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3/2012 - Psychotherapeutenjournal

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„Non, je ne regrette rien.“<br />

Margarete Mitscherlich-Nielsen –<br />

keine friedfertige Frau<br />

Ein Nachruf von Ingrid Moeslein-Teising und Christiane Schrader<br />

Einleitung<br />

Dr. med. Margarete Mitscherlich­Nielsen,<br />

die Psychoanalyse, Feminismus und Gesellschaftskritik<br />

in einzigartiger Weise zu<br />

verbinden verstand, ist 94­jährig in Frankfurt<br />

am Main gestorben.<br />

Die „Grande Dame“ der Psychoanalyse trug<br />

gemeinsam mit ihrem Mann Alexander Mitscherlich<br />

im Nachkriegsdeutschland mit<br />

dem Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“<br />

(1967) wesentlich zum Diskurs der Bearbeitung<br />

des Nationalsozialismus bei. Sie half,<br />

die Psychoanalyse in Deutschland wieder<br />

zu etablieren, machte sich um die Weiterentwicklung<br />

der psychoanalytischen Theorie<br />

der Weiblichkeit und um die Frauen verdient<br />

und legte ihre eigene Geschichte<br />

schließlich altersweise 2010 in ihrem letzten<br />

Buch „Die Radikalität des Alters“ (2010) dar.<br />

Für ihre Themen und die Kulturdebatten ihrer<br />

Zeit hat sie sich leidenschaftlich engagiert,<br />

und sie behielt sich bis zu ihrem Lebensende<br />

eine imponierende intellektuelle<br />

Wachheit, plante noch ein neues Buch –<br />

über die Liebe – obwohl sie mit der Möglichkeit<br />

ihres Todes rechnete und lebte.<br />

Leben<br />

Für Margarete Mitscherlich­Nielsen setzte<br />

sich die psychoanalytische Redekur stets<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2012</strong><br />

„Wir alle brauchen Ideale, Vorbilder, Ziele, an denen wir<br />

uns orientieren, nach deren Verwirklichung wir streben können.<br />

Ohne sie sind wir einem Gefühl der Leere ausgesetzt,<br />

und das lebendige Interesse an den Dingen der Welt<br />

und an unseren Mitmenschen geht verloren.“<br />

(Margarete Mitscherlich-Nielsen)<br />

aus zwei Reden zusammen: einer im analytischen<br />

Behandlungszimmer und einer<br />

im öffentlichen Raum, denn öffentliches<br />

Engagement gehörte für sie stets zur Psychoanalyse.<br />

Unterschiedliches zusammenzubringen<br />

war ihr sozusagen in die Wiege<br />

gelegt: Ihre deutsche Mutter war Lehrerin,<br />

stand der bürgerlichen Frauenbewegung<br />

nahe und förderte die schulische und persönliche<br />

Entwicklung ihrer Tochter. Ihr Vater<br />

war Däne und Arzt – und zweifellos ein<br />

Vorbild für ihre Berufswahl. Margarete Nielsen<br />

wuchs im Grenzgebiet Dänemarks zu<br />

Deutschland auf, in einem Teil, der eine<br />

wechselhafte Geschichte der nationalen<br />

Zugehörigkeiten aufwies. Ihr Freiheitsdrang<br />

im Leben und Denken und ihre sich bildende<br />

politische Haltung bescherten ihr<br />

schon auf dem Weg zum Abitur Schwierigkeiten<br />

und führten während ihres Medizinstudiums<br />

zu Observation und Verhör durch<br />

die Gestapo.<br />

1946 lernte sie Alexander Mitscherlich in<br />

der Schweiz kennen, wo sie als junge Ärztin<br />

tätig war. Sie wurden ein Paar, obwohl<br />

er verheiratet und Vater von sechs Kindern<br />

war. 1949 wurde ihr gemeinsamer Sohn<br />

geboren, den sie zu nächst alleine aufzog<br />

– damals eine schwierige Situation. Als sie<br />

Anfang der 1950er­Jahre in der von Alexander<br />

Mitscherlich gegründeten Klinik für<br />

Psychosomatik in Heidelberg ihre berufliche<br />

Tätigkeit fortführte, gab sie ihren Sohn<br />

Margarete Mitscherlich-Nielsen<br />

17. Juli 1917 – 12. Juni <strong>2012</strong><br />

Foto: Abdruck mit freundlicher<br />

Geneh migung des S. Fischer Verlags,<br />

© Walter Breitinger<br />

zu ihrer Mutter, eine Entscheidung, mit der<br />

sie immer wieder haderte und die sie immanent<br />

in ihrem Werk beschäftigte. Margarete<br />

Nielsen und Alexander Mitscherlich<br />

(gestorben 1982) heirateten 1955. Sie<br />

bildeten eine jahrzehntelange Lebens­ und<br />

Denkgemeinschaft von erstaunlicher Kreativität<br />

und Produktivität.<br />

Psychoanalyse<br />

Ende der 1950er­Jahre ging Margarete<br />

Mitscherlich­Nielsen nach London zur psy­<br />

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