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Transgourmet Spezial Mehrwert - spezial_mehrwerte_2016.pdf

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Die Wirtschaftsfachzeitschrift für professionelle Gemeinschaftsgastronomie<br />

Essen<br />

ist<br />

MehrWert<br />

Ein Special der Wirtschaftsfachzeitschriften<br />

gv-praxis und food-service sowie<br />

des Handelsunternehmens <strong>Transgourmet</strong>.<br />

BUSINESS · CARE · EDUCATION<br />

D 7682 E


SPECIAL<br />

INHALT<br />

17<br />

Frisch vom Bauern<br />

auf das Brett: Vier<br />

Beispiele zeigen,<br />

wie Transparenz<br />

vom Acker bis zum<br />

Teller gelingt.<br />

49<br />

Reinbeißen und genießen! So<br />

schmeckt der Sommer. Doch in<br />

der Küche wird die Karte mit<br />

frischer Saisonware selten<br />

richtig ausgespielt.<br />

4<br />

Ernährungsbildung ist<br />

die Basis für verantwortungsvolle<br />

Genießer,<br />

findet Fernsehköchin<br />

Sarah Wiener.<br />

54<br />

Sie wollen die Welt retten:<br />

Deshalb bekommen aussortierte<br />

Lebensmittel von der Initiative<br />

„Restlos Glücklich“ eine Chance.<br />

Die Macher im Porträt.<br />

2 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Sarah Wiener Stiftung, Studio (photocuisine.de), Dionisvera (shutterstock.com), Restlos Glücklich e.V. (Fotograf: Lars Bösch)


EDITORIAL<br />

INHALT<br />

3 Editorial Esskultur 2016+<br />

4 Bildung Gastbeitrag Sarah Wiener:<br />

„Ich will Achtsamkeit vermitteln“<br />

7 Trends Gastbeitrag Hanni Rützler:<br />

Von Ultra-Lokal bis Fast-Good<br />

10 Umfrage Einkauf & Kommunikation:<br />

Gast honoriert <strong>Mehrwert</strong>e<br />

12 Dialog Vertrauen: Transparenz – ein Muss<br />

14 Interview Harald Lemke, Philosoph und<br />

Buchautor: „Erzählen Sie Geschichten!“<br />

17 Trendsetter Farm to Fork Reha-Klinikum<br />

Oberlinhaus, Bad Belzig: Fern aller Hektik<br />

20 Restaurant „De Kas“: Holländischer Pionier<br />

22 Fritz Braugasthäuser: Bauer & Brauer<br />

24 Kinderkrankenhaus St. Marien, Landshut:<br />

Vom Hof nebenan<br />

26 Nachgefragt Frank Seipelt, Vorsitzender der<br />

Geschäftsführung von <strong>Transgourmet</strong> Central &<br />

Eastern Europe: „Essen zeigt unsere Identität“<br />

29 Premium Edel-Burger & Craft Beer:<br />

Aufstieg aus der Masse<br />

30 Hans im Glück: Burger im Märchenwald<br />

32 Braugasthaus Altes Mädchen:<br />

Craft Beer & Storytelling<br />

34 Wissen Superfood: Heimische Kraftprotze<br />

36 Management Hotelgruppe Upstalsboom:<br />

Der Weg zum Miteinander<br />

38 SV Schweiz: Den Hebel umlegen<br />

40 Initiative Seniorenverpflegung:<br />

Vom Kostenfaktor zum Glücksfaktor<br />

46 Wissen Neue Lust auf altes Gemüse<br />

48 Impressum<br />

49 Marketing Saisonale Klassiker:<br />

So schmeckt der Sommer<br />

52 Food-Retter Coop Schweiz:<br />

Ein Herz für krummes Gemüse<br />

54 Restlos glücklich, Berlin: Nichts für die Tonne!<br />

56 Tradition Die Story zum Wein:<br />

Zwei familiengeführte Weingüter im Porträt<br />

60 Konzept Origin Green:<br />

Irlands couragierte Initiative<br />

Burkart<br />

Schmid<br />

Ein erfolgreiches norddeutsches Cateringunternehmen positioniert sich<br />

seit vielen Jahren mit einem einzigen Begriff gegenüber dem Wettbewerb:<br />

<strong>Mehrwert</strong>-Ernährung. Hinter dem Wording steckt eine Synthese aus verschiedenen<br />

Aspekten: saisonale Vielfalt, liebevolle frische Zubereitung und<br />

aus ökologischer Landwirtschaft stammende Lebensmittel. Storytelling inklusive,<br />

denn der Verbraucher wünscht Transparenz – vom Acker bis zum<br />

Teller. Damit bedienen Dienstleister wichtige Sehnsuchtsgrößen der Gäste.<br />

Sehnsucht nach Idealzuständen wie Frische, Sicherheit, Gesundheit und<br />

Wohlbefinden in einer immer fragileren Welt. Soll heißen: Immer mehr<br />

Menschen passen ihre Ernährung der jeweiligen Lebensphase und ihrem<br />

Lebensstil an. Die Selbstidentifikation der Verbraucher geschieht mehr und<br />

mehr über das, was, wo und wie sie essen.<br />

Mit Folgewirkung auf Gastronomie, Handel und Zulieferindustrie, deren<br />

Produkte und Konzepte sich immer mehr auf die speziellen Ansprüche der<br />

Gäste fokussieren. Eine regelrechte Maßarbeit. Dabei gilt das Augenmerk<br />

nicht nur den Veganern oder Vegetariern. Hochgradig an Marktrelevanz<br />

gewinnen die Flexitarier, die auch dem gesamten Außer-Haus-Markt neue<br />

Nischen öffnen. Dazu gehört unbedingt auch die steigende Zahl der Menschen,<br />

die sich selbst zu den Allergikern zählen: 2015 schon 12,9 Millionen.<br />

Heißt: Die Zahl der Verbraucher wächst, die vermehrt Wert legen auf eine<br />

offene und klar verständliche Inhaltsstoffangabe der Lebensmittel.<br />

Esskultur 2016+<br />

Frank<br />

Seipelt<br />

Nichts ist heute fühlbarer als die Veränderungsdynamik zwischen Gast und<br />

Gastgeber. Viele Speisenangebote der Profi-Gastronomie kennzeichnet eine<br />

veränderte Angebotsarchitektur – statt nur fleischlos als Alibigröße, müssen<br />

für vegan/vegetarische Nachfrager neue Menüs oder gar Menülinien kreiert<br />

werden. In jedem Fall geht es um „genussvolle Kulinarik mit Raffinesse“, wie<br />

ein Produktentwickler verrät. Wie wir diesen Wandel im Spannungsfeld<br />

zwischen Sehnsuchtsräumen und einer zunehmenden Moralisierung des<br />

Essens auch immer bewältigen, wir spüren auf alle Fälle eine höhere Wertschätzung<br />

für unsere Lebensmittel. Darin stecken für alle Branchenplayer<br />

große Chancen. Auf den folgenden Seiten haben 16 Autoren die Schlüsselkriterien<br />

für mehr Wertschätzung und Wertschöpfung herausgearbeitet.<br />

Dabei gilt: Vertrauen ist die wichtigste Währung zwischen Lebensmittelwirtschaft,<br />

Handel, Gastronomie und Konsumenten. Lesen Sie in unserem dritten<br />

gemeinsamen Special „Essen ist MehrWert“, worauf es wirklich ankommt.<br />

Viel fachliches Lesevergnügen wünschen<br />

Zum Titel: Fotos von <strong>Transgourmet</strong>, Jenny<br />

Sturm (fotolia.de) und Nicole Heiling.<br />

Burkart Schmid ⎮ Chefredakteur ⎮<br />

gv-praxis<br />

Frank Seipelt ⎮ Geschäftsführung (Vorsitz)<br />

<strong>Transgourmet</strong> Central and Eastern Europe<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

3


SPECIAL<br />

„Ich will Achtsamkeit vermitteln“<br />

Wie werden Kinder zu verantwortungsvollen Genießern? Und was heißt überhaupt schmecken<br />

lernen? Ein Gastbeitrag von Fernsehköchin Sarah Wiener über Ernährungsbildung, fehlende<br />

Vorbilder und die Magie des Selbermachens.<br />

Sarah Wiener engagiert sich seit 2007 mit<br />

ihrer Stiftung für Ernährungsbildung.<br />

Als Kind hatte ich Glück. Kulinarisches<br />

Glück. Weil<br />

Fertigprodukte in den 60er Jahren<br />

noch etwas Besonderes und<br />

damit viel teurer als heutzutage<br />

waren, gab es bei uns zu Hause nur<br />

Selbstgekochtes. Und da der Typ<br />

„Helikopter-Eltern“ noch nicht erfunden<br />

war, hatten wir Kinder viel<br />

Zeit, umherzustreunen und den Geschmack<br />

von Äpfeln und Beeren zu<br />

kosten. Ein halbes Jahrhundert später<br />

haben sich die Voraussetzungen unserer<br />

Ernährung radikal gewandelt. Im<br />

Discounter gibt es immer mehr Fertiggerichte<br />

zum Billigpreis zu kaufen.<br />

Und an jeder Straßenecke lauern Pizza,<br />

Döner und Currywurst. Wenn es<br />

heute um Ernährungskompetenz<br />

geht, sind also auch die Fähigkeiten gefragt,<br />

den ständigen Verlockungen zu<br />

widerstehen und den natürlichen Geschmack<br />

unserer Nahrungsmittel<br />

überhaupt wieder kennenzulernen.<br />

Nur wer weiß, was Qualität und guter<br />

Geschmack sind, kann auch eine<br />

Sehnsucht danach entwickeln. Wer<br />

schon als Kind nur überzuckerten<br />

Erdbeer-Joghurt mit künstlichem<br />

Aroma zu essen bekommt, dem<br />

schmecken die „echten“ Erdbeeren<br />

womöglich nicht süß genug. Eine weitere<br />

Entwicklung ist ebenso entscheidend<br />

für unsere neuen Ernährungsgewohnheiten:<br />

Während früher die<br />

Hausfrauen-Ehe das meistgelebte<br />

Modell in Westdeutschland war,<br />

sind heute – zum Glück! – immer<br />

mehr Frauen erwerbstätig. Wenn beide<br />

Elternteile arbeiten, bleibt aber oft<br />

4 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Sarah Wiener Stiftung | Thomas Ladenburger, Christian Kaufmann, Marco Urban


BILDUNG<br />

nur noch wenig Zeit, um mit den Kindern<br />

eine gemeinsame Mahlzeit einzunehmen.<br />

Mittags isst nur noch etwa<br />

die Hälfte der 6- bis 9-Jährigen zu<br />

Hause. Bei Kindern im Kindergartenalter<br />

ist der Anteil noch geringer. Und<br />

da viele Schulkinder Ganztagsschulen<br />

besuchen, bleibt häufig nur der Abend<br />

für ein gemeinsames Essen. Eltern haben<br />

so immer weniger Einfluss, welche<br />

Lebensmittel ihre Kinder zu sich nehmen.<br />

Umso wichtiger ist es, dass die<br />

Kinder möglichst früh eine eigene Ernährungskompetenz<br />

entwickeln. Es<br />

berührt mich, dass immer mehr Kinder<br />

an ernährungsmitbedingten<br />

Krankheiten leiden und viele Kinder<br />

kaum eine selbstgekochte Mahlzeit<br />

bekommen. Ein Kind, das ohne Frühstück<br />

in die Schule geht, kann sich<br />

noch so sehr anstrengen, wenn die<br />

Es bleibt nur der Abend<br />

für gemeinsames Essen.<br />

wichtigste Basis fehlt: Es ist nicht genügend<br />

genährt und kann sich so<br />

nicht auf den Unterricht konzentrieren.<br />

Ebenso sehr empfinde ich es als<br />

untragbar, dass immer mehr Kinder<br />

an Zivilisationskrankheiten wie<br />

Übergewicht und Diabetes Typ 2 leiden,<br />

weil sich ihre Eltern und damit<br />

auch die Kinder falsch, also mit zu viel<br />

Zucker und Fett ernähren. An dieser<br />

Stelle setzt die Sarah Wiener Stiftung<br />

an, die versucht, möglichst vielen Kindern<br />

praktische Ernährungskompetenz<br />

für den Alltag beizubringen und<br />

sie für die Vielfalt unserer Nahrungsmittel<br />

zu begeistern. Wir verfolgen dabei<br />

einen Multiplikatorenansatz, das<br />

heißt, wir richten uns mit unseren<br />

Programmen an die Personen, die mit<br />

Kindern leben und arbeiten. Nach<br />

Gründung der Stiftung im Jahr 2007<br />

haben wir ein Fortbildungsangebot<br />

für pädagogische Fach- und Lehrkräfte<br />

kreiert und in den vergangenen Jahren<br />

knapp 3.000 Pädagoginnen und<br />

Pädagogen zu sogenannten Genussbotschaftern<br />

fortgebildet. Sie geben<br />

ihr Können und Wissen an Kinder in<br />

Kitas und Grundschulen weiter und<br />

zeigen ihnen auf ganz niedrigschwellige<br />

Weise, wie einfach sich etwas<br />

Köstliches aus frischen Lebensmitteln<br />

zaubern lässt. Dass über 60 Prozent<br />

der Einrichtungen dauerhaft dabeibleiben,<br />

zeigt uns, dass das Programm<br />

wirkt. Wir wollen, dass Kinder mit<br />

Freude und Genuss frische Lebensmittel<br />

entdecken – und dies mit allen<br />

Sinnen. In den Genussbotschafter-<br />

Schulungen stellen wir den Teilnehmern<br />

daher beispielsweise vor, wie sie<br />

mit den Kindern Geschmacksschulungen<br />

machen können. Ich liebe es,<br />

Kinder auf den Geschmack vieler toller<br />

Kräuter zu bringen, sie sehen, hören,<br />

tasten, riechen und schmecken zu<br />

lassen. Es ist wunderbar, wie achtsam<br />

sie nach einer solchen Schulung mit<br />

den Kräutern umgehen und wie stolz<br />

sie sind, wenn sie im Anschluss ihren<br />

eigenen selbstgemachten Kräuterquark<br />

mit nach Hause nehmen dürfen.<br />

Wenn Kinder sich mit den Lebensmitteln<br />

verbinden können, wenn<br />

sie sich ohne Verbote einfach einmal<br />

ausprobieren dürfen und hinterher<br />

Ohne Verbote alles<br />

ausprobieren dürfen.<br />

ein eigenes kleines Werk geschaffen<br />

haben, dann werden aus den größten<br />

Kräuter- und Gemüsemuffeln kleine<br />

Feinschmecker, die zu Hause voller<br />

Stolz berichten: „Ich kann kochen!“<br />

Mich freut, dass auch die Politik erkennt,<br />

wie dringend wir etwas für unsere<br />

Kinder und ihre Alltagskompetenz<br />

Ernährung tun müssen. Durch<br />

das neue Präventionsgesetz kann die<br />

Sarah Wiener Stiftung nun gemeinsam<br />

mit der Krankenkasse Barmer<br />

GEK noch mehr Kinder erreichen<br />

und mit der Initiative für praktische<br />

Ernährungsbildung „Ich kann kochen!“<br />

bundesweit Fortbildungen für<br />

Erzieher(innen) und Lehrer(innen)<br />

anbieten. Wir haben das ehrgeizige<br />

Sarah Wiener Stiftung<br />

Sarah Wiener will<br />

Kinder mit allen<br />

Sinnen für Lebensmittel<br />

und die<br />

kreative Arbeit des<br />

Kochens begeistern.<br />

„Für gesunde Kinder und was Vernünftiges zu essen" ist seit<br />

2007 die Mission der Sarah Wiener Stiftung. Antrieb für<br />

Stiftungsgründerin und Köchin Sarah Wiener ist das schwindende<br />

Wissen der Kinder über Zubereitung, Herkunft und<br />

Vielfalt unserer Lebensmittel. Kern der Stiftungsarbeit sind<br />

Fortbildungen für pädagogische Fach- und Lehrkräfte, damit<br />

diese in ihren Einrichtungen praktische Koch- und Ernährungskurse<br />

für Kinder anbieten können. In einer Partnerschaft<br />

mit der Barmer GEK will die Stiftung mit ihrer Initiative<br />

„Ich kann kochen!“ in den kommenden fünf Jahren<br />

bundesweit 56.000 Genussbotschafter fortbilden und<br />

damit 1,4 Millionen Kindergartenkinder und Schüler erreichen.<br />

Zudem bietet die Stiftung Exkursionen zu Bauernhöfen<br />

an und zeigt den Kindern, wo die Zutaten für unser<br />

Essen ihren Ursprung haben. www.ichkannkochen.de<br />

www.sarah-wiener-stiftung.de<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

5


BILDUNG<br />

Kinder sollten<br />

Lebensmittel mit<br />

allen Sinnen<br />

erfahren können.<br />

„Ich liebe es,<br />

Kinder auf den<br />

Geschmack verschiedener<br />

Kräuter<br />

zu bringen“, sagt<br />

Sarah Wiener.<br />

Kinder dort abholen, wo<br />

sie tagtäglich sind.<br />

Ziel, in den nächsten fünf Jahren über<br />

eine Million Kinder zu erreichen. Unser<br />

Ansatz lautet, die Kinder dort abzuholen,<br />

wo sie sind: in der Kita, in der<br />

Schule, und ihnen das beizubringen,<br />

was vielleicht zu Hause nicht (mehr)<br />

weitergegeben wird. Zu unserem Programm<br />

für praktische Ernährungsbildung<br />

gehört auch, mit den Kindern<br />

zum Ursprung der Lebensmittel zu<br />

gelangen. Auf den Bauernhoffahrten,<br />

die meine Stiftung organisiert, lernen<br />

Mädchen und Jungen, woher die<br />

Milch kommt, wie Käse gemacht wird<br />

oder wie überhaupt eine Kartoffelpflanze<br />

aussieht. Wichtig ist, dass sie<br />

nicht nur schauen, sondern selbst mitmachen<br />

dürfen. Auch wenn die Politik<br />

sowie Kitas und Schulen sich verstärkt<br />

um die Gesundheit der Kinder<br />

kümmern, entlässt das die Eltern<br />

nicht aus ihrer Verantwortung. Denn<br />

ob wir ein Vorbild sein wollen oder<br />

nicht, wir sind es. Die Kinder orientieren<br />

sich an uns. Dieser Verantwortung<br />

sollten wir gerecht werden, indem<br />

wir unseren Kindern ein möglichst<br />

ausgewogenes Essverhalten vorleben<br />

und sie neugierig machen auf die<br />

wunderbare Welt der Kulinarik. Die<br />

gute Nachricht: Das ist gar nicht<br />

schwer. Schon in der Schwangerschaft<br />

bekommt das Kind eine erste Prägung<br />

seines Geschmackssinns. Ist das Baby<br />

auf der Welt, nimmt es über die Muttermilch<br />

die kulinarischen Vorlieben<br />

der Mutter auf. So lernt es früh: Was<br />

ich zu mir nehme, schmeckt immer<br />

ein bisschen anders. Flaschennahrung<br />

hingegen schmeckt immer gleich.<br />

Wächst das Kind heran, ist die Vorliebe<br />

für Süßes für viele Eltern eine<br />

Herausforderung. Während Brokkoli,<br />

Spinat oder Paprika verschmäht<br />

werden, können Kinder Unmengen<br />

an Süßigkeiten verspeisen. Das sollte<br />

Eltern nicht gleich zur Verzweiflung<br />

bringen, denn es gibt einen genetisch<br />

bedingten Grund für diese Vorliebe:<br />

Süßes ist in der Regel nicht giftig und<br />

hat einen hohen Nährstoffgehalt,<br />

während Gemüse mit einem bitteren<br />

Geschmack potenziell giftig sein<br />

könnte. Kinder sind durchaus offen,<br />

auch neue Geschmäcker zu probieren,<br />

wenn sie sehen, dass es ihrem „Vorbild“<br />

– also den Eltern oder anderen<br />

engen Bezugspersonen – sichtbar<br />

schmeckt. Wichtig ist, nicht gleich<br />

aufzugeben, sondern es immer einmal<br />

wieder anzubieten. Denn auch hier<br />

spielen unbewusste „Vorsichtsmaßnahmen“<br />

des Kindes eine Rolle: Sehe<br />

ich als Kind wiederholt, dass etwa<br />

mein Vater ein Stück grünes Gemüse<br />

mit Genuss isst, kann ich daraus<br />

schließen, dass es nicht giftig ist. Was<br />

Kinder wirklich nicht brauchen, sind<br />

als „Kinderlebensmittel“ vermarktete<br />

Produkte, die oft viel Zucker enthalten.<br />

Damit bekommen sie das Bild<br />

vermittelt, Kinder bräuchten spezielle<br />

Lebensmittel. Und auch wenn in den<br />

Familien der Alltag hektisch ist, für eine<br />

gemeinsame Mahlzeit am Tag sollte<br />

Zeit sein. Gemeinsam essen bedeutet<br />

so viel mehr, als nur satt zu werden.<br />

Als Köchin möchte ich eine Lanze<br />

brechen für dieses schöne Ritual.<br />

Wenn wir unseren Kindern bei einem<br />

Eltern sind in der<br />

Verantwortung.<br />

guten Essen Aufmerksamkeit schenken,<br />

können wir ihnen neben unserer<br />

Liebe auch die Wertschätzung für gute<br />

Lebensmittel und Achtsamkeit<br />

beim Essen vermitteln. Wenn unsere<br />

Kinder wissen, was sie essen und wie<br />

ihr Essen zubereitet wird, macht sie<br />

das stark und unabhängig. Sie können<br />

lernen, dass es eine Jahreszeit für jedes<br />

Obst und Gemüse gibt und dass die<br />

Wurst auf dem Brot von einem Tier<br />

stammt – und diese Tiere für uns sterben.<br />

So werden sie zu verantwortungsvollen,<br />

genussvollen Essern und aufmerksamen<br />

Verbrauchern, die mit<br />

viel Selbstvertrauen als junge Erwachsene<br />

die Welt der Kulinarik weiter für<br />

sich entdecken. Und wenn Sie mich<br />

zum Abschluss fragen, wie ich es mit<br />

der Ernährung halte, dann kann ich<br />

Ihnen meinen einfachen Grundsatz<br />

mit auf den Weg geben: Möglichst oft<br />

frisch kochen und dabei saisonale und<br />

regionale Zutaten verwenden. Am<br />

besten aus Bio-Anbau. Ab und zu eine<br />

Leckerei ist vollkommen in Ordnung.<br />

Und wenn es mal ein Stück Kuchen<br />

mehr geworden ist, geht die Welt auch<br />

nicht unter. Wichtig ist die Wertschätzung<br />

und Achtsamkeit den Lebensmitteln<br />

gegenüber.<br />

6 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

SPECIAL


TRENDS<br />

Von Ultra-Lokal bis Fast-Good<br />

Welche <strong>Mehrwert</strong>e schätzt und honoriert der Gast auf dem Teller? Was liebt, was meidet er?<br />

Eine Trend-Analyse von Hanni Rützler – Ernährungsforscherin, Esskultur-Expertin und Verkosterin<br />

des ersten In-vitro-Burgers der Welt.<br />

Von der Nase bis zum Schwanz,<br />

von der Wurzel bis zum Blatt,<br />

vom Acker bis zum Teller – so lauten<br />

seit einigen Jahren die Überschriften<br />

vieler Beiträge zur Zukunft des Essens.<br />

In der Trendsprache Englisch hört<br />

sich das so ähnlich an: Nose to Tail,<br />

Root to Leaf, Farm to Fork. Sie alle haben<br />

eines gemeinsam: In ihnen<br />

kommt der (neue) Respekt der Konsumenten<br />

vor ihren Lebensmitteln<br />

zum Ausdruck, das Wissen oder zumindest<br />

die Ahnung, dass man nur<br />

wirklich genießen kann, was nicht nur<br />

im kulinarischen Sinn „gut“ ist. Für<br />

mehr und mehr Konsumenten ist ein<br />

Essen erst dann gut, wenn es ihnen<br />

über gustatorische Empfindungen hinaus<br />

„schmeckt“, wenn ihre Lebensmittel<br />

und Speisen einen <strong>Mehrwert</strong><br />

haben, den sie auch zu honorieren bereit<br />

sind: durch Markentreue oder<br />

Akzeptanz höherer Preise. Ein solcher<br />

<strong>Mehrwert</strong> stellt sich ein, wenn die<br />

Produktion von Lebensmitteln den<br />

ethischen Werten, die einem wichtig<br />

sind, entgegenkommt. Oder wenn<br />

Speisen den Wunsch nach einer gesunden<br />

Lebensführung unterstützen<br />

– oder Verpflegungsangebote und<br />

Services die Ernährung im stets stressigen<br />

Alltag erleichtern. Nicht zuletzt<br />

stellt sich ein <strong>Mehrwert</strong> auch dann<br />

ein, wenn bestimmte Produkte und<br />

<strong>Mehrwert</strong>e auf dem<br />

Teller erzeugen.<br />

Zur Autorin<br />

Hanni Rützler zählt zu den renommiertesten Ernährungsforscherinnen<br />

in Europa. Die Österreicherin leitet das von ihr<br />

gegründete Futurefoodstudio in Wien und ist Autorin<br />

zahlreicher Bücher rund um unser Ess- und Trinkverhalten.<br />

Gemeinsam mit der Lebensmittel Zeitung der dfv Mediengruppe<br />

hat sie in diesem Jahr bereits den vierten Food<br />

Report veröffentlicht. Er gilt als Trendbibel für die Außer-<br />

Haus-Branche und zeigt, wohin die Reise geht.<br />

www.futurefoodstudio.at<br />

Zubereitungsarten dazu taugen, der<br />

persönlichen Individualität und dem<br />

jeweiligen Lebensstil Ausdruck zu<br />

verleihen. All das spiegelt sich in unterschiedlichen<br />

Food-Trends wider.<br />

Food-Trends, so könnte man also daraus<br />

schließen, sind Entwicklungen<br />

innerhalb einer Esskultur, die – so sie<br />

sich durchsetzen – <strong>Mehrwert</strong>e versprechen.<br />

Seit es beim Essen nicht<br />

mehr nur darum geht, satt zu werden,<br />

fällt unser Blick auf die sich in Food-<br />

Trends manifestierenden Lösungsan-<br />

Fotos: Dan Barbers Blue Hill, freiluftsupermarkt.de, Lars Hübner (Wild & Root), Nobelhardt & Schmutzig,<br />

Thomas Wunderlich, Sons & Daughters, Endless Simmer | Naomi Robinson (Elle Germany | pinterest.com)<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

