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Vogelwarte Band 44 - 2006 - DO-G

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42 Deutsche Ornithologen-Gesellschaft<br />

und „Kolonisatoren“ die Rede, die sich wie ein Seuchenzug<br />

ausbreiten und die heimische Natur „verwüsten“, aber auch<br />

unser Hab und Gut gefährden. Das Schreckgespenst ruft „Neozoologen“<br />

auf den Plan, die diese „Neutiere“ oder Neozoa<br />

erforschen, aber auch mit dem Argument rechtfertigen, sie<br />

würden die nacheiszeitlich verarmte Fauna Europas bereichern,<br />

die hier „leeren“ Nischen füllen (was auch immer dieser<br />

obskure Begriff zu bedeuten vermag) und sind ein völlig<br />

natürliches Phänomen der Globalisierung unserer Zeit. Besorgten<br />

Naturschützern, die das so nicht hinnehmen wollen,<br />

wird ausländerfeindliches Nazi-Gedankengut unterstellt und<br />

das Etikett „Hermann-Löns-Fraktion“ verpasst.<br />

Die Türkentaube hat aus der Türkei, von sich aus, wenn<br />

auch ungewöhnlich stürmisch, Europa besiedelt. Der Waschbär<br />

kam aus Amerika „unfreiwillig“, in Kisten verfrachtet, zu<br />

uns und wurde hier ausgesetzt. Welcher der beiden ist nun<br />

„Neozoa“ oder Ausländer und sollte „bekämpft“ oder willkommen<br />

geheißen werden? Fasan und Mufflon, ursprünglich<br />

gebietsfremde Arten, gelten im Jagdrecht als „einheimisch“<br />

und dürfen zur Befriedigung waidmännischer Schießlust ausgesetzt<br />

werden. Der bei uns bodenständige, aber von Jägern<br />

ausgerottete Luchs hat hingegen Rechtsstatus „gebietsfremd“<br />

verpasst bekommen. Seine Wiederansiedlung bedarf deshalb<br />

der besonderen Genehmigung. Die Amerikanische Ruderente<br />

wurde in England ausgesetzt, hat sich dort als frei lebender Bestand<br />

etabliert und bis Spanien ausgebreitet, wo sie den Restbestand<br />

der Europäischen Ruderente durch Hybridisierung<br />

gefährdet. Ist es sinnvoll, die Mischlinge wegzuschießen und<br />

damit den Slogan der Jäger zu bestätigen „Jagd ist angewandter<br />

Naturschutz“? Sollten wir auf diese Art versuchen, die Faunenverfälschung<br />

durch Kanadagans, Waschbär, Halsbandsittich<br />

oder Sikahirsch bei uns wieder rückgängig zu machen? Oder<br />

sollten wir sie als Erhöhung der Biodiversität gutheißen, zumal<br />

diese „Neozoa“ offenbar keiner einheimischen Art Schaden<br />

zufügen und sich bereits gut „eingepasst“ haben? Möglicherweise<br />

gilt das aber auch für viele andere „Exoten“ – warum<br />

also nicht weitere Faunenbereicherungen, wie zum Beispiel<br />

Eisbären nach Oberbayern, Kasuare nach Vorpommern oder<br />

Krokodile ins Sauerland? Für oder Gegen „Ausländer“ – diese<br />

Frage am Beispiel Vögel und Säugetiere zu diskutieren ist das<br />

Anliegen des Referats.<br />

Geiter O (Kavelstorf): Neoanatiden – Auftreten und Ausbreitungsverhalten<br />

in Deutschland.<br />

Von den elf Vogelarten, die in Deutschland als (zumindest<br />

regional) etablierte Neozoen gelten, sind sechs Anatidenarten.<br />

Dies sind der Trauerschwan Cygnus atratus, die Streifengans<br />

Anser indicus, die Schwanengans Anser cygnoides (als verwilderte<br />

Höckergänse), die Kanadagans Branta canadensis, die<br />

Nilgans Alopochen aegyptiacus und die Mandarinente Aix galericulata.<br />

Außerdem kommen viele weitere Arten als (noch)<br />

nicht Etablierte oder mit Einzeltieren vor.<br />

Diese Arten zeigen dabei ein ganz unterschiedliches Ausbreitungsverhalten.<br />

Gänse ganzjährig sozialer Arten wie die<br />

Anser spp. und Branta spp. haben es deutlich leichter, einen<br />

Partner zu finden als Tiere der Arten, die einen weniger stark<br />

ausgeprägten Zusammenhang unter Artgenossen haben<br />

(z.B. Enten). Mit Hilfe von Beringungen wurden verschiedene<br />

Arten intensiv in Bezug auf Ihr Ausbreitungsverhalten<br />

untersucht. Kanadagänse zeigen dabei trotz Anwachsen der<br />

