03.10.2018 Aufrufe

Berliner Kurier 02.10.2018

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

*<br />

SERIE<br />

EXPEDITION OST<br />

DDR -Erbe neu entdeckt −<br />

waswir vom Gestern für morgen<br />

lernen können<br />

Teil 1<br />

Wirtschaft<br />

Mein Kind,<br />

das Kombinat<br />

Christa Bertag war einmal eine der ganz Großen der DDR-Wirtschaft.<br />

Sie leitete den VEB Berlin Kosmetik mit 8500 Mitarbeitern,<br />

sie führte den Betrieb auch nach der Wende weiter, wurde arbeitslos,<br />

fing von vorn an. Lange wollte ihre Geschichte niemand hören.<br />

Doch sie hat viel zu erzählen. Vom Stolz auf die Arbeit, Einfallsreichtum<br />

und lebenslangen Lernen<br />

Von<br />

Sabine Rennefanz<br />

Von dem Betrieb, der einmal<br />

ein ganzes Land mit<br />

Kosmetikprodukten<br />

versorgte, ist wenig geblieben.<br />

An dem Plattenbau in der Wolfener<br />

Straße in Marzahn hängt<br />

ein verwittertes Schild. „Berlin<br />

Cosmetics“ steht darauf. Davor<br />

steht Christa Bertag und zeigt<br />

auf ein Fenster im ersten Stock:<br />

„Mein Büro“, sagt sie. Die 76-<br />

Jährige war eine der ganz Großen<br />

der DDR-Wirtschaft, eine<br />

der wenigen Frauen, die es bis<br />

an die Spitze gebracht hat. Sie<br />

leitete einst das VEB Berlin<br />

Kosmetik mit 8500 Mitarbeitern,<br />

nach der Wende führte sie<br />

den Betrieb weiter.<br />

Sie hat zwei Systeme erlebt,<br />

sie war Kombinatsdirektorin,<br />

Chief Operating Officer, arbeitslos,<br />

Unternehmensberaterin.<br />

Am Ende des Arbeitslebens<br />

stand sie wieder dort, wo sie anfangen<br />

hat: im Labor.<br />

Für den Fototermin hat sie<br />

sich schick gemacht. Es ist das<br />

erste Mal seit vielen Jahren,<br />

dass die ehemalige Spitzenmanagerin<br />

an ihren alten Arbeitsplatz<br />

zurückgekehrt ist. Sie<br />

wirkt nervös, wird beim Rundgang<br />

immer stiller. „Berlin Cosmetics“<br />

hat heute etwa ein Dutzend<br />

Mitarbeiter, produziert<br />

wird auf dem Gelände nichts<br />

mehr.<br />

Ein paar Tage vor dem Treffen<br />

in Marzahn sitzt Christa<br />

Bertag im Erker in ihrem Häuschen<br />

in Karlshorst, leger gekleidet<br />

mit T-Shirt und Leggings.<br />

Es ist lange her, dass sie ein Interview<br />

gegeben hat. Wer wollte<br />

schon die alten Geschichten<br />

hören, noch dazu von einer<br />

ehemaligen Funktionärin, einer<br />

Vertreterin des SED-Staats? Jeder<br />

wusste doch längst alles,<br />

was man über die DDR-Wirtschaft<br />

wissen musste: leere Regale,<br />

Diktatur, Autos aus Pappe.<br />

Als habe es nicht auch anderes<br />

gegeben: Stolz auf die Arbeit,<br />

Kreativität, Entwicklungsmöglichkeiten.<br />

Christa Bertag beschönigt die<br />

DDR nicht. Sie berichtet von<br />

den berüchtigten Seminaren<br />

mit dem Minister Günther Mittag,<br />

der zweimal im Jahr alle<br />

Generaldirektoren zu sich rief<br />

und auf Linie brachte. „Das war<br />

furchtbar, alle haben vorher gezittert“,<br />

sagt sie im Rückblick.<br />

Am schlimmsten sei gewesen,<br />

dass kaum einer sich getraut<br />

habe, zu widersprechen. Einmal<br />

wurde sie auch angegriffen,<br />

weil nicht genug Blaufärbung

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!