7


SPECIAL<br />

TRENDS<br />

Das Restaurant<br />

Dan Barbers Blue<br />

Hill in New York<br />

setzt lokale Zutaten<br />

als Tischdeko<br />

gekonnt in Szene.<br />

langsam auch in der Gemeinschaftsgastronomie<br />

durch. Insbesondere für Betriebsrestaurants<br />

werden die Verwendung<br />

regionaler Produkte sowie die<br />

wertschätzende Verarbeitung zu einem<br />

wichtigen Corporate Identity Tool.<br />

Unternehmen, die eine hohe Produktqualität,<br />

Nachhaltigkeit bei den Herstellungsverfahren<br />

und Social Responsibility<br />

zu ihren zentralen Werten zählen,<br />

versuchen diese auch nach innen<br />

durch korrespondierende Maßnahmen<br />

bei der Verpflegung zum Ausdruck zu<br />

bringen. Apropos Identity: Essen wird<br />

Immer mehr<br />

Restaurants setzen<br />

auf den Trend<br />

„Brutal Lokal“.<br />

gebote für unsere Ernährungsprobleme<br />

sowie unsere kulinarischen Sehnsüchte.<br />

Naturgemäß sind diese Sehnsüchte<br />

und Probleme in komplexen<br />

Gesellschaften sehr unterschiedlich.<br />

Das heißt: Die Zukunft unseres Essens<br />

wird von vielen sich zum Teil<br />

überlagernden, verstärkenden, zum<br />

Teil aber auch widersprechenden<br />

Food-Trends bestimmt werden. Neben<br />

Fast Food und Convenience –<br />

zwei wichtigen Trends des ausgehenden<br />

20. Jahrhunderts – gewinnen seit<br />

einigen Jahren andere Trends an Einfluss.<br />

Es sind besonders jene Trends, in<br />

denen sich die Konsum- und Lifestyle-Bedürfnisse<br />

der Verbraucher<br />

mit dem Stand des Wissens über die<br />

globale Agrar- und Lebensmittelproduktion<br />

vereinen. Immer mehr Konsumenten<br />

suchen daher nach Orientierungshilfen<br />

bei der Wahl ihrer Lebensmittel,<br />

deren Herstellung nicht<br />

die Umwelt belastet oder unnötiges<br />

Tierleid verursacht. Produkte aus regionaler<br />

Herkunft, die eng mit dem<br />

„Terroir“ und den Menschen, die sie<br />

herstellen, verbunden sind, erzählen<br />

Geschichten, die Orientierung geben<br />

und der Sehnsucht der Konsumenten<br />

nach Vertrautheit, Natürlichkeit und<br />

Authentizität entgegenkommen. Zugleich<br />

begünstigt der Local Food<br />

Trend die Wiederentdeckung regionaler<br />

Speisen und die Renaissance<br />

handwerklicher und manufaktureller<br />

Produktionsweisen. Die wachsende<br />

Verbraucher suchen nach<br />

Orientierung.<br />

Fokussierung auf regionale Lebensmittel<br />

geht auch einher mit einer Rückbesinnung<br />

auf saisonale Verfügbarkeit sowie<br />

auf spezifische Sorten und Rassen.<br />

Was in der gehobenen Gastronomie<br />

heute schon fast Standard ist, setzt sich<br />

Essen wird immer mehr<br />

zum Stilmittel.<br />

auf individueller Ebene immer mehr<br />

zum Stil- und Identifikationsmittel.<br />

So definieren wir uns heute mehr und<br />

mehr über unsere Ernährung statt<br />

über Mode, Musikvorlieben und Autos,<br />

die wir fahren. Insbesondere darüber,<br />

was wir nicht essen: Durch das<br />

Weglassen bestimmter Lebensmittel<br />

und Inhaltsstoffe kann man signalisieren,<br />

wer oder was man ist oder zumindest<br />

sein will. Das wird besonders<br />

deutlich bei religiös oder ethisch begründeten<br />

Ernährungsweisen, die mit<br />

klaren Esstabus und Speisevorschriften<br />

die Abgrenzung von Mainstream-<br />

Essern ermöglichen. Spätestens mit<br />

der Popularisierung des Veganismus<br />

ist Spiritual Food zu einem markanten<br />

Trend geworden. Auch koschere<br />

und Halal-Lebensmittel rücken wie-<br />

8 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016


TRENDS<br />

der verstärkt ins Zentrum der Aufmerksamkeit.<br />

Nicht nur aufgrund der<br />

zunehmenden ethischen Durchmischung<br />

unserer Gesellschaft, sondern<br />

weil sie oft auch von nicht-religiösen<br />

Konsumenten als „sicherer“ oder authentischer<br />

eingestuft werden als die<br />

Durchschnittsware. Neben Vertrautheit,<br />

Natürlichkeit und Authentizität<br />

ist nach wie vor Gesundheit für viele<br />

ein zentraler Wert. Die Ernährung<br />

spielt hierbei eine tragende Rolle. Für<br />

die meisten Konsumenten bestimmen<br />

dabei nicht klassisch naturwissenschaftliche<br />

Argumente – wie sie<br />

bei der Promotion von Functional<br />

Food überstrapaziert werden – die<br />

Wahrnehmung, sondern das überlieferte<br />

Alltagswissen, dass der Konsum<br />

pflanzlicher Lebensmittel wie Obst,<br />

Gemüse und Getreideprodukte auf<br />

natürliche Weise zu einer optimalen<br />

Ernährung beiträgt. Besonders Ernährungssysteme<br />

aus Fernost vereinen<br />

scheinbar mühelos die zyklisch<br />

wechselnden, gesundheitlich motivierten<br />

Diätbewegungen in den westlichen<br />

Gesellschaften: weniger Fett,<br />

weniger Salz und weniger Zucker. Die<br />

kulinarischen Vorbilder aus Thailand,<br />

Japan und Indien mit ihrem hohen<br />

Anteil an vegetabilen Lebensmitteln<br />

tragen dazu bei, den scheinbaren<br />

Widerspruch zwischen gesundem Essen<br />

und Genuss aufzuheben. Sie fokussieren<br />

unter dem Gesundheitsaspekt<br />

nicht auf Verzicht, Kontrolle<br />

und Zwang, sondern auf eine Ernährung,<br />

die kulinarisch anregend und<br />

⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖⌖<br />

CON-<br />

VENIENCE<br />

FUNCTIONAL<br />

FOOD<br />

trotzdem gesund ist. Und auf Lebensmittel<br />

und Speisen, die uns auch im<br />

Alltag eine gesunde Lebensweise erleichtern,<br />

weil sie uns schmecken und<br />

ohne strikten Diätplan zuzubereiten<br />

sind. Ein Trend, der mit dem Begriff<br />

Speisen aus allen Teilen<br />

der Pflanze zubereiten.<br />

LOCAL<br />

FOOD<br />

SPIRITUAL<br />

FOOD<br />

FAST<br />

FOOD<br />

Soft Health Food am besten zu beschreiben<br />

ist. Infolge dieser Einflüsse<br />

wird Gemüse auch von traditionellen<br />

Köchen in Europa mit größerem Respekt<br />

zubereitet. Die kulinarische Aufwertung<br />

pflanzlicher Nahrung erleichtert<br />

es, den Fleischanteil an unserer<br />

Nahrung zu verringern und erübrigt<br />

zunehmend auch die Herstellung<br />

fleischähnlicher Produkte, beispielsweise<br />

aus Soja. Mit ihr einher geht eine<br />

neue Wertschätzung der ganzen<br />

Pflanze beziehungsweise der ganzen<br />

Frucht, die sich auch in vielen neuen<br />

Kochbüchern widerspiegelt (Root to<br />

Leaf). Sie enthalten anregende Rezepte,<br />

in denen auch jene Teile kulinarisch<br />

geadelt werden, die sonst häufig<br />

im Mülleimer landen: von der Schale<br />

der Wassermelone bis zu den Blättern<br />

der Kohlrabi-Knolle. Im Foodie-Milieu<br />

gehört es längst zur besonderen<br />

Auszeichnung, wenn Speisen aus allen<br />

Teilen des Tieres oder der Pflanze zubereitet<br />

werden.<br />

Food-Trends auf<br />

dem Teller erzeugen<br />

<strong>Mehrwert</strong>e<br />

für den Gast.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

9


UMFRAGE<br />

Der Preis verliert als<br />

wichtigstes Einkaufskriterium<br />

an Gewicht.<br />

Frische lautet stattdessen<br />

das neue Zauberwort.<br />

Doch nicht nur dafür<br />

zahlt der Gast heute<br />

gerne mehr, wie eine<br />

exklusive Umfrage mit<br />

300 Profis aus GV und<br />

Gastronomie zeigt.<br />

Gast honoriert <strong>Mehrwert</strong>e<br />

Geiz ist geil war gestern. Heute<br />

schauen Gemeinschafts- und<br />

Profigastronomen zunächst auf<br />

Qualität und Frische beim Einkauf<br />

ihrer Produkte, gefolgt von den Kriterien<br />

„Nachhaltig“ und „Clean Label“.<br />

Erst der zweite Blick fällt bei der<br />

Gäste lieben Front-Cooking<br />

Für welche Produkte/Menüs sind die Gäste<br />

am ehesten bereit, mehr zu zahlen?<br />

Front-Cooking 59,9<br />

Fleisch aus artgerechter Haltung 46,3<br />

Menüs mit regionalen Zutaten 46,3<br />

Bio-Gericht 41,2<br />

Fisch aus nachhaltigem Fang 35,6<br />

Produkte aus fairem Handel 26,6<br />

Gesunde Speisen 26,0<br />

Vegane Speisen 24,9<br />

Vegetarische Speisen 16,9<br />

Gericht vom Sternekoch 13,6<br />

%<br />

Quelle: gv-praxis/food-service, Mehrfachnennungen möglich, n = 182<br />

© gv-praxis-grafik<br />

Mehrheit der Entscheider auf den<br />

Preis. Dies zeigt eine exklusive Umfrage<br />

von gv-praxis und food-service,<br />

bei der 300 Entscheider ihr Votum<br />

zu Einkaufsverhalten und Gastkommunikation<br />

abgaben. Was überrascht:<br />

Lebensmittel ohne „Makeup“<br />

– kurzum ohne Zusatzstoffe wie<br />

künstliche Aromen und Farbstoffe –<br />

avancieren zur begehrten Ware, für<br />

die jeder vierte Einkäufer auch bereit<br />

ist, mehr zu zahlen. Gleichzeitig prägt<br />

der Nachhaltigkeitsgedanke immer<br />

stärker das Einkaufsverhalten – insbesondere<br />

in der Gemeinschaftsgastronomie.<br />

Hier schaut jeder Zweite,<br />

ob die Ware „grüne“ Pluspunkte verspricht.<br />

Insgesamt wächst der Anspruch<br />

an den Handel. Die Einkäufer<br />

erwarten heute eine aufrichtige und<br />

faire Partnerschaft. Ebenso gefragt<br />

Der Anspruch an den<br />

Handel wächst.<br />

sind ehrliche Produkte zu fairen Preisen,<br />

die Bauern und Herstellern ein<br />

gerechtes Einkommen garantieren.<br />

Keine Selbstverständlichkeit bei den<br />

Dumpingpreisen in Deutschland.<br />

Ein Systemgastronom merkt dazu<br />

kritisch an: „Bei nachhaltigen Lebensmitteln<br />

mit <strong>Mehrwert</strong>en wie<br />

Bio, fair und regional sollte der Handel<br />

mit niedrigeren Gewinnen zufrie-<br />

10 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Foto: Thomas Fedra<br />

SPECIAL


UMFRAGE<br />

Der Preis dominiert nicht mehr den Einkauf<br />

Welches Einkaufskriterium ist Ihnen sehr wichtig?<br />

66,3<br />

61,4<br />

Gemeinschaftsgastronomie<br />

50,6<br />

48,7<br />

44,2<br />

35,2<br />

22,0<br />

18,6<br />

15,9<br />

8,7<br />

8,5<br />

8,1<br />

7,1<br />

6,1<br />

Top-Qualität<br />

Hoher Frischegrad<br />

Nachhaltigkeit<br />

Produkt aus Region<br />

Clean Label<br />

Profigastronomie<br />

33,3<br />

28,9<br />

38,2<br />

32,6<br />

33,7<br />

19,1<br />

17,8<br />

18,0<br />

16,9<br />

15,3<br />

19,5<br />

11,4<br />

Werte gerankt nach: Gemeinschaftsgastronomie Quelle: gv-praxis/food-service, n = 189<br />

Preis<br />

Produkt mit garantierter Ursprungsbezeichnung<br />

Produkt aus fairem Handel<br />

Bio-Produkt<br />

Frei-von-Produkt<br />

Produkt aus handwerklicher Herstellung<br />

Top-Hersteller-Marke<br />

Hoher Conveniencegrad<br />

Eigenmarke Handel<br />

%<br />

84,6<br />

70,0<br />

© gv-praxis-grafik<br />

Die ersten fünf<br />

Kriterien sind den<br />

Gastro-Profis beim<br />

Einkauf nicht nur<br />

wichtig, sie sind<br />

ebenso bereit, für<br />

die Attribute Top-<br />

Qualität, Frische,<br />

Nachhaltigkeit,<br />

Regional und Clean<br />

Label mehr zu<br />

zahlen.<br />

den sein und die geringere Marge<br />

nicht ausschließlich an den Endverkäufer<br />

abwälzen.“ Schließlich haben<br />

Fleisch aus artgerechter Haltung und<br />

Paprika aus Bio-Anbau ihren Preis,<br />

den der Gastronom nur zu einem gewissen<br />

Grad an den Gast weitergeben<br />

kann, wie die Umfrage zeigt. Bei einem<br />

Aufschlag von 25 Prozent ist bei<br />

den meisten Gästen allerspätestens<br />

die finanzielle Schmerzgrenze erreicht.<br />

Der Großteil der Restaurantbesucher<br />

honoriert ein höherwertiges<br />

Angebot mit einem Aufpreis von maximal<br />

10 Prozent, beobachten rund 45<br />

Prozent der Befragten. Vor allem für<br />

frisch zubereitete Menüs greift der<br />

Gast gerne tiefer in die Tasche, wie die<br />

Umfrage zeigt (siehe Grafik ). Erst danach<br />

folgen <strong>Mehrwert</strong>-Faktoren wie<br />

„Regional“ oder „Fleisch aus artgerechter<br />

Tierhaltung“. Positiv: Der<br />

Gast honoriert immer häufiger eine<br />

nachhaltige und transparente Einkaufspolitik<br />

und schaut nicht mehr allein<br />

auf Schnitzelgröße und Preis.<br />

Gleichzeitig fragen die Kunden im<br />

Vergleich zu 2010 vermehrt nach, woher<br />

Steak und Salat auf dem Teller eigentlich<br />

stammen. Zwei Drittel der<br />

Entscheider informieren ihre Gäste<br />

wohl auch deshalb über Lieferanten<br />

Persönliches Gespräch<br />

mit Gast wichtig.<br />

Herkunft der Produkte<br />

Interessieren sich heute mehr Gäste für die<br />

Herkunft der Produkte im Vergleich zu 2010?<br />

75,9<br />

11,2<br />

12,9<br />

Quelle: gv-praxis/food-service, n = 170<br />

Nein<br />

Ja<br />

Weiß nicht<br />

%<br />

© gv-praxis-grafik<br />

und Hersteller. Während Profigastronomen<br />

dafür neben persönlichem Gespräch<br />

und Homepage Social-Media-<br />

Plattformen wie Facebook nutzen,<br />

setzen die Kollegen in Betriebsrestaurants,<br />

Kliniken und Mensen auf den<br />

klassischen Aushang im Speisenraum,<br />

gefolgt vom persönlichen Gespräch<br />

und Intranet. Neben Herkunft gewinnt<br />

das Thema Gesundheit an Gewicht:<br />

Zwei Drittel der Gastroprofis<br />

glauben, dass sich mit einem betont<br />

gesunden Angebot mehr Umsatz machen<br />

lässt. Doch was heißt beim Gast<br />

gesund? Ein hoher Frischegrad sei hier<br />

das Nonplusultra, gefolgt von Kriterien<br />

wie Veggie, ohne Gentechnik und<br />

Zusatzstoffe, so die Meinung der Befragten.<br />

Frische – so viel steht fest – ist<br />

heute die Basis für mehr Wertschätzung<br />

auf dem Teller. Claudia Zilz<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

11


SPECIAL<br />

Transparenz – ein Muss<br />

Vertrauen ist die wichtigste Währung der Lebensmittelwirtschaft, die in jahrelanger<br />

Anstrengung aufgebaut und entwickelt werden muss. Manchmal reicht eine Sekunde –<br />

und gewonnenes Vertrauen ist dahin.<br />

Nahrungsmittel reisen um die halbe<br />

Welt, bevor sie beim Endverbraucher<br />

ankommen – schwierig für<br />

die Industrie, hier eine hundertprozentige<br />

Sicherung der gesamten Lieferkette<br />

zu gewährleisten. In den Medien<br />

reißerisch behandelte Lebensmittelskandale<br />

nagen am Vertrauen der<br />

Konsumenten. Gleichzeitig steigert<br />

eine kaufkräftige Mittelschicht ihre<br />

Ansprüche an Qualität und Sicherheit<br />

von Lebensmitteln. In einer Zeit, in<br />

der die Qualitätskontrollen so gut,<br />

umfassend und tiefgreifend wie nie zuvor<br />

sind, registrieren wirauf Käuferseite<br />

dennoch eine Verunsicherung.<br />

Doch nicht alle Verbraucher haben gegenüber<br />

Lebensmitteln ein grundsätzliches<br />

Misstrauen. „Die meisten Menschen<br />

wollen vertrauen. Wir sind einfach<br />

nicht dazu gemacht, permanent<br />

12 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

abzuwägen“, sagt Jens Krüger, Geschäftsführer<br />

des Marktforschungsinstituts<br />

TNS Infratest. Das Gros geht<br />

davon aus, dass mit den Produkten in<br />

Supermarkt und Gastronomie schon<br />

alles in Ordnung ist und verschwendet<br />

keine größeren Gedanken an Herkunft<br />

und Verarbeitung. Aber: Immer<br />

Die meisten Menschen<br />

wollen vertrauen.<br />

mehr Konsumenten schauen genau<br />

hin und fragen nach– besonders beim<br />

Essen. Die eine Studie nennt sie Quality<br />

Eaters, eine andere Food eVangelists.<br />

Gemeinsam ist ihnen ein sehr reflektiertes<br />

Kaufverhalten und ein hoher<br />

Anspruch an das eigene Verhalten<br />

und an das der Lebensmittelhändler<br />

Fotos: Kasto (fotolia.de), Transfair<br />

und Gastronomen. Sie wollen alles<br />

richtig machen und reagieren hochsensibel,<br />

wenn sie sich getäuscht fühlen.<br />

Sie engagieren sich, um Produktion,<br />

Verarbeitung sowie den Vertrieb<br />

von Lebensmitteln zu beeinflussen<br />

und fordern von der Industrie mehr<br />

Transparenz und Ehrlichkeit. Sie sind<br />

das, was die Marktforschung „Early<br />

Adopter“ nennt. Damit ist absehbar,<br />

dass eine engagierte, kritische Haltung<br />

zunehmend zum normalen Verbraucherverhalten<br />

wird, so die Ergebnisse<br />

der aktuellen Studie „Food 2020“ der<br />

Agentur Ketchum Pleon. Insgesamt<br />

sind die Verbraucher mündiger und<br />

wacher geworden. Portale wie etwa<br />

foodwatch.de oder lebensmittelwarnung.de<br />

erfreuen sich sehr guter Besucherzahlen<br />

– die Menschen sind auf<br />

der Suche nach vertrauenswürdigen


DIALOG<br />

In Deutschland gibt es<br />

eine Vertrauenskrise.<br />

Quellen und wollen sicher sein bei<br />

dem, was sie selbst konsumieren oder<br />

ihrer Familie vorsetzen. Dabei ist es<br />

gerade um die Sicherheit bei Lebensmitteln<br />

in Deutschland gut bestellt. In<br />

den letzten fünf Jahren wurden im<br />

Schnitt jährlich gerade einmal 100 Lebensmittelwarnungen<br />

über den Twitter-Kanal<br />

von www.lebensmittelwarnung.de<br />

veröffentlicht. Die Seite wird<br />

vom Bundesamt für Verbraucherschutz<br />

und Lebensmittelsicherheit<br />

betrieben. „Das Vertrauen in die deutsche<br />

Lebensmittelindustrie ist durchaus<br />

zufriedenstellend und liegt weit<br />

vor dem gegenüber der Automobilund<br />

Bankenbranche“, weiß Jens Krüger,<br />

der für den Verein Lebensmittelwirtschaft<br />

im vergangenen Jahr Verbraucher<br />

befragte, wie es um ihre Meinung<br />

zu unterschiedlichen Branchen<br />

bestellt ist. „Wir haben allerdings<br />

prinzipiell in Deutschland eine Vertrauenskrise,<br />

was auch mit der Digitalisierung<br />

zu tun hat.“ Durch eine „Wiki“-isierung<br />

des Wissens gibt es zu viele,<br />

auch widersprüchliche Informationen.<br />

Damit wird es immer<br />

schwieriger, zu einer fundierten Meinung<br />

zu gelangen. Krüger ist überzeugt,<br />

dass der Verbraucher heute nur<br />

noch der Stiftung Warentest als neutraler<br />

Quelle vertraut. Direkt danach<br />

Der Weg zum Vertrauen<br />

Die Führungsebene muss engagiert vorangehen und<br />

nach innen und außen ein Vorbild sein.<br />

Unternehmen sollten verbindlich, schnell, freundlich und<br />

kompetent mit Input von außen umgehen.<br />

Im ständigen Optimierungsprozess das eigene Verhalten<br />

und das der Mitarbeiter auf den Prüfstand stellen.<br />

Immer die Mitarbeiter mit ins Boot holen, um bei Kritik<br />

professionell reagieren zu können.<br />

Zulieferkette samt Lieferpartner so gut wie möglich<br />

kennen und Risikomanagement vorbereiten und mit<br />

gesamtem Team absprechen.<br />

Transparenz gegenüber den Kunden zeigen, z. B. mit<br />

Lieferanten-Fibel (Profil der Partner) oder Storytelling.<br />

Kommunikationskanäle wie Social-Media-Einträge im<br />

Blick behalten und bei Kritik sofort besonnen reagieren.<br />

Smartphones schnell gezückt<br />

Jeder Fünfte googelt beim Einkauf<br />

29<br />

Jahre 14-18<br />

26<br />

19-29<br />

Quelle: BMEL – Ernährungsreport 2016<br />

22<br />

30-44<br />

Unternehmen spüren<br />

Veränderungsdruck.<br />

45-59<br />

kommen Freunde und Bekannte. Diese<br />

Einschätzung teilen auch die Studien<br />

Ketchum Food 2020 und das Edelman-Trust-Barometer.<br />

„Im Bereich<br />

Lebensmittel und Ernährung haben<br />

wir in Deutschland 80 Millionen Experten.<br />

Das Thema betrifft jeden Einzelnen“,<br />

sagt Ulrich Helzer, Leiter des<br />

Corporate-Affairs-Geschäfts bei<br />

Edelman.ergo. Ein großer Teil sei jedoch<br />

beim Vertrauen noch nicht festgelegt,<br />

sondern wäge je nach gesellschaftlicher<br />

und medialer Diskussion<br />

ab.<br />

Beim Spiel der medialen Diskussion<br />

sind die Gastronomen bisher aktiver<br />

als die Lebensmittelindustrie. Restaurants<br />

konnten in den vergangenen<br />

Jahren über das unmittelbare Feedback<br />

auf Portalen wie Yelp oder Tripadvisor<br />

die Auswirkungen einer einzelnen<br />

harschen Kritik am eigenen<br />

Leib spüren. Sie haben den Dialog mit<br />

den Kunden aufgenommen und reagieren<br />

inzwischen professionell mit<br />

entsprechenden Gegenmaßnahmen.<br />

In diesem Punkt hinkt die Industrie<br />

noch hinterher. Die Zeiten sind vorbei,<br />

dass Kunden zwar vorher befragt<br />

werden, man die Produkte jedoch<br />

dann hinter verschlossenen Türen<br />

nach Gutdünken entwickelt – in der<br />

selbstbewussten Überzeugung, dass<br />

sich diese mit dem richtigen Marketing<br />

schon verkaufen lassen. „Die Industrie<br />

muss lernen, zuzuhören – und<br />

tut das an vielen Stellen auch schon.<br />

Ich erlebe das als echten Veränderungswillen,<br />

weil alle eben auch den<br />

Veränderungsdruck spüren“, berichtet<br />

Krüger und ergänzt: „Hersteller<br />

hören auf Konsumenten heute nicht<br />

nur über Marktforschung und Trendstudien,<br />

sondern auch über eigens dafür<br />

kreierte Plattformen und Verbraucherbeiräte.<br />

Von dort kommen die Innovationen!“<br />

Eine enge Kooperation<br />

zwischen Gastronomie und Lebensmittelhersteller<br />

wird immer wichtiger,<br />

um den Informationsbedarf der<br />

Kundschaft stillen zu können –<br />

schließlich steigt von Tag zu Tag der<br />

Anspruch, die gewünschten Informationen<br />

sofort, mundgerecht und auf<br />

dem Silbertablet(t) zu erhalten.<br />

Laut Krüger könnte es durchaus noch<br />

Dekaden dauern, bis das in der Branche<br />

durchweg gelebt wird. Ob der<br />

Zeitgeist allerdings so geduldig sein<br />

wird, bleibt fraglich. Zu leicht kann<br />

dieser Wissensdrang jederzeit in eine<br />

Vorwurfhaltung kippen: Unternehmen,<br />

die nicht aus eigenem Antrieb<br />

ihre Lieferketten und Produktionsstätten<br />

transparent darstellen und den<br />

Dialog mit dem Abnehmer scheuen,<br />

könnten schnell unter dem Generalverdacht<br />

des „Etwas-Verbergen-Müssens“<br />

stehen.<br />

Daniela Dietz<br />

15<br />

%<br />

17<br />

60 Jahre<br />

und älter<br />

© gv-praxis-grafik<br />

Ein Fünftel der<br />

Smartphone-Besitzer<br />

googelt beim<br />

Einkauf, 14 Prozent<br />

rufen QR-Codes auf,<br />

wenn sie mehr<br />

wissen wollen.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

13


SPECIAL<br />

„Erzählen Sie Geschichten!“<br />

Nicht mehr und nicht weniger als eine<br />

Ernährungswende fordert Harald Lemke,<br />

Buchautor und freier Philosoph mit<br />

Schwerpunkt Gastrosophie. Seine These:<br />

Ein gutes Leben ist ohne gut zu essen<br />

nicht möglich.<br />

Herr Lemke, was gab es bei Ihnen heute zu Mittag?<br />

Harald Lemke: Reste – darauf greife ich manchmal<br />

zurück, wenn es schnell gehen muss. Diesmal gab es Sauerkraut<br />

mit Nudeln, etwas Speck und Schafskäse. Sehr zu<br />

empfehlen!<br />

Bei mir musste es auch schnell gehen, aber ich habe<br />

TK-Pizza und TK-Desserts aus der Truhe geholt. Muss<br />

ich ein schlechtes Gewissen haben?<br />

Lemke: Ich bin kein Freund von moralischem Rigorismus.<br />

Mit anderen Worten: Ausnahmen sind möglich. Wenn allerdings<br />

jede Mahlzeit aus der Truhe käme, hätte ich schon<br />

Zweifel, ob Sie die beste Option wählen.<br />

Eine Alternative zu TK-Gerichten wäre beispielsweise<br />

Hello fresh – ein Lieferdienst, der Lebensmittel an-<br />

14 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016


INTERVIEW<br />

Harald Lemke<br />

Der 1965 in Baden-Württemberg geborene Professor der Philosophie lehrt an den<br />

Universitäten in Hamburg und Salzburg und ist Gastprofessor in Shanghai und<br />

Kyoto sowie an der Slow-Food-Universität in Pollenzo. In Österreich leitet Harald<br />

Lemke das von ihm ins Leben gerufene Internationale Forum Gastrosophie<br />

(www.gastrosophie.net). Diese wissenschaftliche <strong>Spezial</strong>disziplin beschäftigt sich<br />

mit Essen in seiner ganzheitlichen Form – politische, gesundheitliche, soziale<br />

Aspekte inklusive. In zahlreichen Büchern und anderen Publikationen engagiert<br />

sich Lemke für eine verantwortungsvolle Esskultur ohne Massentierhaltung und<br />

Billigprodukte.<br />

hand von vorher ausgewählten Rezepten auf das<br />

Gramm genau konfektioniert. Sprich: Man bekommt<br />

im Paket nur geliefert, was als Zutat gebraucht wird.<br />

Entspricht das eher dem gastrosophischen Ideal?<br />

Lemke: Für mich ist das ein Beispiel für eine neue Spezies<br />

von Food-Entrepreneurship vor dem zeitgeschichtlichen<br />

Hintergrund wachsender Flexibilisierung und Individualisierung.<br />

Solche Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen,<br />

ist sicherlich eine Möglichkeit, bestimmte<br />

Lebensstile zu optimieren.<br />

Aber ist es denn sinnvoll, sich<br />

sein Leben so einzurichten, dass für<br />

den Anbau von Lebensmitteln, für<br />

Einkaufen und Kochen zu wenig Zeit bleibt? Schließlich<br />

haben wir in unserer Gesellschaft noch nie so viel freie Zeit<br />

zur Verfügung gehabt wie heute.<br />

„Unser Essverhalten ist derzeit<br />

das größte globale Problem.“<br />

Wie ist es aus Ihrer Sicht um das Ernährungsverhalten<br />

der Deutschen bestellt?<br />

Lemke: Nicht gut. Denn Essen und Trinken werden als<br />

Teil des eigenen Lebens so weit wie möglich zur Nebensache<br />

gemacht – auf alle Fälle muss es schnell gehen und<br />

möglichst billig sein. Statistiken belegen, dass es in der Hinsicht<br />

nicht wirklich Veränderungen gibt, obwohl sich in<br />

den Medien eine größere gesellschaftliche Hinwendung<br />

zum Thema beobachten lässt und auch eine verstärkte<br />

Wertschätzung. Die Realität aber hinkt hinter dieser Zuschreibung<br />

her. Allerdings bin ich optimistisch, dass sich<br />

diese Diskrepanz verringern wird.<br />

Warum?<br />

Lemke: Jeden Tag wächst das Problembewusstsein für die<br />

mit unserem Ernährungsstil verbundenen Folgeerscheinungen<br />

– Massentierhaltung, Monokulturen in der Landwirtschaft,<br />

ernährungsbedingte Erkrankungen. Unser Essverhalten<br />

bildet die Schnittstelle, an der wir Menschen am<br />

unmittelbarsten mit der Natur interagieren – derzeit das<br />

global größte gesellschaftliche Problem! Denn angesichts<br />

der rasant wachsenden Weltbevölkerung können wir uns<br />

ineffiziente Produktionsmethoden und Unmengen weggeworfener<br />

Lebensmittel nicht mehr leisten. Noch vor<br />

zehn Jahren waren volle Supermarktregale ein wichtiger<br />

Faktor für den sozialen Frieden, demonstrierten die Leistungsfähigkeit<br />

unserer Volkswirtschaft; das Schlaraffenland<br />

– uralter Menschheitsmythos – war Realität. Jetzt bekommen<br />

wir genau dafür die Rechnung präsentiert.<br />

Wie erklären Sie sich, dass Eltern für ein Happy Meal bei<br />

McDonald's 5 Euro ausgeben, sich aber über den Preis<br />

von 3,50 Euro für eine Mittagsmahlzeit in der Schulmensa<br />

beschweren?<br />

Lemke: Unser Wertesystem folgt immer noch der Lehre<br />

Platons, wonach der Mensch als Homo sapiens in erster<br />

Linie Geist ist und der Körper und sein Nahrungsbedürfnis<br />

bloßes Anhängsel. Buddhistisch oder taoistisch beeinflusste<br />

Kulturen kennen diesen Dualismus und diese Geringschätzung<br />

nicht und messen dem Essen als wesentlichem<br />

Teil des menschlichen Lebens einen höheren Stellenwert<br />

zu. In unserer westlichen Kultur aber reicht angeblich für<br />

gutes Essen das Geld nicht, während man für Konzerte,<br />

Fußballspiele und Autos tief in die Tasche greift. Hier geht<br />

es um Fragen der Lebensqualität und um ein neues Bewusstsein<br />

– das sind zentrale Aufgaben der Gastrosophie.<br />

Wie wird man denn zum Gastrosophen?<br />

Lemke: Man muss unterscheiden zwischen Gastrosophie<br />

als universitärer Disziplin und der<br />

sozialen Bewegung. Denn man<br />

muss nicht Gastrosophie studieren,<br />

um Gastrosoph zu werden.<br />

Das kann vielmehr jeder – jeder<br />

Konsument, aber auch jedes Unternehmen, einfach indem<br />

man dem Thema Essen eine gelebte Wertschätzung entgegenbringt<br />

und die zahlreichen gesellschaftlichen Zusammenhänge,<br />

die damit verbunden sind, ernst nimmt. Wenn<br />

ich als Konsument und als Bürger Verantwortung übernehmen<br />

will, kann ich das beim täglichen Essen jederzeit.<br />

Ich kann zwar das Gesamtproblem nicht auf einmal lösen.<br />

Wohl aber kleine Impulse setzen in die richtige Richtung.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

