> Herrn U. aufgrund seiner Epilepsie gefährlicher ist als die<br />
bisherige Tätigkeit im Lager.<br />
Arzt:<br />
Ein Gespräch mit dem Arzt fand statt. Die Medikation wurde überprüft. Herr U. wurde<br />
auf die Gefahren eines epileptischen Anfalles hingewiesen und über das erhöhte Risiko<br />
aufgeklärt, wenn er keinen Schutzhelm trägt. Von Seiten des Arztes besteht <strong>für</strong><br />
Herrn U. überall ein Unfallrisiko. Er informiert Herrn U. über dieses Risiko.<br />
Arbeitsbereich/Wohnbereich:<br />
<strong>Eine</strong>rseits ist Herr U. Epileptiker mit häufigen Anfällen, <strong>für</strong> die sich vorher keine<br />
Anzeichen ergeben. Das heißt, er fällt bei einem epileptischen Anfall ohne vorherige<br />
Warnung oder Veränderung seines Verhaltens um. Die Gefahr, dass auf dem Lkw<br />
etwas passiert bzw. dass er sich beim Ein- und Aussteigen verletzt, ist groß. <strong>Eine</strong>n<br />
Schutzhelm will er aber nicht tragen.<br />
Auf der anderen Seite ist es der größte Wunsch des behinderten Menschen, auf dem<br />
Lkw mitzuarbeiten. Er bringt auch die Fähigkeiten/Fertigkeiten mit, diese Tätigkeit<br />
auszuführen.<br />
Dilemma:<br />
Darf ein <strong>Mitarbeiter</strong> mit einer epileptischen Erkrankung als Beifahrer auf einem Lkw<br />
trotz potentiellem Anfallsrisiko mitfahren, womöglich verbunden mit dem Risiko der<br />
Gefährdung Dritter?<br />
Zu entscheiden ist zwischen dem ausdrücklichen Wunsch von Herrn U. nach einem<br />
Arbeitsplatz als Beifahrer und dem davon ausgehenden Gefahrenrisiko, das bei einem<br />
Anfall <strong>für</strong> Herrn U. und eventuelle Dritte entsteht.<br />
Lösungsweg:<br />
Da der gesetzliche Betreuer nach Aufklärung der Lage nicht schriftlich zustimmte,<br />
dass Herr U. auf dem Lkw als Beifahrer ohne Schutzhelm arbeiten darf, wurde er<br />
zunächst weiter im Lager beschäftigt. Die neue Einstellung der Medikation durch<br />
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