Komplett. Das Sauerlandmagazin. Zwischen Verse und Sorpe. Ausgabe November/Dezember 2017
Themen u.a.: Neue Form der Bürgerbeteiligung in Plettenberg - Treffpunkt Bahnhof Werdohl, hier pulsiert das Leben - Professor plant Feiermuseum in Gründerzeitvilla
Themen u.a.: Neue Form der Bürgerbeteiligung in Plettenberg - Treffpunkt Bahnhof Werdohl, hier pulsiert das Leben - Professor plant Feiermuseum in Gründerzeitvilla
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Blick aus den Fenstern über Leipzig bot. Sie heizte mit<br />
Steinkohle, die sie vom Keller in die dritte Etage schleppte.<br />
Der Kachelofen, der ihr als Heizung diente, taucht<br />
auch als Bildmotiv in ihren Werken auf. Nach bestandenem<br />
Studium wurde sie Meisterschülerin bei dem renommierten<br />
Leipziger Kunstprofessor Arno Link. Und<br />
fragte sich trotzdem bald, wie es in ihrem Leben weitergehen<br />
sollte.<br />
Mittendrin <strong>und</strong> außen vor. Immer noch. Schon wieder.<br />
Auch nach 14 Jahren in Leipzig, einer Stadt, die sich mindestens<br />
so rasant <strong>und</strong> interessant entwickelt wie Berlin<br />
oder Dresden. Und jede Menge Künstler produziert, die<br />
alle irgendwie überleben wollen.<br />
Johanna suchte nach einem Weg, sich als Künstler über<br />
Leipzig hinaus zu etablieren. Sie bewarb sich daher kurzerhand<br />
für das Stipendium der „Werkstatt Plettenberg“<br />
im Sauerland <strong>und</strong> bekam die Zusage. Die Stadt kannte<br />
sie bis dahin nicht.<br />
ihrer Künstlerkollegen <strong>und</strong> der intensiven Auseinandersetzung<br />
auch mit der abstrakten Kunst, steht für Johanna<br />
Winkelgr<strong>und</strong> der Mensch <strong>und</strong> seine bildnerische Darstellung<br />
im Mittelpunkt.<br />
Sie beobachtet die Menschen, schaut ganz genau hin.<br />
Malt einfach, was sie sieht <strong>und</strong> fühlt <strong>und</strong> entlarvt dabei<br />
eine Gesellschaft, deren Götter „Konsum <strong>und</strong> Arbeit“ sie<br />
in eine selbst erschaffene Isolation führen. Eine Einsamkeit,<br />
die nicht selbstbestimmt gewählt ist. Und die zu<br />
skurrilen Verhaltensformen führt. Sie malt Menschen, die<br />
unfähig sind, auf direktem Wege miteinander zu kommunizieren,<br />
sondern sich nur noch per Handy <strong>und</strong> Internet<br />
miteinander unterhalten. Johannas Motive sind<br />
manchmal auch Jugendliche, die sie in der Schule beobachtet<br />
<strong>und</strong> die nicht mehr in der Lage sind, sich als<br />
Gruppe zu finden <strong>und</strong> miteinander auszutauschen. Sie<br />
malt Menschen, die einsam in Straßenbahnen sitzen, erschöpft<br />
von der Arbeit. Menschen, die durch Supermärkte<br />
rasen, mit dem Handy am Ohr.<br />
Aus der Großstadt in die Kleinstadt. Größer könnte der<br />
Unterschied nicht sein. 2004 packte Johanna trotzdem<br />
ihre Koffer, ließ Leipzig hinter sich <strong>und</strong> zog nach Plettenberg.<br />
Und fand hier „ihren“ Platz. Die wenig überschwängliche<br />
Art der Sauerländer kam ihrem eigenen<br />
Temperament eher entgegen. Hier war es für sie möglich,<br />
relativ unbehelligt einfach erst einmal anzukommen.<br />
Wer das Sauerland kennt, weiß, dass man hier selten<br />
dadurch auffällt, dass man lieber schweigt oder gar Distanz<br />
hält. Der Sauerländer ist da eisern <strong>und</strong> schaut sich<br />
alles erst einmal ganz genau an. Wie Johanna. Johanna<br />
<strong>und</strong> die Sauerländer Mentalität, das passt einfach. Sie<br />
lebt seit nunmehr 13 Jahren als Künstlerin in Plettenberg<br />
<strong>und</strong> ist zu so etwas wie einer Institution geworden.<br />
Man kennt <strong>und</strong> schätzt sie. Sie bleibt sich selbst<br />
treu <strong>und</strong> lässt sich nicht verbiegen. Trotz vieler Impulse<br />
Dagegen setzt die Künstlerin großartige Betrachtungen<br />
von Landschaften, die in ihrer Anmutung an die Arbeiten<br />
des Romantikers Caspar David Friedrich erinnern. Sie, die<br />
immer jemand war, der sich eher „draußen“ fühlte, der<br />
oft mit Erstaunen auf die Menschen <strong>und</strong> ihr sogenanntes<br />
„normales“ Leben schaute, zeigt uns jetzt, was wir<br />
verlieren oder schon verloren haben. Den Blick für die<br />
Natur um uns herum, den Blick auf den Menschen neben<br />
uns, auf uns selbst <strong>und</strong> unsere Unfähigkeit, endlich<br />
Prioritäten zu setzen, die uns zu lebendigen Wesen machen<br />
<strong>und</strong> nicht zu funktionierenden Maschinen.<br />
Johanna Winkelgr<strong>und</strong> fand sich niemals wieder in dem<br />
hektischen Treiben um sie herum, lebt langsam, bedächtig,<br />
aber mit einem wachen, fast sezierenden Blick auf<br />
das Geschehen. Und ist ihrer Zeit damit offensichtlich<br />
weit voraus. Sie ist nun eine Trendsetterin, in einer Um-<br />
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