15


SPECIAL<br />

INTERVIEW<br />

Auch der Streetfood-Hype illustriert ein wachsendes Interesse<br />

junger Leute an handwerklich hergestelltem Essen<br />

und Trinken ...<br />

Lemke: Dieses Phänomen sehe ich eher unter der Überschrift<br />

„Feinschmecker/Gourmet“. Man interessiert sich<br />

für Zubereitungsformen, Kochgerätschaften, Rezepturen.<br />

Ja sogar so intensiv, dass sich das ganze Leben darum dreht<br />

und man den ganzen Tag nur Bier braut oder an anderen<br />

Delikatessen werkelt. Der Gourmet macht ähnlich wie der<br />

Gastronom das Essen zum beruflichen Vollzeitjob beziehungsweise<br />

zum existenziellen Lebensschwerpunkt.<br />

Welche Bevölkerungsgruppen und Institutionen sehen<br />

Sie als Schrittmacher?<br />

Lemke: Es sind alle Beteiligten gefragt – die Konsumenten,<br />

die Politiker und die Wirtschaftsakteure. Natürlich ist es<br />

aus Kostengründen für manche Haushalte schwierig, auf<br />

Fair Trade oder Bio umzustellen. Aber man kann sich auch<br />

besser ernähren, indem man nur manches austauscht, etwa<br />

eine Tüte Chips gegen einen selbstgemachten Snack, der<br />

weniger kostet. Wichtig sind auch die Lebensmittelproduzenten,<br />

von denen viele umzudenken<br />

beginnen und auf andere Produktionsmethoden<br />

umstellen. Außerdem<br />

die Politik, die man bewegen<br />

müsste, die Ernährungswende<br />

ähnlich programmatisch anzugehen wie die Energiewende.<br />

Mit dem Unterschied, dass eine bessere Esskultur eine weit<br />

umfassendere, zukunftsethische Aufgabe ist.<br />

Die vegan-vegetarische Bewegung erhält zurzeit viel Zulauf<br />

von Menschen.<br />

Lemke: Ein beachtliches Phänomen. Aber es stellt sich die<br />

Frage, ob die Präsenz in den Medien die Bewegung nicht<br />

größer erscheinen lässt, als sie ist. Nicht bewusst – sondern<br />

weil Medienmacher oft Akademiker sind und selbst an einer<br />

besseren Esskultur interessiert sind. Positiv an dem Hype<br />

ist, dass sich die Öffentlichkeit mit Ernährung auseinandersetzt,<br />

gesundheitlicher wie politischer Art.<br />

16 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

„Man müsste die Ernährungswende<br />

ähnlich angehen wie die Energiewende.“<br />

Und der typische Gastrosoph? Wie sieht dessen Tag aus?<br />

Lemke: Er verwendet nur einen Teil seines täglichen Tuns<br />

auf Essen und Ernährung. Ähnlich wie Immanuel Kant<br />

lädt der ideale Gastrosoph möglichst täglich Freunde zu<br />

Tischgesellschaften ein. Man kocht zusammen, baut vielleicht<br />

auch noch selbst Obst und Gemüse an. Das ist ein<br />

menschenwürdiger Lebensinhalt, der nicht nur für sich allein<br />

lustvoll Gutes verspricht, sondern auch noch den Planeten<br />

rettet. Derartige Tischgesellschaften wären Keimzellen<br />

für eine wahre Humanität! Wie eine Sonne der humanen<br />

Werte könnte dieser gemeinsame Lebensgenuss ausstrahlen<br />

in viele Bereiche der Gesellschaft: die Wirtschaft,<br />

das Gesundheitssystem, Bildungsinstitutionen. Zwischen<br />

Genussfähigkeit und Intelligenz entstünde eine Wechselwirkung<br />

– Platons Welt- und Menschenbild, das die philosophischen<br />

Grundlagen für unsere Fast-Food-Zivilisation<br />

schuf, würde abgelöst. Bis es dazu kommt, vergehen<br />

vermutlich noch 100 bis 200, vielleicht sogar 2000 Jahre.<br />

Was können Gastronomen und Großverpfleger bewegen?<br />

Welchen Rat geben Sie unseren Lesern?<br />

Lemke: Erzählen Sie Geschichten! Wir können davon ausgehen,<br />

dass die Konsumenten sehr wohl bereit sind, ein wenig<br />

mehr von ihrem Wohlstand für gutes Essen auszugeben.<br />

Dem Thema Zeit und Wertschätzung widmen. Hintergründe<br />

verraten etwas über die Herkunft von Zutaten,<br />

ihre Besonderheiten, Details der Zubereitung und Beschaffung.<br />

Nicht aufgeregt oder<br />

aufdringlich, sondern in einem<br />

Modus, der dem Konsumenten<br />

den höheren Preis verständlich<br />

macht. Dann fühlt dieser sich<br />

nicht belehrt, sondern erkennt die Ernsthaftigkeit der Absicht.<br />

Raumgestaltung und Pausenregelung sollten ebenfalls<br />

Wertschätzung zum Ausdruck bringen, nicht nur gegenüber<br />

dem Mitarbeiter, sondern auch gegenüber dem Essen.<br />

Hervorragend wäre es, wenn in Unternehmen Mitarbeiter<br />

selber kochen könnten. Inzwischen werden für viel<br />

Geld bei externen Veranstaltern Kochkurse als Gemeinschaftsevent<br />

für die Belegschaft gebucht. Warum ermöglicht<br />

man Ähnliches nicht jeden Tag im eigenen Betrieb?<br />

Oder inszeniert Meetings als Tischgesellschaften ...?<br />

Lemke: Natürlich! In diesem Kontext lässt sich noch sehr<br />

viel experimentieren.<br />

Interview: Ulrike Vongehr


TRENDSETTER<br />

Patienten und Gäste im<br />

Reha-Klinikum Hoher<br />

Fläming im Oberlinhaus<br />

in Bad Belzig können<br />

Schweinebraten und<br />

Schnitzel mit gutem<br />

Gewissen genießen.<br />

Das Fleisch stammt<br />

von glücklichen<br />

Mecklenburger<br />

Strohschweinen.<br />

Fern aller Hektik<br />

Der Ort strahlt Ruhe aus. Etwa eine<br />

Autostunde südwestlich von<br />

Berlin liegt Bad Belzig mitten im brandenburgischen<br />

Naturpark Hoher Fläming.<br />

Weitere zehn Minuten braucht<br />

es bis zur gepflasterten Auffahrt und<br />

dem Blick auf das imposante Landhaus<br />

mit Fachwerk-umsäumten<br />

Wandelgängen. Auch wenn die Uhr<br />

auf dem zentralen Dachtürmchen die<br />

korrekte Zeit anzeigt – sie scheint hier<br />

stehengeblieben. Der geeignete Platz<br />

für die Genesung von Reha-Patienten!<br />

Das Oberlinhaus Hoher Fläming<br />

– umgeben von einer historischen<br />

Parklandschaft – war vor über 100<br />

Jahren eine angesagte Lungenheilstätte.<br />

Heute werden in der ländlichen<br />

Idylle Patienten nach orthopädischen<br />

Operationen wieder fit gemacht –<br />

nach den Regeln moderner Reha-Medizin<br />

und kulinarisch versorgt auf hohem<br />

gastronomischen Niveau. Die in<br />

weißem Tuch und mit Stoffservietten<br />

gedeckten Tische im hellen „Speisesaal“,<br />

in dem von freundlichem Servicepersonal<br />

am Platz serviert wird,<br />

wecken eher Assoziationen an ein gehobenes<br />

Restaurant als an eine diakonische<br />

Einrichtung für Kassenpatienten.<br />

Nein, die Zeit ist nicht stehengeblieben<br />

im Reha-Klinikum Hoher<br />

Fläming! Dafür sorgt an vorderster<br />

Stelle Katrin Eberhardt. Die 53-Jährige<br />

ist seit 23 Jahren in führender Position<br />

im Bad Belziger Haus und überzeugte<br />

Qualitäts-Verfechterin. Eine<br />

gesunde, frische Küche mit möglichst<br />

geringem Einsatz von Convenience-<br />

Produkten ist für sie eine Mindestanforderung.<br />

„Natürlich brauchen wir<br />

damit auch mehr Personal“, sagt sie<br />

Fotos: <strong>Transgourmet</strong><br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

17


SPECIAL<br />

Kochte einst in der<br />

Nationalmannschaft:<br />

Küchenchef<br />

Henning Gödecke.<br />

Frisch gebraten:<br />

Schnitzel vom<br />

Mecklenburger<br />

Strohschwein.<br />

kämpferisch und mit deutlichem Seitenhieb<br />

auf das allgegenwärtige Kostendiktat<br />

im Gesundheitssystem. Um<br />

die tägliche frische Zubereitung realisieren<br />

zu können, gibt es mittags in<br />

Bad Belzig nur ein Menü im Angebot.<br />

In Küchenchef Henning Gödecke hat<br />

sie von Anfang an hochprofessionelle<br />

Unterstützung erhalten. Der 60-jährige<br />

Küchenmeister war von 1992 bis<br />

1997 Mitglied der Nationalmannschaft<br />

der Köche Deutschlands. Im<br />

Haus Hoher Fläming ist er nicht nur<br />

für Frühstück, Mittag- und Abendessen<br />

von etwa 250 Patienten verantwortlich,<br />

sondern auch für das Angebot<br />

im „Waldcafé“, das sich zunehmender<br />

Beliebtheit auch bei Gästen<br />

von außen erfreut. Bereits vor etwa<br />

vier Jahren ist man in Bad Belzig dazu<br />

übergegangen, Obst und Gemüse vor<br />

allem aus der Region zu beziehen. Damit<br />

sollte nicht zuletzt die regionale<br />

Landwirtschaft gestärkt und Arbeitsplätze<br />

in der Region erhalten bleiben.<br />

Dazu starteten Eberhardt und Gödecke<br />

vor gut einem Jahr eine weitere Regionaloffensive.<br />

„Wir wollten genau<br />

wissen, woher das Fleisch kommt, das<br />

wir in unserer Küche verarbeiten – am<br />

besten aus der Region“, sagt Eberhardt.<br />

Anlass waren die seit Jahren immer<br />

häufiger hochkommenden Skandalmeldungen<br />

als Folge der verbreiteten<br />

Massentierhaltung. Der ursprüngliche<br />

Wunsch, direkt mit den<br />

Erzeugern in der brandenburgischen<br />

Umgebung von Bad Belzig ins Geschäft<br />

zu kommen, erwies sich als<br />

Wissen, woher das<br />

Fleisch kommt.<br />

schwer umsetzbar. „Es fehlt zum Teil<br />

an den Kapazitäten, aber auch am<br />

Know-how für die Vermarktung, und<br />

es gab gar keinen Betrieb, der die benötigten<br />

Mengen in der gewünschten<br />

Qualität liefern konnte“, lautet Eberhardts<br />

Resümee. An dieser Stelle kamen<br />

<strong>Transgourmet</strong> und Lübchiner<br />

Strohschweine ins Spiel. Der Großhändler<br />

hatte als Erster auf die Aufforderung<br />

reagiert, die an alle Lieferanten<br />

gegangen war: „Bitte mehr regionale<br />

Ware.“ Der Kölner Foodservice-<br />

Dienstleister gab mit seiner Marke<br />

„Ursprung“ eine passende Antwort.<br />

Sie verspricht den Kunden „Nachhaltigkeit<br />

für die Speisekarte!“ Beim<br />

Schweinefleisch steht dafür der Hof<br />

von Armin Roder, der am Rande des<br />

knapp 1000-Seelen-Dorfs Behren-<br />

Lübchen unweit der Ostseeküste gemeinsam<br />

mit seinem Sohn Schweine<br />

mästet. Entgegen der sonst in Mastbetrieben<br />

üblichen Haltung auf Spaltenböden<br />

haben die Schweine der Röders<br />

Auslauf im Stroh und können auf einer<br />

weichen Liegefläche ruhen.<br />

Katrin Eberhardt und Henning Gödecke<br />

konnten sich vor Ort von den<br />

Lebensbedingungen der Schweine ein<br />

Bild machen. „Sie machen einen zufriedenen<br />

Eindruck“, berichtet der<br />

Küchenchef, und die Geschäftsführerin<br />

erinnert sich an „hysterisches Gequieke“,<br />

das ihr in herkömmlichen<br />

Mastbetrieben zu Ohren kam: „Bei<br />

den Röders waren die Schweine sehr<br />

ausgeglichen.“ Gut 300 Kilometer<br />

entfernt, entspricht der Herkunftsort<br />

in Mecklenburg-Vorpommern zwar<br />

nicht ganz den strengen regionalen<br />

Vorstellungen im Bad Belziger Oberlinhaus<br />

– Fleisch vom Strohschwein<br />

aus dieser Entfernung sei aber immer<br />

noch „ein guter Kompromiss“. Damit<br />

habe man nicht nur ein gutes Gefühl,<br />

sondern bekomme auch eine bessere<br />

Fleischqualität. „Das fängt schon<br />

beim Geruch an“, berichtet Gödecke<br />

aus dem Küchenalltag und zählt wei-<br />

18 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016


TRENDSETTER<br />

tere Unterschiede auf: „Das Fleisch ist<br />

kerniger, beim Braten tritt kein Wasser<br />

aus und der Schmorprozess ist<br />

deutlich kürzer.“ Der bessere Geschmack<br />

werde besonders offensichtlich<br />

bei den Steaks: „Da reichen Salz<br />

und Pfeffer“, sagt Gödecke und<br />

schließt genießerisch die Augen. Auch<br />

bei den Reha-Patienten kommt das<br />

Angebot an, das auf der Speisekarte<br />

beispielsweise so beschrieben wird:<br />

„Gebratenes Rückensteak vom Mecklenburgischen<br />

Strohschwein mit sautierten<br />

Locktower Champignons und<br />

Kartoffelgratin“. In den Aufenthalts-<br />

Bewertungen erhalten Küche und<br />

Service immer wieder Bestnoten von<br />

den Gästen – was natürlich nicht nur<br />

den Strohschweinen geschuldet ist,<br />

sondern auch sehr viel mit den Fähigkeiten<br />

von Gödecke samt Team zu tun<br />

habe, unterstreicht die Geschäftsführerin.<br />

Fleisch ist allerdings beim Oberliner<br />

Reha-Klientel besonders beliebt,<br />

hat Gödecke erfahren: „Aus gesundheitlichen<br />

Überlegungen wollten wir<br />

zweimal in der Woche Fisch auf den<br />

Speiseplan setzen. Das kam gar nicht<br />

gut an.“ So stehen neben Hack- und<br />

Rostbraten regelmäßig weitere Rezepturen<br />

vom mecklenburgischen<br />

Schwein auf dem Plan, wie etwa<br />

„Schnitzel vom Strohschwein in Butter<br />

und Brösel gebraten, Blumenkohl<br />

mit Holländischer Sauce und Petersilienkartoffeln“<br />

oder „Schinkenstreifen<br />

vom Strohschwein Stroganoff-Art<br />

auf Penne und Rucola“. Die bessere<br />

Wie im Restaurant:<br />

Das Essen wird am<br />

Tisch serviert.<br />

Regelmäßig Bestnoten<br />

für die Küche.<br />

Oberlinhaus Hoher Fläming<br />

Das Reha-Klinikum „Hoher Fläming“ in Bad Belzig gehört<br />

seit 2009 zur Unternehmensfamilie des Oberlinhauses,<br />

einem diakonischen Unternehmen aus Potsdam. Das Haus<br />

mit 240 Einzelzimmern ist eine der bekanntesten Rehabilitationsfachkliniken<br />

für Orthopädie in Brandenburg. Die<br />

Geschäftsführung liegt bei Katrin Eberhardt (links im Bild).<br />

Küchenchef Henning Gödecke steuert die hauseigene<br />

Küche, in der täglich etwa 300 Essen für Reha- und ambulante<br />

Patienten, Gäste sowie Mitarbeitende frisch zubereitet<br />

werden. Das öffentlich zugängliche Waldcafé mit zwei<br />

Außenterrassen bietet Snacks und selbstgebackenen Kuchen<br />

sowie Eis- und Kaffeekreationen. Insgesamt arbeiten<br />

im Haus Hoher Fläming 183 Mitarbeiter, davon fünf Köche<br />

sowie zehn Küchenhilfen und zwölf Serviererinnen.<br />

Qualität hat ihren Preis. „Statt 4,70<br />

zahlen wir jetzt 7,99 Euro für das Kilo“,<br />

rechnet Gödecke vor. Kleinere<br />

Fleischportionen könnten den Preisunterschied<br />

nur zu einem geringen<br />

Teil auffangen und auch eine Umstellung<br />

des Speiseplans ändere nichts am<br />

insgesamt höheren Wareneinsatz.<br />

„Wir geben auch für alle anderen Lebensmittel<br />

mehr aus“, sagt Eberhardt.<br />

Zugezogen aus dem niedersächsischen<br />

Hildesheim, hat sie sich längst<br />

zur engagierten Brandenburger Lokalpatriotin<br />

entwickelt. Sie ist Gründungsmitglied<br />

der Initiative Gesundheitswirtschaft<br />

Brandenburg, die den<br />

„Kulinarischen Kalender Brandenburg“<br />

unterstützt. Das Projekt wurde<br />

von der AOK Nordost und der Deutschen<br />

Rentenversicherung Berlin-<br />

Brandenburg ins Leben gerufen. Das<br />

Reha-Klinikum Hoher Fläming ist<br />

mit einer weiteren Brandenburger Reha-Einrichtung<br />

Pilotklinik des Projektes.<br />

Jeder Monat steht hier für eine<br />

regionale Obst- oder Gemüsesorte<br />

mit dazu passenden Rezepten und Aktivitäten.<br />

Als Nächstes ist ein Nachhaltigkeits-Zertifikat<br />

für Reha-Einrichtungen<br />

geplant. „So etwas gibt es<br />

bislang noch nicht“, sagt Eberhardt,<br />

die diesen Vorstoß als einen weiteren<br />

Beweis ihrer Überzeugung „Brandenburg<br />

ist Vorreiter“ sieht. Für das Belziger<br />

Oberlinhaus hat das Wirtschaftsforschungsinstitut<br />

WifOR aus Berlin<br />

längst die Rechnung aufgemacht. 80<br />

Prozent der Ausgaben kämen direkt<br />

der Region zugute. Bei Reha-Einrichtungen<br />

liegt dieser Satz in der Regel bei<br />

68 Prozent: „Wir geben jährlich mehr<br />

als 7 Mio. Euro in der Region aus und<br />

elf Patienten bei uns sichern einen Arbeitsplatz<br />

draußen.“ Zum Schluss<br />

empfiehlt sie für die allgemeine Kostendiskussion<br />

im Gesundheitswesen<br />

eine andere Perspektive: „Jeder Patient<br />

bringt durch unsere Arbeitsleistung<br />

und die unserer Zulieferer 300<br />

Euro in die Sozialkassen.“ Daher<br />

lohnt es sich, den eingeschlagenen<br />

Weg fortzusetzen. Ingeborg Sichau<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

19


TRENDSETTER<br />

SPECIAL<br />

Das Casual-Fine-Dining-Restaurant „De Kas“ in<br />

Amsterdam gilt seit 15 Jahren als Pilgerplatz. Dabei<br />

versteht sich seine radikale Frischeküche mit<br />

pflanzlichen Produkten aus eigenem organischem<br />

Anbau als zentrales Erfolgsmoment.<br />

Holländischer Pionier<br />

Gert Jan Hageman,<br />

Sternekoch und<br />

gastronomischer<br />

Pionier.<br />

Ich war begeistert vom Geschmack<br />

frisch geernteten, organisch angebauten<br />

Gemüses. So intensiv, so unvergleichlich<br />

aromatisch, so wertvoll“,<br />

erinnert sich Gert Jan Hageman. Es<br />

war der Impuls und wurde der tragende<br />

Pfeiler seines vertikal integrierten<br />

Betriebes – damit war er beim Start im<br />

Januar 2001 seiner Zeit voraus. Konzept<br />

und Philosophie sind einzigartig<br />

und eigenwillig. Es geht um authentische<br />

Küche, die Vegetarisches ins Zentrum<br />

rückt. Was aus der Küche<br />

kommt, richtet sich nach dem, was<br />

Acker und Gewächshaus hergeben.<br />

Die Ernte als Dreh- und Angelpunkt<br />

der Menüplanung. Garten- und Küchenchef<br />

arbeiten Hand in Hand.<br />

Klingt simpel – ist aber oft ein kompliziertes<br />

Puzzlespiel. Ein vegetarisches<br />

Restaurant ist De Kas trotz „grüner“<br />

Orientierung nicht, Fleisch und<br />

Fisch – bezogen von handverlesenen<br />

Lieferanten – gehören fest ins Programm.<br />

Hageman: „Im Sommer kommen<br />

rund 70 Prozent der pflanzlichen<br />

Produkte aus unserem eigenen Anbau,<br />

im Winter kann dieser Wert für<br />

kurze Zeit auf 25 bis 40 Prozent fallen.“<br />

Über 75 verschiedene Pflanzen<br />

werden angebaut, angefangen bei<br />

Restaurant De Kas<br />

Standort Amsterdam<br />

Konzept Casual Fine Dining im Glashaus, Vegetarisch<br />

orientierte Frischküche auf Basis des eigenen<br />

Gemüse-Anbaus.<br />

1Hektar Fläche, davon 30 % unter Glas<br />

Unternehmer Gert Jan Hageman<br />

Angebot je 1 Lunch- und Dinner-Menü,<br />

Festpreis 39 bzw. 49,50 € plus Getränke<br />

Kapazitäten 120 + 50 separate Sitzplätze<br />

Mitarbeiter 65 (davon 5 Garten, 60 Gastro)<br />

Gäste 51.500 im Bestjahr 2015<br />

Ø-Bons mittags 50 €, abends 80 bis 85 €<br />

Homepage www.restaurantdekas.nl<br />

Fotos: Gretel Weiß, Hotze Eisma, Jet van Fastenhout, Ronald Hoeben


TRENDSETTER<br />

Kräutern über Erdbeeren, Tomaten,<br />

Kraut bis zu Kartoffeln. „Jede Saison<br />

hat ihre Highlights – unsere Köche<br />

wissen sie zu interpretieren, unsere<br />

Gäste zu schätzen, ja zu lieben.“ Die<br />

gehören eher zum gehobenen Publikum–<br />

also Leute mit Affinität zum<br />

Gedankengut des Konzeptionisten.<br />

Heimisches Business-Publikum einerseits,<br />

Touristen aus aller Welt andererseits.<br />

Es gab sofort nach dem<br />

Start zahllose Berichte in internationalen<br />

Magazinen wie Wallpaper, New<br />

York Times oder Wall Street Journal.<br />

Und es gibt die Website. Klassische<br />

Werbung? Gab es nie! Das außergewöhnliche<br />

Restaurant in seinem gläsernen<br />

Domizil samt offener Küche<br />

sowie angegliederten Kräuterbeeten<br />

und Gewächshaus am östlichen Stadtrand<br />

verkauft sich von selbst. Auch<br />

der Standort in einem naturbelassenen<br />

Biotop ist Teil des Erfolgs. Von<br />

Anfang an waren Frequenz und Erlöse<br />

gut und stabil. Gestartet ist De Kas mit<br />

45.000 Gästen und knapp 3 Mio. Euro<br />

Umsatz – „2015 war unser Rekordjahr<br />

mit 51.500 Personen“.<br />

Biografischer Rückblick: 1993 erkochte<br />

Hageman dem Restaurant<br />

Vermeer im Amsterdamer Tulip Hotel<br />

einen Michelin-Stern. Als Selbstständiger<br />

steht er nicht mehr selbst am<br />

Herd, sieht sich aber als Teil des<br />

Teams: „Wir alle lieben, was wir tun!<br />

Und geben unser Bestes, um jedem<br />

Gast ein rundum erstklassiges Ausgeherlebnis<br />

zu bieten.“ Gretel Weiß<br />

Die Ernte bestimmt<br />

die Speisekarte.<br />

Auch Fisch gehört<br />

zum Angebot.<br />

Kreativität ist ein<br />

Markenzeichen der<br />

Küche.


TRENDSETTER<br />

SPECIAL<br />

Bauer & Brauer<br />

Süffiges Craft Beer zur deftigen Brauernpfanne mit Freilandschwein – das Konzept der Fritz<br />

Braugasthäuser verbindet auf überzeugende Weise Nachhaltigkeit mit hoher Produktqualität.<br />

Das Bekenntnis zum Handwerk ist der gemeinsame Nenner der Partnerunternehmen.<br />

Von Bauern und Brauern – unter<br />

diesem griffigen Slogan offeriert<br />

die zur Nordmann-Gruppe zählende<br />

Gastronomiemarke an mittlerweile<br />

drei Standorten eine Trink- und Esskultur,<br />

die kommunikativ, modern<br />

und frisch daherkommt, gleichzeitig<br />

bodenständig ursprünglich. 1997 öffnete<br />

das erste Fritz Braugasthaus in<br />

Greifswald seine Pforten, 2003 folgte<br />

der erste Ableger in Binz auf Rügen.<br />

Als Flaggschiff fungiert seit 2012 Fritz<br />

Nummer drei in Stralsund mit rund<br />

250 Indoor-Plätzen, untergebracht in<br />

einem über 200 Jahre alten ehemaligen<br />

Lagerhaus am Sund, das früher zur


TRENDSETTER<br />

Fritz Braugasthäuser<br />

Gründung 1997<br />

Standorte 3(Greifswald, Binz, Stralsund)<br />

Betreiber Nordmann Gruppe<br />

Motto Von Bauern und Brauern<br />

Lieferanten unter anderem Landwert Hof (Erzeugergemeinschaft),<br />

Mecklenburg-Vorpommern,<br />

und Brauerei Ratsherrn, Hamburg – beides<br />

Töchter der Nordmann Gruppe<br />

Schlachtung in der<br />

hofeigenen Metzgerei.<br />

Artgerechte Tierhaltung<br />

auf dem Hof –<br />

modern-rustikales<br />

Ambiente im Gasthaus.<br />

Festung gehörte. Hier in der alten<br />

schwedischen Bastion wurde das Gastro-Konzept<br />

konzeptionell am weitesten<br />

ausformuliert. 30 unterschiedliche<br />

Craft-Biere kommen zu modernen<br />

Gasthausgerichten auf den Tisch:<br />

Premiumkotelett vom Freilandschwein,<br />

Weide-Burger oder Tafelspitzsülze.<br />

Das Ambiente: dank vieler<br />

Holzelemente gemütlich, gleichzeitig<br />

frisch und hell. Eine Etage tiefer im<br />

Erdgeschoss werden in der „Marktscheune“<br />

regionale Lebensmittel<strong>spezial</strong>itäten<br />

unter anderem vom „Land-<br />

Wert Hof“ verkauft.„Wir wollen unseren<br />

Gästen die Geschichte des Produktes<br />

vom Ursprung bis zum Teller<br />

erzählen“, erklärt Andreas Reitz, Geschäftsleiter<br />

der Nordmann Finefood.<br />

Weitere Vorteile der vertikalen Integration<br />

seien nicht nur die kurzen<br />

Kommunikations- und Lieferwege:<br />

„Durch die Einbindung in unser Konzept<br />

unterliegt der Landwert Hof<br />

nicht dem Druck, immer mehr Ware<br />

zu immer günstigeren Preisen verkaufen<br />

zu müssen.“<br />

Alle Bauern der Erzeugergemeinschaft<br />

halten ihre Tiere zu 100 Prozent<br />

artgerecht. Die Weiderinder und<br />

Freilandschweine leben auf weitläufigen<br />

650 Hektar Land in Küstennähe.<br />

Nach der Geburt bleiben die Jungrinder<br />

neun Monate bei der Mutter. Anschließend<br />

haben sie gut zwei Jahre<br />

Zeit, Fleisch anzusetzen. Zugefüttert<br />

wird Bio-Futter von der Insel Rügen,<br />

Medikamente kommen so wenig wie<br />

möglich zum Einsatz.<br />

Getreu dem Grundsatz „Respekt vor<br />

dem Tier“ erfolgt die Schlachtung in<br />

der hofeigenen Metzgerei auf schonende<br />

Weise. Nach traditionellen<br />

Methoden wird das Fleisch schlachtwarm<br />

weiterverarbeitet,<br />

was chemische Konservierungsstoffe<br />

überflüssig<br />

macht. Das ganze Tier „from nose<br />

to tail“ findet kulinarische Verwendung<br />

– Ausdruck für einen respektvollen,<br />

wertschätzenden Umgang mit<br />

dem Lebensmittel Fleisch. Die enge<br />

Kooperation mit den Produktentwicklern<br />

und Küchenchefs der Braugasthäuser<br />

macht das deutlich einfacher.<br />

Ein kleines, aber markantes Logo<br />

auf der Speisekarte kennzeichnet die<br />

Gerichte mit Landwert-Produkten.<br />

Das Bier, das dazu eingeschenkt wird,<br />

stammt von der Hamburger Nordmann-Tochter<br />

Ratsherrn, die hierzulande<br />

ein Teil der angesagten Craft-<br />

Beer-Bewegung ist. Handwerk und<br />

Heimat, Authentizität und Transparenz<br />

werden hier großgeschrieben, sodass<br />

auch das Beverage-Angebot den<br />

Manufaktur-Gedanken widerspiegelt.<br />

Das Thema soll in Zukunft noch<br />

stärker bespielt werden. Reitz will seine<br />

Gäste auf den Geschmack bringen<br />

nach „noch mehr Biersorten und<br />

Braustilen“. Ulrike Vongehr<br />

Fotos: Nordmann-Gruppe<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

23


TRENDSETTER<br />

SPECIAL<br />

Vom Hof nebenan<br />

Seit 2007 leitet Gilbert Bielen die Küche im Kinderkrankenhaus St. Marien in Landshut.<br />

Das Besondere: Eier, Gemüse, Fleisch und Co. stammen ganz aus der Nähe, von Gärtnern und<br />

Landwirten, die er kennt und denen er vertraut. Obendrein ist alles in Bioqualität.<br />

Gilbert Bielen trifft<br />

Andrea Vaas, Chefin<br />

der Gärtnerei Siebensee<br />

in Landshut.<br />

Was essen kranke Kinder besonders<br />

gern? Dasselbe wie gesunde,<br />

berichtet Gilbert Bielen: „Spaghetti<br />

Bolognese, Pizza und Schnitzel mit<br />

Pommes sind besonders beliebt.“ Was<br />

seine jüngsten Gäste zumeist nicht<br />

wissen: Die Zutaten stammen zum<br />

Großteil ganz aus der Nähe. Der 42-<br />

jährige Küchenchef setzt auf Regionales,<br />

Saisonales und zudem Bioqualität<br />

von Lieferanten, die er gut kennt.<br />

Zum Beispiel Josef Bauer und Birgit<br />

Haider vom Seepointerhof im Nachbarort<br />

Tiefenbach. Bauers Familie<br />

hält seit vier Generationen Legehennen,<br />

Josef Bauer hat die Haltung vom<br />

Bio-Anbauverband „Naturland“ zertifizieren<br />

lassen. Für die rund 4.500<br />

Hennen bedeutet das unter anderem:<br />

reichlich Auslauf, Sandbäder und<br />

selbst angebautes Bio-Getreide als<br />

Futter. „Wir möchten demnächst auf<br />

Zweinutzungshühner umstellen“, informiert<br />

Bauer – dann gibt es auf dem<br />

Hof außer Eier und Suppenhühner<br />

auch frisches Hähnchenfleisch. Doch<br />

da die weiblichen Tiere dieser Rassen<br />

Keine Filets und andere<br />

teuren Teile vom Tier.<br />

weniger Eier legen als typische Legehennen<br />

und die Hähne weniger<br />

Fleisch ansetzen als Masthähne, steigt<br />

der Preis. Bielen schreckt das nicht ab<br />

–er spart an anderer Stelle. Rinder etwa<br />

lässt er ohne Edelteile liefern,<br />

Schweine ohne Filet. Geschnetzeltes,<br />

Gulasch und Hackfleisch daraus gelingen<br />

bestens, weiß der Küchenchef.<br />

Gemüse, das gerade im Umland geerntet<br />

wurde, ist vergleichsweise günstig.<br />

Darum gab es im Juli zahlreiche Zucchinigerichte.<br />

Bielens Team arbeitet<br />

auch gern mit alten Gemüsesorten wie<br />

Pastinake und Mangold. Altbekanntes<br />

wird variiert – „Karotten mit Se-<br />

24 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Petra Plaum


Kinderkrankenhaus St. Marien<br />

Standort Landshut<br />

Anzahl Betten 120<br />

Patienten/Jahr Rund 40.000 ambulant und<br />

rund 6.700 stationär<br />

Küchenleiter Gilbert Bielen<br />

Mitarbeiter Küche: 10, Service: 4<br />

Anzahl Essen 350 für Patienten, Mitarbeiter und<br />

Mitarbeiter-Kita<br />

Angebot täglich 1 Fleisch- oder Fischgericht, ein<br />

vegetarisches Gericht sowie belegte Brote,<br />

Suppen, Salate und Snacks<br />

Essenspreis Mitarbeiter: 3,50 €, Externe: 5,40 €<br />

Homepage www.kinderkrankenhaus-landshut.de<br />

sam, süß angemacht, das mögen Kinder<br />

gern“. Viel Gemüse, Kräuter und<br />

Salate liefert die Bioland-Gärtnerei<br />

Siebensee aus Landshut. Andrea Vaas<br />

ist seit zwei Jahren die Chefin über 12<br />

Hektar Land, 14 Mitarbeiter, Marktstände<br />

und Hofladen. „Letztes Jahr<br />

hatten wir ein tolles Gurkenjahr, 2016<br />

wird ein Paprikajahr“, prognostiziert<br />

sie. Praktisch, dass sie gleich acht Sorten<br />

zur Auswahl hat! „Die Zitronengurken,<br />

fest und süß, sind ebenfalls zu<br />

empfehlen“, wirbt Vaas. Bielen ist<br />

gern bereit, sich und den Gästen neue<br />

Geschmackswelten zu erschließen –<br />

ob mit Fleisch oder ohne. Eine weitere<br />

Seit acht Jahren wird<br />

komplett Bio gekocht.<br />

Besonderheit seiner Küche ist ihre<br />

Bio-Ausrichtung. „Im April 2007 habe<br />

ich hier angefangen, im September<br />

bekamen wir die Bioland-Teilzertifizierung“,<br />

erinnert sich Bielen. „Schon<br />

im Januar 2008 waren wir bei 100 Prozent<br />

Bio.“ Das Kinderkrankenhaus St.<br />

Marien war somit Deutschlands erste<br />

Klinik mit kompletter Bioland-Küche.<br />

Für Bielen, der auf 27 Jahre Berufserfahrung<br />

zurückblickt, liegen die<br />

Vorteile auf der Hand: Pestizide oder<br />

Antibiotika werden nicht eingesetzt,<br />

kommen also auch nicht auf die Teller.<br />

Außerdem leistet er mit seiner<br />

Entscheidung einen Beitrag dazu, dass<br />

in der Region die artgerechte Tierhaltung<br />

und ökologische Landwirtschaft<br />

eine tragende Rolle spielen.<br />

Gilbert Bielen in der Küche von St. Marien.<br />

Dankesgrüße von den Kindern (Bild oben).<br />

Für die Kundschaft zählt etwas anderes:<br />

Es muss schmecken. Nicht nur<br />

den Kindern, sondern auch Mitarbeitern<br />

und Patienteneltern. Für alle, die<br />

aus gesundheitlichen oder religiösen<br />

Gründen auf bestimmte Zutaten verzichten,<br />

werden in der Klinikküche eigene<br />

Lösungen gefunden.<br />

Das Küchenteam erhält immer wieder<br />

gebastelte Dankeskarten von den Kindern.<br />

Erwachsene zeigen ihre Anerkennung<br />

anders: Der Küchenleiter<br />

wurde 2015 mit der Tierschutzkochmütze<br />

der Schweisfurth-Stiftung ausgezeichnet<br />

und – gemeinsam mit seiner<br />

Stellvertreterin Franziska Beck-<br />

Eller – 2016 für die Chefs-Trophy-<br />

Ausbildung nominiert. Und weil immer<br />

mehr Kollegen aus anderen Betriebsküchen<br />

wissen wollen, wie sein<br />

Konzept funktioniert, ist Bielen inzwischen<br />

auch als Referent und Bio-<br />

Coach gefragt. Petra Plaum<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

25


SPECIAL<br />

„Essen zeigt unsere Identität“<br />

Heute gilt: Je mehr wir haben, desto persönlicher wollen wir konsumieren. Darauf muss sich<br />

die gesamte Branche einstellen. Ein Gespräch mit Frank Seipelt, Vorsitzender der Geschäftsführung<br />

der <strong>Transgourmet</strong> Central and Eastern Europe, über den Wandel im Markt.<br />

