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COMPACT-Magazin 09-2016

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<strong>COMPACT</strong> Politik<br />

34<br />

Der NATO-Dolchstoß<br />

Türkische Medien verdächtigen<br />

auch die NATO-Untergrundarmee<br />

Gladio als Drahtzieher<br />

des Putsches. Sie wurde von den<br />

USA während des Kalten Krieges<br />

in Europa aufgebaut und verübte<br />

auch in der Türkei immer<br />

wieder Anschläge und politische<br />

Morde unter falscher Flagge, um<br />

die Anti-NATO-Opposition auszuschalten.<br />

Der Chef des Polizeigeheimdienstes<br />

Bülent Orakoglu<br />

sah eine «neue Form von Gladio»<br />

hinter dem Umsturz am Werk.<br />

Der Journalist Özcan Tikit kommentierte<br />

beim Sender Habertürk,<br />

dass «ein Vertrauensverhältnis<br />

mit den westlichen Institutionen»<br />

erst dann wiederhergestellt<br />

werden kann, wenn<br />

«Gladio in der Türkei (…) aus<br />

dem Weg geräumt» worden ist.<br />

Militärputsch im Jahre 1980.<br />

Foto: picture alliance / AP Photo<br />

_ Marc Dassen ist Redakteur bei<br />

<strong>COMPACT</strong>. In Ausgabe 8/<strong>2016</strong><br />

recherchierte er die Strategien<br />

von Bundeswehr und NATO im<br />

Cyberkrieg und deren Bedeutung<br />

im Konflikt mit Russland.<br />

Erdogan-treue Demonstranten fordern<br />

die Todesstrafe für Gülen.<br />

Foto: picture alliance / ZUMA-<br />

PRESS.com<br />

Der Beschuldigte bestreitet gegenüber dem Spiegel,<br />

«irgendetwas mit diesem schrecklichen Putschversuch<br />

zu tun» zu haben. Gülen lebt seit 1999 im amerikanischen<br />

Exil auf einem prächtigen Anwesen in Saylorsburg,<br />

Pennsylvania. Nach Einschätzung des Autors<br />

F. William Engdahl ist der Prediger «ein Agent, der zu<br />

100 Prozent von der CIA gesteuert wird». «Ich habe eine<br />

Botschaft nach Pennsylvania: Du hast genug Landesverrat<br />

begangen. Komm zurück in Dein Land, wenn Du<br />

Dich traust», rief Erdogan seinem Gegenspieler Tage<br />

später zu, verlangte von den Amerikanern dessen sofortige<br />

Auslieferung. 85 Kisten mit Unterlagen, die Gülens<br />

Mittäterschaft belegen sollen, hat die Regierung in<br />

Ankara nach Washington gesandt – doch die Obama-<br />

Regierung zweifelt an den Beweisen, verweigert die<br />

Kooperation. Weil dadurch die Beteiligung der US-<br />

Geheimdienste ins Scheinwerferlicht gelangen könnte?<br />

«Komm zurück in Dein Land, wenn<br />

Du Dich traust!» Erdogan zu Gülen<br />

Arbeitsminister Süleyman Soylu äußerte, weitergehend<br />

als Erdogan, explizit den Verdacht, die USA<br />

könnten hinter dem Coup stecken. Es wäre keineswegs<br />

das erste Mal: Vielen Türken ist der Satz «Your boys<br />

have done it» (Deine Jungs haben es geschafft) noch<br />

im Ohr. Der fiel nach dem Putsch 1980, als der damalige<br />

Chef der türkischen CIA-Filiale Paul Bernard Henze<br />

vom Weißen Haus zu seinem Erfolg bei der Beseitigung<br />

der Demokratie beglückwünscht wurde.<br />

Die AKP-nahe Zeitung Yeni Safak sieht in dem pensionierten<br />

US-General John F. Campbell den Mastermind<br />

des Umsturzversuches. Der habe mit Hilfe der<br />

CIA «mehr als zwei Milliarden Dollar» über eine Bank<br />

in Nigeria an das «militärische Personal unter den<br />

