„Die Leiden des jungen Todors“ Von Todor Ovtcharov Nikolaus und Krampus Vom Nikolaus erfuhr ich vor ungefähr 10 Jahren. Ich wusste nichts von ihm, bevor ich nach Wien gezogen bin. In meiner frühen Kindheit gab es Väterchen Frost, der zu Silvester kam. Danach, gleichzeitig mit dem Mauerfall, kam der Weihnachtsmann in seinem Coca Cola Truck. Später wohnte ich in Berlin und der Weihnachtsmann flog in seinem Schlitten an unserem Fenster vorbei, deshalb mussten wir unsere Briefe daran ankleben. Ich wollte immer der Weihnachtsmann sein, da er der meisterwartete Gast auf der Welt ist. In Wien aber stoße ich auf Nikolaus, der den braven Kindern Geschenke und Süßigkeiten bringt. Man muss ja irgendwo anfangen. Wenn ich nicht der Weihnachstmann sein kann, kann ich wenigstens Nikolaus sein. Ich bewarb mich für einen Nikolausjob. Eine Agentur suchte Studenten, die Nikolaus für 8 Euro die Stunde sein wollten. Ich rief an, um mich zu bewerben. „Es freut mich sehr, dass Sie sich in unserer Firma als Nikolaus bewerben, wie heißen Sie denn?“, sagte eine freundlihe Stimme am Telefon. „Todor Ovtcharov“, antwortete ich. „Wie?!“ - ich wiederholte meinen Namen. „Aha“, sagte die Stimme, dieses Mal nicht mehr so freundlich. „Wollen Sie nicht doch lieber der Krampus sein, der von Nikolaus verjagt wird? Sie werden eine Maske mit Hörnern anhaben und Sie müssen nur knurren, nicht sprechen. Und die Bezahlung ist nur mit einem Euro die Stunde weniger.“ Es schien so, dass Nikolaus kein Ausländer sein konnte. Ich war einverstanden Krampus zu sein. Am Nikolaustag bekam ich Anweisungen, was ich als Monster tun soll: ich musste die Kinder erschrecken, aber nicht zu viel, denn manche Eltern beschweren sich, wenn ihre Kinder nicht schlafen können, nachdem sie von Krampus besucht werden. Ich musste ein moderater Krampus sein. Ich musste mit meinen Glocken läuten und meine Zunge zeigen, aber den Kindern nicht zu Nahe treten. Ich war einverstanden. Ich traf auf meinen Nikolaus, mit dem wir ein Paar waren. Das war Gerhard. Gerhard wurde im 10. Wiener Gemeindebezirk geboren. Sein Horizont reichte bis zum <strong>11</strong>. Bezirk. Er war ganz passend für einen Nikolaus – blond und helläugig, außerdem sprach er ein einwandfreies Wienerisch. Ich sagte zu ihm, dass wir wie im Kino seien – er ist der Good Cop und ich bin der Bad Cop. Gerhard sagte, dass er keine Filme schaut. Sie seien ihm zu lang und er schlafe immer ein. Mein Good Cop–Bad Cop-Witz zeigte keine Wirkung. Ich erzählte ihm, wie ich mir als Kind vom Väterchen Frost einen LKW mit blauer Karosserie gewünscht habe, und er brachte mir einen mit roter, was mich traurig machte. Men Vater, der als Väterchen Frost angekleidet war und alle Geschäfte durchstöbert hatte, um mir den blöden LKW zu finden, zündete fast seinen Bart mit einem Bengalfeuer an. Das interessierte Gerhard gar nicht. „Ich will, dass meine Kinder an Nikolaus glauben und nicht an irgendwelche erfundenen „Väterchen“! Das hier ist ein christliches Land!“ Ich versuchte ihm zu erklären, dass Väterchen Frost kein Muslim ist, aber er hörte gar nicht zu. „Alle mit langen Bärten gehören zur ISIS!“ In dem Moment zog er seinen Nikolausbart an. Ich machte dasselbe mit meiner Krampusmaske. Danach musste ich nur die Kinder erschrecken. Gerhard sprach lieb zu ihnen und streichelte sie an den Köpfen und vor mir rannen sie weg. ● 82 / MIT SCHARF /
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