3/2012 - Psychotherapeutenjournal
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Psychotherapie und Religion/Spiritualität<br />
ösen Coping? Benützt er sie u. U. zur<br />
Flucht vor realen Aufgaben? Welche Glaubensinhalte<br />
sowie Formen von Gebet/Meditation<br />
und Kontakten mit anderen Gläubigen<br />
könnten für seinen therapeutischen<br />
Weg hilfreich sein? Die entscheidenden<br />
Wirkfaktoren sieht man bei diesem Typ in<br />
der gewählten professionellen Psychotherapie,<br />
die man durch die Ressource Religiosität/Spiritualität<br />
verstärken, ergänzen<br />
will. (Womit man sich von psychotherapiefeindlichen<br />
fundamentalistischen Gruppen<br />
und von Vertreten von Typ III abgrenzt.)<br />
Die Kognitive Verhaltenstherapie mag zu<br />
solchen spirituellen Interventionen eine<br />
besondere Affinität aufweisen, doch sind<br />
diese keineswegs auf sie beschränkt.<br />
Richards und Bergin (2004, 2005) haben<br />
ein Rahmenkonzept vorgelegt, bei dem<br />
religiöse Anstöße möglichst konkret in eine<br />
professionelle, säkulare Psychotherapiemethode<br />
integriert werden – gleich,<br />
ob diese einem kognitiven, systemischen,<br />
klientzentrierten, psychodynamischen oder<br />
anderen Ansatz verpflichtet ist. Dabei<br />
denken sie an interessierte Patienten, die<br />
an einen personalen Gott glauben – Juden,<br />
Christen, Muslime, Sikhs –, meinen<br />
aber, dass ihre „Theistische Psychotherapie“<br />
für Personen mit nichttheistischer,<br />
östlicher Orientierung modifiziert werden<br />
kann.<br />
Spirituelle Interventionen können ihnen<br />
zufolge darin bestehen, dass der Psychotherapeut<br />
den Patienten zu Gebet und<br />
Meditation ermuntert, auf religiöse Texte<br />
hinweist, die Bedeutung des Danken und<br />
Vergebenkönnens hervorhebt, eine Schriftstelle<br />
(wie im oben angeführten Beispiel)<br />
als Zusatzmotivation für eine Selbstinstruktion<br />
zu einer günstigeren Neubewertung<br />
wählen oder für den „Gedankenstopp“ bei<br />
Panikattacken auswendig lernen lässt, eine<br />
Imagination vorschlägt oder zum Gespräch<br />
mit einem Seelsorger ermuntert. Die Vielfalt<br />
der in diesem Rahmen möglichen Interventionen<br />
machen Berichte deutlich, in<br />
denen Psychotherapeuten schildern, wie<br />
sie bei Angststörungen, Depressionen,<br />
Essstörungen, Alkohol und Drogenabhängigkeit,<br />
Posttraumatischen Belastungsstörungen<br />
und Partnerschaftskonflikten vorgegangen<br />
sind.<br />
198<br />
Wirksamkeitsstudien<br />
Alles nur amerikanischer Optimismus? Einschlägige<br />
Wirksamkeitsstudien zeigen,<br />
dass Behandlungen mit spirituellen Interventionen<br />
im Vergleich zu den säkularen<br />
Standardtherapien bei Angststörungen sowie<br />
milden und schweren Depressionen<br />
die Reduktion der Symptome beschleunigen<br />
können. Allerdings sind die Ergebnisse<br />
nicht einheitlich, und es scheint, dass nach<br />
einiger Zeit kaum noch ein Unterschied<br />
zum säkularen Vorgehen festzustellen ist<br />
(Koenig et al., 2001). Die methodisch<br />
strenge Auswertung von elf Studien durch<br />
Paukert, Phillips, Cully, Romero und Stanley<br />
(2011) kommt zu dem Schluss, dass<br />
Psychotherapie mit integrierter Religiosität<br />
„für die Behandlung von Depression und<br />
Angststörung wenigstens so wirksam ist<br />
wie säkulare Formen der gleichen Psychotherapie“,<br />
dass ein Beweis, sie sei langfristig<br />
effektiver als diese, aber noch ausstehe<br />
und dass die Wirkungsbedingungen noch<br />
genauer und auf der Grundlage von größeren<br />
Stichproben zu erforschen seien. Von<br />
spirituellen Interventionen profitieren<br />
