DIE LETZTEN URÖSTERREICHER In vielen Wiener Brennpunktschulen gibt es kaum noch SchülerInnen ohne Migrationshintergrund. Wie sieht es in den Klassenzimmern, in denen „echte“ Österreicher in der Minderheit sind, wirklich aus? Von Melisa Erkurt, Fotos: Marko Mestrović, Christoph Liebentritt 16 / POLITIKA /
Paula * überlegt lange, wie sie das jetzt am besten formulieren soll, sie will bloß nicht ausländerfeindlich rüberkommen. Sie, die Künstlerin, die ihre Kinder bewusst an Schulen mit MigrantInnen geschickt hat. Aber sie muss es jetzt einfach loswerden: „Die Migrantenkinder und ihre Eltern sind nie zu den gemeinsamen Festen gekommen, egal wie sehr wir uns bemüht haben.“ Paula war Elternvertreterin an der Volksschule ihrer Tochter im neunten Wiener Bezirk. Die Schule legt viel Wert auf Interkulturalität, viele SchülerInnen mit nichtdeutscher Muttersprache besuchen die Volksschule. Es gibt nicht nur Deutschförderung und Muttersprachenunterricht, sondern auch Türkisch und Arabisch sprechende SchulpsychologInnen. Sie hat sehr viel Mühe in diese Arbeit gesteckt. Damit es nicht an dem Finanziellen scheitert, übernimmt der Elternverein die Kosten für die Feste. Paula selbst bietet an, andere von zuhause abzuholen – trotzdem, die Migranten kommen nicht. „Ich glaube, manche haben die Sorge, dass Alkohol getrunken wird oder sie fühlen sich unwohl, weil ihr Deutsch nicht perfekt ist“, sagt Paula. „Die Kinder tun mir leid, sie sind nie auf den Festen oder Geburtstagsfeiern dabei.“ Am Anfang hat Paulas Tochter noch ihre türkischen Klassenkolleginnen zu ihren Geburtstagsfeiern eingeladen, mittlerweile hat sie aufgegeben. „Die kommen ja eh nicht“, hat sie zu Paula gesagt. Auch an der NMS, die Paulas Sohn besucht hat, zeichnet sich ein ähnliches Szenario ab. Sogar der Unterricht leidet darunter. „Die Migrantenkinder machen keine Hausübungen, sprechen schlechter Deutsch, die Eltern sind nicht dahinter“, sagt Paula. Ihr Sohn ist unterfordert, die LehrerInnen wiederholen nur den Volksschul-Stoff. Mittlerweile besucht ihr Sohn eine andere Schule mit weniger MigrantInnen. Die alten Probleme hat er jetzt nicht mehr. Dafür dreht sich auf einmal alles um Markenkleidung und Leistungsdruck. Auch mit den neuen KlassenkollegInnen kommt ihr Sohn nicht mehr so gut aus. „In der Ausländerklasse war mein Sohn etwas Besonderes, die Kinder haben „ Mit den österreichischen Kindern, die an unserer Schule bleiben, stimmt etwas nicht. “ ihn beneidet, die LehrerInnen haben ihn hervorgehoben. Jetzt ist er nur einer von vielen“, erzählt Paula nachdenklich. Sie hätte sich gewünscht, wenn es in seiner alten Schule geklappt hätte, das wäre die Art von Integration, die sie sich eigentlich vorstellt. Aber gleichzeitig glaubt sie, dass seine neue Schule ihrem Sohn bessere Zukunftschancen ermöglicht und das ist ihr in diesem Fall wichtiger. Sandra * versteht Eltern, die ihr Kind lieber in eine Schule mit weniger MigrantInnen geben. Beim Wohl ihrer Kinder wird die weltoffene Einstellung oft über Bord geworfen. Sandra selbst würde ihre Kinder niemals an eine Wiener NMS mit hohem Migrantenanteil schicken. Dabei unterrichtet sie an genau so einer Schule. Sandra ist seit 25 Jahren Lehrerin und unterrichtet an einer sogenannten Brennpunktschule. Der Anteil von SchülerInnen mit Migrationshintergrund an ihrer Schule beträgt 95 Prozent. Sie hat viele österreichische Kinder kommen und gehen sehen. „Alle paar Jahre wagen es ein paar österreichische Akademiker ihre Kinder an unsere Schule zu geben, die bleiben aber nicht lange“, sagt Sandra. Jene österreichischen Kinder, die bleiben, haben ein Defizit. „Mit den österreichischen Kindern, die an unserer Schule bleiben, stimmt etwas nicht. Sie haben eine Lernschwäche, kommen aus sozial schwachen Familien oder haben irgendein anderes Problem“, so die Lehrerin. In der vierten Klasse, in der Sandra Klassenvorständin ist, sitzt ein solches Kind. Jaqueline * , die einzige Schülerin in dieser Klasse ohne Migrationshintergrund. Jaquelines Mutter arbeitet als Putzfrau, was der Vater macht, weiß man nicht genau. Das Mädchen fehlt oft, zuhause gibt es Probleme, das Geld ist knapp. Jaqueline ist eine aufgeweckte 13-Jährige. Mit ihren blonden Haaren und den blauen Augen sticht sie in ihrer Klasse tatsächlich heraus. Was auch hervorsticht: Sie ist die einzige in der Klasse, die ohne Akzent spricht. Ihre KlassenkollegInnen halten Jaqueline für etwas Besonderes, dabei ist sie weder Klassenbeste noch trägt sie coolere Klamotten als die anderen. Das Thema um ihre Nationalität ist ihr unangenehm. / POLITIKA / <strong>17</strong>