Vogelwarte Band 44 - 2006 - DO-G
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20 M. I. Förschler: Starker Bestandsrückgang beim Zitronenzeisig im Nordschwarzwald<br />
durch die Zunahme des Nährstoffeintrages durch die<br />
Luft (v. a. Nitrat) beschleunigt. Durch die Verlängerung<br />
der Wachstumsperioden und Verschiebungen in der<br />
Artenzusammensetzung ist eine Desynchronisierung<br />
des Brutablaufes des Zitronenzeisiges im Kontext der<br />
veränderten Nahrungsverfügbarkeit denkbar. So öffnen<br />
sich beispielsweise in warmen Wintern die Zapfen der<br />
Bergkiefern zu früh und die als Frühjahrsnahrung wichtigen<br />
Samen (Förschler 2001a) sind dann zu Beginn<br />
der Brutzeit, im April und Mai, nicht mehr in großen<br />
Mengen verfügbar (pers. Beob.). Neben diesen Effekten<br />
durch ein verändertes Klima, war in den letzten Jahren<br />
auch eine Zunahme von Starkniederschlagsereignissen<br />
während der Brutzeit zu beobachten, die zu totalem<br />
Brutausfall führen können (Förschler et al. 2005).<br />
Populationsbiologische Ursachen an der Arealgrenze.<br />
Schließlich sind durch die Lage der Zitronenzeisig-Population<br />
an der Arealgrenze auch populationsbiologische<br />
Ursachen in Erwägung zu ziehen. Möglicherweise ist das<br />
Gebiet direkt durch Bestandsrückgänge im Südschwarzwald,<br />
den Nordalpen und den Vogesen betroffen, weil<br />
aus diesen Gebieten keine (notwendige?) Zuwanderung<br />
(Juvenil-Dispersion) mehr erfolgt. Dies ist durchaus vorstellbar,<br />
da auch einige Alpenpopulationen in den letzten<br />
Jahrzehnten stark zurückgehen. Bezzel & Brandl (1988)<br />
stellten einen solchen Rückgang im Werdenfelsener Land<br />
fest. In Vorarlberg (Österreich) wird angesichts der Rückgänge<br />
der Beringungszahlen von 1977-1986 mit einem<br />
landesweiten Rückgang der Art gerechnet (Kilzer & Blum<br />
1991) und in der Schweiz gingen die Bestände seit Ende<br />
der 1980er Jahre ebenfalls deutlich zurück. Im Oberengadin,<br />
Bergell und Puschlav hat der Zitronenzeisig zahlreiche<br />
früher besetzte Gebiete inzwischen geräumt (Berlit<br />
2005; Mattes & Maurizio 2005).<br />
Ausblick. Vor dem Hintergrund der aktuellen Beobachtungen<br />
ist mit weiteren Verlusten an der nördlichen<br />
Arealgrenze zu rechnen. Diese könnten mittelfristig<br />
zum völligen Verschwinden des Zitronenzeisiges im<br />
Nordschwarzwald führen. Ein kleiner Lichtblick ist die<br />
Wiederaufnahme der Beweidung (seit 1999) im Rahmen<br />
eines EU-LIFE Projektes in den verbliebenen Bergheiden-<br />
und -wiesen der Hochlagen des Grindenschwarzwaldes<br />
mit Schafen und Hinterwälderrindern (Förschler 2004).<br />
Besonders auf Rinderweiden ist bereits das Einwandern<br />
einzelner wichtiger Nahrungspflanzen zu beobachten<br />
(Förschler 2001a; Förschler 2004). Ob die Beweidung<br />
allerdings wieder genügend Strukturen schafft, die dem<br />
Zitronenzeisig entgegenkommen und damit den Bestandsrückgang<br />
aufhalten, bleibt abzuwarten.<br />
Angesichts der vorliegenden Erkenntnisse über eine<br />
der wichtigsten Populationen des Zitronenzeisiges in<br />
Deutschland erscheint eine Aufnahme in die Rote Liste<br />
für Deutschland gerechtfertigt. Für die geplante neue<br />
