REGIOBUSINESS NR. 196 - Oktober 2018
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16 Ausbildung<br />
<strong>Oktober</strong> <strong>2018</strong> I Jahrgang 17 I Nr. <strong>196</strong><br />
Zwischen Chancen und Wettbewerb<br />
Die Zahl der neuen Ausbildungsverhältnisse verharrt auf hohem Niveau. Trotzdem bleiben viele Stellen unbesetzt.<br />
VON HERIBERT LOHR<br />
Die jüngste Bildungsmesse<br />
in Heilbronn war bezeichnend:<br />
Mehr als 4000 junge<br />
Menschen nutzten die Gelegenheit,<br />
mit Vertretern eines potentiellen<br />
Ausbildungsbetriebes ins Gespräch<br />
zu kommen. Für die Firmen<br />
sind Veranstaltungen wie die<br />
regionalen Ausbildungsmessen in<br />
Schwäbisch Hall oder Crailsheim<br />
eine hervorragende Präsentationsfläche,<br />
die sie mittlerweile auch<br />
gezielt nutzen müssen.<br />
STELLENANGEBOTE Denn<br />
der demografische Wandel hat die<br />
Kräfteverhältnisse eindeutig geregelt:<br />
Nachwuchs, insbesondere geeigneter<br />
Nachwuchs, hat Seltenheitswert.<br />
Die über lange Jahre<br />
rückläufigen Geburtenzahlen haben<br />
mit zeitlicher Verzögerung dafür<br />
gesorgt, dass der Ausbildungsmarkt<br />
sich zu einem Bewerbermarkt<br />
entwickelt hat. Im dynamisch<br />
wachsenden hohenlohischfränkischen<br />
Wirtschaftsraum finden<br />
die Schulabgänger fast schon<br />
paradiesische Zustände vor. Statistisch<br />
kommen etwa 1,5 freie Ausbildungsstellen<br />
auf einen Bewerber.<br />
Insgesamt 40 760 Azubis sind in<br />
diesem Ausbildungsjahr bei Industrie,<br />
Handel und Dienstleistern ins<br />
Berufsleben gestartet. Damit konnten<br />
die Betriebe im Land die Zahl<br />
der Ausbildungsverträge im Vergleich<br />
zum vergangenen Jahr auf<br />
hohem Niveau halten und sogar<br />
noch eine Steigerung um 0,3 Prozentpunkte<br />
erreichen. „Bei immer<br />
noch rückläufigen Schulabsolventenzahlen<br />
ist es vor allem<br />
für kleine und mittlere Betriebe<br />
eine große Herausforderung, ihre<br />
Lehrstellen zu besetzen“, sagt Marjoke<br />
Breuning, Präsidentin für<br />
Ausbildungsfragen im Baden-<br />
Württembergischen Industrie-<br />
Ausblick: Gerade auch im Handwerk werden dringend Nachwuchskräfte gesucht. Schulabgänger finden<br />
hier hervorragende berufliche Perspektiven vor.<br />
Foto: DPA<br />
und Handelskammertag<br />
(BWIHK). Deshalb sei es gut, dass<br />
viele Unternehmen neue Bewerbergruppen<br />
in den Fokus nehmen.<br />
„Viele Betriebe haben erkannt,<br />
dass es ‚den Azubi‘ nicht<br />
mehr gibt und dass sie sehr flexibel<br />
auf unterschiedliche Bewerbergruppen,<br />
wie zum Beispiel Studienabbrecher,<br />
Geflüchtete oder<br />
junge Frauen und Männer mit Kindern<br />
zugehen müssen.“ Deshalb<br />
haben auch jetzt noch Kurzentschlossene<br />
oder etwas leistungsschwächere<br />
Schulabgänger wirklich<br />
gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz.<br />
Andererseits haben<br />
auch die Betriebe gute Chancen<br />
entsprechende Bewerber zu finden,<br />
die sich mit einer gewissen<br />
Beweglichkeit der Situation stellen.<br />
Ältere Bewerber, Studienabbrecher<br />
und Studienabgänger, die<br />
mit ihren angestammten Fachkombinationen<br />
Schwierigkeiten haben<br />
unterzukommen, sind Potenziale,<br />
die noch längst nicht ausgeschöpft<br />
sind. Mit großem Engagement<br />
stellen sich die Firmen auch<br />
der Herausforderung Integration.<br />
Derzeit befinden sich landesweit<br />
rund 2400 Personen mit Fluchthintergrund<br />
in einer Ausbildung<br />
in einem IHK-Beruf – im Vergleich<br />
zum Vorjahr eine Steigerung<br />
um mehr als 1000 Auszubildende.<br />