<strong>Transgourmet</strong> in Kürze<br />

<br />

Deutschland-Sitz: Riedstadt<br />

Angebot: 35.000 Artikel (Trocken-, Frisch- und TK-Ware)<br />

Logistik: 15 Verteilerzentren und 10 Umschlagpunkte<br />

2Fleischmanufakturen (Hildesheim und Ulm), 1 Frischezentrum<br />

für Fisch und Meeresfrüchte (Bremerhaven)<br />

36.000 Kunden, 3.700 Mitarbeiter, 1,3 Mrd. € Umsatz<br />

www.transgourmet.de<br />

26 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Herr Seipelt, warum geben wir Deutschen so wenig<br />

Geld für Lebensmittel aus?<br />

Frank Seipelt: Wir sind ein sehr technisch orientiertes<br />

Volk, und dieses Denken prägt uns auch beim Essen und<br />

Trinken. Wir schauen mehr auf Kalorien und Inhaltsstoffe,<br />

während in anderen Ländern der soziale Aspekt der gemeinsamen<br />

Mahlzeit sehr viel wichtiger ist als bei uns. Allerdings<br />

beobachten wir in den letzten Jahren, dass sich<br />

diese typisch deutsche Effizienzhaltung auflöst, wenn wir<br />

Gründe liefern, warum eine Ware teurer sein muss.<br />

Das hat mit dem Verbraucherwunsch nach Ehrlichkeit<br />

und Transparenz zu tun. Woher kommen dieses Motive?<br />

Seipelt: In den letzten Jahren haben Industrie und Handel<br />

durch Negativschlagzeilen Vertrauen verloren. Deshalb<br />

haben wir den Weg der Eigenmarke „Ursprung“ eingeschlagen,<br />

um nach unseren Kriterien die gesamte Kette<br />

vom Futter über die Einstallung und Schlachtung bis zum<br />

Verkauf zu kontrollieren. Damit wollen wir der zunehmenden<br />

Nachfrage nach nachhaltigen Produkten auf der<br />

Speisekarte gerecht werden – mit jeweils umfangreichen<br />

Informationen zur Herkunft der Lebensmittel und hochwertigem<br />

Kommunikationsmaterial für den Kunden und<br />

Gast. Wir nehmen sozusagen alles in die eigene Hand.<br />

Fotos: Christoph Ostländer


NACHGEFRAGT<br />

Bei der Flut der Eigenmarken im Handelsbereich stellt<br />

sich die Frage, ob Herstellermarken schon als Auslaufmodell<br />

gelten?<br />

Seipelt: Ganz klares Nein. Die Herstellermarke hat durchaus<br />

ihre Berechtigung. Und es gibt Bereiche, wo wir keine<br />

Eigenmarken haben, weil die Industrie supergute Lösungen<br />

hat. Unsere Eigenmarken setzen nur dort an, wo die<br />

Industrie keine gute Lösung bietet.<br />

Sie zeigen die Eigenmarken, ob Economy oder Premium,<br />

mit <strong>Transgourmet</strong>-Logo. Was ist die Strategie dahinter?<br />

Seipelt: Wir haben uns lange Gedanken darüber gemacht,<br />

ob wir unsere Eigenmarken <strong>Transgourmet</strong> nennen. Wir<br />

stellen damit Eigen- und Unternehmensmarke gleichermaßen<br />

ins Rampenlicht und damit auch ins Kreuzfeuer.<br />

Aber wir haben uns klar dafür entschieden, den Namen auf<br />

die Produkte zu setzen. Auch deshalb beschäftigen wir im<br />

Bereich Qualitätssicherung ein großes Team, damit möglichst<br />

alle Erwartungen der Anwender an die Marke erfüllt<br />

werden.<br />

Wie gehen Sie mit sensiblen Produktgruppen um – wie<br />

Palmöl oder Eier aus Käfighaltung?<br />

Seipelt: Da gibt es zwei Aspekte: Wenn wir selber Produzent<br />

sind, gibt es strenge Maßstäbe und Kriterien. Wir wollen<br />

uns klar positionieren. Als verlängerter Arm des Kundenwunschs<br />

sind wir kein moralischer Richter. Und wir<br />

brauchen auch kein betreutes Einkaufen. Zwischen Eigenpositionierung<br />

und Kundenwunsch haben wir eine klare<br />

Trennung.Wir weisen darauf hin und haben Alternativen<br />

für Produkte, die auf der roten Liste stehen.<br />

Seipelt: Ich denke, man hat sich früher viel wichtiger genommen,<br />

als man das heute tut. Als Dienstleister darf man<br />

sich selbst nicht so fokussieren.<br />

Wie bewerten Sie die Bereitschaft der Gäste, sich mit<br />

Qualität auseinanderzusetzen?<br />

Seipelt: In den letzten Jahren haben wir eine Dynamik registriert,<br />

die auch durch die jüngere Generation erzeugt<br />

wurde. Viele junge Menschen definieren und differenzieren<br />

sich über das, was sie essen oder nicht essen. Das ist<br />

gewöhnungsbedürftig, wenn wir an neue Ernährungsformen<br />

denken, aber diese Welle erreicht die Gastronomie bis<br />

zu den institutionellen Einrichtungen in ganzer Breite. Die<br />

Burkart Schmid,<br />

Chefredakteur<br />

gv-praxis, im<br />

Gespräch mit<br />

Frank Seipelt.<br />

Themenwechsel: <strong>Transgourmet</strong> hat im letzten Jahr namhafte<br />

Firmen übernommen. Welche Strategie verfolgen<br />

Sie dabei?<br />

Seipelt: Wir sind nicht mit dem großen Geldkoffer unterwegs,<br />

sondern ergreifen nur sehr zielstrebig sich einmalig<br />

bietende Chancen. Wenn wir eine Firma übernehmen,<br />

dann, weil sie etwas kann, was wir nicht können. Wenn wir<br />

dann unseren Namen auf etwas setzen, was wir vorher<br />

nicht gekonnt haben, dann ist das nicht authentisch. Wir<br />

lassen deshalb die Erwerbe autark weiterlaufen. Denn ein<br />

Geschäftsmodell, das gut funktioniert, muss nicht geändert,<br />

sondern gestärkt werden.<br />

Ihre Bewertung zur momentanen Handelslandschaft?<br />

Seipelt: Die Marktkonsolidierung schreitet weitaus<br />

schneller voran, als wir das erwartet haben.<br />

Ihre wichtigste Erkenntnis der letzten zwölf Monate?<br />

Seipelt: Ein wichtiger Punkt ist für mich die simple Erkenntnis:<br />

Je konsequenter wir uns am Kunden und dessen<br />

Wünschen ausrichten, umso erfolgreicher sind wir. Das<br />

klingt so einfach – und ist doch für ein Unternehmen dieser<br />

Größe manchmal nicht so einfach umsetzbar.<br />

Heißt aber auch, dass das Unternehmen nicht immer auf<br />

Kundenhöhe war ...<br />

„Höhere Produktdifferenzierung schafft neue<br />

Chancen für Mehrumsatz beim Gast.“<br />

Menschen haben viele Fragen, von der Verpackung über<br />

Herkunft der Ware bis zu nachhaltigen Aspekten. Das ist<br />

in dieser Dimension neu. Wir gewinnen auf alle Fälle eine<br />

höhere Wertschätzung für unsere Lebensmittel.<br />

Welche Rolle spielt dabei das Kaufkriterium Qualität?<br />

Seipelt: Eine wichtige, weil Qualität bedeutet, dass ich etwas<br />

zu beschreiben habe. Und je überzeugender ich mich<br />

mit meinem Produkt differenziere, umso leichter kann ich<br />

auch Geld vom Gast dafür bekommen.<br />

Sie haben eine Reihe von Produkten aus dem Ursprung-<br />

Sortiment in einem Pop-up-Restaurant in Köln zwei Wochen<br />

getestet. Was war Ihre Intention?<br />

Seipelt: Wir als Handel haben früher stark darauf geschaut,<br />

was die Industrie anbieten kann, also, was wir gut<br />

weiterverkaufen können. Das stößt irgendwann an seine<br />

Grenzen. Wenn wir mehr Wertschöpfung in der gesamten<br />

Kette bekommen wollen, müssen wir uns nicht nur zur Industrieseite<br />

öffnen, sondern in zwei Stufen in die andere<br />

Richtung: einmal zu unseren Kunden und dann zu deren<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

27


SPECIAL<br />

NACHGEFRAGT<br />

Frank Seipelt ist<br />

seit 2014 Vorsitzender<br />

der<br />

Geschäftsführung<br />

<strong>Transgourmet</strong><br />

Central and<br />

Eastern Europe.<br />

Tischgästen, die das Geld bezahlen. Beide müssen wir an<br />

einem Strang halten. Wenn es dann noch gelingt, eine interessante<br />

Story zum Produkt zu erzählen, haben wir ein<br />

schlüssiges Konzept bis zum Verkauf.<br />

Gibt es solche Testreihen zukünftig regelmäßig?<br />

Seipelt: Das kann in zwei Monaten oder in zwei Jahren<br />

geschehen, wenn wir eine gute Idee haben. Der Grundgedanke<br />

lautet, die gesamte Prozesskette anzuschauen, damit<br />

wir den Kunden samt Herausforderungen bis zum Tischgast<br />

besser verstehen können. Wir haben supergute Resonanz<br />

erhalten, weil die Kunden die Produkte samt Inszenierung<br />

in der Praxis erlebten. Insgesamt wurden in den<br />

zwei Wochen knapp 2.000 Essen verkauft, der Bonwert<br />

pro Gast lag bei knapp 9 Euro.<br />

Gibt es in Richtung Köche neue Erkenntnisse?<br />

Seipelt: Ich habe festgestellt, dass viele Köche die Anwendungsmöglichkeiten<br />

sehen wollen. Deshalb sind solche<br />

Praxistests wichtig, weil alles griffig und in Praxis anzuschauen<br />

ist. So etwas kommt gut an.<br />

Stichwort Wertschätzung von Lebensmitteln. Gibt es eine<br />

soziale Verantwortung des Handels?<br />

Seipelt: Wir leben in und von unserer Gesellschaft. Als Unternehmen<br />

haben wir immer eine soziale Verantwortung.<br />

Als Handel – mit Schnittstelle Industrie und Kunde – haben<br />

wir auch die Aufgabe, zu vermitteln und zu moderieren.<br />

Heißt konkret: Wir wollen Anstöße geben.<br />

Anstöße, das klingt recht bescheiden.<br />

Seipelt: Ja, aber auch realistisch. Unsere Gesellschaft hat<br />

einen starken Leistungsgedanken. Leider messen wir auch<br />

Institutionen im Carebereich nach dem Maß einer Leistungsgesellschaft<br />

und nicht nach dem einer Solidargemeinschaft.<br />

Dies betrifft damit auch die Küche. Bei Ausschreibungen<br />

stellen wir sehr schnell eine Unwucht fest, wenn bei<br />

Lebensmitteln für Kinder und Senioren häufig um jeden<br />

Cent gekämpft wird. Das hat uns als Unternehmen sehr<br />

nachdenklich gemacht.<br />

Mit dem Buch „Vom Kostenfaktor zum Glücksfaktor“ haben<br />

Sie ein Zeichen gesetzt. Was war Ihre Motivation?<br />

Seipelt: Wir beobachten schon seit vielen Jahren, dass in<br />

Altenheimen viele Menschen beherbergt werden, denen<br />

wir unseren Wohlstand zu verdanken haben. Gleichzeitig<br />

legen wir aber die Grenzen fest, wie eine effiziente Verpflegung<br />

für diese Gruppe zu betrachten ist. Wir hatten die<br />

Frage zu beantworten, welches Projekt wir mit unserem<br />

Fond für Nachhaltigkeit in der Gesellschaft fördern. Zur<br />

Wahl standen die Zielgruppen Kinder oder Senioren.<br />

Warum haben Sie sich für letztere Gruppe entschieden?<br />

Seipelt: Das Thema Senioren hat uns fast angesprungen.<br />

Da gibt es bei vielen Senioren so viel Wissen, zum Beispiel<br />

über alte Rezepte und Erinnerungen an den heimischen<br />

Herd. Diesen Schatz wollten wir bergen. Essen in Senioreneinrichtungen<br />

wird heute vor allem als Kostenfaktor<br />

betrachtet und dient oft nur der reinen Verpflegung. Dem<br />

wollten wir mit unserer Initiative etwas Greifbares entgegensetzen.<br />

Wir wollten die Küche wieder in den Mittelpunkt<br />

stellen.<br />

Was heißt das konkret?<br />

Seipelt: Entstanden ist das Buch „Wir haben einfach gekocht“.<br />

Die Autoren beschreiben ihre Begegnungen mit<br />

Senioren und kochen in verschiedenen Einrichtungen gemeinsam<br />

die alten Rezepte. Ein Riesenspaß für alle.<br />

Und die Resonanz darauf?<br />

Seipelt: Wir waren von der Resonanz total überrascht. Wir<br />

haben rührende Dankesbriefe bekommen. Viele engagierte<br />

Küchenleiter haben spontan mitgemacht und sagten: tolle<br />

Idee. Das Buch landete in der Bestsellerliste.<br />

Was haben Sie aus dieser Aktion gelernt?<br />

Seipelt: Selbstkritisch gesprochen: Wir mussten aus der<br />

Einbahnstraße des Verkauf-Denkens rauskommen, um<br />

diese Idee zu entwickeln, die für uns keinen wirtschaftlichen<br />

Nutzen haben soll. Uns wurde klar, dass die Aufgabe<br />

der Köche in Heimen als gesellschaftlich wertvoller zu betrachten<br />

ist als die der Sterneköche. Letztere können sich<br />

selbst begeistern, der Heimkoch macht es über seine Bewohner<br />

– das ist seine tägliche Herausforderung.<br />

Finale: Ein Blick in Ihre Vita verrät, Sie waren schon immer<br />

im Handel und in ein und demselben Unternehmen.<br />

Ist das nach über drei Dekaden noch spannend?<br />

Seipelt: Die Frage habe ich mir nie gestellt, weil ich nichts<br />

anderes machen möchte. Ich bin exakt 36 Jahre im Unternehmen<br />

und habe alle Stationen durchlaufen. Ich stieg<br />

1980 bei einem kleinen selbstständigen Handelsunternehmen<br />

als Azubi ein, das von Franke Panzer, später von Rewe<br />

und dann von der Coop übernommen wurde. Als ich vor<br />

Jahren den CEO-Posten in Deutschland und dann gemeinsam<br />

mit dem Kollegen John Matthew für mehrere<br />

Länder übernahm, wusste ich genau, wie weit ich mit dem<br />

Unternehmen gehen kann. Ein Externer hätte für dieses<br />

Insiderwissen Jahre gebraucht. Interview: Burkart Schmid<br />

28 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016


PREMIUM<br />

Vom Massen- zum Premiumprodukt, von<br />

gewöhnlich zu besonders – diese steile Karriere<br />

ist in jüngster Zeit gleich zwei Produkten des<br />

F&B-Segments gelungen: Better Burger und<br />

Craft Beer heißen die strahlenden<br />

Upgrade-Versionen. Erfolgsparameter<br />

der Aufwertung.<br />

Aufstieg<br />

aus der Masse<br />

Zugegeben, beide genannten Food-<br />

Karrieren haben ihren Ursprung<br />

nicht in Deutschland. Sowohl die Better-Burger-Bewegung<br />

als auch die<br />

Craft-Beer-Welle wurzeln in den<br />

USA und kamen mit einer Zeitverzögerung<br />

von einigen Jahren in Europa<br />

an. Auf den folgenden Seiten nehmen<br />

wir zwei der erfolgreichsten Produkt-<br />

Interpreten hierzulande unter die Lupe:<br />

Hans im Glück als Frontrunner in<br />

Sachen Premium-Burger und die<br />

Hamburger Ratsherrn Brauerei, die<br />

ihre Craft-Beer-Kompetenz nicht zuletzt<br />

im eigenen Braugasthaus „Altes<br />

Mädchen“ in Hamburg demonstriert.<br />

Beiden ist es geglückt, ein Food-Produkt<br />

aufzuwerten, das dem Verbraucher<br />

seit jeher als preiswertes Alltagsprodukt<br />

bekannt ist. Die Codes, die<br />

sich beide Unternehmen zunutze machen,<br />

um die Wertig- und Begehrlichkeit<br />

ihres jeweiligen Angebots im Auge<br />

des Betrachters zu steigern, gleichen<br />

sich.<br />

„Gutes Handwerk und gute Rohstoffe<br />

sind das A & O“, so die Überzeugung<br />

Oliver Nordmanns, dem geschäftsführenden<br />

Gesellschafter der<br />

Nordmann Gruppe, zu der die Ratsherrn<br />

Brauerei und das Brauhaus „Altes<br />

Mädchen“ im Hamburger Schanzenviertel<br />

gehören. Die Kerncharakteristika<br />

des Craft Beers sind zugleich<br />

Je einzigartiger, umso<br />

begehrenswerter.<br />

Schlüsselfaktoren des Produkt-Upgrades<br />

– zählt es doch zum Common<br />

Sense unserer Zeit, dass handwerkliche<br />

Fertigung ein Erzeugnis in seinem<br />

Wert anhebt. Noch besser, wenn dafür<br />

besondere Kompetenzen – möglicherweise<br />

sogar lange vergessene<br />

Techniken – angewandt werden oder<br />

die Produktion gar Event-Charakter<br />

besitzt.<br />

In puncto Rohstoffe gilt Ähnliches: Je<br />

handverlesener und einzigartiger die<br />

Zutaten, umso begehrenswerter das<br />

Endprodukt. Eine Erkenntnis, die<br />

auch Hans-im-Glück-Gründer Thomas<br />

Hirschberger in sein Burger-Konzept<br />

einfließen ließ: „Wir haben Burgerbrot<br />

und Pattys aus ganz Europa<br />

verkostet, die Saucen wurden in einem<br />

langwierigen Prozess entwickelt. Keine<br />

Konservierungsstoffe, künstliche<br />

Aromen oder sonstige Zusatzstoffe,<br />

lautete die Regel für die gesamte Karte.“<br />

Diese Konsequenz schließlich<br />

schlägt sich im Preis nieder – für den<br />

Konsumenten ein weiterer wichtiger<br />

Marker bezüglich der Produktqualität.<br />

Während sich insbesondere im<br />

Fall des Biers der Massenmarkt mit<br />

ständigen Dumpingpreisen immer<br />

weiter entlang der Abwärtsspirale bewegt,<br />

demonstriert das Craft Beer seinen<br />

Qualitätsanspruch über höhere<br />

Preise – die von einer wachsenden Anhängerschaft<br />

akzeptiert werden.<br />

Größere Vielfalt und die damit verbundene<br />

Abweichung von der Norm<br />

sind weitere Faktoren, die in beiden<br />

Fällen für den Erfolg der neuen Produkte<br />

stehen. Geißbock – ein Burger<br />

mit Ziegenkäse, Feigensoße und<br />

Speck? Ein Bier namens Matrosenschluck?<br />

Die außergewöhnlichen<br />

Neukreationen samt originellem Naming<br />

wecken Lust und Neugier einer<br />

Klientel, die Essen & Trinken als Erlebnis<br />

begreifen will.<br />

Hinzu kommt eine Vielzahl weiterer<br />

Parameter wie Präsentation und Ambiente,<br />

der <strong>Mehrwert</strong> Gesundheit und<br />

Faktoren wie Nachhaltigkeit in Produktion<br />

und Einkauf. „Einen Premium-Burger<br />

kann man schwer in einer<br />

Bretterbude verkaufen. Das Gesamtbild<br />

muss stimmig sein“, weiß Profi-<br />

Gastronom Thomas Hirschberger.<br />

Charlotte Holzhäuser<br />

Foto: D. Amar-Constantini, Schnecken-Burger vom Sternekoch Arnaud Faye, aus dem Buch „Burger de Chef“, Fackelträger Verlag<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

29


PREMIUM<br />

SPECIAL<br />

Burger im Märchenwald<br />

„Ein erfolgreiches Produkt lebt vom Setting“, weiß Thomas Hirschberger, Gründer<br />

der Fast-Casual-Formel Hans im Glück. Birken, ein märchenhaftes Wording und eine<br />

hippe Bar umrahmen sein Erfolgsprodukt – den Burger.<br />

Edle Burger und<br />

hippe Getränke<br />

sind eine<br />

Erfolgsformel.<br />

Mit dem Birkenwald hat Gunilla<br />

Hirschberger das wohl augenfälligste<br />

Markenzeichen des 2010 gegründeten<br />

Burger-Konzepts „Hans<br />

im Glück“ geschaffen. 60 bis 80 echte<br />

Birkenstämme zieren jedes einzelne<br />

der deutschlandweit 40 Restaurants.<br />

Sie wandeln nüchterne Gasträume in<br />

freundliche Lichtungen und suggerieren:<br />

Was hier auf den Teller kommt,<br />

ist ein Naturprodukt. „Aus Sicht der<br />

Konsumenten gibt es unterschiedliche<br />

Marker für ein Premiumprodukt“,<br />

erklärt Gastronomie-Profi<br />

Thomas Hirschberger. „Die wichtigsten<br />

sind Preis, Produktumfeld und<br />

-qualität. Die Wertigkeit des Angebots<br />

wiederum liest der Gast an Herkunft,<br />

Optik und Herstellungsprozess<br />

ab.“ Diese Klaviatur des Marketings<br />

bespielt Hans im Glück geradezu<br />

meisterhaft. Online und in den Speisekarten<br />

liest der Gast von frischem<br />

Pflücksalat, sonnengereiften Tomaten,<br />

geheimen Soßenrezepturen und<br />

Heumilchkäse von Familienbetrieben<br />

aus dem Zillertal. „Das Gesamtbild<br />

von Sortiment über Einrichtung<br />

Die ganze Klaviatur des<br />

Marketings bespielen.<br />

bis hin zu Details wie Tellern und Besteck<br />

ist ein Markenversprechen“, so<br />

Hirschberger, der die Hans im Glück<br />

Franchise GmbH als Geschäftsführer<br />

steuert. Daran, dass der Burger das<br />

Zeug zum konzepttragenden Premiumprodukt<br />

haben würde, bestand für<br />

den Gründer der Freizeitgastronomie-Marke<br />

Sausalitos kein Zweifel:<br />

„Schon im Sausalitos war der Burger<br />

das stärkste Produkt. Gleichzeitig war<br />

das Marktsegment in Deutschland<br />

vor wenigen Jahren noch fast unbesetzt.“<br />

Nicht nur vor Konzeptstart<br />

floss viel Sorgfalt in die Komposition<br />

eines stimmigen Rahmens für einen<br />

30 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Thomas Fedra


PREMIUM<br />

aufgewerteten Burger. Auch im sechsten<br />

Jahr des Bestehens zurrt und korrigiert<br />

der umtriebige Hirschberger an<br />

seinem Konzept. Bestes Beispiel für<br />

die stete Ausrichtung am Zeitgeist ist<br />

das Getränkeangebot. Getränke – davon<br />

kündet der Untertitel des Konzepts<br />

– „Burgergrill-Bar“ – sind für<br />

Hans im Glück mehr als reine Durstlöscher.<br />

Entsprechend vielfältig ist die<br />

Auswahl, die neben den als Burger-Begleitern<br />

gelernten Softdrinks auch<br />

Bier, Wein und Cocktails umfasst. Einige<br />

sehr wirkungsvolle Botschaften<br />

Speisenkarte erinnert an<br />

ein Märchenbuch.<br />

erreichen den Gast indirekt, anderen<br />

will der Konzeptgründer durch höhere<br />

Transparenz noch mehr Kraft verleihen.<br />

„Das Tracking von Zutaten,<br />

beispielsweise Käse und Rindfleisch,<br />

wollen wir zeitnah möglich machen.“<br />

Über Social-Media-Plattformen wie<br />

Facebook sollen die Gäste nachvollziehen<br />

können, woher die Bestandteile<br />

ihres Burgers kommen. Genauso<br />

wichtig sei es, „die Gäste emotional<br />

abzuholen“. Als Träger positiv besetz-<br />

ter emotionaler Werte erkor er<br />

die Märchenfigur „Hans im<br />

Glück“ aus. Die Speisekarte erzählt<br />

die Geschichte des unbeschwerten<br />

Hans, der sich ohne Besitz frei und<br />

glücklich fühlt. Mit ausgeschmückten<br />

Initialen und<br />

altertümlich anmutenden Illustrationen<br />

erinnert sie an<br />

ein Märchenbuch.<br />

Konsequent fortgeführt wird das<br />

Genre über die Produktbezeichnungen:<br />

Von Pfeffersack bis Goldregen –<br />

alle Speisen und Getränke wurden mit<br />

einem fantasievollen Namen bedacht.<br />

Diese Freiheit barg die einmalige<br />

Chance, die Geschmackspalette neu<br />

zu interpretieren. Mit31 Burgern hat<br />

Konzept-Erfinder Hirschberger den<br />

gegebenen Spielraum umfassend genutzt.<br />

Zutaten wie Ziegenkäse und<br />

Feigensoße, Parmaschinken und Rauke<br />

bereichern das bis dato bekannte<br />

Burger-Repertoire. Vegane und vegetarische<br />

Varianten erweitern<br />

die Zielgruppe – die übrigens<br />

hat sich dank neuer Rezepturen<br />

und Einbettung von „traditionell<br />

männlich“ in zunehmend<br />

„weiblich“ gewandelt!<br />

Charlotte Holzhäuser<br />

Gründer<br />

Thomas<br />

Hirschberger.<br />

Hans im Glück<br />

Start 2010 in München<br />

Gründer Thomas Hirschberger (Foto)<br />

Standorte 39<br />

Motto So glücklich wie ich, gibt es keinen Menschen<br />

unter der Sonne!<br />

Anzahl Burger 31 – Rind (15), Hähnchenbrust (6),<br />

vegetarisch (7), vegan (3)<br />

Bestseller Heumilchkäse (Klassischer Burger plus<br />

Käse), Wilder Westen (Räucherkäse, Grillsoße<br />

& Röstzwiebeln), Geißbock (Ziegenkäse,<br />

Feigensoße & Speck)<br />

Ø-Umsatz: 2,4 Mio. €/Jahr und Standort<br />

Homepage www.hansimglueck-burgergrill.de<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

31


SPECIAL<br />

Craft Beer &Storytelling<br />

Pale Ale, Zwickel oder Rotbier statt Pils – kreative Craft Breweries setzen dem Mainstream eine<br />

Vielzahl an Bierstilen und Geschmacksprofilen entgegen. Das Braugasthaus Altes Mädchen in<br />

Hamburg bietet der quirligen Craft-Beer-Szene seit 2013 eine quicklebendige Bühne.<br />