Rote Liste Baden-Württembergs steht eine Aufnahme<br />
der Art in Kategorie 2 (stark gefährdet) bereits an.<br />
5. Zusammenfassung<br />
Ein Vergleich der Bestände von Zitronenzeisigen an traditionellen,<br />
nachbrutzeitlichen Sammelplätzen im Nordschwarzwald<br />
ergab signifikante Rückgänge in vier von fünf<br />
Gebieten. Bei anhaltendem Rückgang ist mit dem völligen<br />
Verschwinden der Art im Nordschwarzwald zu rechnen. Mögliche<br />
Ursachen bestehen in der Änderung der Landnutzung<br />
durch die Aufgabe der traditionellen Almwirtschaft und durch<br />
Wiederbewaldung der Hochlagen. Außerdem ist ein negativer<br />
Einfluss durch eine deutliche Klimaveränderung und damit<br />
verbundene Veränderung in der Schneeauflage, Vegetation<br />
und den Wachstumsperioden wahrscheinlich. Deutliche Populationsrückgänge<br />
in benachbarten Gebieten wie den Alpen<br />
(Rückgang der Dispersion) könnten ebenfalls ein wichtige<br />
Rolle für die Populationsentwicklung des Zitronenzeisiges an<br />
der Arealgrenze im Nordschwarzwald spielen.<br />
6. Literatur<br />
Baccetti N & Märki H 1997: Citril Finch. In: Hagemeijer<br />
WJM & Blair MJ (eds): The EBCC Atlas of European<br />
Breeding Birds: 711. Poyser T & AD, London.<br />
Bauer H-G & Berthold P 1996: Die Brutvögel Mitteleuropas.<br />
Aula-Verlag, Wiesbaden.<br />
Berlit T 2005: Brutkartierung des Zitronengirlitz (Serinus<br />
citrinella) in den Gebirgswäldern des Oberengadin und<br />
des oberen Puschlav (Schweiz). Diplomarbeit. Westfälische<br />
Wilhelms-Universität Münster.<br />
Bezzel E & Brandl R 1988: Der Zitronengirlitz im Werdenfelsener<br />
Land, Oberbayern. Anz. Orn. Ges. Bayern 27:<br />
45-65.<br />
Cramp S & Perrins CM 1994: The birds of the western Palearctic.<br />
Vol. 8. Oxford University press, Oxford.<br />
Dorka U 1986: Der Zitronengirlitz Serinus c. citrinella im<br />
Nordschwarzwald - zur Verbreitung und Habitatwahl.<br />
Orn. Jahresh. Baden-Württemberg 2: 57-71.<br />
Dorka V & Stadelmeier H 1991: Ornithologische Untersuchungen<br />
zu einer Naturschutzrahmenkonzeption „Rohrhardsberg“.<br />
Theoretisch und ornithologisch-zoologischer<br />
Teil. Projektbearbeitung für das Ministerium für Umwelt<br />
Baden-Württemberg, Stuttgart.<br />
Förschler M 2000: Untersuchungen zur Brutphänologie,<br />
Nahrungswahl und Habitatwahl des Zitronenzeisiges<br />
Serinus citrinella im Nordschwarzwald. Diplomarbeit.<br />
Universität Tübingen.<br />
Förschler M 2001a: Brutzeitliche Nahrungswahl des Zitronengirlitzes<br />
Serinus citrinella im Nordschwarzwald. Vogelwelt<br />
122: 265-272.<br />
Förschler M 2001b: Witterungsbedingte Ausweichbewegungen<br />
des Zitronengirlitzes Serinus citrinella im Nordschwarzwald.<br />
Ornithol. Beob. 98: 209-214.<br />
Förschler M 2002: Brutbiologie des Zitronengirlitzes Serinus<br />
citrinella im Nordschwarzwald. Ornithol. Beob. 99:<br />
19-32.<br />
Förschler M 2004: Entwicklung der Brutvorkommen von<br />
Wiesenpieper Anthus pratensis, Baumpieper Anthus trivialis<br />
und Zitronengirlitz Serinus citrinella auf den Bergheiden<br />
im Naturschutzgebiet Schliffkopf (Grindenschwarzwald).<br />
Unveröff. Gutachten im Auftrag der BNL Karlsruhe im<br />
Rahmen des EU-LIFE-Projektes Grindenschwarzwald.