COMPACT-Magazin 09-2016
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<strong>COMPACT</strong> Leben<br />
Dass dies womöglich doch kein reines Hirngespinst<br />
eines Geldquellen suchenden Überläufers ist, scheint<br />
ein Aktenvermerk des KGB-Vorsitzenden Wladimir<br />
Semitschastnij vom 20. September 1962 über die<br />
Auswirkungen der Berlin-Krise auf die westdeutsche<br />
Sicherheitspolitik einschließlich eines Verwendungsvermerks<br />
für die Anti-Strauß-Kampagne zu bestätigen.<br />
Doch vielleicht ist es ja so, dass der KGB-Boss gar nicht<br />
wusste, was er zu Papier brachte.<br />
Unterstellt man für einen Moment, dass es wirklich<br />
der KGB war, der hier das Steuer in Händen hielt, so<br />
müssen die Sowjets auf der Bonner Hardthöhe einen<br />
Agenten gehabt haben, der den Originalbericht des Fallex-Manövers<br />
blitzschnell beschaffte, und einen Kanal,<br />
der ihn in den Spiegel «einfilterte». War das der von<br />
Spiegel-Redakteur Brawand erwähnte Generalstabsoberst<br />
Martin?<br />
Saufgelage bei Augstein<br />
62<br />
Studenten während einer<br />
Solidaritätsdemonstration mit<br />
dem «Spiegel» am 30.10.1962 in<br />
Hamburg. Auch die übrige deutsche<br />
Presse stellte sich hinter das<br />
Nachrichtenmagazin. Foto: picturealliance/<br />
dpa<br />
Sich selbst hatte der «Spiegel» nur<br />
selten auf dem Titel. Foto: spiegelonline.de<br />
_ Helmut Roewer (*1950) war von<br />
1994 bis 2000 Chef des Thüringer<br />
Landesamtes für Verfassungsschutz.<br />
Im Jahr 2014 erschien<br />
sein Buch «Kill the Huns – Tötet die<br />
Hunnen! Geheimdienste, Propaganda<br />
und Subversion hinter den<br />
Kulissen des Ersten Weltkrieges»<br />
(Ares Verlag, 504 Seiten, 29,90<br />
Euro). – 2014/2015 konnte man in<br />
<strong>COMPACT</strong> die von ihm verfasste<br />
Serie «Meisterspione des 20. Jahrhunderts»<br />
lesen.<br />
Zeitschrift so wichtig, dass sie, wie zu lesen war, im<br />
Prozesswege dagegen stritt: Quelle sei der sowjetische<br />
KGB gewesen. Die bundesdeutsche Justiz gab<br />
dem Verdikt des Spiegel Recht, und daran werde ich<br />
mich selbstredend strikt halten.<br />
Doch ich will meiner Chronistenpflicht insofern<br />
Genüge tun, dass es eine Reihe von wenig schmeichelhaften<br />
Behauptungen geheimdienstlicher Steuerung<br />
gegeben hat. Sie stammen von Leuten, die in einschlägigen<br />
Institutionen gearbeitet haben, wie Sergej<br />
Kondraschow und Pawel Sudoplatow. Sudoplatow leitete<br />
jahrelang die aktiven Maßnahmen des NKWD/<br />
KGB, bevorzugt auch gegen Deutschland. Zu der Zeit,<br />
als die Spiegel-Affäre lief, war er nicht mehr im Dienst.<br />
Bei Kondraschow sah das anders aus. Er war 1962<br />
stellvertretender Leiter der Abteilung Desinformation.<br />
Strauß hatte öffentlich über die<br />
Bewaffnung Westdeutschlands mit<br />
Atomraketen räsoniert.<br />
Und dann gab es da noch den sowjetischen Überläufer<br />
Ilja Dschirkwelow, der 1987 vor einem Londoner<br />
Gericht als Zeuge das Folgende zum Besten gab:<br />
«Das erste Mal, als ich mit Oberst [Michail] Sitnikow –<br />
damals stellvertretender Chef der Abteilung Desinformation<br />
– zusammenarbeitete, ging es um die Kompromittierung<br />
des Verteidigungsministers der Bundesrepublik<br />
Deutschland, Franz Josef Strauß. Wir<br />
benutzten das <strong>Magazin</strong> Der Spiegel für einen Artikel,<br />
der ihn bloßstellte. Der Artikel erfüllte seinen Zweck,<br />
und Strauß musste zurücktreten.»<br />
Die Bundesanwaltschaft war nicht dieser Ansicht<br />
und nahm einen anderen Bundeswehr-Obristen fest,<br />
dessen Namen als Informanten sie ausgerechnet in<br />
einer Hausmitteilung von Spiegel-Verlagsdirektor Hans<br />
Detlev Becker entdeckt hatte: Adolf Wicht. 1943/44 war<br />
er an der Ostfront Leiter der Gruppe III (Beuteakten und<br />
Gefangenenbefragung) in der Abteilung Fremde Heere<br />
Ost unter Reinhard Gehlen gewesen. Er blieb nach dem<br />
Kriege dem Gewerbe treu und diente bei der Organisation<br />
Gehlen und dem späteren Bundesnachrichtendienst.<br />
Dort leitete er seit 1960 dessen Residentur Hamburg.<br />
Dass Wicht der Beschaffer des Geheimmaterials<br />
war, dürfte dennoch eher zweifelhaft sein, denn als<br />
BND-Resident hatte er keinen Zugang zu diesen Unterlagen.<br />
Doch wenn man nach dem Kanal sucht, der in<br />
den Spiegel hineinführte, bleibt das Auge des Betrachters<br />
irgendwie an ihm hängen, denn 1970 schied der<br />
60-Jährige aus der Bundeswehr aus, um im Folgejahr<br />
Auslandsbeauftragter des Spiegel-Verlages zu werden.<br />
Aber das wird wohl reiner Zufall gewesen sein.<br />
Doch wozu das Ganze? Blattmacher Augstein<br />
wusste genau, was er durch seinen Artikel erreichen<br />
wollte: Franz-Josef Strauß zu stürzen. Ab Ende der<br />
1950er Jahre schoss er sich auf den Verteidigungsminister<br />
ein. Der besaß alle Eigenschaften, um ihn<br />
zur Hassfigur zu stilisieren: Er war intelligent, machtgeil,<br />
ganz nach Bedarf jovial bis ruppig und von einem<br />
nicht gerade anziehenden Äußeren. Diese Merkmale<br />
wurden für die Journalisten aufs Angenehmste durch<br />
den Umstand ergänzt, dass Strauß öffentlich über die<br />
Bewaffnung Westdeutschlands mit Atomraketen räsonierte.<br />
Viele hörten das nicht gerne. So kam es zu den<br />
Anti-Strauß-Kampagnen.<br />
Das jedoch ist nur die halbe Wahrheit, denn es gab<br />
ein Vorspiel. Bei einem gemeinsamen Saufgelage in<br />
Augsteins Haus in Hamburg sagten sich beide, Strauß