Mutig fanden viele das Projekt, einige<br />

erklärten Oliver Nordmann<br />

vor sechs Jahren gar rundheraus<br />

für verrückt. Schließlich plante der<br />

frischgebackene Eigentümer der traditionsreichen<br />

Biermarke Ratsherrn<br />

nicht nur, mitten in dem für Bambule<br />

berüchtigten Hamburger Schanzenviertel<br />

eine kulinarische Erlebniswelt<br />

für Bierkenner zu errichten. Obendrein<br />

sollte sich auf dem ehemaligen<br />

Schlachthofgelände alles um eine in<br />

Deutschland damals noch unentdeckte<br />

Nische drehen: Craft Beer – also in<br />

kleinen Mengen eingebraute <strong>Spezial</strong>biere<br />

als individuelle Genussalternativen<br />

zu den Massenprodukten der<br />

32 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Braukonzerne. „Ursprünglich wollten<br />

wir ein Hamburger Pilsener brauen“,<br />

erinnert sich Ratsherrn-Geschäftsleiter<br />

Volker Schnocks. „Aber<br />

auf Recherchereisen während der<br />

Emotionalität der<br />

Bewegung fesselt.<br />

Bauarbeiten hat uns dann die Emotionalität<br />

der Craft-Beer-Bewegung in<br />

anderen Ländern gefesselt.“ Diese Leidenschaft<br />

und Produktverliebtheit<br />

ausländischer Kreativbrauereien in<br />

den USA, Kanada und Skandinavien<br />

nach Deutschland zu holen, lautete<br />

Fotos: H. Angerer, Thomas Fedra, Nordmann-Gruppe<br />

von nun an das Ziel. Dafür ruhte das<br />

Unternehmenskonzept von Anfang<br />

an auf zwei Säulen: hier die neue<br />

Brauerei, die auf handwerkliche Weise<br />

eine Vielfalt an Biersorten produziert.<br />

Plus, schräg vis-à-vis auf dem<br />

gleichen Gelände, das Braugasthaus,<br />

das den Craft-Bieren eine Inszenierungsplattform<br />

bietet, das Thema gastronomisch<br />

und kulinarisch mit Leben<br />

füllt. „Wir wollten von vornherein<br />

Emotionalität erzeugen!“ Schon<br />

der Name „Altes Mädchen“ weckt<br />

Sympathien: Schlagerlegende Freddy<br />

Quinn hat einst seine gefühlte Heimatstadt<br />

liebevoll schnoddrig als „altes<br />

Mädchen“ besungen. Überhaupt


PREMIUM<br />

förderte in der Planungsphase das Stöbern<br />

in Archiven haufenweise Anekdoten<br />

zutage – wertvoller Input für<br />

originelles Storytelling rund um Unternehmen,<br />

Marke, Produkte. 1.000<br />

Jahre reicht die Braugeschichte der<br />

Hansestadt in die Vergangenheit,<br />

noch im 16. Jahrhundert waren in<br />

Hamburg mehr als 500 Brauereien zu<br />

Hause. „Da gibt es viele tolle Geschichten,<br />

die wir gerne während der<br />

Brauereiführungen erzählen.“ Und<br />

auch in die Positionierung von Ratsherrn<br />

als hamburgerisch und authentisch<br />

fließt die Historie ein, was der aktuelle<br />

Werbeclaim „Hopfen, Malz<br />

und Hamburg“ griffig auf den Punkt<br />

bringt. Längst gelten die Hamburger<br />

Pilgerstätte für Fans<br />

exklusiver Craft-Biere.<br />

Verbindet Trend<br />

und Tradition:<br />

das Alte Mädchen<br />

in Hamburg.<br />

Schanzenhöfe deutschlandweit als<br />

Pilgerstätte für Fans exklusiver Bier<strong>spezial</strong>itäten,<br />

ergänzen seit 2014 weitere<br />

Konzeptbausteine die ursprüngliche<br />

Idee. So unterstreicht ein Craft<br />

Beer Store mit über 500 Bieren aus aller<br />

Welt die Gerstensaft-Kompetenz,<br />

während eine zusätzliche Micro Brewery<br />

als Innovationsschmiede fungiert.<br />

Insgesamt kommen im Gasthaus<br />

20 Craft-Biere aus dem Zapfhahn,<br />

rund 70 weitere Sorten werden<br />

in der Flasche offeriert – gängige bis<br />

exotische <strong>Spezial</strong>itäten in- und ausländischer<br />

Brauereien wie Trappisten,<br />

Porter, Rauchbier, Frucht lambic und<br />

und und. Gäste, die sich angesichts<br />

dieser Auswahl nicht entscheiden<br />

können, greifen gern zum Tasting<br />

Tray mit fünf Ratsherrnbieren vom<br />

Fass in 0,1-Liter-Probiergläschen.<br />

Weitere Bestseller? „Pilsener, Zwickel,<br />

Pale Ale, IPA, Rotbier“, erklärt<br />

Andreas Reitz, Geschäftsführer des<br />

Alten Mädchens. „Und unsere saisonalen<br />

Biere wie Summer Ale oder Matrosenschluck.“<br />

Generell ist der bier-kompatible<br />

Food-Part ein zentraler Baustein der<br />

Erfolgsstory, dokumentiert das Speisenangebot<br />

doch Nachhaltigkeit<br />

ebenso wie handwerkliche Kreativität.<br />

Die Fleischprodukte liefert die<br />

Nordmann-Erzeugergemeinschaft<br />

Land-Wert Hof, verschiedenste Brotsorten<br />

und (Burger-)Brötchen kommen<br />

aus dem Holzbackofen gleich am<br />

Gasthaus-Eingang. Pro Gericht empfiehlt<br />

die Karte passende Bieralternativen,<br />

und auch der Service hilft bei<br />

Fragen des Food Pairings gerne kompetent<br />

weiter. Schließlich verspricht<br />

schon die Website, dass alle im Team<br />

quasi Craft Beer im Blut haben – und<br />

selbst nachts um vier sagen können,<br />

welche Biersorte sich im Mund fruchtig,<br />

orientalisch, süß, stark, mild oder<br />

erdig anfühlt. „Darum investieren wir<br />

sehr viel in Schulungen, lassen Mitarbeiter<br />

ausbilden zu Beer-Keepern und<br />

Biersommeliers“, so Reitz. Denn:<br />

Glaubwürdigkeit ist in der Szene ein<br />

absolutes Muss, quasi Teil eines ungeschriebenen<br />

Ehrenkodexes. Dass sich<br />

durch Aufklärungsarbeit und Produkt-Storytelling<br />

auch die gegenüber<br />

gängigen Mainstreambieren um einiges<br />

höheren Preise erklären lassen,<br />

liegt auf der Hand.<br />

„Wer sich mit der Materie Craft Beer<br />

beschäftigt, weiß, welche hochwertigen<br />

Rohstoffe und welcher Aufwand<br />

in der Herstellung dahinterstecken“,<br />

betont Ratsherrn-Geschäftsleiter<br />

Schnocks. „Und ist deshalb bereit, den<br />

Wert des Produktes anzuerkennen<br />

und zu bezahlen.“ Ulrike Vongehr<br />

Altes Mädchen<br />

Start 2013<br />

Geschäftsführer Andreas Reitz, Thomas Arndt<br />

Standort Hamburg<br />

Anzahl Craft Beer 20 vom Fass, 70 aus der Flasche<br />

Bestseller Tasting Tray mit fünf Ratsherrnbieren<br />

vom Fass, Pilsener, Zwickel, Pale Ale, IPA,<br />

Rotbier und Saisonales wie Summer Ale<br />

und Matrosenschluck<br />

Preisspanne 2,90 € – 9,90 € (0,33l), Schnitt: 5,90/<br />

6,90 €; Tasting Tray (5 x 0,1l): 6,90 €<br />

Homepage www.altes-maedchen.com<br />

Die Ratsherrn-<br />

Braumeister:<br />

Thomas Kunst,<br />

Ian Pyle und Philip<br />

Bollhorn (v.l.)<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

33


WISSEN<br />

SPECIAL<br />

Acai, Goji und Chia – um Superfood<br />

hat sich ein regelrechter Hype<br />

entwickelt. Was wir schon fast vergessen<br />

haben: Zu vielen dieser Exoten gibt es<br />

heimische Alternativen.<br />

Superfood-Definition?<br />

Trotz der Allgegenwart in den Medien gibt es keine offizielle<br />

und rechtlich bindende Definition für den Begriff „Superfood“.<br />

Aber dennoch lassen sie sich einfach beschreiben,<br />

denn sie verfügen über eine besonders hohe Nährstoffdichte,<br />

sprich, sie bersten geradezu vor Vitaminen, Mineralstoffen,<br />

leicht verdaulichen Proteinen, sekundären Pflanzenstoffen<br />

oder wertvollen Fettsäuren. Zudem haben sie eine<br />

hohe Bioverfügbarkeit – unser Körper kann sie also leicht<br />

aufnehmen und verwerten.<br />

Heimische<br />

Kraftprotze<br />

Quinoa aus den USA, Acai-Beeren<br />

aus Brasilien, Chia-Samen aus<br />

Mexiko, das Kreuzblütengewächs<br />

Maca aus den peruanischen Anden.<br />

Die Super-Samen, -Beeren und -Körner<br />

werden aus den entferntesten<br />

Winkeln der Welt zu uns gebracht,<br />

um in Toppings, Suppen, Salaten und<br />

Smoothies ihre „magische Wirkung“<br />

zu entfalten. Auch wenn Superfoods<br />

natürlich keine Wundermittel sind,<br />

so werden ihnen positive Effekte für<br />

34 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Binh Thanh Bui, Diana Taliun (shutterstock.com)<br />

die Gesundheit und das Wohlbefinden<br />

attestiert. Das Thema boomt. Alleine<br />

bei Amazon.de lassen sich mittlerweile<br />

1.115 Bücher zum Thema<br />

„Superfood“ abrufen. Aber warum in<br />

die Ferne schweifen, wenn das heimische<br />

Superfood so nahe liegt? Superfoods<br />

aus der Region sind frischer,<br />

kaum mit Schadstoffen behaftet und<br />

schonen die Umwelt, da sie nicht so<br />

weit gereist sind.<br />

Grünkohl beispielsweise hat eine<br />

beachtliche Karriere gemacht und<br />

sich vom wenig glamourösen Wintergemüse<br />

zum hippen Trendgemüse gewandelt.<br />

Selbst in den USA gibt es<br />

kaum ein Szenelokal, das auf Grünkohl<br />

verzichtet. Sogar Popstar Beyoncé<br />

trägt stolz ein T-Shirt mit dem<br />

Aufdruck „Kale“, was auf Deutsch<br />

eben Grünkohl bedeutet. Im Grünkohl<br />

stecken viel Vitamin A, alle B-Vitamine<br />

und eine ordentliche Portion<br />

Vitamin K. Eine einzige Portion deckt<br />

zudem den empfohlenen Tagesbedarf<br />

an Vitamin C. Den Ruf als Anti-<br />

Aging-Mittel hat Grünkohl sich aber<br />

aufgrund seines hohen Quercetin-Gehalts<br />

gemacht, dem als sekundärer<br />

Pflanzenstoff eine extrem antioxidative<br />

Wirkung nachgesagt wird. In Roh-


WISSEN<br />

Superfood-Konzepte<br />

Immer mehr neue gastronomische Konzepte rund um<br />

Superfood entstehen. Saft-, Smoothie- und Salatbars<br />

boomen. Drei Gastronomen mit Profi-Tipps rund um die<br />

Kraftprotze.<br />

„Die Kunden stehen auf Hardcore-Grün. Grünkohl,<br />

Sellerie, Mangold mit Rucola boomen.“ Niels Jäger, Saftladen<br />

„SuperDanke!“ (www.superdanke.com), München<br />

„Die Bandbreite der Superfoods ist so groß, dass sie sich<br />

problemlos als Zutat oder Topping in fast alle Rezepturen<br />

integrieren lassen.“ Laura Koerver, Laura’s Deli<br />

(www.laurasdeli.de ), Düsseldorf<br />

„Wer sich auf Säfte und kalte Produkte konzentriert,<br />

hat im Winter ein Problem. Suppen und Salate sind ideale<br />

Einsteigerprodukte.“ Mike Kaiser, Saftcraft<br />

(www.saftcraft.com), Frankfurt<br />

form lässt er sich ideal für Smoothies<br />

verwenden, aber auch in Salaten. Ein<br />

gesunder Snack sind auch im Ofen getrocknete<br />

Grünkohlchips.<br />

Auch Spinat zählt zu den Superhelden<br />

unter den Gemüsesorten. Dass er<br />

besonders viel Eisen enthält, ist zwar<br />

ein widerlegter Mythos, aber dank Kalium,<br />

Kalzium, Magnesium, Beta-Karotin,<br />

Vitamin C, Folsäure und Zink<br />

reiht er sich ein in die Riege der Top-<br />

Powerfoods. Das im Blattgrün enthaltene<br />

Chlorophyll wird oft als „flüssiger<br />

Sonnenschein“ bezeichnet, da es<br />

durch den Einfluss der Sonne entsteht<br />

und eine blutbildende Wirkung haben<br />

soll. Spinat macht Smoothies zu<br />

wahren Power-Drinks, passt aber<br />

auch perfekt in Kombination mit anderen<br />

Blattsalaten. Garen sollte man<br />

ihn sanft, ideal wird er nur blanchiert,<br />

um seine Inhaltsstoffe zu behalten.<br />

Feldsalat ist das Powerfood unter<br />

den Blattsalaten und verfügt über den<br />

höchsten Vitamin- und Eisengehalt.<br />

Als Baldriangewächs verfügt er über<br />

zahlreiche Baldrianöle, die zum einen<br />

für den Geschmack verantwortlich<br />

sind, ihn aber vor allem zu einer ausgezeichneten<br />

„Nervennahrung“ machen.<br />

Leinsamen wusste schon unsere<br />

Großmutter als mildes und natürliches<br />

Abführmittel zu nutzen. Lein,<br />

auch Flachs genannt, gehört zu den ältesten<br />

Kulturpflanzen der Erde. In<br />

den Samen stecken viele Ballaststoffe<br />

und Schleimstoffe, die den Darminhalt<br />

gleitfähig machen und die Magen-<br />

und Darmschleimhaut schützen.<br />

Wie die exotischen Chia-Samen gehören<br />

sie zu den pflanzlichen Toplieferanten<br />

für Omega-3-Fettsäuren, denen<br />

man eine durchblutungsfördernde<br />

Wirkung nachsagt und eine hemmende<br />

von schlechtem Cholesterin.<br />

Geschrotet oder als ganze Körner<br />

eignen sie sich perfekt<br />

für Müslis und Toppings.<br />

Als hochwertiges Leinöl<br />

schmeckt es in Salatsaucen<br />

und Dips. Achtung:<br />

Es sollte nicht kochen,<br />

dann verliert es die<br />

hohe Omega-3-Fettsäuren-Dichte.<br />

Andrea Lottmann<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

35


MANAGEMENT<br />

SPECIAL<br />

DerWeg<br />

zum Miteinander<br />

Vor sechs Jahren hat Bodo Janssen in seinen Hotels einen neuen Kurs eingeschlagen. Weg vom<br />

reinen Gewinnstreben, hin zu mehr Menschlichkeit. Dadurch hat er für die Upstalsboom--Häuser<br />

viel erreicht: zufriedene Mitarbeiter und Gäste, mehr Umsatz.<br />

Der erste Schritt tat weh. „Wer<br />

möchte schon hören oder lesen,<br />

dass er von vielen Mitarbeitern äußerst<br />

kritisch betrachtet wird?“, sagt<br />

Bodo Janssen. „Ein neuer Chef soll<br />

36 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

her“, hatte einer seiner Angestellten<br />

sich sogar gewünscht. Festgehalten<br />

auf einem Fragebogen, der dem Eigentümer<br />

der Hotelgruppe Upstalsboom<br />

schwarz auf weiß vor Augen führen<br />

Das 4-Sterne-Hotel<br />

Deichgraf in Wremen<br />

nördlich von<br />

Bremerhaven.<br />

sollte, was seine Belegschaft wirklich<br />

denkt und fühlt. Ein Schlag ins Kontor<br />

sei das gewesen, bekennt der Hotelier<br />

aus dem ostfriesischen Emden.<br />

Selbst- und Fremdbild hätten kaum<br />

weiter auseinanderliegen können.<br />

Nicht den sympathischen und erfolgreichen<br />

Steuermann sahen die 450<br />

Mitarbeiter in ihm, sondern einen verwöhnten<br />

Jungunternehmer.<br />

Dass überhaupt gefragt und hinterfragt<br />

wurde, hatte damals ein neuer<br />

Personalleiter angestoßen. Obwohl<br />

das Geschäft gut lief, war die Stimmung<br />

im Keller, stellte der Personaler<br />

schnell fest. Was Einzelgespräche zutage<br />

förderten, untermauerten die<br />

Zahlen. Während Krankenstand und<br />

Fluktuation sukzessive stiegen, sank<br />

die Zahl der Bewerber. Statt sich unter<br />

der schwelenden Kritik wegzudu-<br />

Fotos: Upstalsboom


MANAGEMENT<br />

cken, sie an sich abprallen zu lassen<br />

oder seinen Managern in die Schuhe<br />

zu schieben, nahm Janssen sie an. Und<br />

machte sie zur Chefsache. Anderthalb<br />

Jahre besuchte er regelmäßig Seminare<br />

in einem Benediktinerkloster, um<br />

mithilfe von Pater Anselm Grün an<br />

sich zu arbeiten, Fragen aufzuwerfen<br />

und Antworten zu finden, Prioritäten<br />

und Werte neu zu definieren.<br />

„Wer in seiner Abteilung oder in seinem<br />

Unternehmen etwas verändern<br />

will, der ist gut damit beraten, zunächst<br />

und ausschließlich bei sich<br />

selbst anzufangen“, sagt Janssen in der<br />

ersten Szene eines Unternehmensfilms,<br />

der drei Jahre später den Ups-<br />

Corporate Happiness<br />

und Heiliger Benedikt.<br />

talsboom-Weg nachzeichnet. Mitgeprägt<br />

hat ihn neben den Regeln des<br />

heiligen Benedikt auch der sogenannte<br />

Corporate-Happiness-Ansatz. Er<br />

basiert auf der Positiven Psychologie<br />

und soll Menschen dabei helfen,<br />

glücklicher zu werden. Indem sie entdecken<br />

und leben können, was ihnen<br />

wirklich wichtig ist, wo ihre Talente<br />

und Stärken liegen, was ihnen Freude<br />

bereitet. Das Ziel: Wertschöpfung<br />

durch Wertschätzung – statt Ausnutzung.<br />

Eine neue Unternehmenskultur,<br />

die Kopf und Herz erreicht, im<br />

Spannungsfeld zwischen Wissenschaft<br />

und Spiritualität.<br />

Dreh- und Angelpunkt ist das Verständnis<br />

von Führung. Nämlich als<br />

Dienstleistung und nicht als Privileg,<br />

so Janssen. Der zentrale Glaubenssatz:<br />

Nur wer sich selbst führen kann, kann<br />

andere führen. Also bot der Hotelier<br />

auch seinen Führungskräften an, die<br />

Klosterseminare zu besuchen. Nicht<br />

jeder konnte etwas damit anfangen.<br />

Genauso wenig war jeder bereit, sich<br />

mit den desaströsen, in allen zehn<br />

Häusern vor versammelter Mannschaft<br />

präsentierten Ergebnissen der<br />

Mitarbeiterbefragung auseinanderzusetzen.<br />

Mehr als ein Dutzend Mitarbeiter<br />

in Führungspositionen kündigten<br />

daraufhin. Die anderen lernten<br />

umzudenken und anders zu lenken.<br />

Das entscheidende Rädchen in diesem<br />

Prozess? „Die Schocktherapie“,<br />

bekennt Janssen. „Seine Schwächen<br />

durch die Befragung ungefiltert gespiegelt<br />

zu bekommen und sein Scheitern<br />

zu akzeptieren.“ Einmal in Gang<br />

gesetzt, entwickelte der Prozess<br />

schnell eine Eigendynamik. Seminarbausteine<br />

wurden konzipiert, Leitbild<br />

und Wertekanon verfeinert. Parallel<br />

holte Janssen 2013 den Berater und<br />

Psychologen Oliver Haas ins Team.<br />

Unter seiner Ägide wurden die ersten<br />

Corporate-Happiness-Botschafter<br />

ausgebildet, um den Mentalitätswechsel<br />

vor Ort und im Alltag zu verankern.<br />

Bis zu 2 Prozent des Umsatzes, mehr<br />

als eine halbe Million Euro, hat der<br />

Der Einsatz hat sich<br />

mehrfach ausgezahlt.<br />

Familienunternehmer seitdem jedes<br />

Jahr in das Maßnahmenbündel investiert.<br />

Dass sich dieser Einsatz bereits<br />

nach kurzer Zeit doppelt und dreifach<br />

auszahlen würde, war weder beabsichtigt<br />

noch kalkuliert. „Es ist einfach<br />

passiert“, sagt Janssen. Getreu dem<br />

Motto „Kümmere dich um die Menschen,<br />

dann kümmern sich die Ergebnisse<br />

um sich selbst“.<br />

Die neu gewonnene Zufriedenheit<br />

der Mitarbeiter ließ nicht nur Fluktuation<br />

und Krankenstand sinken –<br />

in manchen Häusern fast gen null. Sie<br />

strahlte auch unmittelbar auf die Gäste<br />

ab. Lag die Auslastung 2009 noch<br />

bei 57 Prozent, sind es inzwischen gut<br />

70 Prozent. Die Weiterempfehlungsquote<br />

kletterte auf sensationelle 98<br />

Prozent. Effekte, die sich ebenfalls in<br />

der Bilanz niederschlagen: So hat sich<br />

der Umsatz zwischen 2009 und 2014<br />

nahezu verdoppelt. Obwohl die Bettenzahl<br />

nicht gestiegen ist, konnte die<br />

Umsatzrendite gesteigert werden.<br />

Unter anderem, weil Janssen sich<br />

traute, die Preise anzuheben.<br />

Mit seinem Mut zur konsequenten<br />

Kehrtwende und ihrer nachhaltigen<br />

Wirkung rüttelte der Hotelier nicht<br />

nur seine Mitbewerber wach. „Wir bekommen<br />

fast täglich Anfragen aus den<br />

unterschiedlichsten Branchen, von<br />

Familienunternehmen wie von international<br />

aufgestellten Konzernen.“<br />

Inzwischen können 25 Prozent der<br />

Seminarplätze von externen Interessenten<br />

belegt werden. Außerdem wurde<br />

die Corporate-Happiness-Ausbildung<br />

spezifiziert, neben Beratern gibt<br />

es nun Trainer und Coaches. „Theoretisch<br />

könnten wir mit diesem<br />

Know-how ein eigenes Profit-Center<br />

bestreiten“, sagt Janssen. „Aber das<br />

wollen wir gar nicht. Statt in andere<br />

Unternehmen hineinzugehen, bieten<br />

wir ihnen an, unserem Weg zu folgen<br />

und von unseren Erfahrungen zu profitieren.“<br />

Kein Spaziergang, aber er<br />

lohnt sich.<br />

Kerstin Schulte<br />

Ein Viertel der<br />

Seminarplätze für<br />

die Ausbildung von<br />

Beratern, Trainern<br />

und Coaches wird<br />

inzwischen von<br />

externen Teilnehmern<br />

belegt.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

37


SPECIAL<br />

Den Hebel umlegen<br />

Claudio Schmitz hatte anfangs keine Ahnung – weder von Veggie noch wie man 800 Köche<br />

dafür begeistert. Heute leben die Mitarbeiter der SV Schweiz die fleischfreie Küche. Mut zur<br />

Veränderung, lautet ein Erfolgsbaustein des Produktmanagers – alle mitzunehmen, der andere.<br />

Herr Schmitz, wir wollen ein<br />

Nachhaltigkeitskonzept auf die<br />

Beine stellen und eine starke vegetarische<br />

Kompetenz im Unternehmen<br />

aufbauen.“ Diese Worte klingen<br />

Claudio Schmitz, Director Product<br />

Management, noch heute in den Ohren.<br />

Damals saß er im Vorstellungsgespräch<br />

bei SV Schweiz und dachte nur,<br />

„davon hast Du keine Ahnung“. Als<br />

leidenschaftlicher Koch und Küchenchef<br />

hatte er zuvor in verschiedenen<br />

Top-Häusern der Schweiz gearbeitet,<br />

auch in Chicago und auf der chinesichen<br />

Halbinsel Macau den Kochlöffel<br />

geschwungen. Doch in den renommieren<br />

Restaurants prägten Rind,<br />

Schwein und Geflügel die Menüfolgen.<br />

„Ich musste zunächst bei mir<br />

selbst anfangen“, gesteht der gebürtige<br />

Schweizer heute. Damals – im Sommer<br />

2012 – feilte der Caterer gerade an<br />

seinem Klimaschutzprogramm „One<br />

Two We“. Um die CO2-Bilanz pro<br />

Hauptmahlzeit zu verbessern, sollten<br />

verstärkt vegetarische Speisen in die<br />

Betriebsrestaurants des Schweizer<br />

Marktführers Einzug halten. „Es ging<br />

Rein vegetarisch:<br />

Zürcher Geschnetzeltes<br />

mit Quorn<br />

als Fleischalternative,<br />

Champignons<br />

und Rösti.<br />

darum, ein völlig neues Mindset im<br />

Unternehmen zu pflanzen“, sagt er.<br />

Das neue Credo von SV Schweiz sollte<br />

fortan lauten: „Glutschig (lecker),<br />

frisch, gesund und nachhaltig. Doch<br />

wie füllt man ein abgedroschenes<br />

Wort wie Nachhaltigkeit mit Leben?<br />

Und wie begeistert man als Neuling<br />

im Unternehmen die Mitarbeiter für<br />

Alle Mitarbeiter mit ins<br />

Boot genommen.<br />

die neue Verpflegungsphilosophie?<br />

Fragen, die dem frisch gekürten Direktor<br />

für Produkt-Management<br />

durch den Kopf schwirrten. Schmitz<br />

selbst drückte in Weiterbildungen<br />

wieder die Schulbank und wühlte sich<br />

durch Themen wie Welternährung<br />

und Fleischkonsum. Parallel nahm<br />

der 40-Jährige die Gebietsmanager,<br />

Restaurantleiter und Köche mit ins<br />

Boot, befragte sie zu ihren Ideen und<br />

Fotos: SV Schweiz


MANAGEMENT<br />

Ängsten und initiierte zahlreiche<br />

Brainstorming-Runden. „Bei uns im<br />

Unternehmen heißt es nie: ‚So machen<br />

wir das!’, das ist nicht unsere Kultur“,<br />

sagt er mit Nachdruck. Relativ<br />

schnell war klar, ohne vegetarische<br />

Schulungen für die Köche läuft nichts.<br />

„Sie haben den Schalter umgelegt“,<br />

weiß er heute. Der erste Versuch mit<br />

einer Trainerin aus Deutschland<br />

Die Schulungen<br />

begeistern die Köche.<br />

scheiterte jedoch, weil die Lernmethode<br />

nicht stimmte – alles viel zu<br />

theoretisch war. So rief der Cateringmanager<br />

bei Hiltl in Zürich an. Das<br />

wohl älteste vegetarischen Restaurant<br />

der Welt ließ ihn zunächst abblitzen.<br />

Ein zweiter späterer Anlauf fruchtete<br />

jedoch. Schon nach den ersten Köche-<br />

Schulungen war klar: Die Chemie<br />

stimmt, die Herangehensweise an das<br />

Thema passte – ja begeisterte die SV-<br />

Mitarbeiter für das vegetarische Kochen.<br />

Schmitz selbst übernimmt bei<br />

den Schulungen den Auftakt, erzählt<br />

Hintergründe, spricht über die Überfischung<br />

der Weltmeere und zeichnet<br />

die Folgen einer stetig wachsenden<br />

Weltbevölkerung. Anschließend degustieren<br />

die Köche Seitan, Tofu und<br />

andere Zutaten der vegetarischen Kü-<br />

Ein kulinarischer Hingucker:<br />

der Veggie-Burger der SV Schweiz.<br />

che, werkeln am Kochtopf und erstellen<br />

vegetarische Speisenpläne. Zum<br />

Finale führt Hiltl die Teilnehmer<br />

durch die geheiligten Hallen des Restaurants.<br />

„Die Menschen emotional<br />

abholen“, lautet die Devise. „Ich<br />

bin der Kopf, aber ich benötige<br />

300 Menschen, die mitspielen“,<br />

betont Schmitz. Deshalb hört er<br />

viel zu, freut sich über jede Idee<br />

aus seinem Team. Eine davon<br />

holt das Wissen der Köche ab,<br />

ja vernetzt sie heute erfolgreich<br />

untereinander: die digitale<br />

Crowdsourcing-<br />

Plattform. Küchenchefs<br />

können sich hier miteinander<br />

vernetzen, Ideen<br />

für Gerichte posten,<br />

Fachfragen stellen und<br />

vieles mehr. So sehen<br />

die Kollegen etwa, wie<br />

Bernd Gasser in seinem Betriebsrestaurant<br />

in Zürich das Südindische<br />

Black-Curry anrichtet. Als kleinen<br />

Tipp gibt er seinen Kollegen zudem an<br />

die Hand, dass es „sehr gut bei den<br />

Gästen ankomme, wenn man die Speise<br />

mit Limetten, Kokosraspeln und<br />

Papadam garniert“. „Mir kommt es<br />

nicht darauf an, dass die Fleischportionen<br />

kleiner werden, sondern das<br />

Veggie-Angebot so attraktiv ist, dass<br />

die Gäste generell weniger Fleischgerichte<br />

auswählen“, formuliert<br />

Schmitz sein Ziel. Um das zu erreichen,<br />

seien die Menschen dahinter<br />

entscheidend – als emotionale Botschafter<br />

der neuen Philosophie. Regelmäßige<br />

Meetings und Besuche der<br />

Restaurantleiter und Köche bei Gemüsebauern,<br />

Milchviehhaltern oder<br />

etwa in der Käserei unterstützen dies.<br />

Gleichzeitig hat Schmitz mit seinem<br />

Team mit „FOODnext“ ein eigenes<br />

Köche-Magazin lanciert, in dem aktuelle<br />

Themen wie Aktionswochen, das<br />

1x1 der Farbenküche und andere Dinge<br />

in bildreicher Sprache den Mitarbeitern<br />

Appetit auf mehr machen. So<br />

viel Liebe zum Produkt überträgt sich<br />

auf die Gäste, denen die neue Richtung<br />

sichtlich schmeckt. Der Gemüse-<br />

und Obstanteil stieg auf den Tellern<br />

um 22 Prozent,<br />

während Schnitzel und Lachs<br />

bei den hungrigen Essern um 10 Prozent<br />

verloren. Das Ergebnis: Innerhalb<br />

von drei Jahren drosselte die SV<br />

Group ihren CO2-Ausstoß je Hauptmahlzeit<br />

um fast 10 Prozent. Gemeinsam<br />

mit seinem Team hat Schmitz an<br />

weiteren vielen Stellschrauben gedreht,<br />

um die Menüs klimafreundlicher<br />

zu gestalten. Täglich ein nachhaltiges<br />

Angebot im Restaurant zu servieren,<br />

sei schwierig. „Für den Kunden<br />

muss es gesund, frisch und vor allem<br />

preiswert sein.“ Dies sei wie Sudoku<br />

spielen, so Schmitz, sehr kniffelig. Ohne<br />

intensive Auseinandersetzung und<br />

tägliches Üben komme man nicht voran.<br />

So seien etwa Kräuter als Flugware<br />

aufgrund ihres geringen Gewichts<br />

akzeptabel, jedoch schwere Produkte<br />

wie Lamm aus Neuseeland nicht,<br />

führt der Cateringprofi an. Knowhow,<br />

das nicht jeder Gast im Hinterkopf<br />

hat. „Wir verkaufen Veggie und<br />

Klimaschutz über den Teller. Am Ende<br />

entscheidet jeder selbst, wie viel<br />

Verantwortung er übernimmt.“<br />

Claudia Zilz<br />

Inspiriert bei<br />

der täglichen<br />

Arbeit: das<br />

Köche-Magazin<br />

der SV Schweiz.<br />

Besuche bei Gemüsebauern und in der<br />

Käserei gehören zum Programm.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

39


SPECIAL<br />

Wo Emotionen hochkochen<br />

Nicht weniger als emotionalen Genuss in Senioreneinrichtungen verankern will <strong>Transgourmet</strong><br />

mit seinem Projekt „Vom Kostenfaktor zum Glücksfaktor“. Eine Initiative, die auf politischer wie<br />

gesellschaftlicher Ebene nachhaltig bewegen will und auf neue Impulse pro Wertschätzung hofft.<br />

Wir werden älter, jeder für sich<br />

und alle gemeinsam. Daran<br />

führt kein Weg vorbei. Deutschland<br />

ergraut. Zurzeit leben hierzulande<br />

rund 20 Millionen Menschen, die das<br />

60. Lebensjahr überschritten haben.<br />

Das entspricht einem Anteil von rund<br />

25 Prozent. In 30 Jahren wird die<br />

Quote auf 35 Prozent gewachsen sein.<br />

Jeder Dritte in unserer Gesellschaft<br />

zählt dann zu den Senioren. Gleichzeitig<br />

steigt die Lebenserwartung der<br />

Menschen von Jahr zu Jahr. Bis 2030<br />

wird sich die Zahl der über 80-Jährigen<br />

von heute 3,6 Prozent auf 7,4 Prozent<br />

mehr als verdoppeln. Prognosen<br />

sagen sogar eine Vervierfachung im<br />

gleichen Zeitraum mit Blick auf die<br />

über 100-Jährigen voraus. Deren Zahl<br />

steigt von rund 10.000 heute auf<br />

44.000 Hochbetagte im Jahr 2025.<br />

Der demografische Wandel und die<br />

gestiegene Lebensqualität der Senioren<br />

erfordern eine Neubewertung des<br />

Alters. Im Schnitt leben die Deutschen<br />

heute über 30 Jahre länger als<br />

noch vor 100 Jahren und haben zudem<br />

die Chance, ihr Leben im Alter bei guter<br />

Gesundheit aktiv zu gestalten.<br />

Wer kann, bleibt so lange wie möglich<br />

40 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Caro Hoene aus „Wir haben einfach gekocht“, Neuer Umschau Buchverlag, Daniela Haug, Susanne Duda


