23.02.2017 Aufrufe

COMPACT-Magazin 09-2016

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>COMPACT</strong> Leben<br />

und Augstein, wie es bei solchen Gelegenheiten zuweilen<br />

zu gehen pflegt, unangenehme Dinge ins Gesicht.<br />

Dem Chefredakteur wurde hierbei durch den Spiegel-<br />

Mann Horst Mahnke assistiert. Dieser machte Bemerkungen<br />

über das Dritte Reich, die Strauß auf die Palme<br />

brachten. Doch wie hätte der Bayer erst gestaunt (und<br />

vermutlich getobt), wenn er gewusst hätte, dass dieser<br />

Mahnke 1936, knapp 23 Jahre alt, als hauptamtlicher<br />

Mitarbeiter beim Sicherheitsdienst des Reichsführers<br />

SS angeheuert hatte, wo er die folgenden Jahre,<br />

bis zum Kriegsende, verblieb? Da hatte es der spätere<br />

lupenreine Antifaschist bis zum SS-Hauptsturmführer<br />

und Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt<br />

gebracht, zuständig für die Bekämpfung des Marxismus.<br />

Das blieb ungesagt. Indessen: Fortan agierten<br />

Strauß und Augstein wie beleidigte Diven. So schoss<br />

der ehemalige Leutnant der Sturmartillerie auf den<br />

ehemaligen Oberleutnant der Flakartillerie aus allen<br />

Rohren und bezeichnete sich hierbei ohne einen Funken<br />

von Selbstironie als das Sturmgeschütz der Demokratie.<br />

Helden, Schurken und Juristen<br />

Der Rest ist schnell erzählt. Der Verteidigungsminister<br />

verstrickte sich im weiteren Verlauf der Affäre so<br />

lange in Gesetzwidriges und Lügen, bis Bundeskanzler<br />

Konrad Adenauer ihn fallen ließ, weil es ihm nun<br />

selbst ans Leder zu gehen drohte. Dass Strauß so handelte,<br />

wie er es tat, war offenbar seinem Größenwahn<br />

geschuldet. Nur so ist erklärlich, dass er seinen militärischen<br />

Attachédienst in das exekutive Vorgehen gegen<br />

die Spiegel-Leute einspannte. Das machte aus den festgenommenen<br />

Redakteuren indes weiß Gott keine Nationalhelden,<br />

sondern zeigte lediglich, dass der Bundesverteidigungsminister<br />

mit der ihm zugemessenen Macht<br />

persönlich nicht umzugehen verstand. Seine Ablösung<br />

war folgerichtig und notwendig, und sie warf auf den<br />

zögernden Bundeskanzler ein wenig vorteilhaftes Licht.<br />

Augstein hatte sein Ziel erreicht: Der Mann, den er<br />

auf Biegen und Brechen kippen wollte, war über die<br />

Klinge gesprungen. Womit er anfangs allerdings nicht<br />

hatte rechnen können, war dies: Die deutschen Behörden<br />

handelten in einem geradezu unbeschreiblichen<br />

Maße dämlich. Augsteins Festnahme und seine mehrwöchige<br />

Untersuchungshaft war für die Aufklärung der<br />

Straftat nicht nur überflüssig wie ein Kropf, sondern<br />

sie produzierte einen Märtyrer, den es sonst so nicht<br />

gegeben hätte. Ein abgeschirmtes Ermittlungsverfahren<br />

nebst anschließender öffentlicher Anklage hätte<br />

mit Sicherheit ein geringeres öffentliches Echo erzeugt.<br />

Augsteins Festnahme war juristisch<br />

überflüssig und produzierte einen<br />

Märtyrer.<br />

Letztlich war die Affäre ein innenpolitischer Kampf<br />

mit verkehrten Fronten: Der ungesetzlich handelnde<br />

Verteidigungsminister hatte dem Spiegel erst den<br />

Nimbus der zu Unrecht verfolgten Presse verschafft,<br />

die das Blatt nicht verdient hatte. Dies wird durch<br />

die juristische Nachbearbeitung deutlich: Am 13. Mai<br />

1965 stellte der Bundesgerichtshof das Verfahren<br />

gegen Rudolf Augstein und andere ein. Das erweckte<br />

im Nachhinein den Eindruck, als sei das Vorgehen der<br />

Behörden gegen den Spiegel von Vornherein rechtswidrig<br />

gewesen. Doch so war es keineswegs, wie<br />

das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom<br />

5. August 1966 feststellte: Darin wurde die Durchsuchung<br />

der Redaktion für rechtens erklärt.<br />

Chronologie<br />

der Affäre<br />

10.10.1962<br />

Der Spiegel publiziert den Artikel<br />

«Bedingt abwehrbereit».<br />

23.10.1962<br />

Es ergehen Durchsuchungsanordnungen<br />

und Haftbefehle<br />

wegen Landesverrats gegen<br />

Spiegel-Redakteure, darunter<br />

Conrad Ahlers, Claus Jacobi und<br />

Johannes K. Engel, sowie den<br />

Herausgeber und Chefredakteur<br />

Rudolf Augstein.<br />

26.10.1962<br />

Die Polizei besetzt die Spiegel-<br />

Redaktion. Redakteur Ahlers, der<br />

den inkriminierten Artikel mitverfasst<br />

hatte, wird in Spanien<br />

verhaftet.<br />

28.10.1962<br />

Augstein stellt sich den Behörden<br />

und wird (für 103 Tage) in<br />

U-Haft genommen.<br />

19.11.1962<br />

Die fünf FDP-Minister treten aus<br />

Protest gegen Verteidigungsminister<br />

Franz Josef Strauß, der<br />

die Justiz gegen den Spiegel in<br />

Marsch gesetzt hatte, zurück.<br />

30.11.1962<br />

Strauß tritt als Verteidigungsminister<br />

zurück.<br />

Strauß und Adenauer am 9. November<br />

1962. Drei Wochen später ließ<br />

der Alte den CSU-Politiker fallen.<br />

Foto: picture-alliance / dpa<br />

Anzeige<br />

63

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!