8 Thema Auslaufmodell Gay-Ikone Gloria Gaynor hat mit ihrem «I Will Survive» heute noch Kultstatus und performt ihren Hit nach wie vor. eingestellt») oder Zarah Leander in der Zeit schlimmster Schwulenverfolgung fragt «Kann denn Liebe Sünde sein», bietet natürlich schon rein textlich ein breites Identifikationspotential für homosexuelle Menschen. Joachim Heider, der Songschreiber und Produzent von Marianne Rosenberg, schrieb für die junge Schlagersängerin in den 1970er Jahren bewusst Lieder mit besonderem Augenmerk auf die Gay-Community, nachdem er entdeckte, dass die Songs der Rosenberg vor allem von Schwulen goutiert wurden. Fast immer ging es dabei um Männer, die man nicht bekommt. «Fremder Mann, schau mich an, du bist schuld daran» hiess einer ihrer Hits aus dem Jahr 1973, als viele schwule Männer ihre Sehnsüchte bestenfalls im Verborgenen ausleben konnten. «Als ich 16 war«, so Marianne Rosenberg in einem Interview vom 7. März 2008 in www.welt.de, «musste mein Produzent mich noch darauf aufmerksam machen. Der hat noch nicht veröffentlichte Stücke von mir in Diskotheken getestet, auch in Schwulenclubs. Der hat das Phänomen entdeckt und die Musik auch daraufhin produziert.» Marianne Rosenberg wurde also quasi ohne es zu merken von den Schwulen annektiert, weil ihr Songschreiber das ganze Potenzial dieser besonders treuen Fans erkannte. Evergreens wie «Ich bin wie du» oder «Er gehört zu mir» entstanden in der Folge und wurden geradezu zu Slogans der erstarkenden Schwulenbewegung. <strong>CRUISER</strong> FEBRUAR <strong>2017</strong> Eine aussterbende Spezies? Der Divenverehrung beinhaltet also wesentlich mehr politische Aspekte als lediglich die Lieferung einer schrillen Vorlage für Drag Queens oder Travestie. In den vergangenen Jahrzehnten war sie für viele Schwule ein Mechanismus der half, die schwierige Lebensrealität von Verbot und Verborgenheit besser zu bewältigen. Die Identifizierung mit den weiblichen Stars, oder auch ihre Imitation auf Travestie-Shows und in der Szene, ermöglichte vielen schwulen Männern, die eigenen Sehnsüchte zumindest gedanklich auszuleben und sich von einem feindlich erscheinenden Umfeld abzugrenzen. Textzeilen gaben die Möglichkeit, das zu singen und lautstark auszurufen, was man sich zu sagen kaum traute – auf Konzerten oder in Diskotheken zudem noch mit einem Gefühl der starken Gemeinschaft unter Seinesgleichen, Das lässt vermuten, dass das Phänomen der Schwulenikonen mit zunehmender Akzeptanz der Homosexualität in der Gesellschaft an Bedeutung verlieren kann. Wenn ein schwuler Mann genauso akzeptiert wird wie ein heterosexueller Geschlechtsgenosse, werden zumindest die Flucht- oder Ersatzwelten überflüssig, in denen er seine Gefühle ausleben kann. Und tatsächlich scheint die Zeit der grossen Schwulenikonen des letzten Jahrhunderts vorbei. Ganz aussterben werden die Diven als schwulenkulturelles Phänomen die Botschaften der Ikonen verändern sich. aber sicherlich nicht, dafür lechzt die schwule Seele nach wie vor zu sehr nach Glanz, Glamour und grossen Gefühlen. Aber die Botschaften der Ikonen verändern sich: Nicht mehr Sehnsucht oder unerfüllte Liebe wie bei Zarah Leander und Marianne Rosenberg stehen heute im Vordergrund, sondern Provokation und Pride wie bei Madonna oder Beyoncé. Letztere röhrt etwa in einer Armeekluft in dem Videoclip zu «Run the World» von einem Regiment der Frauen und visioniert damit eine Welt, in der die soziale Dominanz des Heteromanns überwunden ist. Dass die Diven von heute aber zu politischen Agitatoren mutieren werden, ist indes nicht zu erwarten. Das Tragikpotential zwischenmenschlicher Beziehungen wird auch künftig dafür sorgen, dass bei Hymnen wie «Strong enough» von Cher oder «I will survive» von Gloria Gaynor viele Schwule genauso den Saal oder die Disco zum Kochen bringen, wie es auch deren durchaus schwulenemanzipatorisch zu interpretierender Song «I am what I am» vermag.
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