Populationen ein geringes Ausbreitungstempo. So gibt es heute<br />

in Deutschland viele unabhängige Populationen, unter de-<br />

nen es praktisch noch keinen Austausch gibt. Die Verteilung<br />

der Kanadagänse in Deutschland zeigt eine Korrelation zur<br />

menschlichen Bevölkerungsdichte.<br />

Anders ist dies bei der Nilgans. Sie bildet eine geschlossene<br />

Population mit einem fast konzentrisch entstandenen Areal<br />

und zeigt ein deutlich höheres Ausbreitungstempo. Wie bei<br />

der Kanadagans zeigen Nilgänse auch eine sehr hohe Brutorttreue,<br />

aber im Gegensatz zu dieser Art keine Geburtsorttreue.<br />

Dies begünstigt die schnelle Ausbreitung, wenn genügend<br />

potentielle Partner in dem Gebiet vorhanden sind. Dies ist<br />

mittlerweile bei der Nilgans heute der Fall.<br />

Homma S (Rostock): Hybridisierung mit Beteiligung von<br />

Neoanatiden.<br />

Anatidenarten neigen stärker als Arten anderer Gruppen zur<br />

Hybridisierung. So stehen den weltweit ca. 150 Anatidenarten<br />

über 400 beschriebene Hybride gegenüber, deren größter<br />

Teil sogar gattungsübergreifend ist. Auffallend dabei ist die<br />

überproportionale Häufigkeit von Hybriden allopatrischer<br />

Arten, die erst durch die (human bedingte) Verbringung in<br />

neue Gebiete, der geographischen Barriere enthoben, zusammentreffen.<br />

Diese Hybridisierungen sind anthropogen<br />

bedingt, da sie aus dem Neozoenstatus mindestens einer der<br />

beteiligten Arten resultieren. Hybride zeigen nicht immer eine<br />

intermediäre Phänologie und sind im Aussehen deutlich variabler<br />

als Arten. Die Bestimmung von Hybriden anhand von<br />

Feldkennzeichen ist daher nur bei einem gewissen Anteil der<br />

Tiere möglich. Sichere Aussagen sind erst durch genetische<br />

Untersuchungen möglich. Die phänotypische Variabilität der<br />

Hybride zeigt sich erst deutlich, wenn eine gewisse Anzahl<br />

von Individuen des entsprechenden Hybrids sicher bestimmt<br />

und verglichen werden kann. Sie wird anhand des häufigsten<br />

Gänsehybrids in Deutschland, Graugans x Kanadagans Anser<br />

anser x Branta canadensis beleuchtet. Die Hybridisierung bei<br />

Anatiden kann, sofern fertil, zu einer genetischen Unterwanderung<br />

oder Vermischung von Arten führen. Am Beispiel<br />

der Anser-Branta-Gruppe wurde dies näher untersucht. Genetische<br />

Distanzen zwischen Arten lassen sich hier mit der<br />

Fruchtbarkeit der Hybride dieser Arten korrelieren. Von den<br />

sterilen Graugans x Kanadagans Hybriden geht keine solche<br />

Gefahr aus. Diese Hybride mit eingeschränkter, oder nicht<br />

vorhandener Fertilität zeigen auch eine typische Ungleichverteilung<br />

der Geschlechter.<br />

Keller V & Kestenholz M (Sempach): Die Rostgans auf Expansionskurs<br />

– und weitere Anmerkungen zur Situation<br />

der Neozoen in der Schweiz.<br />

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern haben sich<br />

in der Schweiz relativ wenige nicht-einheimische Vogelarten<br />

dauerhaft etabliert. Neben dem Höckerschwan sind dies die<br />

Mandarinente und die Graugans, deren Brutbestand mindestens<br />

teilweise auf Gefangenschaftsflüchtlinge zurückgeht. Ins<br />

Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt ist in den letzten Jahren<br />

die Rostgans. Sie brütet seit 1987 regelmässig und in zunehmender<br />

Zahl in der Schweiz. 2003 wurden 21 sichere Bruten<br />

gemeldet. Der Bestand ausserhalb der Brutzeit stieg bis 2003<br />

auf über 300 Individuen. Eine einfache Modellierung zeigte,<br />

dass der heutige Bestand der Rostgans in der Schweiz „hausgemacht“<br />

ist. Es gibt keine Hinweise darauf, dass allfällige Einflüge<br />

aus dem natürlichen Verbreitungsgebiet der Rostgans in<br />

Südosteuropa und Asien am Aufbau der Rostganspopulation<br />

in der Schweiz beteiligt gewesen wären. Die Rostgans tritt in

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