11/2017
Fritz + Fränzi
Fritz + Fränzi
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Stiftung Elternsein<br />
Bauchfrei durch den Winter<br />
Ellen Ringier über Erziehungsmethoden ihrer Mutter und warum sie ihre<br />
Töchter nicht davon abhielt, im Winter in Turnschuhen aus dem Haus zu gehen.<br />
Bild: Maurice Haas / 13 Photo<br />
Dr. Ellen Ringier präsidiert<br />
die Stiftung Elternsein.<br />
Sie ist Mutter zweier Töchter.<br />
In der zweiten Primarklasse schickte<br />
mich Lehrer Halder eines Tages um<br />
10 Uhr wieder nach Hause. Zuvor hatte<br />
er mich vor der ganzen Klasse lächerlich<br />
gemacht. Es war ein Wintertag, ich<br />
trug Knie socken. Dieser Umstand hatte<br />
ihn so erbost, dass er es angemessen<br />
fand, mir vor meinen Mitschülerinnen<br />
und Mitschülern Folgendes an meine<br />
Eltern mitzugeben: Falls ich im Winter je wieder mit<br />
Kniesocken in der Schule erscheine, werde er die Vormundschaftsbehörde<br />
benachrichtigen.<br />
Meine Mutter hatte trotzdem nicht nachgegeben:<br />
Strumpfhosen zog sie mir weiter nur an, wenn es<br />
schneite und wenn wir Ski fahren gingen. Die Aufsichtsbehörde<br />
ist zum Glück trotzdem nie bei uns vorstellig<br />
geworden.<br />
Jahre später sprach ich meine Mutter auf den Vorfall<br />
mit Lehrer Halder an. Sie fragte zurück: Bist du in<br />
deiner Schulzeit je krank gewesen? In der Tat: Ich<br />
konnte mich nicht daran erinnern, je gefehlt zu haben<br />
– ausgenommen für eine Mandeloperation.<br />
Nun, Erziehung ist etwas Individuelles, und es ist<br />
für Aussenstehende nicht immer leicht zu erkennen,<br />
ob die gewählten Methoden gerade noch akzeptabel<br />
oder schon schädlich sind. Bei meiner Mutter galt das<br />
Credo: Kinder darf man niemals «verweichlichen»!<br />
Egal, ob es Bindfäden regnete oder Vorhänge schneite:<br />
Wir mussten bei jedem Wetter raus. Und die Fenster<br />
im Schlafzimmer standen in der Nacht zu jeder Jahreszeit<br />
speerangelweit offen. Schien uns drei Kindern<br />
die Raumtemperatur zu frisch, hiess es, wir sollten<br />
einen Pullover anziehen.<br />
Im Erwachsenenleben ist mir diese «Abhärtung»<br />
immer wieder zugutegekommen. Bei keinem Arbeitgeber<br />
war ich je länger als einen halben Tag krankheitshalber<br />
abwesend. Und ich war mein Leben lang –<br />
anders als die meisten Kolleginnen und Kollegen – frei<br />
von der ständigen Selbstbeobachtung, ob mir gerade<br />
zu heiss oder zu kalt ist. Es ist einfach, wie es ist.<br />
Meine Kinder machten das Fenster jeweils zu, sobald<br />
ich die Türe des Kinderzimmers zugemacht hatte.<br />
Frischluftzufuhr war definitiv nicht ihr Ding. Mehr als<br />
nur einmal ertappte ich eine meiner Töchter dabei,<br />
wie sie vor dem Zubettgehen die Bettwäsche föhnte.<br />
Ich glaube, es wäre ihr grösster Wunsch gewesen,<br />
einen Heizofen direkt neben dem Bett stehen zu<br />
haben.<br />
Trotzdem trugen sie zu Teenagerzeiten bauchfrei.<br />
Dazu zu jeder Jahreszeit Turnschuhe – zumindest<br />
sahen sie für mich immer danach aus –, was mit Stulpen<br />
über den Wollstrümpfen ausgeglichen wurde, die<br />
bei Regen und Schnee zusammen mit den Turnschuhen<br />
pflotschnass wurden. Übereinander angezogene<br />
Sweatshirts mit Kapuzen (Hoodies genannt) machten<br />
offenbar den zu meinen Zeiten gängigen und daher<br />
spiessigen Regen- oder Wintermantel wett.<br />
Es ist meine Überzeugung, dass man als Eltern<br />
nicht nur die psychische Resilienz, sondern auch die<br />
physische Robustheit fördern kann und muss. Gleichzeitig<br />
bin ich aber auch überzeugt, dass das Diktat der<br />
Peergroup in modischen Belangen bis zu einem<br />
gewissen Grad beachtet werden muss: Jugendliche<br />
wollen in der Regel das tragen, was die andern tragen.<br />
Es geht ums Selbstwertgefühl. Und dieses zu stärken,<br />
schien mir ebenso wichtig – wichtig genug jedenfalls,<br />
um den einen oder anderen Schnupfen in Kauf zu<br />
nehmen.<br />
STIFTUNG ELTERNSEIN<br />
«Eltern werden ist nicht schwer,<br />
Eltern sein dagegen sehr.» Frei nach Wilhelm Busch<br />
Oft fühlen sich Eltern alleingelassen in ihren Unsicherheiten,<br />
Fragen, Sorgen. Hier setzt die Stiftung Elternsein<br />
an. Sie richtet sich an Eltern von schulpflichtigen Kindern<br />
und Jugendlichen. Sie fördert den Dialog zwischen<br />
Eltern, Kindern, Lehrern und die Vernetzung der elternund<br />
erziehungsrelevanten Organisationen in der<br />
deutschs prachigen Schweiz. Die Stiftung Elternsein<br />
gibt das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi heraus.<br />
www.elternsein.ch<br />
Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />
November <strong>2017</strong>57