17.10.2018 Aufrufe

Berliner Kurier 16.10.2018

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

*<br />

SEITE19<br />

BERLINER KURIER, Dienstag, 16. Oktober 2018<br />

„Für fast alle hat sich<br />

1989 fast alles verändert“:<br />

Der Seelsorger Hans<br />

Bartosch (links) trifft am<br />

Krankenbett Menschen<br />

aus allen Schichten<br />

der Gesellschaft.<br />

Widerstand und Neuanfang:<br />

die Besetzung der Treuhand-Niederlassung<br />

in Suhl 1991.<br />

Lichtfest auf dem Augustusplatz:<br />

Leipzig gedenkt der Montagsdemos.<br />

Bartosch seine Faszination für<br />

den Osten, das Unbekannte<br />

reizt ihn. Als er mit 49 eine berufliche<br />

Veränderung sucht,<br />

entdeckt er die freie Stelle in<br />

Magdeburg.<br />

Seit sechs Jahren arbeitet er<br />

nun hier. Viele Bekannte haben<br />

ihn anfangs für verrückt erklärt.<br />

Was er da wolle, in Magdeburg,<br />

wo nur zehn Prozent<br />

der Menschen in der Kirche<br />

seien? Er aber habe sofort eine<br />

Offenheit bei den Menschen gespürt.<br />

Auch wenn sie bis heute<br />

sofort wissen, dass er „Wessi“<br />

sei, sagt er, als hätten sie eine<br />

spezielle Witterung dafür.<br />

Noch dazu ist er Pfarrer. Wo<br />

die meisten im Osten doch mit<br />

der Kirche ihr Leben lang<br />

nichts zu tun hatten. Ihm die<br />

Hand zu geben, das sei für einen<br />

alten SED-General so, wie<br />

es für ihn wäre, Beatrix von<br />

Storch die Hand zu reichen.<br />

Und doch passiert es immer<br />

wieder. Und dann weiß er,<br />

dass er etwas erreicht hat.<br />

Mittags sitzt Bartosch in<br />

seinem Büro und trinkt<br />

Kräutertee aus einer Thermoskanne.<br />

„Für fast alle hat<br />

sich 1989 fast alles verändert“,<br />

sagt er, „vieles zum Guten,<br />

das wird manchmal vergessen.“<br />

Ihm ist wichtig zu<br />

erwähnen, dass in den Krankenbetten<br />

auch Menschen<br />

liegen, die in der DDR im Gefängnis<br />

saßen. Aber Bartosch<br />

kann auch verstehen, dass<br />

viele ihm unter Klagen berichten,<br />

wie es ihnen damals<br />

ergangen ist. „Die Wende,<br />

das ist nicht nur der 9. November<br />

1989, das ist auch alles,<br />

was danach passiert ist.“<br />

Er meint: den wirtschaftlichen<br />

Kollaps, der in seiner Radikalität<br />

historisch einmalig<br />

war. Von den 14000 Betrieben,<br />

die allein die Treuhand verwaltete,<br />

wurden bis 1994 laut Bundeszentrale<br />

für politische Bildung<br />

4000 geschlossen, weil sie<br />

als nicht mehr rentabel galten.<br />

1,4 Millionen verließen den Osten,<br />

eine vergleichbare Wanderungsbewegung<br />

hat es in<br />

Deutschland nie gegeben. Bis<br />

zum Jahr 2000 stieg die Arbeitslosenquote<br />

in den neuen<br />

Bundesländern auf 18,7 Prozent,<br />

über die Jahre blieb sie<br />

dabei immer doppelt so hoch<br />

wie im Westen.<br />

An den Krankenbetten erfährt<br />

Bartosch, wie es ist, wenn<br />

Bitte umblättern

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!