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BIBER 11_17 ansicht

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„Die Leiden des jungen Todors“<br />

Von Todor Ovtcharov<br />

Nikolaus und Krampus<br />

Vom Nikolaus erfuhr ich vor ungefähr<br />

10 Jahren. Ich wusste nichts von ihm,<br />

bevor ich nach Wien gezogen bin. In<br />

meiner frühen Kindheit gab es Väterchen<br />

Frost, der zu Silvester kam. Danach, gleichzeitig mit<br />

dem Mauerfall, kam der Weihnachtsmann in seinem<br />

Coca Cola Truck. Später wohnte ich in Berlin und der<br />

Weihnachtsmann flog in seinem Schlitten an unserem<br />

Fenster vorbei, deshalb mussten wir unsere Briefe<br />

daran ankleben.<br />

Ich wollte immer der Weihnachtsmann sein, da<br />

er der meisterwartete Gast auf der Welt ist. In Wien<br />

aber stoße ich auf Nikolaus, der den braven Kindern<br />

Geschenke und Süßigkeiten bringt. Man muss ja<br />

irgendwo anfangen. Wenn ich nicht der Weihnachstmann<br />

sein kann, kann ich wenigstens Nikolaus sein.<br />

Ich bewarb mich für einen Nikolausjob. Eine Agentur<br />

suchte Studenten, die Nikolaus für 8 Euro die Stunde<br />

sein wollten. Ich rief an, um mich zu bewerben. „Es<br />

freut mich sehr, dass Sie sich in unserer Firma als<br />

Nikolaus bewerben, wie heißen Sie denn?“, sagte<br />

eine freundlihe Stimme am Telefon. „Todor Ovtcharov“,<br />

antwortete ich. „Wie?!“ - ich wiederholte<br />

meinen Namen. „Aha“, sagte die Stimme, dieses Mal<br />

nicht mehr so freundlich. „Wollen Sie nicht doch lieber<br />

der Krampus sein, der von Nikolaus verjagt wird?<br />

Sie werden eine Maske mit Hörnern anhaben und Sie<br />

müssen nur knurren, nicht sprechen. Und die Bezahlung<br />

ist nur mit einem Euro die Stunde weniger.“ Es<br />

schien so, dass Nikolaus kein Ausländer sein konnte.<br />

Ich war einverstanden Krampus zu sein.<br />

Am Nikolaustag bekam ich Anweisungen, was<br />

ich als Monster tun soll: ich musste die Kinder<br />

erschrecken, aber nicht zu viel, denn manche Eltern<br />

beschweren sich, wenn ihre Kinder nicht schlafen<br />

können, nachdem sie von Krampus besucht werden.<br />

Ich musste ein moderater Krampus sein. Ich<br />

musste mit meinen Glocken läuten und meine Zunge<br />

zeigen, aber den Kindern nicht zu Nahe treten. Ich<br />

war einverstanden. Ich traf auf meinen Nikolaus, mit<br />

dem wir ein Paar waren. Das war Gerhard. Gerhard<br />

wurde im 10. Wiener Gemeindebezirk geboren. Sein<br />

Horizont reichte bis zum <strong>11</strong>. Bezirk. Er war ganz<br />

passend für einen Nikolaus – blond und helläugig,<br />

außerdem sprach er ein einwandfreies Wienerisch.<br />

Ich sagte zu ihm, dass wir wie im Kino seien – er<br />

ist der Good Cop und ich bin der Bad Cop. Gerhard<br />

sagte, dass er keine Filme schaut. Sie seien ihm zu<br />

lang und er schlafe immer ein. Mein Good Cop–Bad<br />

Cop-Witz zeigte keine Wirkung. Ich erzählte ihm, wie<br />

ich mir als Kind vom Väterchen Frost einen LKW mit<br />

blauer Karosserie gewünscht habe, und er brachte<br />

mir einen mit roter, was mich traurig machte. Men<br />

Vater, der als Väterchen Frost angekleidet war und<br />

alle Geschäfte durchstöbert hatte, um mir den blöden<br />

LKW zu finden, zündete fast seinen Bart mit einem<br />

Bengalfeuer an. Das interessierte Gerhard gar nicht.<br />

„Ich will, dass meine Kinder an Nikolaus glauben und<br />

nicht an irgendwelche erfundenen „Väterchen“! Das<br />

hier ist ein christliches Land!“ Ich versuchte ihm zu<br />

erklären, dass Väterchen Frost kein Muslim ist, aber<br />

er hörte gar nicht zu. „Alle mit langen Bärten gehören<br />

zur ISIS!“ In dem Moment zog er seinen Nikolausbart<br />

an. Ich machte dasselbe mit meiner Krampusmaske.<br />

Danach musste ich nur die Kinder erschrecken. Gerhard<br />

sprach lieb zu ihnen und streichelte sie an den<br />

Köpfen und vor mir rannen sie weg. ●<br />

82 / MIT SCHARF /

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