COMPACT-Magazin 09-2016
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<strong>COMPACT</strong> Leben<br />
und Augstein, wie es bei solchen Gelegenheiten zuweilen<br />
zu gehen pflegt, unangenehme Dinge ins Gesicht.<br />
Dem Chefredakteur wurde hierbei durch den Spiegel-<br />
Mann Horst Mahnke assistiert. Dieser machte Bemerkungen<br />
über das Dritte Reich, die Strauß auf die Palme<br />
brachten. Doch wie hätte der Bayer erst gestaunt (und<br />
vermutlich getobt), wenn er gewusst hätte, dass dieser<br />
Mahnke 1936, knapp 23 Jahre alt, als hauptamtlicher<br />
Mitarbeiter beim Sicherheitsdienst des Reichsführers<br />
SS angeheuert hatte, wo er die folgenden Jahre,<br />
bis zum Kriegsende, verblieb? Da hatte es der spätere<br />
lupenreine Antifaschist bis zum SS-Hauptsturmführer<br />
und Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt<br />
gebracht, zuständig für die Bekämpfung des Marxismus.<br />
Das blieb ungesagt. Indessen: Fortan agierten<br />
Strauß und Augstein wie beleidigte Diven. So schoss<br />
der ehemalige Leutnant der Sturmartillerie auf den<br />
ehemaligen Oberleutnant der Flakartillerie aus allen<br />
Rohren und bezeichnete sich hierbei ohne einen Funken<br />
von Selbstironie als das Sturmgeschütz der Demokratie.<br />
Helden, Schurken und Juristen<br />
Der Rest ist schnell erzählt. Der Verteidigungsminister<br />
verstrickte sich im weiteren Verlauf der Affäre so<br />
lange in Gesetzwidriges und Lügen, bis Bundeskanzler<br />
Konrad Adenauer ihn fallen ließ, weil es ihm nun<br />
selbst ans Leder zu gehen drohte. Dass Strauß so handelte,<br />
wie er es tat, war offenbar seinem Größenwahn<br />
geschuldet. Nur so ist erklärlich, dass er seinen militärischen<br />
Attachédienst in das exekutive Vorgehen gegen<br />
die Spiegel-Leute einspannte. Das machte aus den festgenommenen<br />
Redakteuren indes weiß Gott keine Nationalhelden,<br />
sondern zeigte lediglich, dass der Bundesverteidigungsminister<br />
mit der ihm zugemessenen Macht<br />
persönlich nicht umzugehen verstand. Seine Ablösung<br />
war folgerichtig und notwendig, und sie warf auf den<br />
zögernden Bundeskanzler ein wenig vorteilhaftes Licht.<br />
Augstein hatte sein Ziel erreicht: Der Mann, den er<br />
auf Biegen und Brechen kippen wollte, war über die<br />
Klinge gesprungen. Womit er anfangs allerdings nicht<br />
hatte rechnen können, war dies: Die deutschen Behörden<br />
handelten in einem geradezu unbeschreiblichen<br />
Maße dämlich. Augsteins Festnahme und seine mehrwöchige<br />
Untersuchungshaft war für die Aufklärung der<br />
Straftat nicht nur überflüssig wie ein Kropf, sondern<br />
sie produzierte einen Märtyrer, den es sonst so nicht<br />
gegeben hätte. Ein abgeschirmtes Ermittlungsverfahren<br />
nebst anschließender öffentlicher Anklage hätte<br />
mit Sicherheit ein geringeres öffentliches Echo erzeugt.<br />
Augsteins Festnahme war juristisch<br />
überflüssig und produzierte einen<br />
Märtyrer.<br />
Letztlich war die Affäre ein innenpolitischer Kampf<br />
mit verkehrten Fronten: Der ungesetzlich handelnde<br />
Verteidigungsminister hatte dem Spiegel erst den<br />
Nimbus der zu Unrecht verfolgten Presse verschafft,<br />
die das Blatt nicht verdient hatte. Dies wird durch<br />
die juristische Nachbearbeitung deutlich: Am 13. Mai<br />
1965 stellte der Bundesgerichtshof das Verfahren<br />
gegen Rudolf Augstein und andere ein. Das erweckte<br />
im Nachhinein den Eindruck, als sei das Vorgehen der<br />
Behörden gegen den Spiegel von Vornherein rechtswidrig<br />
gewesen. Doch so war es keineswegs, wie<br />
das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom<br />
5. August 1966 feststellte: Darin wurde die Durchsuchung<br />
der Redaktion für rechtens erklärt.<br />
Chronologie<br />
der Affäre<br />
10.10.1962<br />
Der Spiegel publiziert den Artikel<br />
«Bedingt abwehrbereit».<br />
23.10.1962<br />
Es ergehen Durchsuchungsanordnungen<br />
und Haftbefehle<br />
wegen Landesverrats gegen<br />
Spiegel-Redakteure, darunter<br />
Conrad Ahlers, Claus Jacobi und<br />
Johannes K. Engel, sowie den<br />
Herausgeber und Chefredakteur<br />
Rudolf Augstein.<br />
26.10.1962<br />
Die Polizei besetzt die Spiegel-<br />
Redaktion. Redakteur Ahlers, der<br />
den inkriminierten Artikel mitverfasst<br />
hatte, wird in Spanien<br />
verhaftet.<br />
28.10.1962<br />
Augstein stellt sich den Behörden<br />
und wird (für 103 Tage) in<br />
U-Haft genommen.<br />
19.11.1962<br />
Die fünf FDP-Minister treten aus<br />
Protest gegen Verteidigungsminister<br />
Franz Josef Strauß, der<br />
die Justiz gegen den Spiegel in<br />
Marsch gesetzt hatte, zurück.<br />
30.11.1962<br />
Strauß tritt als Verteidigungsminister<br />
zurück.<br />
Strauß und Adenauer am 9. November<br />
1962. Drei Wochen später ließ<br />
der Alte den CSU-Politiker fallen.<br />
Foto: picture-alliance / dpa<br />
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