Laufmagazin 2017
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Der Kampf gegen die<br />
Cut-Off-Zeit<br />
An der V10 wurden wir freundlich empfangen<br />
und mit Essen und Getränken<br />
versorgt, zusätzlich bekamen wir hier<br />
noch etwas Kaffee – wie gut doch sonst<br />
der billige Instantkaffee schmeckt, hier<br />
war das uns egal, Hauptsache warm<br />
und wieder wach werden. In der Zwischenzeit<br />
war die 2. Nacht auch schon<br />
fast vorbei.<br />
Laut Profil stand jetzt der letzte große<br />
Anstieg an: gut für die Füße – gefährlich<br />
für den Kopf! Auch nur ansatzweise in<br />
Zielnähe ist man deswegen trotzdem<br />
noch nicht. Es warteten dann immer<br />
noch 40 km und über 2000 Höhenmeter.<br />
Nach gut der Hälfte des Anstieges<br />
wurde es wieder Tag, zum Glück, denn<br />
der letzte Streckenabschnitt im Aufstieg<br />
war voller wadenhoher Sträucher<br />
zwischen denen man den Weg kaum<br />
sehen konnte und sich so mehr von<br />
Streckenfahne zu Streckenfahne retten<br />
musste.<br />
Nun wurde es aber immer enger mit<br />
der Cut-Off Zeit. Wir erreichten gerade<br />
noch mit 1h 15 min Vorsprung<br />
die V10 beim Penser Joch. Nach einer<br />
längeren Pause gingen wir mit gerade<br />
mal 45 min Vorsprung zum Cut-Off<br />
auf den längsten Abschnitt ohne Versorgung.<br />
Gute 18 km standen an, also<br />
versuchten wir das Tempo etwas zu<br />
erhöhen um es noch zu rechtzeitig zu<br />
schaffen.<br />
Die erste Hälfte dieses Monsterabschnittes<br />
schafften wir noch gut, doch<br />
hinten raus wurde es immer enger.<br />
Meine Mitläufer bekamen in dem zunehmend<br />
schwieriger werdenden, sehr<br />
steinigen Abschnitt immer mehr Probleme<br />
und so mussten wir die, für uns<br />
traurigste, Entscheidung des Rennens<br />
treffen. Wir lösten unser Team auf und<br />
jeder versuchte so schnell wie möglich<br />
durchzukommen.<br />
Bei 80 min, ca. 8 km und diesem<br />
schweren Terrain war es schon fast unrealistisch<br />
das Zeitfenster noch einzuhalten.<br />
Die Angst vor dem drohenden<br />
Ausscheiden nach knapp 40 h Laufzeit<br />
legte den Schalter im Kopf um, welcher<br />
das ganze Rennen bisher einfach nicht<br />
fallen wollte. Die Schmerzen an den<br />
Füßen nahm ich kaum noch wahr, und<br />
ich konnte auf einmal wieder meinen<br />
Völlig fertig, aber glücklich im Ziel in Brixen. <br />
gewohnten Rhythmus laufen. Auch<br />
das technisch anspruchsvolle Terrain<br />
machte mir kaum noch was aus. So<br />
hetzte ich auf Teufel komm raus in<br />
Richtung der nächsten Versorgungsstation,<br />
aber die Zeit wurde immer<br />
knapper. Langsam wurden die Ängste<br />
größer auszuscheiden, was in diesem<br />
Augenblick positiv war, denn umso<br />
schneller konnte ich den Downhill bewältigen.<br />
Kurz vor der V12 kam mir dann ein<br />
Mann von VivAlpin entgegen und<br />
meinte zu mir und dem Läufer direkt<br />
hinter mir, wir können uns Zeit lassen,<br />
da die V ein Stücken weiter ist, als geplant<br />
und wir deswegen 25 min mehr<br />
Zeit bekommen. Ich wollte für mich<br />
trotzdem noch zur GPS vorgegebenen<br />
V pünktlich im offiziellen Zeitlimit ankommen.<br />
Also gab ich bis dorthin noch<br />
Gas und erreichte diese Stelle auch 3<br />
min vor dem Cut-Off um 14:30 Uhr.<br />
An der tatsächlichen Versorgungsstation<br />
angekommen dann der SCHOCK!!!!<br />
Wir wurden empfangen mit den Worten<br />
„ihr seid raus“. Wir dachten erst an<br />
einen Scherz und erklärten, was uns<br />
gesagt wurde. Darauf die gleiche Antwort:<br />
„Ihr seid raus! Das stimmt nicht!<br />
Es gibt keine Verlängerung”. Nach 40<br />
Stunden soll ich raus sein, weil mir jemand<br />
falsche Infos gibt? Nach längerem<br />
Hin- und Her einigten wir uns auf<br />
einen Kompromiss – wir dürfen weiter<br />
laufen, bekommen die verlorenen 45<br />
min aber nicht gutgeschrieben auf dem<br />
Weg zur nächsten Station.<br />
Ich machte mich sofort auf den Weg<br />
zum letzten finalen Anstieg. Leider<br />
mit 45 min Zeitdruck im Nacken und<br />
durch die ständige Diskussion hatte ich<br />
mich leider zu wenig versorgt und das<br />
nach dem Monsterstück zuvor. Aber<br />
zum Glück lief ich anfänglich noch<br />
neben einem Fluss her und hatte dort<br />
ausreichend Flüssigkeit zu mir genommen.<br />
Die Sonne brannte in der Zwischenzeit<br />
immer mehr und ich merkte<br />
auch schon, wie die Lippen langsam<br />
verbrannten. Aber egal, immer weiter!<br />
In der Zwischenzeit war ich auf der<br />
Hochebene nach dem letzten Aufstieg.<br />
Nun ging es „nur” noch leicht wellig in<br />
Richtung letzten Downhill.<br />
Vorbei ging es an einer weiteren Hütte<br />
und endlich war es geschafft! Der<br />
letzte Höhenmeter! Von hier an ging<br />
es „nur” noch bergab! Dies wurde aber<br />
auch gleich zur Hölle, denn die ersten<br />
Meter bergab waren extrem steil und<br />
schwer zu laufen. Nur noch 5 km, 4<br />
km, 3 km, 2 km und Brixen kam immer<br />
näher! Ich fing an, kurz normal zu<br />
laufen und realisierte dann, dass ich es<br />
schaffen würde! Nicht nur die 100 km<br />
sind geschafft, die mir 2015 noch verwehrt<br />
blieben, nein, auch 24 Stunden<br />
UND die 100 MEILEN sind geschafft!<br />
Mir lief schon die erste Freudenträne<br />
über die Wange. Völlig euphorisiert<br />
verliefen die letzten Meter durch Brixen,<br />
vorbei durch die Altstadt und<br />
hin zum Dom. Und dann nach fast<br />
46 Stunden war es geschafft! Ich BIN<br />
ein Finisher! Einer der 61 Glücklichen<br />
von fast 180 gestarteten Läufern, die<br />
dieses Abenteuer geschafft hatten. Ich<br />
war überglücklich, endlich nicht mehr<br />
weiter laufen zu müssen!! «<br />
<br />
Foto: privat<br />
Der letzte finale Anstieg<br />
Benjamin Klöppel<br />
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