3/2012 - Psychotherapeutenjournal
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Werke, Band 7, S. 129139; Band 14, S.<br />
323380; Band 15, S. 170197). Während<br />
William James die „Vielfalt religiöser Erfahrung“<br />
(so der programmatische Titel seines<br />
Hauptwerks, 1902/1997) in den Vordergrund<br />
rückte und die Verbindung des<br />
Beters mit dem subliminalen „Weiteren<br />
Selbst“ für eine Quelle psychischer Heilung<br />
hielt – was sowohl die Gründerväter<br />
der Anonymen Alkoholiker als auch C. G.<br />
Jung inspirierte – hat Freud Religiosität unterschiedslos<br />
unter Neurose bzw. Illusionsverdacht<br />
gestellt.<br />
Als der Frauenarzt und Psychoanalytiker<br />
Eberhard Schaetzing (1955) den Begriff<br />
„ekklesiogene Neurose“ einführte, um den<br />
Folgen sexualfeindlicher und bigotter Erziehung<br />
einen Namen zu geben, und der Arzt<br />
und Psychoanalytiker Klaus Thomas<br />
(1964) diese Diagnose erweiterte und popularisierte,<br />
trug dies nur wenig zu einer<br />
Differenzierung bei. Denn die unpräzise<br />
Bezeichnung „ekklesiogen“ (wörtlich: kirchenerzeugt)<br />
lud ebenfalls zu einem Generalverdacht<br />
ein, zumal Thomas’ Hinweis,<br />
„echte Frömmigkeit“ könne leichtere Störungen<br />
heilen, kaum beachtet wurde. Der<br />
Begriff suggerierte auch zu Unrecht, dass<br />
Zwangsstörungen und Depressionen monokausal<br />
auf die in rigoristischen kirchlichen<br />
Milieus induzierte Sexualangst zurückzuführen<br />
seien – weshalb die<br />
Diagnose nie in eine wissenschaftliche<br />
Klassifikation psychischer Störungen aufgenommen<br />
wurde.<br />
Auch außerhalb der psychoanalytischen<br />
Tradition hat die Klinische Psychologie lange<br />
Zeit ausschließlich die möglichen psychischen<br />
Beeinträchtigungen durch Religiosität/Spiritualität<br />
in den Blick genommen<br />
und nur deren Beziehungen zu Depressivität,<br />
Ängstlichkeit und Vorurteilsneigung<br />
erforscht. Erst nach den 1980erJahren<br />
begann sie, auch das unterstützende<br />
Potenzial von Glaubenseinstellungen zu<br />
untersuchen. Die neue Ressourcenorientierung<br />
sowie die Einsicht, dass Wertesystem<br />
und Weltsicht von Patienten für den<br />
psychotherapeutischen Erfolg bedeutsam<br />
sein können und dass man darum kultursensibel<br />
auf sie zu achten hat, animierten<br />
zu Experimenten und Untersuchungen,<br />
die zu einem neuen Verhältnis zwischen<br />
Klinischer Psychologie/Psychotherapie und<br />
<strong>Psychotherapeutenjournal</strong> 3/<strong>2012</strong><br />
Religiosität/Spiritualität geführt haben. Bei<br />
einer Tagung der American Psychiatric Association,<br />
die sich im Hinblick auf die anstehende<br />
Revision des DSMIV mit dem<br />
Thema Religion, Spiritualität und Psychiatrie<br />
befasste (Peteet, Lu & Narrow, 2011),<br />
wurde dieser Perspektivenwechsel von<br />
hochkompetenten, traditionell eher religionsskeptisch<br />
eingestellten Fachvertretern<br />
bestätigt; einer der Veranstalter, Francis Lu,<br />
charakterisierte ihn in einem Werbetext als<br />
Wandel „vom Gegensatzpaar (Oxymoron)<br />
zu komplementären Partnern“.<br />
Das herkömmliche biopsychosoziale Modell,<br />
so fordert man, müsse um die religiösspirituelle<br />
Dimension erweitert werden;<br />
damit man die weltanschaulichen Fragen,<br />
die u. U. mit Störungen wie Depression,<br />
Schizophrenie, Posttraumatischen Belastungs,<br />
Angst und Persönlichkeitsstörungen<br />
verbunden sind, berücksichtigen kann.<br />
Dabei werden neben negativen Einflüssen<br />
– etwa der Belastung durch die Vorstellung<br />
