Ein „Kessel Buntes“ im Dorfcafé - Dortmunder & Schwerter ...
Ein „Kessel Buntes“ im Dorfcafé - Dortmunder & Schwerter ...
Ein „Kessel Buntes“ im Dorfcafé - Dortmunder & Schwerter ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Nichts haben die beiden <strong>Dortmunder</strong><br />
Unternehmen und IHK-<br />
Mitglieder miteinander zu tun,<br />
der riesige Signal Iduna-Versicherungskonzern<br />
mit 13 000 Mitarbeitern<br />
und die Mengeder Traditionsfirma<br />
Glasbau Kißler mit<br />
zuletzt noch drei Mitarbeitern.<br />
Die Machtverhältnisse sind eben<br />
andere: Konnte der Versicherungs-Vorstandschef<br />
Reinhold<br />
Schulte der Stadt Dortmund<br />
jüngst nach der Gewerbesteueranhebung<br />
unverhohlen drohen („das<br />
ist wettbewerbsschädigend und<br />
das werden wir auf Dauer nicht<br />
mehr akzeptieren”), erlebte Unternehmer<br />
Hans Kißler <strong>im</strong> Ringen<br />
mit den staatlichen Steuereintreibern<br />
gleich den größtmöglichen<br />
Wettbewerbsschaden, den ein Unternehmen<br />
erleiden kann: die Insolvenz.<br />
25 Jahre lang hatte der Vater von<br />
15-jährigen Zwillingen, Glasermeister<br />
und staatlich geprüfter<br />
Glasbautechniker das Unternehmen<br />
in Mengede aufgebaut, Mitarbeiter<br />
eingestellt, Lehrlinge ausgebildet<br />
und für besondere<br />
Verdienste bei der Nachwuchsförderung<br />
auch eine Anerkennungsurkunde<br />
von der IHK erhalten.<br />
Die fachliche Kompetenz des<br />
60-jährigen war geschätzt von den<br />
ostfriesischen Inseln bis nach<br />
München, <strong>im</strong> Westen Deutschlands<br />
bis hin ins östliche Olbernau<br />
an der tschechischen Grenze.<br />
Kißler war gefragter Ansprechpartner,<br />
Berater und helfender<br />
Dozent in Fragen der Glasbautechnik,<br />
Bleiverglasung oder renovierungsbedürftigerKirchenfenster.<br />
„Heute“, sagt seine Frau Birgit,<br />
„ist sein Lebenswerk zerbrochen<br />
und mein Mann selbst eigentlich<br />
auch“. Hans Kißler ist einer von<br />
dem Schlag Unternehmer, der in<br />
der heutigen Zeit des schnellen<br />
Geldes und des schnellen Heuerns<br />
und Feuerns nicht angekommen<br />
ist und auch nie ankommen wollte.<br />
Selbstständigkeit vor Ort bedeutete<br />
für ihn <strong>Ein</strong>satzbereitschaft<br />
rund um die Uhr, Arbeit an<br />
jedem Wochenende, Auftragsbeschaffung,<br />
Kampf mit der auch<br />
26<br />
„Lebenswerk meines Mannes ist zerbrochen“<br />
Reduzierte Steuerforderung kam zu spät / Kißler-Insolvenz neuer Aderlass für Mengede<br />
hier überbordenden Bürokratie –<br />
all das vor allem in Verantwortung<br />
auch für seine Mitarbeiter.<br />
Als es die letzten Jahre <strong>im</strong> Geschäft<br />
schlechter lief, schrumpfte<br />
der ehemals zur Hochzeit elf Mitarbeiter<br />
zählende Betrieb zwar am<br />
Ende auf drei – dennoch hat Kißler<br />
wohl den Fehler vieler mittelständischer<br />
Unternehmer gemacht,<br />
zu lange mit zuviel<br />
liquidem Geld aus der Firma<br />
möglichst viele Mitarbeiter zu<br />
halten.<br />
Zwar lief das Geschäft <strong>im</strong> vergangenen<br />
Jahr wieder gut, dennoch<br />
machten die abflauende Auftragslage,<br />
die desolate Zahlungsmoral<br />
vieler Kunden - vor allem aber die<br />
nicht mehr zu erfüllenden Vorauszahlungen<br />
an das Finanzamt<br />
Hans Kißler <strong>im</strong> Januar schließlich<br />
den geschäftlichen Garaus.<br />
Auf der Basis von Steuerschätzungen<br />
der letzten drei Jahr hatte das<br />
Unternehmen in 2009 Steuer-Vorauszahlungen<br />
zu leisten. Anfang<br />
des Jahres gingen 20.000 € an das<br />
Finanzamt, dann wollte der Fiskus<br />
in der zweiten Jahreshälfte<br />
noch einmal rund 20.000 € vorab<br />
kassieren. Das konnte Kißler nicht<br />
bezahlen. <strong>Ein</strong>e Anfrage des Glasermeisters<br />
be<strong>im</strong> Finanzamt eine<br />
Abschlagszahlung von zunächst<br />
4000 Euro zu leisten - <strong>im</strong> Gegenzug<br />
