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BIBER 11_17 ansicht

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Tatsächlich wäre Jaqueline lieber nicht so besonders, es<br />

gibt Situationen, in denen sie gerne einfach nur genauso<br />

wäre wie die anderen. „Es gibt die Türken- und die<br />

Jugo-Gruppe in der Klasse, ich gehöre zu keiner und<br />

fühle mich manchmal ausgeschlossen, wenn sie auf<br />

ihren Muttersprachen reden“, sagt sie. Letztes Jahr ging<br />

noch ein Mädchen ohne Migrationshintergrund in ihre<br />

Klasse, Nicole * . Jaqueline und sie waren beste Freundinnen.<br />

Doch Nicole hat die Schule gewechselt, „ihre<br />

Eltern wollten nicht, dass sie in die Ausländerschule<br />

geht“, sagt Jaqueline. Nicole hat sich nicht so gut mit<br />

den anderen verstanden. Sie ist immer „Artikelkönigin“<br />

(Anm.d.Red: Spiel, bei dem SchülerInnen die richtigen<br />

Artikel erraten) geworden und hat offen gezeigt, dass<br />

sie etwas Besseres ist“, erzählt Jaqueline. Jaquelines<br />

beste Freundin Mehtap * nickt: „Natürlich ist sie besser,<br />

sie ist Österreicherin“, sagt die in<br />

Österreich geborene türkischstämmige<br />

Schülerin ernst.<br />

„DU BIST EH<br />

NICHT SO.“<br />

Wenn man sich die SchülerInnen<br />

ohne Migrationshintergrund an<br />

den „Problemschulen“ ansieht,<br />

fällt auf, dass es zwei Arten von<br />

diesen SchülerInnen gibt: Die<br />

Mehrheit sind sozial schwache<br />

Kinder wie Jaqueline, die aus<br />

einem bildungsfernen Elternhaus<br />

kommen. Doch dann gibt es auch<br />

noch einige wenige Kinder von<br />

Kreativen, Sozialarbeitern und<br />

Intellektuellen wie Paula, die ihre<br />

Kinder bewusst in „Ausländerschulen“<br />

geben. Lisa und Laura<br />

sind solche Kinder. Die zwei Mädchen<br />

sind die einzigen ÖsterreicherInnen<br />

in ihrer Klasse im 15.<br />

Wiener Bezirk. „Mein Nachname<br />

klingt Tschechisch, deshalb glauben manche, ich hätte<br />

Migrationshintergrund“, sagt die Schülerin, die in einer<br />

weltoffenen Akademikerfamilie aufgewachsen ist, stolz.<br />

Davor ist Lisa in ein Gymnasium gegangen, das hauptsächlich<br />

von Ur-Österreichern besucht wurde: „Die Klassenkollegen<br />

waren teilweise sehr rassistisch, ich habe<br />

ständig mit denen diskutiert.“ Unter anderem auch aus<br />

diesem Grund wechselt Lisa die Schule, an eine Schule<br />

mit sehr hohem Migrantenanteil. „Die Schule hat nur<br />

deshalb einen schlechten Ruf, weil viele Migranten hier<br />

sind. Dabei ist die Schule pädagogisch sehr gut und das<br />

Schulklima ist toll“, sagen Lisas Eltern. Trotzdem gibt<br />

es Momente, in denen sich Lisa anders als die anderen<br />

fühlt: „Natürlich mache ich mir manchmal Gedanken, ob<br />

ich dazugehöre, vor allem die türkischen SchülerInnen<br />

reden oft in ihrer Muttersprache und bleiben unter<br />

sich, da fühle ich mich manchmal ausgeschlossen.“ In<br />

diesen Situationen wünscht sich Lisa manchmal, sie<br />

hätte Migrationshintergrund. Doch für sie überwiegen<br />

trotzdem die Vorteile ihrer Multikulti-Klasse. Wenn sie<br />

bei Klassenkolleginnen zuhause ist, gibt es immer außergewöhnliches<br />

Essen, das sie sonst nicht kennengelernt<br />

hätte und ihre besten Freundinnen hat sie erst in dieser<br />

Multikulti-Klasse gefunden. „Ich kann zwischen verschiedenen<br />

Welten switchen, das ist toll“, sagt Lisa.<br />

Laura fallen aber auch Kulturunterschiede auf: „Die<br />

Klassenkolleginnen mit Migrationshintergrund haben<br />

viel strengere Eltern. Sie müssen nach der Schule gleich<br />

nachhause und haben weniger Freiheiten.“ Auch auf<br />

ihre Geburtstagspartys können ihre Klassenkolleginnen<br />

nicht kommen. Trotzdem hätten sie eine sehr gute Klassengemeinschaft,<br />

erzählen die zwei Mädchen. „Wenn<br />

die anderen mal über Österreicher lästern, sagen sie eh<br />

immer dazu, dass sie nicht uns<br />

meinen und wir nicht so sind“,<br />

sagt Laura.<br />

VERARSCHT WIRD<br />

MAN ÜBERALL<br />

Lauras Eltern sind beide Sozialarbeiter.<br />

Sie ist mit einer sehr<br />

offenen Weltanschauung großgeworden.<br />

Heute korrigiert sie<br />

ihre ohnehin schon sehr liberalen<br />

Eltern, wenn sie mal etwas<br />

politisch nicht Korrektes sagen.<br />

„Einmal haben sie gefragt, wieso<br />

Tschetschenen gewalttätig sind,<br />

da habe ich ihnen gesagt, dass sie<br />

das so nicht sagen können. Dass<br />

der tschetschenisch-stämmige<br />

Junge aus meiner Klasse die friedlichste<br />

Person ist, die ich kenne“,<br />

sagt Laura. In letzter Zeit haben<br />

sie ihre Eltern auch öfter gefragt,<br />

ob der Islam ein großes Thema in<br />

ihrer Klasse sei. „Alle fürchten sich<br />

vor dem Islam. Auch ich wusste früher nicht, was ich<br />

beispielsweise von Kopftuchträgerinnen halten soll, die<br />

schauten immer so streng. In unserer Klasse tragen vier<br />

Mädchen Kopftuch, seit ich die kenne, habe ich ein viel<br />

besseres Bild Kopftuchträgerinnen gegenüber“, so Laura.<br />

Laura und Lisa sagen, dass die Herkunft für sie keine<br />

Rolle spielt, sie sind auch nicht stolz darauf, Österreicherinnen<br />

zu sein. Bei ihren KlassenkollegInnen fällt ihnen<br />

dagegen auf, dass die Herkunft eine große Rolle spielt:<br />

„Am ersten Schultag ist ein Mädchen durchgegangen<br />

und hat alle anderen Mädchen gefragt, ob sie auch Türkinnen<br />

sind. Die türkischen Mädchen haben sich dann<br />

tatsächlich auch gleich angefreundet“, sagt Lisa.<br />

Laura und Lisa fällt auch auf, dass sie als Österreicherinnen<br />

von der Turnlehrerin bevorzugt werden: „Die<br />

ist besonders zu Mädchen, die Kopftuch tragen, sehr<br />

gemein“, erzählen die zwei. Durch ihre Klasse sind sie<br />

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