Putschisten in der Türkei» transferiert. Das Geld, welches<br />

an ein «80-köpfiges Spezialteam der CIA» verteilt<br />

wurde, soll dazu gedient haben, «Putsch-freundliche<br />

Generäle zu überzeugen». Campbell habe seinen<br />

türkischen Kontaktmännern seit Mai «mindestens zwei<br />

geheime Besuche» abgestattet.<br />

Albtraum der Atlantiker<br />

Sollte die CIA oder das Pentagon tatsächlich mitgemischt<br />

haben, könnte die Türkei ihre NATO-Mitgliedschaft<br />

kündigen. Das Land ist seit 1952 Mitglied und<br />

stellt die zweitgrößte Armee des Bündnisses. Außerdem<br />

ist der Luftwaffenstützpunkt Incirlik seit 25 Jahren<br />

zentrales Drehkreuz für den Nahostkrieg der US-<br />

Allianz. Ein Austritt der Türken wäre aus Sicht der<br />

US-Geostrategen ein Desaster. Die Türkei als «Bollwerk<br />

gegenüber Russland, gegenüber Iran» (Spiegel)<br />

stünde auf der Kippe. Der ehemalige Maoist und Chef<br />

der türkischen Heimatpartei, Dogu Perincek, als politischer<br />

Gefangener unter Erdogan mit Sicherheit nicht<br />

dessen Gefolgsmann, ist der Ansicht, dass sich in der<br />

Putschnacht die Geheimstrukturen der NATO in der Türkei<br />

offenbart haben und nun «zerschmettert» worden<br />

seien. Er beobachte seit einiger Zeit, dass sich die Türkei<br />

aus dem transatlantischen Lager löse.<br />

Tatsächlich konnte man kurz vor dem Putsch erste<br />

Anzeichen für eine Annäherung zwischen Ankara und<br />

Moskau beobachten: Schon Ende Juni <strong>2016</strong> entschuldigte<br />

sich Erdogan bei Putin für den Abschuss eines<br />

russischen Kampfjets im syrisch-türkischen Grenzgebiet<br />

im November 2015, der zu einer Eiszeit zwischen<br />

beiden Staaten geführt hatte. Mittlerweile<br />

macht der türkische Präsident die Putschisten für den<br />

damaligen Aggressionsakt verantwortlich. Anfang<br />

Juli folgte dann die nächste Offerte an die slawische<br />

Supermacht: Außenminister Mevlüt Cavusoglu stellte<br />

den Russen die Mitbenutzung der Luftwaffenbasis<br />

Incirlik in Aussicht – was er wenig später halbherzig<br />

wieder dementierte. In Washington dürften die Alarmglocken<br />

geschrillt haben.<br />

Nach dem Putschversuch war der russische Präsident<br />

der Erste, der sich öffentlich hinter Erdogan<br />

stellte. Anfang August trafen sich die zwei in Moskau.<br />

Bei dieser Gelegenheit untermauerten beide ihren<br />

guten Willen. Russische Sanktionen sollen aufgehoben,<br />

die wirtschaftliche Zusammenarbeit vertieft, das<br />

Gaspipeline-Projekt Turkstream wieder aufgenommen<br />

werden. Zu allem Überfluss wollen Ankara und Moskau<br />

in Zukunft auch ihre Angriffe auf den Islamischen Staat<br />

(IS) koordinieren – eine mittlere Sensation, da die Türkei<br />

bisher beim Aufbau des IS und dessen Versorgung<br />

tatkräftig mitgeholfen hat. Die offenkundigen Differenzen<br />

über Syriens Staatschef Baschar al-Assad – Moskau<br />

stützt ihn, Ankara will ihn stürzen – wurden ausgeklammert.<br />

Der Tagesspiegel stellte die Frage, «ob<br />

hier eine neue Allianz», eine «neue türkische Außenpolitik»<br />

im Entstehen begriffen ist. In Washington und<br />

Brüssel knirscht man hörbar mit den Zähnen.

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