REGIOBUSINESS NR. 196 - Oktober 2018
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<strong>Oktober</strong> <strong>2018</strong> I Jahrgang 17 I Nr. <strong>196</strong><br />
Blickpunkt 07<br />
Hoffen auf eine Einigung<br />
Ob Ventilatoren, Chemieprodukte oder Saunaanlagen: Für regionale Unternehmen aus verschiedenen Branchen ist Großbritannien ein wichtiger<br />
Handelspartner. Dem möglichen Brexit blicken viele daher mit Sorge entgegen. VON FRANK LUTZ UND CORINNA HEIDEN<br />
Großbritannien und<br />
Deutschland verbindet<br />
eine über Jahrzehnte gewachsene<br />
Handelsbeziehung. Zahlen<br />
des Statistischen Bundesamts<br />
verdeutlichen, wie eng beide Länder<br />
wirtschaftlich miteinander verflochten<br />
sind. So war das Vereinigte<br />
Königreich im Jahr 2016<br />
fünftwichtigster Handelspartner<br />
Deutschlands: Waren im Wert von<br />
fast 122 Milliarden Euro wurden<br />
zwischen den beiden Staaten gehandelt.<br />
Rund ein Zehntel am deutschen<br />
Volumen des deutschen Handels<br />
über den Ärmelkanal steuern laut<br />
Statistischem Landesamt badenwürttembergische<br />
Unternehmen<br />
bei. Auffällig ist allerdings, dass<br />
das Exportvolumen zuletzt zurückging<br />
– von 14,4 Milliarden Euro<br />
im Jahr 2015 auf knapp über 11<br />
Milliarden im vergangenen Jahr –<br />
während die Importe sich wesentlich<br />
konstanter bei rund 4,4 Milliarden<br />
Euro bewegten. An der<br />
Spitze bei den Ausfuhren aus dem<br />
Ländle liegen Kraftwagen- und<br />
Kraftwagenteile, während bei den<br />
Importen die Chemieprodukte<br />
überwiegen.<br />
Ausblick: Auch für EBM-Papst ist Großbritannien ein wichtiger Absatzmarkt. Im Fall eines unkontrollierten oder harten Brexit befürchten die<br />
Mulfinger Wechselkursverwerfungen, die ihre Produkte verteuern könnten.<br />
Foto: EBM-Papst<br />
VERBUNDEN Sind die Briten<br />
auch für die Wirtschaft in Heilbronn-Franken<br />
ein wertvoller<br />
Handelspartner? Welche Branchen<br />
sind besonders eng mit dem<br />
Königreich verbunden? Was erwarten<br />
hiesige Unternehmen, wenn<br />
die Briten die EU verlassen? Und<br />
welche Branchen wären davon besonders<br />
betroffen?<br />
Tatsächlich blicken in der Region<br />
Unternehmen aus verschiedenen<br />
Branchen dem möglichen Brexit<br />
mit Sorge entgegen. „Seit vielen<br />
Jahrzehnten betreiben wir in<br />
Chelmsford nahe London eine Vertriebsniederlassung<br />
in der wir aktuell<br />
knapp 100 Mitarbeiter beschäftigen“,<br />
erklärt Hans Peter<br />
Fuchs, Geschäftsführer Finanzen<br />
& Controlling der EBM-Papst-<br />
Gruppe. „Großbritannien ist für<br />
uns ein wichtiger Absatzmarkt,<br />
und insoweit sind wir natürlich<br />
bei einem unkontrollierten oder<br />
harten Brexit dem höheren Risiko<br />
einer Wechselkursverwerfung des<br />
englischen Pfunds gegenüber<br />
dem Euro als auch möglichen Importzöllen<br />
ausgesetzt, die letztlich<br />
zu einer Verteuerung unserer Produkte<br />
und damit zu Absatzproblemen<br />
führen können“, blickt er in<br />
die Zukunft. „Als global agierendes<br />
Hightech-Unternehmen hoffen<br />
wir daher nach wie vor stark<br />
auf eine positive Einigung zwischen<br />
Großbritannien und der EU<br />
oder ein zweites Referendum. Ein<br />
Scheitern der Brexit-Verhandlungen<br />
würde mit Sicherheit den<br />
Wohlstand beider Länder negativ<br />
beeinflussen“, ist Hans Peter<br />
Fuchs fest überzeugt.<br />
VERTRETEN Auch die Merck<br />
Group bezeichnet das Vereinigte<br />
Königreich als wichtigen Markt:<br />
„Wir sind mit allen drei Unternehmensbereichen<br />
im Land vertreten<br />
und beschäftigen rund 1500 Mitarbeiter<br />
