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Fritz + Fränzi

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Erziehung & Schule<br />

Wenn wir lernen wollen, wie<br />

man konkrete Probleme<br />

meistert, braucht es neue,<br />

kreative Methoden.<br />

>>> der Lernenden, ganz nach<br />

dem Motto: «Erst forschen, dann<br />

lehren.» Nach einer Analyse integrierte<br />

er die gesammelten Themen<br />

in Lese- und Schreibprojekte. Diese<br />

waren so erfolgreich, dass die Personen<br />

nach rund acht Wochen lesen<br />

und schreiben konnten. Ein weiterer<br />

wichtiger Aspekt seiner Methode ist<br />

der Dialog. Ein echter Dialog verändert<br />

die Beziehungen und die Emotionen<br />

der beteiligten Personen,<br />

während Belehrung einfach das<br />

«Spiel ohne Ende» fortsetzt.<br />

«Erst forschen, dann lehren»<br />

wurde auch zum Motto in der Ausbildung<br />

von Schulischen Heilpädagoginnen<br />

und Heilpädagogen an<br />

der Interkantonalen Hochschule für<br />

Heilpädagogik HfH. Dabei gingen<br />

die Dozierenden von einer Forschungsmethode<br />

aus, welche der<br />

Genfer Psychologe Jean Piaget mitseinen<br />

Mitarbeiterinnen entwickelt<br />

hat. Er nannte sie kritische Methode,<br />

später wurde sie auch flexibles Interview<br />

genannt (siehe Box Seite 65).<br />

Dabei gilt es, die Denkprozesse eines<br />

Kindes bestmöglich zur Sprache zu<br />

bringen, indem es auch zum Handeln<br />

motiviert wird. In einer freundschaftlichen<br />

Konversation werden<br />

die Bedeutungen von Gedanken und<br />

Handlungen fortlaufend besprochen<br />

und weiterentwickelt. Mit der Zeit<br />

konnte diese Methode immer besser<br />

in die Lehre der HfH und die Schulpraxis<br />

integriert werden.<br />

Lehren aus dem Bauernhof<br />

Wie funktioniert das genau? Lassen<br />

Sie mich zwei Fallbeispiele nennen:<br />

In Mathematikstunden im Kindergarten<br />

wurde bei einem vierjährigen<br />

Jungen festgestellt, dass er die Zahlen<br />

erst bis zwei kannte. Man befürchtete,<br />

dass er geistig entwicklungsverzögert<br />

sein könnte. Bei flexiblen<br />

Interviews entdeckte die Heilpädagogin,<br />

dass der Junge in seinem Lieblingsspiel<br />

mit dem Bauernhof sehr<br />

wohl wusste, wie viel sechs Kühe<br />

sind.<br />

Diese Entdeckung hatte Auswirkungen<br />

auf die Lehre: Der Junge und<br />

andere Kinder bekamen die Gelegenheit,<br />

Mathematik und Geometrie<br />

ausgehend vom Bauernhof oder<br />

anderen Lieblingsspielen zu lernen.<br />

Die Lehrpersonen hatten den Druck<br />

von Belehrung und Stofffülle überwunden,<br />

weil sie den Bauernhof als<br />

Sachthema für die mathematische<br />

Bildung erforscht hatten. Gleichzeitig<br />

hatten sie eingesehen, wie relativ<br />

belehrende Didaktik und deren Vorurteile<br />

sind, wenn Ressourcen der<br />

Kinder miteinbezogen werden.<br />

Das zweite Beispiel handelt von<br />

Erfahrungen, die Eltern und Lehrpersonen<br />

in Spiel- und Hausaufgabensituationen<br />

gesammelt haben.<br />

Sie lernten in einem Workshop, mit<br />

dem flexiblen Interview das Belehren<br />

zu überwinden und Gesellschaftsspiele<br />

für Kinder mit Behinderungen<br />

zugänglich zu machen.<br />

Dadurch wurden die Dialoge mit<br />

den Kindern sachlicher und freudvoller.<br />

Das Können hatte sich frei<br />

und wirkungsvoll entwickelt.<br />

Die Beispiele deuten an, dass Psychologen,<br />

Erziehende oder Lehrpersonen<br />

mit Kindern und Jugendlichen<br />

umgehen, als würden sie mit<br />

Freunden sprechen. Dabei lösen sie<br />

Probleme, mit denen ein Kind konfrontiert<br />

ist, und arbeiten gleichzeitig<br />

mit Materialien (oder Spielsachen)<br />

sowie mit Notizen. Die<br />

Richtigkeit der Resultate ist ein<br />

Nebenprodukt. Das freundschaftliche<br />

Klima ist reicher an sozialen<br />

Beziehungen und Emotionen als das<br />

Klima der Belehrung. Die Selbstbestimmung<br />

des Kindes ist angemessen<br />

integriert und nicht ausgeschlossen.<br />

So gelingt es in kürzester<br />

Zeit, Lebenserfahrungen und Interessen<br />

zu erforschen und für die Pädagogik<br />

nutzbar zu machen.<br />

Eine komplexe und schwierige<br />

Aufgabe steht an, wenn Fachpersonen,<br />

Lehrpersonen, Eltern und Lernende<br />

wahrnehmen, dass die Integration<br />

von Kindern, die anders sind<br />

als der Durchschnitt, nicht recht<br />

gelingen will. Betrachten wir die<br />

Aussage der Mutter eines Sohnes<br />

mit Trisomie 21. Sie blickte in einem<br />

Podiumsgespräch zufrieden auf die<br />

schulische Integration ihres Kindes<br />

zurück. Dass sie ihren Jungen jedoch<br />

vier Mal jeden Tag holen und bringen<br />

musste, belastete sie sehr. Wie<br />

wäre es, wenn Fachpersonen in ähnlichen<br />

Fällen nach Ressourcen im<br />

Quartier oder in der Gemeinde forschen<br />

würden? Wären andere Eltern<br />

oder ein Restaurant bereit, einer<br />

Familie mit einem Kind mit Behinderung<br />

zu helfen, auch wenn es nur<br />

um den Schulweg oder das Mittagessen<br />

geht? Paul Watzlawick betonte<br />

in einem Vortrag, dass der Ausweg<br />

aus dem «Spiel ohne Ende» über<br />

einfache Handlungen ge schieht.<br />

Die Entwicklung von integrativer<br />

Bildung und Erziehung erfordert<br />

neue Methoden (siehe Box S. 67).<br />

Das beginnt bei der Diagnose der<br />

Ressourcen der Kinder, der Eltern,<br />

der Grosseltern, in der Schule und<br />

im Quartier. Es ist einfacher, Defizite<br />

zu diagnostizieren und diese isoliert<br />

zu behandeln. Gemeinhin<br />

denkt man dann, dass das Kind oder<br />

die Jugendlichen mit Behandlungen<br />

66 November <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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