Der Burgbote 1979 (Jahrgang 59)
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
tigen Einstand Im Dorfchor gehabt. Frei<br />
lich, der einzige Freund Böllers, Anstrei<br />
cher Strempei, mußte sämtliche Register<br />
seiner Überzeugungskunst aufbieten, um<br />
den schüchternen Johann in den Chor zu<br />
werben. » Wir brauchen Tenöre - ganz drin<br />
gend«, hatte der für seinen Beruf eigentlich<br />
zu schwergewichtige Strempei mehrmals<br />
Böller vorgejammert. Und das war wirklich<br />
nicht gelogen. Denn damals kämpften<br />
iedigiich drei Tenöre gegen die Übermacht<br />
c ßnderen Stimmen an.<br />
Und dann kam Böller, in den ersten Proben<br />
erklang seine Stimme noch recht zaghaft.<br />
Doch von Sangesabend zu Sangesabend<br />
steigerte er sich. Böller legte schließlich<br />
während der Proben alle Zurückhaltung,<br />
die sonst ein so starker Wesenszug seines<br />
Innenlebens war, ab und wurde zu dem<br />
Tenor, den sich Chorleiter Pranger, im bür<br />
gerlichen Beruf Bäckermeister, schon<br />
lange gewünscht hatte.<br />
Doch dann passierte es. Die 28 »Sangesiust«-Mitgiieder<br />
hatten sich gerade im<br />
Pfarrsaai choristisch formiert, Pranger den<br />
Taktstock mit der rechten Hand erhoben,<br />
als sich jenes leichte Kribbein in Böllers<br />
Nasengegend bemerkbar machte. »Nur<br />
jetzt nicht . . .«, flehte Böller. Würde er<br />
schnell noch einmal ins Taschentuch<br />
Schnäuzen können?-Schon zu spät! Nach<br />
t. ßiv gutem Einsatz lauschte das fast voll<br />
ständig anwesende Dorf bereits andächtig<br />
den Klängen des vierstimmigen Satzes.<br />
Böllers Nasenkribbein wurde stärker. Was<br />
machen? Johann bewegte - trotz gerade<br />
sehr hoher Töne - mehrmals unruhig die<br />
Nasenflügel. Half aber nicht.<br />
»Einfach an 'was anderes denken«, redete<br />
sich Böller ein. Doch versuchen Sie es ein<br />
mal, wenn ihre Nase in ähnlicher Situation<br />
kribbelt, an 'was anderes zu denken . . .<br />
Trotz findigster Abienkungstaktik - Böllers<br />
Kribbein hielt an, ja, wurde noch stärker.<br />
Und dann plötzlich wußte die ansonsten<br />
große Stütze des Tenors, die Katastrophe<br />
würde nicht mehr abwendbar sein.<br />
Böller zog zwar noch rasch das Notenblatt<br />
ein bißchen höher-doch gerade als Pran<br />
ger für die Zuhörerschaft kaum bemerkbar<br />
mit dem Zeigefinger der linken Hand die so<br />
schwierige Pause von vier Takten vor<br />
wippte, krachte es mit voller Gewalt aus<br />
Böllers Nase heraus. Und weil der Reiz eine<br />
ungeheure Intensität gehabt haben mußte,<br />
platzte gleich noch ein zweiter Nieser hin<br />
terher ...<br />
Nach dieser peinlichen wie befreienden<br />
Reaktion sah Böller, noch Tränen in den<br />
Augen, die aufgeblähten Backen von fJietzgermeister<br />
Friebei, gleich in der ersten<br />
Reihe sitzend. Noch ehe Böllers Söhnchen<br />
Paul, bis dahin artig neben Mutter dem<br />
Chor zugehört, seinem Papa ein iiebgemeintes<br />
»Gesundheit Vati« zurufen<br />
konnte, platzten die Backen des Metzgers<br />
derartig in ein böiierndes, breites, unbe<br />
herrschtes Lachen auseinander, daß<br />
schon bald-weil des Metzgers Lache recht<br />
ansteckend wirkte - der ganze Pfarrsaai<br />
einer johlenden, juchzenden, sich biegen<br />
den und wogenden Karnevaisgeseiischaft<br />
glich.<br />
Das Konzert war dahin. Zwar hatte Pranger<br />
nochmals versucht, durch eine flotte Weise<br />
die Situation zu retten - doch vergeblich.<br />
Denn selbst eine beträchtliche Anzahl der<br />
Chormitgiieder hatte sich von der urigen<br />
Lachsalve des Metzgers anstecken lassen.<br />
Und Johann Böller? <strong>Der</strong> soll am Abend<br />
erstmals in seinem Leben so richtig einen<br />
zur Brust genommen haben. In recht an<br />
geheitertem Zustand war ihm dann selbst<br />
jener Begriff »Böiler-Soio« von den Lippen<br />
entfleucht, der ihm freilich nach ausge<br />
standenem Kater für lange Zeit noch unan<br />
genehm nachlaufen sollte. Auch Chorpro<br />
ben waren selbst Wochen nach dem Neu<br />
jahrskonzert unmöglich.<br />
josch.