Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Tatsächlich wäre Jaqueline lieber nicht so besonders, es<br />
gibt Situationen, in denen sie gerne einfach nur genauso<br />
wäre wie die anderen. „Es gibt die Türken- und die<br />
Jugo-Gruppe in der Klasse, ich gehöre zu keiner und<br />
fühle mich manchmal ausgeschlossen, wenn sie auf<br />
ihren Muttersprachen reden“, sagt sie. Letztes Jahr ging<br />
noch ein Mädchen ohne Migrationshintergrund in ihre<br />
Klasse, Nicole * . Jaqueline und sie waren beste Freundinnen.<br />
Doch Nicole hat die Schule gewechselt, „ihre<br />
Eltern wollten nicht, dass sie in die Ausländerschule<br />
geht“, sagt Jaqueline. Nicole hat sich nicht so gut mit<br />
den anderen verstanden. Sie ist immer „Artikelkönigin“<br />
(Anm.d.Red: Spiel, bei dem SchülerInnen die richtigen<br />
Artikel erraten) geworden und hat offen gezeigt, dass<br />
sie etwas Besseres ist“, erzählt Jaqueline. Jaquelines<br />
beste Freundin Mehtap * nickt: „Natürlich ist sie besser,<br />
sie ist Österreicherin“, sagt die in<br />
Österreich geborene türkischstämmige<br />
Schülerin ernst.<br />
„DU BIST EH<br />
NICHT SO.“<br />
Wenn man sich die SchülerInnen<br />
ohne Migrationshintergrund an<br />
den „Problemschulen“ ansieht,<br />
fällt auf, dass es zwei Arten von<br />
diesen SchülerInnen gibt: Die<br />
Mehrheit sind sozial schwache<br />
Kinder wie Jaqueline, die aus<br />
einem bildungsfernen Elternhaus<br />
kommen. Doch dann gibt es auch<br />
noch einige wenige Kinder von<br />
Kreativen, Sozialarbeitern und<br />
Intellektuellen wie Paula, die ihre<br />
Kinder bewusst in „Ausländerschulen“<br />
geben. Lisa und Laura<br />
sind solche Kinder. Die zwei Mädchen<br />
sind die einzigen ÖsterreicherInnen<br />
in ihrer Klasse im 15.<br />
Wiener Bezirk. „Mein Nachname<br />
klingt Tschechisch, deshalb glauben manche, ich hätte<br />
Migrationshintergrund“, sagt die Schülerin, die in einer<br />
weltoffenen Akademikerfamilie aufgewachsen ist, stolz.<br />
Davor ist Lisa in ein Gymnasium gegangen, das hauptsächlich<br />
von Ur-Österreichern besucht wurde: „Die Klassenkollegen<br />
waren teilweise sehr rassistisch, ich habe<br />
ständig mit denen diskutiert.“ Unter anderem auch aus<br />
diesem Grund wechselt Lisa die Schule, an eine Schule<br />
mit sehr hohem Migrantenanteil. „Die Schule hat nur<br />
deshalb einen schlechten Ruf, weil viele Migranten hier<br />
sind. Dabei ist die Schule pädagogisch sehr gut und das<br />
Schulklima ist toll“, sagen Lisas Eltern. Trotzdem gibt<br />
es Momente, in denen sich Lisa anders als die anderen<br />
fühlt: „Natürlich mache ich mir manchmal Gedanken, ob<br />
ich dazugehöre, vor allem die türkischen SchülerInnen<br />
reden oft in ihrer Muttersprache und bleiben unter<br />
sich, da fühle ich mich manchmal ausgeschlossen.“ In<br />
diesen Situationen wünscht sich Lisa manchmal, sie<br />
hätte Migrationshintergrund. Doch für sie überwiegen<br />
trotzdem die Vorteile ihrer Multikulti-Klasse. Wenn sie<br />
bei Klassenkolleginnen zuhause ist, gibt es immer außergewöhnliches<br />
Essen, das sie sonst nicht kennengelernt<br />
hätte und ihre besten Freundinnen hat sie erst in dieser<br />
Multikulti-Klasse gefunden. „Ich kann zwischen verschiedenen<br />
Welten switchen, das ist toll“, sagt Lisa.<br />
Laura fallen aber auch Kulturunterschiede auf: „Die<br />
Klassenkolleginnen mit Migrationshintergrund haben<br />
viel strengere Eltern. Sie müssen nach der Schule gleich<br />
nachhause und haben weniger Freiheiten.“ Auch auf<br />
ihre Geburtstagspartys können ihre Klassenkolleginnen<br />
nicht kommen. Trotzdem hätten sie eine sehr gute Klassengemeinschaft,<br />
erzählen die zwei Mädchen. „Wenn<br />
die anderen mal über Österreicher lästern, sagen sie eh<br />
immer dazu, dass sie nicht uns<br />
meinen und wir nicht so sind“,<br />
sagt Laura.<br />
VERARSCHT WIRD<br />
MAN ÜBERALL<br />
Lauras Eltern sind beide Sozialarbeiter.<br />
Sie ist mit einer sehr<br />
offenen Weltanschauung großgeworden.<br />
Heute korrigiert sie<br />
ihre ohnehin schon sehr liberalen<br />
Eltern, wenn sie mal etwas<br />
politisch nicht Korrektes sagen.<br />
„Einmal haben sie gefragt, wieso<br />
Tschetschenen gewalttätig sind,<br />
da habe ich ihnen gesagt, dass sie<br />
das so nicht sagen können. Dass<br />
der tschetschenisch-stämmige<br />
Junge aus meiner Klasse die friedlichste<br />
Person ist, die ich kenne“,<br />
sagt Laura. In letzter Zeit haben<br />
sie ihre Eltern auch öfter gefragt,<br />
ob der Islam ein großes Thema in<br />
ihrer Klasse sei. „Alle fürchten sich<br />
vor dem Islam. Auch ich wusste früher nicht, was ich<br />
beispielsweise von Kopftuchträgerinnen halten soll, die<br />
schauten immer so streng. In unserer Klasse tragen vier<br />
Mädchen Kopftuch, seit ich die kenne, habe ich ein viel<br />
besseres Bild Kopftuchträgerinnen gegenüber“, so Laura.<br />
Laura und Lisa sagen, dass die Herkunft für sie keine<br />
Rolle spielt, sie sind auch nicht stolz darauf, Österreicherinnen<br />
zu sein. Bei ihren KlassenkollegInnen fällt ihnen<br />
dagegen auf, dass die Herkunft eine große Rolle spielt:<br />
„Am ersten Schultag ist ein Mädchen durchgegangen<br />
und hat alle anderen Mädchen gefragt, ob sie auch Türkinnen<br />
sind. Die türkischen Mädchen haben sich dann<br />
tatsächlich auch gleich angefreundet“, sagt Lisa.<br />
Laura und Lisa fällt auch auf, dass sie als Österreicherinnen<br />
von der Turnlehrerin bevorzugt werden: „Die<br />
ist besonders zu Mädchen, die Kopftuch tragen, sehr<br />
gemein“, erzählen die zwei. Durch ihre Klasse sind sie<br />
/ POLITIKA / 19