an 14 Standorten. Wir verfügen<br />
über eine Vielzahl erfolgreicher<br />
R&D-Kooperationen“, berichtet<br />
ein Sprecher des Chemieund<br />
Pharmakonzerns, zu dem<br />
auch Sigma-Aldrich Chemie mit<br />
Standort in Schnelldorf gehört.<br />
Auch nach einem Brexit werde<br />
Merck dem Land eng verbunden<br />
bleiben.<br />
Nichtsdestotrotz stelle der drohende<br />
EU-Austritt der Briten die<br />
Unternehmensgruppe vor große<br />
Herausforderungen: Das betreffe<br />
wichtige Bereiche wie Regulierung,<br />
Lieferkette, Verfügbarkeit internationaler<br />
Fachkräfte und<br />
grenzüberschreitende Forschungskooperationen.<br />
„Wir hoffen, dass es nicht zum<br />
harten Brexit kommt. Aber es<br />
wäre fahrlässig, sich nicht darauf<br />
vorzubereiten“, sagt der Sprecher<br />
daher. In der Versorgung der Patienten<br />
mit medizinischen Produkten,<br />
die von Laborwassersystemen<br />
bis zu Komplettlösungen für die<br />
Herstellung von Medikamenten<br />
reichen, dürfe es zu keinen Engpässen<br />
kommen. Daher plane<br />
Merck schon jetzt für verschiedene<br />
Brexit-Szenarien.<br />
Saunahersteller Klafs ist mit seinen<br />
Produkten seit langem im Vereinigten<br />
Königreich vertreten. Mit<br />
den britischen Handelspartnern<br />
verbinde das Schwäbisch Haller<br />
Unternehmen „ein gutes Verhältnis<br />
und der gemeinsame Einsatz<br />
für Produkte, die den Menschen<br />
erholsame und gesundheitsfördernde<br />
Momente bescheren“, wie<br />
Pressereferent Benno Kirschenhofer<br />
berichtet. Er bedauere den Brexit<br />
nicht nur, sondern bezeichnet<br />
ihn sogar als „eine leider geradezu<br />
anachronistische Entwicklung,<br />
wenn man bedenkt, dass andernorts<br />
gerade versucht wird,<br />
Handelshemmnisse abzubauen“.<br />
FERTIGEN Klafs fertige ausschließlich<br />
in Deutschland und<br />
sei nicht auf Rohstoffe oder Komponenten<br />
aus Großbritannien angewiesen.<br />
Der EU-Austritt des Landes<br />
sei daher für Klafs „keine unmittelbar<br />
existenzielle Krise“. Die<br />
Folgen seien eher langfristiger Natur:<br />
„Dennoch sollte nicht unterschätzt<br />
werden, welche negative<br />
Dynamik sich womöglich entwickeln<br />
kann. Wer innovativ sein<br />
will, muss offen bleiben und auf<br />
die Kraft der Gemeinsamkeit vertrauen.<br />
Alleingänge sind der falsche<br />
Weg.“<br />
www.ebmpapst.com<br />
www.klafs.de<br />
www.merckgroup.com<br />
Blick in die Zukunft gestaltet sich schwierig<br />
Für die Logistiker in der Region ist der Brexit ein zweischneidiges Schwert.<br />
VON CORINNA HEIDEN UND MELANIE BOUJENOUI<br />
Es ist nicht einfach, sich auf<br />
den eventuellen Brexit vorzubereiten.<br />
Obwohl der Brexit in<br />
knapp einem halben Jahr offiziell<br />
vollzogen werden soll, ist noch<br />
gar nicht klar: Kommt er, kommt<br />
er nicht? Und wenn ja, wie?<br />
Roland Rüdinger von der gleichnamigen<br />
Spedition in Krautheim ist<br />
der Vorsitzende der Sparte Landverkehr<br />
im Verband Spedition<br />
und Logistik Baden-Württemberg.<br />
„Es ist relativ schwierig, sich auf<br />
etwas vorzubereiten, was man<br />
noch nicht weiß“, erklärt er. Der<br />
Transportunternehmer ist aber<br />
der Meinung, dass gerade die Logistikbranche<br />
auch bei einem<br />
„harten Brexit“ nicht ins rudern<br />
kommen wird. „Der Warenaustausch<br />
wird in der Größenordnung<br />
bestehen bleiben. Die Prozesse<br />
werden nur komplizierter<br />
und so wahrscheinlich auch teurer<br />
für unsere Auftraggeber und<br />
letztendlich dann auch für deren<br />
Kunden.“<br />
»Weder bei uns<br />
noch auf der Insel<br />
weiß man, wie es<br />
dann wirklich<br />