wahrscheinlich Patienten mit starken religiösen<br />
Überzeugungen am meisten. Indes<br />
zeigt eine hoch differenzierte Studie überraschend,<br />
dass nichtreligiöse Psychotherapeuten,<br />
die die religiöse Variante der Kognitiven<br />
Verhaltenstherapie anwandten,<br />
einen größeren, anhaltenden Erfolg erzielten<br />
als ihre religiösen Kollegen (Propst,<br />
Ostrom, Watkins, Dean & Mashburn,<br />
1992).<br />
Ein Vorteil kann darin bestehen, dass bei<br />
diesem Typ die psychologischen Anstöße<br />
zur Selbstexploration und veränderung in<br />
Denkweisen und Copingformen verankert<br />
werden, die spirituell interessierten Patienten<br />
vertraut und wichtig sind. Darum befürworten<br />
inzwischen in den USA viele<br />
Klinische Psychologen diese Art von spirituellen<br />
Interventionen – sofern der Psychotherapeut<br />
darauf achtet, dass sie (1)<br />
den Bedürfnissen und Voraussetzungen<br />
des Patienten und nicht eigenem Missionierungsdrang<br />
entsprechen, (2) stets<br />
komplementär im Rahmen von bewährten<br />
psychotherapeutischen Maßnahmen und<br />
nicht als deren Ersatz erfolgen, (3)<br />
schmerzliche Einsichten und Aufgaben<br />
nicht überdecken, (3) den Psychothera<br />
peuten nicht in die Rolle des Seelsorgers<br />
versetzen, der im Namen einer Glaubensgemeinschaft<br />
und tradition spricht, und<br />
(4) seine Kompetenzen nicht überfordern<br />
(Tan & Johnson, 2005). Mag Religiosität/<br />
Spiritualität im deutschen Sprachraum<br />
auch stärker tabuisiert und damit schwerer<br />
ansprechbar sein als in den USA – unter<br />
diesen Kautelen könnte sie sich auch hier<br />
als eine zusätzliche Ressource erweisen.<br />
Typ III: Religiosität/Spiritualität<br />
mit der Tendenz, Basistherapie<br />
zu werden<br />
Je höher man das therapeutische Potenzial<br />
von Religiosität/Spiritualität veranschlagt<br />
und die Ursache von psychischen Beschwerden<br />
in einer defizitären spirituellen<br />
Verankerung sieht, desto eher neigt man<br />
dazu, die Bedeutung einer professionellen,<br />
„bloß säkularen“ Psychotherapie zu relativieren<br />
und spirituelle Interventionen für<br />
den entscheidenden Wirkfaktor einer Heilung<br />
zu halten. Die Religiosität/Spiritualität,<br />
auf die man setzt, tendiert dann dazu, Basistherapie<br />
zu werden, der gegenüber etablierten<br />
Psychotherapiemethoden u. U.<br />
nur noch eine unterstützende, komplementäre<br />
Funktion zukommt.<br />
Auf „theistischer“ Grundlage kann zu diesem<br />
Typ die „Christlich orientierte Psychotherapie“<br />
(Helmut Jaschke) ebenso zählen<br />
^<br />
wie die „Hagiotherapie“ (Tomislav Ivanci ć)<br />
und die „SufiPsychologie“ (Arife Ellen<br />
Hammerle). Bekannter sind im deutschen<br />
Sprachraum allerdings Angebote, die das<br />
Spirituelle eher östlich und energetisch<br />
verstehen und sich von der „Transpersonalen<br />
Psychologie“ im Sinne von Carl Gustav<br />
Jung, Abraham Maslow, Roberto Assagioli,<br />
Stanislav Grof, Ken Wilber, Charles Tart und<br />
Karlfried Graf Dürckheim inspirieren lassen<br />
– gemäß Maslows Überzeugung (1985, S.<br />
11): „Ohne das Transzendente und Transpersonale<br />
werden wir krank, gewalttätig,<br />
nihilistisch oder sogar hoffnungslos und<br />
apathisch.“<br />
Vertreter der „Transpersonalen Psychologie<br />
und Psychotherapie“, wie sie sich in der<br />
gleichnamigen Zeitschrift zu Wort melden<br />
und in der Fachklinik Heiligenfeld (Bad Kissingen),<br />
am RütteForum (Todtmoos)<br />
oder in eigener Praxis arbeiten, kennen<br />
zwar keine einheitliche Theorie und wen<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2012</strong>