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ist etwas extrem Ernstes. Vor allem bei<br />
uns Muslimen. Und ich wollte nicht erst<br />
heiraten, um mit meinem Freund zu<br />
schlafen. Dafür war ich eben schon mit<br />
21 bereit, und nicht erst mit 27 oder später.“<br />
Leyla hat bei ihrem ersten Mal nicht<br />
geblutet, und ihr damaliger Freund hat<br />
ihr nicht geglaubt, dass sie davor noch<br />
Jungfrau war – was allerdings gestimmt<br />
hat. „Das hat mich richtig wütend<br />
gemacht, vor allem, weil das schlimm für<br />
ihn war. Er hat ja genauso gegen eine<br />
„Regel“ verstoßen wie ich. Wir leben<br />
im 21. Jahrhundert, und jeder sollte<br />
wissen, dass Sex Frauen und Männern<br />
gleichermaßen Spaß machen darf“, sagt<br />
sie. Leyla ist heute nicht mehr mit ihrem<br />
damaligen Freund zusammen. „Ich finde<br />
nicht, dass ich einen Fehler gemacht<br />
habe. Der Fehler wäre gewesen, ihn zu<br />
heiraten. Ich bin stolz drauf, dass ich<br />
diese Entscheidung so für mich selbst<br />
treffen konnte“, sagt die junge Frau.<br />
Aber nicht nur Sex vor der Ehe steht<br />
auf der Liste von Leylas „Taten“. „Ich<br />
war einmal eine längere Zeit mit einer<br />
gemischten Gruppe unterwegs, es waren<br />
auch nicht-Muslime dabei. Dort habe ich<br />
dann auch zum ersten Mal Alkohol probiert<br />
und auch an einem Joint gezogen.<br />
Einfach aus Neugier.“ Ich frage sie, ob<br />
sie irgendwas davon bereut. „Ja schon,<br />
aber was passiert ist, ist passiert.“ Es sei<br />
auch schwer, Grenzen zu ziehen. „Dass<br />
ich mit meinem Freund, den ich vorhatte<br />
zu heiraten, geschlafen habe, ist eine<br />
Sache. Dass ich Weißwein und Gras<br />
probiert habe auch. Aber dann kommen<br />
so Sachen wie One Night Stands, von<br />
denen ich auch schon ein paar hatte,<br />
das allerdings nicht mit Muslimen – und<br />
das sind dann die Momente, wo ich mit<br />
mir selbst überhaupt nicht mehr zufrieden<br />
bin. Weil es auch keiner von mir<br />
erwartet“, sagt Leyla in einem ernsten<br />
Ton. Vor ihren muslimischen Freunden<br />
isst sie nicht einmal Schokolade, in der<br />
Alkohol drinnen ist. „Sie würden diese<br />
ganzen Sachen auch nie von mir erwarten.<br />
Ich bewundere alle, die so stark in<br />
ihrem Glauben sind, dass sie auf diese<br />
Neugier verzichten können. Ich merke<br />
auch, dass ich ungewollt viel über all<br />
das nachdenke, und es ist einfach ein<br />
Scheißgefühl, wenn es niemand von dir<br />
erwartet, du aber in Wirklichkeit alles<br />
schon gemacht hast.“<br />
„Unsere Mädchen werden so erzogen, dass sie brav und keusch sind.<br />
Das sollten wir Jungs eigentlich auch sein“<br />
„WENN ES JEMAND<br />
HERAUSFINDET, DANN<br />
IST ES VORBEI.“<br />
Ähnlich geht es dem 22-jährigen Tarek * .<br />
Er hat ägyptische Wurzeln, seine Eltern<br />
sind streng gläubig. Auch er ist Muslim.<br />
Auch er hat schon Erfahrungen mit Alkohol,<br />
Gras und Sex gemacht. „Aber das<br />
bleibt alles in einem vertrauten Rahmen,<br />
deshalb habe ich auch kein zu großes<br />
schlechtes Gewissen“, sagt er. Seine<br />
muslimischen Freunde, nicht einmal die<br />
engsten, wissen nicht, wie er eigentlich<br />
lebt. Ich merke bei ihm schnell, dass er<br />
in ausgewählten Kreisen aber locker wird<br />
und sich die „westliche“ Lebensweise<br />
aneignet. Mir scheint auch, als hätten<br />
viele meiner Gesprächspartner mehr<br />
Angst vor ihren Eltern, als vor Allah. Dass<br />
sie sündigen, ist ihnen ja bewusst. Aber<br />
die Furcht vor der Community ist größer<br />
als ihr Glaube.<br />
„Du verstehst das nicht. Unsere<br />
Community ist groß, jeder weiß alles<br />
über jeden. Da geht es nicht mehr um<br />
den Glauben, sondern um die Angst,<br />
72 / RAMBAZAMBA /