von einem rigoristischen RichterGott –<br />
auch positive Wirkungen angenommen<br />
und in manchen Fällen eine Zusammenarbeit<br />
mit Geistlichen empfohlen.<br />
Religiosität/Spiritualität –<br />
ein Schutz- und Stabilisierungsfaktor?<br />
In einem ersten Schritt soll hier geprüft<br />
werden: Kann Religiosität/Spiritualität protektiv/präventiv<br />
und stabilisierend zum Erhalt<br />
der psychischen Gesundheit beitragen<br />
– und wenn ja: unter welchen Bedingungen<br />
und in welchem Ausmaß?<br />
Für eine solche Wirkung spricht die Beobachtung,<br />
dass bei nichtklinischen Stichproben<br />
Religiosität/Spiritualität, die aus innerer<br />
Überzeugung (intrinsisch) praktiziert<br />
wird – sei es im gemeinsamen Gottesdienst<br />
oder im privaten Beten und Meditieren<br />
– mit wichtigen Indikatoren psychischer<br />
Gesundheit moderate bis schwache<br />
statistische Zusammenhänge aufweist, die<br />
auch kausal gedeutet werden können.<br />
Dies gilt für Angehörige verschiedener Religionsgemeinschaften,<br />
wenn sie – ohne<br />
angstinduzierenden moralischen Perfektionismus<br />
und negative Gottesvorstellungen<br />
– an einen akzeptierenden, unterstützenden<br />
Gott glauben.<br />
B. Grom<br />
In den meisten einschlägigen Studien der<br />
angloamerikanischen Lebensqualitäts und<br />
Gesundheitsforschung äußern gläubige<br />
Respondenten etwas mehr Lebenszufriedenheit,<br />
Glücklichsein, Hoffnung, Sinnorientierung<br />
und positive Gefühle als weniger<br />
oder nicht gläubige (zusammenfassend:<br />
Grom, 2004; Koenig, McCullough & Larson,<br />
2001). Auf eine protektive Wirkung<br />
von Religiosität weisen aber auch statistische<br />
Beziehungen zu NegativIndikatoren<br />
psychischer Gesundheit hin: Intrinsische<br />
Religiosität geht gemäß der Mehrheit der<br />
Studien mit etwas geringerer nichtklinischer<br />
Depressivität (Koenig et al., 2001),<br />
weniger Substanzmissbrauch (Unterrainer,<br />
2011) und geringerer Suizidgefährdung<br />
(Grom, 2000) einher. Allerdings<br />
kann schwere Depression religiöses Erleben<br />
und religiöse Versuche einer Emotionsregulation<br />
blockieren und unwirksam<br />
machen. Ein gläubiger Patient nach einem<br />
Suizidversuch: „Da hat mein Glaube nicht<br />
mehr funktioniert.“<br />
Als Faktoren, die zum Plus an Lebensqualität<br />
und psychischer Gesundheit beitragen,<br />
werden vor allem folgende Einflüsse diskutiert,<br />
die auch großenteils empirisch nachgewiesen<br />
sind: Die Integration in eine<br />
Glaubensgemeinschaft kann soziale Unterstützung<br />
und schützende Normen vermitteln<br />
und intrinsische Religiosität vermag<br />
Sinnorientierung, positives Selbstwertgefühl,<br />
internale Kontrollüberzeugung/Optimismus,<br />
Dankbarkeit, Ehezufriedenheit,<br />
Bereitschaft zu prosozialem Verhalten und<br />
Vergebungsbereitschaft zu fördern (Grom,<br />
2007, S. 252257).<br />
Religiöses Coping – negativ<br />
oder positiv oder beides?<br />
Besondere Aufmerksamkeit hat man dem<br />
Potenzial gewidmet, Belastungen durch<br />
kritische Lebensereignisse günstig zu bewältigen.<br />
Ob und in welchem Maß Spiritualität<br />
dies leistet, ist seit Jahren Gegenstand<br />
der von Pargament (1997) im<br />
Rahmen des transaktionalen StressCopingModells<br />
von Lazarus und Folkman<br />
(1984) initiierten Untersuchungen zum<br />
religiös motivierten Umgang mit kritischen<br />
Lebensereignissen, dem sogenannten religiösen<br />
Coping. Dieser Ansatz fragt nicht<br />
nur global – wie etwa deutschsprachige<br />
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