INITIATIVE<br />

che Einerlei aufbricht. Leider werden<br />

die Mahlzeiten in vielen Häusern heute<br />

vor allem als Kostenfaktor betrachtet<br />

und weniger als Gaumenschmaus<br />

für die Bewohner. Das weiß auch Martin<br />

Kölle, Prokurist und Leiter Nationaler<br />

Vertrieb Gemeinschaftsverpflegung<br />

bei <strong>Transgourmet</strong>. Verpflegungssätze<br />

von 4 Euro und weniger<br />

machen es den Heimköchen schwer,<br />

ein „Mehr“ auf dem Teller zu servieren.<br />

Mit dem Projekt „Vom Kostenfaktor<br />

zum Glücksfaktor“ will <strong>Transgourmet</strong><br />

neue Konzepte für emotionalen<br />

Genuss in den Häusern lancieren.<br />

Aber nicht nur das: „Wir wollen<br />

generell eine höhere Sensibilität für<br />

das Thema Seniorenverpflegung in<br />

der Öffentlichkeit erreichen“, sagt<br />

Kölle mit Nachdruck. Ihm<br />

liegt viel an der<br />

Thill. Besonders in den Nachbarländern<br />

Schweiz und Österreich genießt<br />

die Küche ein deutlich höheres Ansehen.<br />

Bemerkenswert hierzulande ist,<br />

dass zum Beispiel nur wenige Senioreneinrichtungen<br />

auf ihrer Homepage<br />

der Verpflegung den notwendigen<br />

Raum einräumen, oftmals sind<br />

nicht einmal die Speisepläne ersichtlich,<br />

beobachtet Kölle. „Wir<br />

wollen zusätzlich die Leistung<br />

der Küche mehr in das Bewusstsein<br />

der Häuser und der Öffentlichkeit<br />

bringen und die Wertschätzung<br />

steigern“, unterstreicht<br />

der Profi. Denn Essen sei<br />

viel mehr als nur ein Budget- bzw.<br />

Kostenfaktor. „Essen hat maßgeblichen<br />

Einfluss auf das Wohlbefinden.<br />

Genau deshalb soll Essen zum<br />

Ein Stück Normalität<br />

im Heimalltag:<br />

Leichte Arbeit in<br />

der Küche fördert<br />

auch die Motorik.<br />

In Deutschland rund<br />

13.000 Einrichtungen.<br />

in den eigenen Wänden. Wer nicht,<br />

zieht in eine der bundesweit rund<br />

13.000 Senioreneinrichtungen, in denen<br />

zurzeit gut 760.000 Menschen leben.<br />

Das Essen dort ist für viele der<br />

Höhepunkt des Tages, der das tägli-<br />

Initiative. Generationsbedingt<br />

werde der Bereich Seniorenverpflegung<br />

in den nächsten Jahren stark<br />

wachsen. „Wir möchten, dass auch die<br />

Verpflegungsqualität weiter zunimmt<br />

und neben Nährwerten und Kalorien<br />

gleichermaßen Geschmack, Genuss<br />

und die persönliche Essbiografie der<br />

Senioren wieder stärker thematisiert<br />

werden. Das Großhandelsunternehmen<br />

will deshalb bewusst die Speisenplanung<br />

in den Mittelpunkt rücken.<br />

Trends wie Regionalität, Saisonalität,<br />

Heimatküche oder vegetarische Menüs<br />

sollen zukünftig im Verständnis<br />

der Häuser eine größere Rolle spielen.<br />

Die Küche sollte als gleichberechtigte<br />

dritte Säule zwischen Pflege und<br />

Hauswirtschaft verstanden werden,<br />

wünscht sich der Experte Herbert<br />

Die Mahlzeiten<br />

sind für Senioren<br />

oft der Höhepunkt<br />

des Tages.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

41


SPECIAL<br />

INITIATIVE<br />

emotionalen Genuss werden!“ <strong>Transgourmet</strong><br />

hat vor Kurzem ein Projekt<br />

aufgelegt, das bundesweit bislang beispiellos<br />

ist. Bausteine der Initiative<br />

sind Schulungen für Küchenleiter sowie<br />

Küchen-, Pflege- und Hauswirtschaftspersonal<br />

(siehe Kasten), ein<br />

bundesweiter Wettbewerb für Senioreneinrichtungen<br />

sowie eine Tagung<br />

Symposium mit Preisverleihung<br />

in Kassel.<br />

mit Preisverleihung am 16. November<br />

2016 in der Kasseler Brüderkirche.<br />

Martin Kölle: „Das Symposium soll<br />

der würdige Abschluss sein und die<br />

Gewinner des Wettbewerbs ehren.<br />

Martin Kölle<br />

(re. im Bild): „Wir<br />

möchten erreichen,<br />

dass Verpflegungsqualität<br />

und<br />

Genuss beim Essen<br />

weiter zunehmen.“<br />

Aber natürlich möchten wir, dass die<br />

Debatte auch danach auf gesellschaftlicher<br />

und politischer Ebene weitergeht.“<br />

Dem <strong>Transgourmet</strong>-Manager<br />

ist wichtig zu betonen, dass das Unternehmen<br />

nicht nur Ideengeber sein<br />

möchte, sondern auch individuelle<br />

Konzepte mit den Kunden weiterentwickelt.<br />

In den vielen Einsendungen zum<br />

Wettbewerb „Vom Kostenfaktor<br />

zum Glücksfaktor“ kommt das Engagement<br />

zum Ausdruck, das viele Küchenverantwortliche<br />

heute schon an<br />

den Tag legen. Das Grundprinzip<br />

heißt, den Bewohner abholen, ihn einbinden<br />

und durch aktive Mitarbeit<br />

begeistern. Als Jurymitglied des Wettbewerbs<br />

„Vom Kostenfaktor zum<br />

Den Bewohner abholen<br />

und einbinden.<br />

Glücksfaktor“ hat Prof. Dr. Christoph<br />

Klotter, Hochschule Fulda, viele<br />

Ideen gesichtet. Seinen ersten Eindruck<br />

nach Bewertung der rund 50<br />

Bewerbungen beschreibt der Ernährungsexperte<br />

und Psychologe so: „Ich<br />

war erstaunt, wie viele Einrichtungen<br />

nicht einfach nur die Bewohner verköstigen,<br />

sondern mit viel Fantasie die<br />

Senioren anregen und beteiligen. Beispielsweise<br />

indem gemeinsam etwas<br />

angepflanzt und geerntet wird oder<br />

die Menschen, die nicht mehr in den<br />

Speisesaal gehen können, mit mobilen<br />

Schulungsangebot<br />

Was bedeutet Essen für das Wohlbefinden der Bewohner?<br />

Und wie kann eine Einrichtung emotionalen Genuss vermitteln?<br />

Antworten sowie viele praktische Tipps lieferte<br />

<strong>Transgourmet</strong> in bundesweit sechs Workshops. Die Seminarreihe<br />

wird im nächsten Jahr fortgeführt . Inhalte sind:<br />

Funktion und Rolle der Sinne beim Essen.<br />

Aktivierung dieser Sinne – speziell bei Demenz.<br />

Was ist emotionaler Genuss? Verknüpfung von Heimat,<br />

Erinnerung und Kommunikation.<br />

Vorstellung eigener Konzepte: Kennenlernen von erprobten<br />

Beispielen aus der Praxis.<br />

Umsetzung in die Praxis: gemeinsame Konzepterstellung.<br />

Mehr Infos im Weblog: www.kochen-für-senioren.de<br />

Ideenfindung<br />

leicht gemacht.<br />

Die Workshops<br />

waren sehr gut<br />

besucht.<br />

42 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016


INITIATIVE<br />

PRAXIS<br />

„Unser Stellenwert muss sich ändern“<br />

Wir sprachen mit dem Experten für Seniorengastronomie<br />

und Smoothfood, Herbert Thill,<br />

über neue Anforderungen an die Heimküche.<br />

Thill ist Küchenmeister und -leiter im Haus<br />

Christkönig in Bad Wildungen.<br />

Der Stellenwert der Seniorenverpflegung<br />

nimmt mit der Alterspyramide kontinuierlich<br />

zu. Kommt diese steigende Bedeutung auch<br />

bei den kochenden Kollegen rüber?<br />

Herbert Thill: Ich habe das Gefühl, dass die<br />

Aufgaben in der Heimküche umfassender<br />

werden. Damit meine ich, dass wir mehr und<br />

mehr auch für andere Zielgruppen wie Kinder<br />

und Schüler kochen. Das gehört eigentlich<br />

nicht zu unserer Kernaufgabe, wird aber dem<br />

Küchenleiter gerne aufgedrückt. Damit will<br />

man zusätzliche Einnahmen, sprich, Deckungsbeiträge,<br />

holen. Im Klartext: Die Alten subventionieren<br />

das Essen der Jungen. Damit wird<br />

aber das Essen im Heim noch nicht besser.<br />

Wie sehen heute die Anforderungen an<br />

Heimköche konkret aus?<br />

Thill: Ein zentrales Thema ist heute sicher<br />

Smoothfood, also passierte Kost. Fakt ist, dass<br />

die Zahl jener Senioren mit Kau- und Schluckbeschwerden<br />

stetig steigt. Hier sehe ich vielfach<br />

noch Optimierungsbedarf, was die Zubereitung<br />

der hochempfindlichen Lebensmittel<br />

betrifft. Da fehlt es an Personal oder an Zeit<br />

oder das Budget ist zu knapp bemessen. Ein<br />

anderes Thema, das ich in der Praxis immer<br />

wieder registriere, ist die fehlende individuelle<br />

Abstimmung verschiedener Arbeitsabläufe<br />

zwischen Pflege, Hauswirtschaft und Küche.<br />

Besonders bei der Versorgung von Demenzkranken<br />

muss das besser werden. So bleibt das<br />

wichtige Thema passierte Kost in vielen Häusern<br />

auch deshalb häufig ein Stiefkind.<br />

Manche Häuser haben die Küchenleistung<br />

als Visitenkarte erkannt. Kommt das auch in<br />

einem größeren Budgetrahmen zum Ausdruck?<br />

Thill: Wir haben bei den Budgets ein Nord-<br />

Süd-Gefälle: Aus Berlin kenne ich die niedrigsten<br />

Budgets, die bei 3,50 Euro liegen.<br />

Wohlgemerkt reiner Wareneinsatz für sechs<br />

Mahlzeiten, darunter auch kleine Zwischenmahlzeiten.<br />

Was wir in der Heimküche brauchen,<br />

sind 5 Euro Materialkosten. Wenige<br />

Häuser wie etwa in München geben für Lebensmittel<br />

viel Geld aus. Der Schnitt liegt bei 4 Euro<br />

pro Tag und Bewohner.<br />

Was ist Ihnen als Jurymitglied des Wettbewerbs<br />

„Vom Kostenfaktor zum Glücksfaktor“<br />

bei den Bewerbungen aufgefallen?<br />

Thill: Insgesamt gibt es noch vielfach einen<br />

einfachen Standard. Da ginge mehr. Meines<br />

Erachtens wird zu wenig gefragt, wie der<br />

Bewohner eingebunden werden kann. Mir wird<br />

zu viel für den Bewohner gemacht und zu<br />

wenig mit ihm.<br />

Worauf sollte die Heimküche mehr achten?<br />

Thill: Unser Problem ist, dass wir uns wenig auf<br />

die Welt der Bewohner einlassen. Wir müssen<br />

den Gästen nicht alles sofort vor die Nase<br />

setzen. Sehen Sie, in der Heimkochausbildung<br />

beschäftigen wir uns nicht mit Kochen, sondern<br />

mit der Herausforderung Demenz. Hier müssen<br />

wir den Mut haben, neue Wege zu gehen und<br />

Lösungen zu finden. Leider genießt die Heimküche<br />

nicht den Stellenwert, den sie längst für die<br />

Bewohner hat. Sie liefert die Highlights des<br />

Tages. Stattdessen verharren die Entscheider in<br />

dem Denken: Hauptsache warm, satt und<br />

sauber. Diesbezüglich sind unsere deutschsprachigen<br />

Nachbarn Schweiz und Österreich<br />

weiter – hier genießt die Küche eine hohe<br />

Position. Da gibt es keine Cent-Diskussionen<br />

um gute Lebensmittel. Burkart Schmid<br />

Küchen kulinarischen Genuss erfahren.<br />

Auf diese Weise bleibt die Würde<br />

der Menschen gewahrt.“ Klotter weiter:<br />

„Es bleibt eben nicht der Eindruck<br />

hängen, dass die Älteren einfach nur<br />

verwaltet werden. Mich hat die Kreativität<br />

aller Einrichtungen, die Vielfalt<br />

der Möglichkeiten, die sie entwickelt<br />

haben, sehr beeindruckt. Das hätte ich<br />

in dieser Breite nicht erwartet.“<br />

Was der Wissenschaftler beschreibt,<br />

ist für viele Verantwortliche und Bewohner<br />

zum Selbstverständnis geworden:<br />

Die Küche steht vielfach für ein<br />

neues Denken von Offenheit und Lebensfreude<br />

samt Wohlbefinden für<br />

die Bewohnerinnen und Bewohner.<br />

Die Seniorenverpflegung steckt diesbezüglich<br />

in einem Wandel, was den<br />

Stellenwert der Ernährung betrifft.<br />

Essen kann emotionale<br />

Heimat geben.<br />

Martin Kölle bringt es auf den Punkt:<br />

„Der Qualitätsanspruch wird meiner<br />

Meinung nach steigen. Neue innovative<br />

Konzepte, die den Menschen in<br />

den Mittelpunkt rücken und die Verpflegung<br />

als Qualitätsmerkmal ansehen,<br />

werden zunehmen und überzeugen.“<br />

Insgesamt sei die Branche auf einem<br />

guten Weg. Essen könne den Bewohnern<br />

eine emotionale Heimat<br />

geben, ist sich der <strong>Transgourmet</strong>-Manager<br />

sicher. Allerdings müssten die<br />

Wünsche und Erwartungen der Gäste<br />

von der Küchencrew kontinuierlich<br />

erfragt werden. „Die Heimküche<br />

stärkt die Gemeinschaft und bildet so<br />

den Rahmen, auch neue Themen voranzutreiben<br />

und den Dialog zu fördern.“<br />

Sein Credo: Eine große Aufgabe,<br />

die ein enormes Potenzial in sich<br />

birgt, das es zu erschließen gilt. Übrigens<br />

sind die Empfehlungen für eine<br />

Gemeinsam<br />

zelebrierte Mahlzeiten<br />

stärken die<br />

Gemeinschaft.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

43


INITIATIVE<br />

gesunde Ernährung für Jung und Alt<br />

gleich: Frisches Obst und Gemüse sowie<br />

Vollkorn-Getreideprodukte sollten<br />

häufig auf dem Teller landen,<br />

Fleisch, fett- und zuckerhaltige Lebensmittel<br />

dagegen nur in Maßen.<br />

Außerdem rät die Deutsche Gesellschaft<br />

für Ernährung (DGE), täglich<br />

Milchprodukte aufzutischen, sowie<br />

einmal pro Woche Seefisch. Allerdings<br />

erlebt der Mensch in der zweiten<br />

Lebenshälfte einige Veränderungen,<br />

die Anpassungen in der Ernährungsweise<br />

sinnvoll machen können. Der<br />

Stoffwechsel stellt sich um, der Muskelanteil<br />

im Körper schwindet, der<br />

Anteil an Fettgewebe nimmt zu. Das<br />

führt dazu, dass Menschen im Alter einen<br />

geringeren Energieumsatz haben<br />

als jüngere. Ein 65-jähriger Mann be-<br />

nötigt am Tag etwa 330 Kilokalorien<br />

weniger als ein 25-Jähriger, rechnet<br />

die DGE vor. Bei einer Frau sinkt der<br />

Bedarf im gleichen Zeitraum um 170<br />

Kilokalorien. Diesem verringerten<br />

Energieverbrauch müssen auch die<br />

Heimköche Rechnung tragen. Deren<br />

Bedeutung wird in den nächsten Jahren<br />

steigen.<br />

Burkart Schmid / Claudia Zilz<br />

FORSCHUNG<br />

„Sie wollen aktiv bleiben“<br />

Die Beatles-Generation kommt ins Rentenalter.<br />

Damit ändern sich auch deren Ansprüche<br />

an das Essen. Wir sprachen mit dem<br />

Ernährungsexperten und Psychologen Prof.<br />

Dr. Christoph Klotter über die Merkmale der<br />

neuen Alten.<br />

Wie wirkt sich der demografische Wandel auf<br />

den Umgang mit Senioren als wachsende<br />

Zielgruppe aus?<br />

Prof. Dr. Christoph Klotter: Lange bestand die<br />

Befürchtung, der soziodemografische Wandel<br />

würde sich dahingehend auswirken, dass die<br />

Menschen älter und kränker werden. Jedoch<br />

hat sich die sogenannte Kompressionshypothese<br />

bestätigt. Menschen werden älter, aber vor<br />

ihrem Tod kürzer krank. Insgesamt sind ältere<br />

Menschen viel gesünder als früher. Die heute<br />

70-Jährigen sind körperlich so gesund wie die<br />

50-Jährigen ihrer Vorgängergeneration. Und<br />

wir werden permanent älter: Zwischen 1990<br />

und 2010 stieg die Lebenserwartung um mehr<br />

als 5 Prozent, bei den Männern sogar um 7<br />

Prozent. Ältere Menschen sind mit ihrem Leben<br />

nicht unzufriedener als Jüngere. Im Gegenteil.<br />

Auch aufgrund ihres guten Gesundheitsstatus<br />

sitzen sie nicht im Altenheim im Rollstuhl,<br />

sondern wollen am Leben aktiv teilhaben. Viele<br />

von ihnen haben einen kleinen Nebenjob. Sie<br />

wollen anerkannte Mitglieder der Gesellschaft<br />

sein, auch wenn sie ihre Identität nicht mehr<br />

überwiegend über ihre Arbeit definieren.<br />

Welche Ansprüche werden an die Senioreneinrichtungen<br />

gestellt?<br />

Prof. Dr. Klotter: Die neuen Alten wollen nicht<br />

verwaltet sein. Viele Einrichtungen früher, aber<br />

teilweise auch noch heute, glichen in ihrer<br />

Gestaltung einem Gefängnis. Mit dem Soziologen<br />

Goffman wissen wir, dass totale Institutionen<br />

die menschliche Psyche grundlegend<br />

ruinieren. Heute ist aktive Teilhabe angesagt,<br />

möglichst viel Autonomie für die neuen Alten.<br />

TV schauen und Däumchen drehen reichen bei<br />

Weitem nicht aus.<br />

Was wünschen sich denn die „neuen Alten"?<br />

Prof. Dr. Klotter: Anstatt sie aufzubewahren<br />

und zu verwalten, kann ihnen auf Augenhöhe<br />

begegnet werden, nicht bevormundend, nicht<br />

vorschreibend, sondern partizipativ. Ältere wie<br />

alle Menschen wollen gefragt sein, wollen<br />

einbezogen sein, wollen mitgestalten, Impulse<br />

geben und womöglich umsetzen.<br />

In welche Richtung entwickeln sich die<br />

Ernährungsgewohnheiten älterer Menschen?<br />

Prof. Dr. Klotter: Da die Älteren heute mehr<br />

Zeit als früher haben, nimmt das Essen mehr<br />

Raum ein als bei Berufstätigen. Sie essen relativ<br />

gesund. Und sie essen traditionell, also das,<br />

was sie schon immer gegessen haben. Das<br />

verleiht ihnen Identität und Kontinuität. Sie<br />

können sich auf ihre Lebensgeschichte zurückbesinnen.<br />

Mit dem Essen verleihen sie ihrem<br />

Leben Sinn. Der entscheidende Unterschied zu<br />

früher besteht darin, dass wir länger leben,<br />

länger selbstständig leben. Selbst einzukaufen,<br />

selbst zu kochen, selbst aufzuräumen, bedeutet<br />

wiederum, die eigene Selbstständigkeit aufrechtzuerhalten,<br />

wenn nicht zu erhöhen.<br />

Welche Rolle spielen die vielen Reisen in<br />

fremde Länder?<br />

Prof. Dr. Klotter: Wenn Ältere Urlaub machen,<br />

dann wollen sie auch danach wie viele andere<br />

das speisen, was sie in Spanien oder Thailand<br />

zu sich genommen haben. Dies weckt Urlaubserinnerungen<br />

und erhöht die Vielfalt bei Tisch.<br />

Wie wirkt sich die Lebenserfahrung der<br />

Menschen auf das Ernährungsverhalten im<br />

Alter aus?<br />

Prof. Dr. Klotter: Menschen sind insgesamt<br />

relativ änderungsresistent. Längsschnittstudien<br />

zeigen, dass kleine Kinder, die Ernährungsvielfalt<br />

erlebt haben und sich beim Kaufen und<br />

Zubereiten beteiligen konnten, sich auch 20<br />

Jahre später noch vielfältig ernähren. Was sich<br />

aber sehr wohl auswirkt, ist die soziale Lebenslage:<br />

je höher, umso gesünder. Und das setzt<br />

sich im Alter fort; ebenso das Geschlecht: Auch<br />

ältere Frauen ernähren sich gesünder als ältere<br />

Männer, verzehren mehr Obst und Gemüse und<br />

weniger Fleisch und Wurst. Der Mensch ist<br />

beim Ändern eine Schnecke. Aber selbstredend<br />

können Einrichtungen Änderungen bewirken,<br />

wenn es den Älteren Spaß macht, wenn sie<br />

etwas erleben, wenn sie selbst Hand anlegen<br />

können und sie darin einen unmittelbaren Sinn<br />

sehen – etwa die Freude, mit anderen zusammen<br />

zu kochen. Aber auch eine wachsende<br />

Kompetenz beim Essen und Zubereiten kann<br />

Sinn machen.<br />

Burkart Schmid<br />

44 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

SPECIAL


INITIATIVE<br />

Lieblingsrezepte und mehr<br />

Auf einer Rundreise zu verschiedenen Senioreneinrichtungen<br />

von Artelshofen bis Wolfsegg verrieten die Bewohner<br />

ihre Lieblingsgerichte und packten begeistert selbst<br />

mit an. Die Sammlung von 100 Lieblingsrezepten ist ein<br />

gemeinsames Projekt von Manuela Rehn und Jörg Reuter<br />

von der Berliner Strategieberatung „grüneköpfe“ sowie der<br />

Kochbuchautorin und Food-Bloggerin Cathrin Brandes. Das<br />

Buchprojekt wurde unterstützt vom Coop-Fonds für Nachhaltigkeit<br />

und von <strong>Transgourmet</strong> Deutschland. Es ist erschienen<br />

im Neuer Umschau Buchverlag und begeistert in seiner<br />

Bildersprache.<br />

„Wir haben einfach gekocht“, Hardcover, 304 Seiten,<br />

ISBN: 978-3-86528-805-9, Preis: 29,90 Euro.<br />

www.wir-haben-einfach-gekocht.de<br />

Kochbuch-Initiator<br />

Jörg Reuter (li.) mit<br />

einem Bewohner.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

45


WISSEN<br />

SPECIAL<br />

Mangold – erdig gut!<br />

Im 17. Jh. zählte Mangold zu den beliebtesten Gemüsesorten<br />

in Deutschland, bevor es von Spinat verdrängt wurde.<br />

Botanisch gesehen ist Mangold eine Rübe und mit Roter<br />

Bete und Zuckerrübe verwandt. Zu unterscheiden sind zwei<br />

Sorten: Blatt-Mangold und Stiel- oder Rippenmangold.<br />

Typisch sind verschiedenfarbige Stengel und Blattadern.<br />

Blatt-Mangold lässt sich wie Spinat verwenden, hat jedoch<br />

einen intensiv erdigen Geschmack.<br />

Neue Lust<br />

auf altes Gemüse<br />

Pastinake, Urmöhre und Rote Bete – lange vergessene Gemüsesorten halten wieder Einzug in<br />

deutsche Küchen. Neben Sterneköchen schwören vermehrt Gastronomen und Caterer auf das<br />

Urgemüse, das mit ungewohnten Farben und Aromen immer mehr Gäste in seinen Bann zieht.<br />

Bitterstoffe wurden bei<br />

Gemüse weggezüchtet.<br />

Wer kennt noch den Geschmack<br />

von lila Möhren, weißen Tomaten<br />

oder der blauen Anneliese, einer<br />

Kartoffelsorte? Viele Obst- und<br />

Gemüsesorten, die zu Großmutters<br />

Zeiten noch auf dem täglichen Speiseplan<br />

standen, sind heute verschwunden.<br />

Unsere heimische Vielfalt an Apfelsorten,<br />

Wurzelgemüsen, Salaten<br />

und Kartoffeln hat sich über Generationen<br />

dezimiert. Mit der Industrialisierung<br />

der Landwirtschaft wurden<br />

Sorten bevorzugt, die schnell wachsen,<br />

länger haltbar und optisch makellos<br />

sind, Bitterstoffe wurden herausgezüchtet.<br />

Der Verlust der Vielfalt<br />

zeigt sich zum Beispiel bei der Möhre:<br />

Im Handel sind oft nur ein bis zwei<br />

Sorten erhältlich. Dabei gäbe es annähernd<br />

500 Möhrensorten zu entdecken.<br />

Die Urform ist violett und hat<br />

intensive Aromen, die man so nicht<br />

kennt. Seit einigen Jahren erleben Gemüsesorten,<br />

die jahrzehntelang verschwunden<br />

waren, ein Comeback. Ob<br />

Pastinake, seltene Rote Bete, Spargelerbse<br />

oder alte Wurzel- und Knollen<strong>spezial</strong>itäten<br />

wie Zuckerwurz oder<br />

Erdmandel: Die Koch-Avantgarde<br />

hat alte Gemüsesorten längst wieder<br />

entdeckt. Spitzenköche wie Thomas<br />

Bühner in Osnabrück oder Michael<br />

Hoffmann in Berlin haben eigene<br />

Gärten, in denen sie Früchte und Gemüse<br />

anbauen und dabei auf vergessene<br />

Sorten mit herausragenden geschmacklichen<br />

Eigenschaften setzen.<br />

Ex-Margaux-Chef Michael Hoffmann,<br />

Vorreiter einer komplexen Gemüseküche,<br />

servierte seinen Gästen<br />

46 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Dasuwan, Enlightened Media, Photocrew, Uckyo (alle fotolia.de), Solveig Hansen, Ralf Hiener


WISSEN<br />

Lila Kohlrabi – nussig fein!<br />

Die Kohlrabi gehört zur Familie des Kohls und wurde in<br />

Deutschland erstmals im 16. Jh. erwähnt. Fast 50 verschiedene<br />

Sorten werden in Deutschland angebaut. Die<br />

lilafarbene Sorte hat eine lila Schale, zartes weißes Fruchtfleisch<br />

und einen würzigen, nussigen Geschmack. Sie eignet<br />

sich zum Braten, Kochen, Dünsten und sorgt auch frisch in<br />

Salaten für einen schönen farbigen Akzent.<br />

Gemüse-Menüs mit bis zu acht Gängen.<br />

Auch die europäischen Kollegen<br />

wissen um die besonderen Qualitäten<br />

der Urgemüse: In Österreich lässt sich<br />

Heinz Reitbauer, in den Niederlanden<br />

Jonnie Boer von regionalen Raritäten<br />

zu innovativen Kreationen inspirieren.<br />

Und im Norden Europas<br />

setzen sich die Dänen René Redzepi<br />

Ungewohnte Aromen<br />

überraschen Gäste.<br />

Mit Veggie kommen alte<br />

Sorten in den Topf.<br />

und Rasmus Kofoed auf ganz eigene<br />

Weise mit dem Thema auseinander.<br />

Was Spitzenköche an den alten Sorten<br />

schätzen? Vor allem den wesentlich<br />

intensiveren Geschmack der Produkte<br />

und die ungewohnten Aromen,<br />

die ihnen neue Möglichkeiten bieten,<br />

in der Küche kreativ zu werden. Im<br />

Verbund mit mitunter ungewöhnlicher<br />

Optik und tollen Farbstrukturen<br />

bescheren sie ihren Gästen extravagante<br />

Geschmackserlebnisse.<br />

Nicht nur in Gourmetrestaurants<br />

sind alte Sorten heute wieder angesagt.<br />

Mit der Hinwendung zur regionalen<br />

Küche und der größeren Nachfrage<br />

nach vegetarischen Angeboten<br />

entdecken inzwischen auch andere<br />

Gastronomen das Potenzial vegetarischer<br />

Raritäten. „Was uns mit am<br />

meisten Spaß macht, sind die alten<br />

Herbst- und Wintergemüse: Steckrüben,<br />

Kohl- und Kürbissorten“, sagt<br />

Solveig Hansen, Chefin der<br />

„Kantine“ im Freiburger<br />

Stadtteil Vauban. Bei der Gastronomin<br />

kommen seit Jahren immer<br />

wieder alte Klassiker<br />

in den Topf.<br />

Über ein Forschungsprojekt<br />

der Universität Kassel lernte sie vergessene<br />

Sorten kennen. Definitiv eine<br />

Bereicherung für ihre frische Küche,<br />

die jeden Mittag ein veganes, ein vegetarisches<br />

und ein Gericht mit Fleisch<br />

offeriert. Wie sie alte Gemüse in ihr<br />

Angebot einbindet? „Auf ganz vielfältige<br />

Weise! Wir nehmen sie sowohl als<br />

Basis für heimische Gerichte als auch<br />

Orientalische Tajine mit<br />

alten Kohlsorten.<br />

für Länderküchen. So machen wir<br />

zum Beispiel eine orientalische Tajine<br />

mit verschiedenen alten Kohlsorten<br />

und Möhren. Das schmeckt nicht nur<br />

wunderbar, sondern ist auch farblich<br />

ein Hingucker“, sagt Hansen. Eine<br />

Überraschung für die gelernte<br />

Köchin war die vielseitige Verwendbarkeit<br />

der Pastinake,<br />

die sich auch für die vegane<br />

Küche hervorragend<br />

eigne.<br />

„Wir machen<br />

daraus tolle Saucen.“<br />

Jüngste Entdeckung der<br />

Gastronomin –Veganerin wie alle<br />

Mitarbeiter in ihrem Team – ist eine<br />

alte Auberginensorte, die ein weißes,<br />

noch luftigeres Fleisch hat als die uns<br />

bekannte Frucht und fast pilzartig<br />

würzig schmeckt. Immer mehr ihrer<br />

Gäste entscheiden sich mittags für das<br />

vegetarische oder vegane Angebot.<br />

Ur-Möhre – intensiv süß!<br />

Die Möhre zählt zu den ältesten und bekanntesten Gemüsesorten<br />

und wurde schon in der Steinzeit angebaut. Die<br />

Ur-Möhre war rot, violett oder schwarz und schmeckt süßer<br />

und intensiver als ihre modernen orangen Verwandten.<br />

Wegen ihres höheren Gehaltes an Vitaminen wird sie auch<br />

als „Gesundheitsmöhre“ bezeichnet. In der Küche lässt sie<br />

sich vielseitig einsetzen, aufgrund ihres intensiven Farbspiels<br />

ist sie als Rohkost oder im Salat ein Hit.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

47


SPECIAL<br />

WISSEN<br />

Mairübchen – leicht scharf!<br />

Die Mairübchen veredelten schon bei den Römern viele<br />

Gerichte und waren in Deutschland lange Zeit ein beliebtes<br />

Gemüse. Die alte Kulturpflanze ist eine besondere Form der<br />

Speiserübe und eng verwandt mit den Teltower Rübchen<br />

und der Herbstrübe. Zu ernten gibt es sie – wie der Name<br />

verrät – im Mai. Ihre Schale enthält viele Senföle, die Blätter<br />

können wie Spinat verarbeitet werden. Reich an Vitaminen<br />

und Mineralien, hat sie einen rettich-ähnlichen Geschmack.<br />

schmecken.“ Wenn Hiener besonderes<br />

Grünzeug ergattern kann,<br />

setzt er es auf seine Tageskarte:<br />

Dann gibt es zum Beispiel Mairübchen<br />

aus Radebeul, Borschtsch mit<br />

viel Wurzelgemüse oder Tondo<br />

di Chioggia, eine uralte, innen<br />

hübsch rot-weiß geringelte<br />

Rote-Bete-Sorte, die<br />

Hiener dünn hobelt und mit<br />

Verjus, Haselnussöl und Salz zubereitet.<br />

„Das ist extrem simpel und<br />

kommt unheimlich gut an. Das Produkt<br />

ist der Star!“ Mit dieser Form der<br />

Regionalität, so der Gastronom, kön-<br />

Solveig Hansen,<br />

Chefin der „Kantine“<br />

im Freiburger<br />

Stadtteil Vauban,<br />

und Ralf Hiener,<br />

Inhaber Restaurant<br />

Raskolnikoff<br />

in Dresden.<br />

„Durch den Mix mit alten Gemüsesorten<br />

können wir unseren Gästen<br />

immer wieder nichtalltägliche Genüsse<br />

bieten. Abwechslung ist wichtig,<br />

denn wir haben sehr viele Stammgäste.“<br />

Auch Ralf Hiener bringt in seinem<br />

Restaurant Raskolnikoff in der Dresdener<br />

Neustadt vergessene Klassiker<br />

Den Gästen etwas<br />

Besonderes bieten.<br />

mit viel Raffinesse<br />

auf die Teller.<br />

„Wann immer ich alte<br />

Sorten bekommen kann,<br />

nehme ich sie gerne und beziehe<br />

sie in unser Angebot mit ein“,<br />

sagt der Gastronom. Dabei setzt er<br />

auf Gemüse, das in der Region angebaut<br />

wird, bevorzugt „alle Sorten von<br />

alten Beten und Rüben“. Was er daran<br />

so mag? „Alte Sorten wie die weiße<br />

oder die gelbe Bete bestechen durch eine<br />

schöne Süße und einen feinen Geschmack.<br />

Kein Vergleich mit Standardprodukten,<br />

die oft etwas muffig<br />

Das Produkt ist der Star<br />

auf dem Teller.<br />

ne man bei den Gästen echt punkten.<br />

„Die Resonanz ist enorm und bringt<br />

uns 20 Prozent mehr Umsatz. Die<br />

Leute freuen sich, besondere <strong>Spezial</strong>itäten<br />

aus der Region wiederzuentdecken!“<br />

Ulla Dammer<br />

Impressum<br />

Essen ist MehrWert – Ein Special<br />

von gv-praxis und food-service in<br />

Kooperation mit <strong>Transgourmet</strong>, 2016.<br />

Redaktion: Claudia Zilz (Leitung)<br />

Autoren: Ulla Dammer, Daniela Dietz,<br />

Charlotte Holzhäuser, Andrea Lottmann,<br />

Petra Mewes, Petra Plaum,<br />

Hanni Rützler, Burkart Schmid,<br />

Kerstin Schulte, Ingeborg Sichau,<br />

Marianne Wachholz, Katrin Wißmann,<br />

Ulrike Vongehr, Gretel Weiß , Sarah<br />

Wiener und Claudia Zilz<br />

Lektorat: Thomas Leja und Bernd<br />

Weidmann<br />

Verantwortlich: Burkart Schmid,<br />

Chefredaktion gv-praxis, und Claudia<br />

Zilz, Redaktion gv-praxis, Deutscher<br />

Fachverlag GmbH, Mainzer<br />

Landstr. 251, 60326 Frankfurt<br />

Kontakt: Fon +49.69.7595-1519,<br />

Fax -1510, www.cafe-future.net<br />

E-Paper: Das Special gibt es kostenfrei<br />

als E-Paper zum Download unter:<br />

www.cafe-future.net/werte-special<br />

48 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016


MARKETING<br />

Setzt auf die Saison: Küchenchef<br />

Heinz Otto Wehmann<br />

vom Landhaus Scherrer.<br />

So schmeckt der Sommer<br />

Reife Kirschen, süße Erdbeeren, herber Rhabarber und knackiger Spargel verheißen wunderbare<br />

