11.12.2012 Aufrufe

3/2012 - Psychotherapeutenjournal

3/2012 - Psychotherapeutenjournal

3/2012 - Psychotherapeutenjournal

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Psychotherapie und Religion/Spiritualität<br />

ösen Coping? Benützt er sie u. U. zur<br />

Flucht vor realen Aufgaben? Welche Glaubensinhalte<br />

sowie Formen von Gebet/Meditation<br />

und Kontakten mit anderen Gläubigen<br />

könnten für seinen therapeutischen<br />

Weg hilfreich sein? Die entscheidenden<br />

Wirkfaktoren sieht man bei diesem Typ in<br />

der gewählten professionellen Psychotherapie,<br />

die man durch die Ressource Religiosität/Spiritualität<br />

verstärken, ergänzen<br />

will. (Womit man sich von psychotherapiefeindlichen<br />

fundamentalistischen Gruppen<br />

und von Vertreten von Typ III abgrenzt.)<br />

Die Kognitive Verhaltenstherapie mag zu<br />

solchen spirituellen Interventionen eine<br />

besondere Affinität aufweisen, doch sind<br />

diese keineswegs auf sie beschränkt.<br />

Richards und Bergin (2004, 2005) haben<br />

ein Rahmenkonzept vorgelegt, bei dem<br />

religiöse Anstöße möglichst konkret in eine<br />

professionelle, säkulare Psychotherapiemethode<br />

integriert werden – gleich,<br />

ob diese einem kognitiven, systemischen,<br />

klientzentrierten, psychodynamischen oder<br />

anderen Ansatz verpflichtet ist. Dabei<br />

denken sie an interessierte Patienten, die<br />

an einen personalen Gott glauben – Juden,<br />

Christen, Muslime, Sikhs –, meinen<br />

aber, dass ihre „Theistische Psychotherapie“<br />

für Personen mit nichttheistischer,<br />

östlicher Orientierung modifiziert werden<br />

kann.<br />

Spirituelle Interventionen können ihnen<br />

zufolge darin bestehen, dass der Psychotherapeut<br />

den Patienten zu Gebet und<br />

Meditation ermuntert, auf religiöse Texte<br />

hinweist, die Bedeutung des Danken­ und<br />

Vergebenkönnens hervorhebt, eine Schriftstelle<br />

(wie im oben angeführten Beispiel)<br />

als Zusatzmotivation für eine Selbstinstruktion<br />

zu einer günstigeren Neubewertung<br />

wählen oder für den „Gedankenstopp“ bei<br />

Panikattacken auswendig lernen lässt, eine<br />

Imagination vorschlägt oder zum Gespräch<br />

mit einem Seelsorger ermuntert. Die Vielfalt<br />

der in diesem Rahmen möglichen Interventionen<br />

machen Berichte deutlich, in<br />

denen Psychotherapeuten schildern, wie<br />

sie bei Angststörungen, Depressionen,<br />

Essstörungen, Alkohol­ und Drogenabhängigkeit,<br />

Posttraumatischen Belastungsstörungen<br />

und Partnerschaftskonflikten vorgegangen<br />

sind.<br />

198<br />

Wirksamkeitsstudien<br />

Alles nur amerikanischer Optimismus? Einschlägige<br />

Wirksamkeitsstudien zeigen,<br />

dass Behandlungen mit spirituellen Interventionen<br />

im Vergleich zu den säkularen<br />

Standardtherapien bei Angststörungen sowie<br />

milden und schweren Depressionen<br />

die Reduktion der Symptome beschleunigen<br />

können. Allerdings sind die Ergebnisse<br />

nicht einheitlich, und es scheint, dass nach<br />

einiger Zeit kaum noch ein Unterschied<br />

zum säkularen Vorgehen festzustellen ist<br />

(Koenig et al., 2001). Die methodisch<br />

strenge Auswertung von elf Studien durch<br />

Paukert, Phillips, Cully, Romero und Stanley<br />

(2011) kommt zu dem Schluss, dass<br />

Psychotherapie mit integrierter Religiosität<br />

„für die Behandlung von Depression und<br />

Angststörung wenigstens so wirksam ist<br />

wie säkulare Formen der gleichen Psychotherapie“,<br />

dass ein Beweis, sie sei langfristig<br />

effektiver als diese, aber noch ausstehe<br />

und dass die Wirkungsbedingungen noch<br />

genauer und auf der Grundlage von größeren<br />

Stichproben zu erforschen seien. Von<br />