mit der Freigabe der Geschäftskonten<br />
- wurde mit den<br />
Worten „kein Interesse“ abgeschlagen.<br />
Wörtliches Zitat des befragten<br />
Finanzbeamten Herrn E.:<br />
Geld & Wirtschaft in Dortmund<br />
„An unser Geld kommen wir so<br />
oder so“. Es folgte prompt die<br />
Kontopfändung – durchgreifend<br />
auch auf das Konto der Ehefrau,<br />
da beide Eheleute gemeinsam veranlagt<br />
wurden.<br />
Zunächst unglaublich für Birgit<br />
Kißler, „da uns noch <strong>im</strong> September<br />
be<strong>im</strong> Finanzamt gesagt wurde,<br />
es sei alles in Ordnung. Im<br />
Oktober folgte dann die Kontopfändung.<br />
„Unfassbar“, so die<br />
48-jährige gelernte Rechtsanwalts-<br />
und Notariatsfachangestellte.<br />
„Da gehe ich nichts ahnend<br />
zur Kasse und bekomme zum ersten<br />
Mal in meinem Leben kein<br />
Geld mehr“.<br />
Nach der Kontopfändung kann<br />
Hans Kißler seinen Glas-Großhändler<br />
nicht mehr bezahlen, der<br />
liefert daraufhin dann natürlich<br />
nicht mehr, Kißlers Geschäft<br />
kommt zum Erliegen. Aufgrund<br />
der Kontenpfändung konnte auch<br />
die Firmenmiete nicht mehr angewiesen<br />
werden, prompt folgte<br />
die fristlose Kündigung der Betriebsstätte.<br />
Im Januar tritt Hans<br />
Kißler den schweren Gang zum<br />
Amtsgericht an, das Insolvenzverfahren<br />
wird eröffnet. <strong>Ein</strong> paar<br />
Tage später dann die unfassbare<br />
Nachricht vom Finanzamt: Die<br />
Steuer-Restschuld beträgt nur<br />
9000 €. „Das haben wir kaum<br />
glauben können“, so Birgit Kißler.<br />
Das hätten wir doch bezahlen<br />
können. Doch zu diesem Zeitpunkt<br />
war die Insolvenz ja schon<br />
durch“.<br />
Wäre das Kißler-Aus ein <strong>Ein</strong>zelfall,<br />
wäre das vor Ort zu verschmerzen.<br />
Doch es sind zu viele<br />
kleine und mittlere Unternehmen,<br />
die in den letzten Jahrzehnten<br />
auch in Marten, Huckarde<br />
und Kirchlinde etc. auf der Strecke<br />
blieben. „<strong>Ein</strong> Problem, das leider<br />
nicht von den Gewerbevereinen<br />
öffentlich thematisiert wird“,<br />
stellt Birgit Kißler fest.<br />
Alteingesessene Betriebe, die eigentlich<br />
das Stadtbild ausmachten<br />
und prägten, mussten ihren Geschäftsbetrieb<br />
einstellen. Statt<br />
dessen wird heute das Bild vieler<br />
Vorort-Hauptstraßen geprägt von<br />
Billigdiscountern, Spielhöllen,<br />
Wettbüros, Pizzaläden und Dönerbuden.<br />
Auch in Mengede war<br />
dieser Aderlass spürbar: Gegangen<br />
sind u.a. ein uraltes Tabakwarengeschäft,<br />
ein renommierter<br />
Spielzeug- und Fahrradhandel sowie<br />
ein alteingesessenes Bauunternehmen.<br />
Hans Kißler bedauert nicht nur<br />
seinen eigenen wirtschaftlichen<br />
Untergang, er macht sich jetzt<br />
auch Gedanken um die Zukunft<br />
seines Schulpraktikanten. So<br />
wollte er <strong>im</strong> Herbst diesen Jahres<br />
Philipp Roppertz, Schüler der<br />
Wilhelm-Rein-Schule (Förderschule)<br />
die Möglichkeit geben, zunächst<br />
in seinem Betrieb als Glaserhelfer<br />
und später evtl. als<br />
Auszubildender tätig zu sein.<br />
Der Junge entwickelte sich während<br />
seines Schülerpraktikums<br />
<strong>im</strong> vergangenen Jahr und während<br />
der Schulferien, die er teilweise<br />
in der Glaserei verbrachte,<br />
zum „Sonnenschein“ der Firma.<br />
<strong>Ein</strong>satzbereitschaft, starkes Interesse<br />
am Arbeitsverlauf und sein<br />
überaus freundliches und offenes<br />
Auftreten waren für Kißler der<br />
Anlass, dem Jungen eine Chance<br />
auf dem Arbeitsmarkt zu geben.<br />
<strong>Ein</strong>es liegt Hans Kißler am Ende<br />
noch am Herzen: Er bedankt sich<br />
bei allen Kunden für das jahrelange<br />
Vertrauen und dankt auch denjenigen,<br />
die durch ihre Worte und<br />
Gesten während dieser schweren<br />
Zeit zu ihm gestanden haben und<br />
ihm weiterhin zur Seite stehen.