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Kultur- Reportage: 35 mm Kontrovers: siche- - Martin-Luther ...

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Die Schauspieler grandios - sind ja auch Profis. Jetzt Luftanhalten<br />

und nicht bewegen. Sonst wecken wir die Pissoirs. Bei<br />

jeder Bewegung verschlingen die mit Sensoren ausgestatteten<br />

Becken gurgelnd das Wasser, um dann lautstark zu rülpsen.<br />

Eine schlechte Marotte, die den guten Ton verdirbt. Es folgt<br />

ein erlösendes „Danke aus! Die nehmen wir!“ Triumph über<br />

gelungene Aufnahmen unter erschwerten Bedingungen. Ein<br />

Raunen geht durch den Toilettenraum. „Wenn wir das geschafft<br />

haben, schaffen wir auch den Rest.“ Auf zur nächsten<br />

Etappe, auf zum Big Apple.<br />

Action im Striplokal<br />

Der Nachtclub, das Milieu von Stripperin Nadine, ihrem Big<br />

Boss und dem zudringlichen Trinker Achim. Eine verruchte<br />

Kulisse. Im Großformat schmücken Bilder von leicht bekleideten<br />

Damen die Wände. Das Licht ist gedä<strong>mm</strong>t und lenkt<br />

die Aufmerksamkeit auf einen Laufsteg, der sich über den<br />

gesamten Raum erstreckt. Auf ihm stolziert Nadine, nur mit<br />

einem Tanga bekleidet. Umzingelt von Crew und Schauspielern<br />

räkelt sie sich he<strong>mm</strong>ungslos an der vergoldeten Stange.<br />

Gebannt von soviel Mut, nackt vor die Kamera zu treten und<br />

fasziniert vom schönen Körper der Darstellerin, gehen wir unserer<br />

Arbeit nach. Einstellung für Einstellung wird abgedreht.<br />

In der Rolle des zudringlichen Trinkers Achim, der der Stripperin<br />

in Szene fünf den 100-Euro-Schein zusteckt, sorgt Achim<br />

Gerke für Sti<strong>mm</strong>ung am Set. Acht Stunden Drehzeit sind bereits<br />

vergangen – dennoch: die Crew amüsiert sich köstlich.<br />

Schmerzlicher Höhepunkt des Drehtages ist die Prügelszene<br />

zwischen Achim und den Türstehern des Nachtclubs. Fertig<br />

zum Dreh motiviert Achim die muskulösen Türsteher, die ca.<br />

zwei Köpfe größer sind als er: “Tretet ruhig ordentlich zu, soll<br />

ja auch echt aussehen.“ Auf das „und bitte“ der Regisseurin<br />

folgt lautes Gebrüll. Rüde Schimpfwörter schallen durch den<br />

Innenhof des Big Apple. Ein kräftiger Schubs der Security und<br />

Achim geht zu Boden. Seine Knie krachen dumpf auf das unnachgiebige<br />

Altstadtpflaster. Markerschütternde Schreie prallen<br />

auf die Gemüter der Crew. Mitfühlend verziehen einige<br />

die Gesichter. Ziel<strong>siche</strong>re Tritte knallen gegen den Rücken des<br />

Protagonisten. Ein Treffer, dieses Mal nicht gespielt. „Danke<br />

Filmen ist Teamwork: Die Crew von „Der Schein“<br />

aus!“ Achim springt auf wie ein Flu<strong>mm</strong>iball, der<br />

vom Boden abprallt, staubt sein schmuddeliges<br />

Unterhemd ab und stellt den Kragen<br />

seiner speckigen Jeansjacke<br />

auf. Dabei ruft er völlig<br />

Auf der Jagd nach guten Bildern: Maren Kießling, Sebastian Schubert<br />

und Fahrer Achim<br />

euphorisch: „Wow, das muss doch echt ausgesehen haben,<br />

wollt ihr gleich noch eine?“<br />

Beim zweiten Anlauf durchdringen lärmende Polizeisirenen<br />

die angebrochene Nacht. Produktionsleiterin Josefine Schmidt<br />

hält sich erschrocken die Hand vor den Mund. „Ohjeh, wenn<br />

jetzt ein Anwohner die Polizei gerufen hat.“ Obwohl die Szene<br />

sehr authentisch wirkte, will der gute Freund und Helfer<br />

nicht zu uns. Achim ko<strong>mm</strong>t lediglich mit ein paar blauen Flecken<br />

auf der Haut davon und wir wechseln zum letzten Motiv.<br />

Stolzerfüllt präsentiert er uns seinen alten Mustang Cabrio.<br />

Der wohltuende Klang des Motors wirkt wie Balsam auf die<br />

gestressten Gemüter der Crew. Auf der Rückbank findet sogar<br />

Kamera samt Personal Platz, ein Bild für die Götter. Während<br />

sich das Kamerateam den Wind und das Gefühl von Freiheit<br />

durch die Haare wehen lässt, verschwindet der Rest des Teams<br />

von der Bildfläche. Sucht Unterschlupf in einem zugigen Tunnel.<br />

Es ist bereits ein Uhr nachts. Erschöpfung und Kälte zehren<br />

an den Kraftreserven. Ich zittere, meine Nackenhaare stellen<br />

sich hoch. Doch der Ehrgeiz, auch die letzte Einstellung<br />

optimal zu vollenden, setzt sich durch. Gegenseitiges Wärmen<br />

und Aufmuntern sowie das Miterleben spektakulärer Szenen<br />

wirken wie Doping. Nur so ist es überhaupt möglich, diesen<br />

19-stündigen Drehmarathon durchzustehen. Yvonne und Josi<br />

feuern uns an, bis auch die letzte Szene ‚gekauft’ ist.<br />

Der Drehtag neigt sich dem Ende. Er steht symbolisch für die<br />

Verwirklichung von drei aufregenden und sehr unterschiedlichen<br />

Kurzfilmprojekten: „Bartender“ von Sabina Urbanska,<br />

„Product Code – Du bist, was du kaufst“ von Christian Horn<br />

und „Der Schein“ von Yvonne Tscherning. Jeder Regisseur hat<br />

seinen Film auf ganz unterschiedliche Weise zum Dreherfolg<br />

geführt. „Ganz doll stolz“ ist Dozentin Manja Rothe auf die<br />

Eigenständigkeit und qualitative Entwicklung der Teams.<br />

Vom Dreh zu Hause angeko<strong>mm</strong>en, lehne ich mich zufrieden<br />

in einen Sessel. Schaue raus, die Nacht ko<strong>mm</strong>t zum Fenster<br />

herein. Der Mond scheint hell und klar. Gedanken an aufregende,<br />

skurrile sowie pannenreiche Szenen flirren mir durch<br />

den Kopf. Ich muss schmunzeln und freue mich mit jeder<br />

Minute mehr auf den fertigen Film. n<br />

<strong>Reportage</strong>n<br />

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