Berliner Kurier 02.10.2018
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SEITE19<br />
BERLINER KURIER, Dienstag, 2. Oktober 2018<br />
1991 zog das in eine<br />
GmbH umgewandelte<br />
Kombinat Berlin Kosmetik<br />
mit 1000 Mitarbeitern an<br />
den neuen Standortin<br />
Marzahn. Heute arbeiten<br />
noch etwa15Leute vorOrt,<br />
produziertwird auf dem<br />
Gelände nichts mehr.<br />
Werbung<br />
für die<br />
Marke<br />
Florena<br />
in den<br />
Rathauspassagen<br />
1990.<br />
in den Geschäften vorhanden<br />
war -zuderen berühmtesten<br />
Nutzerinnen die Ministerin<br />
Margot Honecker gehörte.<br />
„Ich war rasend vor Wut“, erinnert<br />
sie sich.<br />
Aber es sei falsch gewesen,<br />
alle Erfahrungen auf die Müllhalde<br />
der Geschichte zu kippen,<br />
sagt sie. Sie hat ihre Arbeit<br />
geliebt, und über die Arbeit<br />
liebte sie auch ihr Land. Als sie<br />
1986 den Betrieb übernahm,<br />
stiegen die Investitionen pro<br />
Jahr von 50 auf 250 Millionen<br />
DDR-Mark pro Jahr. Der Umsatz<br />
verdoppelte sich unter ihrer<br />
Leitung. Sie macht einen<br />
Deal mit Nivea klar, die einen<br />
Teil ihrer Creme im Osten<br />
produzieren ließ. Ihre Arbeit<br />
war nicht nur ein „Job“, den<br />
man mal dauernd wechselte,<br />
wenn man ein besseres Angebot<br />
bekam. Sondern eine Verpflichtung.<br />
Sie war für die Versorgung<br />
der DDR und Teile der<br />
Sowjetunion mit Kosmetikerzeugnissen<br />
zuständig, es war eine<br />
Ehre, und auch eine Last.<br />
„Das Kombinat war mein<br />
Kind“, sagt sie zärtlich.<br />
Wenn sie heute in den Nachrichten<br />
von den Krisen hört, die<br />
sich in den deutschen Unternehmen<br />
abspielen, wundert sie<br />
sich. „Wenn ein Geschäftsführer<br />
ein Unternehmen gegen den<br />
Baum fährt, dann kann es doch<br />
nicht sein, dass er dafür noch<br />
prämiert wird“, sagt sie. Sie<br />
spielt auf den Fall des geschassten<br />
BER-Chefs Rainer Schwarz<br />
an, der vor Gericht eine Million<br />
Euro Gehaltsnachzahlung erstritten<br />
hatte.<br />
In DDR herrschte Rohstoffmangel,<br />
das zwang zu Disziplin:<br />
„Wir mussten viel sorgsamer<br />
als heute mit unseren Ressourcen<br />
umgehen. Nichts wurde<br />
weggeschmissen. Jedes Stück<br />
Aluminium, das bei der Herstellung<br />
von Alu-Dosen übrig<br />
blieb, wurde aufgefegt und wiederverwertet“,<br />
sagt sie. Der<br />
Mangel machte die Leute kreativ.<br />
Bertag: „Um Importe zu<br />
sparen, reduzierten wir beim<br />
Waschmittel den Aufheller Titanoxid,<br />
der erst ab 60 Grad<br />
wirksam wurde.“ So wurde das<br />
Buntwaschmittel Spee Color<br />
erfunden. Einmal hatten ihre<br />
Chemiker den Auftrag, eine<br />
Ost-Version von „Campari“<br />
herzustellen. „Aus verschrumpelten<br />
kleinen Äpfeln haben sie<br />
die Bitterstoffe entwickelt.<br />
Schmeckte nicht schlecht“, erinnert<br />
sie sich.<br />
Jemand wie Christa Bertag<br />
würde heute wohl nicht mehr<br />
an die Spitze eines Chemiekonzerns<br />
kommen. Sie wurde 1942<br />
in Sondershausen in Thüringen<br />
geboren, Mutter Arbeiterin,<br />
Vater Porzellandreher. Machte<br />
Abitur an der Arbeiter- und<br />
Bauernfakultät der Uni Halle,<br />
absolvierte eine Ausbildung zur<br />
Chemiefacharbeiterin in Bitterfeld,<br />
studierte Chemie, trat in<br />
die Partei ein, bekam zwei Kinder.<br />
Mit 30 wurde sie Leiterin<br />
einer Konsumgüterproduktion<br />
in den Leunawerken. Es ging<br />
weiter nach oben, bis ins Führungsgremium,<br />
das Zentralkomitee<br />
der SED. Dort war sie in<br />
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