Autonomie stärken - Eine Orientierung für Mitarbeiter-/innen (2013)
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1. Er muss über Freiheit bzw. Freiwilligkeit im Sinne einer gewissen Unabhängigkeit<br />
von kontrollierenden Einflüssen verfügen. Mit dieser sehr vorsichtigen Formulierung<br />
wird anerkannt, dass es eine absolute Unabhängigkeit eines Menschen nicht gibt,<br />
wohl aber eine relative, die umgekehrt davon ausgeht, dass jemand nicht völlig von<br />
außen bestimmt ist, sondern einen gewissen Spielraum eigener Entscheidungsfreiheit<br />
besitzt. Die Einwände gegen diese Sicht werden später noch zu diskutieren sein.<br />
2. Er muss die Fähigkeit besitzen, bestimmte Ziele zu setzen und zu verfolgen. Diese<br />
zweite Bedingung steht in Wechselbeziehung zur ersten: Während jene den Blick nach<br />
außen richtet, beleuchtet diese die Innenseite von Entscheidungsvorgängen. Wer<br />
selbst Ziele setzen und verfolgen kann, realisiert den Spielraum der eigenen Entscheidungsfreiheit.<br />
Beide Bedingungen müssen im Blick auf die Situation der in den Einrichtungen der<br />
Stiftung Liebenau betreuten Menschen mit eingeschränkter Fähigkeit zur Selbststeuerung<br />
weiter unten noch eigens erörtert werden.<br />
Das Recht des betreuten Menschen auf Achtung seiner <strong>Autonomie</strong> lässt sich zusammenfassend<br />
sowohl als negatives wie als positives Recht fassen:<br />
Als negatives bzw. Abwehrrecht bedeutet es, über den eigenen Leib zu bestimmen<br />
und vor Eingriffen in die körperliche und seelische Integrität geschützt zu sein.<br />
Als positives Recht bedeutet es, <strong>für</strong> sich und seine Lebensführung wichtige Wünsche<br />
und Ziele selbst bestimmen zu können. Hierzu gehören besonders das Recht auf<br />
Informationen und das Recht auf Alternativen.<br />
1.3 <strong>Autonomie</strong> in rechtlicher Perspektive<br />
(1) Der <strong>Autonomie</strong>begriff im Öffentlichen Recht und im Privatrecht<br />
Der Begriff der <strong>Autonomie</strong> wird im Wesentlichen in zwei Teilbereichen des Rechts<br />
verwendet. Er findet sich im Öffentlichen Recht, das sich mit den Rechtsbeziehungen<br />
zwischen Hoheitsträgern und den ihnen unterworfenen Individuen wie mit den<br />
Rechtsbeziehungen zwischen den verschiedenen Hoheitsträgern befasst. Er spielt<br />
auch eine Rolle im Privatrecht, das die Beziehungen gleichgeordneter natürlicher wie<br />
juristischer Personen regelt. Er begegnet somit in unterschiedlicher Weise als Schutzgegenstand<br />
von Verfassungsrechtssätzen. Im Bereich der Grundrechte bezeichnet er<br />
sowohl die geschützte Freiheit privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Gestalt<br />
als auch die grundsätzliche Staatsfreiheit schutzbedürftiger Einrichtungen oder Körperschaften<br />
im Dienste gesellschaftswichtiger Selbstverwaltungsbereiche, ebenso<br />
die Selbstbestimmung des Einzelnen im Rechtsleben.<br />
Die Privatautonomie stellt damit eines der grundlegenden Ordnungsprinzipien der<br />
geltenden Rechtsordnung dar, weil sie den Menschen als selbständig handelndes<br />
Wesen anerkennt und es ihm ermöglicht, seine Rechtsbeziehungen mitzugestalten<br />
und selbst eine Regelung seiner Lebensverhältnisse zu treffen. Sie wird deshalb als<br />
Entsprechung zur Anerkennung der menschlichen Freiheit bezeichnet. Der Mensch,<br />
der in ständiger Kommunikation mit anderen lebt, bedarf der Privatautonomie, um<br />
in den ihn unmittelbar angehenden Angelegenheiten frei entscheiden, sie in eigener<br />
Verantwortung gestalten zu können. Denn nur wenn er dazu in der Lage ist, vermag<br />
er sich als Person zu entfalten und zu behaupten.<br />
<strong>Autonomie</strong> steht auch aus rechtlicher Perspektive <strong>für</strong> Selbstbestimmung und<br />
Selbständigkeit und lässt sich aus dem „Nichtvorhandensein“ von Fremdbestimmung<br />
definieren. Fremdbestimmung wird aber nicht nur als Bestimmtwerden durch eine<br />
fremde Autorität und Abhängigkeit von anderen verstanden, sondern auch als Bestimmtwerden<br />
durch einen an sich gleich geordneten Anderen, der sein faktisches<br />
– nicht rechtliches - Übergewicht durchsetzt. Weder das öffentliche Recht noch das<br />
Privatrecht fragen danach, ob die Selbstbestimmung „ethisch qualifiziert“ im Sinne<br />
des kategorischen Imperativs von Kant ist, um als <strong>Autonomie</strong> anerkannt zu werden.<br />
(2) Abgrenzung zur ethischen Sichtweise<br />
Im Öffentlichen Recht umschreibt <strong>Autonomie</strong> eine bestimmte Qualität von Organisationsformen.<br />
Im Privatrecht wird nicht die Qualität der Willensbildung des selbstbestimmt<br />
Handelnden betrachtet wird; so ist auch die Unabhängigkeit des Willens von<br />
jeglichen materialen Bestimmungsgründen im Sinne des kantischen <strong>Autonomie</strong>be-<br />
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