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BIBER 11_17 ansicht

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KOMMENTAR<br />

von<br />

Adis Serifovic<br />

Vorsitzender der<br />

Muslimischen<br />

Jugend Österreich.<br />

„Alles geschieht heimlich. Vetrauen spielt eine große Rolle.<br />

Wenn es jemand rausfindet, ist es vorbei.“<br />

dass es wer herausfinden könnte. Und<br />

dann wäre es für mich vorbei. Meine<br />

Eltern würden nie wieder mit mir reden“,<br />

erklärt mir Amir * . Amir ist 26, groß,<br />

durchtrainiert und hat funkelnd grüne<br />

Augen. Er studiert Architektur an der<br />

Uni Wien. Er betet fünfmal am Tag, geht<br />

freitags in die Moschee und postet auf<br />

Facebook ständig neue Islam-Zitate und<br />

ist nach außen hin auch der Vorzeigemoslem.<br />

„Meine Freunde glauben, ich<br />

lebe wie ein Hodscha“, lacht er. „Ich will<br />

ja auch so leben, wie es sich gehört.<br />

Aber wenn du in Wien aufwächst, dann<br />

ist das halt schwer, sich an all die Regeln<br />

zu halten. Natürlich haben mir schon<br />

Mädchen gefallen und ich ihnen, aber ich<br />

habe noch nie etwas mit einer Muslima<br />

angefangen, sondern nur mit Österreicherinnen.“<br />

„WENN KEINER<br />

ZUSCHAUT, IST ES<br />

NICHT HARAM.“<br />

„Unsere“ Mädchen werden so erzogen,<br />

dass sie brav und keusch sein sollen<br />

„Unsere Mädchen<br />

sollen brav und<br />

keusch sein“<br />

– sollte ich ja eigentlich auch“ sagt er,<br />

und beißt sich in die Lippe. „Aber weißt<br />

eh, wenn keiner zuschaut, dann ist es<br />

nicht haram“, fügt er mit einem nervösen<br />

Lächeln hinzu. Ich frage ihn, ob<br />

er mit seinen muslimischen Freundinnen<br />

auch so offen sprechen würde, wie mit<br />

mir. „Nein, vor unseren Frauen niemals.<br />

Dann haben sie keinen Respekt mehr<br />

vor mir und meine ganze Ehre ist weg.<br />

Und Respekt ist bei uns extrem wichtig.“<br />

Ich will wissen, was das dann für einen<br />

Unterschied macht, wenn er vor mir,<br />

ebenfalls einer Frau, über Aufrisse und<br />

Alkoholabstürze redet. „Nein, bei dir ist<br />

es egal. Du bist ja keine Muslima. Außerdem<br />

kann man mit dir über alles reden,<br />

wie mit einem Freund“, bekomme ich zu<br />

hören. Ich weiß an dieser Stelle nicht,<br />

ob ich das seltsam finden soll, oder ob<br />

das eine Art Kompliment für mich ist.<br />

Amir redet mit mir wirklich wie mit einem<br />

Kumpel. „Ich könnte dir Geschichten<br />

erzählen, die würdest du nicht packen.<br />

Eigentlich sind die meisten muslimischen<br />

Jungs, die ich kenne, irgendwo Heuchler.<br />

Die einen, die sowieso schon alles<br />

machen, was verboten ist, und dann gibt<br />

es die, die auf halal tun und mit 25 noch<br />

nie eine Frau geküsst haben – aber wenn<br />

man dann über Pornos spricht, sind sie<br />

die großen Kenner. Außerdem verurteilen<br />

sie andere für Dinge, die sie dann eh<br />

selbst tun“, zuckt er mit den Schultern.<br />

Muslimische Jugendliche, die zuerst<br />

zum Freitagsgebet gehen und am selben<br />

Abend Party machen, gibt es hierzulande<br />

schon seit es Moscheen in Österreich<br />

gibt. Junge Menschen haben heute eine<br />

Auswahl an unterschiedlichen Lebensentwürfen<br />

und hierin unterscheiden sich<br />

muslimisch-österreichische Jugendliche<br />

im Grunde kaum von anderen österreichischen<br />

Jugendlichen. Sie alle besetzen<br />

unterschiedliche Rollen und diverse Identitäten<br />

in ihrem Alltag. Problematisch wird<br />

es, wenn über muslimische Jugendliche<br />

in der Öffentlichkeit gesprochen wird, als<br />

würden für sie andere Maßstäbe gelten.<br />

Wenn jemand diesen Artikel liest und sich<br />

fragt: „Wie können diese Muslime nur<br />

widersprüchlich leben, wenn sie daheim<br />

anders sind als mit ihren Freund/innen?!“<br />

Antwort: Junge Menschen versuchen,<br />

ihr eigenes Leben zu gestalten und sich<br />

abzugrenzen. Mitunter stimmt das nicht<br />

mit den Lebenseinstellungen der Eltern<br />

überein. Überraschung? Wohl eher nicht.<br />

Die Frage ist: Warum spielt ihr Muslim/In-<br />

Sein, und in wie weit sie es leben, so eine<br />

große Rolle für irgendjemanden außer<br />

ihnen selbst? Die unterschiedlichen Ausprägungen<br />

und Formen der Praxis sind<br />

für manche Eltern und wahrscheinlich für<br />

ganze Communities noch eine Herausforderung.<br />

Aber genauso für alle anderen,<br />

die hier nach alten Mustern bewerten und<br />

urteilen. Letztendlich ist es die Realität –<br />

und damit ist klar zu kommen.<br />

Ja, es gibt islamische Vorstellungen<br />

zum Thema Sexualität und im Umgang<br />

mit Rauschmitteln und - Überraschung:<br />

Nicht alle MuslimInnen halten sich daran.<br />

Schließlich entscheidet jeder Mensch<br />

über sein Leben und seine Taten selbst –<br />

sie oder er allein muss dies verantworten.<br />

Ich finde es deshalb auch falsch, diesen<br />

Jugendlichen eine heuchlerische Lebensweise<br />

vorzuwerfen. Junge Menschen<br />

kämpfen eben manchmal auch mit sich<br />

und ihren Überzeugungen oder den an sie<br />

gestellten Ansprüchen. Als Muslim versuche<br />

ich mir bewusst zu machen, dass<br />

ich meine Taten nur vor Allah verantworten<br />

muss und dass Allah verzeihend und<br />

barmherzig ist.<br />

/ RAMBAZAMBA / 73

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