15.02.2017 Aufrufe

Laufmagazin 2017

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Der Kampf gegen die<br />

Cut-Off-Zeit<br />

An der V10 wurden wir freundlich empfangen<br />

und mit Essen und Getränken<br />

versorgt, zusätzlich bekamen wir hier<br />

noch etwas Kaffee – wie gut doch sonst<br />

der billige Instantkaffee schmeckt, hier<br />

war das uns egal, Hauptsache warm<br />

und wieder wach werden. In der Zwischenzeit<br />

war die 2. Nacht auch schon<br />

fast vorbei.<br />

Laut Profil stand jetzt der letzte große<br />

Anstieg an: gut für die Füße – gefährlich<br />

für den Kopf! Auch nur ansatzweise in<br />

Zielnähe ist man deswegen trotzdem<br />

noch nicht. Es warteten dann immer<br />

noch 40 km und über 2000 Höhenmeter.<br />

Nach gut der Hälfte des Anstieges<br />

wurde es wieder Tag, zum Glück, denn<br />

der letzte Streckenabschnitt im Aufstieg<br />

war voller wadenhoher Sträucher<br />

zwischen denen man den Weg kaum<br />

sehen konnte und sich so mehr von<br />

Streckenfahne zu Streckenfahne retten<br />

musste.<br />

Nun wurde es aber immer enger mit<br />

der Cut-Off Zeit. Wir erreichten gerade<br />

noch mit 1h 15 min Vorsprung<br />

die V10 beim Penser Joch. Nach einer<br />

längeren Pause gingen wir mit gerade<br />

mal 45 min Vorsprung zum Cut-Off<br />

auf den längsten Abschnitt ohne Versorgung.<br />

Gute 18 km standen an, also<br />

versuchten wir das Tempo etwas zu<br />

erhöhen um es noch zu rechtzeitig zu<br />

schaffen.<br />

Die erste Hälfte dieses Monsterabschnittes<br />

schafften wir noch gut, doch<br />

hinten raus wurde es immer enger.<br />

Meine Mitläufer bekamen in dem zunehmend<br />

schwieriger werdenden, sehr<br />

steinigen Abschnitt immer mehr Probleme<br />

und so mussten wir die, für uns<br />

traurigste, Entscheidung des Rennens<br />

treffen. Wir lösten unser Team auf und<br />

jeder versuchte so schnell wie möglich<br />

durchzukommen.<br />

Bei 80 min, ca. 8 km und diesem<br />

schweren Terrain war es schon fast unrealistisch<br />

das Zeitfenster noch einzuhalten.<br />

Die Angst vor dem drohenden<br />

Ausscheiden nach knapp 40 h Laufzeit<br />

legte den Schalter im Kopf um, welcher<br />

das ganze Rennen bisher einfach nicht<br />

fallen wollte. Die Schmerzen an den<br />

Füßen nahm ich kaum noch wahr, und<br />

ich konnte auf einmal wieder meinen<br />

Völlig fertig, aber glücklich im Ziel in Brixen. <br />

gewohnten Rhythmus laufen. Auch<br />

das technisch anspruchsvolle Terrain<br />

machte mir kaum noch was aus. So<br />

hetzte ich auf Teufel komm raus in<br />

Richtung der nächsten Versorgungsstation,<br />

aber die Zeit wurde immer<br />

knapper. Langsam wurden die Ängste<br />

größer auszuscheiden, was in diesem<br />

Augenblick positiv war, denn umso<br />

schneller konnte ich den Downhill bewältigen.<br />

Kurz vor der V12 kam mir dann ein<br />

Mann von VivAlpin entgegen und<br />

meinte zu mir und dem Läufer direkt<br />

hinter mir, wir können uns Zeit lassen,<br />

da die V ein Stücken weiter ist, als geplant<br />

und wir deswegen 25 min mehr<br />

Zeit bekommen. Ich wollte für mich<br />

trotzdem noch zur GPS vorgegebenen<br />

V pünktlich im offiziellen Zeitlimit ankommen.<br />

Also gab ich bis dorthin noch<br />

Gas und erreichte diese Stelle auch 3<br />

min vor dem Cut-Off um 14:30 Uhr.<br />

An der tatsächlichen Versorgungsstation<br />

angekommen dann der SCHOCK!!!!<br />

Wir wurden empfangen mit den Worten<br />

„ihr seid raus“. Wir dachten erst an<br />

einen Scherz und erklärten, was uns<br />

gesagt wurde. Darauf die gleiche Antwort:<br />

„Ihr seid raus! Das stimmt nicht!<br />

Es gibt keine Verlängerung”. Nach 40<br />

Stunden soll ich raus sein, weil mir jemand<br />

falsche Infos gibt? Nach längerem<br />

Hin- und Her einigten wir uns auf<br />

einen Kompromiss – wir dürfen weiter<br />

laufen, bekommen die verlorenen 45<br />

min aber nicht gutgeschrieben auf dem<br />

Weg zur nächsten Station.<br />

Ich machte mich sofort auf den Weg<br />

zum letzten finalen Anstieg. Leider<br />

mit 45 min Zeitdruck im Nacken und<br />

durch die ständige Diskussion hatte ich<br />

mich leider zu wenig versorgt und das<br />

nach dem Monsterstück zuvor. Aber<br />

zum Glück lief ich anfänglich noch<br />

neben einem Fluss her und hatte dort<br />

ausreichend Flüssigkeit zu mir genommen.<br />

Die Sonne brannte in der Zwischenzeit<br />

immer mehr und ich merkte<br />

auch schon, wie die Lippen langsam<br />

verbrannten. Aber egal, immer weiter!<br />

In der Zwischenzeit war ich auf der<br />

Hochebene nach dem letzten Aufstieg.<br />

Nun ging es „nur” noch leicht wellig in<br />

Richtung letzten Downhill.<br />

Vorbei ging es an einer weiteren Hütte<br />

und endlich war es geschafft! Der<br />

letzte Höhenmeter! Von hier an ging<br />

es „nur” noch bergab! Dies wurde aber<br />

auch gleich zur Hölle, denn die ersten<br />

Meter bergab waren extrem steil und<br />

schwer zu laufen. Nur noch 5 km, 4<br />

km, 3 km, 2 km und Brixen kam immer<br />

näher! Ich fing an, kurz normal zu<br />

laufen und realisierte dann, dass ich es<br />

schaffen würde! Nicht nur die 100 km<br />

sind geschafft, die mir 2015 noch verwehrt<br />

blieben, nein, auch 24 Stunden<br />

UND die 100 MEILEN sind geschafft!<br />

Mir lief schon die erste Freudenträne<br />

über die Wange. Völlig euphorisiert<br />

verliefen die letzten Meter durch Brixen,<br />

vorbei durch die Altstadt und<br />

hin zum Dom. Und dann nach fast<br />

46 Stunden war es geschafft! Ich BIN<br />

ein Finisher! Einer der 61 Glücklichen<br />

von fast 180 gestarteten Läufern, die<br />

dieses Abenteuer geschafft hatten. Ich<br />

war überglücklich, endlich nicht mehr<br />

weiter laufen zu müssen!! «<br />

<br />

Foto: privat<br />

Der letzte finale Anstieg<br />

Benjamin Klöppel<br />

69

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!