REPORTAGE GRÖSSER ALS MONACO 9 MRD. EURO UMSATZ/JAHR 70 KILOMETER STRASSEN 25.000 FAHRZEUGE/NACHT 30.000 MENSCHEN/NACHT 17 RESTAURANTS UND BRASSERIEN, EIGENES POLIZEIREVIER, BANK, REISEBÜRO, KINDERGARTEN, GÜTERBAHNHOF In der Fischhalle sind um kurz nach vier Uhr morgens die Geschäfte bereits gelaufen, die meisten Fische verkauft de Cochon und bewunderte die Forts des Halles, jene kräftigen, blutverschmierten Fleischträger, die bereits in den frühen Morgenstunden ausreichend Rotwein schlürften und sich einen Spaß daraus machten, eingeklemmte Autos aus der Parklücke zu tragen. Doch der Bauch von Paris ist längst Geschichte, er ist leer. Anfang März 1969 zieht der aus allen Nähten platzende Großmarkt an nur einem Tag aus dem engen historischen Stadtzentrum nach Rungis vor die Tore der Hauptstadt: eine logistische Meisterleistung. Die zwölf Pariser Markthallen müssen den Baggern weichen, und aus dem Bauch wird das Loch von Paris. Nach heftigen Diskussionen entsteht auf dem historischen Marktgelände das von den meisten Parisern äußerst ungeliebte Forum des Halles. Heute blickt die Grande Nation voller Stolz nach Rungis. Hier liegt Frankreichs kulinarische Seele, in Sachen Feinschmeckerei ist Rungis der Nabel der Welt. Denn das einst verschlafene Provinznest, nur wenige Kilometer südlich von Paris und unweit des Flughafens Orly gelegen, beherbergt den weltweit bedeutendsten Großmarkt für Lebensmittel und Blumen. Doch das ist untertrieben. Rungis ist kein Großmarkt, Rungis ist eine Stadt. Größer als Monaco, mit 234 Hektar Fläche so groß wie 330 Fußballfelder, auf denen jährlich rund neun Milliarden Euro Umsatz gemacht werden. Eine Stadt mit rund 70 Kilometern Straßen, auf denen sich Nacht für Nacht mehr als 25.000 Fahrzeuge übers Gelände drängeln, einem eigenen Polizeirevier, einer Bank, 17 Restaurants und Brasserien, einem Reisebüro, Kindergarten und eigenem Güterbahnhof. Und natürlich Hallen, die in ihren Ausmaßen an Flugzeughangars erinnern. Soweit das Auge reicht. Neun sind es allein für Obst und Gemüse, in anderen gibt es nur Blumen. Hinzu kommen Hallen für Käse und Milchprodukte, Geflügel und Wild, Rinder, Lamm, Schweine oder Innereien. Und alle voll bis unters Dach. Rungis ist ein Ort der Superlative, konkurrenzlos, ein sich schnell drehendes Karussell für Produkte aus aller Welt und ein sicheres Barometer dafür, was in den Küchen rund um den Globus gerade Trend ist. Neue und exotische Produkte tauchen hier zum ersten Mal auf, wiederentdeckte alte Gemüsesorten gehören zum Standardrepertoire, es gibt Hallen mit ausschließlich Bio-Produkten. In Rungis gibt es alles und noch viel mehr. Jede Nacht kommen rund 30.000 Menschen in die pulsierende Marktstadt, liefern Produkte, verkaufen und kaufen und transportieren sie wieder ab. Doch ohne autorisierten Passierschein als Händler oder Käufer kommt hier niemand aufs Gelände. Für Besucher bietet der Großmarkt mehrstündige Führungen an, Sven Bleß, Leiter der exklusiven Transgourmet-Range Qualité de Paris hat eine für uns organisiert. Mit unserem Guide Jean sind wir um vier Uhr morgens vor der riesigen Fischhalle verabredet. Um vier Uhr ist hier das Geschäft weitgehend passé, sind die meisten Fische verkauft, doch so stören wir als Besucher auch nicht den laufenden Betrieb. Gleich nebenan, am langen Tresen der Brasserie A la Marée, stehen schon die Fischhändler mit ihren Kunden und stoßen mit einem Glas Burgunder auf die guten Geschäfte an. » PASSIONGENUSS <strong>01</strong>.17 42
RUNGIS Die Hallen gleichen Flugzeughangars: Wenn es leer wird, lassen sich die riesigen Dimension des Großmarkts noch besser erahnen In den Fischhallen wird akkurat gestapelt und gekühlt: Die wertvolle Fracht darf auf ihrer Reise keinen Schaden nehmen PASSIONGENUSS <strong>01</strong>.17 43