weitergeht.«<br />
VERZOLLUNG Im Grunde<br />
würde es sich dann mit Großbritannien<br />
so verhalten, wie derzeit<br />
schon mit der Schweiz oder Transporten<br />
nach Übersee. „Wir werden<br />
dann auch eine Sonderabteilung<br />
zur Verzollung für Großbritannien<br />
einrichten, um den ganzen<br />
bürokratischen Aufwand aufzufangen“,<br />
sagt der Logistiker.<br />
Was wäre ihm lieber – der Brexit,<br />
oder der Ist-Zustand? „Natürlich<br />
wäre es besser, es bleibt, wie es<br />
ist. Nur eine Lockerung der Migrationspolitik<br />
würde ich mir noch<br />
dazu wünschen“, sagt Rüdinger.<br />
Seine Sympathiewerte für Großbritannien<br />
hielten sich derzeit generell<br />
sehr in Grenzen. „Ich schicke<br />
keinen eigenen Lkw mehr rüber –<br />
wir haben immer noch das Problem,<br />
dass Migranten unbemerkt<br />
auf unsere Lkw gelangen und sich<br />
so illegal nach Großbritannien absetzen<br />
wollen. Wenn dann ein solcher<br />
Lkw erwischt wird, werden<br />
wir von den Briten als Schleuser<br />
betitelt und müssen hohe Bußgelder<br />
zahlen“, ärgert er sich.<br />
PREISSTEIGERUNG Sven<br />
Braun ist mit seinem Handel- und<br />
Transportunternehmen in Rainau<br />
seit Jahren auf den internationalen<br />
Verkehr von und nach Großbritannien<br />
und Irland spezialisiert.<br />
Momentan spüre er beim<br />
täglichen Geschäft keinerlei Veränderungen<br />
in Bezug auf den geplanten<br />
Brexit. Wenn der aber kommt<br />
– womit er persönlich jedoch eigentlich<br />
nicht rechne – wäre es<br />
nicht nur für ihn der Super-Gau,<br />
auch Verlader und vor allem Kunden<br />
würden seiner Meinung nach<br />
dann den Preis dafür bezahlen<br />
Aufwendig: Kommt der Austritt Großbritanniens, werden Grenzkontrollen, wie es sie auch in Richtung<br />
Schweiz und Übersee gibt, auf die Lkw-Fahrer und Transportunternehmen zukommen.<br />
Foto: DPA<br />
und das gleich doppelt: „Alleine<br />
in Dover kommen täglich zwischen<br />
8000 und 9000 Transporter<br />
aus ganz Europa an. Wenn die<br />
alle verzollen müssen, braucht<br />
das Stunden.“ Zwischen 30 bis 60<br />
Minuten dauert das Durchsuchungsprozedere<br />
in der Regel pro<br />
Lkw – entsprechend verspätet<br />
käme die Lieferung beim Kunden<br />
an, der zudem die Wartezeit finanziell<br />
noch mittragen müsste.<br />
An einen Express Service „door to<br />
door“ wie ihn Braun derzeit noch<br />
anbietet, wäre dann nicht mehr zu<br />
denken. Jedoch ist der Transportexperte<br />
keiner der schnell aufgibt.<br />
„Sollte England die Zollunion<br />
verlassen gibt es mich entweder<br />
ab 1. April nicht mehr –<br />
weil das ganze Kartenhaus einfach<br />
zusammenbricht“, mutmaßt<br />
Braun oder, und das wäre ,the<br />
best case scenario’, viele meiner<br />
Konkurrenten verabschieden sich<br />
aus dem England-Geschäft und<br />
ich halte durch und wäre ein Brexit-Gewinner.“<br />
Im Moment herrsche jedoch Unsicherheit<br />
auf beiden Seiten. „Weder<br />
bei uns noch auf der Insel<br />
weiß man, wie es wirklich weitergeht.“<br />
Doch Braun sieht in der Logistik<br />
zudem noch ganz andere<br />
Schwierigkeiten: „Es herrscht<br />
Fahrerknappheit.“ Ähnlich wie im<br />
Handwerk stünden auch Spediteure<br />
vor der Problematik des Personalmangels.<br />
„Seit dem die Wehrpflicht<br />
abgeschafft ist, gibt es wesentlich<br />
weniger Personen mit einer<br />
entsprechenden Lizenz. Ich<br />
bin überzeugt, dass wir uns mit<br />
großen Schritten in Richtung Lieferschwierigkeiten<br />
bewegen“, ist<br />
sich der Transportexperte sicher.<br />
„Viele haben auch das nur noch<br />
nicht realisiert.“<br />
www.spedition-ruedinger.de<br />
www.svenbraun.com