Berliner Kurier 02.10.2018
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20 REPORT<br />
*<br />
BERLINER KURIER, Dienstag, 2. Oktober 2018<br />
EXPEDITION OST<br />
Mitarbeiter<br />
wurden nicht mit<br />
Geld motiviert,<br />
sondern mit<br />
sozialen Angeboten<br />
Als die Kosmetik-Serie „Action“ 1986 in die Läden<br />
kam, gab es im Centrum Warenhaus am Alex Andrang.<br />
der Fachabteilung für die<br />
Leichtindustrie zuständig, kam<br />
in den Betrieben herum. 1986<br />
wurde sie Generaldirektorin.<br />
Riesige Einkommensunterschiede<br />
zwischen den Bossen<br />
und Angestellten gab es nicht,<br />
ihr Verdienst lag etwa dreimal<br />
höher als der Durchschnittslohn.<br />
Nun wurde nicht jeder Generaldirektor,<br />
aber es gab in der<br />
DDR ein dichtes Netz an Fachhochschulen,<br />
Studienprogrammen,<br />
Weiterbildungen. Einsatz<br />
von Personal wurde langfristig<br />
geplant. Lehrermangel und<br />
Fachkräftemangel wie heute,<br />
den hätte es früher nicht gegeben,<br />
davon ist Christa Bertag<br />
überzeugt. „Fachkräfte fallen<br />
nicht vom Himmel. Da muss<br />
man investieren“, sagt sie.<br />
Die Arbeiter wurden nicht<br />
mit Geld motiviert oder indem<br />
man mit Stellenabbau drohte,<br />
sondern mit sozialen Angeboten.<br />
„Es gab eine andere Unternehmensidee,<br />
jeder Betrieb<br />
hatte eine soziokulturelle Infrastruktur<br />
vom Betriebskindergarten<br />
über die Ambulanz<br />
bis zum Fotozirkel und der<br />
Tanzgruppe“, sagt Wolfgang<br />
Engler, Autor des Buches „Der<br />
Osten als Avantgarde“.<br />
Mit der Wende brach für<br />
Christa Bertag eine Welt zusammen.<br />
Von heute auf morgen<br />
standen neue Produkte im Regal,<br />
niemand wollte mehr Ostprodukte<br />
wie Atoll oder Florena<br />
kaufen. Berlin Kosmetik<br />
wurde 1990 aufgelöst und in eine<br />
GmbH umgewandelt. Bertag<br />
musste Tausende Mitarbeiter<br />
entlassen. „Bei einigen wusste<br />
ich, die finden nie wieder Arbeit“,<br />
erinnert sich Christa Bertag.<br />
Ein jahrelanger Kampf ums<br />
Überleben begann, Investoren<br />
kamen und gingen, jedes Jahr<br />
schrumpfte die Belegschaft<br />
weiter. 1997 übernahm ein Unternehmer<br />
aus Köln-Puhlheim<br />
die Überbleibsel des alten VEB<br />
–diesmal ging Christa Bertag.<br />
Zwei Jahre war die ehemalige<br />
Spitzenmanagerin arbeitslos.<br />
Später war sie viel im Westen<br />
unterwegs und beriet mittelständische<br />
Unternehmen. „Da<br />
habe ich gesehen, wie gut es uns<br />
Frauen in der DDR gegangen<br />
war, wie unabhängig wir waren“,<br />
sagt sie. Mit 64 ging sie an<br />
die Anfänge zurück, arbeitete<br />
als Laborleiterin in einem kleinen<br />
Pharmaziebetrieb. Vor vier<br />
Jahren hörte sie auf, engagiert<br />
sich jetzt in der Flüchtlingshilfe,<br />
bei der Volkssolidarität.<br />
In den nächsten Tagen hat sie<br />
ein neues Projekt. Bei einer<br />
Veranstaltung soll sie über Sinn<br />
und Zweck von Volkseigentum<br />
sprechen. „Besonders jetzt, wo<br />
wenige Reiche mehr besitzen<br />
als der Rest, sollten sich die<br />
Verantwortlichen nicht nur um<br />
ihre Posten kümmern und den<br />
wachsenden Zulauf zur AfD beklagen,<br />
sondern Maßnahmen<br />
zur Umverteilung des Reichtums<br />
zum Wohle aller erarbeiten“,<br />
sagt die ehemalige Generaldirektorin.<br />
So warb der<br />
VEB Berlin<br />
Kosmetik auf<br />
der Leipziger<br />
Messe 1962<br />
für sich. Die<br />
Produkte<br />
wurden vor<br />
allem in die<br />
Sowjetunion<br />
verkauft.<br />
Lesen Sie am<br />
Donnerstag,<br />
den 4. Oktober,<br />
Teil 2der Serie zum<br />
Thema Schule.