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3/2012 - Psychotherapeutenjournal

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Kommentare zu erschienenen PTJ-Artikeln<br />

handlungstheorien auf den praktischen<br />

Einzelfall schon aus Prinzip nicht, weil<br />

jeder Einzelfall – eben weil er Einzelfall<br />

ist – in einer Vielzahl von Bedingungen<br />

von den theoretisch festgelegten Bedingungen<br />

abweicht. Es ist also immer nur<br />

eine Näherung möglich zwischen dem,<br />

was die Forschung theoretisch oder empirisch<br />

entwickelt, und der Anwendung<br />

in der Praxis. Deshalb ist es auch ein<br />

gravierendes Missverständnis, die Wirkfaktoren<br />

Grawes als Handlungsregeln zu<br />

verstehen, die für jeden Einzelfall als eindeutige<br />

Maßstäbe gelten sollten. Selbst<br />

konditionale „Wenn­dann“­Regeln (bes­<br />

Replik des Autors<br />

228<br />

ser sollte von „Wenn­dann­wozu“­Regeln<br />

gesprochen werden) stoßen bei ihrer<br />

Anwendung auf Einzelfälle immer auf<br />

so komplexe und meist unübersichtliche<br />

Bedingungen, dass von ihnen zwar eine<br />

Orientierung, aber keine Eindeutigkeit erwartet<br />

werden kann. „Lenkungskraft“ ist<br />

gut, wenn damit eine allgemeine Orientierungsfunktion<br />

gemeint würde, jedoch<br />

falsch, wenn darin eine unumstößliche<br />

Handlungsanweisung für jede mögliche<br />

„Wenn­dann“­Kombination gesehen wird.<br />

Jede Psychotherapeutin könnte allein<br />

schon für die Wenn­Bedingungen einer<br />

therapeutischen Situation ziemlich viele<br />

Bedingungen aufzählen, die für ihr Handeln<br />

relevant sind, neben dem momentanen<br />

klinischen Status der Patientin viele<br />

weitere aktuelle und vergangene Einflüsse,<br />

außerdem aber auch viele Umstände<br />

von sich als handelnder Psychotherapeutin<br />

und der Psychotherapie selbst.<br />

Gegenüber der Anwendung in der therapeutischen<br />

Praxis sind die Handlungsregeln<br />

in ihrem Auflösungsvermögen und<br />

in ihrem Geltungsbereich daher immer<br />

begrenzt und unterdeterminiert.<br />

Prof. em. Dr. Reiner Bastine<br />

Heidelberg<br />

Psychotherapeuten lesen – Anmerkungen zu den Kommentaren in dieser<br />

und der vorigen Ausgabe (2/<strong>2012</strong>, S. 120-124) des <strong>Psychotherapeutenjournal</strong>s<br />

Thorsten Padberg<br />

Ich danke allen, die die Diskussion über<br />

das Orientierungspotenzial von Texten<br />

der Psychotherapieforschung weitergetragen<br />

haben. Besonders viele Zuschriften<br />

erreichten mich von Praktikern, die die<br />

lokalen, oft praktisch begründeten Besonderheiten<br />

ihrer Praxis durch von außen<br />

implementierte Richtlinien nicht berücksichtigt<br />

sehen. Das erzeugt nicht nur verständlichen<br />

Widerstand, es ist für diese<br />

Praktiker auch nicht nachvollziehbar, wie<br />

derlei Vorschriften zur Verbesserung ihrer<br />

bestehenden Praxis beitragen sollen (wie<br />

es in der Zuschrift von Sabine Ecker zum<br />

Ausdruck kommt, 2/<strong>2012</strong>, S. 121).<br />

Die Verfügbarkeit und die<br />

Verwertbarkeit wissenschaftlicher<br />

Texte<br />

Die Kluft zwischen Forschung und Praxis<br />

mag dadurch verstärkt werden, dass Fachzeitschriften<br />

oft nur für die forschenden<br />

Wissenschaftler überhaupt zugänglich<br />

sind, worauf Volker Kauschke hinweist<br />

(2/<strong>2012</strong>, S. 120). Die Botschaften, die die<br />

Forschung an die Praxis zu senden versucht,<br />

sind dadurch nicht nur unverständlich,<br />

sondern werden gar nicht erst gehört.<br />

Eine Diskussion zu Fragen des Copyrights<br />

und der Bezahlung von Publizierenden<br />

und Publikationsorganen ist demnach zur<br />

Wahrung der Interessen der Wissenschaft<br />

auch im Feld der Forschung indiziert. Allerdings<br />

glaube ich, dass sich das von mir geschilderte<br />

Problem durch bessere Erhältlichkeit<br />

allein nicht lösen lassen wird. Wer<br />

liest schon Texte, die weder instruieren,<br />

noch informieren oder inspirieren, selbst<br />

dann, wenn sie kostenlos verfügbar sind?<br />

Die prägende Kraft unserer<br />

Vorbilder<br />

Das im Text benutzte, recht ungewöhnliche<br />

Therapiebeispiel hat eigene Reaktionen<br />

hervorgerufen. Farrellys Anhänger<br />

sahen im Text eine Verteidigung des Provokativen<br />

Stils gegenüber zu stark normierenden<br />

Vorstellungen. Dora Scholz­Ailakow<br />

(2/<strong>2012</strong>, S. 121) kann im Vorgehen Farrellys<br />

dagegen keinerlei Empathie entdecken<br />

– obwohl eine solche Interpretation<br />

möglich wäre. Wie Frau Scholz­Ailakow<br />

würden viele Praktiker dieser Interpretation<br />

nicht folgen. Durch langjährige Erfahrung<br />

haben sie klare Vorstellungen von Empathie<br />

entwickelt; sie können sich dazu u. a.<br />

auf therapeutische Vorbilder, in Ausbildungen<br />

erhaltene Anleitungen, Diskussionen<br />

mit Kollegen und Erfahrungen mit ihren<br />

Klienten berufen. Unsere Wahrnehmung<br />

therapeutischer Prozesse ist stark davon<br />

geprägt, welche Vorbilder wir haben.<br />

Die (Un-)Möglichkeit des<br />

Wissenstransfers<br />

Viele Zuschriften knüpfen an die wissenschaftstheoretische<br />

Debatte an, die<br />

in der Psychologie viel zu selten geführt<br />

wird. Auch Heinz Huber und Franz Dick<br />

(2/<strong>2012</strong>, S. 122 und S. 123) behandeln<br />

die Frage nach der Übertragbarkeit von<br />

Forschungsergebnissen in die Praxis.<br />

Wolfram Zimmermann (2/<strong>2012</strong>, S. 122)<br />

vermisst zudem eine Werthaltung in Forschung<br />

und Praxis, die das Lernen voneinander<br />

möglich macht. Mein Anliegen<br />

waren aber eher die Mängel des Mediums<br />

der Übertragung von Forschungsergebnissen.<br />

Frau Leuzinger­Bohleber (in<br />

dieser Ausgabe, S. 224 ff.) schlägt deshalb<br />

u. a. einen Mediumswechsel hin zu<br />

mehr „social events“ vor. Solche Events<br />

sehe ich als eine notwendige Ergänzung<br />

von Forschungstexten.<br />

<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2012</strong>

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