Genüsse. Köche können mit Menüs aus diesen saisonalen Klassikern jenseits des Standards ihr<br />

Können und ihre Kreativität unter Beweis stellen und ihr Profil schärfen.<br />

Erfolgreich laufende Betriebe machen<br />

vor, dass sie über die traditionell-regionale<br />

Schiene dauerhaft<br />

Stammgäste binden und neue Kunden<br />

gewinnen können. Bei den Saisonklassikern<br />

Spargel, Kirschen, Erdbeeren<br />

und Rhabarber kommt verschärfend<br />

hinzu, dass sie als Frischware<br />

zeitlich nur sehr begrenzt zur<br />

Verfügung stehen – jedoch genau zu<br />

diesem Zeitpunkt am besten schmecken.<br />

Jeder verbindet mit diesen heimischen<br />

Gewächsen seine ganz besonderen<br />

Lieblingsrezepte – zu Hause. In<br />

den Profiküchen liegt viel Potenzial<br />

brach. Während viele GV- und Gastroprofis<br />

in den vergangenen Jahren<br />

stark auf mediterran und asiatisch geprägte<br />

Speisen gesetzt haben, geht es<br />

jetzt zurück zu den Wurzeln: Die re-<br />

Saisonales immer<br />

erntefrisch verarbeiten.<br />

gionale Küche hat viel Bodenständiges,<br />

Einheimisches. Doch so mancher<br />

Koch scheut die Mühe, diese Klassiker<br />

kreativ in Szene zu setzen, denn<br />

Kirschaufläufe, Rhabarberkuchen<br />

und auch Spargel mit Sauce Hollandaise<br />

verkaufen sich schließlich immer<br />

gut … Aber Regionales muss nicht<br />

langweilig sein! Wertschätzung entsteht,<br />

wenn die Produkte originell zubereitet<br />

und aktiv angeboten werden.<br />

Zudem lassen sich mit neuen Rezepturen<br />

höhere Umsätze generieren.<br />

Dabei brauchen originelle <strong>Spezial</strong>itäten<br />

ein aktives Marketing, um letztendlich<br />

dort zu landen, wo sie hingehören:<br />

auf den Tellern der Gäste! Also gilt<br />

es, um die saisonalen Highlights ringsum<br />

attraktive Pakete zu schnüren. Die<br />

Zusammenarbeit mit regionalen Erzeugern<br />

und Lieferanten ist ein hilfreicher<br />

Baustein.<br />

Exaktes Timing der Aktionen. Erfolgreiche<br />

Gastronomen lassen sich<br />

immer etwas einfallen, um Stammgäste<br />

zu überraschen und neue Kunden ins<br />

Haus zu locken. Aktionstage und -wochen<br />

sind sicher eine Möglichkeit, saisonale<br />

Top-Produkte zu promoten<br />

und erntefrische Lieferungen – so<br />

schnell es geht – den Gästen zu servieren.<br />

Auch die zielgruppengerechte Gestaltung<br />

der Speisekarte bietet sich an.<br />

Kinder- oder Seniorengerichte sowie<br />

spezielle Angebote für betont gesund-<br />

Fotos: Landhaus Scherrer, Bio Kontor 7, Margarita Borodina (shutterstock.com)<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

49


SPECIAL<br />

MARKETING<br />

heitsbewusste Genießer sollten für<br />

entsprechend aufgestellte Betriebe<br />

selbstverständlich sein und extra hervorgehoben<br />

werden. Bezugsquellen<br />

können ergänzend zu den Stammlieferanten<br />

dann durchaus bäuerliche<br />

Direkt- und Regionalvermarkter sein.<br />

Saison kreativ in Szene setzen. Ein<br />

ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet<br />

ist Heinz Otto Wehmann vom<br />

Landhaus Scherrer in Hamburg: „Wir<br />

kochen seit über 35 Jahren mit regionalen<br />

Produkten. Der Jahreszeiten-<br />

Kalender ist für uns besonders wichtig.“<br />

Da das Haus bio-zertifiziert ist,<br />

bietet die Küchencrew selbst ein spezielles<br />

Demeter-Catering an. „Unseren<br />

Spargel beziehen wir von einem<br />

Bio-Bauern aus der Lüneburger Heide,<br />

wenn dieser ihn erntet – und nur<br />

dann“, sagt Wehmann selbstbewusst.<br />

Seine Gäste dürften schon beim Lesen<br />

der Speisenkarte Appetit bekommen.<br />

Er offeriert nicht einfach Kirschen<br />

mit Sahne, sondern glacierte Altländer<br />

Kirschen mit Quarkcrème aus der<br />

Wilster Marsch, Erdbeersalat mit<br />

Cuebenpfeffer und Buttermilch-Eis<br />

mit Löwenzahnhonig sowie gratiniertes<br />

Rhabarberkompott mit Tonkabohnen-Eis.<br />

Selbst für den Einsatz in<br />

den Hauptgängen hat Wehmann<br />

So verkauft sich Saison<br />

Ideen für eine erfolgreiche Aktion<br />

Exakte Herkunft der Früchte in die Namensgebung der<br />

Gerichte einbeziehen. Beispiel: Altländer Kirschen mit<br />

Quarkcrème aus der Wilster Marsch.<br />

Frische Früchte auch bei den Hauptgängen einsetzen,<br />

nicht nur zum Backen und in der Pâtisserie. Beispiel:<br />

krosse Vierländer Ente mit Himbeer-Rhabarber in Grenadine,<br />

gebratener Bio-Spargel mit Sylter Algensalat und<br />

hausgemachten Nudeln.<br />

Saisonale Raritäten mit einem typischen oder international<br />

klingenden Gericht verbinden. Beispiel: Zanderschnitzel<br />

mit Rhabarberpuder paniert auf Spargel-<br />

Erdbeer-Mandelragout und lauwarmer Kirsch-Vinaigrette.<br />

Starker Auftritt: Kirschen und/oder Erdbeeren am Tisch<br />

des Gastes mit Stickstoff zu Sorbet rühren.<br />

Tipps für die Zubereitung<br />

Frisch gelieferte Erdbeeren in einem luftdichten, mit<br />

Küchenrolle ausgelegten Gefäß im Kühlschrank aufbewahren.<br />

Nur die benötigten Mengen putzen: Beeren beim Waschen<br />

nicht im kalten Wasser schwimmen lassen, sondern<br />

im Sieb nur kurz eintauchen und abtropfen.<br />

Bio-Caterer Konrad Geiger setzt auf<br />

Regionales in seiner Küche.<br />

kreative Ideen: „Krosse Vierländer<br />

Ente mit Himbeer-Rhabarber in Grenadine.<br />

Der Rhabarber wird nur roh<br />

mariniert und schmeckt dadurch<br />

mehr nach frischem Rhabarber.“ Eine<br />

echte Überraschung sind Wehmanns<br />

Bio-Spargelnudeln. Für diese wird der<br />

Spargel roh in lange Scheiben geschnitten<br />

und kurz mit Schalottenwürfeln<br />

gegart, dann mit Spargelähren<br />

und Holsteiner Granat serviert.<br />

Eine andere Idee ist gebratener Bio-<br />

Spargel mit Sylter Algensalat und<br />

hausgemachten Nudeln. Und zum geräucherten<br />

Bio-Saibling reichen die<br />

Scherrer-Köche Bio-Spargel-Vinaigrette<br />

und Gurkensorbet.<br />

Raritäten wecken Appetit. Weitere<br />

Profi-Tipps steuert Konrad Geiger


MARKETING<br />

Mit Farben und<br />

Geschmack spielen.<br />

bei. Der Geschäftsführer des Cateringunternehmens<br />

Bio Kontor 7 weiß<br />

aus eigener Erfahrung als Küchenchef,<br />

dass man für Raritäten Aufmerksamkeit<br />

wecken muss, optisch wie kulinarisch:<br />

„Das kommt bei interessierten<br />

Gästen gut an, wobei die <strong>Spezial</strong>itäten<br />

in der Zusammenstellung als Gericht<br />

aber so gut schmecken müssen, dass sie<br />

auch ‚Uninteressierte‘ aufmerken lassen.“<br />

Gut geschulte Ausgabe- oder<br />

Servicekräfte sollten die Ideen der Küche<br />

zusätzlich den Gästen vermitteln.<br />

Konrad Geiger rät auch, die saisonalen<br />

Highlights in Verbindung mit einer<br />

typischen oder international klingenden<br />

Komponente zu verbinden. Ein<br />

Lieblingsgericht von ihm ist zum Beispiel<br />

Zanderschnitzel mit Rhabarberpuder<br />

paniert auf Spargel-Erdbeer-<br />

Mandelragout und lauwarmer<br />

Kirsch-Vinaigrette. „Das ist eine witzige<br />

Kombination mit heimischem<br />

Fisch, die sicher nicht zu weit weg von<br />

der normalen Gaumenerwartung<br />

liegt“, so Geiger. Für den Dessertbereich<br />

schlägt Geiger vor, mit Farben<br />

und Geschmack „zu spielen“. Das gelingt<br />

beispielsweise bei der Kombination<br />

von weißem Erdbeereis mit marinierten<br />

Kirschen auf Rhabarber-<br />

Polenta-Kuchen und Erdbeer-Consommé.<br />

Dazu werden Erdbeeren, die<br />

nicht mehr so ganz frisch sind, fein püriert<br />

und über Nacht im Leinentuch<br />

aufgehängt. Der abtropfende Fruchtsaft<br />

wird eingefroren, die feste Masse<br />

mit frischen Erdbeeren zu einer kräftigen<br />

„Suppe“ verarbeitet.<br />

„Das I-Tüpfelchen<br />

für dieses Dessert<br />

sind grüne Spargelstangen, die<br />

vorher in lange Streifen geschnitten,<br />

gezuckert und anschließend getrocknet<br />

worden sind“, ergänzt der Fachmann.<br />

Für gezielte Aktionen<br />

empfiehlt Geiger, einen Jahreskalender<br />

als „Küchenjahr“<br />

zu gestalten, in dem saisonale<br />

Produkte abgebildet<br />

sind: „Das ist eine optisch<br />

schöne Werbeidee für die<br />

Speisekarte.“ Sein Extra-Tipp: Der<br />

Einkauf sollte den Händler rechtzeitig<br />

informieren, welche Zutaten benötigt<br />

werden. Die Köche haben so<br />

Spielraum für ihre Planung, der Lieferant<br />

mehr Zeit, sie zu organisieren.<br />

An Qualität führt dabei kein Weg vorbei.<br />

Eine besondere Wertschätzung<br />

entsteht, wenn die Gäste optisch und<br />

geschmacklich erkennen, dass Kirschen,<br />

Erdbeeren, Rhabarber und<br />

Spargel als echte Raritäten-Highlights<br />

auf der Karte stehen und definitiv nur<br />

zur Erntezeit auf die Teller kommen.<br />

Erdbeeren im Advent braucht kein<br />

Mensch.<br />

Petra Mewes<br />

Spargel-Tipps vom Profi<br />

Spargel: Aus den Schalen und dem Endstück mit Salz<br />

und Zucker einen kräftigen Fond kochen, diesen zum Kochen<br />

und Braten des geschälten Spargels verwenden.<br />

Gebratener Spargel: Stangen in Butterschmalz roh<br />

anbraten, mit Fond ablöschen und auf dem Teller anrichten,<br />

restliche Brühe in der Pfanne wird mit kalten Butterstücken<br />

und wenig Zitronensaft unter Rühren aufgekocht und über<br />

die Stangen gegeben.<br />

Sous Vide: Gesamte Spargellieferung nach dem Schälen<br />

in Siegelrandbeutel portionieren, Spargelfond und Butter<br />

dazugeben, unter Vakuum verschließen. Bei 85 Grad Celsius<br />

30 Minuten im Wasserbad garen, in Eiswasser abkühlen.<br />

Regenerieren und Finish erst auf Abruf.


FOOD-RETTER<br />

SPECIAL<br />

Dreibeinige Möhren, krumme<br />

Gurken, Aprikosen mit Flecken:<br />

Lange hatten Obst und<br />

Gemüse mit Schönheitsfehlern<br />

in Supermärkten keine Chance.<br />

Vor drei Jahren hat Coop<br />

Schweiz mit der<br />

Nachhaltigkeits-Eigenmarke<br />

Ünique den Gegenbeweis<br />

angetreten – mit Erfolg.<br />

Ein Herz für<br />

krummes Gemüse<br />

Zu kleine Kartoffeln werden untergepflügt,<br />

krumme Gurken und<br />

mehrbeinige Karotten aussortiert:<br />

Lange Zeit blieb Früchten und Gemüse<br />

jenseits der Norm wegen Handelsvorgaben<br />

und den optischen Ansprüchen<br />

der Kunden der Weg in die Verkaufsregale<br />

verschlossen. Als erster<br />

Händler hat Coop Schweiz „unperfekten“<br />

Früchten und Gemüsen einen<br />

Platz in seinen Läden eingeräumt:<br />

Nach einer verhagelten Walliser Aprikosenernte<br />

bot das Unternehmen im<br />

Sommer 2013 erstmals vom Wetter<br />

geplagte Früchte als „Hagelaprikosen<br />

für Konfitüre“ an. Die Nachfrage war<br />

enorm: Über 122 Tonnen wurden davon<br />

verkauft. „Wir hatten seit Langem<br />

gespürt, dass das Thema Lebensmittelverschwendung<br />

unsere Kunden<br />

bewegt. Dass Obst und Gemüse, die<br />

nicht den Standards entsprechen, aussortiert<br />

werden, konnten die Leute<br />

nicht nachvollziehen“, sagt Axel Dippold,<br />

Category Manager Früchte und<br />

Gemüse bei Coop. Die Hagelaprikosen<br />

waren der Testfall – und die Geburtsstunde<br />

der Nachhaltigkeits-Eigenmarke<br />

„Ünique“, mit der sich die<br />

Unperfektes wird zur<br />

Marke gemacht.<br />

Karotten, die nicht<br />

den Standardmaßen<br />

entsprechen,<br />

sind bei<br />

Ünique erste Wahl.<br />

Handelskette für die Verwertung der<br />

ganzen Ernte engagiert. Unter dem<br />

Label „Ünique“ bietet Coop Schweiz<br />

heute Obst und Gemüse mit kleinen<br />

Makeln zu günstigen Preisen<br />

an. Das Sortiment umfasst neben<br />

Karotten, Kartoffeln und Gurken<br />

inzwischen auch Zitronen,<br />

Orangen, Kiwis, Auberginen und<br />

Zucchini. „Das Angebot variiert<br />

nach Saison. Darüber<br />

hinaus reagieren<br />

wir auf besondere Wetterereignisse<br />

und bieten<br />

unter dem Ünique-Label auch durch<br />

Unwetter beschädigte Früchte und<br />

52 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Coop Schweiz


FOOD-RETTER<br />

Äußere Mängel sagen<br />

nichts über innere Werte.<br />

Verbraucher erwarten<br />

attraktive Preise.<br />

Gemüse als Aktionsware an. Birnen<br />

mit Hagelschäden etwa oder Nektarinen<br />

mit kleinen Schalenfehlern. Dem<br />

Geschmack tun solche optischen Abweichungen<br />

keinen Abbruch“, erklärt<br />

der Manager. Im Frühjahr 2015 wurde<br />

erstmals auch gekrümmter Spargel<br />

verkauft, der größtenteils aus dem badischen<br />

Raum stammte und pro Kilogramm<br />

7,50 Schweizer Franken kostete.<br />

Da die Natur nicht beliebig viele<br />

solcher Gewächse hervorbringt, sind<br />

die Saisonartikel nur in 50 bis 250 ausgewählten<br />

Supermärkten erhältlich.<br />

Ünique-Aktionsware sowie Karotten<br />

und Gurken indes werden in allen 850<br />

Filialen angeboten.<br />

Dass die Kunden die Idee unterstützenswert<br />

finden, zeigen die Verkaufszahlen:<br />

2014 konnte Coop über 180<br />

Tonnen Karotten und 36 Tonnen<br />

Birnen unter dem Ünique-Label verkaufen.<br />

2015 gingen insgesamt 650<br />

Tonnen Ware über die Supermarkt-<br />

Theken. „Die Reaktionen unserer<br />

Kunden sind positiv, nicht umsonst<br />

haben wir das Angebot stetig ausgebaut“,<br />

sagt Dippold. Allerdings beobachtet<br />

der Manager, dass es immer<br />

noch eine Diskrepanz gibt zwischen<br />

dem, „was man richtig und gut findet,<br />

und dem, was man tatsächlich kauft“.<br />

Der Verbraucher hat sich an makellose<br />

Produkte gewöhnt, bewertet Qualität<br />

immer noch nach dem Äußeren.<br />

Oder, um es mit Dippolds Worten zu<br />

sagen: „Die Kunden finden die Idee<br />

zwar unterstützenswert, kaufen aber<br />

trotzdem lieber schön – wenn sie<br />

nicht den Preisvorteil haben.“ Attraktive<br />

Preise seien für krummes Obst<br />

und Gemüse ein notwendiger Verkaufsmotor.<br />

Das Bewusstsein, dass gutes<br />

Gemüse und schmackhafte Früchte<br />

nicht dem klassischen Schönheitsbild<br />

entsprechen müssen, nähme aber<br />

zu. Das Engagement bedeutete für das<br />

Handelsunternehmen einen beachtli-<br />

Axel Dippold, Wegbereiter für krummes<br />

Gemüse bei der Coop Schweiz.<br />

Culinary Misfits<br />

Das Engagement für krummes Obst und Gemüse von Coop<br />

Schweiz hat auch andere Händler beflügelt. So brachte<br />

Rewe International 2013 in Österreich die Eigenmarke<br />

„Wunderlinge“ auf den Markt, Edeka startete das Pilotprojekt<br />

„Keiner ist perfekt“. 2014 launchte die französische<br />

Supermarktkette Intermarché ihre Marke „Les fruits et<br />

légumes moches“ (hässliches Obst und Gemüse) und setzte<br />

den Verkauf mit einer großen Anzeigenkampagne in Szene.<br />

Der You-Tube-Film zur Anti-Wegwerf-Kampagne erzielte<br />

schon nach kurzer Zeit vier Millionen Clicks. Nur wenige<br />

Händler haben krummes Obst und Gemüse dauerhaft im<br />

Sortiment. In Deutschland gehört der Discounter Penny<br />

dazu, der seit April 2016 deutschlandweit die „Naturgut Bio<br />

Helden“ anbietet.<br />

chen Aufwand – nicht nur, was interne<br />

Prozesse anbelangt. Auch die Lieferanten<br />

mussten überzeugt werden.<br />

„Verwachsene Kiwis? Unsere Lieferanten<br />

haben es zuerst gar nicht geglaubt.<br />

Jahrelang haben sie krumme,<br />

nicht den Handelsnormen entsprechende<br />

Produkte aussortiert. Sie waren<br />

technisch gar nicht darauf eingerichtet.“<br />

Für Dippold steht der Aufwand<br />

in jedem Fall im Verhältnis zum<br />

Erfolg. „Unsere Bilanz ist sehr positiv.<br />

Man braucht ein Thema, mit dem<br />

man das Herz der Kunden erreicht.<br />

Wir haben eine<br />

regelrechte Sympathiewelle<br />

ausgelöst“, sagt<br />

der Mit-Initiator der<br />

Ünique-Idee und kündigt<br />

weitere Neuerungen an. Das Thema<br />

sei mehr als eine PR-Aktion, in vielen<br />

europäischen Ländern gibt es ähnliche<br />

Initiativen. Ob Österreich,<br />

Frankreich oder Deutschland: Längst<br />

haben weitere Handelsketten die Idee<br />

von Coop Schweiz aufgegriffen und<br />

ebenfalls Eigenmarken für krumme<br />

Früchte eingeführt. Ulla Dammer


FOOD-RETTER<br />

SPECIAL<br />

Restlos Glücklich<br />

Nichts<br />

für die Tonne!<br />

Aussortierte Lebensmittel bekommen hier eine zweite Chance.<br />

Krumme Gurken, Brot vom Vortag oder Riesen-Zucchini – vom<br />

konventionellen Markt verschmäht – werden im „Restlos Glücklich“<br />

im Berliner Kiez Neukölln kulinarisch aufgetischt.<br />

Seit Sommer 2016 bietet das „Notfor-Profit“-Lokal<br />

in Berlin-Neukölln<br />

von Mittwoch bis Samstag ab 18 Uhr<br />

ein täglich wechselndes 3-Gang-<br />

Menü an – zubereitet aus Lebensmitteln,<br />

die vor der Tonne gerettet<br />

wurden. Zwei Köche und der Restaurantmanager<br />

sind die einzigen fest<br />

angestellten und bezahlten Mitarbeiter.<br />

Im Hintergrund arbeiten<br />

rund 60 Ehrenamtliche. Die Gewinne<br />

aus dem Lokal in der Kienitzer<br />

Straße fließen in Bildungsprojekte<br />

wie Kochkurse für Kinder, Jugendliche<br />

und Erwachsene. Damit sollen<br />

Menschen dazu bewegt werden,<br />

bewusster zu konsumieren und<br />

mehr zu verwerten.<br />

www.restlos-gluecklich.berlin<br />

Das kleine Lokal in der Kienitzer<br />

Straße in Berlin liegt etwas abseits<br />

vom Neuköllner Szene-Treff.<br />

Dass es hier etwas zu essen gibt, verrät<br />

die handbeschriebene Standtafel auf<br />

dem Bürgersteig. Wenige Stufen führen<br />

nach unten ins „Restlos Glücklich“:<br />

unverputzte Wände, bunt zusammengewürfelte<br />

Tische, Stühle<br />

und Bänke, dezente Kerzenbeleuchtung.<br />

Der Name ist Programm: In diesem<br />

Restaurant werden aus Lebensmitteln,<br />

die anderswo verschmäht<br />

wurden, Gerichte gezaubert, die<br />

glücklich machen – „Reste-à-la-Carte“.<br />

Aussortiertes wird geadelt zu<br />

„Schaumsüppchen mit Ingwer“ oder<br />

erhält als „Tofu-Mangoldröllchen mit<br />

gegrilltem Brokkoli, Kartoffelgratin<br />

und Gemüsejus“ eine zweite Chance.<br />

Was abends auf der Tafel steht, weiß<br />

Daniel Roick (im Bild oben mit Ringel-T-Shirt)<br />

in der Regel morgens<br />

noch nicht. Seine Kreativität als Koch<br />

ist gefragt, wenn Lebensmittel angeliefert<br />

werden, die nicht bestellt, sondern<br />

„gerettet“ wurden. Das können<br />

krumme Möhren, stark verzweigte<br />

Vieles wird im Denn‘s<br />

Biomarkt gerettet.<br />

Ingwerknollen oder Süßkartoffeln<br />

sein, die an einigen Stellen etwas angeschlagen<br />

sind. Das meiste kommt<br />

von Denn’s Biomarkt und einem Biogroßhändler:<br />

Obst und Gemüse, das<br />

bis Ladenschluss nicht verkauft wurde,<br />

gelegentlich auch Fleisch. „Die<br />

Ökos haben ein besonderes Verhältnis<br />

zu ihren Lebensmitteln“, erklärt<br />

Leoni Beckmann, von Haus aus Sozialwissenschaftlerin<br />

und Mit-Initiatorin<br />

des Berliner Projektes. Beim Retten<br />

wird nicht diskriminiert, auch<br />

54 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Restlos Glücklich e.V., Lars Bösch


FOOD-RETTER<br />

konventionelles unverdorbenes Gemüse<br />

vor der Tonne bewahrt. Manchmal<br />

ist es eine falsche Etikettierung<br />

oder die beschädigte Umverpackung,<br />

die einem Lebensmittel den Weg<br />

weist in Deutschlands erstes Reste-<br />

Restaurant. Dann steht zum Beispiel<br />

„Linsenbällchen in Sesam auf Karottencreme“<br />

auf der Tafel. „Das Kochen<br />

macht hier mehr Spaß als in der konventionellen<br />

Gastronomie“, sagt der<br />

27-jährige Koch. Außer ihm war anfangs<br />

nur noch der Restaurant-Manager<br />

fest angestellter Mitarbeiter im<br />

„Restlos Glücklich“, das viel mehr ist<br />

als ein Restaurant: Es ist Bildungsprojekt<br />

und gemeinschaftliches Engagement<br />

von mittlerweile etwa 60 Ehrenamtlichen,<br />

die sich zum Ziel gesetzt<br />

haben, dass Lebensmittel wieder mehr<br />

wertgeschätzt werden und nicht so<br />

leicht auf dem Müll landen.<br />

Den 18 Millionen Tonnen Lebensmitteln,<br />

die laut der Umweltorganisation<br />

WWF jedes Jahr im Müll landen,<br />

Kulinarischer Anspruch<br />

wird gepflegt.<br />

Ein komplettes<br />

Menü besteht aus<br />

Suppe, Hauptspeise<br />

und Dessert.<br />

wollten Anette Keuchel, 38, und Leoni<br />

Beckmann, 28, etwas entgegensetzen.<br />

Beide gründeten vor gut zwei Jahren<br />

mit einer Handvoll Gleichgesinnter<br />

den Verein, der den gleichen Namen<br />

trägt wie das Lokal. Vorbild ist<br />

das „Rub & Stub“ in Kopenhagen, das<br />

Anette Keuchel in ihrem Dänemark-<br />

Urlaub kennenlernte. Bevor es in Berlin<br />

losgehen konnte, wurden über<br />

Crowdfunding 25.000 Euro als Startkapital<br />

eingesammelt. Nach ersten<br />

gastronomischen Testabenden im<br />

April hat man seit diesem Sommer regelmäßig<br />

geöffnet. Bis 22 Uhr kann<br />

bestellt werden. Entweder das ganze<br />

Menü zum Preis von 19 bis 22 Euro<br />

oder Vorspeise, Hauptgang und Dessert<br />

einzeln. Alles angerichtet wie in<br />

der Spitzengastronomie. Man pflegt<br />

einen kulinarischen Anspruch. Dazu<br />

passt das Angebot an hochwertigen<br />

Weinen – eingeschenkt aus Flaschen,<br />

die wegen verrutschter Etiketten ausgemustert<br />

wurden. „Wir retten Lebensmittel<br />

vor der Tonne und nicht<br />

aus der Tonne“, stellen die Food-Aktivisten<br />

klar, dass die Lebensmittel bedenkenlos<br />

verzehrt werden können<br />

und ihr Geld wert sind. Auch wenn die<br />

Portionen im „Restlos Glücklich“<br />

eher klein sind. Es soll ja möglichst<br />

nichts vom guten Essen am Ende doch<br />

im Müll landen.<br />

Für den Nachschub an Lebensmitteln<br />

ist gesorgt. „Wir bekommen alles und<br />

nehmen alles“, zählt Leoni Beckmann<br />

auf: „Gemüse, Obst, Schokolade, Reis<br />

und viel Brot“. Das wird beispielsweise<br />

zu Knödel in allen Varianten<br />

verarbeitet, kommt als „Toskanischer<br />

Brotsalat“ auf den<br />

Tisch oder – verfeinert mit<br />

Creme und Fruchtsirup – als<br />

verführerisches Dessert. „Lieferanten“<br />

sind ein Pool fester<br />

Partner, bei denen regelmäßige<br />

„Rettungsaktionen“<br />

erfolgen. Dazu finden sich<br />

immer wieder neue, spontane<br />

Spender ein. Unterm<br />

Strich bleibt ein Rest von<br />

10 Prozent an Kochzutaten,<br />

die zugekauft werden<br />

– vor allem Fette,<br />

Öle und Gewürze.<br />

Wenige Monate nach<br />

der Eröffnung ist das<br />

„Restlos Glücklich“<br />

auch außerhalb des Neuköllner<br />

Kiezes eine gastronomische Adresse<br />

geworden. Die 40 bis 60 abendlichen<br />

Gäste bilden einen Querschnitt der<br />

Berliner Bevölkerung: Junge, Ältere,<br />

Ökos, in Paaren oder als Gruppe, und<br />

Leute, für die es zum Lifestyle gehört,<br />

bei der Rettung der Welt dabei zu sein.<br />

Dass ihr Lokal auf so große Zustimmung<br />

stößt, hilft den Aktivisten hinter<br />

dem „Restlos Glücklich“ für ihr<br />

übergreifendes Ziel: Menschen bewegen,<br />

bewusster zu konsumieren. Dafür<br />

werden Kochkurse und Bildungsprojekte<br />

für Kinder, Jugendliche und Erwachsene<br />

finanziert. Hier ist wieder<br />

Daniel Roick als Profi im Einsatz. Unterstützung<br />

erhält er inzwischen von<br />

Dennis Pattloch, 30, dem zweiten fest<br />

angestellten Koch beim „Restlos<br />

Glücklich“. Ingeborg Sichau<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