spirituellen Interventionen profitieren<br />

wahrscheinlich Patienten mit starken religiösen<br />

Überzeugungen am meisten. Indes<br />

zeigt eine hoch differenzierte Studie überraschend,<br />

dass nichtreligiöse Psychotherapeuten,<br />

die die religiöse Variante der Kognitiven<br />

Verhaltenstherapie anwandten,<br />

einen größeren, anhaltenden Erfolg erzielten<br />

als ihre religiösen Kollegen (Propst,<br />

Ostrom, Watkins, Dean & Mashburn,<br />

1992).<br />

Ein Vorteil kann darin bestehen, dass bei<br />

diesem Typ die psychologischen Anstöße<br />

zur Selbstexploration und ­veränderung in<br />

Denkweisen und Copingformen verankert<br />

werden, die spirituell interessierten Patienten<br />

vertraut und wichtig sind. Darum befürworten<br />

inzwischen in den USA viele<br />

Klinische Psychologen diese Art von spirituellen<br />

Interventionen – sofern der Psychotherapeut<br />

darauf achtet, dass sie (1)<br />

den Bedürfnissen und Voraussetzungen<br />

des Patienten und nicht eigenem Missionierungsdrang<br />

entsprechen, (2) stets<br />

komplementär im Rahmen von bewährten<br />

psychotherapeutischen Maßnahmen und<br />

nicht als deren Ersatz erfolgen, (3)<br />

schmerzliche Einsichten und Aufgaben<br />

nicht überdecken, (3) den Psychothera­<br />

peuten nicht in die Rolle des Seelsorgers<br />

versetzen, der im Namen einer Glaubensgemeinschaft<br />

und ­tradition spricht, und<br />

(4) seine Kompetenzen nicht überfordern<br />

(Tan & Johnson, 2005). Mag Religiosität/<br />

Spiritualität im deutschen Sprachraum<br />

auch stärker tabuisiert und damit schwerer<br />

ansprechbar sein als in den USA – unter<br />

diesen Kautelen könnte sie sich auch hier<br />

als eine zusätzliche Ressource erweisen.<br />

Typ III: Religiosität/Spiritualität<br />

mit der Tendenz, Basistherapie<br />

zu werden<br />

Je höher man das therapeutische Potenzial<br />

von Religiosität/Spiritualität veranschlagt<br />

und die Ursache von psychischen Beschwerden<br />

in einer defizitären spirituellen<br />

Verankerung sieht, desto eher neigt man<br />

dazu, die Bedeutung einer professionellen,<br />

„bloß säkularen“ Psychotherapie zu relativieren<br />

und spirituelle Interventionen für<br />

den entscheidenden Wirkfaktor einer Heilung<br />

zu halten. Die Religiosität/Spiritualität,<br />

auf die man setzt, tendiert dann dazu, Basistherapie<br />

zu werden, der gegenüber etablierten<br />

Psychotherapiemethoden u. U.<br />

nur noch eine unterstützende, komplementäre<br />

Funktion zukommt.<br />

Auf „theistischer“ Grundlage kann zu diesem<br />

Typ die „Christlich orientierte Psychotherapie“<br />

(Helmut Jaschke) ebenso zählen<br />

^<br />

wie die „Hagiotherapie“ (Tomislav Ivanci ć)<br />

und die „Sufi­Psychologie“ (Arife Ellen<br />

Hammerle). Bekannter sind im deutschen<br />

Sprachraum allerdings Angebote, die das<br />

Spirituelle eher östlich und energetisch<br />

verstehen und sich von der „Transpersonalen<br />

Psychologie“ im Sinne von Carl Gustav<br />

Jung, Abraham Maslow, Roberto Assagioli,<br />

Stanislav Grof, Ken Wilber, Charles Tart und<br />

Karlfried Graf Dürckheim inspirieren lassen<br />

– gemäß Maslows Überzeugung (1985, S.<br />

11): „Ohne das Transzendente und Transpersonale<br />

werden wir krank, gewalttätig,<br />

nihilistisch oder sogar hoffnungslos und<br />

apathisch.“<br />

Vertreter der „Transpersonalen Psychologie<br />

und Psychotherapie“, wie sie sich in der<br />

gleichnamigen Zeitschrift zu Wort melden<br />

und in der Fachklinik Heiligenfeld (Bad Kissingen),<br />

am Rütte­Forum (Todtmoos)<br />

oder in eigener Praxis arbeiten, kennen<br />

zwar keine einheitliche Theorie und wen­<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2012</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!