Es könnten vielleicht noch<br />
mehr sein, wenn die Betriebe<br />
mehr Planungssicherheit hätten.<br />
Noch greift die im Aufenthaltsgesetz<br />
genannte 3+2-Regelung nicht<br />
automatisch mit dem Beginn einer<br />
Ausbildung.<br />
ZWICKMÜHLE „Für die betroffenen<br />
Menschen, ihre Ausbildungsbetriebe<br />
und deren Beschäftigte<br />
ist es oft dramatisch, weil Azubis<br />
dann abgeschoben werden.<br />
Immer wieder hören wir von solchen<br />
Fällen“, sagt auch die Hauptgeschäftsführerin<br />
der IHK Heilbronn-Franken<br />
Elke Döring. Zudem<br />
fordert die Wirtschaft, dass<br />
die Regelung um die oft zwölf Monate<br />
dauernde Einstiegsqualifizierung<br />
erweitert wird (1+3+2-Regelung).<br />
Die Gemengelage ist für<br />
die Unternehmen durchaus<br />
schwierig. Die Firmen treffen bei<br />
ihren Bemühungen auf eine sinkende<br />
Zahl von Schulabgängern<br />
auf der einen Seite sowie eine ausgeprägte<br />
Studierneigung auf der<br />
anderen. Der verbleibende Pool<br />
fällt dann in Teilen auch noch<br />
durch eine „problematische Ausbildungsreife“<br />
auf. So wurden bei<br />
der IHK Heilbronn-Franken bis<br />
Anfang September 3600 neue Ausbildungsverhältnisse<br />
eingetragen.<br />
Die Zahl verharrt bereits seit einigen<br />
Jahren auf diesem Niveau.<br />
Nach Aussage der Kammerspitze<br />
ist das Volumen nur noch bedingt<br />
steigerbar: Es finden sich einfach<br />
nicht genügend geeignete Bewerber.<br />
Die Situation im Handwerk<br />
entwickelte sich zuletzt erfreulich.<br />
Zum Start des Ausbildungsjahres<br />
waren in den Handwerksbetrieben<br />
der Region 4666 Azubis unter<br />
Vertrag, darunter insgesamt 1937<br />
neu eingetragene Ausbildungsverhältnisse,<br />
fast 400 mehr als noch<br />
im Jahr davor. „So ein Zuwachs ist<br />
ein schöner Erfolg für die Nachwuchssicherung<br />
der Betriebe“,<br />
freut sich Kerstin Lüchtenborg.<br />
Für die Leiterin der Abteilung Berufsbildung<br />
bei der Handwerkskammer<br />
Heilbronn-Franken ist<br />
die Situation auch Ausdruck dessen,<br />
dass die verschiedenen<br />
Imagekampagnen den Blick auf<br />
den traditionsreichen Wirtschaftszweig<br />
verändert haben. Zunehmend<br />
erkennen auch immer<br />
mehr Schulabgänger mit mittleren<br />
und höheren Bildungsabschlüssen<br />
die guten Perspektiven.<br />
Von den jungen Menschen wird<br />
zudem einiges an Flexibilität erwartet.<br />
Denn in den Trendberufen<br />
kann von einem Überhang an Ausbildungsstellen<br />
in bestimmten Berufen<br />
keine Rede mehr sein. Wer<br />
den Blick erweitert, erkennt<br />
schnell, dass die 160 Berufsbilder<br />
im Lebensmittelhandwerk, der<br />
Bauwirtschaft, im Hotel- und Gaststättengewerbe,<br />
in den Pflegeberufen<br />
oder weiten Teilen des Einzelhandels<br />
gute Perspektiven bieten.<br />
An der allgemeinen Ausgangslage<br />
wird sich für die Firmen in den<br />
nächsten Jahren wenig ändern.<br />
Deshalb sind solche Betriebe im<br />
Vorteil, die nachweislich für einen<br />
hohen Ausbildungsstandard sorgen.<br />
Über 100 Firmen aus der gesamten<br />
Region haben mittlerweile<br />
das Zertifikat „Dualis Ausgezeichneter<br />
Ausbildungsbetrieb“ erworben.<br />
Dietmar Niedziella, Leiter Berufsbildung<br />
bei der IHK Heilbronn-Franken:<br />
„Die Firmen müssen<br />
intensiv an ihrem Image als Arbeitgeber<br />
feilen, sonst haben sie<br />
auf diesem Bewerbermarkt kaum<br />
eine Chance.“<br />
www.heilbronn.ihk.de<br />
www.hwk-heilbronn.de<br />
www.arbeitsagentur.de<br />
www.ihk-lehrstellenboerse.de<br />
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