55


SPECIAL<br />

Jeder Wein hat eine eigene<br />

Geschichte. Wo kommt er<br />

her, wer hat ihn angebaut,<br />

wie wurde er verarbeitet<br />

und veredelt? Jede Menge<br />

Erzählstoff für Gäste. Weingüter<br />

unterscheiden sich in<br />

Arbeitsweise und Philosophie.<br />

Zwei Beispiele.<br />

Die Story zum Wein<br />

Drei Brüder stehen am Anfang der<br />

jüngsten Geschichte des Weinguts<br />

Renner im badischen Fessenbach.<br />

Drei Brüder mit einer Passion:<br />

dem Weinbau. Auf 13,5 Hektar Rebfläche<br />

führen sie – gemeinsam mit ihren<br />

Eltern, Seniorwinzer Josef und<br />

Monika Renner – mit ebenso viel Innovationskraft<br />

wie Traditionsbewusstsein<br />

fort, was der Urgroßvater<br />

mehr als 100 Jahre zuvor begann. Das<br />

Ergebnis sind moderne Weine mit einem<br />

ganz eigenen Stil. Rund 50 Jahre<br />

lang hatte Josef Renner Sr. nach dem<br />

Erwerb des Schuckshofs 1912 selbst<br />

Wein an- und ausgebaut. Von 1964 bis<br />

2013 widmeten sich sein Sohn und<br />

Enkel vor allem dem Anbau für die<br />

örtliche Winzergenossenschaft. 2014<br />

folgte der nächste Generationswechsel:<br />

Martin, Mathias und Simon Renner<br />

übernahmen nach einschlägiger<br />

Ausbildung und Praxiserfahrung das<br />

Ruder. Mit den Lagen, dem Boden<br />

Weingut Renner<br />

Lage: Fessenbach (Baden)<br />

Gegründet: 1912 von Josef Renner<br />

Inhaber: seit 2014 Martin, Mathias und Simon Renner<br />

Rebfläche: 13,5 ha<br />

Rebsorten: Spätburgunder 35%, Müller Thurgau 15,5%,<br />

Riesling 13,5%, Ruländer 11,5% und weitere wie Weißer<br />

Burgunder, Silvaner, Sauvignon Blanc, Scheurebe<br />

Rebalter: ø 17 Jahre<br />

Produktionsvolumen 2015: ca. 90.000 Liter Wein<br />

Sortiment: ca. 40 Artikel<br />

Homepage: www.weingut-renner.de<br />

56 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Katrin Wißmann, Weingut Renner, Weingut Philipps Mühle


SPECIAL<br />

Jeder Wein hat eine eigene<br />

Geschichte. Wo kommt er<br />

her, wer hat ihn angebaut,<br />

wie wurde er verarbeitet<br />

und veredelt? Jede Menge<br />

Erzählstoff für Gäste. Weingüter<br />

unterscheiden sich in<br />

Arbeitsweise und Philosophie.<br />

Zwei Beispiele.<br />

Die Story zum Wein<br />

Drei Brüder stehen am Anfang der<br />

jüngsten Geschichte des Weinguts<br />

Renner im badischen Fessenbach.<br />

Drei Brüder mit einer Passion:<br />

dem Weinbau. Auf 13,5 Hektar Rebfläche<br />

führen sie – gemeinsam mit ihren<br />

Eltern, Seniorwinzer Josef und<br />

Monika Renner – mit ebenso viel Innovationskraft<br />

wie Traditionsbewusstsein<br />

fort, was der Urgroßvater<br />

mehr als 100 Jahre zuvor begann. Das<br />

Ergebnis sind moderne Weine mit einem<br />

ganz eigenen Stil. Rund 50 Jahre<br />

lang hatte Josef Renner Sr. nach dem<br />

Erwerb des Schuckshofs 1912 selbst<br />

Wein an- und ausgebaut. Von 1964 bis<br />

2013 widmeten sich sein Sohn und<br />

Enkel vor allem dem Anbau für die<br />

örtliche Winzergenossenschaft. 2014<br />

folgte der nächste Generationswechsel:<br />

Martin, Mathias und Simon Renner<br />

übernahmen nach einschlägiger<br />

Ausbildung und Praxiserfahrung das<br />

Ruder. Mit den Lagen, dem Boden<br />

Weingut Renner<br />

Lage: Fessenbach (Baden)<br />

Gegründet: 1912 von Josef Renner<br />

Inhaber: seit 2014 Martin, Mathias und Simon Renner<br />

Rebfläche: 13,5 ha<br />

Rebsorten: Spätburgunder 35%, Müller Thurgau 15,5%,<br />

Riesling 13,5%, Ruländer 11,5% und weitere wie Weißer<br />

Burgunder, Silvaner, Sauvignon Blanc, Scheurebe<br />

Rebalter: ø 17 Jahre<br />

Produktionsvolumen 2015: ca. 90.000 Liter Wein<br />

Sortiment: ca. 40 Artikel<br />

Homepage: www.weingut-renner.de<br />

56 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016<br />

Fotos: Katrin Wißmann, Weingut Renner, Weingut Philipps Mühle


TRADITION<br />

Wir versuchen, mit der<br />

Natur zu arbeiten.<br />

und Rebenwachstum vertraut, waren<br />

sie entschlossen, ihren Sach- und<br />

Fachverstand zu bündeln und ihren<br />

Wein selbst auszubauen. Hierfür<br />

musste allerdings erst die entsprechende<br />

Kellerei geschaffen werden.<br />

Am Ortsrand von Fessenbach – wo<br />

zuvor die Weinstöcke bis zum Wegrand<br />

wuchsen – steht seit Sommer<br />

2014 das rund 1.000 Quadratmeter<br />

große neue Weingut Renner. Hier ist<br />

alles brandneu: die Traubenannahme,<br />

die Edelstahltanks, die Eichenholzund<br />

Barriquefässer, die Etikettiermaschine.<br />

Der Verkaufsraum sowie die<br />

moderne „Weinprobierstube“ mit<br />

Sonnenterrasse sind mit großen Panoramafenstern<br />

ausgestattet, die den<br />

Blick über Reben und Rheintal hinweg<br />

bis ins Elsass freigeben. Die Lage<br />

mitten im Weinberg spiegelt auch die<br />

Naturverbundenheit der Familie wider.<br />

„Wir versuchen, mit der Natur zu<br />

arbeiten“, erklärt Winzermeister<br />

Martin Renner. „Wir verbringen viel<br />

Zeit in den Reben, schauen, was die<br />

Qualität optimal beeinflusst, und versuchen,<br />

so wenig wie möglich mechanische<br />

Belastung auf Trauben und<br />

Wein kommen zu lassen.“ Rebschnitt,<br />

Entblättern, Ausbrechen oder Festbinden<br />

der Triebe – die Arbeiten werden<br />

manuell erledigt. „So werden die<br />

Beeren nicht verletzt und wir können<br />

befallene Trauben direkt entfernen“,<br />

erklärt Martin Renner. Auch die<br />

Weinlese erfolgt komplett per Hand.<br />

Rund zehn verschiedene Rebsorten<br />

Viel Handarbeit ist<br />

erforderlich,<br />

um die hohe Qualität<br />

zu garantieren.<br />

bauen die Renners an. 35 Prozent der<br />

Rebfläche sind Spätburgunder. „Für<br />

mich ist das einer der interessantesten,<br />

da abwechslungsreichsten Weine“, so<br />

Martin Renner. „Er kann leicht oder<br />

schwer, als Rosé, Weißherbst oder<br />

barrique-gereift ausgebaut werden.“<br />

Wie auch bei den übrigen Rotweinen<br />

setzen die Renner-Brüder<br />

beim Spätburgunder auf reine<br />

Maischegärung: „Durch den<br />

langen Kontakt mit den Schalen<br />

werden mehr Gerbstoffe<br />

ausgelöst.“ Folglich ist eine längere<br />

Lagerung in Eichenholzfässern<br />

erforderlich. Das Ergebnis ist ein<br />

kräftiger Wein, samtig-geschmeidig<br />

und dezent am Gaumen.<br />

Martin Renner<br />

und <strong>Transgourmet</strong>-<br />

Weinfachberater<br />

Bastian Ehret im<br />

Weinkeller.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

57


SPECIAL<br />

Tradition pur. Die<br />

Winzerschenke ist<br />

auch heute noch<br />

wichtiges Standbein<br />

des Weinguts.<br />

Das Mittelrheintal ist<br />

berühmt für die<br />

steilen Weinbergsterrassen,<br />

die seit dem Mittelalter<br />

den größten Strom<br />

Deutschlands säumen.<br />

Doch viele von ihnen sind heute verbuscht:<br />

Die Winzer haben die mühselige<br />

Arbeit am Steilhang aufgegeben.<br />

Nicht so Thomas und Martin Philipps.<br />

Die Jungwinzer sind entschlossen,<br />

das Weltkulturerbe zu erhalten.<br />

Mit Leidenschaft und fundiertem<br />

Fachwissen führen sie professionell<br />

fort, was Urgroßvater, Großvater und<br />

Vater als Nebenerwerb begannen.<br />

Denn ursprünglich wurde in der am<br />

Fuße der St. Goarer Weinbergshänge<br />

gelegenen Philipps-Mühle Mehl gemahlen.<br />

Allerdings diente bereits seit<br />

den 20er Jahren eine Straußwirtschaft<br />

Wieder zurück zu den<br />

Ursprüngen.<br />

dem Verkauf des auf 0,3 Hektar privat<br />

angebauten Weins. 2015 stellte Josef<br />

Philipps, der Vater der Winzerbrüder,<br />

den Mühlenbetrieb endgültig ein.<br />

„Das Müllerhandwerk hat keine Zukunft“,<br />

so sein Fazit. Der Fokus der<br />

Familie gilt seither dem Weinbau.<br />

5Hektar Rebfläche bearbeiten Martin<br />

und Thomas Philipps heute in St.<br />

Goar und Umgebung. In den kommenden<br />

fünf bis zehn Jahren wollen<br />

sie die Anbaufläche verdoppeln. Viele<br />

der Steilhänge, die sie von ehemaligen<br />

Winzern gekauft oder gepachtet haben,<br />

lagen brach und mussten rekultiviert<br />

werden – bei Hängen mit bis zu<br />

70 Prozent Steigung ein echter Knochenjob:<br />

„Wir haben die verbuschten<br />

Flächen freigeräumt, alte Pfähle und<br />

Drähte entfernt und<br />

durch neue ersetzt,<br />

den Boden umge-<br />

58 gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong> | 2016


Weingut Philipps-Mühle<br />

Lage: St. Goar (Rheinland-Pfalz)<br />

Gegründet: Weinbau im Nebenerwerb seit 1920,<br />

seit 2007 im Vollerwerb<br />

Inhaber: seit 2005 Thomas und Martin Philipps<br />

Rebfläche: aktuell 5 ha<br />

Rebsorten: Riesling 80%, Müller-Thurgau 15%,<br />

Weißburgunder 5%<br />

Rebalter: ø 20 - 25 Jahre<br />

Produktionsvolumen 2015: ca. 25.000 Liter<br />

Sortiment: 11 Artikel<br />

Auszeichnung: Bester Jungwinzer Mittelrhein 2016<br />

Homepage: www.philipps-muehle.de<br />

pflügt und hochwertige Rebklone gesetzt“,<br />

erläutert Winzer Thomas Philipps.<br />

Auch in puncto Begrünungsmanagement<br />

folgen die Brüder neuesten<br />

Erkenntnissen. Rebschnitt, Biegen,<br />

Ausbrechen am Stamm, Heftarbeiten<br />

und schließlich die Traubenlese – die<br />

steilen Hänge erfordern viel Handarbeit.<br />

„Nach zwei bis vier Jahren bringen<br />

rekultivierte Flächen erste nennenswerte<br />

Erträge“, so die Winzer.<br />

Der Einsatz lohnt sich: „Der Schieferverwitterungsboden<br />

in unserer Region<br />

ist einzigartig und bringt Weißweine<br />

mit einer ganz besonderen Mineralität<br />

und Tiefe hervor.“ Auch die Lagen<br />

und Steilhänge liefern optimale<br />

Bedingungen für große Weine. Der<br />

örtlichen Tradition entsprechend<br />

bauen die Philipps-Brüder 80 Prozent<br />

Riesling an, 15 Prozent sind Müller-<br />

Schmeckbare Qualität<br />

ohne Kompromisse.<br />

Thurgau, 5 Prozent Weißburgunder.<br />

Die Qualitätspyramide reicht von<br />

Gutsweinen der Reihe „Steilhang“ bis<br />

hin zu Spitzenweinen aus Einzellagen<br />

(alle QbA). „Wir versuchen, die Lagenunterschiede<br />

schmeckbar zu machen“,<br />

sagt Thomas Philipps. Dabei<br />

gilt für jeden Wein das Gebot: Qualität<br />

ohne Kompromisse! Eigens für<br />

<strong>Transgourmet</strong> wurde die „Loreley<br />

Cuvée weiß“ entwickelt: „Sie verbindet<br />

die Mineralität des Rieslings mit<br />

der Kraft, Fülle und Komplexität des<br />

Weißburgunders“, so <strong>Transgourmet</strong>-<br />

Weinfachberater Sven Lieba. „Das<br />

Ergebnis ist ein fruchtig-frischer und<br />

spritziger Wein mit Tiefgang.“<br />

Die Winzerschenke mit begrünter<br />

Schiefersteinterrasse, seit 1990 eine<br />

halbjährig geöffnete Gastronomie, ist<br />

weiterhin ein wichtiges Standbein,<br />

um Privatkunden anzuziehen. Mit<br />

Blick auf die steilen Rebhänge des St.<br />

Goarer Ameisenbergs und das Rauschen<br />

des unterhalb fließenden Mühlenbachs<br />

in den Ohren können die<br />

Gäste hier die von Mutter Christel<br />

zubereiteten Speisen mit den kühlen<br />

Begleitern aus dem Weinkeller genießen.<br />

Als Nächstes gilt es, mehr Platz<br />

für den Ausbau der Weine zu schaffen:<br />

Eine neue Kellerei ist bereits in<br />

Planung.<br />

Katrin Wißmann<br />

Im Jahr 2010 hat<br />

die Familie direkt<br />

am Rheinufer eine<br />

stylische Vinothek<br />

mit Weincafé<br />

eröffnet.<br />

Thomas Philipps,<br />

<strong>Transgourmet</strong>-Weinfachberater<br />

Sven<br />

Lieba und Martin<br />

Philipps bei der<br />

Weinverkostung.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

59


SPECIAL<br />

Die grüne Insel – so kennen wir alle Irland. Hier<br />

entstand vor vier Jahren die staatlich geförderte<br />

Initiative Origin Green. Ihr Ziel: Irlands gesamte<br />

Landwirtschaft sowie die weiterverarbeitende<br />

Industrie einzubinden in ein einzigartiges, der<br />

Irlands<br />

couragierte Initiative<br />

Nachhaltigkeit verpflichtetes Programm.<br />

Die Ziele sind ambitioniert. Alle<br />

beteiligten Erzeuger und Verarbeiter<br />

verpflichten sich, ihren Beitrag<br />

zur Reduzierung des Carbon Footprint,<br />

also des CO2-Fußabdrucks, zu<br />

leisten. Allein knapp 80 Prozent der<br />

irischen Farmbetriebe sind schon dabei,<br />

ebenso wurden mehr als 500 weiterverarbeitende<br />

Betriebe mit dem<br />

Origin-Green-Label ausgezeichnet.<br />

Von diesen repräsentieren 180 Unternehmen<br />

mehr als 85 Prozent der<br />

F&B-Exporte Irlands. Es geht um gezielte<br />

Image-Arbeit zugunsten der<br />

Absatzförderung irischer Agrarprodukte,<br />

klar, sagt Mark Zieg von Bord<br />

Bia – The Irish Food Board. Die Organisation<br />

ist federführend bei der Umsetzung<br />

des Projekts Origin Green.<br />

Besonders die Distributionspartner,<br />

vor allem im Export, fordern mehr<br />

denn je Glaubwürdigkeit in Sachen<br />

Nachhaltigkeit, Rückverfolgbarkeit,<br />

Tierwohl und Umweltverträglichkeit<br />

ein, bestätigt der Sector Manager Beef<br />

bei Bord Bia. „Unsere Landwirtschaft<br />

Viel Engagement für<br />

Nachhaltigkeit.<br />

ist weitestgehend extensiv – nicht auf<br />

Hochleistung getrimmt, sondern im<br />

rücksichtsvollen Einklang mit der Natur.<br />

Irland verfügt über optimale Bedingungen<br />

für Viehzucht und Milchwirtschaft,<br />

das hat seinen Grund im<br />

Klima und der Bodenbeschaffenheit,<br />

die anderweitige Nutzung nicht begünstigt.<br />

Zum Weideland gibt es in Irland<br />

keine bessere Alternative!“ Nun<br />

steht aber das Stichwort CO2-Fußabdruck<br />

im Raum. Rindfleischerzeugung<br />

per se steht bekanntlich in der<br />

Kritik, hier allzu hohe Spuren zu hinterlassen<br />

– zulasten der Umwelt. Genau<br />

da setzt die Initiative Origin<br />

Green an, entwickelt von Bord Bia zusammen<br />

mit Teagasc, der irischen Behörde<br />

für Landwirtschaftsentwicklung<br />

und -beratung, sowie dem Britischen<br />

Carbon Trust. Die weltweit<br />

führende Initiative verpflichtet alle<br />

teilnehmenden Lebensmittelproduzenten<br />

dazu, sich bei einem nachhaltigen<br />

Entwicklungsprogramm zu engagieren.<br />

„Während wir sicher sind, dass<br />

Rinderzucht das Beste ist, was wir mit<br />

unserem Agrarland anfangen können,<br />

wollen wir die Erzeuger und Weiterverarbeiter<br />

abholen, um Nachhaltigkeitspotenziale<br />

maximal auszuschöpfen.<br />

Und dies mit belastbaren Daten<br />

untermauern“, so Mark Zieg. Erklärtes<br />

Ziel ist, den Carbon Footprint der<br />

Fotos: Bord Bia, Marianne Wachholz


KONZEPT<br />

Unterstützung durch<br />

Berater bei Saatgut.<br />

irischen Landwirtschaft mittels einer<br />

Vielzahl von unterstützenden Maßnahmen,<br />

Kontroll- und Feedback-<br />

Mechanismen nachweislich bis gegen<br />

null zu minimieren. Basis ist ein wissenschaftlich<br />

erarbeitetes Berechnungsmodell<br />

für die CO2-Bilanz der<br />

Rindfleischerzeugung in Irland.<br />

Die Rinder sollen weiter vorwiegend<br />

in freier Natur aufwachsen, sich von<br />

Gras ernähren. Doch da geht es schon<br />

los. Optimierung der Weideflächen<br />

steht im Fokus: Grassland Management.<br />

„A key efficiency subject“, betont<br />

Zieg. Je besser die Ernährungsressourcen<br />

auf gegebener Fläche, desto<br />

vorteilhafter für den Erzeuger. Also<br />

unterstützen landwirtschaftliche Berater<br />

die Farmer zum Beispiel bei der<br />

Auswahl des Saatguts. Nicht minder<br />

wichtig: die Verlängerung der Weidedauer.<br />

Denn sobald die Tiere im Stall<br />

stehen, ist Zufütterung angesagt, und<br />

das geht nicht nur ins Geld, sondern<br />

ist auch der Fleischqualität abträglich.<br />

Die Tiere sollen<br />

möglichst wenig<br />

Stress erfahren,<br />

was der Fleischqualität<br />

sehr<br />

zugute kommt.<br />

Neben der selbst erzeugten Silage geht<br />

es nicht ohne Zukauf von Futtermitteln<br />

ab, unter anderem Mais, der in Irland<br />

selbst nicht in ausreichender<br />

Menge angebaut wird. Wieder ein<br />

Faktor, der sich auch auf die Berechnung<br />

des Carbon Footprint auswirkt<br />

–in diesem Fall eben negativ.<br />

Ein weiteres Optimierungsfeld, dem<br />

inzwischen besonders viel Aufmerksamkeit<br />

gewidmet wird: „Maximise<br />

Der Angusfarmer<br />

Mit etwa 100 ha Weidefläche und einem Bestand von<br />

derzeit 126 Mutterkühen ist Louis Pentony schon einer der<br />

größeren Farmer, gemessen am Durchschnitt in Irland – der<br />

liegt bei ca. 40 Hektar. Louis hat sich auf Angusrinder<br />

<strong>spezial</strong>isiert, sie machen 75 Prozent des Bestands aus, der<br />

Rest sind Hereford-Rinder. Louis‘ Tiere wachsen zu mehr als<br />

95 Prozent mit Grasfütterung auf. Die Zucht der schnell<br />

wachsenden, hochwertigen Rinderrasse – so teuer Edelteile<br />

vom Angus in Handel und Gastronomie auch verkauft<br />

werden – ist für den Farmer indes kein sonderlich lukratives<br />

Unterfangen. „Es ist ein finanzieller Kraftakt, unseren<br />

Kindern eine ordentliche Schulausbildung zu ermöglichen.“<br />

Louis bewirtschaftet die Farm gemeinsam mit seiner<br />

Ehefrau. Die Arbeitstage sind lang. Der Betrieb wirft nicht<br />

genug ab, um einen Stellvertreter zu beschäftigen. Die<br />

Reduzierung des Carbon Footprint ist aus Louis‘ Perspektive<br />

ein begrüßenswerter Nebeneffekt aller Maßnahmen zur<br />

Effizienzverbesserung im Rahmen von Origin Green. Mitglied<br />

der Initiative – wie auch des umfassenden Beef-<br />

Quality-Assurance -Programms – ist er von Anfang an. „Das<br />

braucht man, um als zertifizierter Angus-Erzeuger registriert<br />

zu sein.“ Und auf die Zertifizierung legen viele Abnehmer<br />

Wert. www.angusproducergroup.com/consumer-info<br />

Mark Zieg, Sector<br />

Manager Beef<br />

bei Bord Bia, und<br />

Farmer Louis<br />

Pentony.<br />

Genomics!“ Soll heißen, Zuchtoptimierung.<br />

Statt Augenschein wie früher<br />

– nach dem Motto: Ein sichtlich<br />

gesundes, leistungsstarkes Muttertier<br />

wird schon guten Nachwuchs bringen<br />

–erlauben heute DNA-Analysen die<br />

Ermittlung zuchtrelevanter Erbanlagen<br />

und die wissenschaftlich fundierte<br />

Auswahl, je nach Zielsetzung: Sollen<br />

die Kälber eher auf die Milchleistung<br />

hin gezüchtet werden oder mit<br />

Leckerer Käse des<br />

Familienunternehmens<br />

Cashel<br />

Farmhouse Cheesemakers,<br />

hergestellt<br />

in Tipperary. Der<br />

Blauschimmelkäse<br />

heißt Cashel Blue.<br />

2016 | gv-praxis |food-service |<strong>Transgourmet</strong><br />

61


SPECIAL<br />

KONZEPT<br />

Hochwertiger Blue<br />

Cheese, der auch<br />

in Bio-Qualität<br />

hergestellt wird.<br />

Blick aufs Fleischwachstum? Oder<br />

steht die Fortpflanzungsleistung im<br />

Vordergrund? Auch dieses Verfahren<br />

–das nationale Beef Genomics and<br />

Data Programme, kurz BGDP –<br />

bringt, konsequent angewendet, effizientere<br />

Ergebnisse. Für den Landwirt<br />

und für die Umwelt.<br />

Den Landwirten das Thema Nachhaltigkeit<br />

schmackhaft zu machen,<br />

sie zum Mitmachen beim Programm<br />

Die Farmhouse-Käserei<br />

Das Familienunternehmen, Vorreiter in Sachen Farmhouse<br />

Cheese in Irland, wurde nach 18-monatiger Prüfung<br />

erst kürzlich ins Origin-Green-Programm aufgenommen. Seit<br />

Anfang der 80er Jahre stellt Cashel Farmhouse Cheesemakers,<br />

zu Hause in Beechmount in Tipperary, ausschließlich<br />

hochwertigen Blue Cheese in verschiedenen Versionen<br />

her, darunter auch eine herausragend gelungene Bio-Sorte.<br />

Der Blauschimmelkäse: ein Novum dort, wo Käse meistens<br />

Cheddar hieß und heißt.<br />

Nische in der Nische. Farmhouse-Käse macht bis heute<br />

lediglich rund ein Prozent der gesamten irischen Käseproduktion<br />

aus. Rund 30 Prozent der Cashel-Farmhouse-<br />

Cheesemakers-Erzeugnisse landen im Foodservice-Bereich,<br />

schätzt Sarah Furno, die mit Ehemann Sergio das Unternehmen<br />

leitet. Was die Unternehmer bewogen hat, sich um die<br />

Aufnahme ins Origin-Green-Programm zu bewerben? „Nachhaltigkeit<br />

liegt uns am Herzen. Doch mithilfe von Origin<br />

Green können wir das Thema strukturierter verfolgen!<br />

Messbarer. Und dass wir das Label dann nutzen dürfen, ist<br />

außerdem ein gutes Vermarktungsargument.“<br />

www.cashelblue.com<br />

Origin Green zu gewinnen, gelingt<br />

nur, wenn sich das Engagement für<br />

sie auch in Heller und Pfennig auszahlt,<br />

erklärt Zieg. „Genau dies erreichen<br />

wir mit unserem umfangreichen<br />

Supportprogramm. Es geht um<br />

Effizienzsteigerung, um Kostenreduzierung<br />

und letztlich auch darum,<br />

den bäuerlichen Nachwuchs zu halten.<br />

Sustainability hat neben der<br />

ökologischen auch eine wirtschaftliche<br />

Dimension.” Denn anderswo als<br />

in der Landwirtschaft verdient man<br />

sein Geld in Irland sehr viel leichter<br />

und mit geregelten Arbeitszeiten<br />

obendrein. Erst jüngst hat sich der jahrelange<br />

Trend gedreht, dass die nachfolgende<br />

Generation der Farmer sich<br />

immer häufiger beruflich anderweitig<br />

orientiert hat, statt die Nachfolge im<br />

elterlichen Betrieb anzutreten. „Sicherstellen,<br />

dass jeder davon profitiert:<br />

Auch das haben wir mit Origin Green<br />

im Sinn!“ Ziel ist, für die an Origin<br />

Green beteiligten Rindfleischfarmer<br />

Umfangreiches<br />

Reporting-Programm.<br />

einen Deckungsbeitrag von jährlich<br />

1.000 Euro pro Hektar zu erreichen.<br />

Die Regel bisher sind lediglich 260 bis<br />

500 Euro pro Hektar.<br />

Und wie funktioniert das Ganze nun<br />

genau? Jetzt wird es etwas bürokratisch.<br />

Das Origin-Green-Programm<br />

wurde integriert in ein bereits existierendes<br />

Quality-Assurance-Programm<br />

für die irische Landwirtschaft. Im<br />

Rahmen dieses Programms wurde ein<br />

umfangreiches Reporting-System für<br />

die beteiligten Farmer entwickelt.<br />

Der Fleischverarbeiter<br />

Kepak ist Irlands Nummer 3 in Sachen Rindfleischverarbeitung<br />

mit diversen Schlachtereien und Produktionsstätten<br />

auf der Insel – und Gründungsmitglied der Initiative<br />

Origin Green. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Clonee<br />

schlachtet, zerlegt und exportiert in mehr als 30 Länder:<br />

frisches Rindfleisch, Burger Patties, TK-Produkte, auch<br />

Lammfleisch. Speziell für den Foodservice-Bereich werden<br />

Steak Cuts in Handarbeit präpariert, hauptsächlich Angus<br />

und Hereford. Allein den Produktionsstandort in Clonee<br />

bedienen 5.000 Erzeuger mit meist kleinteiligen Lieferungen,<br />

manchmal nur einige wenige Tiere.<br />

„Die Initiative Origin Green ist für uns ein wichtiges<br />

Statement in Sachen nachhaltiges Wirtschaften – from Farm<br />

to Fork“, sagt Sorcha Donnelly, Sales Manager, Kepak Meat<br />

Division. Das Label untermauert gegenüber den Marktpartnern<br />

bis hin zum Endverbraucher eingängig die Botschaft,<br />

dass Fleisch aus Irland unter optimalen Umweltbedingungen<br />

produziert wird. www.kepak.com


KONZEPT<br />

Origin Green bringt nun zusätzlich<br />

das sogenannte Farm Carbon Navigator<br />

Tool ins Spiel. In sechs Dimensionen<br />

– von Gülle-Management<br />

über Düngemittel-Einsatz bis zur<br />

Gewichtszunahme der Kälber, der<br />

Weidedauer oder der Trächtigkeitsrate<br />

– wird die individuelle Performance<br />

der jeweiligen Farm ermittelt<br />

Schon mehr als 100<br />

unabhängige Auditoren.<br />

und im Verhältnis zum regionalen<br />

Durchschnitt eingestuft. Mehr als<br />

100 unabhängige Auditoren sind<br />

heute schon täglich unterwegs, um<br />

den Bauern hier zur Seite zu stehen,<br />

wöchentlich werden 800 Farmen auditiert.<br />

Eingebunden in das Origin-<br />

Green-Projekt sind neben den Erzeugern<br />

auch Weiterverarbeiter wie<br />

Käsereien, Schlachtereien und<br />

Fleischfabriken, sogar Whiskey-<br />

Brennereien. Die Unternehmen definieren<br />

ihre Maßnahmen in Sachen<br />

Nachhaltigkeit individuell, verpflichten<br />

sich aber zur Einlösung<br />

konkreter Ziele.<br />

Damit nicht genug, wollen die Initiatoren<br />

im Heimatland künftig<br />

Bord Bia<br />

Bord Bia – The Irish Food Board,<br />

vertritt die Interessen des irischen<br />

Agrarsektors und der weiterverarbeitenden<br />

Industrie. Zentrales<br />

Anliegen ist die Imageförderung<br />

irischer F&B-Produkte sowie die<br />

Unterstützung der Produzenten in<br />

Sachen Nachhaltigkeit und Qualität.<br />

Bord Bia ist mit Niederlassungen in<br />

zahlreichen Metropolen weltweit<br />

vertreten. www.bordbia.ie<br />

Teelling ist eine<br />

Destillerie zum<br />

Anfassen.<br />

Projekt mit Spitzenköchen<br />

aus Europa.<br />

Die Whiskey-Destillerie<br />

Im Premium-Segment macht in jüngster Zeit die Teeling<br />

Whiskey Company auf sich aufmerksam. Eine Destillerie<br />

zum Anfassen, eröffnet vor gut einem Jahr in einem ehemaligen<br />

Industrieviertel in Dublin. Zwei engagierte junge<br />

Unternehmer, drei Jahre Umbauzeit, ein Investment von<br />

10,5 Mio. Euro. Und eine Destination, die den Besuch lohnt.<br />

Da wird Whiskey gebrannt, doch drum herum haben die<br />

Macher eine Event-Location kreiert, die vergangenes Jahr<br />

stattliche 65.000 Besucher anzog. Marketingfrau Rebecca<br />

Bell: „Im Rahmen des Origin-Green-Programms verpflichten<br />

wir uns dazu, mindestens 75 Prozent aller Rohstoffe von<br />

nachhaltig produzierenden Erzeugern zu beziehen – Stichwort<br />

‚sustainable sourcing‘. Und optimieren unseren Carbon<br />

Footprint durch ein state-of-the-art-Wärmerückgewinnungssystem<br />

– Sustainable Production.“ www.teelingwhiskey.com<br />

auch Einzelhandel und Foodservice<br />

in das Projekt integrieren. Stolz ist<br />

man darauf, dass just McDonald’s<br />

Irland dem Origin-Green-Programm<br />

beigetreten ist. „Jeder fünfte<br />

Patty für McDonald’s in Europa<br />

kommt übrigens aus Irland“, merkt<br />

Andrew Mullins an, Origin-Green-<br />

Nachhaltigkeitsmanager bei Bord<br />

Bia, und verweist mit Genugtuung<br />

darauf, dass auch der World Wildlife<br />

Fund sich als ein Top-Partner zu<br />

Origin Green bekennt. Jetzt heißt<br />

die große Aufgabe nicht nur, in der<br />

Heimat immer mehr, möglichst<br />

auch breitschultrige Mitmacher für<br />

das Projekt zu gewinnen. Sondern<br />

vor allem auch, das Label Origin<br />

Green und wofür es steht in erster<br />

Linie jenseits der Grünen Insel bekannt<br />

zu machen. Storytelling! Ein<br />

Vorzeige-Projekt ist der Chefs‘ Irish<br />

Beef Club. Mehr als 80 Spitzenköche<br />

in acht Ländern Europas machen<br />

sich stark für irisches Rindfleisch<br />

– in ihren eigenen Restaurants<br />

und bei allen möglichen<br />

Events. Allein aus Deutschland sind<br />

zwölf renommierte Köche dabei<br />

und helfen, die Awareness für nachhaltig<br />

erzeugte Qualitätsprodukte<br />

made in Ireland zu stärken.<br />

Marianne Wachholz

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