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verbergen, dann machen wir alles Mögliche<br />
und Unmögliche — letzteres Ist der häufigere<br />
Fall — dafür verantwortlich. Als Entschuldi<br />
gungsgründe, also als Blitzableiter, müssen<br />
dann die Erbanlagen Insbesondere „der alte<br />
Adam" — sozusagen als selbstgezimmerte<br />
Vererbungslehre — herhalten. Diese Blltzableltertheorle<br />
Ist nicht nur In der großen<br />
Politik zu Hause, sondern sie feiert auch<br />
sonst In Beruf und Familie wahre Triumphe.<br />
So bleibt auch der Alltag und dabei auch die<br />
eigene Familie von einer Blltzablelterfunktlon<br />
nicht verschont. Bemerkt man bei seinen<br />
eigenen Kindern Fehler, so sucht man nicht<br />
bei sich sondern bei dem anderen Ehegatten<br />
oder — das Ist etwas taktvoller — In dessen<br />
Ahnengalerle die Schuld dafür. Je nach den<br />
Zelten ändern sich die Akteure In diesem<br />
Satyr- und Komödiantenspiel. Früher einmal<br />
dienten die „Dienstmädchen" als Blitzableiter<br />
der „gnädigen Frau", heute sind da die Rollen<br />
vertauscht. Anders ausgedrückt: „Die Raum<br />
pflegerin" beherrscht dank Ihrem Seltenheits<br />
wert die Familie.<br />
Damit sind wir bei der zweiten Sorte von<br />
Blitzableitern angelangt, die nicht von der<br />
Ursache sondern von der Wirkung ausgehen.<br />
Hier wird Immer „der Andere" - z. B. der<br />
politisch anders Denkende, leider oft als poli<br />
tischer „Gegner" bezeichnet — oder der Mit<br />
arbeiter — leider oft sehr taktlos als „Unter<br />
gebener" bezeichnet — dafür verantwortlich<br />
gemacht, daß einem etwas schief gegangen<br />
Ist. „Du hast sicher wieder den Hausschlüssel<br />
verlegt", sagt die Mutter zur Tochter, und da<br />
bei befand sich dieser Schlüssel In der Hand<br />
tasche der Mutter. So wird auch oft ein auf<br />
gespeicherter Zorn an dem „Anderen" — das<br />
sollte auch schon mal der hieran völlig un<br />
schuldige Ehegatte sein — ausgelassen.<br />
Für solche Fälle gibt es In Österreich und zwar<br />
Im Wiener Prater einen wunderschönen Blitz<br />
ableiter In Gestalt des sog. Watschenmannes.<br />
Dort kann man für wenig Geld dieser Figur<br />
In Menschengestalt Ohrfelgen also Watschen<br />
verpassen, soweit die Kräfte und das Geld —<br />
die Gebühr für diese Kopfarbelt richtet sich<br />
nach der Zahl der Watschen — reichen. <strong>Der</strong><br />
Kopf dieses stillen Dulders Ist welch — Holz<br />
wolle mit Stoff überzogen -, so tut man sich<br />
bei diesem Werk der modernen Nächstenliebe<br />
nicht weh. <strong>Der</strong> Watschenmann merkt nichts<br />
und hat dazu Im Gegensatz zu den Menschen<br />
nicht die Möglichkeit zu widersprechen und<br />
dadurch den Zorn welter zu erhöhen. Er Ist<br />
eben nur — und das Ist gerade seine Stärke —<br />
Blitzableiter. Für den Alltag müßte man In<br />
seiner unmittelbaren Umgebung etwas Ähn<br />
liches haben!<br />
Es gibt noch ein weiteres Rezept, das zu<br />
weilen noch besser praktikabel Ist. Dieses<br />
Rezept beherrschen auch die Österreicher, die<br />
übertiaupt nachahmenswerte Lebenskünstler<br />
sind, besonders gut. Zudem Ist dieses Re<br />
zept charmant — küß die Hand, gnäd'ge<br />
Frau! —, In<br />
Noten verpackt durch Johann<br />
Strauß, der ganzen Welt zur Nachahmung<br />
empfohlen: „Glücklich Ist, wer vergißt, was<br />
doch nicht zu ändern Ist!" Die Befolgung<br />
dieses Rats soll schon viel Ärger und Ver<br />
druß erspart haben. Sollten wir diesen Bllt^<br />
ablelter, jenes „Schwamm drüber!" nicht II<br />
Alltag häufiger tienutzen?<br />
Aber eine andere Lebenserfahrung sollte da<br />
bei nicht vergessen werden, öft wird die Grob<br />
heit und die Bosheit durch Höflichkeit ent<br />
waffnet, und häufig macht Verzeihen und Ver<br />
gessen aus Feinden Freunde. Immer aber er<br />
stirbt bei Hartherzigkeit die Liebe, auch die<br />
Nächstenliebe. Nur der Mensch, bei dem sich<br />
Selbstbeherrschung mit selbstloser Herzens<br />
güte paart, braucht keinen Blitzableiter mehr.<br />
Doch wessen Menschen Kern Ist schon so<br />
geerdet?<br />
„Mit" oder „über"<br />
Eine Betrachtung zum Sinn des Lebens<br />
Keiner kann allein auf dieser Erde leben. Daß<br />
die Welt noch funktioniert, verdankt sie dem<br />
„MIt-elnander" der Menschen. Daß eine Ehe<br />
oder eine Kindererziehung klappt, verdanken<br />
die Ehepartner dem gleichen Phänomen. Ab<br />
und zu — Insbesondere vor Neuwahlen — er<br />
innern sich auch so manche Politiker daran,<br />
daß sie nicht losgelöst vom Willen Ihrer<br />
Wähler Politik machen sollen. Dann wird der<br />
Wähler umworben, man nennt Ihn plötzll(/<br />
„MIt-bürger" und stellt sich damit glelchsaV<br />
auf die gleiche Stufe.<br />
Wer den tiefsten Sinn des Miteinander Im<br />
Leben Insbesondere auch In der Begegnung<br />
mit seinen Mitmenschen verwirklicht, geht da<br />
bei unmerklich noch einen Schritt welter.<br />
Dann wird aus dem „MIt-elnander" das ethisch<br />
so hochstehende „Für-elnander". Wenn wir<br />
das uns allen so liebe Wort „Mutter" In den<br />
Mund nehmen, so denken wir dabei auch an<br />
dieses selbstlose „sich-verschenken", wie es<br />
aus einem edlen Naturtrieb In der Menschenund<br />
Tierwelt eben nur eine Mutter kann.<br />
So rührt uns das Gleichnis des barmherzigen<br />
Samariters genau so wie die Legende des<br />
heiligen Martin, der den Kindern als mensch-